Language of document : ECLI:EU:C:2020:297

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 23. April 2020(1)

Rechtssache C73/19

Belgische Staat, vertreten durch den Minister van Werk, Economie en Consumenten, belast met Buitenlandse handel,

Belgische Staat, vertreten durch den Directeur-Generaal van de Algemene Directie Economische Inspectie,

Directeur-Generaal van de Algemene Directie Economische Inspectie

gegen

Movic BV,

Events Belgium BV,

Leisure Tickets & Activities International BV

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien)

„Vorabentscheidungsersuchen – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Begriff ‚Zivil- und Handelssachen‘ – Von einer Behörde zum Schutz von Verbraucherinteressen erhobene Unterlassungsklage“






I.      Einleitung

1.        In seinem Urteil vom 1. Oktober 2002, Henkel(2), stellte der Gerichtshof fest, dass ein Rechtsstreit, in dem ein Verbraucherschutzverein eine Klage auf Untersagung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln erhebt, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, der den Anwendungsbereich der meisten Instrumente des internationalen Privatrechts der Union definiert. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, zu ermitteln, ob auch ein Rechtsstreit, in dem die Behörden eines Mitgliedstaats eine Klage gegen unlautere Markt- und/oder Geschäftspraktiken erheben, unter diesen Begriff fällt.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

2.        Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012(3) ist diese „in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii)“.

B.      Belgisches Recht

1.      Gesetz vom 30. Juli 2013

3.        Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 über den Weiterverkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen (Moniteur belge vom 6. September 2013, S. 63069, im Folgenden: Gesetz vom 30. Juli 2013) verbietet den regelmäßigen Weiterverkauf von Eintrittskarten, das Anbieten im Hinblick auf regelmäßigen Weiterverkauf und das Bereitstellen von Mitteln, die für einen regelmäßigen Weiterverkauf verwendet werden. Art. 5 Abs. 2 dieses Gesetzes verbietet außerdem den gelegentlichen Weiterverkauf zu einem Preis, der den Endpreis überschreitet.

4.        Nach Art. 14 dieses Gesetzes stellt der Präsident des Handelsgerichts das Vorliegen einer Handlung, die einen Verstoß gegen Art. 5 dieses Gesetzes darstellt, fest und ordnet ihre Unterlassung an. Die Unterlassungsklage wird eingereicht auf Veranlassung des Ministers, des Generaldirektors der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, KMB (Klein- und Mittelbetriebe), Mittelstand und Energie, oder der Betroffenen.

2.      Wirtschaftsgesetzbuch

5.        Buch VI des Wetboek van economisch recht vom 28. Februar 2013 (in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung, im Folgenden: WER oder Wirtschaftsgesetzbuch) enthält in Titel 4 Kapitel 1 („Unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern“) die Art. VI.92 bis VI.100, die die Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG(4) darstellen. In diesem Rahmen werden unlautere Geschäftspraktiken insbesondere in den Art. VI.100, VI.97, VI.99 und VI.93 dieses Gesetzbuchs definiert.

6.        Nach Art. XVII.1 WER stellt der Präsident des Handelsgerichts vorbehaltlich von Sonderbestimmungen das Vorliegen einer Handlung, die gegen die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzbuches verstößt, fest, selbst wenn sie strafrechtlich geahndet wird, und ordnet ihre Unterlassung an. Gemäß Art. XVII.7 WER wird eine auf Art. XVII.1 WER beruhende Klage eingereicht u. a. auf Antrag der Betroffenen, des Ministers oder des Generaldirektors der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, KMB, Mittelstand und Energie und einer Vereinigung zur Verteidigung von Verbraucherinteressen, wenn diese zur Verteidigung ihrer in der Satzung definierten kollektiven Interessen vor Gericht auftritt.

III. Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens, die Vorlagefrage und das Verfahren beim Gerichtshof

7.        Im Jahr 2016 erhoben die belgischen Behörden im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwei Unterlassungsklagen gegen die Beklagten, die Movic BV, die Events Belgium BV und die Leisure Tickets & Activities International BV, die Gesellschaften nach niederländischem Recht sind.

8.        Sie waren gerichtet auf

–        erstens die Feststellung, dass die Beklagten in Belgien über das Internet den Weiterverkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen mittels von ihnen betriebener Websites zu einem Preis anbieten, der höher ist als der des ursprünglichen Verkäufers, und dabei den ursprünglich Preis und den Namen des ursprünglichen Verkäufers entfernen und dass diese Praktiken Verstöße gegen die Bestimmungen der Art. 4 §1, Art. 5 §§1 und 2 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und der Art. VI.100, VI.97, VI.99 und VI.93 WER, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 193b bis 193g von Buch 6 des Nederlands Burgerlijk Wetboek (niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch) darstellen;

–        zweitens die Anordnung der Unterlassung dieser Verstöße;

–        drittens die Anordnung einer Veröffentlichung der getroffenen Entscheidung auf Kosten der Gesellschaften nach niederländischem Recht;

–        viertens die Verhängung eines Zwangsgelds von 10 000 Euro pro festgestellten Verstoß ab der Zustellung des Urteils;

–        fünftens die Feststellung, dass die Verstöße gemäß Art. XV.2 ff. WER durch ein einfaches, seitens eines bevollmächtigten Beamten der Algemene Directie Economische Inspectie (Generaldirektion Wirtschaftsinspektion) aufgesetztes Protokoll festgestellt werden können.

9.        Die Beklagten erhoben die Einrede der internationalen Unzuständigkeit der belgischen Gerichte und trugen vor, dass die belgischen Behörden hoheitliche Rechte ausgeübt hätten, so dass diese Handlungen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fielen. Dieser Einrede wurde vom erstinstanzlichen Gericht stattgegeben.

10.      Die Kläger erhoben Berufung an den Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien). Vor diesem Hintergrund hat dieses Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist ein Rechtsstreit, dem eine durch den belgischen Staat nach Art. 14 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 über den Weiterverkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen und Art. XVII.7 WER eingereichte Klage auf Feststellung und Unterlassung von widerrechtlichen Markt- und/oder Geschäftspraktiken zulasten von Verbrauchern gegen niederländische Gesellschaften zugrunde liegt, die sich von den Niederlanden aus über Websites hauptsächlich an belgische Kunden für den Weiterverkauf von Tickets für Veranstaltungen in Belgien wenden, eine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 und kann eine in einem solchen Rechtsstreit ergangene Gerichtsentscheidung aus diesem Grund in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen?

11.      Schriftliche Erklärungen sind von den Beklagten, von der belgischen Regierung und von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Diese Beteiligten waren auch in der mündlichen Verhandlung, die am 29. Januar 2020 stattgefunden hat, vertreten.

IV.    Würdigung

12.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Rechtsstreit zwischen den Behörden eines Mitgliedstaats und in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen privatrechtlichen Einheiten, in dessen Rahmen diese Behörden verlangen, dass erstens das Vorliegen von Verstößen, die u. a. unlautere Geschäftspraktiken darstellen, festgestellt wird, zweitens die Unterlassung dieser Praktiken und drittens Veröffentlichungsmaßnahmen auf Kosten der Beklagten angeordnet werden, viertens für jeden festgestellten Verstoß ab Zustellung des Urteils ein Zwangsgeld in einer bestimmten Höhe verhängt wird und fünftens festgestellt wird, dass diese Verstöße durch ein einfaches, seitens eines bevollmächtigten Beamten einer dieser Behörden aufgesetztes Protokoll festgestellt werden können, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.

13.      Obwohl diese Klage sowohl Marktpraktiken als auch unlautere Geschäftspraktiken betrifft, erklärt das vorlegende Gericht nicht, inwiefern diese Praktiken miteinander im Zusammenhang stehen. In der mündlichen Verhandlung haben die belgische Regierung und eine der Beklagten darauf hingewiesen, dass das Gesetz vom 30. Juli 2013 im Verhältnis zum Wirtschaftsgesetzbuch eine lex specialis sei. Daraus schließe ich, dass mangels dieser lex specialis jeder Verstoß eine unlautere Geschäftspraktik wäre. Im Übrigen scheinen diese Rechtsvorschriften dasselbe Ziel zu verfolgen, nämlich den Schutz der Verbraucherinteressen, und einer ähnlichen Logik zu folgen.

14.      Außerdem kann man zwar durch die Formulierung der Vorlagefrage den Eindruck bekommen, dass sich das vorlegende Gericht nur mit Fragen im Zusammenhang mit der Feststellung des Vorliegens von Verstößen und der Anordnung ihrer Unterlassung beschäftigt. Um sich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits im Sinne eines der in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Gerichtsstände für zuständig zu erklären(5), muss das vorlegende Gericht aber zeigen, dass keiner der von den belgischen Behörden begehrten Klageanträge den Rechtsstreit ganz oder teilweise vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließen kann.

15.      Zudem ergibt sich aus der Formulierung der Vorlagefrage, dass das vorlegende Gericht sich auch fragt, ob die im Ausgangsrechtsstreit ergangene Entscheidung in der Sache in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt. Obwohl zweifelhaft sein kann, ob die Antwort auf diese Frage für die Entscheidung, die das Gericht über die Einrede der internationalen Unzuständigkeit treffen wird, notwendig ist, ist festzustellen, dass die Entscheidung in der Sache alle bei diesem Gericht eingereichten Klageanträge betreffen wird.

16.      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den Erklärungen der Parteien geht hervor, dass grundlegende Zweifel daran bestehen, ob eine Behörde hoheitliche Rechte ausübt, wenn sie ihre Zuständigkeit ausübt, eine Klage mit dem Ziel zu erheben, Verstöße gegen das Gesetz vom 30. Juli 2013 und gegen Bestimmungen des Buches VI des Wirtschaftsgesetzbuchs abzustellen. In diesem Zusammenhang werden folgende Punkte diskutiert: Erstens müssen die belgischen Behörden im Gegensatz zu allen anderen Personen nicht nachweisen, dass sie ein eigenes Interesse an der Erhebung eines Rechtsstreits wie dem des Ausgangsverfahrens haben, zweitens stehen die Untersuchungsbefugnisse dieser Behörden Privatpersonen nicht zur Verfügung und drittens verfügen diese Behörden über solche Befugnisse auch im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens.

17.      Zur Beantwortung der Vorlagefrage werde ich zunächst auf die einschlägige Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 hinweisen (Teil A). Dann werde ich im Licht dieser Rechtsprechung die von den Parteien diskutierten Gesichtspunkte und deren Auswirkungen auf die Beantwortung der Vorlagefrage analysieren, d. h. diejenigen betreffend das Interesse, in dem eine Behörde handelt (Teil B), die Untersuchungsbefugnisse, über die diese Behörde verfügt (Teil C), und die Befugnisse dieser Behörde im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens (Teil D).

A.      Zivil- und Handelssachen

18.      Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden (erster Satz), gilt aber nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (zweiter Satz).

19.      Mit dem Begriff „Zivil- und Handelssachen“ wird also in Abgrenzung zu Begriffen, die sich auf das öffentliche Recht beziehen, der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 definiert. Die Unterscheidung zwischen Rechtsstreitigkeiten, die unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen, und denjenigen, die nicht darunter fallen, beruht darauf, dass die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits einen solchen Rechtsstreit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließt(6).

20.      Diesem Gedanken folgend hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass zwar bestimmte Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen können, es sich jedoch anders verhält, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird(7).

21.      Um festzustellen, ob das der Fall ist, sind die Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder der Gegenstand des Rechtsstreits(8) oder alternativ, wie aus einigen Urteilen des Gerichtshofs hervorgeht(9), die Grundlage der erhobenen Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung zu ermitteln.

22.      Der Rückgriff auf Hoheitsrechte, mit dem ein Rechtsstreit vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgeschlossen werden kann, kann zum einen im Rahmen einer Rechtsbeziehung zwischen einer Behörde und einer Privatperson, in der der Rechtsstreit seinen Ursprung hat, oder zum anderen im verfahrensrechtlichen Rahmen, der zur Entscheidung über diesen Rechtsstreit eingerichtet wurde, stattfinden(10).

23.      Im Licht dieser Erläuterungen durch die Rechtsprechung ist angesichts der Kernaspekte der Debatte zwischen den Parteien zu ermitteln, ob der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt.

B.      Zum Interesse, in dem eine Behörde handelt

24.      Die Diskussion zwischen den Parteien betrifft insbesondere die Frage, ob der Rechtsstreit, in dem die belgischen Behörden die Feststellung des Vorliegens von unlauteren Markt- und/oder Geschäftspraktiken und die Anordnung ihrer Unterlassung begehren, wegen der Besonderheiten des Interesses, in dem diese Behörden handeln, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt.

25.      Die Beklagten tragen nämlich vor, dass die belgischen Behörden Unterlassungsklagen zur Verteidigung von Allgemeininteressen erhöben. Zu diesem Zweck verfügten diese Behörden über Rechte, die ihnen unmittelbar vom nationalen Gesetzgeber übertragen worden seien, und handelten demnach hoheitlich. Im Gegensatz zu allen anderen, die eine Unterlassungsklage nach Art. 14 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und Art. XVII.7 WER erheben wollten, müssten die belgischen Behörden nicht nachweisen, dass sie ein eigenes Interesse besäßen.

26.      Die belgische Regierung räumt ein, dass die belgischen Behörden ein Allgemeininteresse verteidigten. Sie erklärt aber, dass dieses Interesse darin bestehe, für die Einhaltung der Regeln im Bereich der Geschäftspraktiken zu sorgen, die private Interessen sowohl von Unternehmern als auch von Verbrauchern schützen sollten.

27.      Also ist zu ermitteln, ob ein Rechtsstreit vom Begriff „Zivil- und Handelssachen“ ausgeschlossen ist, weil erstens dieser Rechtsstreit von einer Behörde eingeleitet wird, die ein Allgemeininteresse verteidigt, zweitens der Gesetzgeber die Befugnis, diesen Rechtsstreit einzuleiten, dieser Behörde speziell übertragen hat und drittens alle anderen, die einen solchen Rechtsstreit einleiten wollen, ein eigenes Interesse haben müssen.

1.      Ausübung eines öffentlichen Auftrags im Allgemeininteresse

28.      Im Urteil Pula Parking(11) hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ den einem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Rechtsstreit über die Erhebung einer Parkgebühr durch eine im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehende Gesellschaft erfasst, obwohl es sich nach diesem Urteil bei der Verwaltung des öffentlichen Parkraums und der Erhebung dieser Parkgebühren um eine Aufgabe von lokalem Interesse handelt.

29.      Dieses Urteil macht deutlich, dass „in einem Interesse, das mit dem allgemeinen oder öffentlichen Interesse vergleichbar ist“, zu handeln, nicht automatisch bedeutet, im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 „in Ausübung hoheitlicher Befugnisse zu handeln“(12).

2.      Die unmittelbar durch einen legislativen Akt übertragenen Befugnisse

30.      Eine der Beklagten scheint die Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin zu verstehen, dass man zwei Fälle unterscheiden könne, in denen ein Rechtsstreit nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ falle. Zum einen, wenn eine Behörde von Befugnissen Gebrauch mache, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abwichen, und zum anderen, wie die Urteile Baten(13) und Blijdenstein(14) veranschaulichten, wenn die Befugnisse einer Behörde auf Bestimmungen beruhten, mit denen der Gesetzgeber dieser eine eigene, besondere Befugnis speziell verliehen habe. Diese Beklagte scheint also geltend zu machen, dass, wenn die belgischen Behörden bloß tätig werden, weil sie vom Gesetzgeber dazu bestimmt wurden, sie folglich im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse handeln.

31.      In seinem Urteil Pula Parking(15) hat der Gerichtshof aber bereits entschieden, dass allein der Umstand, dass bestimmte Befugnisse durch Hoheitsakt übertragen, bzw. delegiert wurden, nicht bedeutet, dass die Ausübung dieser Befugnisse die Anwendung hoheitlicher Befugnisse erfordert. In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Urteil Sonntag(16) festgestellt, dass es für die Erwägung, ob eine Schadensersatzklage gegen einen Lehrer unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, nicht entscheidend ist, ob der Lehrer einer öffentlichen Schule Beamter ist und als solcher handelt, auch wenn die Beamteneigenschaft durch hoheitlichen Akt verliehen wird.

32.      Was insbesondere die Rechtsquelle einer Befugnis angeht, die von einer Behörde in Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007(17), die ihren Anwendungsbereich ebenfalls durch den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ definiert, ausgeübt wird, hat der Gerichtshof im Urteil Fahnenbrock u. a.(18) darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass eine Befugnis durch ein Gesetz eingeführt wurde, als solcher nicht ausschlaggebend für den Schluss ist, dass der Staat seine hoheitlichen Rechte ausgeübt hat. Diese Erwägung ist durch das Urteil Kuhn(19), das die Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssachen“ im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft, nicht in Frage gestellt worden. In diesem Urteil hat sich der Gerichtshof, der zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Rechtsstreit nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, nicht auf die Feststellung beschränkt, dass ein Staat eine unmittelbar durch nationales Gesetz übertragene Befugnis ausgeübt hat, sondern hat die Situation untersucht, in der sich dieser Staat Privatpersonen gegenüber aufgrund der Ausübung dieser Befugnis befunden hat(20).

33.      Im Übrigen ist unstreitig, dass der Gerichtshof in den Urteilen Baten(21) und Blijdenstein(22), die von einer der Beklagten angeführt wurden, entschieden hat, dass wenn eine Klage auf Bestimmungen gestützt ist, mit denen der Gesetzgeber der öffentlichen Stelle eine eigene, besondere Befugnis verliehen hat, diese Klage nicht als unter den Begriff „Zivil- und Handelssache“ im Sinne der Rechtsprechung zu diesem Begriff fallend angesehen werden kann.

34.      Aus diesen beiden Urteilen geht jedoch nicht hervor, dass die bloße Ausübung einer Befugnis oder einer Zuständigkeit, die der Gesetzgeber einer Behörde speziell übertragen hat, automatisch die Verwendung hoheitlicher Befugnisse bedeutet. In diesen Urteilen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die betreffenden Klagen unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen, obwohl die Behörden von Klagebefugnissen Gebrauch gemacht hatten, die ihnen unmittelbar vom Gesetzgeber auf der Grundlage von Bestimmungen verliehen worden waren, die nur an Behörden gerichtet waren(23). Entscheidend für die Annahme, dass diese besonderen Klagen unter diesen Begriff fallen, war der Umstand, dass diese Behörden durch diese Bestimmungen mittels eines Verweises auf zivilrechtliche Vorschriften nicht in eine Rechtslage gebracht wurden, die vom allgemeinen Recht abwich. Diese Behörden übten also keine hoheitlichen Befugnisse aus.

35.      Demnach genügt es nicht, festzustellen, dass eine Behörde nach nationalem Recht über bestimmte Befugnisse oder Zuständigkeiten verfügt, die nach diesem Recht nicht jede Privatperson hat. Um die Anwendung der Verordnung Nr. 1215/2012 auszuschließen, muss diese Behörde über eine hoheitliche Befugnis im Sinne der vom Gerichtshof entwickelten Rechtsprechung verfügen. In diesem Zusammenhang darf man nicht aus den Augen verlieren, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist. Die Frage, ob die Ausübung einer Befugnis oder einer Zuständigkeit die Wahrnehmung einer hoheitlichen Befugnis ist, kann nicht nur von der Prüfung des nationalen Rechts, dem eine Behörde unterliegt, und der Feststellung abhängen, dass dieses Recht in Bezug auf das für bestimmte Personen geltende Recht Unterschiede vorsieht(24), auch wenn sich die Heranziehung dieses Rechts zur Ermittlung des Spektrums der von dieser Behörde ausgeübten Befugnisse(25) als nützlich erweisen kann. Außerdem ist die Heranziehung eines einzigen Rechtssystems oft ausreichend, um zu bestimmen, welche Befugnisse oder Zuständigkeiten für Privatpersonen allgemein verfügbar sind.

36.      Nun ist nur noch zu prüfen, ob es sich um eine hoheitliche Befugnis im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs handelt, wenn eine Behörde von der Pflicht befreit ist, nachzuweisen, dass sie ein eigenes Interesse an der Erhebung einer Unterlassungsklage hat.

3.      Ist die Befreiung vom Nachweis eines eigenen Interesses eine hoheitliche Befugnis?

37.      Nach belgischem Recht scheint eine Behörde von der Pflicht befreit zu sein, nachweisen zu müssen, dass sie mit einer Unterlassungsklage ein eigenes Interesse oder Recht verteidigt. Ein Einzelner muss hingegen ein „Betroffener“ im Sinne der Bestimmungen des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und des Wirtschaftsgesetzbuchs sein, um eine Unterlassungsklage erheben zu können.

38.      Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass zumindest was das Wirtschaftsgesetzbuch angeht, das die Richtlinie 2005/29 umsetzt, eine Unterlassungsklage auch von Gruppierungen mit privatrechtlicher Rechtsform und unter bestimmten Voraussetzungen von Vereinigungen zur Verteidigung von Verbraucherinteressen erhoben werden kann. Eine solche Vereinigung verteidigt kein eigenes Interesse oder Recht. Sie handelt vielmehr zur Verteidigung kollektiver Verbraucherinteressen oder des Allgemeininteresses, und es ist der Gesetzgeber, der es ihr ermöglicht, eine Unterlassungsklage auf der Grundlage von Bestimmungen wie Art. XVII.7 WER zu erheben.

39.      Was das Rechtsschutzinteresse angeht und folglich die von dem Interesse, aus dem eine Klage erhoben wird, bestimmten prozessualen Aspekte, wie die Klagebefugnis oder die Zulässigkeit einer Klage, ist die rechtliche Situation einer Behörde mit derjenigen einer Verbraucherschutzvereinigung vergleichbar. Auch eine solche Vereinigung kann eine Unterlassungsklage bei Fehlen eines eigenen Interesses erheben.

40.      In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis darauf angebracht, dass der Gerichtshof im Urteil Henkel(26) entschieden hat, dass ein Rechtsstreit, in dem eine Vereinigung eine Klage von kollektivem Interesse für Verbraucher erhebt, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, da diese Klage keineswegs die Wahrnehmung von Befugnissen betrifft, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen.

41.      Man könnte argumentieren, dass die Rechtssache, in der das Urteil Henkel(27) ergangen ist, eine auf die Richtlinie 93/13/EWG(28) gestützte Klage auf Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln betraf, während die vorliegende Rechtssache eine auf die Richtlinie 2005/29 gestützte Klage auf Unterlassung unlauterer Geschäftspraktiken betrifft. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die in der Rechtssache Henkel(29) vorgenommene Auslegung im Zusammenhang mit einem anderen Instrument des internationalen Privatrechts der Union, nämlich der Verordnung (EG) Nr. 864/2007(30), deren Begriffe einer kohärenten Auslegung im Verhältnis zu denjenigen der Verordnung Nr. 1215/2012 unterzogen werden müssen(31), bestätigt hat. Der Gerichtshof hat konkret entschieden, dass „eine [Klage auf Unterlassung missbräuchlicher Klauseln] im Sinne der Richtlinie 2009/22/EG[(32)]“ unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt.

42.      Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2009/22 ist Ziel dieser Richtlinie die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher, die unter die in Anhang I aufgeführten Richtlinien fallen. Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass eine Klage auf Unterlassung von unlauteren Geschäftspraktiken im Sinne der Richtlinie 2005/29 auch eine Klage im Sinne der Richtlinie 2009/22 darstellt.

43.      Außerdem ist es unerheblich, dass Behörden das vorlegende Gericht mit dem Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens befasst haben. Zunächst können nach Art. 3 in Verbindung mit Art. 2 der Richtlinie 2009/22 die von einem Mitgliedstaat dazu bestimmten Gerichte oder Verwaltungsbehörden mit Unterlassungsklagen von „qualifizierten Einrichtungen“ angerufen werden, nämlich erstens in Mitgliedstaaten, in denen solche Stellen bestehen, eine oder mehrere unabhängige öffentliche Stellen und/oder zweitens Organisationen, deren Zweck im Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen besteht. Die Unterlassungsklagen dieser Einrichtungen können das gleiche Ziel verfolgen, nämlich die Einstellung bestimmter Praktiken im kollektiven Interesse der Verbraucher. In diesem rechtlichen Rahmen kann somit eine unabhängige öffentliche Einrichtung Gewerbetreibenden gegenüber die gleiche Rolle einnehmen wie Vereinigungen zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen, deren Klagen unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen.

44.      Sodann schreibt Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/29 den Mitgliedstaaten vor, im Interesse der Verbraucher sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen. Diese Mittel haben Rechtsvorschriften zu umfassen, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern, gestatten, erstens gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen und/oder zweitens gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist. Der Unionsgesetzgeber sieht also ein Modell zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes vor, in dem die Verwaltungsbehörden nicht dafür zuständig sind, über Klagen gegen unlautere Geschäftspraktiken zu entscheiden. Diese Behörden müssen dagegen vor den nationalen Gerichten zur Verteidigung der Verbraucherinteressen tätig werden, was sie auf eine Stufe mit den Personen oder Vereinigungen stellt, die in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 ebenfalls angeführt sind.

45.      Schließlich ermächtigen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch außerhalb des Bereichs des Verbraucherschutzes Behörden manchmal dazu, Verfahren vor nationalen Gerichten auch ohne eigenes Interesse einzuleiten, und zwar zur Verteidigung eines allgemeinen, kollektiven oder sogar individuellen Interesses, insbesondere wenn es sich um eine Privatperson handelt, die im Rahmen eines solchen Verfahrens als schwache Partei angesehen wird(33). Würde man eine solche Situation als vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgenommen ansehen, würde das die Rolle der Behörden in grenzüberschreitenden Situationen verringern, obwohl solche Verfahren nur schwer von Verfahren zu unterscheiden sind, die von Privatpersonen eingeleitet werden.

46.      In Anbetracht der Leitlinien, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff „Zivil- und Handelssachen“ entwickelt hat, befindet sich eine Behörde oder eine Vereinigung zum Schutz von Verbraucherinteressen, die eine Unterlassungsklage erhebt, in einer Situation, die mit der eines beliebigen Betroffenen vergleichbar ist. Sie ist zwar von der Pflicht befreit, nachzuweisen, dass sie in ihrem eigenen Interesse handelt. Sie verfügt deshalb aber über keine Rechte, die ihr Zuständigkeiten oder Befugnisse verleihen könnten, die die zivil- oder handelsrechtliche Natur ihrer Rechtsbeziehung zu privatrechtlichen Rechtssubjekten verzerren oder den Gegenstand des Rechtsstreits, in dem eine Unterlassungsklage erhoben wird, ändern(34). Sie verfügt auch über keine solchen Zuständigkeiten oder Befugnisse in Bezug auf den Verfahrensrahmen für die Entscheidung über den Rechtsstreit, der seine Ursache in diesen Rechtsbeziehungen hat; dieser ist unabhängig davon, welche Eigenschaft die Parteien dieses Verfahrens haben, gleich(35).

4.      Vorläufiges Ergebnis

47.      Diesen Teil meiner Analyse zusammenfassend stelle ich fest, dass das Handeln im Allgemeininteresse oder im Interesse eines anderen einen Rechtsstreit nicht automatisch vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschließt(36). Auch die Ausübung einer unmittelbar durch legislativen Akt übertragenen Befugnis oder Zuständigkeit hat nicht automatisch einen solchen Ausschluss zur Folge(37). Es ist auch unerheblich, dass es nicht vom Vorliegen eines eigenen Interesses abhängt, ob eine Behörde eine Klage einleiten kann. Damit ein Rechtsstreit vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgeschlossen ist, müssen diese Befugnisse von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen(38). Wie aus meiner Analyse zumindest in Bezug auf Klagen im Bereich unlauterer Geschäftspraktiken hervorgeht, ist die Ausübung von Befugnissen, die sich auf andere Aspekte als das Interesse, in dem eine Behörde handelt, die Klagebefugnis oder die Zulässigkeit der Klage beziehen, grundsätzlich keine Ausübung derartiger abweichender Befugnisse. Demnach weist vorbehaltlich der Überprüfung von Untersuchungs- und Vollstreckungsbefugnissen, auf die ich später eingehen werde, nichts darauf hin, dass der Ausgangsrechtsstreit abweichende Befugnisse betrifft.

C.      Zu den Untersuchungsbefugnissen

48.      Im Urteil Sunico u. a.(39) hat der Gerichtshof über die Auswirkungen der Ausübung von Untersuchungsbefugnissen auf die Einstufung eines Rechtsstreits als Zivil- und Handelssache entschieden. Man kann also im Licht der aus diesem Urteil gewonnenen Erkenntnisse das Vorbringen einer der Beklagten prüfen, wonach die belgischen Behörden ihre eigenen Feststellungen und Erklärungen als rechtliche Beweise verwenden könnten, so dass die entscheidenden Schriftstücke der Akte aus einer Reihe von Berichten und Feststellungen von staatlichen Prüfern bestünden. Die belgischen Behörden legten als Schriftstücke auch Beschwerden von Verbrauchern vor und hätten Zugang zu solchen Schriftstücken, da sie diese über ihre eigene Website/E‑Mail-Adresse in ihrer Eigenschaft als „Behörden“ erhielten.

1.      Urteil Sunico u. a.

49.      In der Rechtssache, in der das Urteil Sunico u. a.(40) ergangen ist, ersuchte eine Behörde eines Mitgliedstaats nach der Verordnung Nr. 1798/2003/EWG(41) bei den Behörden eines anderen Mitgliedstaats um Auskünfte zu den Beklagten, bevor sie bei einem nationalen Gericht eine Klage auf Ersatz des durch Mehrwertsteuerbetrug entstandenen Schadens erhoben. Vor diesem Hintergrund wurde die Frage gestellt, ob es sich auf die Natur der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Rechtsstreits auswirkt, dass solche Auskünfte eingeholt wurden, so dass dieser Rechtsstreit vom Begriff „Zivil- und Handelssachen“ ausgenommen ist(42).

50.      In ihren Schlussanträgen in dieser Rechtssache(43) war Generalanwältin Kokott der Ansicht, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen nicht ersichtlich gewesen sei, ob bzw. inwieweit das Auskunftsersuchen auch für das Ausgangsverfahren relevant gewesen sei. Das Auskunftsersuchen sei ein Instrument, das einem privaten Kläger nicht zugänglich sei. Wenn es demnach nach dem nationalen Verfahrensrecht zulässig wäre, dass die Behörde diese hoheitlich erlangten Informationen und Beweise in diesem Verfahren verwende, würde diese Behörde den Beklagten nicht wie ein Privater gegenüberstehen.

51.      Der Gerichtshof hat im Urteil Sunico u. a.(44) bestätigt, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervorgeht, dass die Behörde im Ausgangsverfahren durch Einsatz ihrer hoheitlichen Rechte erlangte Beweise verwendet hat. Er hat festgestellt, dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, „zu prüfen, ob dies der Fall gewesen ist und, gegebenenfalls, ob [diese Behörde] im Rahmen ihrer Klage gegen [die Beklagten des Ausgangsverfahrens] diesen wie ein Privater [gegenübersteht]“(45).

52.      Obwohl in diesem Urteil auf die konkrete Nummer der Schlussanträge verwiesen wird, wurde in der Lehre vertreten, dass der Gerichtshof eine weniger kategorische Lösung vertreten habe als die in den Schlussanträgen befürwortete(46).

53.      Auch ich verstehe das Urteil dahin, dass es nicht ausreicht, die nationalen Bestimmungen zu identifizieren, die eine Behörde abstrakt ermächtigen, hoheitlich erlangte Beweise einzuholen und sie in einem Rechtsstreit zu verwenden, um einen Rechtsstreit vom Begriff „Zivil- und Handelssachen“ auszuschließen. Es reicht auch nicht aus, festzustellen, dass diese Beweise in diesem Rechtsstreit verwendet wurden. Damit dieser Rechtsstreit von diesem Begriff ausgenommen ist, müsste auch festgestellt werden, ob diese Behörde konkret wegen der Verwendung dieser Beweise nicht in der gleichen Situation war wie ein Privater in einem entsprechenden Rechtsstreit.

2.      Anwendung der aus dem Urteil Sunico u. a. gewonnenen Erkenntnisse

54.      Zunächst ist klarzustellen, dass der Umstand, dass die belgischen Behörden Beschwerden von Verbrauchern als Beweise vorgelegt haben, nicht bedeutet, dass sich diese Behörden in eine Rechtslage gebracht hätten, die sich von derjenigen einer Privatperson in einem entsprechenden Rechtsstreit unterscheidet. Denn obwohl eine Verbraucherschutzvereinigung eine privatrechtliche Einrichtung ist und keine hoheitlichen Befugnisse ausübt, kann sie solche Beschwerden sammeln und sie in Rechtsstreitigkeiten mit Gewerbetreibenden verwenden.

55.      In diesem Zusammenhang kann es jedoch Zweifel hervorrufen, wenn eine Behörde über Untersuchungsbefugnisse im engeren Sinn verfügt, wodurch sie Beweise in ähnlicher Weise wie die Polizeibehörden erlangen kann. Meiner Meinung nach setzt der Rückgriff auf solche Befugnisse die Ausübung hoheitlicher Rechte voraus. Ein Rechtsstreit gegen eine Behörde, in dem ein Geschädigter Ersatz für den ihm durch das Sammeln von Beweisen verursachten Schaden verlangt, würde grundsätzlich nicht unter die Verordnung Nr. 1215/2012 fallen, da es sich um eine Haftung für Handlungen oder Unterlassungen handelt, die bei der Ausübung hoheitlicher Befugnisse begangen wurden.

56.      Die Verwendung von Beweisen, die dank hoheitlicher Befugnisse gesammelt wurden, im Rahmen eines Rechtsstreits berührt aber nicht automatisch die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien des Rechtsstreits oder dessen Gegenstand.

57.      Eine Privatperson kann nämlich ebenfalls Beweise verwenden, die eine Behörde dank ihrer hoheitlichen Befugnisse gesammelt hat. In einem Rechtsstreit gegen den Verursacher eines Verkehrsunfalls kann z. B. der Geschädigte dieses Unfalls von einer Polizeibehörde erstellte Dokumente vorlegen. Ist er nicht im Besitz solcher Dokumente, kann er grundsätzlich von einem nationalen Gericht verlangen, dass die Behörde verpflichtet wird, diese Dokumente für die Zwecke des Rechtsstreits vorzulegen. Ebenso kann ein Marktteilnehmer einen Rechtsstreit im Bereich des Wettbewerbsrechts einleiten, in dem er eine „Follow-on“-Klage erhebt, die sich auf eine Entscheidung stützt, mit der die Verletzung von Bestimmungen des Wettbewerbsrechts festgestellt wird(47). Es ist offenkundig, dass solche Rechtsstreitigkeiten ihren zivil- und handelsrechtlichen Charakter behalten und unter die Verordnung Nr. 1215/2012 fallen.

58.      Es stellt diese Offenkundigkeit nicht in Frage, dass ein von einer Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse erstelltes Dokument einen besonderen Beweiswert hat. Es sind nämlich die auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften, die bestimmten Kategorien von Beweisen einen solchen Beweiswert verleihen.

59.      Im Übrigen würde es die praktische Wirksamkeit eines der vom Gesetzgeber der Union anerkannten Modelle zur Umsetzung des Verbraucherschutzes verringern, wenn man annähme, dass ein von einer Behörde eingeleiteter Rechtsstreit deshalb vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgenommen ist, weil diese Behörde Beweise verwendet hat, die dank ihrer Rechte gesammelt wurden(48). In diesem Modell ist im Unterschied zu dem Modell, in dem die Verwaltungsbehörde selbst über die Folgen eines Verstoßes entscheidet, eine Verwaltungsbehörde mit der Verteidigung der Verbraucherinteressen vor nationalen Gerichten betraut.

60.      Unabhängig davon kann eine Behörde Befugnisse haben, die es ihr ermöglichen, Beweise unter Ausschluss von Privatpersonen zu verwenden. Zum Beispiel kann das nationale Recht vorsehen, dass die von einer Behörde gesammelten Beweise vertraulich sind und dass diese Behörde über deren etwaige Verbreitung entscheidet. Ebenso können nach nationalem Verfahrensrecht verschiedene Modalitäten in Bezug auf die Bestreitung dieser Beweise durch die andere Partei angewandt werden, wenn diese Beweise von einer Behörde bzw. von einer Privatperson vorgelegt werden.

61.      Das sind Situationen, die meiner Meinung nach derjenigen im Urteil Sunico u. a.(49) entsprechen, nämlich dass sich eine Behörde wegen der Verwendung bestimmter Beweise nicht in der gleichen Situation befindet wie eine Privatperson in einem entsprechenden Rechtsstreit. Es deutet aber nichts darauf hin, dass eine Situation, die den Ausgangsrechtsstreit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließen kann, im Ausgangsverfahren aufgetreten ist.

62.      Der Vollständigkeit halber darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die Situation, um die es im Urteil Sunico u. a.(50) ging, Umstände betraf, in denen ein Rechtsstreit, der a priori unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fiel, wegen der Verwendung bestimmter Beweise durch eine der Parteien dieses Rechtsstreits von dem Begriff ausgeschlossen wurde. Ich bin aber der Ansicht, dass sich in der Mehrheit der Fälle der Umstand, dass bestimmte Beweise nur einer Behörde zur Verfügung stehen, daraus ergibt, dass das Verhältnis zwischen dieser Behörde und einer Person von Anfang an nicht einer Beziehung zwischen Privatpersonen gleicht.

D.      Zu den Befugnissen im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens

63.      Mit ihrem vierten Klageantrag haben die belgischen Behörden beim vorlegenden Gericht die Verhängung eines Zwangsgelds in einer bestimmten Höhe pro festgestellten Verstoß ab der Zustellung der am Ende des Ausgangsrechtsstreits erlassenen gerichtlichen Entscheidung verlangt. Mit ihrem fünften Klageantrag haben sie außerdem die Feststellung beantragt, dass die Verstöße durch ein einfaches, seitens eines bevollmächtigten Beamten aufgesetztes Protokoll festgestellt werden können. Dieser letzte Antrag bedeutet nach Ansicht einer der Beklagten, dass die belgischen Behörden im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens über Befugnisse verfügten, über die keine der in Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen üblichen Parteien verfüge.

64.      Hingegen äußern weder das vorlegende Gericht noch die Parteien Zweifel daran, dass der Antrag hinsichtlich eines für zukünftige Verstöße geschuldeten Zwangsgelds den Ausgangsrechtsstreit und die am Ende dieses Rechtsstreits ergangene Entscheidung vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschließen kann. Der Klageantrag auf ein Zwangsgeld steht aber im Zusammenhang mit demjenigen hinsichtlich der Feststellung von zukünftigen Verstößen durch ein einfaches Protokoll. Ich werde zunächst die Frage prüfen, ob ein Rechtsstreit, in dem ein solches Zwangsgeld beantragt wird, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt.

1.      Ein Zwangsgeld für zukünftige Verstöße

65.      Aus dem Urteil Realchemie Nederland(51) geht hervor, dass die Zugehörigkeit einer gerichtlichen Entscheidung über ein Zwangsgeld, das wegen eines Verstoßes gegen ein in einer anderen gerichtlichen Entscheidung ausgesprochenes Verbot verhängt wurde, zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht nach ihrer eigenen Rechtsnatur, sondern nach derjenigen der durch sie gesicherten Ansprüche bestimmt wird. Aus den gleichen Überlegungen heraus hat der Gerichtshof im Urteil Bohez(52) entschieden, dass die Vollstreckung eines Zwangsgelds, das in einer Entscheidung über die elterliche Sorge und das Umgangsrecht festgesetzt wurde, um die Beachtung des Umgangsrechts durch den Inhaber der elterlichen Sorge zu gewährleisten, wegen der Rechtsnatur der Ansprüche, die das Zwangsgeld sichert, nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne der Verordnung, die der Verordnung Nr. 1215/2012 vorangegangen ist, fällt. Nach diesem Urteil fällt eine solche Vollstreckung vielmehr in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003(53).

66.      Entwickelt wurde die Rechtsprechungslinie, zu der diese Urteile gehören, zwar überwiegend im Zusammenhang mit Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf sichernde(54) oder einstweilige(55) Maßnahmen, die Gegenstand einer separaten Entscheidung waren, deren Vollstreckung beantragt wurde(56), oder auf Maßnahmen dieser Art, die in einem separaten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt wurden(57). Hingegen geht aus der Vorlageentscheidung nicht ausdrücklich hervor, dass es sich im vorliegenden Fall um eine sichernde oder einstweilige Maßnahme handelt.

67.      In diesem Zusammenhang ist aber das Urteil Bohez(58) hervorzuheben, in dem sich die Frage der Beitreibung eines Zwangsgelds stellte, das vom Gericht des Ursprungsmitgliedstaats bei der Entscheidung in der Sache über das Umgangsrecht festgesetzt worden war, um die Beachtung dieses Rechts zu gewährleisten. Dieses Zwangsgeld entsprach einem bestimmten Betrag, der für jeden Tag zu zahlen war, an dem das Kind nicht übergeben worden war.

68.      Es ist darauf hinzuweisen, dass die belgischen Behörden im Ausgangsverfahren anscheinend einen entsprechenden Antrag stellen. Das vorlegende Gericht macht keine zusätzlichen Angaben über den das Zwangsgeld betreffenden Antrag. Was die belgische Regierung angeht, erklärt sie, dass dieses Zwangsgeld nur für Verstöße gelte, die das vorlegende Gericht am Ende des Ausgangsrechtsstreits feststelle. Auch aus der Formulierung des das Zwangsgeld betreffenden Antrags gehe hervor, dass dieses die Wirksamkeit der von den belgischen Behörden begehrten Gerichtsentscheidung gewährleisten solle, soweit diese Entscheidung die Unterlassung von unlauteren Markt- und/oder Geschäftspraktiken betreffe.

69.      Im Übrigen enthält das belgische Gerichtsgesetzbuch ein Kapitel XXIII („Zwangsgeld“), in dem Art. 1385a bestimmt, dass das Gericht auf Antrag einer Partei die andere Partei zur Zahlung eines Geldbetrags, Zwangsgeld genannt, für den Fall verurteilen kann, dass der Hauptverurteilung nicht nachgekommen wird; etwaige Schadensersatzansprüche bleiben hiervon unberührt. Nach Art. 1385b dieses Gesetzbuchs kann das Gericht das Zwangsgeld u. a. als Betrag für jeweils eine Zuwiderhandlung festsetzen. Obwohl das vorlegende Gericht nicht angibt, ob der Antrag der belgischen Behörden auf dieser Bestimmung beruht, scheint ihr Gehalt exakt dem zu entsprechen, was diese Behörden beantragen. Das Urteil Bohez(59) ist somit in Bezug auf das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen umso wichtiger: Das in diesem Urteil angestrebte Zwangsgeld war auf der Grundlage von Art. 1385a des belgischen Gerichtsgesetzbuchs verhängt worden.

70.      In Anbetracht der Rechtsprechungslinie, zu der das Urteil Bohez(60) gehört, kann argumentiert werden, dass, wenn ein Rechtsstreit, in dem die Behörden zum einen die Feststellung des Vorliegens von unlauteren Markt- und/oder Geschäftspraktiken und zum anderen die Anordnung der Unterlassung dieser Praktiken beantragen, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, dieser Rechtsstreit weiterhin unter diesen Begriff fällt, auch wenn ein Zwangsgeld beantragt wird, um die Beachtung der am Ende dieses Rechtsstreits ergangenen gerichtlichen Entscheidung zu gewährleisten.

71.      Man darf zwar den oben in Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Fall nicht aus den Augen verlieren, dass ein Rechtsstreit wegen der Grundlage der im Rahmen dieses Rechtsstreits angestrengten Klage oder der Modalitäten ihrer Ausübung vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgeschlossen sein kann. Aus Art. 1385a des belgischen Gerichtsgesetzbuches geht jedoch hervor, dass das von den Behörden dieses Mitgliedstaats beim vorlegenden Gericht beantragte Zwangsgeld eine herkömmliche zivilprozessrechtliche Maßnahme zu sein scheint, die auch Privatpersonen zur Verfügung steht. Folglich stellt weder der Antrag auf Verhängung eines solchen Zwangsgelds noch der Antrag auf Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung, die diesem Antrag stattgibt, die Ausübung hoheitlicher Befugnisse dar.

72.      Nach alledem fällt eine Klage, mit der Behörden beantragen, dass ein Zwangsgeld in einer bestimmten Höhe für jeden festgestellten Verstoß ab der Zustellung der gerichtlichen Entscheidung verhängt wird, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“, wenn erstens dieses Zwangsgeld die Wirksamkeit der in dem Rechtsstreit, der unter diesen Begriff fällt, ergangenen gerichtlichen Entscheidung gewährleisten soll und zweitens dieses Zwangsgeld eine herkömmliche zivilprozessrechtliche Maßnahme ist, die auch Privatpersonen zur Verfügung steht oder deren Ausübung keine Befugnisse erfordert, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen(61).

2.      Die Feststellung von Verstößen durch eine Verwaltungsbehörde

73.      Das vorlegende Gericht übermittelt keine detaillierten Informationen über die Aspekte, die in Bezug auf den fünften Klageantrag, dass zukünftige Verstöße durch ein einfaches, seitens eines bevollmächtigten Beamten aufgesetztes Protokoll festgestellt werden können, Zweifel hervorrufen könnten. Demnach werde ich auf der Grundlage der Erklärungen der Parteien einige allgemeine Ausführungen zu diesem Antrag machen, um diesem Gericht eine zweckdienliche Antwort geben zu können.

74.      Gegenstand des fünften Klageantrags der belgischen Behörden scheint es zu sein, ihnen zu erlauben, die mit dem Zwangsgeld geahndeten Verstöße selbst festzustellen, ohne dass es notwendig wäre, zu diesem Zweck einen Vollstreckungsbeamten einzuschalten oder andere Mittel einzusetzen. In die gleiche Richtung gehend hat die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass, wenn das nationale Gericht den fünften Klageantrag zurückwiese, die belgischen Behörden auf die Dienste eines Vollstreckungsbeamten für die Vornahme solcher Feststellungen zurückgreifen müssten. Die Beklagten tragen ebenso vor, dass eine Privatperson im Gegensatz zu einer belgischen Behörde beispielsweise auf die Dienste eines Vollstreckungsbeamten zurückgreifen müsse und gegebenenfalls die Verstöße vor dem befassten Gericht nachweisen müsse.

75.      Ich erinnere daran, dass der Gerichtshof im Urteil Henkel(62) davon ausgegangen ist, dass eine von einer Verbraucherschutzvereinigung erhobene Unterlassungsklage unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, da mit dieser Klage privatrechtliche Beziehungen der richterlichen Kontrolle unterstellt werden sollten. Aus den in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Erklärungen der Parteien geht hervor, dass die belgischen Behörden die Übertragung der Befugnis begehren, zukünftige Verstöße selbst festzustellen. Dieser Antrag, mit dem also im Wesentlichen Rechtsbeziehungen, in die die Beklagten einbezogen wären, der Kontrolle dieser Behörden unterstellt werden sollen, betrifft demnach die Ausübung hoheitlicher Rechte.

76.      Im Übrigen sind die von Beamten erstellten Protokolle nach Art. XV.2 WER bis zum Beweis des Gegenteils verbindlich. Ein von einer Privatperson erstelltes Dokument hat keine solche Beweiskraft. Obwohl es somit so aussieht, als ob diese Protokolle im Vollstreckungsverfahren verwendet werden könnten, läuft das Erstellen dieser Protokolle eher auf das Sammeln von Beweisen hinaus. Wie ich in Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, läuft es auf die Ausübung hoheitlicher Rechte hinaus, wenn Zuständigkeiten zum Sammeln von Beweisen unter Rückgriff auf Befugnisse, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Rechtsvorschriften abweichen, ausgeübt werden. Das gilt insbesondere auch dann, wenn eine Behörde eine Befugnis ausübt, mit der sie einen Vollstreckungsbeamten ersetzen möchte, indem sie das Vorliegen von Verstößen durch ein von ihr selbst erstelltes Dokument feststellt. Ein Rechtsstreit, in dem diese Befugnis übertragen werden soll, betrifft Befugnisse, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen, so dass es aufgrund des Gegenstands dieses Rechtsstreits nicht möglich ist, diesen unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ einzuordnen.

77.      Es ist nicht auszuschließen, dass die Erteilung einer solchen Befugnis die Wirksamkeit einer am Ende eines unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallenden Rechtsstreits ergangenen gerichtlichen Entscheidung verstärken würde. Der fünfte Klageantrag betrifft aber weder eine sichernde oder einstweilige Maßnahme noch eine Maßnahme, die als Verurteilung einer Partei des Rechtsstreits zur Zahlung einer Geldbuße(63) oder eines Zwangsgelds(64) zu verstehen ist, deren Zugehörigkeit zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 von der Rechtsnatur der durch dieses Recht oder diese Maßnahmen gesicherten Ansprüche abhängt.

E.      Abschließende Erwägungen

78.      Aus meiner Analyse ergibt sich, dass erstens die Besonderheiten bezüglich des Interesses einer Behörde, eine Klage zu erheben, einen Rechtsstreit wie den des Ausgangsverfahrens nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausschließen können(65). Zweitens schließt auch der Umstand, dass diese Behörde über Untersuchungsbefugnisse verfügt, die Privatpersonen nicht haben, und dank dieser Befugnisse erlangte Beweise verwendet, diesen Rechtsstreit nicht automatisch vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 aus(66). Drittens ist dieser Rechtsstreit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen, soweit er eine Klage betrifft, mit der Behörden beantragen, dass ihnen Befugnisse übertragen werden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen, nämlich dass sie ermächtigt werden, das Vorliegen von Verstößen/Zuwiderhandlungen festzustellen(67).

79.      Ich muss noch klarstellen, dass der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens zwar in Bezug auf seinen fünften Klageantrag nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt, er in Bezug auf die anderen Klageanträge aber trotzdem nicht ausgeschlossen ist(68).

V.      Ergebnis

80.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien) wie folgt zu beantworten:

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Rechtsstreit in Bezug auf eine Klage, die von Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Privatpersonen erhoben wurde und gerichtet ist auf die Feststellung des Vorliegens von in unlauteren Geschäftspraktiken bestehenden Zuwiderhandlungen/Verstößen, die Anordnung der Einstellung dieser Praktiken, die Anordnung der Veröffentlichung auf Kosten der Beklagten und die Verhängung eines Zwangsgelds in bestimmter Höhe für jeden zukünftigen Verstoß, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

Hingegen fällt ein solcher Rechtsstreit nicht unter diesen Begriff, soweit er eine Klage betrifft, mit der Behörden beantragen, dass ihnen Befugnisse übertragen werden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Rechtsvorschriften abweichen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 30.


3      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).


4      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).


5      Es ist noch darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht nicht ausdrücklich anführt, auf welchen Gerichtsstand nach der Verordnung Nr. 1215/2012 sich die belgischen Behörden im Ausgangsverfahren stützen möchten. In der mündlichen Verhandlung haben sie angegeben, dass das vorlegende Gericht nach Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung angerufen worden sei, nämlich als Gerichtsstand der unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dies vorausgeschickt kann diese Erläuterung die Antwort auf die Vorlagefrage aber nicht beeinflussen. Wie ich bereits in einem anderen Zusammenhang darlegen konnte, ist der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012, der in Art. 1 dieser Verordnung festgelegt wird, für alle in dieser Verordnung vorgesehenen Zuständigkeiten gleich. Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Rina (C‑641/18, EU:C:2020:3, Nr. 23).


6      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Rina (C‑641/18, EU:C:2020:3, Nr. 59).


7      Vgl. Urteile vom 11. April 2013, Sapir u. a. (C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 12. September 2013, Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 34).


8      Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland (C‑406/09, EU:C:2011:668, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Vgl. u. a. Urteil vom 28. Juli 2016, Siemens Aktiengesellschaft Österreich (C‑102/15, EU:C:2016:607, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Dazu wird in der Lehre dargelegt, dass die Kriterien des Gegenstands des Rechtsstreits und der Grundlage und der Modalitäten der Klageerhebung in der Rechtsprechung grundsätzlich anscheinend nicht verwendet werden, um einen Rechtsstreit vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 auszuschließen. Vgl. Van Calster, G., European Private International Law, Hart Publishing, Oxford, Portland, 2016, S. 38.


11      Vgl. Urteil vom 9. März 2017 (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 35).


12      Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Rina (C‑641/18, EU:C:2020:3, Nr. 79).


13      Urteil vom 14. November 2002 (C‑271/00, EU:C:2002:656).


14      Urteil vom 15. Januar 2004 (C‑433/01, EU:C:2004:21).


15      Vgl. Urteil vom 9. März 2017 (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 35).


16      Vgl. Urteil vom 21. April 1993 (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 21).


17      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. 2007, L 324, S. 79).


18      Vgl. Urteil vom 11. Juni 2015 (C‑226/13, C‑245/13 und C‑247/13, EU:C:2015:383, Rn. 56).


19      Urteil vom 15. November 2018 (C‑308/17, EU:C:2018:911).


20      Vgl. Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 37 und 38).


21      Vgl. Urteil vom 14. November 2002 (C‑271/00, EU:C:2002:656, Rn. 36).


22      Vgl. Urteil vom 15. Januar 2004 (C‑433/01, EU:C:2004:21, Rn. 20).


23      Vgl. Urteile vom 14. November 2002, Baten (C‑271/00, EU:C:2002:656, Rn. 32), und vom 15. Januar 2004, Blijdenstein (C‑433/01, EU:C:2004:21, Rn. 21). Vgl. auch Briggs, A., Civil Jurisdiction and Judgments, Informa law from Routledge, 6. Aufl., Taylor & Francis Group, New York, 2015, S. 61. In Bezug auf das Urteil Baten vgl. in diesem Sinne Toader, C., „La notion de matière civile et commerciale“, Europa als Rechts- und Lebensraum: Liber amicorum für Christian Kohler zum 75. Geburtstag am 18. Juni 2018, unter der Leitung von Hess, B., Jayme, E., Mansel, H.‑P., Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld, 2018, S. 523.


24      Einer solchen Auslegung streng zu folgen, hätte nämlich die Konsequenz, dass die vom Gesetzgeber eines einzelnen Mitgliedstaats getroffenen Entscheidungen in Bezug auf das Spektrum an Befugnissen einer Behörde im Vergleich zu den Befugnissen, über die Privatpersonen verfügen, die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmen würde. Aus der Rechtsprechung geht aber hervor, dass die Anwendbarkeit dieser Verordnung nicht durch die nach dem nationalen Recht eines einzigen Mitgliedstaats erfolgende Einstufung einer Befugnis als hoheitlich bestimmt werden kann. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1980, Rüffer (814/79, EU:C:1980:291, Rn. 11), und vom 21. April 1993, Sonntag (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 22 und 25). Während im Übrigen ein einziges maßgebliches nationales Rechtssystem in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen wahrscheinlich leicht bestimmt werden kann, gilt das nicht für die am Beginn eines Verfahrens durchzuführende Prüfung, ob ein angerufenes Gericht für die Entscheidung zuständig ist.


25      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Rina (C‑641/18, EU:C:2020:3, Nr. 89 und die dort angeführte Literatur).


26      Vgl. Urteil vom 1. Oktober 2002 (C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 30).


27      Urteil vom 1. Oktober 2002 (C‑167/00, EU:C:2002:555).


28      Richtlinie des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).


29      Vgl. Urteil vom 1. Oktober 2002 (C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 29).


30      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) (ABl. 2007, L 199, S. 40).


31      Vgl. Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation (C‑191/15, EU:C:2016:612, Rn. 39).


32      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. 2009, L 110, S. 30).


33      In meinem eigenen Rechtssystem, dem polnischen, ist das bei Staatsanwälten der Fall, die in Verfahren vor Zivilgerichten einschreiten.


34      Sicher, die Frage, ob die belgischen Behörden über abweichende Untersuchungs- und Vollstreckungsbefugnisse verfügen, ist streitig (vgl. Teil C und Teil D der vorliegenden Schlussanträge). Auch wenn diese Behörden über solche Befugnisse verfügen, ergibt sich das gleichwohl nicht daraus, dass sie von der Pflicht befreit sind, nachzuweisen, dass sie mit einer Unterlassungsklage ein eigenes Recht oder Interesse verteidigen.


35      Vgl. entsprechend Urteil vom 11. April 2013, Sapir u. a. (C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 36).


36      Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.


37      Vgl. Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Vgl. Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Urteil vom 12. September 2013 (C‑49/12, EU:C:2013:545).


40      Urteil vom 12. September 2013 (C‑49/12, EU:C:2013:545).


41      Verordnung des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (ABl. 2003, L 264, S. 1).


42      Vgl. Urteil vom 12. September 2013, Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 42).


43      Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:231, Nr. 45).


44      Urteil vom 12. September 2013 (C‑49/12, EU:C:2013:545).


45      Vgl. Urteil vom 12. September 2013, Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 42 und 43). Hervorhebung nur hier.


46      Vgl. in diesem Sinne De Troyer, I., „‚De fiscus in burger‘: nieuwe wegen voor de inning van belastingen in het buitenland?“, Tijdschrift voor fiscaal recht, 2015, Bd. 481, S. 426, Rn. 10.


47      Vgl. zur Veranschaulichung dieses Falls Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide (C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 10).


48      Vgl. Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.


49      Urteil vom 12. September 2013 (C‑49/12, EU:C:2013:545).


50      Urteil vom 12. September 2013 (C‑49/12, EU:C:2013:545).


51      Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2011 (C‑406/09, EU:C:2011:668, Rn. 40 bis 42 und 44).


52      Vgl. Urteil vom 9. September 2015 (C‑4/14, EU:C:2015:563, Rn. 33, 37 und 39).


53      Verordnung des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).


54      Vgl. Urteil vom 27. März 1979, de Cavel (143/78, EU:C:1979:83, Rn. 2), zitiert vom Gerichtshof im Urteil vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland (C‑406/09, EU:C:2011:668).


55      Vgl. Urteil vom 17. November 1998, Van Uden (C‑391/95, Rn. 33), ebenfalls zitiert vom Gerichtshof im Urteil vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland (C‑406/09, EU:C:2011:668).


56      Vgl. Urteile vom 27. März 1979, de Cavel (143/78, EU:C:1979:83, Rn. 2), und vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland (C‑406/09, EU:C:2011:668, Rn. 35).


57      Vgl. Urteil vom 17. November 1998, Van Uden (C‑391/95, Rn. 33).


58      Vgl. auch Urteil vom 9. September 2015, Bohez (C‑4/14, EU:C:2015:563, Rn. 49).


59      Urteil vom 9. September 2015 (C‑4/14, EU:C:2015:563). Was diese Bestimmung des belgischen Gerichtsgesetzbuchs angeht, siehe auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Bohez (C‑4/14, EU:C:2015:233, Nr. 42 und die dort angeführte Literatur).


60      Urteil vom 9. September 2015 (C‑4/14, EU:C:2015:563).


61      Obwohl weder das vorlegende Gericht noch die Parteien Zweifel in Bezug auf die Veröffentlichungsmaßnahmen äußern, möchte ich aus Gründen der Vollständigkeit bemerken, dass auch sie nicht vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgeschlossen sind. Sie sind nämlich u. a. in Art. 14 § 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 vorgesehen und scheinen eine herkömmliche zivilprozessrechtliche Maßnahme zu sein, zu der Privatpersonen Zugang haben. Ein Rechtsstreit, in dem solche Maßnahmen beantragt werden, betrifft also keineswegs die Ausübung von Befugnissen, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Rechtsvorschriften abweichen. Obwohl diese Maßnahmen sich außerdem von einem Zwangsgeld unterscheiden, sollen sie doch die Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung gewährleisten, mit der unlautere Geschäftspraktiken festgestellt werden. In diesem Zusammenhang sieht Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 zur Beseitigung der fortdauernden Wirkung von Praktiken, deren Einstellung durch eine rechtskräftige Entscheidung angeordnet worden ist, vor, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass die Veröffentlichung dieser Entscheidung oder einer berichtigenden Erklärung verlangt wird. Nichts weist darauf hin, dass es sich um Maßnahmen handelt, die Behörden vorbehalten sind.


62      Vgl. Urteil vom 1. Oktober 2002 (C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 30).


63      Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2011, Realchemie Nederland (C‑406/09, EU:C:2011:668, Rn. 44).


64      Vgl. Urteil vom 9. September 2015, Bohez (C‑4/14, EU:C:2015:563, Rn. 35).


65      Vgl. Nr. 47 der vorliegenden Schlussanträge.


66      Vgl. Nrn. 60 und 61 der vorliegenden Schlussanträge.


67      Vgl. Nrn. 75 und 77 der vorliegenden Schlussanträge.


68      Aus dem Urteil vom 21. April 1993, Sonntag (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 6, 14 bis 16 und 21), kann nämlich abgeleitet werden, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 auch für Entscheidungen gilt, die im zivilrechtlichen Bereich von einem Strafgericht ergangen sind und straf- und zivilrechtliche Bestimmungen enthalten. In diesem Fall unterliegen nur die zivilrechtlichen Bestimmungen dem Anwendungsbereich dieser Verordnung. Außerdem ist es nach meinem Verständnis des Urteils vom 27. Februar 1997, van den Boogaard (C‑220/95, EU:C:1997:91, Rn. 21), auch möglich, dass nur bestimmte Aspekte einer von einem Zivilgericht erlassenen Entscheidung in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Das muss grundsätzlich auch in Bezug auf eine Situation gelten, in der nur bestimmte Aspekte eines Rechtsstreits unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen.