URTEIL DES GERICHTSHOFES
29. Juni 1999 (1)
„Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Richtlinie 93/98/EWG
Harmonisierung der Schutzdauer“
In der Rechtssache C-60/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) vom
Tribunale civile e penale Mailand (Italien) in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Butterfly Music Srl
gegen
Carosello Edizioni Musicali e Discografiche Srl (CEMED),
Beteiligte:
Federazione Industria Musicale Italiana (FIMI),
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 10
der Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung
der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl.
L 290, S. 9)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), G. Hirsch
und P. Jann sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida,
C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward und L. Sevón,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Butterfly Music Srl, vertreten durch Rechtsanwälte Umberto Buttafava
und Pierluigi Maini, Mailand, und Alfio Rapisardi, Piacenza,
der Carosello Edizioni Musicali e Discografiche Srl (CEMED), vertreten
durch Rechtsanwälte Gianpietro Quiriconi und Luigi Carlo Ubertazzi,
Mailand,
der Federazione Industria Musicale Italiana (FIMI), vertreten durch
Rechtsanwalt Giorgio Mondini, Mailand,
der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza,
Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als
Bevollmächtigten, im Beistand von Avvocato dello Stato Oscar Fiumara,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Karen
Banks und Laura Pignataro, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Carosello Edizioni Musicali e
Discografiche Srl (CEMED), der Federazione Industria Musicale Italiana (FIMI),
der italienischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 9. Februar
1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. März
1999,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Tribunale civile e penale Mailand hat mit Beschluß vom 12. Februar 1998,
beim Gerichtshof eingegangen am 2. März 1998, gemäß Artikel 234 EG (früher
Artikel 177) eine Frage nach der Auslegung des Artikels 10 der Richtlinie
93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer
des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl. L 290, S. 9; im
folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Butterfly Music Srl (im
folgenden: Butterfly) und Carosello Edizioni Musicali e Discografiche Srl (im
folgenden: CEMED), unterstützt durch die Federazione Industria Musicale Italiana
(im folgenden: FIMI), über das Recht der Vervielfältigung und Verwertung von
Aufnahmen, die nach der früher geltenden Regelung gemeinfrei geworden waren,
später aber durch die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales
Recht wieder geschützt waren.
- 3.
- Ziel der Richtlinie ist es, die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen
Vorschriften über die Schutzdauer des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte zu beseitigen und diese Rechtsvorschriften zu harmonisieren, damit
in der gesamten Gemeinschaft dieselbe Schutzdauer gilt. So wurde gemäß Artikel
3 der Richtlinie die Schutzdauer der Rechte der ausübenden Künstler und der
Hersteller von Tonträgern auf fünfzig Jahre festgelegt.
- 4.
- Nach Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie findet diese Schutzfrist auf alle Werke oder
Gegenstände Anwendung, die zu dem für die Umsetzung der Richtlinie
vorgesehenen Zeitpunkt, das heißt spätestens am 1. Juli 1995, zumindest in einem
der Mitgliedstaaten geschützt waren. Artikel 10 Absatz 3 bestimmt jedoch, daß
„Nutzungshandlungen, die vor [diesem] Zeitpunkt erfolgt sind, ... von dieser
Richtlinie unberührt [bleiben]“ und daß „[d]ie Mitgliedstaaten ... die notwendigen
Bestimmungen [treffen], um insbesondere die erworbenen Rechte Dritter zu
schützen“.
- 5.
- In Italien betrug die Schutzdauer der Rechte der Hersteller von Schallplatten und
ähnlichen Tonträgern sowie der Rechte der ausübenden Künstler nach dem Gesetz
Nr. 633 vom 22. April 1941 über das Urheberrecht (GURI Nr. 166 vom 16. Juli
1941) dreißig Jahre. Dieses Gesetz wurde durch mehrere Decreti-legge aus den
Jahren 1994 und 1995, die nicht in Gesetze umgewandelt wurden, und durch das
Gesetz Nr. 52 vom 6. Februar 1996 (GURI Nr. 34 vom 10. Februar 1996,
allgemeine Ergänzung Nr. 24, im folgenden: Gesetz Nr. 52/96) geändert, das
seinerseits durch das Gesetz Nr. 650 vom 23. Dezember 1996 (GURI Nr. 300 vom
23. Dezember 1996), das die Rechtsfolgen jener Decreti-legge bestätigte, geändert
wurde.
- 6.
- Nach Artikel 17 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 52/96 wurde die Schutzdauer der
Rechte dieser Personen von dreißig auf fünfzig Jahre verlängert. Artikel 17 Absatz
2 des Gesetzes Nr. 52/96 in der geänderten Fassung bestimmt, daß diese Schutzfrist
auch für Werke und Rechte gilt, deren Schutz nach den früher geltenden Fristen
erloschen, aufgrund der neuen Fristen vom 29. Juni 1995 an aber wiederaufgelebt
war. Nach Artikel 17 Absatz 4 des Gesetzes Nr. 52/96 in der geänderten Fassung
sind die neuen Bestimmungen unbeschadet der vor dem 29. Juni 1995
vorgenommen Handlungen und Verträge und der dadurch rechtmäßig erworbenen
und ausgeübten Rechte Dritter anwendbar. Insbesondere bleiben unberührt:
„a) die Verbreitung und Vervielfältigung der Ausgabe eines nach der früheren
Regelung gemeinfreien Werkes in der graphischen Gestaltung und
Verlagsaufmachung, in der sie veröffentlicht worden ist, durch die Personen,
die das Werk vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verbreitet und vervielfältigt
haben. Künftige Nachträge, die aufgrund der Art des Werkes erforderlich
sind, können ebenfalls unentgeltlich verbreitet und vervielfältigt werden;
b) die Verbreitung von Schallplatten und anderen Tonträgern, für die die
Nutzungsrechte nach der früheren Regelung erloschen waren, für einen
Zeitraum von höchstens drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes
durch die Personen, die diese Tonträger vor diesem Zeitpunkt vervielfältigt
und in den Verkehr gebracht haben“.
- 7.
- Butterfly, deren Tätigkeit in der Herstellung und Verbreitung von Tonträgern
besteht, stellte im November 1992 mit Zustimmung des Schallplattenproduzenten
CEMED, der die Rechte an den Originalaufnahmen besaß, und mit Genehmigung
der Società Italiana Autori ed Editori (Italienischer Autoren- und Verlegerverband,
im folgenden: SIAE) eine Compactdisc mit dem Titel „Briciole di baci“ (im
folgenden: CD) her, die sechzehn Lieder mit der Sängerin Mina enthielt, die in den
Jahren 1958 bis 1962 aufgenommen worden waren.
- 8.
- Diese Aufnahmen wurden Ende 1992 gemeinfrei. Die Schutzfrist für die Rechte der
Schallplattenproduzenten und der ausübenden Künstler wurde jedoch später durch
die in Randnummer 5 dieses Urteils erwähnten Decreti-legge und das Gesetz Nr.
52/96 in Durchführung der Richtlinie von dreißig auf fünfzig Jahre verlängert.
- 9.
- Ende 1995 und Anfang 1996 forderte CEMED Butterfly auf, die CD nicht mehr
zu vervielfältigen und zu verbreiten, wobei sie sich darauf berief, daß ihre Rechte
aufgrund der in der Richtlinie festgelegten Schutzdauer „wiederaufgelebt“ seien.
Butterfly erhob daraufhin am 10. Mai 1996 vor dem Tribunale civile e penale
Mailand Klage auf Feststellung ihres Rechts auf Vervielfältigung der Aufnahmen
auf der CD.
- 10.
- Butterfly machte vor dem nationalen Gericht insbesondere geltend, die Richtlinie
schließe implizit das Wiedererstarken bereits erloschener Rechte aus. Selbst wenn
diese Rechte „wiederaufleben“ könnten, verstieße das Gesetz Nr. 52/96 in der
geänderten Fassung gegen die ausdrückliche Verpflichtung nach Artikel 10 Absatz
3 der Richtlinie, die erworbenen Rechte Dritter zu schützen. CEMED, unterstützt
durch den Berufsverband der italienischen Schallplattenhersteller FIMI, beantragte
unter Berufung auf die neue Schutzdauer im Wege der Widerklage, Butterfly jede
künftige Nutzung der Werke zu untersagen.
- 11.
- Nach Auffassung des Tribunale civile e penale Mailand ergibt sich aus Artikel 10
Absatz 2 der Richtlinie eindeutig, daß der Schutz der Rechte nach der
Fristverlängerung, die in einigen Mitgliedstaaten aufgrund der Harmonisierung der
Schutzfristen notwendig geworden sei, habe wiederaufleben können. Angesichts der
Verpflichtung, die erworbenen Rechte Dritter zu schützen, sei zweifelhaft, ob
Artikel 17 Absatz 4 des Gesetzes Nr. 52/96 in der geänderten Fassung rechtmäßig
sei, wonach Tonträger, bei denen die Verwertungsrechte vor Inkrafttreten des
Gesetzes gemeinfrei geworden seien, von Dritten, die vor dem genannten Zeitpunkt
das Recht zu deren Vervielfältigung und Inverkehrbringen erworben hätten, nur
beschränkt hätten verbreitet werden können. Das Gericht hat daher beschlossen,
dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Läßt sich Artikel 10 der Richtlinie 93/98/EWG vom 29. Oktober 1993, namentlich
soweit dieser den Erlaß der „notwendigen Bestimmungen, um insbesondere die
erworbenen Rechte Dritter zu schützen“ vorsieht, so auslegen, daß Artikel 17
Absatz 4 des Gesetzes Nr. 52 vom 6. Februar 1996 in der durch das Gesetz Nr. 650
vom 23. Dezember 1996 geänderten Fassung damit vereinbar ist?
Zur Zulässigkeit
- 12.
- CEMED vertritt die Ansicht, das Vorlageersuchen sei unzulässig, da es angesichts
der Umstände des Rechtsstreits unerheblich sei. Sie beruft sich zunächst auf die
vertragliche Verpflichtung von Butterfly, die umstrittenen Aufnahmen nicht nach
dem 31. Juli 1993 zu vervielfältigen, sodann auf den Wortlaut der Begründung des
Vorlagebeschlusses, der sich auf die „Verbreitung der Lagerbestände“ beziehe,
obwohl alle Exemplare der CD, die Butterfly hergestellt habe, vor Ende 1995
verkauft worden seien, und schließlich auf das fehlende Rechtsschutzinteresse von
Butterfly, da diese weder eine urheberrechtliche Lizenz der SIAE noch eine
Genehmigung der Sängerin Mina erhalten habe.
- 13.
- Dazu genügt der Hinweis, daß es nach ständiger Rechtsprechung (siehe vor allem
Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnrn. 59 bis 61) allein Sache des mit dem Rechtsstreit befaßten
nationalen Gerichts ist, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche
Entscheidung übernehmen muß, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum
Erlaß seines Urteils zu beurteilen. Nur wenn offensichtlich ist, daß die Auslegung
oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das
vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem
Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder wenn der Gerichtshof nicht über
die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche
Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, kann er ein
Vorlageersuchen zurückweisen (vgl. insbesondere Urteil Bosman, Randnr. 61). Da
dies in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall ist, kann das
Vorabentscheidungsersuchen also nicht deshalb für unzulässig erklärt werden, weil
geltend gemacht worden ist, daß es angesichts der Umstände des Rechtsstreits
unerheblich sei.
- 14.
- Folglich ist die Vorlagefrage zu prüfen.
Zur Vorlagefrage
- 15.
- Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 10 Absatz 3 der
Richtlinie einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die, wie das Gesetz Nr. 52/96
in der geänderten Fassung, für einen begrenzten Zeitraum die Verbreitung von
Tonträgern durch Personen gestattet, die diese Tonträger vor dem Inkrafttreten
dieses Gesetzes vervielfältigen und in den Verkehr bringen konnten, weil die
Rechte daran unter der Geltung des früheren Rechts erloschen waren.
- 16.
- Butterfly schlägt dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage zu antworten, daß das
Gesetz Nr. 52/96 in der geänderten Fassung Artikel 10 der Richtlinie widerspreche,
da es den Schallplattenherstellern, die gutgläubig Werke verwertet hätten, deren
Schutz nach der Verlängerung der Schutzdauer des Urheberrechts und verwandter
Schutzrechte wiederaufgelebt sei, keinen angemessenen Schutz gewähre.
Insbesondere sei die Befristung des Rechts der Verbreitung von Schallplatten auf
eine Dauer von drei Monaten gemäß Artikel 17 Absatz 4 Buchstabe b des Gesetzes
Nr. 52/96 in der geänderten Fassung für die Personen, die diese Schallplatten vor
Inkrafttreten dieses Gesetzes vervielfältigt und in den Verkehr gebracht hätten,
unangemessen und stehe im Widerspruch zu der Regelung nach Artikel 17 Absatz
4 Buchstabe a dieses Gesetzes in der geänderten Fassung, nach der die Verbreitung
literarischer Werke, die gemeinfrei geworden seien, nicht befristet sei.
- 17.
- CEMED, FIMI, die italienische Regierung und die Kommission schlagen
demgegenüber als Antwort vor, daß Artikel 10 der Richtlinie nationalen
Rechtsvorschriften, wie dem Gesetz Nr. 52/96 in der geänderten Fassung, nicht
entgegenstehe. Sie berufen sich unter anderem darauf, daß die Regeln zur
Beschränkung des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte eng auszulegen
seien. FIMI und die italienische Regierung machen außerdem geltend, die aus dem
Gesetz Nr. 52/96 in der geänderten Fassung folgende Begünstigung der
Herausgeber von literarischen Werken, die gemeinfrei geworden seien, sei durch
die höheren Investitionen gerechtfertigt, die diese Personen vornehmen müßten.
Die Kommission teilt zwar diese Ansicht nicht, hält aber die Frist für den Verkauf
der Tonträgerbestände, die unter Berücksichtigung der Decreti-legge von 1994 und
1995 tatsächlich fast ein Jahr betragen habe, für ausreichend, um der Verpflichtung
nachzukommen, die erworbenen Rechte Dritter im Sinne der Richtlinie zu
schützen.
- 18.
- Wie das vorlegende Gericht dargelegt hat, ergibt sich aus Artikel 10 Absatz 2 der
Richtlinie eindeutig, daß die Anwendung der in der Richtlinie festgelegten
Schutzfristen in den Mitgliedstaaten, deren Recht eine kürzere Schutzdauer
vorsieht, dazu führen kann, daß Werke oder Gegenstände, die gemeinfrei geworden
sind, wieder geschützt sind.
- 19.
- Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers.
Während der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission vorsah, daß die
Richtlinie „auf die Rechte, die am 31. Dezember 1994 nicht erloschen sind“
anwendbar ist, hat das Europäische Parlament diesen Vorschlag geändert und eine
Neufassung eingebracht, die im wesentlichen in die endgültige Fassung der
Richtlinie übernommen worden ist.
- 20.
- Diese Lösung wurde gewählt, um das namentlich in der zweiten
Begründungserwägung der Richtlinie genannte Ziel der Harmonisierung der
nationalen Rechtsvorschriften über die Schutzdauer des Urheberrechts und der
verwandten Schutzrechte so schnell wie möglich zu erreichen und um zu vermeiden,
daß bestimmte Rechte in einigen Mitgliedstaaten erloschen, in anderen dagegen
geschützt sind.
- 21.
- Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie sieht jedoch vor, daß Nutzungshandlungen, die
vor dem für die Durchführung der Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt, d. h.
spätestens dem 1. Juli 1995, erfolgt sind, von der Richtlinie unberührt bleiben und
die Mitgliedstaaten die notwendigen Bestimmungen treffen, um insbesondere die
erworbenen Rechte Dritter zu schützen.
- 22.
- Wie diese Vorschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus den beiden letzten
Begründungserwägungen der Richtlinie. Nach der 26. Begründungserwägung „sollte
es [den Mitgliedstaaten] freistehen, Bestimmungen zu erlassen, die die Auslegung,
Anpassung und weitere Erfüllung von Verträgen über die Nutzung geschützter
Werke oder sonstiger Gegenstände betreffen, die vor der sich aus dieser Richtlinie
ergebenden Verlängerung der Schutzdauer geschlossen wurden“. Nach der 27.
Begründungserwägung sind „die Wahrung erworbener Rechte und die
Berücksichtigung berechtigter Erwartungen ... Bestandteil der gemeinschaftlichen
Rechtsordnung. Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere vorsehen können, daß das
Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, die in Anwendung dieser Richtlinie
wiederaufleben, unter bestimmten Umständen diejenigen Personen nicht zu
Zahlungen verpflichten, die die Werke zu einer Zeit gutgläubig verwertet haben,
als diese gemeinfrei waren.“
- 23.
- Aus der Gegenüberstellung dieser beiden Vorschriften folgt, daß die Richtlinie die
Möglichkeit eines Wiederauflebens des Urheberrechts und verwandter
Schutzrechte, die nach den vor Umsetzung der Richtlinie geltenden
Rechtsvorschriften erloschen waren, unbeschadet der vor diesem Zeitpunkt
abgeschlossenen Verwertungshandlungen vorgesehen, es dabei aber den
Mitgliedstaaten überlassen hat, Maßnahmen zum Schutz der erworbenen Rechte
Dritter zu erlassen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften sind die Mitgliedstaaten
zum Erlaß solcher Maßnahmen zwar verpflichtet, deren Ausgestaltung liegt aber
in ihrem Ermessen, sofern dadurch die Anwendung der neuen Schutzfristen zu dem
in der Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt nicht generell verhindert wird.
- 24.
- Wie der Generalanwalt in Nummer 25 seiner Schlußanträge ausgeführt hat,
entspricht diese Lösung außerdem dem Grundsatz, daß die Gesetze zur Änderung
einer gesetzlichen Bestimmung, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf die
künftigen Folgen eines Sachverhalts Anwendung finden, der unter der Geltung des
alten Rechts entstanden ist (siehe vor allem die Urteile vom 14. April 1970 in der
Rechtssache 68/69, Brock, Slg. 1970, 171, Randnr. 6, und vom 10. Juli 1986 in der
Rechtssache 270/84, Licata/Wirtschafts- und Sozialausschuß, Slg. 1986, 2305,
Randnr. 31). Wenn sich das Wiederaufleben des Urheberrechts und verwandter
Schutzrechte nämlich nicht auf Verwertungshandlungen auswirkt, die ein Dritter
vor dem Zeitpunkt des Wiederauflebens abgeschlossen hat, kann es nicht als
rückwirkend angesehen werden. Die Anwendung des Grundsatzes des
Wiederauflebens der Rechte auf die künftigen Folgen von nicht endgültig
abgeschlossenen Sachverhalten bedeutet dagegen, daß dies sich auf die Rechte
eines Dritten auswirkt, einen Tonträger weiter zu verwerten, der zu diesem
Zeitpunkt zwar vervielfältigt, dessen Exemplare aber noch nicht in den Verkehr
gebracht und verkauft worden sind.
- 25.
- Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes zwar
zu den Grundprinzipien der Gemeinschaft gehört, nach ständiger Rechtsprechung
jedoch nicht soweit ausgedehnt werden darf, daß er die Anwendung einer neuen
Regelung auf die künftigen Folgen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der
früheren Regelung entstanden ist, schlechthin ausschließt (siehe vor allem die
Urteile vom 14. Januar 1987 in der Rechtssache 278/84, Deutschland/Kommission,
Slg. 1987, 1, Randnr. 36, vom 20. September 1988 in der Rechtssache 203/86,
Spanien/Rat, Slg. 1988, 4563, Randnr. 19, vom 22. Februar 1990 in der Rechtssache
C-221/88, Busseni, Slg. 1990, I-495, Randnr. 35).
- 26.
- Nach alledem entsprechen nationale Rechtsvorschriften, die, wie das Gesetz Nr.
52/96 in der geänderten Fassung, für einen begrenzten Zeitraum nach ihrem
Inkrafttreten Personen die Verbreitung von Tonträgern gestatten, die diese
vervielfältigt und in den Verkehr gebracht hatten, nachdem die Verwertungsrechte
für diese Tonträger nach dem früheren Recht erloschen waren, den Vorschriften
der Richtlinie.
- 27.
- Zum einen genügen solche Rechtsvorschriften der Verpflichtung der
Mitgliedstaaten, Maßnahmen zum Schutz erworbener Rechte Dritter zu erlassen.
Zwar gestattete das Gesetz Nr. 52/96 in der geänderten Fassung die Verbreitung
der Tonträger nur für drei Monate, eine solche Frist kann aber im Hinblick auf das
verfolgte Ziel als angemessen angesehen werden, zumal die tatsächliche Frist, wie
die Kommission vorgetragen hat, angesichts der Umstände, unter denen die
Richtlinie durch die in Randnummer 5 dieses Urteils erwähnten Decreti-legge und
das Gesetz Nr. 52/96 umgesetzt worden ist, nach der Umsetzung fast ein Jahr
betrug.
- 28.
- Zum anderen entsprechen solche Rechtsvorschriften durch die Beschränkung des
Schutzes der erworbenen Rechte Dritter bezüglich der Verbreitung von Tonträgern
dem Erfordernis der Begrenzung einer derartigen Vorschrift, die nur
vorübergehend gelten kann, damit nicht das Hauptziel der Richtlinie, die
Anwendung der neuen Schutzdauer des Urheberrechts und verwandter Rechte zu
dem in der Richtlinie vorgesehenen Zeitpunkt, verhindert wird.
- 29.
- Diese Auslegung wird nicht dadurch berührt, daß eine andere Vorschrift des
Gesetzes Nr. 52/96 in der geänderten Fassung, die im Ausgangsverfahren nicht
anwendbar ist, für die Verbreitung literarischer Werke eine andere Schutzregelung
für die erworbenen Rechte Dritter vorsieht. Diese Vorschrift betrifft nämlich eine
andere Gruppe von Berechtigten, die sich nicht in der gleichen Situation befinden
wie die von der streitigen Vorschrift Betroffenen. Unabhängig davon, ob die
Schutzregelung für diese andere Gruppe den Vorschriften der Richtlinie entspricht,
kann sie die Beurteilung einer Regelung, die eine objektiv andere Situation betrifft,
nicht beeinflussen.
- 30.
- Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß Artikel 10 Absatz 3 der
Richtlinie einer nationalen Vorschrift nicht entgegensteht, die, wie das Gesetz Nr.
52/96 in der geänderten Fassung, für einen begrenzten Zeitraum die Verbreitung
von Tonträgern durch Personen gestattet, die diese Tonträger vor dem
Inkrafttreten dieses Gesetzes vervielfältigen und in den Verkehr bringen konnten,
weil die Rechte daran unter der Geltung des früheren Rechts erloschen waren.
Kosten
- 31.
- Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Tribunale civile e penale Mailand mit Beschluß vom 12. Februar
1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 zur
Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter
Schutzrechte steht einer nationalen Vorschrift nicht entgegen, die, wie das
italienische Gesetz Nr. 52 vom 6. Februar 1996 in der durch das italienische
Gesetz Nr. 650 vom 23. Dezember 1996 geänderten Fassung, für einen begrenzten
Zeitraum die Verbreitung von Tonträgern durch Personen gestattet, die diese
Tonträger vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vervielfältigen und in den Verkehr
bringen konnten, weil die Rechte daran unter der Geltung des früheren Rechts
erloschen waren.
Rodríguez Iglesias Kapteyn Puissochet
Hirsch Jann Mancini
Moitinho de Almeida Gulmann Murray
Edward Sevón
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. Juni 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias