Language of document : ECLI:EU:C:2012:240

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

26. April 2012(*)

„Richtlinie 2006/126/EG – Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine – Weigerung eines Mitgliedstaats, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der einer Person, deren Fahrerlaubnis in seinem Hoheitsgebiet entzogen wurde, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist“

In der Rechtssache C‑419/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. August 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 23. August 2010, in dem Verfahren

Wolfgang Hofmann

gegen

Freistaat Bayern

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas (Berichterstatter), A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Hofmann, vertreten durch Rechtsanwalt W. Säftel,

–        des Freistaats Bayern, vertreten durch Oberlandesanwalt M. Niese, Landesanwaltschaft Bayern,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung) (ABl. L 403, S. 18).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Hofmann, einem deutschen Staatsangehörigen, der Inhaber eines in der Tschechischen Republik ausgestellten Führerscheins ist, und dem Freistaat Bayern wegen einer Entscheidung, mit der Herrn Hofmann das Recht aberkannt wurde, von seiner Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„Die Regelungen zum Führerschein sind wesentliche Bestandteile der gemeinsamen Verkehrspolitik, tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei und erleichtern die Freizügigkeit der Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der den Führerschein ausgestellt hat, niederlassen. Angesichts der Bedeutung der individuellen Verkehrsmittel fördert der Besitz eines vom Aufnahmemitgliedstaat anerkannten Führerscheins die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit der Personen. …“

4        Nach dem achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sollten aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden.

5        Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“

6        Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 werden „[d]ie von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine … gegenseitig anerkannt“.

7        Art. 7 Abs. 1 und 5 dieser Richtlinie bestimmt:

„1.      Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

a)      eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen;

e)      im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben.

5.      a)      Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein.

b)      Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einen Führerschein auszustellen, wenn erwiesen ist, dass der Bewerber bereits einen Führerschein besitzt.

c)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Schritte zur Umsetzung des Buchstabens b. Bei der Ausstellung, Ersetzung, Erneuerung oder dem Umtausch eines Führerscheins bestehen die erforderlichen Schritte darin, zusammen mit anderen Mitgliedstaaten Nachforschungen anzustellen, wenn ein hinreichend begründeter Verdacht besteht, dass der Bewerber bereits Inhaber eines anderen Führerscheins ist.

d)      Zur Erleichterung der Kontrollen gemäß Buchstabe b nutzen die Mitgliedstaaten das EU-Führerscheinnetz, sobald es in Betrieb ist.

Unbeschadet des Artikels 2 achten die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 des vorliegenden Artikels erfüllt; sie wenden ihre nationalen Vorschriften für die Aufhebung oder den Entzug der Fahrerlaubnis an, wenn feststeht, dass ein Führerschein ausgestellt worden ist, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlagen.“

8        Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen.

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen.“

9        Art. 13 der Richtlinie 2006/126 bestimmt :

„1.      Die Mitgliedstaaten legen nach Zustimmung der Kommission die Äquivalenzen zwischen den vor dem Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie erworbenen Führerscheinen und den Klassen im Sinne des Artikels 4 fest.

Die Mitgliedstaaten können nach Konsultation der Kommission die für die Anwendung von Artikel 11 Absätze 4, 5 und 6 erforderlichen Anpassungen ihrer innerstaatlichen Vorschriften vornehmen.

2.      Eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis darf aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden.“

10      Art. 15 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten unterstützen einander bei der Durchführung dieser Richtlinie und tauschen Informationen über die von ihnen ausgestellten, umgetauschten, ersetzten, erneuerten oder entzogenen Führerscheine aus. Sie nutzen das zu diesem Zweck eingerichtete EU-Führerscheinnetz, sobald das Netz in Betrieb ist.“

11      Art. 16 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„1.      Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 19. Januar 2011 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um Artikel 1 Absatz 1, Artikel 3, Artikel 4 Absätze 1, 2 und 3 sowie Absatz 4 Buchstaben b bis k, Artikel 6 Absatz 1 sowie Absatz 2 Buchstaben a, c, d und e, Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b, c und d sowie Absätze 2, 3 und 5, die Artikel 8, 10, 13, 14 und 15 sowie Anhang I Nummer 2, Anhang II Nummer 5.2 in Bezug auf die Klassen A1, A2 und A und den Anhängen IV, V und VI nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

2.      Sie wenden diese Vorschriften ab dem 19. Januar 2013 an.“

12      Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 bestimmt:

„Die Richtlinie 91/439/EWG [des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1)] wird – unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den in Anhang VII Teil B genannten Fristen für die Umsetzung jener Richtlinie in nationales Recht – mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben.“

13      Art. 18 der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III gelten ab dem 19. Januar 2009.“

14      Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 werden „[d]ie von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine … gegenseitig anerkannt“.

15      Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab

a)      vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;

b)      vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.“

16      Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 sieht vor:

„(2)      Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

(4)      Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.

Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.“

 Nationales Recht

17      § 28 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 (BGBl. 1998 I S. 2214) in der Fassung der Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl. 2009 I S. 29) bestimmt:

„Inhaber einer gültigen … Fahrerlaubnis [der Europäischen Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)], die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. …“

18      § 28 Abs. 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung bestimmt:

„Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

3.      denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nr. 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

19      Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl des Amtsgerichts Memmingen vom 8. Mai 2007 wurde Herr Hofmann wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und für deren Wiedererteilung eine Sperrfrist von fünfzehn Monaten, d. h. bis zum 7. August 2008, festgesetzt. Dazu ist den dem Gerichtshof vorgelegten Akten zu entnehmen, dass Herr Hofmann die Fahrerlaubnis, um sie nach Ablauf der Sperrfrist wiederzuerlangen, bei der zuständigen deutschen Behörde neu beantragen musste; diese hatte zu entscheiden, ob für die Wiedererteilung eine neue Fahrerlaubnisprüfung – zum Nachweis der Befähigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen – oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung – zum Nachweis seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen – erforderlich war.

20      Bei einer Verkehrskontrolle am 17. März 2009 stellten die deutschen Behörden fest, dass Herr Hofmann einen am 19. Januar 2009 ausgestellten tschechischen Führerschein besaß, in dem als Wohnsitz seines Inhabers Lazany (Tschechische Republik) eingetragen war. Dieser Führerschein wurde von der deutschen Polizei bei einer weiteren Verkehrskontrolle am 25. März 2009 sichergestellt. Er wurde der zuständigen deutschen Fahrerlaubnisbehörde übersandt.

21      Mit Schreiben vom 20. April 2009 wies diese Behörde Herrn Hofmann darauf hin, dass seine tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtige. Für den Fall, dass er nicht mit der Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks in diesem Dokument einverstanden sei, werde ein dahin gehender Feststellungsbescheid erlassen.

22      Da Herr Hofmann die Einverständniserklärung nicht abgab, stellte die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 15. Juli 2009 fest, dass sein tschechischer Führerschein nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im deutschen Hoheitsgebiet berechtige, und ordnete an, dass auf ihm die Ungültigkeit der Fahrerlaubnis in diesem Gebiet eingetragen werde.

23      Am 13. August 2009 erhob Herr Hofmann beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Antrag, diesen Bescheid aufzuheben.

24      Mit Urteil vom 11. Dezember 2009 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Seiner Ansicht nach steht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen der Feststellung, dass Herr Hofmann nicht berechtigt sei, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nicht entgegen, da Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 eine Abweichung von Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie darstelle. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 sei nicht entsprechend der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Urteilen vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk (C‑329/06 und C‑343/06, Slg. 2008, I‑4635) sowie Zerche u. a. (C‑334/06 bis C‑336/06, Slg. 2008, I‑4691), einschränkend auszulegen. Mit der nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 nunmehr gebotenen strikten Ablehnung der Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins unter den dort angeführten Voraussetzungen sei die Annahme von richterrechtlich begründeten Ausnahmen nicht vereinbar. Die wirksame Bekämpfung des „Führerscheintourismus“, die eines der Ziele der Richtlinie 2006/126 sei, setze vielmehr voraus, dass auch vergleichsweise strenge Eignungsvorschriften, wie sie in Deutschland bestünden, nach einem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis nicht umgangen werden könnten.

25      Mit seiner vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung beantragte Herr Hofmann sinngemäß, das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg und den Bescheid der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde vom 15. Juli 2009 aufzuheben, wobei er geltend machte, dass sich zunächst die Frage stelle, ob Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 auf ausländische Fahrerlaubnisse anwendbar sei, die wie im vorliegenden Fall am 19. Januar 2009 oder danach ausgestellt worden seien. Erst dann stelle sich die Frage, ob die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannte Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die am 19. Januar 2009 in Kraft getretenen Bestimmungen dieser Richtlinie Anwendung finde.

26      Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Zweifel hat, ob die Rechtsprechung zu Art. 1 Abs. 2 und zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 auf Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 zu übertragen ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin gehend auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen muss, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person außerhalb einer für sie geltenden Sperrzeit ausgestellt wurde, wenn deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats entzogen worden ist und diese Person zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung ihren ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

27      Mit Schreiben, das am 13. September 2011 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass Herrn Hofmann durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Memmingen vom 5. April 2011 die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen worden sei und dass für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von einem Jahr und sechs Monaten bestimmt worden sei. Damit habe sich zwar die Feststellung im Bescheid der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde vom 15. Juli 2009, dass die tschechische Fahrerlaubnis Herrn Hofmann nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im deutschen Hoheitsgebiet berechtige, erledigt, doch sei eine Beantwortung der Vorlagefrage durch den Gerichtshof gleichwohl weiterhin erforderlich.

28      Zum einen beantrage nämlich der Prozessbevollmächtigte von Herrn Hofmann als Reaktion auf die strafrechtliche Verurteilung seines Mandanten nunmehr, das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg dahin abzuändern, dass die Rechtswidrigkeit des genannten Bescheids vom 15. Juli 2009 festgestellt werde. Um über die Frage der möglichen Rechtswidrigkeit dieses Bescheids entscheiden zu können, sei das vorlegende Gericht auf eine Beantwortung der Vorlagefrage durch den Gerichtshof angewiesen. Zum anderen sei das von Herrn Hofmann betriebene Verfahren nur eines von zahlreichen Verfahren, deren Entscheidung von der Beantwortung dieser Frage durch den Gerichtshof abhänge.

 Zur Vorlagefrage

29      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats eingehalten wurde.

 Vorbemerkungen

30      Zunächst ist zu prüfen, ob die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 auf den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt anwendbar sind.

31      Herr Hofmann vertritt die Ansicht, aus Art. 16 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden dürfe, ergebe sich, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie auf den 19. Januar 2013 festgelegt worden sei.

32      Dagegen stehen die Europäische Kommission und die deutsche Regierung auf dem Standpunkt, dass die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar seien. Die Kommission hebt insbesondere hervor, dass diese Richtlinie am 19. Januar 2007 in Kraft getreten sei und dass der im Rahmen der vorliegenden Rechtssache entscheidende Gesichtspunkt die Ausstellung eines tschechischen Führerscheins am 19. Januar 2009 sei. Die deutsche Regierung macht geltend, dass Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 die Anwendung ihres Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 auf vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnisse nicht ausschließe. Dies folge insbesondere daraus, dass die letztgenannte Bestimmung gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 ab 19. Januar 2009 gelte. Dagegen sei Art. 13 dieser Richtlinie gemäß ihrem Art. 16 Abs. 1 und 2 erst ab 19. Januar 2013 anwendbar. Die Bundesrepublik Deutschland habe Art. 13 Abs. 2 auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt umgesetzt.

33      Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 91/439 zwar erst mit Wirkung zum 19. Januar 2013 aufgehoben wird, doch sind die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 gemäß deren Art. 18 Abs. 2 ab dem 19. Januar 2009 anwendbar (vgl. Urteil vom 1. März 2012, Akyüz, C‑467/10, Randnr. 31).

34      Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, wurde der von Herrn Hofmann am 19. Januar 2009 erworbene tschechische Führerschein am 25. März 2009 von der deutschen Polizei sichergestellt, und mit Schreiben vom 20. April 2009 wurde ihm von der zuständigen deutschen Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt, dass dieser Führerschein ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtige. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete sodann mit Bescheid vom 15. Juli 2009 an, dass auf ihm seine Ungültigkeit im deutschen Hoheitsgebiet vermerkt wird.

35      Folglich sind die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar.

36      Das Vorbringen von Herrn Hofmann, mit dem er im Wesentlichen geltend macht, dass Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 der Anwendung ihres Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 entgegenstehe, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften.

37      Anders als die in Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 genannten Bestimmungen, zu denen Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie gehört, sind nämlich deren übrigen Bestimmungen, namentlich Art. 13, gemäß Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 erst ab 19. Januar 2013 anwendbar.

38      Wie die deutsche Regierung geltend macht, wäre zudem, wenn Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen wäre, dass eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis grundsätzlich weder entzogen noch eingeschränkt werden könnte, eine Anwendung von Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie nicht mehr möglich, obwohl in deren Art. 18 Abs. 2 ausdrücklich vorgesehen ist, dass er ab 19. Januar 2009 gilt.

39      Jedenfalls zeigt, wie die deutsche Regierung hinzufügt, die Stellung des Art. 13 innerhalb der Richtlinie 2006/126, dass sein Abs. 2 nicht auf Maßnahmen zur Einschränkung, zur Aussetzung oder zum Entzug eines Führerscheins Bezug nimmt, sondern nur auf die zum Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen erworbenen Fahrerlaubnisse.

40      Wie der Generalanwalt in Nr. 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wird mit der Richtlinie 2006/126 ein Modell eines einheitlichen europäischen Führerscheins geschaffen, der die in den Mitgliedstaaten existierenden unterschiedlichen Führerscheine ersetzen soll. Art. 4 der Richtlinie regelt und definiert die verschiedenen Führerscheinklassen, zu denen die Mitgliedstaaten, die jeweils ihre eigenen Führerscheinklassen definiert haben, Äquivalenzen festzulegen haben.

41      Somit soll Art. 13 der Richtlinie 2006/126, der die Überschrift „Äquivalenzen zwischen nicht dem EG-Muster entsprechenden Führerscheinen“ trägt, nur die Frage der Äquivalenzen zwischen den vor der Umsetzung dieser Richtlinie erworbenen Führerscheinen und den verschiedenen darin definierten Führerscheinklassen regeln.

42      Diese Auffassung wird durch die Prüfung der Materialien zur Richtlinie 2006/126 bestätigt, aus denen sich nach den Feststellungen des Generalanwalts in Nr. 37 seiner Schlussanträge ergibt, dass Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie auf Initiative des Europäischen Parlaments hinzugefügt worden ist, das diese Ergänzung damit begründete, dass der Umtausch der alten Führerscheine unter keinen Umständen zu einem Verlust oder einer Einschränkung der erworbenen Rechte hinsichtlich der Fahrerlaubnis für Fahrzeuge verschiedener Klassen führen dürfe.

 Antwort des Gerichtshofs

43      Nach ständiger Rechtsprechung sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um ihr nachzukommen (vgl. u. a. Urteile vom 19. Februar 2009, Schwarz, C‑321/07, Slg. 2009, I‑1113, Randnr. 75, und vom 19. Mai 2011, Grasser, C‑184/10, Slg. 2011, I‑4057, Randnr. 19, sowie Urteil Akyüz, Randnr. 40).

44      Wie der Gerichtshof bereits in Randnr. 40 des Urteils Akyüz entschieden hat, gilt dies auch für Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126, dessen Wortlaut mit dem von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 übereinstimmt.

45      Überdies hat der Gerichtshof wiederholt ausgeführt, dass es Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats ist, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere die Voraussetzungen in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (vgl. Urteile Schwarz, Randnr. 76, und Grasser, Randnr. 20).

46      Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag seiner Ausstellung diese Voraussetzungen erfüllte (vgl. u. a. Urteile Schwarz, Randnr. 77, und Grasser, Randnr. 21).

47      Diese Erwägungen sind in vollem Umfang auf das System übertragbar, das mit der Richtlinie 2006/126 geschaffen wurde, in der, wie sich aus Randnr. 44 des vorliegenden Urteils ergibt, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine mit den gleichen Worten wie in der Richtlinie 91/439 bekräftigt worden ist.

48      Zur Richtlinie 91/439 hat der Gerichtshof jedoch zum einen festgestellt, dass deren Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Buchst. b sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht verwehren, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen, wenn – nicht anhand von Informationen des Aufnahmemitgliedstaats, sondern aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen – feststeht, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht beachtet wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 72, sowie Grasser, Randnr. 33). Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass der Umstand, dass der Aufnahmemitgliedstaat auf den Inhaber des Führerscheins zuvor keine Maßnahme im Sinne des Art. 8 Abs. 2 der genannten Richtlinie angewandt hat, insoweit unbeachtlich ist (vgl. Urteil Grasser, Randnr. 33).

49      Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Art. 1 Abs. 2 und 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis in Verbindung mit einer Sperrfrist für ihre Neuerteilung angewandt worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrfrist ausgestellten neuen Führerscheins zu versagen (vgl. Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 65, und Schwarz, Randnr. 83, sowie Beschluss vom 3. Juli 2008, Möginger, C‑225/07, Randnr. 38).

50      Dagegen kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 8 Abs. 4 berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis angewandt wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit jedes Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später, nämlich nach Ablauf der Sperrfrist, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, Kapper, C‑476/01, Slg. 2004, I‑5205, Randnr. 76, Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 63, und Schwarz, Randnr. 85, sowie Beschluss vom 6. April 2006, Halbritter, C‑227/05, Randnr. 28).

51      Ist einer Person in einem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis entzogen worden, so ist es dem betreffenden Mitgliedstaat nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 daher grundsätzlich verwehrt, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der dieser Person später durch einen anderen Mitgliedstaat außerhalb der Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ausgestellt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Kapper, Randnr. 76, Wiedemann und Funk, Randnr. 64, und Schwarz, Randnr. 86, sowie Beschlüsse Halbritter, Randnr 27, und Möginger, Randnr. 44).

52      In Anbetracht des unterschiedlichen Wortlauts von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 und der ihm entsprechenden Bestimmung der Richtlinie 2006/126, nämlich Art. 11 Abs. 4, ist zu prüfen, ob diese beiden Bestimmungen nunmehr unterschiedlich ausgelegt werden müssen, so dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439, die in der in den Randnrn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellt worden sind, nicht für einen Fall wie den von Herrn Hofmann gelten würden, der unter die Richtlinie 2006/126 fällt.

53      Während nämlich Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 vorsieht, dass ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt, entzogen oder aufgehoben wurde, bestimmt Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126: „Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.“ Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sind die Mitgliedstaaten somit nunmehr verpflichtet, die Anerkennung eines solchen Führerscheins abzulehnen, während Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 ihnen insoweit ein Ermessen beließ.

54      Hierzu vertritt Herr Hofmann die Ansicht, aus der Übereinstimmung des Wortlauts lasse sich zwanglos folgern, dass Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 dieselben Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine enthalte, wie sie bereits nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 in dessen Auslegung durch den Gerichtshof bestanden hätten. Da die Formulierung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 und in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 unverändert geblieben sei, bestehe kein Grund für eine Änderung der Rechtsprechung zu diesem Grundsatz. Dass das Ermessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf eine Ablehnung der Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins eingeschränkt worden sei, sei für die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 unerheblich.

55      In gleicher Weise trägt die Kommission vor, zwar stellten die neuen Bestimmungen es den Mitgliedstaaten nicht mehr frei, die Anerkennung eines Führerscheins abzulehnen, sondern verpflichteten sie zur Ablehnung, wenn die Voraussetzungen dafür vorlägen, doch hätten sich die Voraussetzungen, unter denen nach den früheren Bestimmungen die Anerkennung habe versagt werden dürfen bzw. nunmehr versagt werden müsse, nicht geändert. Dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 könne nicht entnommen werden, dass die einschlägigen Urteile des Gerichtshofs zu den unter der Geltung der Richtlinie 91/439 maßgebenden Voraussetzungen nicht mehr anwendbar wären. Zwar unterstrichen alle Materialien zur Richtlinie 2006/126 das neu geschaffene Verbot, einen Führerschein auszustellen oder anzuerkennen, doch werde an keiner Stelle auf eine Änderung der Voraussetzungen für eine Maßnahme der Nichtausstellung oder Nichtanerkennung eines Führerscheins hingewiesen.

56      Andernfalls könnte ein Unionsbürger nur noch in dem Mitgliedstaat eine Fahrerlaubnis erlangen, in dem sie zuvor beschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden sei, und zwar ohne zeitliche Begrenzung dieser Einschränkung.

57      Demgegenüber trägt der Freistaat Bayern vor, die genannten Voraussetzungen seien in der auf der Grundlage der Richtlinie 91/439 ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt worden, und diese Rechtsprechung sei nur noch für die vor dem 19. Januar 2009 erteilten Fahrerlaubnisse maßgebend.

58      Außerdem verpflichte nunmehr Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/126 im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 einen Mitgliedstaat, ohne ihm ein Ermessen zu belassen, dazu, einem Betroffenen, dessen Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden sei, eine neue Fahrerlaubnis zu verweigern.

59      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 sei daher nicht auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/126 übertragbar. Ein Mitgliedstaat, der unter der Geltung dieser Richtlinie die Anerkennung einer Fahrerlaubnis ablehne, die einer Person von einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden sei, obwohl der erstgenannte Mitgliedstaat zuvor in seinem Hoheitsgebiet eine Fahrerlaubnis der betreffenden Person eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen habe, versage einer unionsrechtswidrigen Handlung seine Anerkennung. Der andere Mitgliedstaat sei nämlich nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/126 nicht zu einer solchen Erteilung berechtigt gewesen. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie stelle daher eine Spezialvorschrift zu deren Art. 2 Abs. 1 dar und verpflichte die Mitgliedstaaten, die Anerkennung unionsrechtswidrig erteilter Fahrerlaubnisse abzulehnen.

60      Die Materialien zur Richtlinie 2006/126 bestätigten diese Auffassung. Der Wortlaut ihres Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 und 2 gehe auf einen Änderungsvorschlag des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments zurück, mit dem dieser offensichtlich auf das Urteil Kapper reagiert habe und mit einer legislativen Maßnahme habe antworten wollen.

61      Die deutsche Regierung weist darauf hin, dass im Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 weder eine Verletzung des Erfordernisses eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des die Fahrerlaubnis erteilenden Mitgliedstaats noch der Ablauf einer etwaigen Sperrfrist für ihre Neuerteilung Erwähnung fänden. Der Wortlaut dieser Bestimmung lasse, auch wenn in ihrer französischen („à une personne dont le permis de conduire fait l’objet, sur son territoire, d’une restriction, d’une suspension ou d’un retrait“) und englischen („to a person whose driving licence is restricted, suspended or withdrawn in the former State’s territory“) Fassung das Präsens verwendet werde, sehr wohl eine Anwendung auf eine Person zu, deren Fahrerlaubnis nach deutschem Recht entzogen worden und bei der die Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verstrichen sei. Habe die betreffende Person die deutsche Fahrerlaubnis noch nicht wiedererlangt, treffe auf diese die Formulierung „fait l’objet … d’un retrait“ nach wie vor zu.

62      Das Hineinlesen nicht ausdrücklich erwähnter Tatbestandsmerkmale in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 lasse sich auch nicht mit einer „engen Auslegung“ dieser Vorschrift begründen. Eine Vorschrift sei nicht allein deswegen eng auszulegen, weil sie eine Ausnahme – hier von dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie verankerten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – darstelle.

63      Die deutsche Regierung fügt hinzu, die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit von Führerscheinen in den in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 vorgesehenen Fällen abzulehnen, diene der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit dem Schutz des Rechts auf Leben, des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und des Eigentumsrechts, die in den Art. 2, 3 und 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert seien; diese seien den Grundfreiheiten, zu denen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 beitrage, rechtlich gleichrangig.

64      Auch die Entstehungsgeschichte von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 zeige, dass deren Verfasser das Bestreben, den „Führerscheintourismus“ stärker zu bekämpfen und so die Sicherheit des Straßenverkehrs zu erhöhen, gegenüber dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bislang dominierenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und dem dahinter stehenden Begriff der Freizügigkeit in den Vordergrund hätten rücken wollen. Ein etwaiger Wille der am Erlass dieser Richtlinie beteiligten Gremien, die Anwendung ihres Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 von einer Verletzung des Erfordernisses des ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats oder vom Lauf einer Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis abhängig zu machen, sei demgegenüber nicht erkennbar.

65      Dazu ist indessen festzustellen, dass der Unterschied im Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 nicht geeignet ist, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen in Frage zu stellen, unter denen die Anerkennung eines Führerscheins aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 91/439 abgelehnt werden konnte und nunmehr aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 abgelehnt werden muss.

66      Außer der Umwandlung der bisherigen bloßen Befugnis zur Nichtanerkennung in eine Verpflichtung und der Einführung einer Unterscheidung zwischen Einschränkung, Aussetzung und Entzug eines Führerscheins einerseits und dessen Aufhebung andererseits hat nämlich der Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 keine wesentliche Änderung gegenüber dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 erfahren.

67      Zwar sind einige Sprachfassungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126, insbesondere die deutsche („einer Person …, deren Führerschein … eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist“), so formuliert, dass sie den Fall, dass die dort genannten Maßnahmen ihre Wirkungen erschöpft haben, nicht ausschließen, doch kommt in einer großen Zahl anderer Sprachfassungen dieser Bestimmung, etwa in der französischen („à une personne dont le permis de conduire fait l’objet, sur son territoire, d’une restriction, d’une suspension ou d’un retrait“) oder der englischen („a person whose driving licence is restricted, suspended or withdrawn in the former State’s territory“), der Gedanke zum Ausdruck, dass die genannten Maßnahmen zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis an eine Person, auf deren Führerschein im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine dieser Maßnahmen angewandt worden ist, noch andauern müssen, damit dieser Mitgliedstaat zur Versagung ihrer Anerkennung verpflichtet ist.

68      Nach ständiger Rechtsprechung kann aber die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen oder ihr insoweit Vorrang vor den anderen Sprachfassungen eingeräumt werden (vgl. u. a. Urteile vom 3. April 2008, Endendijk, C‑187/07, Slg. 2008, I‑2115, Randnr. 23, vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a., C‑239/07, Slg. 2008, I‑7523, Randnr. 38, und vom 5. Mai 2011, Kurt und Thomas Etling u. a., C‑230/09 und C‑231/09, Slg. 2011, I‑3097, Randnr. 60). Außerdem müssen die verschiedenen Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts einheitlich ausgelegt werden; falls diese Fassungen voneinander abweichen, muss die fragliche Vorschrift daher anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil Endendijk, Randnr. 24, Urteil vom 29. April 2010, M u. a., C‑340/08, Slg. 2010, I‑3913, Randnr. 44, und Urteil Kurt und Thomas Etling u. a., Randnr. 60).

69      Jedenfalls ist festzustellen, dass in der deutschen Fassung von Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 das Präteritum verwendet wird („einer Person …, auf die … eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde“), ohne dass dies den Gerichtshof an der Erwägung gehindert hätte, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf diese Bestimmung berufen kann, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Führerscheinentzugs angewandt wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird.

70      Zwar geht aus den Materialien zur Richtlinie 2006/126 hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Bekämpfung des „Führerscheintourismus“ durch die Umwandlung einer Befugnis zur Nichtanerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins in eine Verpflichtung verstärken wollte, um eine gegenseitige Anerkennung der Maßnahmen zur Einschränkung, zur Aussetzung oder zum Entzug zu gewährleisten, doch ist diesen Materialien nicht zu entnehmen, dass die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen in Frage gestellt worden sind, unter denen ein Mitgliedstaat befugt oder – nach dieser Richtlinie – verpflichtet ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen.

71      Zudem hat der Gerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Befugnis eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und aus diesem Grund eng auszulegen ist (vgl. u. a. Urteil vom 20. November 2008, Weber, C‑1/07, Slg. 2008, I‑8571, Randnr. 29, Urteil Schwarz, Randnr. 84, und Beschluss vom 2. Dezember 2010, Scheffler, C‑334/09, Slg. 2010, I‑12379, Randnr. 63). Diese Feststellung bleibt für die nunmehr in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 enthaltene Verpflichtung gültig. Auch diese Verpflichtung stellt nämlich eine Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bekräftigten allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine dar.

72      Hinzuzufügen ist, dass in den Unterabs. 1 und 2 von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 zwischen den Fällen der Ausstellung und der Anerkennung eines Führerscheins einer Person unterschieden wird, deren Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Abgesehen davon sind diese beiden Unterabsätze ähnlich formuliert. Ist daher Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen, dass diese Bestimmung eine Verpflichtung für einen Mitgliedstaat begründet, einen Führerschein nicht anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im erstgenannten Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, so ist eine entsprechende Auslegung bei Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 dieser Richtlinie geboten, der somit eine Verpflichtung vorsieht, einer solchen Person keinen Führerschein auszustellen.

73      Dazu geht aus den Materialien zur Richtlinie 2006/126 hervor, dass es dem Unionsgesetzgeber darum ging, den Grundsatz der Einzigartigkeit von Führerscheinen zu stärken und zu verhindern, dass einer Person, deren Führerschein in einem Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat ein Führerschein ausgestellt oder die Gültigkeit eines solchen Führerscheins anerkannt werden kann (vgl. in diesem Sinne den von der Kommission am 21. Oktober 2003 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein [Neufassung], KOM[2003] 621 endgültig, S. 6).

74      Daraus folgt aber nicht, dass eine Person, deren Führerschein in einem Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, nie mehr, auch nicht nach Ablauf einer etwaigen mit der betreffenden Maßnahme in diesem Mitgliedstaat verbundenen Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, einen neuen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat erhalten könnte.

75      Die vom Freistaat Bayern und von der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 würde jedoch darauf hinauslaufen, dass durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 dieser Richtlinie ein unbefristetes permanentes Verbot geschaffen würde, dass ein Mitgliedstaat einer Person, deren Führerschein in der Vergangenheit in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, eine neue Fahrerlaubnis erteilt.

76      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein Führerschein nach den Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126 nur von dem Mitgliedstaat ausgestellt werden darf, in dessen Hoheitsgebiet der Bewerber seinen ordentlichen Wohnsitz hat. Somit besteht für eine Person, deren Führerschein in einem Mitgliedstaat entzogen wurde und die sodann ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, die einzige Möglichkeit, einen neuen Führerschein im Einklang mit den Richtlinien 91/439 und 2006/126 zu erwerben, darin, sich an die zuständigen Behörden des neuen Wohnmitgliedstaats zu wenden.

77      Eine Auslegung von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126, nach der eine solche Person selbst nach Ablauf einer etwaigen Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis keinen Führerschein mehr im neuen Wohnmitgliedstaat erwerben könnte, würde daher auf eine Beschränkung des Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, hinauslaufen, das den Unionsbürgern durch Art. 21 AEUV verliehen wird und dessen Ausübung die Richtlinie 2006/126 erleichtern soll.

78      Außerdem würde, wie der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 91/439 entschieden hat, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, der den Schlussstein des mit der Richtlinie 2006/126 geschaffenen Systems darstellt, geradezu negiert, wenn man einen Mitgliedstaat für berechtigt hielte, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern (vgl. in diesem Sinne Urteil Kapper, Randnr. 77, und Beschluss Halbritter, Randnr. 28).

79      Der Freistaat Bayern und die deutsche Regierung haben jedoch in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Person, deren Führerschein in einem Mitgliedstaat entzogen worden sei, in einem anderen Mitgliedstaat nur dann im Einklang mit der Richtlinie 2006/126 einen neuen, der Anerkennung durch die übrigen Mitgliedstaaten fähigen Führerschein erwerben könne, wenn der Ausstellermitgliedstaat mit dem Mitgliedstaat, der den Führerschein entzogen habe, zusammenarbeite. Nach Ansicht der deutschen Regierung muss der letztgenannte Mitgliedstaat den Ausstellermitgliedstaat über die Gründe für den Entzug unterrichten, und dieser muss prüfen, ob diese Gründe entfallen sind.

80      Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

81      Zwar impliziert die nunmehr in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/126 enthaltene Verpflichtung eine Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten bei der Prüfung zum einen der Frage, ob der Führerscheinbewerber bereits Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist, sofern, wie Art. 7 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie vorsieht, dafür ein hinreichend begründeter Verdacht besteht, und zum anderen der Frage, ob dieser Bewerber, falls ihm die Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat entzogen worden ist, einer Sperrfrist für ihre Wiedererteilung unterliegt. Im Übrigen bekräftigt Art. 15 der Richtlinie die Notwendigkeit einer gegenseitigen Unterstützung und eines Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten.

82      Wollte man jedoch als Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins durch den Wohnmitgliedstaat des Bewerbers eine uneingeschränkte Verpflichtung der zuständigen Behörden zur gegenseitigen Konsultation und zur systematischen Prüfung aufstellen, ob die Gründe, aus denen eine Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist, entfallen sind, so würde dies die Errichtung eines komplexen Systems erfordern, mit dem festgestellt werden könnte, ob einem Führerscheinbewerber nicht in einem anderen Mitgliedstaat – möglicherweise schon vor längerer Zeit – eine Fahrerlaubnis entzogen wurde. Ein solches System ist jedenfalls in der Richtlinie 2006/126 nicht ausdrücklich vorgesehen. Zwar ist das EU-Führerscheinnetz geeignet, die Einführung eines solchen Systems zu erleichtern, doch ist dieses Netz noch nicht einsatzbereit und kann insoweit, was etwaige lange zurückliegende Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten zum Entzug der Fahrerlaubnis angeht, kein hilfreiches Instrument darstellen.

83      Zudem kann die Fahrerlaubnis einer Person, die in einem Mitgliedstaat deren Erteilung beantragt, in der Vergangenheit in einem anderen Mitgliedstaat aus verschiedenen Gründen entzogen worden sein, etwa aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gründen, aber auch wegen anderer, unter Umständen minder schwerer Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Die Prüfung des Wegfalls bestimmter dieser Entzugsgründe könnte sich jedoch als schwierig erweisen, zumal die Richtlinie 2006/126 hierzu keine näheren Angaben enthält.

84      In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 91/439 entschieden hat, dass ein Aufnahmemitgliedstaat, der die Erteilung einer Fahrerlaubnis – insbesondere nach Entzug einer früheren Fahrerlaubnis – von strengeren nationalen Voraussetzungen abhängig macht, die Anerkennung eines zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht allein mit der Begründung ablehnen kann, dass der Inhaber diesen neuen Führerschein gemäß einer nationalen Regelung erlangt hat, die nicht dieselben Anforderungen aufstellt, wie sie der Aufnahmemitgliedstaat vorsieht (vgl. Urteil Wiedemann und Funk, Randnr. 54). Diese Auslegung gilt auch für die Richtlinie 2006/126, die wie die Richtlinie 91/439 eine Mindestharmonisierung der innerstaatlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil Akyüz, Randnr. 53) und für die, wie in Randnr. 78 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine weiterhin den Schlussstein darstellt.

85      Im Übrigen wird die Schlussfolgerung, dass die Voraussetzungen der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439, die in der in den Randnrn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellt worden sind, auch für Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 gelten, durch die Sonderregelung für die Aufhebung eines Führerscheins in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 3 dieser Richtlinie bestätigt.

86      Die letztgenannte Bestimmung sieht nämlich wie Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 91/439 vor, dass ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen. Demnach ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, dies abzulehnen.

87      Weder die Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 noch die Materialien zu ihr enthalten jedoch einen Hinweis darauf, dass die Aufhebung eines Führerscheins nur bei Verstößen gegen formale Aspekte der Ausstellung des Führerscheins in Betracht kommt, wie der Freistaat Bayern, die deutsche Regierung und die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass in manchen Mitgliedstaaten die Aufhebung eines Führerscheins eine Maßnahme darstellt, die sich – gravierender als ein Entzug oder eine Aussetzung – auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht und mit der insbesondere das Führen von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss, um das es im Ausgangsverfahren geht, geahndet werden kann.

88      Es wäre daher widersinnig, Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen, dass es im Fall der Einschränkung, der Aussetzung oder des Entzugs eines Führerscheins durch einen Mitgliedstaat für dessen Inhaber nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 dieser Richtlinie nicht mehr möglich wäre, einen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben, während eine solche Möglichkeit im Fall der Aufhebung eines Führerscheins nach wie vor bestehen würde.

89      Für den vorliegenden Fall folgt aus den vorstehenden Erwägungen, dass die deutschen Behörden nicht befugt sind, die Anerkennung der Gültigkeit des tschechischen Führerscheins von Herrn Hofmann abzulehnen, denn dieser Führerschein wurde ihm von den tschechischen Behörden am 19. Januar 2009 und damit, wie sich aus den Randnrn. 19 und 20 des vorliegenden Urteils ergibt, nach Ablauf der für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis geltenden Sperrfrist ausgestellt, die mit der gegen ihn in Deutschland verhängten Maßnahme des Führerscheinentzugs verbunden worden war.

90      Das vorlegende Gericht hat allerdings auf der Grundlage der Angaben in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils und unter Berücksichtigung aller Umstände des Rechtsstreits, mit dem es befasst ist, zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Akyüz, Randnr. 75), ob Herr Hofmann zur Zeit des Erwerbs seines Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in der Tschechischen Republik hatte. Wäre dies nicht der Fall, wären die deutschen Behörden befugt, die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen. Hierzu ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass ihr die Annahme zugrunde liegt, dass die Bedingung des ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der den Führerschein ausgestellt hat, erfüllt war.

91      Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats eingehalten wurde.

 Kosten

92      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung) sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, die Anerkennung der Gültigkeit des einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins auch dann abzulehnen, wenn die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaats eingehalten wurde.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.