URTEIL DES GERICHTSHOFES
16. Juli 1998 (1)
„Richtlinie 89/104/EWG Erschöpfung des Markenrechts In der
Gemeinschaft oder in einem Drittstaat in den Verkehr gebrachte Ware“
In der Rechtssache C-355/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom österreichischen
Obersten Gerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG
gegen
Hartlauer Handelsgesellschaft mbH,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 7 der
Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
in der Fassung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.
Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter), M. Wathelet und R. Schintgen
sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, J. L. Murray,
D. A. O. Edward, P. Jann, L. Sevón und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG, vertreten durch
Rechtsanwalt Klaus Haslinger, Linz,
der Hartlauer Handelsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt
Walter Müller, Linz,
der österreichischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Wolf
Okresek, Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Alfred Dittrich,
Bundesministerium der Justiz, und Oberregierungsrat Bernd Kloke,
Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins,
Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, und Philippe Martinet, Sekretär in derselben
Direktion, als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch Umberto Leanza, Leiter des
Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als
Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato Oscar Fiumara,
der schwedischen Regierung, vertreten durch Departementsråd Erik
Brattgård, Abteilung Außenhandel des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, Kansliråd Tomas Norström und Hovrättsassessor Inge
Simfors, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Lindsey Nicoll,
Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte im Beistand von
Barrister Michael Silverleaf,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater Jürgen Grunwald sowie Berend Jan Drijber, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Silhouette International Schmied
GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt Klaus Haslinger, der Hartlauer
Handelsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt Walter Müller, der
italienischen Regierung, vertreten durch Oscar Fiumara, und der Kommission,
vertreten durch Jürgen Grunwald, in der Sitzung vom 14. Oktober 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29.
Januar 1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 15. Oktober 1996, beim Gerichtshof
eingegangen am 30. Oktober 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen
nach der Auslegung von Artikel 7 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates
vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie)
in der Fassung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.
Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3; im folgenden: EWR-Abkommen) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den österreichischen
Gesellschaften Silhouette International Schmied GmbH und Co. KG (im folgenden:
Klägerin) und Hartlauer Handelsgesellschaft mbH (im folgenden: Beklagte).
- 3.
- Artikel 7 der Richtlinie, der die Erschöpfung des Rechts aus der Marke betrifft,
bestimmt:
„(1) Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu
verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder
mit seiner Zustimmung in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind.
(2) Absatz l findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen,
daß der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere
wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder
verschlechtert ist.“
- 4.
- Gemäß Artikel 65 Absatz 2 in Verbindung mit Anhang XVII Nummer 4 des EWR-Abkommens wurde Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie für die Zwecke des
Abkommens so geändert, daß der Ausdruck „in der Gemeinschaft“ durch die
Worte „in einem Vertragsstaat“ ersetzt wurde.
- 5.
- Artikel 7 der Richtlinie wurde durch § 10a des Markenschutzgesetzes (MSchG) in
das österreichische Recht umgesetzt. Absatz 1 dieser Bestimmung lautet: „Die
Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die
Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihrem Inhaber oder mit
seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden sind.“
- 6.
- Die Klägerin stellt Brillen der oberen Preisklassen her. Sie vertreibt die Brillen
weltweit unter der in Österreich und in den meisten Staaten registrierten Marke
„Silhouette“. In Österreich beliefert die Klägerin Fachoptiker selbst mit den
Brillen; in anderen Staaten hat sie entweder Tochtergesellschaften oder
Vertriebspartner.
- 7.
- Die Beklagte vertreibt über ihre zahlreichen Tochtergesellschaften in Österreich
u. a. Brillen und wirbt vor allem mit ihren niedrigen Preisen. Sie wird von der
Klägerin nicht beliefert, weil diese den Vertrieb durch die Beklagte als dem von ihr
aufgebauten Image besonderer Qualität und Aktualität abträglich erachtet.
- 8.
- Im Oktober 1995 verkaufte die Klägerin der bulgarischen Firma Union Trading
21 000 Auslaufmodelle von Brillenfassungen zum Preis von 261 450 USD. Sie hatte
ihrem Verkaufsrepräsentanten aufgetragen, den Kunden anzuweisen, die
Brillenfassungen nur in Bulgarien und in den Staaten der früheren Sowjetunion zu
verkaufen und nicht in andere Länder zu exportieren. Der Verkaufsrepräsentant
teilte der Klägerin mit, daß er diese Anweisung an den Käufer weitergegeben habe.
Ob dies tatsächlich geschehen ist, konnte nach Angabe des Obersten Gerichtshofs
nicht festgestellt werden.
- 9.
- Im November 1995 lieferte die Klägerin die Fassungen der Firma Union Trading
in Sofia. Die Beklagte erwarb diese Ware von wem, konnte nach Angabe des
Obersten Gerichtshofs nicht festgestellt werden und bot sie ab Dezember 1995
in Österreich zum Kauf an. In einer Pressekampagne wies die Beklagte darauf hin,
daß es ihr gelungen sei, trotz Nichtbelieferung durch die Klägerin 21 000
Silhouette-Fassungen im Ausland käuflich zu erwerben.
- 10.
- Die Klägerin beantragte beim Landesgericht Steyr eine einstweilige Verfügung, mit
der sie begehrte, der Beklagten zu verbieten, in Österreich Brillen oder
Brillenfassungen unter ihrem Markenzeichen zum Verkauf anzubieten, soweit sie
nicht von der Klägerin selbst oder mit ihrer Zustimmung im Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht worden seien. Ihre Rechte aus
der Marke seien nicht erschöpft, da die Richtlinie die Erschöpfung dieser Rechte
nur für den Fall vorsehe, daß die Erzeugnisse im EWR durch den Inhaber der
Marke selbst oder mit dessen Zustimmung durch Dritte in den Verkehr gebracht
worden seien. Sie stützte ihren Antrag auf § 10a MSchG, die §§ 1 und 9 des
Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und § 43 des Allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB).
- 11.
- Die Beklagte beantragte, den Antrag abzuweisen, da die Klägerin Brillenfassungen
nicht unter der Auflage verkauft habe, daß jeder Reimport in die Gemeinschaft
ausgeschlossen sei. § 43 ABGB sei nicht anwendbar. Das Markenschutzgesetz
räume auch keinen Unterlassungsanspruch ein, und ihr Verhalten sei angesichts der
unklaren Rechtslage nicht sittenwidrig.
- 12.
- Der Antrag der Klägerin wurde durch das Landesgericht Steyr und im Rahmen des
Rekurses vom Oberlandesgericht Linz zurückgewiesen. Daraufhin hat die Klägerin
außerordentlichen Revisionsrekurs zum Obersten Gerichtshof erhoben.
- 13.
- Der Oberste Gerichtshof hat festgestellt, daß die Rechtssache, mit der er befaßt
worden sei, den Reimport von Originalware des Markeninhabers betreffe, die von
diesem in einem Drittstaat in den Verkehr gebracht worden sei. Vor dem
Inkrafttreten von § 10a MSchG hätten die österreichischen Gerichte den Grundsatz
der weltweiten Erschöpfung des Markenrechts (danach sind die Rechte des
Markeninhabers, wenn das Markenprodukt in den Verkehr gebracht worden ist,
unabhängig vom Ort dieses Inverkehrbringens erschöpft) angewandt. Nach den
Materialien zu dem österreichischen Gesetz, mit dem Artikel 7 der Richtlinie
umgesetzt worden sei, habe die Lösung der Frage nach der Geltung des
Grundsatzes der weltweiten Erschöpfung der Rechtspraxis überlassen bleiben
sollen.
- 14.
- Der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 7 Absatz 1 der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember
1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Marken (89/104/EWG, ABl. L 40 vom 11. Februar 1989 Markenrichtlinie)
dahin auszulegen, daß die Marke ihrem Inhaber das Recht gewährt, einem
Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser
Marke in einem Staat, der nicht Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht
worden sind?
2. Kann der Markeninhaber allein aufgrund von Artikel 7 Absatz 1 der
Markenrichtlinie begehren, daß der Dritte die Benutzung der Marke für
Waren unterläßt, die unter dieser Marke in einem Staat, der nicht
Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht worden sind?
Zur ersten Frage
- 15.
- Mit der ersten Frage will der Oberste Gerichtshof wissen, ob nationale
Rechtsvorschriften, die die Erschöpfung des Rechts aus einer Marke für Waren
vorsehen, die vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des
EWR unter dieser Marke in den Verkehr gebracht worden sind, mit Artikel 7
Absatz 1 der Richtlinie vereinbar sind.
- 16.
- Artikel 5 der Richtlinie zählt die „Rechte aus der Marke“ abschließend auf. Artikel
7 regelt die „Erschöpfung des Rechts aus der Marke“.
- 17.
- Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie gewährt die eingetragene Marke ihrem
Inhaber ein ausschließliches Recht. Nach Absatz 1 Buchstabe a gestattet das
ausschließliche Recht es seinem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine
Zustimmung im geschäftlichen Verkehr u. a. ein mit der Marke identisches Zeichen
für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind,
für die sie eingetragen ist. Nach Artikel 5 Absatz 3, der nicht abschließend die
Arten der Benutzung aufzählt, die der Inhaber nach Absatz 1 verbieten kann,
erstreckt sich diese Befugnis insbesondere auf die Einfuhr und die Ausfuhr von mit
der betreffenden Marke versehenen Erzeugnissen.
- 18.
- So, wie Artikel 6 der Richtlinie einige Beschränkungen der Wirkungen der Marke
festlegt, bestimmt Artikel 7, daß das ausschließliche Recht aus der Marke unter den
dort aufgestellten Voraussetzungen erschöpft ist, so daß der Inhaber der Marke
deren Benutzung nicht mehr verbieten kann. Voraussetzung für die Erschöpfung
ist zunächst, daß die Waren vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung in
den Verkehr gebracht worden sind. Nach dem Wortlaut der Richtlinie kann eine
Erschöpfung nur eintreten, wenn die Waren in der Gemeinschaft (seit dem
Inkrafttreten des EWR-Abkommens: im EWR) in den Verkehr gebracht wurden.
- 19.
- Auch ist vor dem Gerichtshof nicht vorgetragen worden, daß die Richtlinie dahin
ausgelegt werden könne, daß eine Erschöpfung der Rechte aus der Marke bei
Waren, die vom Inhaber oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht
wurden, unabhängig davon eintrete, wo das Inverkehrbringen erfolgte.
- 20.
- Hingegen haben die Beklagte und die schwedische Regierung vorgetragen, die
Richtlinie belasse den Mitgliedstaaten die Befugnis, in ihrem innerstaatlichen Recht
nicht nur für im EWR, sondern auch für in dritten Ländern in den Verkehr
gebrachte Waren eine Erschöpfung vorzusehen.
- 21.
- Angesichts des Wortlauts des Artikels 7 setzt die von der Beklagten und derschwedischen Regierung vorgeschlagene Auslegung der Richtlinie voraus, daß die
Richtlinie entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Artikeln 30
und 36 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten nur verpflichtet, die gemeinschaftsweite
Erschöpfung vorzusehen, daß jedoch ihr Artikel 7 die Frage der Erschöpfung der
Rechte aus der Marke nicht abschließend regelt, so daß den Mitgliedstaaten die
Möglichkeit verbleibt, Erschöpfungsbestimmungen vorzusehen, die über das in
Artikel 7 der Richtlinie ausdrücklich Bestimmte hinausgehen.
- 22.
- Wie jedoch die Klägerin, die österreichische, die deutsche, die französische, die
italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die
Kommission geltend gemacht haben, stehen einer solchen Auslegung der Wortlaut
von Artikel 7 sowie Aufbau und Zweck der Vorschriften der Richtlinie über die
Rechte des Markeninhabers entgegen.
- 23.
- Zwar erscheint es nach der dritten Begründungserwägung der Richtlinie
„gegenwärtig nicht notwendig, die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig
anzugleichen“. Jedoch enthält die Richtlinie eine Harmonisierung der zentralen
Sachvorschriften auf diesem Gebiet, nämlich, wie es in dieser
Begründungserwägung heißt, derjenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die
sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken; eine
umfassende Harmonisierung dieser Rechtsvorschriften schließt diese
Begründungserwägung nicht aus.
- 24.
- In der ersten Begründungserwägung der Richtlinie heißt es nämlich, daß das
gegenwärtig in den Mitgliedstaaten geltende Markenrecht Unterschiede aufweise,
durch die der freie Warenverkehr und der freie Dienstleistungsverkehr behindert
und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälscht werden
könnten, so daß zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes eine
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erforderlich sei. Nach der
neunten Begründungserwägung ist es zur Erleichterung des freien Waren- und
Dienstleistungsverkehrs von wesentlicher Bedeutung, zu erreichen, daß die
eingetragenen Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz
genießen, wovon jedoch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt bleibe,
bekannten Marken einen weitergehenden Schutz zu gewähren.
- 25.
- Angesichts dieser Begründungserwägungen sind die Artikel 5 bis 7 der Richtlinie
dahin auszulegen, daß sie eine umfassende Harmonisierung der Vorschriften über
die Rechte aus der Marke enthalten. Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, daß
Artikel 5 den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Befugnis beläßt, bestimmte, vom
Gemeinschaftsgesetzgeber besonders aufgezählte Vorschriften beizubehalten oder
einzuführen. So können die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 Absatz 2, auf den sich
die neunte Begründungserwägung bezieht, bekannten Marken einen
weitergehenden Schutz gewähren.
- 26.
- Folglich kann die Richtlinie nicht dahin verstanden werden, daß sie den
Mitgliedstaaten die Möglichkeit beläßt, in ihrem innerstaatlichen Recht die
Erschöpfung der Rechte aus der Marke für in dritten Ländern in den Verkehr
gebrachte Waren vorzusehen.
- 27.
- Diese Auslegung ist überdies die einzige, die die Verwirklichung des Zweckes der
Richtlinie, das Funktionieren des Binnenmarktes zu schützen, in vollem Umfang
zuläßt. Könnten einige Mitgliedstaaten eine internationale Erschöpfung, andere
hingegen nur eine gemeinschaftsweite Erschöpfung vorsehen, würden sich nämlich
unvermeidlich Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs
ergeben.
- 28.
- Gegenüber dieser Auslegung läßt sich nicht einwenden, wie dies die schwedische
Regierung getan hat, daß die Richtlinie, die aufgrund des Artikels 100a EG-Vertrag
erlassen wurde, der die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über das Funktionieren des Binnenmarktes regelt, nicht die Beziehungen zwischen
den Mitgliedstaaten und dritten Ländern regeln könne, so daß ihr Artikel 7 dahin
auszulegen sei, daß die Richtlinie nur die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft
betreffe.
- 29.
- Selbst wenn nämlich Artikel 100a EG-Vertrag in dem von der schwedischen
Regierung vertretenen Sinne auszulegen wäre, so regelt doch Artikel 7, wie in
diesem Urteil ausgeführt wird, nicht die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten
und dritten Ländern, sondern legt die Rechte von Inhabern von Marken in der
Gemeinschaft fest.
- 30.
- Schließlich können die zuständigen Gemeinschaftsstellen durch den Abschluß
völkerrechtlicher Verträge die in Artikel 7 vorgesehene Erschöpfung immer noch
auf Waren ausdehnen, die in dritten Ländern in den Verkehr gebracht wurden, wie
dies auch im Rahmen des EWR-Abkommens geschehen ist.
- 31.
- Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist auf die erste Frage zu antworten, daß
nationale Rechtsvorschriften, die die Erschöpfung des Rechts aus einer Marke für
Waren vorsehen, die vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb
des EWR unter dieser Marke in den Verkehr gebracht worden sind, nicht mit
Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie in der Fassung des EWR-Abkommens vereinbar
sind.
Zur zweiten Frage
- 32.
- Mit seiner zweiten Frage möchte der Oberste Gerichtshof wissen, ob der Inhaber
einer Marke allein aufgrund des Artikels 7 Absatz 1 der Richtlinie begehren kann,
daß ein Dritter die Benutzung seiner Marke für Waren unterläßt, die unter dieser
Marke vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des EWR in
den Verkehr gebracht worden sind.
- 33.
- In seinem Vorlagebeschluß, wie er durch ein späteres Schreiben präzisiert worden
ist, hat der Oberste Gerichtshof festgestellt:
Die zweite Frage sei deshalb gestellt worden, weil das Markenschutzgesetz
keinen Unterlassungsanspruch normiere und auch keine Artikel 5 Absatz 1
Buchstabe a der Richtlinie entsprechende Bestimmung enthalte. Wegen
eines Markeneingriffes könne nur dann Unterlassung begehrt werden, wenn
gleichzeitig ein Verstoß gegen § 9 UWG vorliege, dessen Anwendung eine
Verwechslungsgefahr voraussetze, die dann nicht bestehe, wenn es sich um
Originalware des Markeninhabers handele.
Im österreichischen Recht könne sich der Markeninhaber, zumindest nach
bisherigem Verständnis, nicht auf einen Unterlassungsanspruch gegen
denjenigen berufen, der Markenware parallel importiere oder reimportiere,
wenn der Unterlassungsanspruch nicht schon aus § 10a Absatz 1 MSchG
folge. Nach österreichischem Recht stelle sich daher die Frage, ob der mit
§ 10a Absatz 1 des MSchG inhaltsgleiche Artikel 7 Absatz 1 der
Markenrichtlinie einen solchen Unterlassungsanspruch normiere und ob der
Markeninhaber allein aufgrund dieser Bestimmung vom Dritten verlangen
könne, die Benutzung der Marke für Waren zu unterlassen, die unter dieser
Marke außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden seien.
- 34.
- Nach dem Aufbau der Richtlinie sind die Rechte aus der Marke in Artikel 5
festgelegt, während Artikel 7 gegenüber dieser Festlegung eine wichtige
Einschränkung enthält, indem er bestimmt, daß die durch Artikel 5 gewährten
Rechte ihrem Inhaber nicht erlauben, die Benutzung der Marke zu verbieten, wenn
die in Artikel 7 genannten Erschöpfungsvoraussetzungen erfüllt sind.
- 35.
- Zwar verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten unbestreitbar, Bestimmungen
einzuführen, nach denen der Inhaber einer Marke im Fall der Verletzung seiner
Rechte einen Unterlassungsanspruch gegen Dritte hat; diese Verpflichtung folgt
jedoch aus Artikel 5 und nicht aus Artikel 7 der Richtlinie.
- 36.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann zwar eine Richtlinie nicht selbst
Verpflichtungen für einen Bürger begründen, so daß diesem gegenüber eine
Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Nun muß aber nach
derselben Rechtsprechung ein nationales Gericht, das bei der Anwendung des
nationalen Rechts gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie ergangene
Vorschriften handelt dieses auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich
am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie
verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag
nachzukommen (vgl. insbesondere Urteile vom 13. November 1990 in der
Rechtssache C-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnrn. 6 und 8, und vom
14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Randnrn.
20 und 26).
- 37.
- Unbeschadet dieser Ausführungen zur Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, das
nationale Recht soweit wie möglich im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht
auszulegen, ist somit auf die zweite Frage zu antworten, daß der Inhaber einer
Marke nicht allein aufgrund des Artikels 7 Absatz 1 der Richtlinie begehren kann,
daß ein Dritter die Benutzung seiner Marke für Waren unterläßt, die unter dieser
Marke vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des EWR in
den Verkehr gebracht worden sind.
Kosten
- 38.
- Die Auslagen der österreichischen, der deutschen, der französischen, der
italienischen, der schwedischen Regierung und der Regierung des Vereinigten
Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorliegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 15. Oktober 1996
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Nationale Rechtsvorschriften, die die Erschöpfung des Rechts aus einer
Marke für Waren vorsehen, die vom Markeninhaber oder mit dessen
Zustimmung unter dieser Marke außerhalb des Europäischen
Wirtschaftsraums in den Verkehr gebracht worden sind, sind nicht mit
Artikel 7 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Marken in der Fassung des EWR-Abkommens vom 2. Mai 1992
vereinbar.
2. Der Inhaber einer Marke kann nicht allein aufgrund des Artikels 7 Absatz
1 der Richtlinie 89/104 begehren, daß ein Dritter die Benutzung seiner
Marke für Waren unterläßt, die unter dieser Marke vom Markeninhaber
oder mit dessen Zustimmung außerhalb des Europäischen
Wirtschaftsraums in den Verkehr gebracht worden sind.
Rodríguez IglesiasGulmann
Wathelet
Schintgen Mancini
Moitinho de Almeida
Murray Edward
Jann
Sevón Ioannou
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juli 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias