Vorabentscheidungsersuchen der Cour constitutionnelle (Belgien), eingereicht am 9. Oktober 2024 – Ordre des barreaux francophones et germanophone, Académie Fiscale ASBL, UA, vzw Liga voor Mensenrechten, Ligue des droits, humains ASBL, JU, LV, Ministry of Privacy, Premier ministre/Eerste Minister,
(Rechtssache C-661/24, Académie Fiscale u. a.)
Verfahrenssprache: Französisch
Vorlegendes Gericht
Cour constitutionnelle
Parteien des Ausgangsverfahrens
Kläger: Ordre des barreaux francophones et germanophone, Académie Fiscale ASBL, UA, vzw Liga voor Mensenrechten, Ligue des droits humains ASBL, JU, LV, Ministry of Privacy
Beklagter: Premier ministre/Eerste Minister
Vorlagefragen
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation)1 in Verbindung mit den Art. 7 und 8 sowie Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,
a) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die eine Verpflichtung für Betreiber von elektronischen Kommunikationsdiensten vorsehen, die in diesen Rechtsvorschriften erwähnten Verkehrsdaten im Rahmen der Bereitstellung dieses Netzes oder dieses Dienstes je nach Fall für vier oder zwölf Monate auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten, damit sie angemessene und verhältnismäßige Vorsorge- und Abhilfemaßnahmen treffen, mit denen Betrug und böswillige Nutzungen in ihren Netzen vermieden und es verhindert werden kann, dass Endnutzern ein Schaden entsteht oder sie belästigt werden, sowie mit denen Betrugsfälle oder böswillige Nutzungen des Netzes oder des Dienstes festgestellt oder deren Urheber und Ursprung identifiziert werden können;
b) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es diesen Betreibern erlauben, die betreffenden Verkehrsdaten im Fall eines identifizierten spezifischen Betrugsfalls oder einer identifizierten spezifischen böswilligen Nutzung des Netzes über die vorerwähnten Fristen hinaus für die für deren Analyse und Lösung notwendige Zeit oder die für die Bearbeitung dieser böswilligen Nutzung notwendige Zeit auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten;
c) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es diesen Betreibern erlauben, ohne eine Verpflichtung vorzusehen, eine vorherige Stellungnahme anzufordern oder eine Notifizierung an eine unabhängige Behörde vorzunehmen, andere als die in dem Gesetz erwähnten Daten auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten, um einen Betrug oder eine böswillige Nutzung des Netzes oder des Dienstes feststellen oder deren Urheber und Ursprung identifizieren zu können;
d) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es diesen Betreibern erlauben, ohne eine Verpflichtung vorzusehen, eine vorherige Stellungnahme anzufordern oder eine Notifizierung an eine unabhängige Behörde vorzunehmen, die Verkehrsdaten, die sie für notwendig halten, um die Sicherheit und das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer Netze und elektronischen Kommunikationsdienste sicherzustellen und insbesondere um eine potenzielle oder tatsächliche Beeinträchtigung dieser Sicherheit zu erkennen und zu analysieren und auch den Ursprung dieser Beeinträchtigung zu identifizieren, für eine Dauer von zwölf Monaten und im Fall einer spezifischen Beeinträchtigung der Sicherheit des Netzes die für deren Bearbeitung notwendige Dauer auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten?
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG in Verbindung mit den Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,
a) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es Mobilfunknetzbetreibern erlauben, Standortdaten im Rahmen der Bereitstellung dieses Netzes oder dieses Dienstes für einen Zeitraum von je nach Fall vier oder zwölf Monaten auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten, ohne dass in den Rechtsvorschriften präzise beschrieben wird, um welche Daten es geht, wenn dies für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Sicherheit des Netzes oder des Dienstes oder dafür notwendig ist, Betrugsfälle oder eine böswillige Nutzung des Netzes zu erkennen oder zu analysieren;
b) dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die es diesen Betreibern erlauben, die Standortdaten im Fall einer spezifischen Beeinträchtigung, eines spezifischen Betrugs oder einer spezifischen böswilligen Nutzung über die vorerwähnten Fristen hinaus auf Vorrat zu speichern und zu verarbeiten?
Falls der Verfassungsgerichtshof auf der Grundlage der Antworten auf die erste oder zweite Vorabentscheidungsfrage zu dem Schluss gelangen sollte, dass bestimmte Bestimmungen des Gesetzes vom 20. Juli 2022 „über die Sammlung und Vorratsspeicherung von Identifizierungsdaten und Metadaten im Bereich der elektronischen Kommunikation und über die Übermittlung dieser Daten an die Behörden“ gegen eine oder mehrere der Verpflichtungen verstoßen, die sich aus den in diesen Fragen genannten Bestimmungen ergeben, könnte er die Folgen der vorerwähnten Bestimmungen des Gesetzes vom 20. Juli 2022 vorläufig aufrechterhalten, um eine Rechtsunsicherheit zu vermeiden und zu ermöglichen, dass die zuvor gesammelten und auf Vorrat gespeicherten Daten noch für die durch das Gesetz angestrebten Ziele benutzt werden können?
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1 ABl. 2002, L 201, S. 37.