Language of document : ECLI:EU:C:2013:230

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 11. April 2013(1)

Rechtssache C‑5/12

Marc Betriu Montull

gegen

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS)

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social n° 1 de Lleida [Spanien])

„Sozialpolitik – Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer – Richtlinie 76/207/EWG – Art. 2 und 5 – Richtlinie 92/85/EWG – Art. 8 – Anspruch auf Mutterschaftsurlaub zugunsten abhängig beschäftigter Mütter – Mögliche Inanspruchnahme durch abhängig beschäftigte Mütter oder Väter – Selbständig erwerbstätige Mutter – Ausschluss des abhängig beschäftigten Vaters von dem Urlaubsanspruch – Richtlinie 96/34/EWG – Rahmenvereinbarung über Elternurlaub – Anspruch der Mutter und des Vaters – Leibliche Väter und Adoptivväter“





I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen, das am 3. Januar 2012 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen(2) sowie die Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 31. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub(3).

2.        Die Fragen des Juzgado de lo Social n° 1 de Lleida (Spanien) stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Betriu Montull und dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (im Folgenden: INSS) über die Anwendung von Art. 48 Abs. 4 des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut)(4) in Verbindung mit Art. 133a der Ley general de la Seguridad Social (Allgemeines Gesetz über die soziale Sicherheit)(5). Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts(6) sieht einen Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen vor, von denen die ersten sechs Wochen nach der Entbindung für die Mutter des Kindes obligatorisch sind. Die Mutter kann dann entscheiden, den restlichen Mutterschaftsurlaub ganz oder teilweise auf den Vater zu übertragen. Art. 133a des Allgemeinen Gesetzes über die soziale Sicherheit sieht für die Zeiten des Mutterschaftsurlaubs nach Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts ein Mutterschaftsgeld vor.

3.        Herr Betriu Montull ist ein bei dem spanischen allgemeinen System der sozialen Sicherheit versicherter Arbeitnehmer. Frau Macarena Ollé, Procuradora de los Tribunales (nichtplädierende Anwältin), ist bei der Mutualidad General de los Procuradores, die nicht zum spanischen Sozialversicherungssystem gehört, versichert(7).

4.        Nach der Geburt des gemeinsamen Sohns am 20. April 2004 in Lleida beantragte Herr Betriu Montull, wohl mit Zustimmung der Mutter des Kindes, wie in den spanischen Rechtsvorschriften vorgesehen, Mutterschaftsgeld für die Zeit nach dem obligatorischen Sechswochenurlaub, den die Mutter unmittelbar nach der Entbindung nehmen muss. Mit Entscheidungen vom 28. Juli und 8. August 2004 wies das INSS diesen Antrag zurück. Da die Mutter keinem öffentlichen System der sozialen Sicherheit angeschlossen sei und folglich keinen originären Anspruch auf den Urlaub habe, der für die vom System der sozialen Sicherheit geschützte Situation vorgesehen sei, habe im Fall einer leiblichen Mutterschaft der Vater keinen eigenen, autonomen und unabhängigen Anspruch, sondern nur einen Anspruch, der zwangsläufig von dem der Mutter abgeleitet sei.

5.        Am 13. September 2004 erhob Herr Betriu Montull gegen die Entscheidung des INSS beim vorlegenden Gericht Klage auf Feststellung seines Anspruchs auf die Leistung und machte u. a. einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend.

6.        Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob die fraglichen nationalen Bestimmungen, nach denen sich der Leistungsanspruch des Vaters von dem der Mutter ableitet, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen verstoßen.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Richtlinie 76/207

7.        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 lautet:

„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird im Folgenden als ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ bezeichnet.“

8.        Art. 2 der Richtlinie 76/207 bestimmt:

„(1)      Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.

(3)      Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen.

(4)      Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen.“

9.        Art. 5 der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts gewährt werden.

(2)      Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen,

a)      dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden;

b)       dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können;

c)      dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften, bei denen der Schutzgedanke, aus dem heraus sie ursprünglich entstanden sind, nicht mehr begründet ist, revidiert werden; dass hinsichtlich der Tarifbestimmungen gleicher Art die Sozialpartner zu den wünschenswerten Revisionen aufgefordert werden.“

2.      Richtlinie 92/85/EWG

10.      Die Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)(8) hat nach ihrem Art. 1 Abs. 1 „die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz“ zum Ziel.

11.      Art. 8 („Mutterschaftsurlaub“) der Richtlinie 92/85 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.

(2)      Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muss einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen umfassen, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.“

3.      Richtlinie 96/34

12.      Mit der Richtlinie 96/34 soll nach ihrem Art. 1 die am 14. Dezember 1995 zwischen den europäischen Sozialpartnern (UNICE, CEEP und EGB) geschlossene Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, die im Anhang der Richtlinie enthalten ist, durchgeführt werden.

13.      Gemäß Paragraf 1 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 96/34 „… gilt [diese Vereinbarung] für alle Arbeitnehmer, Männer und Frauen, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“.

14.      Paragraf 2 („Elternurlaub“) der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 96/34 sieht vor:

„1.      Nach dieser Vereinbarung haben erwerbstätige Männer und Frauen nach Maßgabe des Paragrafen 2 Nummer 2 ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes, damit sie sich bis zu einem bestimmten Alter des Kindes – das Alter kann bis zu acht Jahren gehen – für die Dauer von mindestens drei Monaten um dieses Kind kümmern können. Die genauen Bestimmungen sind von den Mitgliedstaaten und/oder Sozialpartnern festzulegen.

2.      Um Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen zu fördern, sind die Unterzeichnerparteien der Meinung, dass das in Paragraf 2 Nummer 1 vorgesehene Recht auf Elternurlaub prinzipiell nicht übertragbar sein soll.

3.      Die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs werden in den Mitgliedstaaten gesetzlich und/oder tarifvertraglich unter Einhaltung der Mindestanforderungen dieser Vereinbarung geregelt. …“

B –    Spanisches Recht

15.      Gemäß seinem Art. 1 Abs. 1 gilt das Arbeitnehmerstatut für Arbeitnehmer, die freiwillig ihre Dienste gegen Bezahlung auf Rechnung eines anderen im Rahmen einer Organisation und unter der Weisung einer natürlichen oder juristischen Person, „Arbeitgeber oder Unternehmer“ genannt, anbieten.

16.      Gemäß Art. 1 Abs. 3 des Arbeitnehmerstatuts

„[gilt d]ieses Gesetz … nicht für

g)      allgemein jede Tätigkeit, die im Rahmen eines Verhältnisses ausgeübt wird, das von dem in Art. 1 Abs. 1 definierten abweicht“.

17.      Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts sieht in der Fassung, die zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, von 2004(9) datierenden Ereignisse galt, vor:

„Im Fall der Entbindung wird der Vertrag für einen Zeitraum von 16 aufeinanderfolgenden Wochen ausgesetzt … Der Zeitraum der Aussetzung wird mit der Maßgabe, dass mindestens sechs Wochen unmittelbar auf die Entbindung folgen, gemäß dem Wunsch der Betroffenen aufgeteilt …

Dessen ungeachtet und vorbehaltlich der unmittelbar auf die Entbindung folgenden sechs Wochen obligatorischen Urlaubs für die Mutter kann diese, wenn Vater und Mutter arbeiten, zu Beginn des Mutterschaftsurlaubs entscheiden, dass der Vater einen bestimmten und ununterbrochenen Teil des nachgeburtlichen Urlaubs entweder gleichzeitig mit ihrem Urlaub oder im Anschluss an diesen wahrnimmt, es sei denn, dass die Beschäftigung der Mutter zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme eine Gefahr für deren Gesundheit darstellt.

Im Fall einer Adoption oder der einer Adoption vorangehenden oder dauerhaften Aufnahme eines Minderjährigen im Alter von bis zu sechs Jahren hat die Aussetzung eine Dauer von 16 aufeinanderfolgenden Wochen, die bei der Adoption oder Aufnahme mehrerer Kinder vom zweiten Kind an um zwei Wochen für jedes Kind verlängert werden kann, und beginnt je nach Wahl des Arbeitnehmers entweder mit der Verwaltungs‑ oder Gerichtsentscheidung über die Aufnahme oder mit der Gerichtsentscheidung, durch die die Adoption erfolgt. Die Dauer der Aussetzung beträgt bei der Adoption oder Aufnahme eines Minderjährigen im Alter von über sechs Jahren ebenfalls 16 Wochen, wenn dieser behindert ist oder aufgrund seiner persönlichen Umstände und Erfahrungen oder seiner Herkunft aus dem Ausland besondere Schwierigkeiten bei der sozialen und familiären Eingliederung hat, die durch die zuständigen sozialen Dienste ordnungsgemäß bescheinigt wurden. Arbeiten Mutter und Vater, so wird der Zeitraum der Aussetzung nach Wahl der Betroffenen aufgeteilt und kann von diesen gleichzeitig oder nacheinander – stets in Form von ununterbrochenen Zeiträumen und innerhalb der genannten Grenzen – in Anspruch genommen werden.

Werden Urlaubszeiten gleichzeitig in Anspruch genommen, dürfen sie insgesamt die in den vorstehenden Absätzen vorgesehenen 16 Wochen oder den entsprechenden Zeitraum im Fall von Mehrfachgeburten nicht überschreiten.

…“

18.      Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts wurde später durch die Ley orgánica 3/2007 para la igualdad efectiva de mujeres y hombres (Organgesetz 3/2007 zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern) vom 22. März 2007 (BOE Nr. 71 vom 23. März 2007, S. 12611) geändert. Soweit hier von Belang, wurde Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts durch Hinzufügung des folgenden Absatzes geändert:

„Ist die Mutter nach den Vorschriften, die die betreffende Tätigkeit regeln, nicht berechtigt, ihre Berufstätigkeit auszusetzen und Leistungen in Anspruch zu nehmen, so kann der andere Elternteil seinen Arbeitsvertrag für den Zeitraum, der der Mutter zugestanden hätte, aussetzen, was mit der Ausübung des im nachfolgenden Artikel anerkannten Anspruchs [Aussetzung des Arbeitsvertrags bei Vaterschaft] vereinbar ist …“(10)

19.      Art. 133a des Allgemeinen Gesetzes über die soziale Sicherheit sieht vor:

„Geschützte Fälle für die Zwecke der Mutterschaftsleistungen sind die Mutterschaft, die Adoption und die – einer Adoption vorangehende oder dauerhafte – Aufnahme während der Urlaubszeiten, die für diese Fälle gemäß Art. 48 Abs. 4 der durch das Real Decreto Legislativo 1/1995 vom 24. März 1995 gebilligten Neufassung des Arbeitnehmerstatuts und Art. 30 Nr. 3 der Ley 30/1984 de Medidas para la Reforma de la Función Pública (Gesetz über Maßnahmen zur Reform des Öffentlichen Dienstes) vom 2. August 1984 vorgesehen sind.“

III – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20.      Zusätzlich zu dem in den Nrn. 3 bis 5 geschilderten Sachverhalt ist noch hervorzuheben, dass das vorlegende Gericht am 20. April 2005 dem Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) eine Frage nach der Vereinbarkeit von Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts mit der spanischen Verfassung vorgelegt hat. Das Verfassungsgericht hat mit Urteil vom 19. Mai 2011 entschieden, dass die fragliche Bestimmung nicht gegen Art. 14 (Diskriminierungsverbot), Art. 39 (sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Schutz der Familie) und Art. 41 (System der sozialen Sicherheit) der Verfassung verstößt.

21.      Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.

22.      Seine Zweifel beziehen sich seinen Ausführungen zufolge nicht auf den obligatorischen Sechswochenurlaub für die Mutter unmittelbar nach der Entbindung. Was allerdings die weiteren zehn Wochen angehe, würden abhängig beschäftigte Väter und Mütter, obwohl ihre jeweiligen Situationen vergleichbar seien, durch die nationalen Rechtsvorschriften insofern unterschiedlich behandelt, als der Anspruch des Vaters von dem der Mutter abgeleitet sei.

23.      Die in Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts vorgesehene Aussetzung des Arbeitsvertrags unter Beibehaltung des Arbeitsplatzes sei mit Ausnahme der sechs Wochen nach der Entbindung als Elternurlaub und als Maßnahme, die Familie und Beruf miteinander vereinbar machen soll, anzusehen, denn die biologischen Gegebenheiten der Schwangerschaft und der Entbindung, die ausschließlich bei der Mutter vorlägen, seien nur für den Urlaubszeitraum maßgeblich, der für die Mutter obligatorisch sei.

24.      Somit müsse der im Ausgangsverfahren streitige Urlaub unterschiedslos von der Mutter oder vom Vater in Anspruch genommen werden können, sofern beide abhängig beschäftigt seien, und stehe ihnen aufgrund ihrer Eigenschaft als Eltern des Kindes zu.

25.      In der fraglichen spanischen Regelung sei außerdem eine Ungleichbehandlung des leiblichen Vaters und des Adoptivvaters vorgesehen. Im Fall einer Adoption könnten nämlich nach Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts der Vater und die Mutter, wenn beide arbeiteten, den Urlaubszeitraum so unter sich aufteilen, wie sie es für angemessen hielten. In diesem Fall sei der Urlaubsanspruch somit kein originärer Anspruch der Mutter, den diese an den Vater abtreten könne, sondern ein Zeitraum der Aussetzung, der von Vater und Mutter einvernehmlich aufgeteilt werde. Im Fall einer Adoption könne daher ein abhängig beschäftigter und einem Sozialversicherungssystem angeschlossener Vater selbst dann, wenn die Mutter keine einem Sozialversicherungssystem angeschlossene Arbeitnehmerin sei, den gesamten Urlaub in Anspruch nehmen und die entsprechende Leistung empfangen, während er unter denselben Umständen im Fall einer leiblichen Mutterschaft und Entbindung nicht einmal die letzten zehn Wochen des Urlaubszeitraums in Anspruch nehmen könne, da dieser Anspruch als originärer Anspruch der Mutter angesehen werde.

26.      Unter diesen Umständen hat das Juzgado de lo Social n° 1 de Lleida das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Stehen die Richtlinien 76/207 und 96/34 einem nationalen Gesetz, konkret Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts, entgegen, wonach der Anspruch auf Mutterschaftsurlaub im Fall einer Entbindung – nach Ablauf des Zeitraums von sechs Wochen nach der Entbindung und vorbehaltlich der Fälle einer Gefahr für die Gesundheit der Mutter – als originärer, eigenständiger Anspruch der abhängig beschäftigten Mütter und als abgeleiteter Anspruch der abhängig beschäftigten Väter eines Kindes angesehen wird, so dass diese Väter diesen Urlaub nur in Anspruch nehmen können, wenn die Mutter des Kindes ebenfalls Arbeitnehmerin ist und sich dafür entscheidet, dass der abhängig beschäftigte Vater einen bestimmten Teil dieses Urlaubs wahrnimmt?

2.      Steht der Gleichbehandlungsgrundsatz, der jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, einem nationalen Gesetz, konkret Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts, entgegen, wonach der Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags unter Beibehaltung des Arbeitsplatzes und Zahlung einer Geldleistung durch die Sozialversicherung im Fall einer Entbindung als originärer Anspruch der Mutter und nicht des Vaters – sogar nach Ablauf des Zeitraums von sechs Wochen nach der Entbindung und vorbehaltlich der Fälle einer Gefahr für die Gesundheit der Mutter – angesehen wird, so dass der Urlaub eines Arbeitnehmers davon abhängt, dass die Mutter des Kindes ebenfalls Arbeitnehmerin ist?

3.      Steht der Gleichbehandlungsgrundsatz, der jegliche Diskriminierung verbietet, einem nationalen Gesetz, konkret Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts, entgegen, wonach der Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags unter Beibehaltung des Arbeitsplatzes und Zahlung einer Geldleistung durch die Sozialversicherung den abhängig beschäftigten Vätern im Fall der Adoption eines Kindes als originärer Anspruch zuerkannt wird, während den abhängig beschäftigten leiblichen Vätern eines Kindes kein solcher eigener, eigenständiger und von dem Anspruch der Mutter unabhängiger Anspruch auf Aussetzung, sondern lediglich ein von dem Anspruch der Mutter abgeleiteter Anspruch zuerkannt wird?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

27.      Das INSS, die französische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie haben in der Sitzung vom 21. Februar 2013 mündliche Erklärungen abgegeben.

V –    Würdigung

A –    Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

28.      Die spanische Regierung hält die Vorlagefragen für unzulässig. In der Vorlageentscheidung seien die Gründe für die Erheblichkeit der Vorlagefragen nicht genau angegeben, was deren hypothetischen Charakter belege. So habe das vorlegende Gericht den Gerichtshof um ein Gutachten über die Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts in Verbindung mit Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts ersucht.

29.      In der mündlichen Verhandlung hat auch das INSS geltend gemacht, die Vorlagefragen seien unzulässig. Da der Urlaub nach Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts 16 aufeinanderfolgende Wochen betrage, seien Vorlagefragen, die neun Jahre nach der Entbindung gestellt würden, zwangsläufig hypothetisch, denn die Inanspruchnahme dieses Urlaubs sei zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen.

30.      Nach ständiger Rechtsprechung ist das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof mithin nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Die dem Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens übertragene Aufgabe besteht darin, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber darin, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben(11).

31.      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung und den vorgelegten Fragen hervor, dass das vorlegende Gericht klären möchte, ob Bestimmungen des Unionsrechts, nämlich die Richtlinien 76/207 und 96/34, einer Regelung wie der des Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts entgegenstehen. Zwar betrifft das Ausgangsverfahren den Antrag von Herrn Betriu Montull auf das in Art. 133a des Allgemeinen Gesetzes über die soziale Sicherheit vorgesehene „Mutterschaftsgeld“, und die Voraussetzungen für den Anspruch auf diese Leistung sind nicht in diesem Gesetz definiert, doch wird in dem genannten Art. 133a auf Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts verwiesen, der diese Definition enthält.

32.      Angesichts des vom spanischen Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen unmittelbaren Zusammenhangs zwischen diesen beiden Bestimmungen kann ich nicht erkennen, inwiefern die Fragen des vorlegenden Gerichts allgemein oder hypothetisch sein sollen oder die Antwort des Gerichtshofs auf sie für den Ausgangsrechtsstreit nicht entscheidungserheblich wäre.

33.      Zudem gehe ich, was das oben in Nr. 29 wiedergegebene Vorbringen des INSS betrifft, davon aus, dass Herr Betriu Montull, selbst wenn es ihm, wie vorgetragen, unmöglich ist, den fraglichen Urlaub rückwirkend zu erhalten, neben dem Anspruch auf Geldleistung jedenfalls gegenüber dem INSS einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen kann, was das INSS im Übrigen in der mündlichen Verhandlung angeführt hat.

34.      Daher sind die Vorlagefragen meines Erachtens zulässig.

35.      An dieser Stelle ist jedoch bereits darauf hinzuweisen, dass ich im Hinblick darauf, dass das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung nicht den nationalen Rechtsrahmen des Elternurlaubs dargelegt hat, nicht die Frage prüfen werde, ob die Richtlinie 96/34 einer Maßnahme wie der in Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts vorgesehenen entgegensteht(12).

B –    Zum Inhalt der Vorlagefragen

1.      Vorbringen

36.      Zur ersten Frage trägt das INSS vor, es verstoße nicht gegen die Richtlinie 92/85, wenn eine Übertragung des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld auf den Vater nicht zugelassen werde, falls die Mutter darauf selbst keinen Anspruch habe, weil dieser Schutz von ihrer freiwillig abgeschlossenen Privatversicherung nicht gedeckt sei, denn niemand könne einen Anspruch übertragen, den er nicht habe.

37.      Der Elternurlaub nach der Richtlinie 96/34 unterscheide sich von dem, um den es im Ausgangsverfahren gehe. Der Anspruch auf Elternurlaub sei in spanisches Recht durch Art. 46 Abs. 3 des Arbeitnehmerstatuts umgesetzt worden, wonach „Arbeitnehmer … Anspruch auf eine Verlängerung des Urlaubs von bis zu drei Jahren [haben], um sich um das Kind, sei es ihr leibliches Kind, Adoptivkind oder ein auf Dauer, zur Adoption oder auch nur vorläufig aufgenommenes Kind, ab dem Tag der Geburt des Kindes oder gegebenenfalls der gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung kümmern zu können“. Dieser Elternurlaub solle es dem erwerbstätigen Elternteil (gleich, ob Mann oder Frau) ermöglichen, seine beruflichen und familiären Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren, während der Urlaub im Ausgangsverfahren dem Schutz der Gesundheit der Mutter und der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen nach der Entbindung diene.

38.      Zur zweiten Frage weist das INSS darauf hin, dass Herr Betriu Montull den in Rede stehenden Urlaub deswegen nicht erhalten habe, weil Frau Macarena Ollé, die Mutter des gemeinsamen Kindes, freiwillig bei der Mutualidad General de los Procuradores und nicht bei dem allgemeinen System der sozialen Sicherheit versichert gewesen sei. Der Anspruch auf Aussetzung ihrer Erwerbstätigkeit anlässlich der Mutterschaft mit dem begleitenden Anspruch auf Geldleistung während des Urlaubs und der Möglichkeit, diesen zuerkannten Urlaub mit dem Vater des Kindes zu teilen, hänge nicht von dem Arbeitnehmerstatus der Mutter ab, sondern von ihrer Entscheidung für oder gegen den nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Schutzrahmen des Systems der sozialen Sicherheit.

39.      Zur dritten Frage trägt das INSS vor, die Ungleichbehandlung von abhängig beschäftigten Vätern, je nachdem, ob Adoptiv- oder leibliche Vaterschaft vorliege, sei völlig gerechtfertigt, da es im Fall von leiblichen Eltern angemessen sei, den Anspruch nur für die Mutter vorzusehen, die sich von der Schwangerschaft und der Entbindung erholen können müsse, während die Aussetzung des Vertrags wegen Adoption oder Aufnahme eines Kindes die harmonische Integration des neuen Kindes in den Familienverband erleichtern solle, was gleichermaßen den Vater und die Mutter betreffe.

40.      Die spanische Regierung führt aus, der spanische Gesetzgeber habe beim Erlass des Gesetzes den Wortlaut von Art. 8 der Richtlinie 92/85 beachtet und den Handlungsspielraum, der den Mitgliedstaaten verbleibe, eingehalten. Dass die Mutter nicht nur die Wahl habe, auf den Zeitraum, der an ihren obligatorischen Sechswochenurlaub nach der Entbindung anschließe, zu verzichten, sondern ihn mit dem Vater teilen oder ihm übertragen könne, entspreche dem Inhalt und Zweck der Richtlinie 92/85, da damit eine Beteiligung des Vaters an den Familienaufgaben ermöglicht werde.

41.      Die Möglichkeit der Aussetzung des Arbeitsvertrags unter Beibehaltung des Arbeitsplatzes im Fall der Adoption stehe mit den Richtlinien 96/34 und 76/207 im Einklang. In der Richtlinie 96/34 werde anerkannt, dass es sich bei Geburt und Adoption eines Kindes nicht um gleichzusetzende Fälle handele, da nach Paragraf 2 Nr. 3 Buchst. c der Rahmenvereinbarung in ihrem Anhang die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs an die besonderen Umstände der Adoption anpassen könnten. Somit lasse der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten für die Anpassung des Elternurlaubs an die besonderen Umstände der Adoption einen Gestaltungsspielraum.

42.      Die polnische Regierung hält es für legitim, dass, wenn der nationale Gesetzgeber den abhängig beschäftigten Vätern ermögliche, einen Teil des Mutterschaftsurlaubs zu nehmen, dieser Anspruch von dem der abhängig beschäftigten Mutter abgeleitet werde. Das Unionsrecht gewähre den Mutterschaftsurlaub der Mutter und nicht dem Vater des Kindes. Als Inhaberin des Anspruchs könne die Mutter zwar auf einen Teil davon verzichten und ihn auf den Vater übertragen, doch könne sich dieser nicht anstelle der Mutter um das Kind kümmern und den Mutterschaftsurlaub in Anspruch nehmen. Eine solche Lösung widerspräche den Zielen des Mutterschaftsurlaubs, die Mutter und ihre Beziehung zu ihrem Kind zu schützen. Wenn eine Frau, die nicht Arbeitnehmerin sei, keinen Urlaubsanspruch erworben habe, könne sie einen solchen schon gar nicht auf den Vater des Kindes übertragen. Nur wenn der Anspruch des Vaters des Kindes auf Mutterschaftsurlaub als abgeleiteter Anspruch betrachtet werde, könne die Grundfunktion dieses Urlaubs und seine Abgrenzung zum Elternurlaub gewahrt werden.

43.      Der Anspruch auf Adoptionsurlaub und die Voraussetzungen seiner Inanspruchnahme seien nicht im Unionsrecht vorgesehen und lägen weiterhin in der alleinigen Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers, so dass sie nicht unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu beurteilen seien.

44.      Die Kommission führt aus, die spanische Rechtsvorschrift liege außerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie 92/85, da ein (männlicher) Arbeitnehmer keinesfalls Mutterschaftsurlaub im Sinne dieser Richtlinie beanspruchen könne. Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts sehe eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 zwischen abhängig beschäftigten Müttern und abhängig beschäftigten Vätern vor. Diese Ungleichbehandlung könne nicht durch Gründe des Schutzes bei Schwangerschaft und Mutterschaft im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 gerechtfertigt werden.

45.      Der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zehnwochenzeitraum der Aussetzung des Arbeitsvertrags unterscheide sich insofern von den für die Mutter obligatorischen Urlaubszeiten, insbesondere den sechs Wochen unmittelbar nach der Entbindung. Die sechs Wochen unmittelbar nach der Entbindung seien für die Mutter eine obligatorische Urlaubszeit, die mit dem Schutz der Mutter und der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind in der Zeit nach der Entbindung verknüpft sei.

46.      Dagegen sei der anschließende Zehnwochenzeitraum dadurch, dass er nach der spanischen Rechtsvorschrift vom Vater beansprucht werden könne, von der biologischen Tatsache der Mutterschaft gelöst worden. Dieser Zeitraum diene nach der spanischen Rechtsvorschrift als Zeitraum für die Versorgung und Betreuung des Kindes, den sowohl die abhängig beschäftigte Mutter als auch der abhängig beschäftigte Vater wahrnehmen könnten.

47.      Nach Auffassung der Kommission lässt sich das Ergebnis, zu dem der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. September 2010, Roca Álvarez(13), gelangt ist, auf den vorliegenden Fall übertragen. Die Art. 2 und 5 der Richtlinie 76/207 seien auch im vorliegenden Fall dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstünden, nach der abhängig beschäftigte Mütter im Fall der Entbindung die Aussetzung des Arbeitsvertrags über die ersten sechs Wochen obligatorischen Urlaubs für die Mutter hinaus beanspruchen könnten, während abhängig beschäftigte Väter diese Aussetzung nur beanspruchen könnten, wenn auch die Mutter Arbeitnehmerin sei.

48.      Die Kommission meint, sie verfüge nicht über hinreichende Anhaltspunkte für den Schluss, dass der Urlaub nach Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts mit Ausnahme des obligatorischen Sechswochenurlaubs für die Mutter einen Elternurlaub im Sinne der Richtlinie 96/34 darstelle.

2.      Würdigung

a)      Zur ersten und zur zweiten Frage

49.      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinien 76/207 und 96/34 sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung, der jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts vorsieht, soweit sie abhängig beschäftigten Müttern im Fall der Entbindung einen Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags über den obligatorischen Sechswochenurlaub für die Mutter nach der Entbindung hinaus und vorbehaltlich der Fälle einer Gefahr für die Gesundheit der Mutter zugesteht, während abhängig beschäftigte Väter diese Aussetzung nur dann beanspruchen können, wenn auch die Mutter Arbeitnehmerin ist und (wie es die in Rede stehende Rechtsvorschrift zulässt) einen Teil dieses Urlaubs auf den Vater überträgt.

50.      Es steht fest, dass Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts im Fall der Entbindung einen Urlaub von 16 aufeinanderfolgenden Wochen vorsieht, von denen die sechs Wochen nach der Entbindung für die Mutter obligatorisch sind. Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung und aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten eindeutig, dass der restliche Urlaub nach Wahl der Mutter ganz oder teilweise im Umfang von bis zu zehn Wochen vom Vater genommen werden kann. Insoweit ist hervorzuheben, dass die von der Mutter getroffene Wahl im Ausgangsverfahren nicht in Frage gestellt wird.

51.      Im Übrigen stellt das vorlegende Gericht keine Fragen zu dem obligatorischen Sechswochenurlaub für die Mutter nach der Entbindung(14), und es ist vorliegend keine Rede von einer Gefahr für die Gesundheit der Mutter, in welchem Fall die Mutter nicht entscheiden kann, dass den restlichen Urlaub der Vater erhält(15).

52.      Zunächst ist Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts an Art. 8 der Richtlinie 92/85 zu prüfen.

53.      Art. 8 der Richtlinie 92/85 sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird. Diese Bestimmung sieht keinen Urlaub für den Vater des Kindes vor. Anders als dieser Art. 8, dessen persönlicher Geltungsbereich auf schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen beschränkt ist(16), gilt Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts unter bestimmten Voraussetzungen auch für männliche Arbeitnehmer.

54.      Ich meine jedoch, dass der Wortlaut von Art. 8 der Richtlinie 92/85 den Mitgliedstaaten Raum lässt, ergänzende oder über die Mindestanforderungen dieser Bestimmung hinausgehende Maßnahmen zu erlassen, vorausgesetzt, wohlgemerkt, dass diese Mindestanforderungen eingehalten werden(17). Insoweit bin ich entsprechend den oben in Nr. 40 wiedergegebenen Ausführungen der spanischen Regierung der Auffassung, dass Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts insofern, als er es der Mutter gestattet, den Mutterschaftsurlaub ganz oder teilweise den Vater des Kindes nehmen zu lassen, über die Mindestanforderungen des Art. 8 der Richtlinie 92/85 hinausgeht, wobei aber die den Mitgliedstaaten durch diesen Art. 8 auferlegte bindende Regelung eingehalten wird.

55.      Zum einen ist nämlich für den Mutterschaftsurlaub, der allein der Mutter zusteht, eine Dauer von sechs Wochen nach der Entbindung vorgesehen, während die Richtlinie 92/85 nur zwei Wochen (aufgeteilt auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung) vorschreibt, und zum anderen entfällt die Möglichkeit der Mutter, den Vater den restlichen Urlaub nehmen zu lassen, wenn „die Beschäftigung der Mutter zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme eine Gefahr für deren Gesundheit darstellt“(18), was dem Ziel der Richtlinie 92/85 entspricht, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz zu verbessern(19).

56.      Der Klarheit halber ist hervorzuheben, dass, auch wenn nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/85 nur die ersten beiden Wochen (vor oder nach der Entbindung) als Mutterschaftsurlaub obligatorisch sind, der in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 vorgesehene Anspruch der Mutter des Kindes auf 14 Wochen Mutterschaftsurlaub ihr keinesfalls gegen ihren Willen zugunsten des Vaters des Kindes genommen werden könnte(20).

57.      Ich meine daher, dass mit der Möglichkeit des Vaters des Kindes, unter bestimmten Voraussetzungen und ausschließlich auf Initiative der Mutter einen Urlaub von zehn Wochen, wie er im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, zu erhalten, Art. 8 der Richtlinie 92/85 eingehalten wird.

58.      Diese Möglichkeit ist noch im Licht der Richtlinie 76/207 zu prüfen(21). Diese Richtlinie hat nach ihrem Art. 1 Abs. 1 zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verwirklicht wird. In den Art. 2 und 5 der genannten Richtlinie wird dieser Grundsatz erläutert. Gemäß Art. 2 Abs. 1 beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf. Nach Art. 5 Abs. 1 beinhaltet die Anwendung dieses Grundsatzes hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden(22).

59.      Aus der Vorlageentscheidung geht eindeutig hervor, dass eine abhängig beschäftigte Mutter über den Sechswochenurlaub nach der Entbindung hinaus grundsätzlich Anspruch auf zehn zusätzliche Wochen Urlaub hat, während ein abhängig beschäftigter Vater diese zehn Wochen nur mit Zustimmung der Mutter (die im Ausgangsverfahren unstreitig ist) und unter der Voraussetzung erhalten kann, dass beide Eltern Arbeitnehmer sind.

60.      Dies entspricht tatsächlich der Maßnahme, die Gegenstand des Urteils Roca Álvarez war, in dem es um die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 5 der Richtlinie 76/207 im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Roca Álvarez und dessen Arbeitgeber ging, der sich geweigert hatte, ihm einen sogenannten Stillurlaub zu gewähren.

61.      Nach der in dieser Rechtssache in Rede stehenden spanischen Rechtsvorschrift war der Anspruch auf Stillurlaub grundsätzlich der Kindesmutter vorbehalten, und der Vater konnte diesen Urlaub nur dann beanspruchen, wenn beide Elternteile Arbeitnehmer waren. Die Eigenschaft als Elternteil reichte also für männliche Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub in Anspruch nehmen zu können, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer(23).

62.      Der Gerichtshof verwies zunächst auf seine Rechtsprechung, dass sich „männliche und weibliche Arbeitnehmer, die Vater bzw. Mutter von Kleinkindern sind, … im Hinblick auf die für sie möglicherweise bestehende Notwendigkeit, ihre tägliche Arbeitszeit zu verringern, um sich um dieses Kind kümmern zu können, in einer vergleichbaren Lage [befinden]“(24), und stellte fest, dass die in Rede stehende Maßnahme „eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 zwischen abhängig beschäftigten Müttern und abhängig beschäftigten Vätern vorsieht“(25).

63.      Sodann prüfte der Gerichtshof, ob diese Ungleichbehandlung nach Art. 2 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 76/207 gerechtfertigt sei, wo darauf hingewiesen werde, dass die Richtlinie weder den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, noch den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen beeinträchtigen, entgegenstehe.

64.      Die Tatsache, dass der in Rede stehende Stillurlaub nach der nationalen Regelung sowohl von einem abhängig beschäftigten Vater als auch von einer abhängig beschäftigten Mutter genommen werden könne, bedeute, dass sowohl der Vater als auch die Mutter für die Ernährung und die Kinderbetreuung sorgen könnten.

65.      Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass diese Regelung im Sinne von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau nach der Schwangerschaft oder den Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind gewährleisten solle. Nach der nationalen Regelung sei nämlich die Gewährung des Stillurlaubs nicht mehr an die biologische Tatsache des Stillens geknüpft, was zu dem Ergebnis führe, dass dieser Urlaub nicht unter die Ausnahme des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 falle.

66.      Weiter befand der Gerichtshof in diesem Urteil, die Auffassung, dass Inhaber des Anspruchs auf den in Rede stehenden Urlaub allein die abhängig beschäftigte Mutter sei, während der Vater, der dieselbe Voraussetzung erfülle, diesen Anspruch lediglich wahrnehmen könne, ohne selbst Anspruchsinhaber zu sein, führe zu einer Verfestigung der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, indem den Männern weiterhin eine im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer Elternschaft subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zugewiesen werde. Der Umstand, dass abhängig beschäftigten Vätern der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Urlaub allein deshalb verweigert werde, weil die Mutter des Kindes nicht abhängig beschäftigt sei, könne zur Folge haben, dass eine selbständig erwerbstätige Frau gezwungen wäre, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ihres Kindes ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte. Durch die fragliche nationale Rechtsvorschrift würden für Frauen in der sozialen Wirklichkeit etwa bestehende faktische Ungleichheiten im Sinne von Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207 weder beseitigt noch verringert, und sie sei nicht als Maßnahme anzusehen, „die eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herbeiführen soll, indem sie in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringert und so im Einklang mit Art. 157 Abs. 4 AEUV Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen verhindert oder ausgleicht“(26).

67.      Folgt man der Argumentation des Gerichtshofs im Urteil Roca Álvarez, ist offensichtlich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme bei den Urlaubszeiten, um die es in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit geht, eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 zwischen abhängig beschäftigten Müttern und abhängig beschäftigten Vätern vorsieht.

68.      Wie der Gerichtshof in Randnr. 24 des Urteils Roca Álvarez entschieden hat, befinden sich männliche und weibliche Arbeitnehmer, die Vater bzw. Mutter von Kleinkindern sind, im Hinblick auf die für sie möglicherweise bestehende Notwendigkeit, ihre tägliche Arbeitszeit zu verringern, um sich um dieses Kind kümmern zu können, in einer vergleichbaren Lage.

69.      Sodann ist zu prüfen, ob diese gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 verstoßende Diskriminierung nach den Abs. 3 und 4 dieses Artikels, die Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung zulassen, gerechtfertigt sein könnte.

70.      Was erstens den Schutz bei Schwangerschaft und Mutterschaft angeht, ist in ständiger Rechtsprechung entschieden worden, dass Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 dadurch, dass er den Mitgliedstaaten das Recht vorbehält, zur Gewährleistung dieses Schutzes Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, anerkennt, dass es im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter gerechtfertigt ist, zum einen die körperliche Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen die besondere Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit nach der Entbindung zu schützen(27).

71.      Anders als für den Sechswochenurlaub unmittelbar nach der Entbindung, den die Mutter zum Schutz ihrer körperlichen Verfassung obligatorisch nehmen muss, kann jedoch für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zehnwochenurlaub nicht Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 gelten. Der spanische Gesetzgeber hat nämlich dadurch, dass er der Mutter die Möglichkeit gegeben hat, zu Beginn des Mutterschaftsurlaubs zu entscheiden, dass der Vater einen bestimmten und ununterbrochenen Teil des anschließenden Zehnwochenurlaubs wahrnimmt, diesen Zehnwochenurlaub von der körperlichen Verfassung der Mutter und damit von der Bindung an den Zweck des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207 gelöst. Daher kann diese Bestimmung nicht für diesen Urlaub gelten(28).

72.      Im Übrigen liegen die Dinge im Ausgangsverfahren anders als diejenigen, die dem Urteil Hofmann zugrunde lagen. Aus diesem Urteil geht nämlich hervor, dass der dort in Rede stehende Mutterschaftsurlaub voll und ganz unter Ausschluss aller anderen Personen der Mutter vorbehalten und strikt mit dem Schutz ihrer körperlichen Verfassung verknüpft war(29).

73.      Demnach wird der Zehnwochenurlaub der vorliegenden Rechtssache wie der im Urteil Roca Álvarez in Rede stehende Stillurlaub den Arbeitnehmern nur in ihrer Eigenschaft als Eltern gewährt und ist nicht mit dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau nach der Schwangerschaft oder dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind verknüpft(30).

74.      Was zweitens die in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207 vorgesehene Ausnahme angeht, die es gestattet, vom Diskriminierungsverbot des Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie abzuweichen, um die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen zu fördern und die tatsächlich bestehenden Ungleichheiten zu verringern, die die Chancen von Frauen im Bereich der Arbeitsbedingungen beeinträchtigen, ist in ständiger Rechtsprechung entschieden worden, dass „Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207 den bestimmten und begrenzten Zweck [hat], Maßnahmen zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen. Diese Vorschrift lässt also nationale Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung – einschließlich bei Beförderungen – zu, die Frauen spezifisch begünstigen und ihre Fähigkeit verbessern sollen, im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und unter den gleichen Bedingungen wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verfolgen. … Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207 soll eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herbeiführen, indem er in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringert und so im Einklang mit Art. 157 Abs. 4 AEUV Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen verhindert oder ausgleicht“(31).

75.      Die spanische Regierung weist darauf hin, dass mit der fraglichen Rechtsvorschrift die Übertragung des nicht obligatorischen Zeitraums auf den Vater ermöglicht werde, um einen Verlust des Anspruchs durch Verzicht zu vermeiden, und dass damit die herkömmliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau korrigiert werden solle, in der den Männern weiterhin eine im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer Elternschaft subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zugewiesen werde.

76.      Hierzu genügt meines Erachtens – auch wenn dieses Ziel, auf eine Korrektur der Ergebnisse hinzuwirken, die möglicherweise zu einer Verfestigung der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau beitragen, lobenswert ist und Unterstützung verdient – der Hinweis auf die Feststellung des Gerichtshofs in Randnr. 36 des Urteils Roca Álvarez, dass der Umstand, dass Inhaber des Anspruchs auf den in Rede stehenden Urlaub allein die abhängig beschäftigte Mutter sei, während der Vater, der dieselbe Voraussetzung erfülle, diesen Anspruch lediglich wahrnehmen könne, ohne selbst Anspruchsinhaber zu sein, eher zu einer Verfestigung der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau führe, indem den Männern weiterhin eine im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer Elternschaft subsidiäre Rolle gegenüber den Frauen zugewiesen werde. Der Gerichtshof fügte hinzu, dass gerade der Umstand, dass abhängig beschäftigten Vätern der in Rede stehende Urlaub allein deshalb verweigert werde, weil die Mutter des Kindes nicht abhängig beschäftigt sei, zur Folge haben könne, dass eine Frau gezwungen wäre, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ihres Kindes ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte(32). Diese Argumentation gilt entsprechend für eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren fragliche. Folglich kann die Ungleichbehandlung, die durch eine Maßnahme wie die hier in Rede stehende eingeführt wird, nicht nach Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207 gerechtfertigt sein.

77.      In seiner ersten Vorlagefrage bezieht sich das vorlegende Gericht außerdem auf die Richtlinie 96/34 zur Durchführung der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub.

78.      Es ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung nicht den nationalen Rechtsrahmen des Elternurlaubs dargelegt hat. Insbesondere hat es nicht angegeben, welche Relevanz Art. 46 Abs. 3 des Arbeitnehmerstatuts insoweit zukommt und wie diese Bestimmung mit Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts zusammenhängt. Ich meine daher, dass im Hinblick darauf, dass sich in den Akten keine Beschreibung des Inhalts der spanischen Regelung über Elternurlaub findet, nicht zu prüfen ist, ob die Richtlinie 96/34 einer Maßnahme wie der in Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts entgegensteht.

79.      Jedenfalls braucht Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts nicht anhand der Richtlinie 96/34 geprüft zu werden, weil ich meine, dass Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 5 der Richtlinie 76/207 einer nationalen Maßnahme, wie sie in dieser Bestimmung vorgesehen ist, entgegenstehen.

80.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste und die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 5 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts vorsieht, soweit sie abhängig beschäftigten Müttern einen Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags über ihren obligatorischen Sechswochenurlaub nach der Entbindung hinaus zugesteht, während abhängig beschäftigte Väter diese Aussetzung nur dann beanspruchen können, wenn auch die Mutter, die einen Teil dieses Urlaubs auf den Vater überträgt, Arbeitnehmerin ist.

b)      Zur dritten Frage

81.      Meine Antwortvorschläge auf die erste und die zweite Vorlagefrage erübrigen möglicherweise eine Beantwortung der dritten Vorlagefrage, mit der der Gerichtshof danach gefragt wird, ob eine nationale Bestimmung wie Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts, die abhängig beschäftigten Vätern, wenn sie ein Kind adoptieren, einen originären Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags und Zahlung einer Geldleistung durch die Sozialversicherung gibt, während sie ihnen, wenn sie ein leibliches Kind haben, nur einen Anspruch gibt, der von dem der Mutter abgeleitet ist, mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist.

82.      Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass, selbst wenn sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts leibliche Väter gegenüber Adoptivvätern deutlich und offensichtlich diskriminiert, es im Unionsrecht keine Bestimmung gibt, die einen leiblichen Vater unmittelbar schützen würde, wenn er Opfer einer solchen Diskriminierung ist. Eine solche Diskriminierung ist weder Gegenstand des AEU-Vertrags noch einer Richtlinie, und insbesondere nicht der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(33), mit der in diesem Bereich Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung bekämpft werden sollen(34).

83.      Zudem fallen (männliche) Arbeitnehmer, wie oben in Nr. 53 ausgeführt, nicht in den persönlichen Geltungsbereich der Richtlinie 92/85, die nur für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen gilt. Es bedürfte eines Handelns des Unionsgesetzgebers, um ihren Geltungsbereich auf (männliche) Arbeitnehmer zu erstrecken und die strikte Verknüpfung zwischen dem Mutterschaftsurlaub und der körperlichen Verfassung einer schwangeren Arbeitnehmerin, Wöchnerin oder stillenden Arbeitnehmerin zu beseitigen.

84.      Schließlich fällt die in Rede stehende Ungleichbehandlung auch nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 76/207, die allein die Diskriminierung zwischen Männern und Frauen betrifft. Vorliegend geht es um eine Ungleichbehandlung männlicher Arbeitnehmer untereinander.

85.      Es könnte allenfalls überlegt werden, ob eine Diskriminierung wie die in Rede stehende mit Paragraf 2 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 96/34 vereinbar ist, in dessen Nr. 1 für das jeweilige Recht auf Elternurlaub nicht zwischen Geburt oder Adoption eines Kindes unterschieden wird und nach dessen Nr. 3 die Mitgliedstaaten unter Einhaltung der Mindestanforderungen die Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs festlegen können. Ich neige zu der Auffassung, dass eine derart deutliche Ungleichbehandlung von Adoptiv‑ und leiblichen Vätern, während Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 96/34 keinerlei Unterschied zwischen Geburt und Adoption vorsieht, sich nicht mit der nach Paragraf 2 Nr. 3 dieser Rahmenvereinbarung gebotenen Einhaltung der Mindestanforderungen vereinbaren lässt.

86.      Dies soll jedoch dahinstehen: Angesichts meiner Antwort oben in Nr. 78 und des Fehlens einer Beschreibung des Inhalts der spanischen Regelung über Elternurlaub in den Akten ist es nicht möglich, auf die dritte Frage sachdienlich einzugehen.

VI – Ergebnis

87.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt auf die Fragen des Juzgado de lo Social n° 1 de Lleida zu antworten:

Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts vorsieht, soweit sie abhängig beschäftigten Müttern einen Anspruch auf Aussetzung des Arbeitsvertrags über ihren obligatorischen Sechswochenurlaub nach der Entbindung hinaus zugesteht, während abhängig beschäftigte Väter diese Aussetzung nur dann beanspruchen können, wenn auch die Mutter, die einen Teil dieses Urlaubs auf den Vater überträgt, Arbeitnehmerin ist.


1 –  Originalsprache: Französisch.


2 –  ABl. L 39, S. 40. Die Richtlinie 76/207 wurde durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 269, S. 15) geändert. Da die Richtlinie 2002/73 nach ihrem Art. 2 von den Mitgliedstaaten spätestens am 5. Oktober 2005 umzusetzen war, findet sie in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, der von 2004 datiert. Die Richtlinie 76/207 wurde mit Wirkung vom 15. August 2009 durch Art. 34 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. L 204, S. 23) aufgehoben. Trotz dieser Änderungen behalten die vorliegenden Schlussanträge meines Erachtens ihre Bedeutung für die Auslegung der Richtlinie 2006/54. Ihrem Art. 28 zufolge steht diese Richtlinie Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen und berührt nicht die Bestimmungen der Richtlinien 96/34/EG und 92/85/EWG. Ferner bestimmt Art. 3 der Richtlinie 2006/54 („Positive Maßnahmen“): „Die Mitgliedstaaten können im Hinblick auf die Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben Maßnahmen im Sinne von [Artikel 157 Absatz 4 AEUV] beibehalten oder beschließen.“ Meiner Ansicht nach hat die Richtlinie 2006/54 somit die auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Vorschriften der Richtlinie 76/207 nicht in ihrer Substanz verändert.


3 –  ABl. L 145, S. 4. Die Richtlinie 96/34 wurde mit Wirkung vom 8. März 2012 durch Art. 4 der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG (ABl. L 68, S. 13) aufgehoben. Durch die Richtlinie 2010/18 wurde die Regelung über den Elternurlaub zwar geändert, jedoch wurden dadurch die Bestimmungen der Richtlinie 96/34, auf die in den beim Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache eingereichten Schriftsätzen abgestellt wird, meines Erachtens nicht in ihrer Substanz geändert.


4 –  Im Ausgangsverfahren gilt die Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut (Texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores), die durch den Real Decreto Legislativo 1/1995 vom 24. März 1995 (BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654) erlassen worden war, in der durch die Ley 39/1999 para promover la conciliación de la vida familiar y laboral des las personas trabajadoras (Gesetz Nr. 39/1999 zur Förderung der Vereinbarkeit des Familien- und Berufslebens der Arbeitnehmer) vom 5. November 1999 (BOE Nr. 266 vom 6. November 1999, S. 38934) geänderten Fassung (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut).


5 –  Ley General de la Seguridad Social, angenommen durch den Real Decreto Legislativo 1/1994 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658), in der durch die Ley 39/1999 geänderten Fassung (im Folgenden: Allgemeines Gesetz über die soziale Sicherheit).


6 –  In der Fassung, die zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ereignisse galt.


7 –  Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass das spanische Sozialversicherungssystem aus einem allgemeinen System und Sondersystemen besteht. Ein Procurador de los Tribunales kann in Spanien entweder bei dem Sondersystem für Freiberufler versichert sein, das Bestandteil des spanischen Sozialversicherungssystems ist, oder bei der Mutualidad General de los Procuradores, einer privaten berufsspezifischen sozialen Vorsorgeeinrichtung für die Procuradores de los Tribunales. Die Mitgliedschaft bei der Mutualidad General de los Procuradores ist auch zusätzlich zum spanischen Sozialversicherungssystem möglich.


8 –  ABl. L 348, S. 1.


9 –       Siehe oben, Nrn. 3 bis 5.


10 –       Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten und dem Wortlaut von Art. 48 Abs.4 des Arbeitnehmerstatuts in der durch das Organgesetz 3/2007 geänderten Fassung ergibt sich, dass es den Ausgangsrechtsstreit nicht gegeben hätte, wenn diese geänderte Fassung zum maßgeblichen Zeitpunkt gegolten hätte, weil der Vater seinen Vertrag hätte aussetzen und eine Geldleistung hätte beziehen können, unabhängig davon, ob die Mutter in einem System der sozialen Sicherheit versichert gewesen wäre oder nicht. Das INSS und die spanische Regierung haben diese Auslegung in der mündlichen Verhandlung bestätigt.


11 –       Urteil vom 15. September 2011, Unió de Pagesos de Catalunya, C‑197/10, Slg. 2011, I‑8495, Randnrn. 16 bis 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 –       Siehe unten, Nrn. 78 und 86.


13 –  C‑104/09, Slg. 2010, I‑8661.


14 –  In der Vorlageentscheidung heißt es: „Dieser Zeitraum wird nicht in Frage gestellt.“


15 – Vgl. Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts.


16 –  Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/85.


17 –       Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die doppelte Verwendung von „mindestens“ in Art. 8 der Richtlinie 92/85. Diese Auslegung wird meines Erachtens durch den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85 gestützt, die auf deren Rechtsgrundlage, nämlich Art. 118a EWG-Vertrag, verweist, der vorsah, dass der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften erlässt, um die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern und so die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Vgl. in diesem Sinne auch Art. 153 AEUV.


18 –  Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts.


19 –       Urteil vom 11. Oktober 2007, Paquay (C‑460/06, Slg. 2007, I‑8511, Randnr. 27).


20 –       In Randnr. 58 des Urteils vom 27. Oktober 1998, Boyle u. a. (C‑411/96, Slg. 1998, I‑6401), hat der Gerichtshof entschieden: „Zwar müssen die Mitgliedstaaten nach [Art. 8 der Richtlinie 92/85] die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit Arbeitnehmerinnen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen erhalten, doch handelt es sich für diese dabei, abgesehen von den … zwei Wochen obligatorischer Mutterschaftsurlaub gemäß Abs. 2, um ein Recht, auf das sie verzichten können.“


21 –       Durch die Aussetzung des Arbeitsvertrags nach Art. 48 Abs. 4 des Arbeitnehmerstatuts werden die Arbeitsbedingungen im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 76/207 berührt.


22 –  Vgl. in diesem Sinne Urteil Roca Álvarez (Randnrn. 19 und 20).


23 –       Ebd. (Randnrn. 22 und 23).


24 –       Urteile Roca Álvarez (Randnr. 24), vom 29. November 2001, Griesmar (C‑366/99, Slg. 2001, I‑9383, Randnr. 56), und vom 19. März 2002, Lommers (C‑476/99, Slg. 2002, I‑2891, Randnr. 30).


25 –       Ebd. (Randnr. 25).


26 –  Ebd. (Randnrn. 36 bis 38).


27 –  Urteile Roca Álvarez (Randnr. 27), vom 12. Juli 1984, Hofmann (184/83, Slg. 1984, 3047, Randnr. 25), vom 14. Juli 1994, Webb (C‑32/93, Slg. 1994, I‑3567, Randnr. 20), vom 30. Juni 1998, Brown (C‑394/96, Slg. 1998, I‑4185, Randnr. 17), und vom 1. Februar 2005, Kommission/Österreich (C‑203/03, Slg. 2005, I‑935, Randnr. 43).


28 –  Urteil vom 19. November 1998, Høj Pedersen u. a. (C‑66/96, Slg. 1998, I‑7327, Randnrn. 54 bis 56).


29 –  Urteil Hofmann (Randnrn. 25 und 26).


30 –  Vgl. entsprechend Urteil Roca Álvarez (Randnr. 31).


31 –  Ebd. (Randnrn. 33 und 34).


32 –  Ebd. (Randnr. 37).


33 – ABl. L 303, S. 16.


34 – Siehe Art. 1.