Language of document : ECLI:EU:C:2010:402

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

6. Juli 2010(*)

„Gewerbliches und kommerzielles Eigentum – Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen – Richtlinie 98/44/EG – Art. 9 – Patent zum Schutz eines Erzeugnisses, das eine genetische Information enthält oder in einer genetischen Information besteht – Material, in das das Erzeugnis Eingang gefunden hat – Schutz – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑428/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank ’s‑Gravenhage (Niederlande) mit Entscheidung vom 24. September 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2008, in dem Verfahren

Monsanto Technology LLC

gegen

Cefetra BV,

Cefetra Feed Service BV,

Cefetra Futures BV,

Alfred C. Toepfer International GmbH,

unterstützt durch:

Staat Argentinien,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot und E. Levits sowie der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský, U. Lõhmus und L. Bay Larsen (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Monsanto Technology LLC, vertreten durch W. A. Hoyng und F. W. E. Eijsvogels, advocaten,

–        der Cefetra BV, der Cefetra Feed Service BV, der Cefetra Futures BV und der Alfred C. Toepfer International GmbH, vertreten durch J. J. Allen und H. M. H. Speyart van Woerden, advocaten,

–        des Staates Argentinien, vertreten durch B. Remiche, avocat, sowie M. Roosen und V. Cassiers, advocaten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Grave als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. März 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. L 213, S. 13, im Folgenden: Richtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten, in denen die Monsanto Technology LLC (im Folgenden: Monsanto) zum einen der Cefetra BV, der Cefetra Feed Service BV und der Cefetra Futures BV (im Folgenden gemeinsam: Cefetra), unterstützt durch den Staat Argentinien, sowie zum anderen der Vopak Agencies Rotterdam BV (im Folgenden: Vopak) und der Alfred C. Toepfer International GmbH (im Folgenden: Toepfer) wegen Einfuhren von Sojamehl aus Argentinien in die Europäische Gemeinschaft in den Jahren 2005 und 2006 gegenübersteht.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

3        Art. 27 („Patentfähige Gegenstände“) des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche genehmigt wurde (ABl. L 336, S. 1, im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen), bestimmt in Abs. 1 im Wesentlichen:

–        Patente sind für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren, vorausgesetzt, dass sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind;

–        Patentrechte können ausgeübt werden, ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf.

4        In Art. 30 („Ausnahmen von den Rechten aus dem Patent“) des Übereinkommens heißt es, dass die Mitglieder begrenzte Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten aus einem Patent vorsehen können, sofern solche Ausnahmen nicht unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung des Patents stehen und die berechtigten Interessen des Inhabers des Patents nicht unangemessen beeinträchtigen, wobei auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen sind.

 Unionsrecht

5        Art. 1 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten biotechnologische Erfindungen durch das nationale Patentrecht schützen und dass sie dieses erforderlichenfalls anpassen, um den Bestimmungen dieser Richtlinie Rechnung zu tragen. Weiter heißt es, dass die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus internationalen Übereinkommen, u. a. aus dem TRIPS-Übereinkommen, von dieser Richtlinie nicht berührt werden.

6        Art. 2 der Richtlinie definiert „biologisches Material“ als ein Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann.

7        Nach Art. 3 können Erfindungen, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind, u. a. auch dann patentiert werden, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

8        Im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie wird hervorgehoben, dass die Diskussion über die Patentierbarkeit von Sequenzen oder Teilsequenzen von Genen kontrovers geführt wird. Die Erteilung eines Patents für Erfindungen, die solche Sequenzen oder Teilsequenzen zum Gegenstand haben, unterliegt denselben Patentierbarkeitskriterien der Neuheit, erfinderischen Tätigkeit und gewerblichen Anwendbarkeit wie alle anderen Bereiche der Technologie. Die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz muss in der eingereichten Patentanmeldung konkret beschrieben sein.

9        Nach dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie enthält ein einfacher DNA-Abschnitt ohne Angabe einer Funktion keine Lehre zum technischen Handeln und stellt deshalb keine patentierbare Erfindung dar.

10      Im 24. Erwägungsgrund heißt es, dass das Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit voraussetzt, dass im Fall der Verwendung einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens zur Herstellung eines Proteins oder Teilproteins angegeben wird, welches Protein oder Teilprotein hergestellt wird und welche Funktion es hat.

11      Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie in Kapitel I („Patentierbarkeit“) verlangt, dass die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens in der Patentanmeldung konkret beschrieben wird.

12      Art. 9 in Kapitel II („Umfang des Schutzes“) bestimmt:

„Der Schutz, der durch ein Patent für ein Erzeugnis erteilt wird, das aus einer genetischen Information besteht oder sie enthält, erstreckt sich … auf jedes Material, in das dieses Erzeugnis Eingang findet und in dem die genetische Information enthalten ist und ihre Funktion erfüllt.“

 Nationales Recht

13      Art. 53 des Reichspatentgesetzes von 1995 (Rijksoctrooiwet 1995, im Folgenden: Gesetz von 1995) sieht vor:

„Ein Patent gibt dem Patentinhaber … das ausschließliche Recht,

a)      das patentierte Erzeugnis in seinem oder für seinen Betrieb herzustellen, zu verwenden, in den Verkehr zu bringen oder weiterzuverkaufen, zu vermieten, zu liefern oder anderweit zu veräußern oder in anderer Weise anzubieten, einzuführen oder vorrätig zu halten;

b)      die patentierte Wirkungsweise in seinem oder für seinen Betrieb anzuwenden oder das unmittelbar durch die Anwendung dieser Wirkungsweise gewonnene Erzeugnis zu verwenden, in den Verkehr zu bringen oder weiterzuverkaufen, zu vermieten, zu liefern oder anderweit zu veräußern oder in anderer Weise anzubieten, einzuführen oder vorrätig zu halten.“

14      Art. 53a dieses Gesetzes lautet:

„1.      In Bezug auf ein Patent für biologisches Material, das aufgrund der Erfindung mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet ist, erstreckt sich das ausschließliche Recht auf jedes biologische Material, das aus diesem biologischen Material durch generative oder vegetative Vermehrung in gleicher oder abweichender Form gewonnen wird und mit denselben Eigenschaften ausgestattet ist.

2.      In Bezug auf ein Patent für ein Verfahren, das die Gewinnung eines aufgrund der Erfindung mit bestimmten Eigenschaften ausgestatteten biologischen Materials ermöglicht, erstreckt sich das ausschließliche Recht auf das mit diesem Verfahren unmittelbar gewonnene biologische Material und jedes andere mit denselben Eigenschaften ausgestattete biologische Material, das durch generative oder vegetative Vermehrung in gleicher oder abweichender Form aus dem unmittelbar gewonnenen biologischen Material gewonnen wird.

3.      In Bezug auf ein Patent für ein Erzeugnis, das aus einer genetischen Information besteht oder eine solche enthält, erstreckt sich das ausschließliche Recht … auf jedes Material, in das dieses Erzeugnis Eingang findet und in dem die genetische Information enthalten ist und ihre Funktion erfüllt.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15      Monsanto ist Inhaberin eines ihr am 19. Juni 1996 unter der Nr. EP 0 546 090 erteilten europäischen Patents betreffend Glyphosat tolerante 5‑Enolpyruvylshikimat-3-phosphatsynthasen (im Folgenden: europäisches Patent). Dieses europäische Patent entfaltet seine Wirkungen u. a. in den Niederlanden.

16      Glyphosat ist ein nicht selektives Herbizid. In einer Pflanze blockiert es das aktive Zentrum von 5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphatsynthasen (im Folgenden: EPSPS) Enzymen der Klasse I, die beim Wachstum der Pflanze eine wichtige Rolle spielen. Diese Wirkweise führt zum Absterben der Pflanze.

17      Das Patent beschreibt eine Klasse von EPSPS-Enzymen der Klasse II, die nicht auf Glyphosat reagieren. Pflanzen mit EPSPS-Enzymen der Klasse II überleben die Verwendung von Glyphosat, während das Unkraut abstirbt. Gene, die für diese Klasse-II‑Enzyme kodieren, werden aus drei verschiedenen Bakterien isoliert. Monsanto hat diese Gene in die DNA einer Sojabohnenpflanze eingebracht, die sie als RR („Roundup Ready“) Sojabohne bezeichnet hat. Infolge dieser Einbringung bildet die RR-Sojabohne ein Klasse-II‑EPSPS-Enzym mit der Bezeichnung CP4-EPSPS, das gegen Glyphosat resistent ist. Sie wird so gegen das Herbizid Roundup resistent.

18      Die RR-Sojabohne wird in Argentinien, wo für die Erfindung von Monsanto kein Patentschutz besteht, in großem Umfang angebaut.

19      Cefetra und Toepfer handeln mit Sojamehl. Im Hafen von Amsterdam kamen am 16. Juni 2005, am 21. März und am 11. Mai 2006 drei Ladungen Sojamehl aus Argentinien an. Vopak nahm für eine der Ladungen die Zollanmeldung vor.

20      Die drei Ladungen wurden von den Zollbehörden aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (ABl. L 196, S. 7), aufgehalten. Sie wurden nach der Übergabe von Proben an Monsanto freigegeben. Diese ließ die Ware untersuchen, um festzustellen, ob sie von RR-Sojapflanzen stamme.

21      Nach diesen Untersuchungen berief sich Monsanto auf das Vorhandensein des Enzyms CP4-EPSPS sowie der DNA-Sequenz, für die CP4-EPSPS kodiert sei, und erhob gegen Cefetra, Vopak und Toepfer vor der Rechtbank ’s-Gravenhage auf Art. 16 der Verordnung Nr. 1383/2003 gestützte Unterlassungsklagen sowie Klagen auf Unterlassung der Verletzung ihres europäischen Patents für alle Länder, für die dieses gelte. Der Staat Argentinien ist als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge von Cefetra beigetreten.

22      Die Rechtbank ’s-Gravenhage ist der Auffassung, dass Monsanto das Vorhandensein der von ihrem europäischen Patent geschützten DNA-Sequenz in einer der streitigen Ladungen nachgewiesen habe. Sie fragt sich gleichwohl, ob allein dieses Vorhandensein für die Feststellung der Verletzung des europäischen Patents von Monsanto anlässlich des Inverkehrbringens des Mehls in der Gemeinschaft ausreiche.

23      Cefetra, unterstützt durch den Staat Argentinien, und Toepfer machen geltend, dass Art. 53a des Gesetzes von 1995 abschließend sei. Er sei daher als lex specialis anzusehen, die von der allgemeinen Schutzregelung abweiche, die Art. 53 des Gesetzes für ein patentiertes Erzeugnis vorsehe. Da die im Sojamehl vorhandene DNA ihre Funktion nicht mehr ausüben könne, könne Monsanto dem Verkauf des Sojamehls nicht allein mit der Begründung entgegentreten, dass die DNA im Sojamehl vorhanden sei. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der in den Erwägungsgründen 23 und 24 der Richtlinie hervorgehobenen beschränkten Patentfähigkeit und dem Schutzumfang des Patents.

24      Nach Ansicht von Monsanto besteht das Ziel der Richtlinie nicht in einer Beschränkung des in den Mitgliedstaaten bestehenden Schutzes biotechnologischer Erfindungen. Die Richtlinie berühre nicht den in Art. 53 des Gesetzes von 1995 gewährten Schutz, der ein absoluter Schutz sei. Eine Beschränkung des Schutzes sei mit Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens unvereinbar.

25      Die Rechtbank ’s-Gravenhage weist darauf hin, dass Art. 53a Abs. 3 des Gesetzes von 1995 wie Art. 9 der Richtlinie alles Material, in das die DNA Eingang gefunden habe, dem ausschließlichen Recht des Patentinhabers unterstelle, wenn die genetische Information in dieses Material Eingang gefunden habe und darin ihre Funktion erfülle.

26      Sie stellt fest, dass die DNA ihre Funktion im Sojamehl, das totes Material sei, nicht erfüllen könne.

27      Der Wortlaut von Art. 53a Abs. 3 des Gesetzes von 1995 und von Art. 9 der Richtlinie sei nicht mit der vor dem Gericht von Monsanto vertretenen Auffassung vereinbar, wonach es ausreiche, dass die DNA zu irgendeinem Zeitpunkt ihre Funktion in der Pflanze erfüllt habe oder erneut erfüllen könne, nachdem sie aus dem Sojamehl isoliert und in lebendes Material eingebracht worden sei.

28      Nach Auffassung der Rechtbank ’s-Gravenhage kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Gen auch als Teil eines Organismus nicht unbedingt stets seine Funktion zu erfüllen brauche. Es gebe nämlich Gene, die nur in bestimmten Situationen aktiviert würden, wie bei Hitze, Trockenheit oder einer Krankheit.

29      Schließlich sei der Umstand nicht unerheblich, dass beim Anbau der Sojapflanzen, aus denen das Mehl gewonnen worden sei, ein Vorteil ohne Gegenleistung aus der Erfindung gezogen worden sei.

30      Für den Fall, dass es nicht möglich sei, den Verkauf des Sojamehls auf der Grundlage von Art. 53a des Gesetzes von 1995, der Art. 9 der Richtlinie umsetze, zu untersagen, stelle sich die Frage, ob ein klassischer absoluter Schutz wie der in Art. 53 des Gesetzes von 1995 vorgesehene geltend gemacht werden könne.

31      Insoweit scheine die Richtlinie keinen absoluten Erzeugnisschutz entsprechend einer Bestimmung wie Art. 53 des Gesetzes von 1995 zu eröffnen, sondern vielmehr einen Mindestschutz anzustreben. Die für eine solche Auslegung sprechenden Anhaltspunkte seien jedoch nicht deutlich genug.

32      Vor diesem Hintergrund hat die Rechtbank ’s-Gravenhage das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 9 der Richtlinie so aufzufassen, dass eine Berufung auf den in diesem Artikel vorgesehenen Schutz auch in einer Situation wie im vorliegenden Verfahren möglich ist, bei der das Erzeugnis (die DNA-Sequenz) Teil eines in die Europäische Union eingeführten Materials (Sojamehl) ist und seine Funktion zum Zeitpunkt der geltend gemachten Verletzung nicht erfüllt, diese jedoch zuvor (in der Sojapflanze) erfüllt hat oder möglicherweise, nachdem das Material isoliert und in die Zelle eines Organismus eingebracht worden ist, seine Funktion erneut erfüllen kann?

2.      Ausgehend vom Vorhandensein der im Patentanspruch 6 des Patents Nr. EP 0 546 090 beschriebenen DNA-Sequenz in dem von Cefetra und Toepfer in die Gemeinschaft eingeführten Sojamehl und ausgehend davon, dass die DNA im Sinne von Art. 9 der Richtlinie in Sojamehl Eingang gefunden hat und dass sie darin die Funktion, die sie innehat, nicht erfüllt: Verbietet in diesem Fall der durch diese Richtlinie vorgeschriebene Schutz eines Patents für biologisches Material, insbesondere Art. 9, dass das nationale Patentrecht (daneben) dem Erzeugnis (der DNA) als solchem absoluten Schutz gewährt, ungeachtet dessen, ob diese DNA die Funktion, die sie innehat, erfüllt oder nicht, und ist der Schutz des Art. 9 der Richtlinie für den von dieser Bestimmung geregelten Fall, dass ein Erzeugnis eine genetische Information enthält oder aus einer genetischen Information besteht und dieses Erzeugnis in ein Material Eingang gefunden hat, in dem die genetische Information enthalten ist, somit als erschöpfend zu betrachten?

3.      Ist es für die Beantwortung der vorhergehenden Frage von Bedeutung, dass das Patent Nr. EP 0 546 090 beantragt und erteilt worden ist (am 19. Juni 1996), bevor die Richtlinie erlassen wurde, und dass ein solcher absoluter Erzeugnisschutz nach dem nationalen Patentrecht verliehen worden ist, bevor diese Richtlinie erlassen wurde?

4.      Kann der Gerichtshof bei der Beantwortung der vorstehenden Fragen auch das TRIPS-Übereinkommen einbeziehen, insbesondere dessen Art. 27 und 30?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

33      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einen patentrechtlichen Schutz unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gewährt, wenn das patentierte Erzeugnis in Sojamehl enthalten ist, wo es nicht die Funktion erfüllt, für die es patentiert ist, diese Funktion jedoch zuvor in der Sojapflanze erfüllt hat, aus der dieses Mehl als Verarbeitungserzeugnis gewonnen wurde, oder wenn das Erzeugnis diese Funktion möglicherweise erneut erfüllen könnte, nachdem das Material aus dem Mehl isoliert und dann in die Zelle eines lebenden Organismus eingebracht worden ist.

34      Insoweit ist festzustellen, dass Art. 9 der Richtlinie den dort vorgesehenen Schutz davon abhängig macht, dass die genetische Information, die in dem patentierten Erzeugnis enthalten ist oder dieses darstellt, ihre Funktion in dem „Material, … in dem“ diese Information enthalten ist, „erfüllt“.

35      Der allgemeine Sinn des vom Gemeinschaftsgesetzgeber verwendeten Präsens und der Wendung „Material, … in dem“ impliziert, dass die Funktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt und gerade in dem Material erfüllt wird, mit dem die DNA-Sequenz, die die genetische Information enthält, eine stoffliche Einheit bildet.

36      Im Fall einer genetischen Information wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden wird die Funktion der Erfindung erfüllt, wenn die genetische Information das biologische Material, in das sie Eingang gefunden hat, gegen eine tatsächliche Wirkweise oder die vorhersehbare Möglichkeit einer Wirkweise eines Erzeugnisses schützt, das zum Absterben dieses Materials führen kann.

37      Der Einsatz eines Herbizids gegen Sojamehl ist jedoch nicht vorhersehbar und normalerweise auch nicht vorstellbar. Nähme man einen solchen Einsatz an, könnte zudem die Funktion des patentierten Erzeugnisses, das das Leben eines biologischen Materials, in dem es enthalten ist, schützen soll, nicht erfüllt werden, weil sich die genetische Information nur als Rückstand im Sojamehl findet und weil dieses ein nach mehreren Verarbeitungsvorgängen des Soja gewonnenes totes Material ist.

38      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der in Art. 9 der Richtlinie vorgesehene Schutz ausgeschlossen ist, wenn die genetische Information aufgehört hat, die Funktion zu erfüllen, die sie in dem ursprünglichen Material erfüllte, aus dem das streitige Material hervorgegangen ist.

39      Hieraus folgt auch, dass dieser Schutz in Bezug auf das streitige Material nicht allein mit der Begründung geltend gemacht werden kann, dass die DNA-Sequenz, die die genetische Information enthält, diesem entnommen werden und ihre Funktion in einer Zelle eines lebenden Organismus erfüllen könnte, nachdem sie in diesen eingebracht worden sei. Denn in einem solchen Fall würde die Funktion in einem anderen und zugleich biologischen Material erfüllt. Sie könnte daher ein Schutzrecht nur in Bezug auf dieses Material entstehen lassen.

40      Die Zulassung eines Schutzes nach Art. 9 der Richtlinie mit der Begründung, die genetische Information habe ihre Funktion zuvor in dem Material, das sie enthalte, erfüllt oder könne diese Funktion möglicherweise erneut in einem anderen Material erfüllen, liefe darauf hinaus, der ausgelegten Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, da die eine oder die andere Konstellation im Prinzip stets angeführt werden könnte.

41      Monsanto macht jedoch geltend, dass sie in erster Linie einen Schutz der patentierten DNA-Sequenz als solcher fordere. Sie erklärt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende DNA-Sequenz gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie durch das anwendbare nationale Patentrecht geschützt werde. Art. 9 der Richtlinie beziehe sich nur auf die Erweiterung eines solchen Schutzes auf andere Materialien, in die das patentierte Erzeugnis Eingang gefunden habe. Im Ausgangsverfahren wolle sie daher nicht den von Art. 9 der Richtlinie vorgesehenen Schutz für das Sojamehl erlangen, in dem die patentierte DNA-Sequenz enthalten sei. In dem Verfahren gehe es um den Schutz der DNA-Sequenz als solcher, und dieser sei nicht von der Erfüllung einer spezifischen Funktion abhängig. Dieser Schutz sei nämlich nach dem anwendbaren nationalen Recht, auf das Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie verweise, absolut.

42      Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

43      Im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es: „Ein einfacher DNA-Abschnitt ohne Angabe einer Funktion enthält keine Lehre zum technischen Handeln und stellt deshalb keine patentierbare Erfindung dar.“

44      Im Übrigen ist den Erwägungsgründen 22 und 24 sowie Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zu entnehmen, dass eine DNA-Sequenz keinerlei patentrechtlichen Schutz genießt, wenn die von dieser Sequenz erfüllte Funktion nicht konkret beschrieben ist.

45      Da die Richtlinie somit die Patentfähigkeit einer DNA-Sequenz von der Angabe der Funktion, die sie hat, abhängig macht, ist davon auszugehen, dass sie einer patentierten DNA-Sequenz, die die spezifische Funktion, für die sie patentiert worden ist, nicht erfüllen kann, keinen Schutz gewährt.

46      Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Art. 9 der Richtlinie gestützt, der den in ihm vorgesehenen Schutz von der Voraussetzung abhängig macht, dass die patentierte DNA-Sequenz die Funktion erfüllt, die sie in dem Material innehat, in das sie Eingang gefunden hat.

47      Eine Auslegung, wonach eine patentierte DNA-Sequenz als solche nach der Richtlinie absoluten Schutz genießen könnte, unabhängig davon, ob die Sequenz die Funktion, die sie innehat, erfüllt oder nicht, nähme dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit. Ein förmlicher Schutz der DNA-Sequenz als solcher erstreckte sich, solange dieser Zustand anhielte, notwendigerweise faktisch auch auf das Material, mit dem sie eine Einheit bildete.

48      Wie sich aus Randnr. 37 des vorliegenden Urteils ergibt, kann eine DNA-Sequenz wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ihre Funktion nicht erfüllen, wenn sie in ein totes Material wie Sojamehl eingebracht wird.

49      Eine solche Sequenz genießt daher keinen patentrechtlichen Schutz, da weder Art. 9 der Richtlinie noch irgendeine ihrer übrigen Bestimmungen einer patentierten DNA-Sequenz, die die Funktion, die sie innehat, nicht erfüllen kann, Schutz gewährt.

50      Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn das patentierte Erzeugnis in Sojamehl enthalten ist, wo es nicht die Funktion erfüllt, für die es patentiert ist, diese Funktion jedoch zuvor in der Sojapflanze erfüllt hat, aus der dieses Mehl als Verarbeitungserzeugnis gewonnen wurde, oder wenn das Erzeugnis diese Funktion möglicherweise erneut erfüllen könnte, nachdem das Material aus dem Mehl isoliert und dann in die Zelle eines lebenden Organismus eingebracht worden ist, keinen patentrechtlichen Schutz gewährt.

 Zur zweiten Frage

51      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie eine abschließende Harmonisierung des von ihm gewährten Schutzes vornimmt, so dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses als solchen vorsieht, unabhängig davon, ob es die Funktion, die es in dem Material innehat, in dem es enthalten ist, erfüllt oder nicht.

52      Diese Frage beruht auf der in der Vorlageentscheidung ausgeführten Prämisse, dass eine nationale Vorschrift wie Art. 53 des Gesetzes von 1995 tatsächlich einen absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses bietet.

53      Um die zweite Frage zu beantworten, sind die Feststellungen des Gemeinschaftsgesetzgebers in den Erwägungsgründen 3 sowie 5 bis 7 der Richtlinie heranzuziehen:

–        Ein wirksamer und harmonisierter Schutz in allen Mitgliedstaaten sei wesentliche Voraussetzung dafür, dass Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie fortgeführt und gefördert werden.

–        In den Rechtsvorschriften und Praktiken der verschiedenen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes biotechnologischer Erfindungen bestünden Unterschiede.

–        Diese Unterschiede könnten zu Handelsschranken führen und so das Funktionieren des Binnenmarkts behindern.

–        Diese Unterschiede könnten sich dadurch noch vergrößern, dass die Mitgliedstaaten neue und unterschiedliche Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken einführten oder dass die Rechtsprechung der einzelnen Mitgliedstaaten sich unterschiedlich entwickele.

–        Eine uneinheitliche Entwicklung der Rechtsvorschriften zum Schutz biotechnologischer Erfindungen in der Gemeinschaft könnte zusätzliche ungünstige Auswirkungen auf den Handel haben und damit zu Nachteilen bei der industriellen Entwicklung der betreffenden Erfindungen sowie zur Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts führen.

54      In den Erwägungsgründen 8 und 13 führt er sodann aus:

–        Der rechtliche Schutz biotechnologischer Erfindungen erfordere nicht die Einführung eines besonderen Rechts, das an die Stelle des nationalen Patentrechts tritt.

–        Das nationale Patentrecht sei auch weiterhin die wesentliche Grundlage für den Rechtsschutz biotechnologischer Erfindungen; es müsse jedoch in bestimmten Punkten angepasst oder ergänzt werden, um der Entwicklung der Technologie, die biologisches Material benutze, aber gleichwohl die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfülle, angemessen Rechnung zu tragen.

–        Der Rechtsrahmen der Gemeinschaft zum Schutz biotechnologischer Erfindungen könne sich insbesondere auf die Festlegung bestimmter Grundsätze für die Patentierbarkeit biologischen Materials an sich und auf den Umfang des Patentschutzes biotechnologischer Erfindungen beschränken.

55      Aus diesen Ausführungen ergibt sicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine in ihrem materiellen Umfang beschränkte Harmonisierung vornehmen wollte, die jedoch geeignet ist, auf dem Gebiet des Schutzes biotechnologischer Erfindungen die bestehenden Unterschiede zu beseitigen und künftigen Unterschieden vorzubeugen.

56      Die beschlossene Harmonisierung soll somit Handelsschranken verhindern.

57      Sie ist im Übrigen Teil eines Kompromisses zwischen den Interessen der Patentinhaber und den Erfordernissen eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts.

58      Hinsichtlich des in Kapitel II („Umfang des Schutzes“) enthaltenen Art. 9 der Richtlinie gibt der Ansatz des Gemeinschaftsgesetzgebers dessen Absicht wider, in allen Mitgliedstaaten denselben Patentschutz zu gewährleisten.

59      Ein einheitlicher Schutz erscheint nämlich als das Mittel, um Unterschiede zwischen ihnen zu beseitigen oder solchen zuvorzukommen und das gewünschte Gleichgewicht zwischen den Interessen der Patentinhaber und denjenigen anderer Wirtschaftsteilnehmer sicherzustellen, wohingegen ein Mindestharmonisierungsansatz zugunsten der Patentinhaber zum einen das angestrebte Gleichgewicht der betreffenden Interessen in Frage stellen und zum anderen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten – und mithin auch Handelsschranken – nur festschreiben oder entstehen lassen würde.

60      Folglich ist die Harmonisierung durch Art. 9 der Richtlinie als abschließend anzusehen.

61      Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie steht dieser Schlussfolgerung nicht entgegen, soweit er hinsichtlich des Schutzes biotechnologischer Erfindungen auf das nationale Patentrecht verweist. Denn in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 heißt es, dass die Mitgliedstaaten ihr nationales Patentrecht erforderlichenfalls anpassen, um den Bestimmungen dieser Richtlinie Rechnung zu tragen, d. h. insbesondere denjenigen Bestimmungen, die eine abschließende Harmonisierung vornehmen.

62      Da die Richtlinie einer patentierten DNA-Sequenz, die ihre Funktion nicht erfüllen kann, keinen Schutz bietet, verwehrt es die ausgelegte Bestimmung daher einem nationalen Gesetzgeber, einer patentierten DNA-Sequenz als solcher, unabhängig davon, ob sie die Funktion, die sie in dem sie enthaltenden Material innehat, erfüllt oder nicht, einen absoluten Schutz zu gewähren.

63      Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie eine abschließende Harmonisierung des von ihm gewährten Schutzes vornimmt, so dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses als solchen vorsieht, unabhängig davon, ob es die Funktion, die es in dem Material innehat, in dem es enthalten ist, erfüllt oder nicht.

 Zur dritten Frage

64      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie dem entgegensteht, dass der Inhaber eines vor dem Erlass dieser Richtlinie erteilten Patents den absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses geltend macht, den ihm die seinerzeit geltende nationale Vorschrift verliehen haben soll.

65      In ähnlicher Weise wie die zweite Frage beruht diese Frage auf der Prämisse, dass eine nationale Vorschrift wie Art. 53 des Gesetzes von 1995 bei Erteilung des Patents vor Erlass der Richtlinie tatsächlich einen absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses gewährte.

66      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine neue Vorschrift grundsätzlich unmittelbar auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (vgl. u. a. Urteil vom 11. Dezember 2008, Kommission/Freistaat Sachsen, C‑334/07 P, Slg. 2008, I‑9465, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Die Richtlinie sieht keine Ausnahme von diesem Grundsatz vor.

68      Im Übrigen würde die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie auf früher erteilte Patente zwischen den Mitgliedstaaten ein unterschiedliches Schutzniveau schaffen, das die angestrebte Harmonisierung behindern würde.

69      Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie dem entgegensteht, dass der Inhaber eines vor dem Erlass dieser Richtlinie erteilten Patents den absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses geltend macht, den ihm die seinerzeit geltende nationale Vorschrift verliehen haben soll.

 Zur vierten Frage

70      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich die Art. 27 und 30 des TRIPS-Übereinkommens auf die Art. 9 der Richtlinie gegebene Auslegung auswirken.

71      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens für den Einzelnen keine Rechte begründen können, auf die er sich nach dem Unionsrecht unmittelbar vor den Gerichten berufen könnte (Urteil vom 14. Dezember 2000, Dior u. a., C‑300/98 und C‑392/98, Slg. 2000, I‑11307, Randnr. 44).

72      Wird festgestellt, dass eine Unionsregelung in dem betreffenden Bereich besteht, findet das Unionsrecht Anwendung, was die Verpflichtung umfasst, so weit wie möglich eine dem TRIPS-Übereinkommen konforme Auslegung vorzunehmen, ohne dass der fraglichen Bestimmung des Übereinkommens jedoch eine unmittelbare Wirkung zuerkannt werden könnte (Urteil vom 11. September 2007, Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos, C‑431/05, Slg. 2007, I‑7001, Randnr. 35).

73      Da die Richtlinie eine Unionsregelung auf dem Gebiet der Patente darstellt, ist sie daher so weit wie möglich in übereinkommenskonformer Weise auszulegen.

74      Die im vorliegenden Urteil vorgenommene Auslegung von Art. 9 der Richtlinie läuft dieser Verpflichtung nicht zuwider.

75      Art. 9 der Richtlinie regelt nämlich den Umfang des Schutzes, den ein Patent dem Inhaber verleiht, während die Art. 27 und 30 des TRIPS-Übereinkommens die Patentfähigkeit bzw. die Ausnahmen von den Rechten aus dem Patent betreffen.

76      Sollte die Wendung „Ausnahmen von den Rechten“ dahin verstanden werden können, dass sie nicht nur Ausnahmen von den Rechten, sondern auch von deren Beschränkungen umfasst, wäre festzustellen, dass eine Auslegung von Art. 9 der Richtlinie, wonach der Schutz auf Sachverhalte beschränkt ist, in denen das patentierte Erzeugnis seine Funktion erfüllt, nicht geeignet erscheint, unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung des Patents zu stehen und die berechtigten Interessen des Inhabers des Patents auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen Dritter unangemessen zu beeinträchtigen.

77      Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, dass sich die Art. 27 und 30 des TRIPS-Übereinkommens nicht auf die Art. 9 der Richtlinie gegebene Auslegung auswirken.

 Kosten

78      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 9 der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn das patentierte Erzeugnis in Sojamehl enthalten ist, wo es nicht die Funktion erfüllt, für die es patentiert ist, diese Funktion jedoch zuvor in der Sojapflanze erfüllt hat, aus der dieses Mehl als Verarbeitungserzeugnis gewonnen wurde, oder wenn das Erzeugnis diese Funktion möglicherweise erneut erfüllen könnte, nachdem das Material aus dem Mehl isoliert und dann in die Zelle eines lebenden Organismus eingebracht worden ist, keinen patentrechtlichen Schutz gewährt.

2.      Art. 9 der Richtlinie 98/44 nimmt eine abschließende Harmonisierung des von ihm gewährten Schutzes vor, so dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einen absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses als solchen vorsieht, unabhängig davon, ob es die Funktion, die es in dem Material innehat, in dem es enthalten ist, erfüllt oder nicht.

3.      Art. 9 der Richtlinie 98/44 steht dem entgegen, dass der Inhaber eines vor dem Erlass dieser Richtlinie erteilten Patents den absoluten Schutz des patentierten Erzeugnisses geltend macht, den ihm die seinerzeit geltende nationale Vorschrift verliehen haben soll.

4.      Die Art. 27 und 30 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche genehmigt wurde, wirken sich nicht auf die Art. 9 der Richtlinie 98/44 gegebene Auslegung aus.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.