Language of document : ECLI:EU:C:2011:754

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 17. November 2011(1)

Rechtssache C‑500/10

Ufficio IVA di Piacenza

gegen

Belvedere Costruzioni Srl

(Vorabentscheidungsersuchen der Commissione tributaria centrale, sezione di Bologna [Italien])

„Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten – Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie – Einstellung gerichtlicher Verfahren ohne Entscheidung in dritter Instanz“





1.        Um einen erheblichen Arbeitsrückstand bei den Finanzgerichten abzubauen, hat die Italienische Republik Rechtsvorschriften erlassen, wonach in Rechtsstreitigkeiten, in denen die Steuerverwaltung in erster Instanz und in der ersten Rechtsmittelinstanz unterlegen ist und die insgesamt seit mehr als zehn Jahren anhängig sind, von der Steuerverwaltung angestrengte letztinstanzliche Rechtsmittelverfahren ohne Entscheidung in der Sache einzustellen sind.

2.        Die Commissione tributaria centrale, sezione di Bologna (Zentrales Finanzgericht, Abteilung Bologna), bei der solche Verfahren anhängig sind, möchte wissen, ob eine solche Bestimmung bei mehrwertsteuerrechtlichen Streitigkeiten mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die wirksame Erhebung der Steuer sicherzustellen, vereinbar ist.

 EU-Recht

3.        Nach Art. 4 Abs. 3 EUV (früher Art. 10 EG) haben die Mitgliedstaaten die Erfüllung der Verpflichtungen sicherzustellen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Die Mehrwertsteuervorschriften enthalten weitere spezifische Verpflichtungen.

4.        Seit dem 1. Januar 2007 ergeben sich die wesentlichen mehrwertsteuerlichen Bestimmungen aus der Richtlinie 2006/112(2). Zum im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt waren sie in der Sechsten Richtlinie(3) enthalten. Das nationale Gericht nimmt insbesondere Bezug auf deren Art. 2 und 22.

5.        Art. 2 bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1.         Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

2.         die Einfuhr von Gegenständen.“(4)

6.        Art. 22 der Sechsten Richtlinie trägt die Überschrift „Pflichten im inneren Anwendungsbereich“. Das nationale Gericht zitiert aus drei Absätzen:

„4.      Jeder Steuerpflichtige hat innerhalb eines Zeitraums, der von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen ist, eine Steuererklärung abzugeben. …

5.      Jeder Steuerpflichtige hat bei der Abgabe der periodischen Steuererklärung den sich nach Vornahme des Vorsteuerabzugs ergebenden Mehrwertsteuerbetrag zu entrichten. …

8.      … [D]ie Mitgliedstaaten [können] weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.“(5)

7.        Das nationale Gericht zitiert außerdem aus den Randnrn. 37 bis 39 des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑132/06, Kommission/Italien(6):

„37      Aus den Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie sowie aus Art. 10 EG geht hervor, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten. Hierzu müssen die Mitgliedstaaten die Erklärungen der Steuerpflichtigen, deren Konten und die anderen einschlägigen Unterlagen prüfen und die geschuldete Steuer berechnen und einziehen.

38      Im Rahmen des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sind die Mitgliedstaaten gehalten, die Beachtung der Verpflichtungen sicherzustellen, denen die Steuerpflichtigen unterliegen. Sie verfügen insoweit insbesondere hinsichtlich der Art des Einsatzes der ihnen zu Gebote stehenden Mittel über einen gewissen Spielraum.

39      Dieser Spielraum wird jedoch durch die Verpflichtung begrenzt, eine wirksame Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft sicherzustellen und bei der Behandlung der Steuerpflichtigen keine bedeutsamen Unterschiede zu schaffen, und zwar weder innerhalb eines der Mitgliedstaaten noch in den Mitgliedstaaten insgesamt. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Sechste Richtlinie gemäß dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem Gemeinsamen Mehrwertsteuersystem innewohnt, auszulegen ist, dem zufolge Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen (Urteil vom 16. September 2004, Cimber Air, C‑382/02, Slg. 2004, I‑8379, Randnr. 24). Jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die die Erhebung der Mehrwertsteuer betrifft, muss diesem Grundsatz Rechnung tragen.“

8.        In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass eine italienische Steueramnestie (Art. 8 und 9 des Gesetzes Nr. 289/2002), die die sich aus den Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie ergebenden Verpflichtungen sehr kurze Zeit nach dem Ablauf der Frist zur Entrichtung der normalerweise geschuldeten Mehrwertsteuerbeträge durch andere Verpflichtungen ersetzte, die nicht die Zahlung dieser Beträge verlangten, diesen Bestimmungen jede Bedeutung genommen habe. Das Gesetz führte nahezu zu einer Steuerbefreiung und damit zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sowie zu einer Verfälschung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, indem es erhebliche Unterschiede bei der Behandlung der Steuerpflichtigen im italienischen Hoheitsgebiet einführte und gegen die Verpflichtung verstieß, eine in allen Mitgliedstaaten gleichmäßige Steuererhebung sicherzustellen(7).

9.        Der Gerichtshof entschied daher, dass die Italienische Republik durch die Bestimmung eines allgemeinen und undifferenzierten Verzichts auf die Überprüfung der in mehreren Besteuerungszeiträumen bewirkten steuerbaren Umsätze gegen ihre Verpflichtungen nach Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie und Art. 10 EG verstoßen hatte.

 Italienisches Recht

10.      Bis zum 1. April 1996 waren für Steuerstreitigkeiten in Italien erst- und zweitinstanzliche Finanzgerichte auf örtlicher und Provinzebene sowie als letzte Rechtsmittelinstanz die Commissione tributaria centrale mit Sitz in Rom zuständig. Mit Wirkung vom 1. April 1996(8) wurde dieses System durch Finanzgerichte auf regionaler und Provinzebene sowie eine Rechtsmittelinstanz bei der Corte di cassazione (Kassationsgericht) ersetzt. Die Commissione tributaria centrale wurde grundsätzlich abgeschafft. Neue Rechtsmittel wurden nicht mehr angenommen; es finden allerdings noch Verhandlungen ihrer regionalen und Provinzabteilungen statt, bis alle zu jenem Zeitpunkt anhängigen Verfahren abgeschlossen sind. Dieser Abschluss steht noch aus(9).

11.      Die Vorschrift, mit der das vorlegende Gericht befasst(10) ist, trat am 26. Mai 2010 in Kraft. Sie bestimmt:

„Um den Abschluss gerichtlicher Verfahren in Steuersachen innerhalb angemessener Frist in Übereinstimmung mit der [Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK)] zu gewährleisten, werden anhängige abgabenrechtliche Streitverfahren, in denen die Klageerhebung in erster Instanz mehr als zehn Jahre vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes erfolgt ist, mit dem die vorliegende Verordnung in ein Gesetz umgewandelt wurde, und in denen die Steuerverwaltung in erster und zweiter Instanz unterlegen ist, aus Gründen eines Verstoßes gegen das Erfordernis der ‚angemessenen Frist‘ nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nach den folgenden Bestimmungen eingestellt:

a)      Bei der Commissione tributaria centrale anhängige abgabenrechtliche Streitverfahren werden mit Ausnahme derjenigen Verfahren, die ein Erstattungsverlangen zum Gegenstand haben, durch Anordnung des Präsidenten des Gerichts oder durch ein beauftragtes anderes Mitglied des Kollegiums eingestellt …;

b)      bei der Corte di cassazione anhängige abgabenrechtliche Streitverfahren können durch Zahlung eines Betrags in Höhe von 5 Prozent des Streitwerts … bei gleichzeitigem Verzicht auf jeglichen Anspruch auf eine billige Entschädigung im Sinne des Gesetzes Nr. 89 vom 24. März 2001[(11)] beendet werden. Hierzu kann der Steuerpflichtige innerhalb von neunzig Tagen ab Inkrafttreten des Umwandlungsgesetzes für die vorliegende Gesetzesverordnung einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Geschäftsstelle oder Kanzlei stellen, dem ein Beleg für die entsprechende Zahlung beizufügen ist. Die in diesem Absatz genannten Verfahren werden bis zum Ablauf der im zweiten Satz dieses Absatzes genannten Frist ausgesetzt und nach vollständiger Zahlung der Verfahrenskosten eingestellt. Eine Rückerstattung ist in jedem Fall ausgeschlossen. …“

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

12.      Die Belvedere Costruzioni Srl (im Folgenden: Belvedere) gab in ihrer Mehrwertsteuererklärung für 1980 ein Guthaben in Höhe von 24 288 000 ITL an. Sie reichte ihre Mehrwertsteuererklärung für 1981 am 8. April 1982 verspätet ein. In ihrer Mehrwertsteuererklärung für 1982 brachte sie den Betrag von 22 264 000 ITL(12) als Mehrwertsteuer-Guthaben aus der Erklärung für 1981 in Abzug.

13.      Im August 1985 änderte die Steuerbehörde den Steuerbescheid für Belvedere für 1982 mit der Begründung, dass die Gesellschaft ihre Steuererklärung für 1981 verspätet eingereicht habe und das Guthaben von 22 264 000 ITL daher nicht in Abzug bringen könne.

14.      Im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht machte Belvedere geltend, dass der Anspruch nicht aus dem Besteuerungszeitraum 1981 resultiere, sondern aus dem in ihrer Steuererklärung für 1980 ausgewiesenen Guthaben. Das Recht, in einem bestimmten Jahr zu viel gezahlte Mehrwertsteuer in den Folgejahren abzuziehen, erlösche nur dann, wenn sowohl die Verrechnung im Erhebungszeitraum als auch die Abrechnung in der Jahressteuererklärung unterblieben seien. Da dies bei Belvedere nicht der Fall gewesen sei, habe sie das in der Steuererklärung für 1980 ausgewiesene Guthaben in ihrer Steuererklärung für 1982 noch in Abzug bringen können.

15.      Die Steuerbehörde machte geltend, dass die Steuererklärung für 1981 verspätet eingereicht und daher unwirksam sei. Es sei somit in jenem Jahr weder eine Erstattung beantragt noch von der Gesellschaft erklärt worden, dass sie beabsichtige, das Mehrwertsteuerguthaben im Jahr 1982 in Abzug zu bringen. In der Steuererklärung für 1982 ein Guthaben in Abzug zu bringen, das nicht in einer wirksamen Erklärung für 1981 ausgewiesen sei, sei daher rechtswidrig.

16.      Das erstinstanzliche Finanzgericht urteilte im Oktober 1986 zugunsten von Belvedere. Das zweitinstanzliche Gericht wies das von der Steuerbehörde eingelegte Rechtsmittel im Mai 1990 ab. Die Behörde legte hiergegen im Juli 1990 ein weiteres Rechtsmittel zum vorlegenden Gericht ein. Im Jahr 2008 bekräftigte sie ihr Interesse daran, das Rechtsmittel aufrechtzuerhalten. Das Vorbringen beider Parteien ist mit dem in den Vorinstanzen im Wesentlichen identisch.

17.      Die Commissione tributaria centrale legte dem Gerichtshof im September 2010 eine Frage zur Vorabentscheidung vor. Nach der streitigen Bestimmung muss das vorlegende Gericht das Verfahren durch einen Beschluss einstellen, der in Rechtskraft erwächst und die von der Steuerbehörde über drei gerichtliche Instanzen verfolgte Forderung endgültig zum Erlöschen bringt. Im Licht des Urteils in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑132/06) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dies mit dem EU-Recht vereinbar ist. Es ersucht daher um eine Vorabentscheidung über folgende Frage:

Stehen Art. 10 EG (jetzt Art. 4 EU) sowie die Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie einer in Art. 3 Abs. 2bis des Decreto-legge Nr. 40 vom 25. März 2010, umgewandelt in das Gesetz Nr. 73 vom 22. Mai 2010, enthaltenen Rechtsvorschrift des italienischen Staates entgegen, die das Finanzgericht an einer Entscheidung über das Bestehen einer nach fristgerecht eingelegtem Rechtsmittel der Verwaltung im Rechtsmittelverfahren verfolgten abgabenrechtlichen Forderung hindert und so den vollständigen Verzicht auf die bestrittene Mehrwertsteuerforderung bewirkt, sofern das Bestehen dieser Forderung in zwei Instanzen verneint wurde, ohne dass die geringste Zahlung des durch diesen Verzicht begünstigten Steuerpflichtigen auf die bestrittene Forderung erfolgt?

18.      Die italienische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und mündliche Ausführungen gemacht.

Vorfragen

Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts

19.      Das Ausgangsverfahren betrifft die Veranlagungsjahre 1980 bis 1982. Da seit 1996 keine neuen Rechtsmittel mehr bei der Commissione tributaria centrale anhängig gemacht worden sind, betreffen alle von der streitigen Bestimmung erfassten Verfahren vor diesem Zeitpunkt liegende Jahre. Ich bin daher mit der Kommission der Auffassung, dass sich die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach den mehrwertsteuerlichen Bestimmungen des Unionsrechts aus der Sechsten Richtlinie und nicht aus der Richtlinie 2006/112 ergeben, die erst seit dem 1. Januar 2007 anwendbar ist.

20.      Was die einschlägige Vertragsbestimmung – Art. 10 EG oder Art. 4 Abs. 3 EUV – betrifft, mag die Rechtslage weniger eindeutig sein, weil die streitige Bestimmung im Mai 2010, also nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, in Kraft getreten ist. Da jedoch beide Bestimmungen im Wesentlichen die gleichen positiven und negativen Verpflichtungen vorsehen, ist die Abgrenzung rein formaler Natur.

Einschlägige Vorschriften des italienischen Rechts

21.      Art. 3 Abs. 2bis Unterabs. a und b der umgewandelten Gesetzesverordnung legen deutlich unterschiedliche Voraussetzungen für die Einstellung von Verfahren fest, je nachdem, ob diese bei der Commissione tributaria centrale oder bei der Corte di cassazione anhängig sind. So werden in ersterem Fall Verfahren von Amts wegen eingestellt, ohne dass eine Zahlung auf Steuerforderungen erfolgt, wohingegen in letzterem Fall Verfahren auf Antrag innerhalb von 90 Tagen eingestellt werden können und der Steuerpflichtige eine Zahlung von 5 % auf den streitigen Betrag leisten muss(13).

22.      Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft nur Unterabs. a. Die Frage der Zulässigkeit der Regelung des Unterabs. b stellt sich nicht. Diese Frage ist Gegenstand einer anderen Vorlage an den Gerichtshof(14), die jedoch nicht die Mehrwertsteuer, eine auf Unionsebene harmonisierte Steuer, betrifft, sondern eine nicht harmonisierte direkte Steuer auf Dividenden, der offenbar eine außerhalb der Union ansässige Gesellschaft unterlag.

23.      Ein Vergleich von Unterabs. b mit Unterabs. a mag zwar in mancher Hinsicht lehrreich sein, doch halte ich es für wichtig, die beiden Bestimmungen auseinanderzuhalten. Insbesondere würde ich, anders als die Kommission, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren der Art und Weise, wie die Corte di cassazione Unterabs. b in ihrem Vorlagebeschluss in jener anderen Rechtssache beschrieben oder ausgelegt hat, keine Bedeutung zumessen.

Relevante Aspekte des Ausgangsverfahrens

24.      Die Ausgangsstreitigkeit betrifft das Recht eines Steuerpflichtigen, ein geltend gemachtes Mehrwertsteuerguthaben auf das zweite dem Jahr der behaupteten Entstehung des Anspruchs folgende Jahr vorzutragen, wenn die Steuererklärung für das dazwischen liegende Jahr nicht fristgerecht abgegeben worden ist. Für die Rechtsfrage von Bedeutung ist offenbar auch das relative Gewicht, das den beiden sich möglicherweise teils widersprechenden Verfahrensvorschriften des italienischen Mehrwertsteuerrechts jeweils zuzumessen ist.

25.      Die Entscheidung des Rechtsstreits in der Sache ist jedoch für die Vorlagefrage unerheblich; die Frage, ob dieser zugunsten von Belvedere oder der Steuerbehörde zu entscheiden ist (oder entschieden worden ist), ist also nicht relevant.

26.      Relevant ist demgegenüber, dass das Verfahren in der ersten Instanz mehr als 10 Jahre vor Inkrafttreten der streitigen Bestimmung begann (wobei diese Voraussetzung zwangsläufig für jedes derzeit bei der Commissione tributaria centrale anhängige Rechtsmittel gegeben ist, nachdem seit 1996 keine neuen Rechtsmittel mehr möglich sind) und dass die Steuerbehörde sowohl in erster als auch in zweiter Instanz unterlegen ist. Die in der streitigen Bestimmung für eine automatische Einstellung des Verfahrens vor der Commissione tributaria centrale aufgestellten Voraussetzungen sind daher erfüllt. Die zu klärende Frage ist, ob eine solche Einstellung auf Grundlage dieser Voraussetzungen mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

27.      Die Kommission hat ausgeführt, dass das erstinstanzliche Gericht der Begründung seiner Entscheidung zugunsten von Belvedere lediglich acht Zeilen gewidmet und das Gericht der ersten Rechtsmittelinstanz seine Begründung in vier Zeilen gefasst habe.

28.      Auch dieser Umstand dürfte für die zu klärende Frage, die alle bei der Commissione tributaria centrale anhängigen Verfahren betrifft, unerheblich sein. Aber auch unabhängig davon ist eine besondere Bedeutung dieses Umstands nicht ersichtlich, nachdem die erste Rechtsmittelschrift der Steuerbehörde selbst nur 12 Zeilen an rechtlicher Begründung enthielt (erweitert auf 24 Zeilen in ihrer zweiten Rechtsmittelschrift).

Zusammenfassende Darstellung des Vorbringens zur Sache

29.      Nach Ansicht der Kommission ist von der Auslegung der streitigen Bestimmung durch das vorlegende Gericht in der Vorlagefrage auszugehen, nämlich dass diese „den vollständigen Verzicht auf die bestrittene Mehrwertsteuerforderung bewirkt“, wenn die in der streitigen Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt seien.

30.      Auf dieser Grundlage vertritt die Kommission die Auffassung, dass die streitige Bestimmung einen allgemeinen Verzicht der Art darstelle, die der Gerichtshof in der Rechtssache C‑132/06 beanstandet habe, und daher aus im Wesentlichen den gleichen Gründen wie den in jenem Urteil angeführten mit dem Unionsrecht unvereinbar sei. Die streitige Bestimmung bringe eine ganze Kategorie von Forderungen der Steuerbehörden einfach zum Erlöschen, ohne dass einzelfallbezogene Umstände bewertet würden. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission allerdings erklärt, dass wegen der streitigen Bestimmung kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet worden sei.

31.      Die italienische Regierung meint, die streitige Bestimmung sei im Unterschied zu der Amnestie, die Gegenstand der Rechtssache C‑132/06 gewesen sei, eine rein verfahrensrechtliche Vorschrift für das Verfahren vor den Finanzgerichten und wirke auf einer Ebene, die der Ausübung staatlicher Befugnisse und Erfüllung staatlicher Verpflichtungen im Bereich der Überprüfung und Erhebung als Mehrwertsteuer geschuldeter Forderungen nachgelagert sei. Der Gerichtshof sei zwar grundsätzlich an die Auslegung des nationalen Rechts durch das nationale Gericht gebunden, doch sei der Vorlagebeschluss im vorliegenden Verfahren insoweit mangelhaft, als er nicht erläutere, warum die streitige Bestimmung als allgemeiner Verzicht anzusehen sei. Daher sei die von der italienischen Regierung selbst vorgenommene Erläuterung vom Gerichtshof zu berücksichtigen.

32.      Hilfsweise trägt die italienische Regierung vor, dass die streitige Bestimmung anders als die Amnestie, die Gegenstand der Rechtssache C‑132/06 gewesen sei, das Gemeinsame Mehrwertsteuersystem oder den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht schwerwiegend beeinträchtige und auch nicht Steuerpflichtige begünstige, die sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hätten(15). Vielmehr finde sie nur auf Fälle Anwendung, in denen die Notwendigkeit, das in der EMRK niedergelegte Erfordernis einer zeitgerechten Erledigung von Streitverfahren zu wahren, und das Bedürfnis, ein durch immer länger dauernde Verfahren überlastetes Gerichtssystem zu entlasten, das geminderte öffentliche Interesse an der Verfolgung abgabenrechtlicher Forderungen überwiege, die schon in erster und zweiter Instanz abgelehnt worden seien.

Würdigung

Auslegung der streitigen Bestimmung

33.      Auch wenn die Auslegung der streitigen Bestimmung Sache der nationalen Gerichte ist, teile ich nicht die Auffassung, dass der Gerichtshof strikt an die Beschreibung dieser Bestimmung in der Vorlagefrage als vollständiger Verzicht auf die erhobene Mehrwertsteuerforderung gebunden sei. Die Wirkung der Bestimmung lässt sich anhand ihres Wortlauts bestimmen. Was das vorlegende Gericht wissen möchte, ist, ob diese Wirkung als „allgemeiner und undifferenzierter Verzicht auf die Überprüfung steuerbarer Umsätze“ im Sinne des Urteils in der Rechtssache C‑132/06 oder als einem solchen so hinreichend ähnlich anzusehen ist, dass er ebenso gegen das Unionsrecht verstößt. Die Vorlagefrage setzt nicht voraus, dass die streitige Bestimmung als ein solcher Verzicht anzusehen ist. Wäre dies der Fall, hätte das vorlegende Gericht die Frage mit seiner eigenen Auslegung schon beantwortet.

34.      Sollte sich der Gerichtshof jedoch an diese Auslegung gebunden sehen, müsste er die Frage bejahen.

Vergleich mit den in der Rechtssache C‑132/06 fraglichen Bestimmungen

35.      Die Wirkung der streitigen Bestimmung unterscheidet sich deutlich von derjenigen der Bestimmungen, die in der Rechtssache C‑132/06 in Rede standen.

36.      Diese Bestimmungen(16) gewährten im Wesentlichen eine weitreichende Befreiung von der Erhebung oder Überprüfung nicht fristgerecht erklärter Mehrwertsteuerbeträge durch die Steuerbehörden gegen eine Zahlung, die von der Hälfte des später als geschuldet erklärten Betrags bis hin zu einer Abgabenzahlung in rein symbolischer Höhe reichte. Nach den Feststellungen des Gerichtshofs(17) hatten sie die Wirkung, dass „sie Steuerpflichtige, die sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht [hatten], begünstigt[en]“. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt(18), dass „die fragliche Maßnahme, indem sie sehr kurz nach dem Ablauf der für die Steuerpflichtigen geltenden Fristen für die Entrichtung der Mehrwertsteuer eine Amnestie eingeführt hat und die Entrichtung eines im Vergleich zur tatsächlich geschuldeten Steuer sehr geringen Betrags verlangt, den betreffenden Steuerpflichtigen [erlaubt], sich ihren Verpflichtungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer endgültig zu entziehen, obwohl die nationalen Steuerbehörden wenigstens einen Teil dieser Steuerpflichtigen in den vier Jahren vor der Verjährung der normalerweise geschuldeten Steuer hätten ermitteln können. In diesem Sinne stellt das Gesetz Nr. 289/2002 die jeden Mitgliedstaat treffende Verantwortlichkeit in Frage, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen.“

37.      Diese Feststellungen sind hier auf die streitige Bestimmung nicht übertragbar. Wie auch zwischen der italienischen Regierung und der Kommission unstreitig, findet die Bestimmung auf die gerichtliche Phase und nicht auf die Verwaltungsphase Anwendung, für die die Steuerbehörden verantwortlich sind. Ihr verfahrensrechtlicher Charakter wird auch dadurch unterstrichen, dass sie nicht nur auf die Mehrwertsteuer Anwendung findet, wie dies bei den in der Rechtssache C‑132/06 fraglichen Bestimmungen der Fall war, sondern auf alle Arten von Steuern betreffende Rechtsmittelverfahren vor der Commissione tributaria centrale. Es geht auch nicht um eine Befreiung von einer Steuerprüfung oder ‑erhebung durch die Steuerbehörden. Alle betroffenen Fälle waren geprüft und die für geschuldet befundenen Beträge eingefordert worden, bevor die streitige Bestimmung in Kraft trat. Die Bestimmung beendet das von der Steuerbehörde angestrengte letztinstanzliche Rechtsmittelverfahren gegen eine ablehnende gerichtliche Entscheidung, aber sie kommt nicht in besonderer Weise denjenigen zugute, die sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerhinterzieher zweimal eine Streitigkeit mit der Steuerbehörde vor Gericht für sich entscheiden können – nicht nur erstinstanzlich, sondern auch im Rechtsmittelverfahren –, dürfte vielmehr gering sein (äußerst gering, wie zu hoffen wäre). Schließlich trat die streitige Bestimmung über 14 Jahre nach dem Zeitpunkt in Kraft, zu dem ein letztinstanzliches Rechtsmittelverfahren letztmalig angestrengt werden konnte, also nicht „sehr kurz nach dem Ablauf der für die Steuerpflichtigen geltenden Fristen für die Entrichtung der Mehrwertsteuer“(19).

38.      Es lässt sich daher nicht behaupten, dass die streitige Bestimmung „die jeden Mitgliedstaat treffende Verantwortlichkeit …, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen“, in gleicher Weise in Frage stellt wie die in der Rechtssache C‑132/06 in Rede stehenden Bestimmungen.

 Verpflichtungen der Mitgliedstaaten

39.      Die Kommission betont die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, „alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in [ihrem] Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten“, „die Beachtung der Verpflichtungen sicherzustellen, denen die Steuerpflichtigen unterliegen“, „eine wirksame Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft zu garantieren“ und „bei der Behandlung der Steuerpflichtigen keine bedeutsamen Unterschiede zu schaffen“(20).

40.      Diese Verpflichtungen gehen aber nicht so weit, dass generell sicherzustellen wäre, dass die Steuerbehörden gegen gerichtliche Entscheidungen so lange Rechtsmittel einlegen können, bis eine ihnen günstige Entscheidung ergangen ist. Ebenso wenig gibt es im Unionsrecht einen Grundsatz, der gebietet, dass mehr als eine Rechtsmittelinstanz zur Verfügung steht. Der Gerichtshof selbst ist in bestimmten Verfahrensarten ein Beispiel für ein Gericht erster und letzter Instanz. In manchen anderen Rechtsordnungen gibt es kein uneingeschränktes Recht auf einen Rechtsbehelf, und ein Rechtsmittel einer in zwei Vorinstanzen unterlegenen Partei dürfte selten zugelassen werden. In jeder Rechtsordnung muss es einen Punkt geben, ab dem kein weiterer Rechtsbehelf mehr zur Verfügung steht. In keiner Rechtsordnung gibt es eine Garantie dafür, dass die letztinstanzliche Entscheidung in rechtlicher Hinsicht unangreifbar richtig ist.

41.      Die streitige Bestimmung beendet das letztinstanzliche Rechtsmittelverfahren, das die Steuerbehörde angestrengt hat, nachdem sie in erster und zweiter Instanz unterlegen war. Die Bestimmung betrifft daher eine Situation, in der die Behörde das getan hat, was als Ergreifung geeigneter Maßnahmen gelten kann, um die Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen, die sie für geschuldet hält, in der aber ein erstinstanzliches Gericht und ein Rechtsmittelgericht übereinstimmend entschieden haben, dass die geforderte Mehrwertsteuer tatsächlich nicht geschuldet ist. Ich kann nicht erkennen, dass in einer solchen Regelung an sich ein Versäumnis des Mitgliedstaats liegen soll, die ordnungsgemäße Umsetzung des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sicherzustellen.

42.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission eingeräumt, dass keine allgemeine Verpflichtung des Mitgliedstaats bestehe, sicherzustellen, dass die Steuerbehörde in mehrwertsteuerrechtlichen Streitigkeiten ein zweites Rechtsmittel einlegen könne; sie hat aber die Ansicht vertreten, dass es, wenn ein solches Rechtsmittel normalerweise zur Verfügung stehe, unzulässig sei, eine willkürlich definierte Untergruppe von Rechtsmitteln zu „köpfen“, nachdem sie eingelegt worden seien, aber bevor über sie habe entschieden werden können.

43.      Meines Erachtens betrifft die streitige Bestimmung nicht eine willkürlich definierte Untergruppe von Rechtsmitteln. Sie gilt für alle Rechtsmittelverfahren vor der Commissione tributaria centrale, in denen die Steuerbehörde in erster und zweiter Instanz unterlegen ist und die alle seit mehr als 10 Jahren (in der Praxis 14 Jahren) anhängig sind. Die Verpflichtung des Mitgliedstaats nach Art. 22 der Sechsten Richtlinie, die korrekte Bemessung und Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen, impliziert eine Erfüllung innerhalb eines weitaus kürzeren Zeitraums(21). Es ließe sich wohl die Ansicht vertreten, dass Italien diese Verpflichtung verletzt hat, indem es trotz zweier gerichtlicher Entscheidungen zugunsten der gleichen Partei nicht sichergestellt hat, dass Streitverfahren über die Bemessung innerhalb angemessener Frist nach dem Zeitpunkt abgeschlossen werden, zu dem die Mehrwertsteuer spätestens hätte erklärt werden müssen. Meines Erachtens kann aber nicht geltend gemacht werden, dass es seine Verpflichtung dadurch verletzt hat, dass solche Streitverfahren nach 14 Jahren auf die einzige Art und Weise beendet werden, die die Rechte der Partei, zu deren Gunsten diese vorherigen Urteile ergangen sind, nicht verletzen würde. (Zu betonen ist, dass sich diese Anmerkungen nur auf die streitige Bestimmung beziehen, nicht aber auf die andere Bestimmung über Rechtsmittelverfahren vor der Corte di cassazione oder für das Verhältnis zwischen diesen beiden Bestimmungen.)

44.      Die Kommission verweist ferner auf die Urteile des Gerichtshofs in der Rechtssache Lucchini(22) und insbesondere in der Rechtssache Fallimento Olimpiclub(23). Beide Rechtssachen betrafen die Anwendung des Grundsatzes der Rechtskraft im italienischen Recht. In der Rechtssache Lucchini hat der Gerichtshof entschieden, dass das Unionsrecht der Anwendung einer auf die Verankerung dieses Grundsatzes abzielenden Vorschrift des nationalen Rechts entgegensteht, soweit ihre Anwendung die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe behindert, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine bestandskräftig gewordene Entscheidung der Kommission festgestellt wurde. In der Rechtssache Fallimento Olimpiclub hat der Gerichtshof unter Verweis auf das Urteil Lucchini entschieden, dass die Anwendung derselben Vorschrift in einer mehrwertsteuerrechtlichen Streitigkeit über ein Veranlagungsjahr, für das noch keine endgültige gerichtliche Entscheidung ergangen ist, unzulässig ist, soweit sie das nationale Gericht an der Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zu missbräuchlichen Praktiken auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hindert. Die Kommission versucht, insoweit eine Parallele zwischen diesen beiden Fällen der unzulässigen Anwendung des Grundsatzes der Rechtskraft und der streitigen Bestimmung zu ziehen, als Letztere die Entscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts in Rechtskraft erwachsen lasse und damit die Entscheidung über die Frage der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht dem (eigentlich dafür zuständigen) letztinstanzlichen Rechtsmittelgericht entziehe.

45.      Meines Erachtens kann diese Parallele nicht gezogen werden. Der Rechtssache Lucchini lag eine sehr spezielle Fallgestaltung zugrunde; es ging um Grundsätze, die die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen regeln, auf dem die Kommission die ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt hat. In der Rechtssache Fallimento Olimpiclub, die insoweit engere Bezüge aufweist, als sie die Mehrwertsteuer betraf, ging es um die spezielle Frage, ob es mit dem Grundsatz der Effektivität vereinbar ist, den Grundsatz der Rechtskraft dahin auszulegen, dass in mehrwertsteuerrechtlichen Streitigkeiten die rechtskräftige Entscheidung in einer bestimmten Rechtssache, wenn sie einen auch für andere Rechtssachen grundlegenden Punkt betrifft, hinsichtlich dieses Punktes Bindungswirkung entfaltet, selbst wenn die aus diesem Anlass getroffenen Feststellungen einen anderen Veranlagungszeitraum betreffen. Nachdem im vorliegenden Fall keine dieser beiden Fallgestaltungen und auch keine damit vergleichbare Konstellation vorliegt, ist dieses Verfahren im Licht seiner eigenen Besonderheiten zu entscheiden.

46.      Die Kommission betont ferner, dass die Mehrwertsteuer eine Quelle der Eigenmittel der Gemeinschaft bilde, für deren wirksame Erhebung die Mitgliedstaaten verantwortlich seien(24).

47.      Das ist natürlich richtig. Die aus der Mehrwertsteuer fließenden Eigenmittel sind auf 0,3 % der einheitlichen Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage eines jeden Mitgliedstaats festgesetzt(25). Da die theoretische harmonisierte Grundlage faktisch aufgrund einer Rückrechnung aus tatsächlich erhobenen Beträgen ermittelt wird(26), hat eine wirksame Erhebung durch die Mitgliedstaaten Auswirkungen auf die Einnahmenseite des Haushalts der Union.

48.      Die Verpflichtung zur wirksamen Erhebung kann jedoch nicht uneingeschränkt gelten. Kosten und Aussichten der Einziehung müssen gegen potenzielle Einnahmen abgewogen werden. Was die streitige Bestimmung angeht, würden nicht nur der Steuerbehörde Kosten durch die Weiterverfolgung der Verfahren entstehen, sondern auch dem Staat durch das Fortbestehen der Commissione tributaria centrale über einen voraussichtlich sehr langen Zeitraum. Die Einziehungsaussichten werden nicht nur dadurch geschmälert, dass zwei gerichtliche Entscheidungen gegen die Steuerbehörde ergangen sind, sondern auch durch den bloßen Zeitablauf, aufgrund dessen einige Forderungen selbst bei einer späteren günstigen Entscheidung uneinbringlich geworden sein könnten. Darüber hinaus muss die Erhebungspflicht mit der Pflicht abgewogen werden, dem Steuerpflichtigen einen Abschluss seiner Konten in angemessener Frist nach Ende jedes Mehrwertsteuer-Erhebungszeitraums zu ermöglichen. Wenn ein Rechtsstreit bereits über einen erheblichen Zeitraum anhängig ist, wird unausweichlich ein Punkt erreicht, an dem solche Erwägungen die Verpflichtung zur Verfolgung aller Mehrwertsteuerforderungen überwiegen müssen. Die hierfür in der streitigen Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen erscheinen in diesem Zusammenhang nicht unangemessen.

 Vergleich mit Art. 16 des Gesetzes Nr. 289/2002

49.      Die Kommission verweist auf die Rechtsprechung der Corte di cassazione zu Art. 16 des Gesetzes Nr. 289/2002, dessen Art. 8 und 9 Gegenstand der Klage der Kommission in der Rechtssache C‑132/06 waren und für die der Gerichtshof die Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht festgestellt hat. Nach Art. 16 kann der Steuerzahler die Einstellung von bei Finanzgerichten anhängigen Verfahren gegen eine Zahlung in Höhe von 10 % des Streitwerts bzw. 150 Euro bei Streitwerten unter 2 000 Euro erreichen. Die Corte di cassazione hat entschieden, dass diese Vorschrift aus den gleichen Gründen wie Art. 8 und 9 des Gesetzes Nr. 289/2002 mit dem Unionsrecht unvereinbar sei. Die Kommission macht geltend, dass dies bei der Beurteilung der streitigen Bestimmung, die sie für „praktisch identisch“ hält, relevant sei.

50.      Die Vereinbarkeit von Art. 16 des Gesetzes Nr. 289/2002 mit dem Unionsrecht ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens, und es ist nicht Sache des Gerichtshofs, hier zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass sich Art. 16 von der streitigen Bestimmung zumindest dadurch wesentlich unterscheidet, dass er auf alle vor Finanzgerichten anhängigen Verfahren Anwendung findet, und zwar ohne Rücksicht auf deren Dauer. Er kommt daher einem „allgemeinen Verzicht“ erheblich näher als die streitige Bestimmung, die nur auf Verfahren in der dritten Instanz Anwendung findet, die insgesamt seit mehr als 10 Jahren (in der Praxis seit mehr als 14 Jahren) anhängig sind. Ich bin daher nicht der Ansicht, dass die zu Art. 16 des Gesetzes Nr. 289/2002 ergangene nationale Rechtsprechung als für das hiesige Verfahren relevant anzusehen ist.

 Vergleich mit einer Streitbeilegung im Einzelfall

51.      Die Kommission weist darauf hin, dass die streitige Bestimmung zur Einstellung aller betroffenen Verfahren führe, ohne dass die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung zugunsten der Steuerbehörde berücksichtigt werde. Dem stellt sie andere Vorschriften des italienischen Rechts gegenüber, die eine gerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen der Steuerbehörde und dem Steuerpflichtigen nach einer individuellen Beurteilung des Streitfalls durch die Behörde und/oder Zahlung eines Teilbetrags der streitgegenständlichen Forderung durch den Steuerpflichtigen erlauben. Die streitige Bestimmung stellt nach Ansicht der Kommission einen allgemeinen Verzicht im Sinne des Urteils in der Rechtssache C‑132/06 dar und nicht eine Streitbeilegung im Einzelfall, die sie offenbar für zulässig hält.

52.      Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

53.      Richtig ist allerdings, dass eine in erster Instanz und in der ersten Rechtsmittelinstanz unterlegene Partei in der zweiten Rechtsmittelinstanz obsiegen kann. Ferner wird diese Partei vor Einlegung eines zweiten Rechtsmittels normalerweise ihr Begehren und die Erfolgsaussichten mehr oder weniger genau prüfen. Eine öffentliche Stelle wie eine Steuerbehörde mag auch aus allgemeineren Gründen der Rechtssicherheit daran interessiert sein, im öffentlichen Interesse eine letztinstanzliche Entscheidung herbeizuführen.

54.      Einerseits scheint die streitige Bestimmung die von der Steuerbehörde vorgenommene Bewertung ihres Interesses an einer Fortsetzung des Rechtsstreits praktisch durch eine quasi-statistische Prognose der Wahrscheinlichkeit einer anderslautenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz zu ersetzen. Wenn diese Wahrscheinlichkeit gering ist, wovon die streitige Bestimmung offenbar ausgeht, erscheint der Wegfall einer letztinstanzlichen Entscheidung zwar nicht ideal, aber doch weniger problematisch.

55.      Andererseits erscheint eine im Einzelfall ausgehandelte Streitbeilegung, bei der die Steuerbehörde auf die volle Höhe der ihrer Ansicht nach geschuldeten Forderung gegen eine Teilzahlung hierauf verzichtet, nicht vorzugswürdig. Dies bringt zwangsläufig entweder mehr oder weniger Steuern ein, als bei richtiger Auslegung der einschlägigen Vorschriften zu erheben gewesen wären, doch wird auch dabei von einer Entscheidung des letztinstanzlichen Gerichts über diese Auslegung abgesehen.

56.      Beide Ansätze sind alles andere als ein idealer Weg, die gesamte geschuldete Steuer zu erheben, aber keiner von ihnen erscheint unzulässig oder einem allgemeinen Verzicht im Sinne des Urteils in der Rechtssache C‑132/06 vergleichbar.

 Rechtfertigung durch die EMRK

57.      Demgegenüber ist die Notwendigkeit, dem Erfordernis der „angemessenen Frist“ nach Art. 6 Abs. 1 EMRK(27) (und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der auf die Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Unionsrechts anwendbar ist) zu entsprechen, als eindeutige und besonders starke Rechtfertigung für eine Regelung wie diejenige der streitigen Bestimmung anzusehen. Im Hinblick auf die Anforderungen der Rechtssicherheit ist eine Verfahrensdauer von 10 Jahren für ein gerichtliches Verfahren als besonders lang anzusehen, wenn diese nicht durch besondere Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist(28). Die streitige Bestimmung findet in der Praxis nur auf Verfahren Anwendung, die im April 2010 in der dritten Instanz seit 10 Jahren (in der Praxis 14 Jahren) oder länger anhängig waren und deren gesamte Verfahrensdauer somit erheblich länger war. Auch wenn eine solche Verfahrensdauer an sich natürlich ein ernstes, vom Mitgliedstaat anzugehendes Problem ist(29), bin ich nicht der Ansicht, dass die unionsrechtliche Verpflichtung, die wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen, es gebietet, einen Zustand der Rechtsunsicherheit im Hinblick auf eine streitige Steuerforderung, bezüglich deren bereits zwei Urteile zugunsten des Steuerpflichtigen ergangen sind, über mehr als 10 oder 14 Jahre aufrechtzuerhalten.

58.      Nach alledem vertrete ich daher die Auffassung, dass die streitige Bestimmung im vorliegenden Fall nicht mit den in der Rechtssache C‑132/06 in Rede stehenden vergleichbar ist und keinen Verstoß Italiens gegen seine Verpflichtung darstellt, die ordnungsgemäße Anwendung des Mehrwertsteuersystems sicherzustellen.

 Erfordernis der steuerlichen Neutralität

59.      Die streitige Bestimmung erscheint jedoch unter einem Gesichtspunkt fraglich, nämlich im Licht u. a. des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑132/06 zum Erfordernis der „steuerlichen Neutralität“, also zur Verpflichtung, „bei der Behandlung der Steuerpflichtigen keine bedeutsamen Unterschiede zu schaffen, und zwar weder innerhalb eines der Mitgliedstaaten noch in den Mitgliedstaaten insgesamt“(30).

60.      Die Kommission weist auf diesen Gesichtspunkt hin, wenn sie die Frage aufwirft, warum Art. 3 Abs. 2bis der umgewandelten Gesetzesverordnung, wenn ihr Ziel wirklich im Abbau eines Arbeitsrückstands bei vor der Commissione tributaria centrale und der Corte di cassazione anhängigen Verfahren bestehe, nur auf solche Verfahren Anwendung finde, die zu einem bestimmten Zeitpunkt seit mehr als 10 Jahren anhängig seien, und nicht auf alle Verfahren, die ab diesem Zeitpunkt die 10-Jahres-Grenze erreichten.

61.      Diese Frage erscheint mir bei der vorliegenden Rechtssache, die, wie ausgeführt, nur Verfahren vor der Commissione tributaria centrale betrifft, nicht angebracht. Als die streitige Bestimmung in Kraft trat, waren alle Rechtsmittelverfahren vor diesem Gericht bereits seit mehr als 10 Jahren anhängig, und es konnten keine weiteren Rechtsmittel mehr eingelegt werden.

62.      Gleichwohl begründet die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2bis insgesamt eine Ungleichbehandlung zwischen letztinstanzlichen Rechtsmittelverfahren in mehrwertsteuerrechtlichen Verfahren, da sie im Wesentlichen nach dem Zeitpunkt der Einlegung dieser Rechtsmittel und nicht nach der Dauer ihrer Anhängigkeit differenziert(31). Ein 10-Jahres-Kriterium kann im Hinblick auf das Erfordernis der „angemessenen Frist“ nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte zwar als objektives (wenn auch, wie bei allen Fristen, willkürliches) Differenzierungsmerkmal angesehen werden, aber es erscheint doch unzulässig, an dieses Kriterium je nach Zeitpunkt der Einlegung des letzten Rechtsmittels unterschiedliche Wirkungen zu knüpfen.

63.      Dennoch sehe ich darin keinen hinreichenden Grund, die streitige Bestimmung als solche mit der Verpflichtung Italiens, die wirksame Erhebung der Mehrwertsteuer und die wirksame Beachtung der Verpflichtungen der Steuerpflichtigen nach dem Mehrwertsteuersystem sicherzustellen, als unvereinbar anzusehen. Was erforderlich sein könnte, ist eine einheitliche Behandlung aller von Art. 3 Abs. 2bis der umgewandelten Gesetzesverordnung erfassten Fälle zumindest insoweit, als sie die Mehrwertsteuer betreffen. Wären bei einer Verfahrensdauer, die die 10-Jahres-Grenze erreicht, die Rechtsmittelverfahren vor der Corte di cassazione genauso zu behandeln wie diejenigen vor der Commissione tributaria centrale, könnte dieses Problem ausgeräumt werden. Denkbar wäre auch, die derzeitige Behandlung von Rechtsmittelverfahren vor der Corte di cassazione auf Rechtsmittelverfahren vor der Commissione tributaria centrale zu erstrecken. Es ist meines Erachtens jedoch nicht Sache des Gerichtshofs, im Zusammenhang mit diesem Vorabentscheidungsersuchen zu der einen oder anderen oder irgendeiner dritten Möglichkeit Stellung zu nehmen. Diese Erwägungen sind für die Frage, ob eine Maßnahme wie die streitige Bestimmung für sich genommen gegen das Unionsrecht in seiner richtigen Auslegung verstößt, irrelevant.

 Ergebnis

64.      Ich bin daher der Auffassung, dass der Gerichtshof die von der Commissione tributaria centrale gestellte Frage wie folgt beantworten sollte:

Eine nationale Bestimmung, wonach in mehrwertsteuerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Steuerpflichtigen und der Steuerbehörde nach Ablauf von 10 Jahren seit Klageerhebung ein von der Steuerbehörde angestrengtes zweites Rechtsmittelverfahren nach sowohl in erster Instanz als auch in der ersten Rechtsmittelinstanz gegen die Steuerbehörde ergangenen Urteilen ohne Weiteres einzustellen ist, ohne dass das zweite Rechtsmittelgericht eine Entscheidung in der Sache trifft, verstößt weder gegen Art. 4 Abs. 3 EUV (Art. 10 EG) noch gegen die Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).


3 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1), mit vielfachen Änderungen (im Folgenden: Sechste Richtlinie).


4 –      Vgl. nunmehr Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und d der Richtlinie 2006/112.


5 –      Art. 22 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1993 durch Art. 28h (Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen, ABl. L 376, S. 1) ersetzt, ohne dass die hier zitierten Bestimmungen wesentlich geändert worden wären. Vgl. nunmehr die Art. 252 Abs. 1, 206 und 273 der Richtlinie 2006/112.


6 – Slg. 2008, I‑5457.


7 – Randnrn. 43 und 44 des Urteils.


8 – Gesetzesverordnung Nr. 545/1992.


9 – Offenbar waren im Oktober 2010 noch fast 211 000 Rechtsmittelverfahren anhängig; der Abschluss aller bei der Commissione tributaria centrale anhängigen Verfahren wird bis 31. Dezember 2012 angestrebt, so dass diese dann endgültig aufgelöst werden kann.


10 – Art. 3 Abs. 2bis der Gesetzesverordnung Nr. 40/2010, umgewandelt in ein Gesetz durch Gesetz Nr. 73/2010, mit dem Art. 3 Abs. 2bis eingeführt wurde. Art. 3 trägt die Überschrift „Reduzierung von Prozessen und Rationalisierung der Erhebung“. Art. 3 Abs. 2bis Satz 1 und Unterabs. a wird im Folgenden als „streitige Bestimmung“ bezeichnet.


11 –      Das sogenannte „Pinto-Gesetz“, mit dem – nach einer Reihe von sehr kritischen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – ein Verfahren zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen für überlange Gerichtsverfahren eingeführt wurde.


12 – Entspricht etwa 11 500 Euro.


13 – Siehe oben, Nr. 11.


14 – Rechtssache C‑417/10, 3M Italia, in der die mündliche Verhandlung unmittelbar vor derjenigen des vorliegenden Verfahrens stattfand.


15 – Vgl. Randnrn. 44, 45 und 47 des Urteils in der Rechtssache C‑132/06.


16 – Siehe die Zusammenfassungen in den Randnrn. 8 ff. des Urteils und in den Nrn. 11 ff. meiner Schlussanträge in jener Rechtssache.


17 – Randnr. 47 des Urteils.


18 – Randnr. 52 des Urteils.


19 – Und im vorliegenden Fall geht es um einen Erstattungsanspruch, der vor etwa 30 Jahren entstanden (oder nicht entstanden) ist.


20 – Siehe Randnrn. 37 bis 39 des Urteils in der Rechtssache C‑132/06, zitiert oben in Nr. 7.


21 – Nach Art. 22 Abs. 4 und 5 der Sechsten Richtlinie hatten Steuerpflichtige innerhalb von zwei Monaten nach Ende des Steuerzeitraums, der die Dauer von einem Jahr nicht überschreiten durfte, eine Steuererklärung abzugeben und bei deren Abgabe den sich nach Vornahme des Vorsteuerabzugs ergebenden Mehrwertsteuerbetrag zu entrichten.


22 – Urteil des Gerichtshofs vom 18. Juli 2007, Lucchini (C‑119/05, Slg. 2007, I‑6199)


23 – Rechtssache C‑2/08, Slg. 2009, I‑7501.


24 – Vgl. Erwägungsgründe 2 und 14 der Sechsten Richtlinie und Randnr. 39 des Urteils in der Rechtssache C‑132/06.


25 – Vgl. Art. 2 des Beschlusses 2007/436/EG, Euratom des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 163, S. 17).


26 – Vgl. Die öffentlichen Finanzen der Europäischen Union, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 4. Aufl. 2008, S. 239.


27 – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK durch überlange Verfahren in Italien, auch mit einer Dauer von weniger als 10 Jahren, festgestellt (vgl. z. B. Urteile vom 18. Oktober 2001, Sciortino/Italien, Nr. 30127/96, 2. Sektion, Randnrn. 19 ff., und vom 29. März 2006, Sciortino/Italien [Nr. 1], Große Kammer, Nr. 36813/97, Slg. 2006-V, Randnrn. 175 ff.).


28 – Was Verfahren vor den Unionsgerichten betrifft, vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt (C‑385/07 P, Slg. 2009, I‑6155, Randnrn. 181 ff.).


29 – Siehe oben, Fn. 9.


30 – Randnr. 39 des Urteils.


31 – Tatsächlich wird in dreifacher Hinsicht differenziert: Rechtsmittelverfahren vor der Commissione tributaria centrale werden anders behandelt als solche vor der Corte di cassazione, und Rechtsmittelverfahren vor der Corte di cassazione werden danach unterschiedlich behandelt, ob das betreffende Verfahren vor oder nach dem 26. Mai 2000 in erster Instanz anhängig war.