Language of document : ECLI:EU:C:2013:441

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 27. Juni 2013(1)

Rechtssache C‑137/12

Europäische Kommission

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Beschluss 2011/853/EU des Rates – Europäisches Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten – Wahl der richtigen Rechtsgrundlage – Gemeinsame Handelspolitik (Art. 207 Abs. 4 AEUV) – Binnenmarkt (Art. 114 AEUV) – Ausschließliche Außenkompetenz der Union (Art. 2 Abs. 1 AEUV sowie 3 Abs. 1 und 2 AEUV)“





I –    Einleitung

1.        Die Frage, welche Reichweite die Befugnisse der Unionsorgane im Bereich des auswärtigen Handelns haben, ist nicht nur von erheblicher praktischer Bedeutung, sondern hat verfassungsrechtlichen Charakter(2). Es verwundert deshalb nicht, dass diese Problematik häufig Anlass zu Rechtsstreitigkeiten bietet.

2.        Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof darüber zu befinden, ob die Europäische Union ein völkerrechtliches Abkommen zum Schutz der Erbringer bestimmter audiovisueller Dienstleistungen und bestimmter Dienste der Informationsgesellschaft im Rahmen ihrer Gemeinsamen Handelspolitik abzuschließen hat oder aber als Teil ihrer Binnenmarktpolitiken. Dabei gilt es, die Anwendungsbereiche der Art. 207 AEUV und 114 AEUV korrekt voneinander abzugrenzen. Außerdem ist zu entscheiden, ob die Zuständigkeit der Union zum Abschluss dieses Abkommens ausschließlicher Natur im Sinne von Art. 2 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 3 AEUV war, ob also die Union das Abkommen allein abschließen durfte oder nur an der Seite ihrer Mitgliedstaaten als gemischtes Abkommen.

3.        Diese Fragen stellen sich im Hinblick auf das Europäische Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten(3) (im Folgenden auch: Übereinkommen), das zum Schutz audiovisueller Dienstleistungen und von Diensten der Informationsgesellschaft, die gegen Entgelt erbracht werden und einer Zugangskontrolle unterliegen (so etwa verschlüsselte Fernsehsendungen des Bezahlfernsehens), vor unberechtigten Zugriffen beitragen soll.

4.        Der Rat hat die Unterzeichnung dieses Übereinkommens mit Beschluss 2011/853/EU(4) (im Folgenden auch: angefochtener Beschluss) genehmigt. Während die Kommission der Auffassung ist, dass das Übereinkommen von der Union auf der Grundlage von Art. 207 AEUV und in alleiniger Zuständigkeit abzuschließen gewesen wäre, stützte sich der Rat auf Art. 114 AEUV(5) und ging davon aus, dass es sich um ein gemischtes Abkommen der Union und ihrer Mitgliedstaaten handeln müsse(6).

5.        Welcher dieser Auffassungen der Vorzug gebührt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob und inwieweit sich das streitige Übereinkommen mit der Richtlinie 98/84/EG(7) (im Folgenden auch: Richtlinie) deckt, die die unionsinternen Bestimmungen zum rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten enthält.

6.        Das Urteil des Gerichtshofs in dieser Rechtssache wird wegweisend für die Abgrenzung der Außenkompetenzen der Union und ihrer Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sein. Darüber hinaus könnte es einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung der „AETR-Doktrin“(8) im Rahmen der heutigen Art. 3 Abs. 2 AEUV und 216 Abs. 1 AEUV leisten.

II – Rechtlicher Rahmen

7.        Im Ersten Teil des AEU-Vertrags („Grundsätze“), Titel I („Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union“), findet sich Art. 3 AEUV, der auszugsweise wie folgt lautet:

„(1)      Die Union hat ausschließliche Zuständigkeit in folgenden Bereichen:

e)       gemeinsame Handelspolitik.

(2)      Die Union hat ferner die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte, wenn der Abschluss einer solchen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen ist, wenn er notwendig ist, damit sie ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, oder soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte.“

8.        Der Dritte Teil des AEU-Vertrags („Die internen Politiken und Maßnahmen der Union“), Titel I („Der Binnenmarkt“), enthält als einleitende Bestimmung Art. 26 AEUV, dessen erster Absatz diesen Wortlaut hat:

„Die Union erlässt die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten.“

9.        Ebenfalls im Dritten Teil des AEU-Vertrags ist in Titel VII Kapitel 3 unter der Überschrift „Angleichung der Rechtsvorschriften“ Art. 114 AEUV enthalten (ehemals Art. 100a EG-Vertrag), dessen erster Absatz folgendermaßen abgefasst ist:

„Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 26 die nachstehende Regelung. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben.“

10.      Schließlich ist auf Art. 216 Abs. 1 AEUV hinzuweisen, der sich im Fünften Teil des AEU-Vertrags („Das Auswärtige Handeln der Union“), Titel V („Internationale Übereinkünfte“), befindet und diesen Inhalt hat:

„Die Union kann mit einem oder mehreren Drittländern oder einer oder mehreren internationalen Organisationen eine Übereinkunft schließen, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist oder wenn der Abschluss einer Übereinkunft im Rahmen der Politik der Union entweder zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgesetzten Ziele erforderlich oder in einem verbindlichen Rechtsakt der Union vorgesehen ist oder aber gemeinsame Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte.“

III – Hintergrund des Rechtsstreits

11.      Bei den „zugangskontrollierten Diensten“, um deren Schutz es im vorliegenden Fall geht, handelt es sich im Wesentlichen um Fernsehsendungen, Radiosendungen und Dienste der Informationsgesellschaft, die nicht frei abrufbar oder empfangbar sind. Zum Schutz dieser Dienstleistungen vor unberechtigtem Zugriff werden technische Maßnahmen und Vorrichtungen verwendet, die eine „Zugangskontrolle“ ermöglichen, beispielsweise im Wege der Verschlüsselung von Sendungen und der Bereitstellung von zahlungspflichtigen Decodern oder Passwörtern für ihren Empfang.

12.      Das Europäische Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten ist ein völkerrechtliches Abkommen, das vor mehr als zehn Jahren im Rahmen des Europarats unter Mitwirkung der seinerzeitigen Europäischen Gemeinschaft ausgehandelt wurde.

13.      Das Übereinkommen wurde schließlich am 6. Oktober 2000 vom Ministerkomitee des Europarats angenommen. Es wurde am 24. Januar 2001 zur Unterzeichnung aufgelegt und ist am 1. Juli 2003 in Kraft getreten.

14.      Derzeit sind fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vertragsstaaten des Übereinkommens: die Republik Bulgarien, die Französische Republik, die Republik Zypern, das Königreich der Niederlande und Rumänien. Kroatien, das der Union in wenigen Tagen – am 1. Juli 2013 – beitreten wird, hat das Übereinkommen ebenfalls bereits ratifiziert. Das Großherzogtum Luxemburg hat das Übereinkommen zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

15.      Im Jahr 2008 äußerte die Kommission die Ansicht, dass eine Ratifizierung des Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft wünschenswert sei, weil sie den Mitgliedern des Europarats „einen erneuten Anstoß zu internationalem Vorgehen geben würde“; das Übereinkommen biete „erhebliche Möglichkeiten, den Schutz von Zugangskontrolldiensten über das Gebiet der Europäischen Union hinaus international auszuweiten“(9).

16.      Am 15. Dezember 2010 schlug die Kommission dem Rat zum einen die Unterzeichnung(10) und zum anderen den Abschluss(11) des Übereinkommens vor, wobei sie beide Vorschläge auf Art. 207 Abs. 4 AEUV stützte.

17.      Daraufhin fasste der Rat am 29. November 2011 den nunmehr angefochtenen Beschluss 2011/853 über die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union. Abweichend vom Vorschlag der Kommission stützte der Rat diesen Beschluss allerdings nicht auf Art. 207 Abs. 4 AEUV, sondern auf Art. 114 AEUV. Anders als die Kommission war der Rat außerdem der Auffassung, dass das Übereinkommen sowohl von der Europäischen Union als auch von ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet werden sollte(12) und somit den Charakter eines gemischten Abkommens haben würde.

18.      Die Kommission beharrte auf ihrem Standpunkt, dass die Union gemäß Art. 3 AEUV für den Abschluss des Übereinkommens ausschließlich zuständig sei und dass Art. 207 AEUV die richtige Rechtsgrundlage darstelle. Sie brachte ihre diesbezügliche Rechtsauffassung in einer Erklärung zum Ratsprotokoll zum Ausdruck und behielt sich alle rechtlichen Schritte vor(13).

IV – Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

19.      Mit Schriftsatz vom 12. März 2012, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 14. März 2012, hat die Kommission gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV die vorliegende Nichtigkeitsklage erhoben.

20.      Der Präsident des Gerichtshofs hat mit Beschluss vom 6. August 2012 das Europäische Parlament als Streithelfer auf Seiten der Kommission sowie die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer auf Seiten des Rates zugelassen.

21.      Die Kommission beantragt, mit Unterstützung des Parlaments,

–        den Beschluss 2011/853/EU des Rates vom 29. November 2011 für nichtig zu erklären und

–        dem Rat der Europäischen Union die Kosten aufzuerlegen.

22.      Der Rat beantragt seinerseits, ebenfalls unterstützt von seinen Streithelfern,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen und

–        die Kommission zur Kostentragung zu verurteilen(14).

23.      Vor dem Gerichtshof wurde über die Klage der Kommission schriftlich und, am 30. April 2013, mündlich verhandelt(15).

V –    Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 98/84 und des Übereinkommens

24.      Für das Verständnis des vorliegenden Rechtsstreits sind die folgenden Bestimmungen der Richtlinie 98/84 und des Übereinkommens von Bedeutung.

A –    Bestimmungen der Richtlinie 98/84

25.      Art. 1 der Richtlinie 98/84, der unter der Überschrift „Anwendungsbereich“ steht, definiert als Ziel dieser Richtlinie „die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen illegale Vorrichtungen, die unerlaubten Zugang zu geschützten Diensten ermöglichen“.

26.      Art. 2 der Richtlinie 98/84 enthält zahlreiche Begriffsbestimmungen. Im Sinne der Richtlinie „bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚geschützter Dienst‘ einen der nachstehend aufgeführten Dienste, soweit er gegen Entgelt erbracht wird und einer Zugangskontrolle unterliegt:

–        Fernsehsendung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a) der Richtlinie 89/552/EWG;

–        Radiosendung im Sinne der drahtgebundenen oder drahtlosen, einschließlich der durch Satelliten vermittelten Sendung von Radioprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist;

–        Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft …

sowie die Zugangskontrolle für die vorstehend genannten Dienste selbst, soweit sie als eigenständiger Dienst anzusehen ist;

b)      ‚Zugangskontrolle‘ jede technische Maßnahme und/oder Vorrichtung, die den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form von einer vorherigen individuellen Erlaubnis abhängig macht;

e)      ‚illegale Vorrichtung‘ jedes Gerät oder Computerprogramm, das dazu bestimmt oder entsprechend angepasst ist, um den Zugang zu einem geschützten Dienst in verständlicher Form ohne Erlaubnis des Diensteanbieters zu ermöglichen;

…“

27.      Gemäß Art. 4 der Richtlinie 98/84 („Zuwiderhandlungen“) gilt:

„Die Mitgliedstaaten verbieten in ihrem Hoheitsgebiet folgende Handlungen:

a)      Herstellung, Einfuhr, Vertrieb, Verkauf, Vermietung oder Besitz illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

b)      Installierung, Wartung oder Austausch illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken;

c)      Einsatz der kommerziellen Kommunikation zur Förderung des Inverkehrbringens illegaler Vorrichtungen.“

28.      Schließlich ist unter der Überschrift „Sanktionen und Rechtsbehelfe“ in Art. 5 der Richtlinie 98/84 Folgendes bestimmt:

„(1)      Die Sanktionen müssen wirksam, abschreckend und der potentiellen Wirkung der Zuwiderhandlung angemessen sein.

(2)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit Anbieter von geschützten Diensten, deren Interessen durch eine in ihrem Hoheitsgebiet begangene Zuwiderhandlung gemäß Artikel 4 verletzt worden sind, Zugang zu geeigneten Rechtsbehelfen haben; hierzu zählen Klagen auf Schaden[s]ersatz und das Erwirken einer einstweiligen Verfügung oder einer sonstigen Präventivmaßnahme sowie gegebenenfalls der Antrag auf Herausnahme der illegalen Vorrichtungen aus dem gewerblichen Verkehr.“

B –    Das Europäische Übereinkommen über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten

29.      In Art. 1 des Übereinkommens, der zu den „Allgemeinen Bestimmungen“ in Abschnitt I gehört, wird unter der Überschrift „Ziel und Zweck“ Folgendes ausgeführt:

„Dieses Übereinkommen befasst sich mit den Diensten der Informationsgesellschaft und den Rundfunkdiensten, die gegen Entgelt erbracht werden und einer Zugangskontrolle unterliegen oder Zugangskontrolldienste darstellen. Es verfolgt den Zweck, im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien eine bestimmte Anzahl von Handlungen, welche unerlaubten Zugang zu geschützten Diensten ermöglichen, für widerrechtlich zu erklären und die Rechtsvorschriften der einzelnen Vertragsparteien in diesem Bereich zu harmonisieren.“

30.      Als Teil seines Abschnitts II „Zuwiderhandlungen“ enthält das Übereinkommen in Art. 4 eine Reihe von Begriffsbestimmungen für „widerrechtliche Handlungen“, die im Wesentlichen denen des Art. 4 der Richtlinie 98/84 entsprechen.

31.      Ferner sind im Abschnitt III des Übereinkommens, der unter der Überschrift „Sanktionen und Rechtsbehelfe“ steht, folgende Bestimmungen enthalten:

„Artikel 5

Sanktionen bei Zuwiderhandlungen

Die Vertragsparteien verabschieden Maßnahmen, damit die Zuwiderhandlungen nach Artikel 4 durch strafrechtliche, verwaltungsrechtliche oder andere Sanktionen geahndet werden können. Diese Maßnahmen sind wirksam, abschreckend und verhältnismäßig zu den möglichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung.

Artikel 6

Einziehungsmaßnahmen

Die Vertragsparteien verabschieden geeignete Maßnahmen, die erforderlich sein könnten, um die Beschlagnahme und Einziehung illegaler Vorrichtungen oder des zur Begehung einer Zuwiderhandlung verwendeten Handelsförderungs-, Marketings- oder Werbematerials oder die Einziehung aller durch die Zuwiderhandlung erzielten finanziellen Gewinne und Einnahmen zu ermöglichen.

Artikel 7

Zivilrechtliche Verfahren

Die Vertragsparteien verabschieden die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Anbieter von geschützten Diensten, deren Interessen durch eine Zuwiderhandlung gemäß Artikel 4 verletzt worden sind, Zugang zu geeigneten Rechtsbehelfen haben und insbesondere Klagen auf Schadenersatz erheben und eine einstweilige Verfügung oder eine sonstige Präventivmaßnahme erwirken sowie gegebenenfalls den Antrag auf Herausnahme der illegalen Vorrichtungen aus dem gewerblichen Verkehr stellen können.“

32.      Im Abschnitt IV des Übereinkommens, der die Überschrift „Umsetzung und Änderungen“ trägt, findet sich folgender Art. 8 über „Internationale Zusammenarbeit“:

„Die Vertragsparteien kommen überein, sich bei der Umsetzung dieses Übereinkommens gegenseitig zu unterstützen. Die Vertragsparteien gewähren sich gegenseitig gemäß den Bestimmungen der einschlägigen internationalen Rechtsinstrumente auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit im straf- und verwaltungsrechtlichen Bereich und gemäß ihrem innerstaatlichen Recht die größtmögliche Zusammenarbeit bei Untersuchungen und gerichtlichen Verfahren betreffend die straf- oder verwaltungsrechtlich relevanten Zuwiderhandlungen, die gemäß diesem Übereinkommen festgestellt werden.“

33.      Schließlich ist auf Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens hinzuweisen, der ebenfalls zum Abschnitt IV „Umsetzung und Änderungen“ gehört und zum „Verhältnis zu den anderen Übereinkommen und Vereinbarungen“ Folgendes bestimmt:

„In ihren gegenseitigen Beziehungen wenden die Vertragsparteien, die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, Gemeinschaftsvorschriften an und wenden daher die sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Bestimmungen nur insoweit an, als es zu einem bestimmten Regelungsgegenstand keine Gemeinschaftsvorschrift gibt.“

VI – Rechtliche Würdigung

34.      Die Kommission hält den angefochtenen Beschluss in zweierlei Hinsicht für rechtswidrig. Zum einen ist sie der Auffassung, dass der Rat diesen Beschluss auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt habe (erster Klagegrund, vgl. dazu sogleich, Abschnitt A). Zum anderen bringt sie vor, dass die Union zum Abschluss des Übereinkommens ausschließlich zuständig ist, gleichviel, welche der beiden diskutierten Rechtsgrundlagen die zutreffende ist (zweiter Klagegrund, vgl. dazu unten, Abschnitt B). Sie äußert die Vermutung, der Rat habe mit seiner Vorgehensweise künstlich ein gemischtes Abkommen herbeiführen wollen, um so den Mitgliedstaaten ein internationales Auftreten an der Seite der Union zu ermöglichen.

A –    Wahl der richtigen Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss (erster Klagegrund)

35.      Mit dem ersten Klagegrund wird dem Rat vorgeworfen, bei der Wahl der Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss einen Rechtsfehler begangen zu haben. Nach Auffassung der Kommission und des Parlaments folgt die Kompetenz für die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Europäische Union aus Art. 207 AEUV und nicht aus Art. 114 AEUV, wie dies der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten behaupten.

36.      Im Streit steht hier allein die Wahl der materiellen Rechtsgrundlage für die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Union. Einigkeit besteht hingegen unter den Verfahrensbeteiligten darüber, dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht Art. 218 Abs. 5 AEUV anwendbar ist, wie dies auch im angefochtenen Beschluss klar zum Ausdruck kommt(16).

37.      Gemäß ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören(17).

38.      Mit dem angefochtenen Beschluss werden im Wesentlichen zwei Anliegen verfolgt: Zum einen sollen die im Europäischen Binnenmarkt geltenden Regelungen zum rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten, wie sie mit der Richtlinie 98/84 geschaffen wurden, über die Grenzen der Union hinaus ausgedehnt werden(18). Zum anderen sollen die Vertragsparteien des Übereinkommens im Rahmen ihrer jeweiligen Sanktionen und Rechtsbehelfe für Zuwiderhandlungen auch die Beschlagnahme und die Einziehung bestimmter Gegenstände vorsehen (Art. 6 des Übereinkommens)(19).

39.      Es steht fest, dass zur Erreichung dieser Ziele u. a. die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien des Übereinkommens harmonisiert werden sollen (Art. 1 des Übereinkommens). Im Streit steht aber zwischen den Verfahrensbeteiligten, ob es sich dabei – aus Sicht der Union – in erster Linie um eine Harmonisierung handelt, die der Verwirklichung und dem Funktionieren des Europäischen Binnenmarkts dienen soll und die somit auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann (vgl. dazu sogleich, Abschnitt 1), oder aber um eine Harmonisierung, welche im Kern die Außenhandelsbeziehungen der Union zu Drittstaaten betrifft und folglich auf der Grundlage von Art. 207 AEUV ins Werk zu setzen wäre (vgl. dazu unten, Abschnitt 2).

1.      Zur fehlenden Eignung von Art. 114 AEUV als materieller Rechtsgrundlage

40.      Als Erstes ist zu prüfen, ob die Unterzeichnung des Übereinkommens als Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarkts auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann, so wie dies der Rat im angefochtenen Beschluss angenommen hat.

–       Kein strenger Parallelismus zwischen internen und externen Kompetenzen

41.      Dazu ist zunächst anzumerken, dass Art. 114 AEUV nicht allein deshalb die richtige Kompetenznorm für die Unterzeichnung des Übereinkommens sein kann, weil die Union auf dieser Rechtsgrundlage bereits intern eine Richtlinie erlassen hat – namentlich die Richtlinie 98/84. Denn anders als Polen zu meinen scheint, ist es keineswegs zwingend, dass der Abschluss einer internationalen Übereinkunft auf genau dieselbe materielle Rechtsgrundlage gestützt werden muss wie der Erlass eines Gesetzgebungsakts, in dem die unionsinterne Regelung zu einem im Wesentlichen gleichen Gegenstand enthalten ist. Ein derart starrer Parallelismus der Rechtsgrundlagen für internes und externes Handeln ist den Verträgen fremd.

42.      Vielmehr wird im System der Verträge zwischen internen und externen Kompetenzen der Union unterschieden. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind die Außenkompetenzen der Union in den Verträgen klarer definiert und systematisiert, was sich u. a. an den neu eingefügten Vorschriften der Art. 216 Abs. 1 AEUV und Art. 3 Abs. 2 AEUV ablesen lässt.

–       Art. 114 AEUV ist keine Rechtsgrundlage für auswärtiges Handeln

43.      Speziell an der Eignung von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft durch die Union sind grundlegende Zweifel angebracht. Zwar ist der Wortlaut von Art. 114 Abs. 1 AEUV weit gefasst und erlaubt in seinem Satz 2 ganz allgemein den Erlass von „Maßnahmen“, worunter theoretisch auch der Abschluss von internationalen Übereinkünften fallen könnte. Eine solche Lesart würde aber dem Zweck von Art. 114 AEUV nicht gerecht: Die Vorschrift dient der Verwirklichung der Ziele des Art. 26 AEUV, ist also auf die Schaffung des Binnenmarkts und die Gewährleistung seines Funktionierens gemünzt. Sie soll ein Tätigwerden von Parlament und Rat im Inneren der Union ermöglichen(20). Dies bestätigt sich, wenn man den Blick auf die systematische Stellung von Art. 114 AEUV richtet: Die Vorschrift befindet sich im Dritten Teil des AEU-Vertrags, der sich mit den „internen Politiken und Maßnahmen der Union“ befasst, wohingegen das „auswärtige Handeln der Union“ Gegenstand besonderer Bestimmungen im fünften Teil des AEU-Vertrags ist.

44.      Zugegebenermaßen kann zwar der Union auch im Zusammenhang mit ihren internen Politiken punktuell eine Außenkompetenz zuwachsen, und zwar u. a. dann, wenn dies zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgelegten Ziele erforderlich ist, hier etwa zur Verwirklichung und zur Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarkts im Sinne von Art. 26 Abs. 1 AEUV. Eine solche Außenkompetenz ergibt sich aber nicht aus Art. 114 AEUV, wie der Rat und seine Streithelfer zu meinen scheinen, sondern aus Art. 216 Abs. 1 AEUV, der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die frühere Rechtsprechung(21) kodifiziert.

45.      Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der Rat auf jeden Fall insoweit einen Rechtsfehler begangen hat, als er Art. 114 AEUV als materielle Rechtsgrundlage für die Unterzeichnung des Übereinkommens herangezogen hat, statt sich – zumindest ergänzend – auf Art. 216 Abs. 1 AEUV zu stützen.

46.      Für sich allein betrachtet könnte dieser Rechtsfehler jedoch noch als rein formaler Fehler angesehen werden, der als solcher die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigen würde(22). Zu erörtern bleibt deshalb, ob die Unterzeichnung des Übereinkommens inhaltlich als eine Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarkts im Sinne von Art. 114 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 AEUV angesehen werden kann, so wie es der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten mit Nachdruck behaupten.

–       Das Übereinkommen dient nicht der internen, sondern der externen Harmonisierung

47.      Bei vordergründiger Betrachtung könnte in der Tat der Eindruck entstehen, das Übereinkommen würde unionsintern der Angleichung der Rechtsvorschriften im Binnenmarkt dienen. Ausweislich seines Art. 1 verfolgt das Übereinkommen nämlich u. a. „den Zweck, … die Rechtsvorschriften der einzelnen Vertragsparteien … zu harmonisieren“. Das Übereinkommen scheint also auf Maßnahmen abzuzielen, die sehr häufig auch unionsintern zur Verwirklichung des Binnenmarkts und zur Gewährleistung seines Funktionierens getroffen werden.

48.      Näher besehen schließt die Union das Übereinkommen aber nicht so sehr ab, weil sie ihren eigenen Binnenmarkt auf dem Gebiet des rechtlichen Schutzes der zugangskontrollierten Dienste und der Zugangskontrolldienste verwirklichen oder stärken will, sondern weil sie die unionsintern bereits bestehenden Rechtsvorschriften aus diesem Bereich über die Grenzen des Binnenmarkts hinaus auf Drittstaaten erstreckt wissen will, in denen der rechtliche Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten teilweise noch lückenhaft ist(23). Ausdrücklich soll die Unterzeichnung des Übereinkommens „dazu beitragen, die Anwendung von Bestimmungen, die mit denen der Richtlinie 98/84/EG vergleichbar sind, über die Grenzen der Union hinaus auszudehnen und ein für den gesamten europäischen Kontinent geltendes Recht der zugangskontrollierten Dienste zu schaffen“(24).

49.      Damit steht weniger die Schaffung einheitlicher Vorschriften auf dem Europäischen Binnenmarkt im Vordergrund, als vielmehr das Bestreben, den unionsinternen Acquis in Drittstaaten „zu exportieren“. Anders ausgedrückt stellt sich die Unterzeichnung des Übereinkommens nicht als eine Maßnahme der „internen Harmonisierung“ innerhalb der Union dar, sondern eher als ein Beitrag zur „externen Harmonisierung“ im Verhältnis zu Drittstaaten.

–       Zur Trennungsklausel in Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens

50.      Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man den Blick auf die in Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens enthaltene Trennungsklausel richtet. Diese Klausel besagt, dass die Vertragsparteien, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, in ihren gegenseitigen Beziehungen nicht das Übereinkommen anwenden, sondern „Gemeinschaftsvorschriften“.

51.      Entgegen der Auffassung des Rates kann eine solche Trennungsklausel bei der Beurteilung der Zuständigkeiten zum Abschluss eines internationalen Übereinkommens durchaus von Belang sein(25).

52.      Im vorliegenden Fall bewirkt die Trennungsklausel in Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens, dass die allermeisten Vorschriften des Übereinkommens unionsintern nicht zur Anwendung kommen werden, weil bereits „Gemeinschaftsvorschriften“ gemäß der Richtlinie 98/84 bestehen, die denen des Übereinkommens inhaltlich entsprechen(26). Dies wird nicht zuletzt von Frankreich eingeräumt.

53.      Unter diesen Umständen kann der Abschluss des Übereinkommens durch die Union nicht in erster Linie als Maßnahme zur Angleichung der Rechtsvorschriften ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Binnenmarkts angesehen werden.

54.      Zugegebenermaßen schreibt Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens vor, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die sich aus dem Übereinkommen ergebenden Bestimmungen untereinander insoweit anwenden, als es zu einem bestimmten Regelungsgegenstand „keine Gemeinschaftsvorschrift“ gibt. Letzteres trifft aber, wie der Rat eingeräumt hat, lediglich auf die „Einziehungsmaßnahmen“ im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens zu (d. h. auf die Beschlagnahme und die Einziehung bestimmter Gegenstände), ferner auf die internationale Zusammenarbeit gemäß Art. 8 des Übereinkommens, soweit sie solche Einziehungsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 betrifft. Denn nur zu diesen Aspekten enthält die Richtlinie 98/84 keine spezifische Regelung.

55.      Soweit es also um Einziehungsmaßnahmen und die darauf bezogene Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten geht, wird der Abschluss des Übereinkommens durch die Union zweifelsohne auch bestimmte Rückwirkungen auf den Europäischen Binnenmarkt haben und die dort gemäß der Richtlinie 98/84 bereits geltenden „Gemeinschaftsvorschriften“ ergänzen oder sie jedenfalls präzisieren.

56.      Jedoch kann schwerlich behauptet werden, die Einziehungsmaßnahmen und die darauf gerichtete internationale Zusammenarbeit würden den Hauptgegenstand des Übereinkommens ausmachen. Folglich ist der Umstand, dass das Übereinkommen die in den Art. 6 und 8 vorgesehenen, zusätzlichen Regelungen enthält, nicht geeignet, seine Unterzeichnung durch die Union in eine auf Art. 114 AEUV in Verbindung mit Art. 216 Abs. 1 AEUV zu stützende Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarkts zu verwandeln. Denn die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Unionsrechtsakt hat sich am Schwerpunkt seines Regelungsgehalts zu orientieren(27). Dieser Schwerpunkt liegt hier, wie schon erwähnt(28), nicht in der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts oder in der Gewährleistung seines Funktionierens.

–       Zu den behaupteten Auswirkungen des Übereinkommens auf den Binnenmarkt

57.      Unabhängig von den Art. 6 und 8 des Übereinkommens mag es zwar durchaus sein, dass sich die mit dem Übereinkommen einhergehende Schaffung eines einheitlichen, für den gesamten europäischen Kontinent geltenden Rechts der zugangskontrollierten Dienste letztendlich auch positiv auf die Erbringung solcher Dienste innerhalb der Union, also auf dem Europäischen Binnenmarkt, auswirken kann. Denn wenn überall in Europa Zuwiderhandlungen in Bezug auf zugangskontrollierte Dienste unterbunden werden, können sich die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Erbringung solcher Dienste auch unionsintern verbessern.

58.      Diese allgemeinen positiven Auswirkungen des Übereinkommens auf den Binnenmarkt sind jedoch nur mittelbarer Natur. Es handelt sich um bloße Reflexwirkungen des Übereinkommens. Solche Auswirkungen genügen nicht, um die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Union als Maßnahme zur Verwirklichung oder zur Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarkts im Sinne von Art. 114 AEUV (in Verbindung mit Art. 216 Abs. 1 AEUV) zu qualifizieren. Denn solche Maßnahmen müssten tatsächlich das Ziel verfolgen, die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern(29), und geeignet sein, sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken(30). Dies ist hier nicht der Fall.

–       Zur behaupteten Schaffung einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen („level playing field“)

59.      Zurückzuweisen ist auch das Argument des Rates, das Übereinkommen diene der Verwirklichung des Binnenmarkts, weil es durch die Verringerung der Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen zur Schaffung einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen („level playing field“) beitrage.

60.      Zwar können nach Art. 114 AEUV Harmonisierungsmaßnahmen mit dem Ziel des Abbaus rechtlicher Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ergriffen werden, wenn diese Unterscheide geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken(31). Es muss aber stets der Abbau von rechtlichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezweckt werden, nicht hingegen der Abbau von rechtlichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittstaaten. Im vorliegenden Fall dient aber das Übereinkommen, wie bereits erwähnt, nicht in erster Linie der internen Harmonisierung, sondern primär der externen Harmonisierung(32).

–       Zwischenergebnis

61.      Alles in allem stehen also die Verwirklichung und das Funktionieren des Europäischen Binnenmarkts bei der Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Union nicht im Vordergrund. Dementsprechend hat der Rat mit Art. 114 AEUV keine zutreffende Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss gewählt.

2.      Zur Eignung von Art. 207 AEUV als materieller Rechtsgrundlage

62.      Da nach dem oben Gesagten(33) feststeht, dass Art. 114 AEUV nicht die geeignete Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss darstellte, ist als Zweites zu erörtern, ob dieser Beschluss als Teil der Gemeinsamen Handelspolitik auf Art. 207 AEUV zu stützen gewesen wäre, wie von der Kommission und vom Parlament vorgetragen.

63.      Art. 207 Abs. 1 AEUV stellt klar, dass die Gemeinsame Handelspolitik nicht auf den Handel mit Waren beschränkt ist, sondern u. a. auch den Handel mit Dienstleistungen umfasst. Art. 207 Abs. 4 AEUV ermächtigt den Rat zum Abschluss von handelspolitischen Abkommen, die nicht zuletzt auch den Handel mit audiovisuellen Dienstleistungen zum Gegenstand haben können.

–       Art. 207 AEUV schließt Harmonisierungsmaßnahmen nicht generell aus

64.      Gegen die Anwendung von Art. 207 AEUV bringen der Rat und seine Streithelfer in erster Linie vor, dass Gegenstand und Ziel des Übereinkommens nicht die Regelung der Außenhandelsbeziehungen der Union sei, sondern – wie sich aus Art. 1 des Übereinkommens ergebe – lediglich die Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der zugangskontrollierten Dienste und der Zugangskontrolldienste.

65.      Dieser Einwand überzeugt nicht.

66.      Im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik sind Maßnahmen zur Harmonisierung von nationalen Rechtsvorschriften keineswegs ausgeschlossen. Zwar verbietet Art. 207 Abs. 6 AEUV im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, „soweit eine solche Harmonisierung in den Verträgen ausgeschlossen wird“. Im Umkehrschluss folgt daraus aber, dass in allen anderen Fällen die Ausübung der Zuständigkeiten der Union im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik durchaus zu einer Harmonisierung von Rechtsvorschriften führen kann. Dies musste auch der Rat im Verfahren vor dem Gerichtshof einräumen.

67.      Erst recht kann Art. 207 AEUV als Rechtsgrundlage für Maßnahmen dienen, die nicht unionsintern zu einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten führen (interne Harmonisierung), sondern, wie hier, im Außenverhältnis zu einer Angleichung zwischen den in der Union und in Drittstaaten geltenden Rechtsvorschriften beitragen (externe Harmonisierung). Eine Vielzahl moderner Handelsabkommen hat genau eine solche Harmonisierung zum Gegenstand: Diese Abkommen sehen die Schaffung einheitlicher rechtlicher Standards – gegebenenfalls in Form von Mindeststandards – für bestimmte Erzeugnisse, Tätigkeiten oder Sektoren vor, um auf diese Weise den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern(34).

–       Einheitliche Rahmenbedingungen erleichtern den Handel mit Dienstleistungen

68.      Der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten bestreiten gleichwohl, dass die mit Art. 1 des Übereinkommens bezweckte Harmonisierung des nationalen Rechts handelspolitischen Charakter im Sinne von Art. 207 AEUV hat.

69.      In der Tat fällt ein Rechtsakt gemäß gefestigter Rechtsprechung nur dann in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik nach Art. 207 AEUV, wenn er speziell den internationalen Austausch von Waren oder Dienstleistungen betrifft, „weil er im Wesentlichen den Handelsverkehr fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen auswirkt“(35).

70.      Dem Rat und seinen Streithelfern ist zuzugeben, dass das Übereinkommen nur an einer einzigen Stelle, nämlich in seinem Art. 4 Buchst. b, eine Regelung enthält, die sich ausdrücklich auf den Handel bezieht, indem sie das Verbot der Einfuhr illegaler Vorrichtungen zu gewerblichen Zwecken vorschreibt.

71.      Anders als der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten meinen, bedeutet dies jedoch nicht, dass das Übereinkommen im Übrigen den Handel zwischen der Union und Drittstaaten unberührt lassen würde. Wie nämlich die Kommission zutreffend ausgeführt hat, dient das Übereinkommen in seiner Gesamtheit dem Zweck, die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der zugangskontrollierten Dienste sowie der Zugangskontrolldienste zu erleichtern, und zwar auch und gerade im Verhältnis zwischen der Union und Drittstaaten.

72.      Das Übereinkommen stellt sich als Teil einer gemeinsamen Politik aller seiner Vertragsparteien zum Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten dar(36). Mit dem Übereinkommen sollen, wie bereits erwähnt, die innerhalb der Union ohnehin schon geltenden Standards für den rechtlichen Schutz der besagten Dienstleistungen auf Drittstaaten ausgedehnt werden, so dass ein für den gesamten europäischen Kontinent geltendes Recht der zugangskontrollierten Dienste geschaffen werden kann(37).

73.      Auf diese Weise kommt es in ganz Europa – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Europäischen Binnenmarkts – zu einheitlicheren rechtlichen Rahmenbedingungen („level playing field“) für die Erbringung der besagten Dienstleistungen.

74.      Dadurch wird es zum einen Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union erleichtert, außerhalb des Europäischen Binnenmarkts – in anderen Vertragsstaaten des Europarats – ihre Dienstleistungen auf dem Gebiet der zugangskontrollierten Dienste und der Zugangskontrolldienste zu erbringen. Zum anderen wird es Unternehmen und Personen mit Sitz in Vertragsstaaten des Europarats außerhalb der Europäischen Union erschwert, die Erbringung solcher Dienstleistungen durch unberechtigte Zugriffe zu stören oder weniger attraktiv zu machen. Wenn auf dem gesamten europäischen Kontinent nach einheitlichen rechtlichen Standards gegen widerrechtliche Handlungen vorgegangen wird, wird es für die Urheber solcher Handlungen schwieriger als bisher, noch „sichere Häfen“ in Europa zu finden, wie sie bislang in einigen Vertragsstaaten des Europarats außerhalb der Europäischen Union zu existieren scheinen(38).

75.      Das Übereinkommen erleichtert also den im Europäischen Binnenmarkt beheimateten Unternehmen nicht nur die legale Erbringung von Dienstleistungen in Drittstaaten, sondern führt auch dazu, dass die gegen diese Dienstleistungen gerichteten rechtswidrigen Praktiken (sogenannte „Piraterie“), die in Drittstaaten ihren Ausgang nehmen, wirksamer als bislang bekämpft werden können.

76.      Auf diese Weise werden Handelshemmnisse im Verhältnis der Union zu Drittstaaten abgebaut, die auf den Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen der Vertragsparteien beruhen. Dass es sich dabei um Handelshemmnisse dreht, die nichts mit der Erbringung der betreffenden Dienstleistungen als solcher zu tun haben, sondern vielmehr mit dem (bislang unzureichenden) rechtlichen Schutz dieser Dienstleistungen in manchen Drittstaaten zusammenhängen, spricht – entgegen der Meinung Schwedens – nicht gegen die Anwendung von Art. 207 AEUV. Denn auch Handelshemmnisse, die auf einen mangelnden rechtlichen Schutz von Waren oder Dienstleistungen in Drittstaaten zurückgehen, fallen in den Anwendungsbereich einer modernen Handelspolitik und können somit Gegenstand von Maßnahmen nach Art. 207 AEUV sein(39).

77.      Anders als der Rat und seine Streithelfer meinen, ist eine Verbesserung des rechtlichen Schutzes der besagten Dienstleistungen für den internationalen Handel keineswegs nur zweitrangig oder von mittelbarem Charakter. Vielmehr sind möglichst einheitliche und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen heute in vielen Bereichen von entscheidender Bedeutung für den Außenhandel, zumal dann, wenn es sich um komplexe oder kostspielige Waren oder Dienstleistungen handelt, bei deren Erzeugung oder Vertrieb es in erheblichem Umfang auf geistiges Eigentum oder schöpferische Leistungen ankommt.

78.      Genau dies ist bei den hier in Rede stehenden audiovisuellen Dienstleistungen und Diensten der Informationsgesellschaft der Fall. Wie nämlich in der Präambel des Übereinkommens ausdrücklich anerkannt wird, bedroht der unberechtigte Zugang die Rentabilität der Anbieter von Rundfunkdiensten und Diensten der Informationsgesellschaft und kann sich sogar auf die Vielfalt der der Allgemeinheit angebotenen Programme und Dienste auswirken(40).

79.      Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht abstreiten, dass sich der durch das Übereinkommen bewirkte Export von innerhalb des Europäischen Binnenmarkts geltenden rechtlichen Standards in europäische Drittstaaten aus Sicht der Union als genuin handelspolitische Maßnahme darstellt.

–       Auf Art. 207 AEUV kann auch dann zurückgegriffen werden, wenn am Rande die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- oder Strafsachen berührt sein sollte

80.      Der Rat und einige seiner Streithelfer – namentlich Schweden und Polen – bringen noch vor, die Regelungen in Art. 6 und 8 des Übereinkommens über Einziehungsmaßnahmen und die diesbezügliche internationale Zusammenarbeit seien thematisch nicht der Gemeinsamen Handelspolitik, sondern der justiziellen Zusammenarbeit und damit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zuzuordnen, weswegen die Unterzeichnung des Übereinkommens nicht auf Art. 207 AEUV gestützt werden könne.

81.      Dieser Einwand überzeugt nicht.

82.      Für sich allein betrachtet können zwar Einziehungsmaßnahmen und die darauf bezogene internationale Zusammenarbeit dem Politikbereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- oder Strafsachen zugerechnet werden. Allerdings machen hier die Einziehungsmaßnahmen und die darauf gerichtete internationale Zusammenarbeit, wie bereits erwähnt(41), nicht den Hauptgegenstand des Übereinkommens aus. Da der Schwerpunkt des Übereinkommens im handelspolitischen Bereich liegt, ist die Unterzeichnung des gesamten Übereinkommens ausschließlich auf Art. 207 AEUV zu stützen(42). Ein Rückgriff auf andere Rechtsgrundlagen, wie etwa Art. 83 Abs. 2 AEUV, ist nicht statthaft.

83.      Dieser Befund wird auch durch die Protokolle Nr. 21(43) und Nr. 22(44) zum EU-Vertrag und zum AEU-Vertrag nicht in Frage gestellt. In diesen beiden Protokollen sind Regelungen über die Position des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts enthalten, die diesen drei Mitgliedstaaten bestimmte Sonderrechte einräumen.

84.      Der sachliche Anwendungsbereich dieser Sonderregelungen ist ausdrücklich auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begrenzt. Als Ausnahmeregelungen sind sie zudem eng auszulegen. Sinn und Zweck der Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 ist es nicht, auf anderen Teilgebieten des Unionsrechts, insbesondere in der Gemeinsamen Handelspolitik (oder auch im Binnenmarkt), die Teilnahme an den von den Unionsorganen beschlossenen Maßnahmen und die Bindung an sie in das freie Ermessen des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks zu stellen(45).

85.      Die Protokolle Nr. 21 und Nr. 22 können nicht dazu führen, dass von den allgemein anerkannten Regeln zur Wahl der richtigen Rechtsgrundlage für einen Unionsrechtsakt abgewichen wird. Zu diesen Regeln, die letztlich auf der Systematik der Verträge in ihrer Gesamtheit beruhen, gehört insbesondere, dass sich die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Unionsrechtsakt am Schwerpunkt seines Regelungsgehalts zu orientieren hat, selbst wenn er darüber hinaus am Rande auch Regelungen enthalten mag, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts berühren können(46).

86.      Ebenso wenig lassen sich die in den Protokollen Nr. 21 und Nr. 22 vorgesehenen verfahrensrechtlichen Besonderheiten(47) auf andere Teilgebiete des Unionsrechts als den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts übertragen. Denn nicht die Verfahren sind für die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts maßgebend, sondern die Rechtsgrundlage ist maßgebend für die beim Erlass des Rechtsakts anzuwendenden Verfahren(48).

87.      Folglich können sich das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark in Bezug auf einen Rechtsakt, der im Schwerpunkt der Gemeinsamen Handelspolitik zuzuordnen ist, nicht auf ihre Sonderrechte nach den Protokollen Nr. 21 und Nr. 22 berufen, und der Rat muss beim Erlass eines solchen Rechtsakts keine Rücksicht auf diese Sonderrechte nehmen, auch nicht im Hinblick auf einzelne Aspekte oder Bestandteile dieses Rechtsakts.

3.      Zwischenergebnis

88.      Alles in allem wäre somit nicht Art. 114 AEUV, sondern Art. 207 AEUV die zutreffende Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss gewesen. Auf Art. 207 AEUV kann die Unterzeichnung des gesamten Übereinkommens seitens der Union gestützt werden. Folglich ist dem ersten von der Kommission vorgebrachten Klagegrund stattzugeben.

B –    Ausschließliche Zuständigkeit der Union zum Abschluss des Übereinkommens (zweiter Klagegrund)

89.      Mit ihrem zweiten Klagegrund beanstandet die Kommission die Rechtsauffassung des Rates, wonach das Übereinkommen „sowohl von der Europäischen Union als auch von ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet werden“ sollte(49), also als gemischtes Abkommen. Mit einer solchen Vorgehensweise wird nach Ansicht der Kommission und des Parlaments die ausschließliche Zuständigkeit der Union zum Abschluss des Übereinkommens verletzt. Der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten beziehen den entgegengesetzten Standpunkt.

1.      Vorfrage: Ist der zweite Klagegrund wirkungslos („inopérant“)?

90.      In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat der Rat geltend gemacht, der zweite Klagegrund der Kommission sei wirkungslos (Französisch: „inopérant“). Nach Ansicht des Rates regelt der angefochtene Beschluss allein die Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Union und enthält keinerlei bindende Festlegung zu der Frage, ob neben der Union auch die Mitgliedstaaten Vertragsparteien des Übereinkommens sein müssen oder dürfen. Daraus folgert der Rat, dass der zweite Klagegrund der Kommission, selbst wenn er begründet sein sollte, nicht zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen könnte.

91.      Dieser Einwand ist nicht stichhaltig.

92.      Zwar beschränkt sich der Tenor des angefochtenen Beschlusses hier in der Tat darauf, die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union zu genehmigen (vgl. Art. 1 jenes Beschlusses). Die rechtliche und praktische Tragweite einer solchen Genehmigung ist jedoch eine völlig andere, je nachdem, ob das Übereinkommen ausschließlich von der Union oder aber als gemischtes Abkommen zugleich von der Union und ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet werden soll.

93.      Im vorliegenden Fall hat der Rat in der Präambel des angefochtenen Beschlusses klar seine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, dass Art. 6 des Übereinkommens und Teile von Art. 8 des Übereinkommens nicht von der Außenkompetenz der Union gedeckt seien und dass deshalb das Übereinkommen als gemischtes Abkommen abzuschließen sei(50). Dies bedeutet, dass die unionsinterne Genehmigung zur Unterzeichnung des Übereinkommens, wie sie der Rat in Art. 1 des angefochtenen Beschlusses ausspricht, sich nicht auf die Art. 6 und 8 des Übereinkommens erstreckt, so dass neben der Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Union auch die Unterzeichnung durch alle ihre Mitgliedstaaten erforderlich ist(51).

94.      Mit dem zweiten Klagegrund wird also im Kern die Frage aufgeworfen, ob der angefochtene Beschluss rechtswidrig ist, weil der Rat darin eine Genehmigung erteilt hat, die nicht weit genug reicht. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die im Rahmen einer Nichtigkeitsklage der Prüfung durch den Gerichtshof zugänglich ist. Ergibt sich, dass das Übereinkommen in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt, so ist der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären, weil der Rat eine Genehmigung ausgesprochen hat, die in ihrem Umfang und ihrer Tragweite hinter dem zurückbleibt, was rechtlich geboten gewesen wäre.

2.      Inhaltliche Würdigung des zweiten Klagegrundes

95.      Der zweite Klagegrund greift durch, wenn die Union zum Abschluss des Übereinkommens ausschließlich zuständig ist.

96.      Eine solche exklusive Kompetenz kann sich zum einen aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV (vgl. dazu sogleich, Abschnitt a) und zum anderen aus Art. 3 Abs. 2 AEUV ergeben (vgl. dazu unten, Abschnitt b). Liegt sie vor, so können keine parallelen Kompetenzen der Mitgliedstaaten bestehen(52). Vielmehr folgt aus der ausschließlichen Zuständigkeit der Union ein generelles Verbot für das Tätigwerden der Mitgliedstaaten (Art. 2 Abs. 1 zweiter Halbsatz AEUV). Ausgeschlossen ist damit auch ein etwaiges freiwilliges Mitwirken der Mitgliedstaaten an der Seite der Union als Vertragsparteien einer internationalen Übereinkunft(53). Denn auf internationaler Ebene kann ein Auftreten von Mitgliedstaaten im eigenen Namen neben der Union das Verhandlungsergebnis beeinflussen und stellt zudem die alleinige Außenkompetenz der Union zum Abschluss der Übereinkunft in Frage.

a)      Ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV

97.      Wie oben gezeigt(54), ist das Übereinkommen zur Gänze auf Art. 207 AEUV zu stützen, fällt also in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik. Damit besteht für den Abschluss des Übereinkommens eine ausschließliche Außenkompetenz der Union (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV).

98.      Schon aus diesem Grund ist dem zweiten Klagegrund der Kommission stattzugeben.

b)      Hilfsweise: Ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 2 AEUV

99.      Für den Fall, dass der Gerichtshof das Übereinkommen entgegen meinem Vorschlag nicht der Gemeinsamen Handelspolitik (Art. 207 AEUV) zuordnen, sondern es als Harmonisierungsmaßnahme zur Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts ansehen sollte (Art. 114 AEUV), bleibt hilfsweise zu prüfen, ob nicht gleichwohl eine ausschließliche Außenkompetenz der Union zum Abschluss dieses Übereinkommens besteht. Die Kommission und das Parlament bringen vor, eine solche ausschließliche Kompetenz folge aus Art. 3 Abs. 2 AEUV, wohingegen der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten vehement bestreiten, dass die Anwendungsvoraussetzungen jener Vorschrift erfüllt sind.

i)      Vorbemerkung

100. In Betracht kommt hier allein die dritte Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV, wonach die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss einer internationalen Übereinkunft verfügt, „soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“. Die Formulierung „könnte“ in Art. 3 Abs. 2 AEUV unterstreicht, dass es nicht zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung oder Veränderung der Tragweite von gemeinsamen Regeln kommen muss, vielmehr reicht es aus, dass eine internationale Übereinkunft geeignet ist, solche Wirkungen auszulösen, d. h. mit der Übereinkunft muss die konkrete Gefahr einer solchen Beeinträchtigung oder Veränderung der Tragweite gemeinsamer Regeln einhergehen.

101. Dazu ist zunächst anzumerken, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln nicht allein deshalb ausgeschlossen ist, weil die Vorschriften einer internationalen Übereinkunft und die unionsintern bestehenden Regelungen – wie hier(55) – inhaltlich weitgehend übereinstimmen(56). Denn selbst bei inhaltlicher Übereinstimmung reduziert sich der Handlungsspielraum des Unionsgesetzgebers, sobald völkerrechtliche Bindungen gegenüber Drittstaaten eingegangen werden. Daran ändert übrigens auch eine Trennungsklausel wie die in Art. 11 Abs. 4 des Übereinkommens nichts, vielmehr kann eine solche Klausel sogar als Indiz für die Gefahr einer Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln angesehen werden(57).

102. Dementsprechend räumt auch der Rat im vorliegenden Fall ein, dass eine Gefahr der Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AEUV – und folglich eine ausschließliche Kompetenz der Union – überall dort besteht, wo das Übereinkommen und die Richtlinie 98/84 im Wesentlichen übereinstimmen. Dies trifft vor allem auf die Begriffsbestimmungen zu, in denen definiert wird, was unter einem „geschützten Dienst“, einer „Zugangskontrolle“, einer „Zugangskontrollvorrichtung“ und einer „illegalen Vorrichtung“ zu verstehen ist(58). Gleiches gilt für die Festlegung der Handlungen, die als „Zuwiderhandlungen“ verboten sein sollen(59).

103. Höchst umstritten ist jedoch zwischen den Verfahrensbeteiligten, ob eine solche ausschließliche Vertragsschlusskompetenz der Union im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AEUV auch im Hinblick auf die Einziehungsmaßnahmen gemäß Art. 6 des Übereinkommens besteht, sowie außerdem im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit gemäß Art. 8 des Übereinkommens, soweit diese ihrerseits Einziehungsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 betrifft. Aus Sicht des Rates führen speziell diese beiden Punkte zu der Notwendigkeit, das Übereinkommen als gemischtes Abkommen zu betrachten(60).

104. In diesem Zusammenhang ist zum einen zu erörtern, ob von den Art. 6 und 8 des Übereinkommens eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 ausgeht (vgl. dazu sogleich, Abschnitt ii), und zum anderen, ob das Übereinkommen als Ganzes ein Gebiet betrifft, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist (vgl. dazu unten, Abschnitt iii).

ii)    Keine Gefahr der Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie durch die Art. 6 und 8 des Übereinkommens

105. Die Kommission und das Parlament sind der Auffassung, die in Art. 6 des Übereinkommens erwähnten Einziehungsmaßnahmen seien als Sanktionen in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 bereits mitgeregelt. Deshalb bestehe auch für diesen Teil des Übereinkommens eine ausschließliche Zuständigkeit der Union im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AEUV.

106. Dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig.

107. Wie der Rat und die ihn unterstützenden Mitgliedstaaten überzeugend dargelegt haben, enthält Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 nur eine höchst allgemeine und rudimentäre Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, Sanktionen vorzusehen, die „wirksam, abschreckend und der potenziellen Wirkung der Zuwiderhandlung angemessen sein“ müssen. Den Mitgliedstaaten verbleibt dabei ein weites Ermessen, in ihren nationalen Rechtsordnungen die jeweils geeigneten Sanktionen festzulegen. Dazu kann die Beschlagnahme und Einziehung von Gegenständen gehören(61), verpflichtend ist dies jedoch nach der Richtlinie nicht(62).

108. Letztlich ergreifen die Mitgliedstaaten nur gemeinsam eine Maßnahme zur Erfüllung der ihnen nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 obliegenden Pflicht, wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen vorzusehen, wenn sie – allein oder unter Beteiligung von Drittstaaten – ein internationales Abkommen schließen, das Einziehungsmaßnahmen verpflichtend vorschreibt, so wie dies in Art. 6 des Übereinkommens der Fall ist. Die Mitgliedstaaten üben dann schlicht ihr Ermessen aus, das ihnen beim derzeitigen Stand des Unionsrechts verbleibt, und tragen überdies zur Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 98/84 bei.

109. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwieweit die Art. 6 und 8 des Übereinkommens konkret geeignet sein sollen, die Sanktionsvorschrift in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 zu beeinträchtigen oder in ihrer Tragweite zu verändern.

iii) Ein Gebiet, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist

110. Selbst wenn aber die Art. 6 und 8 des Übereinkommens als solche keine Gefahr der Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 nach sich ziehen, kann das Übereinkommen insgesamt gleichwohl in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen. Eine exklusive Vertragsschlusskompetenz der Union ist nämlich nach gefestigter Rechtsprechung(63) immer schon dann anzunehmen, wenn ein Gebiet betroffen ist, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist.

–       Relevanz der bisherigen Rechtsprechung im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 AEUV

111. Der Rat und einige seiner Streithelfer wenden zwar allgemein ein, diese Rechtsprechung sei nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr relevant, weil es mit Art. 3 Abs. 2 AEUV zu einer engeren Fassung der ausschließlichen Kompetenzen der Union auf dem Gebiet des auswärtigen Handelns gekommen sei. Dieser Einwand ist jedoch zurückzuweisen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon eine solche Einschränkung vornehmen wollten. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist der Rat auf meine Nachfrage hin konkrete Belege für seine These – etwa aus den Vorarbeiten des Europäischen Konvents zum Vertrag über eine Verfassung für Europa oder aus den Vorarbeiten zum Vertrag von Lissabon – schuldig geblieben.

112. Meines Erachtens handelt es sich bei der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV um eine Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den ausschließlichen Vertragsschlusskompetenzen der Union im Rahmen der „AETR-Doktrin“(64). Dies hat auch Frankreich in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ausdrücklich eingeräumt.

113. Dementsprechend sollten sich Auslegung und Anwendung der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV an der bisherigen Rechtsprechung orientieren. Für die Annahme einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft im Sinne der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV reicht es deshalb auch weiterhin aus, dass ein Gebiet betroffen ist, welches bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist.

–       Das Protokoll Nr. 25 steht einer Anwendung der bisherigen Rechtsprechung nicht entgegen

114. Nichts Gegenteiliges folgt aus dem Protokoll Nr. 25 zum EU-Vertrag und zum AEU-Vertrag(65), das vorsieht, die Ausübung einer geteilten Zuständigkeit durch die Union erstrecke sich „nur auf die durch den entsprechenden Rechtsakt der Union geregelten Elemente und nicht auf den gesamten Bereich“.

115. Denn ausweislich seines Wortlauts bezieht sich dieses Protokoll Nr. 25 allein auf die Ausübung der geteilten Zuständigkeiten der Union im Sinne von Art. 2 Abs. 2 AEUV, nicht jedoch auf die Reichweite ihrer ausschließlichen Zuständigkeiten im Sinne von Art. 2 Abs. 1 AEUV. Erst recht fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon mit diesem Protokoll speziell die Reichweite der ausschließlichen Vertragsschlusskompetenz der Union gemäß der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV direkt oder indirekt beschränken wollten. Gegen eine solche Beschränkung spricht nicht zuletzt, dass es im Protokoll Nr. 25 an jeder Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 2 AEUV fehlt.

116. Hervorzuheben ist außerdem, dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV nicht in erster Linie vom bloßen Bestehen oder Nichtbestehen gemeinsamer Regeln auf einem bestimmten Sachgebiet abhängt, sondern an die Gefahr der Beeinträchtigung dieser gemeinsamen Regeln oder der Veränderung ihrer Tragweite geknüpft ist. Eine derartige Gefahr kann bereits dann entstehen, wenn eine internationale Übereinkunft Regelungen enthält, die in engem inhaltlichem Zusammenhang mit Gemeinschaftsvorschriften stehen, durch die das betreffende Sachgebiet bereits weitgehend unionsrechtlich determiniert ist. Solche Gemeinschaftsvorschriften können nämlich von einer internationalen Übereinkunft selbst dann negativ berührt werden, wenn die Gemeinschaftsvorschriften und die internationale Übereinkunft nicht exakt die gleichen „Elemente“ (im Sinne des Protokolls Nr. 25) regeln.

117. Vor diesem Hintergrund hat das von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium des Gebiets, welches bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist, auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nichts von seiner Bedeutung für die Feststellung von ausschließlichen Vertragsschlusskompetenzen der Union nach der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV verloren.

–       Vorliegen eines Gebiets, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist

118. Zu prüfen bleibt, ob es sich konkret im vorliegenden Fall bei dem von der Übereinkunft erfassten Gebiet um ein solches handelt, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist. Dabei muss sich die Analyse nicht nur auf den Umfang der fraglichen Vorschriften, sondern auch auf ihre Natur und ihren Inhalt stützen. Ferner sind neben dem aktuellen Stand des Unionsrechts auf dem betreffenden Gebiet auch dessen Entwicklungsperspektiven zu berücksichtigen, wenn sie zum Zeitpunkt der Analyse absehbar sind(66).

119. Das von der Übereinkunft betroffene Gebiet ist der rechtliche Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten.

120. Dieses Gebiet hat der Unionsgesetzgeber innerhalb der Union durch den Erlass der Richtlinie 98/84 bereits weitgehend harmonisiert. Dabei hat er keineswegs nur Mindeststandards erlassen, sondern zahlreiche Aspekte des besagten Gebiets einer vollständigen Harmonisierung unterzogen. Insbesondere hat er unionsweit einheitliche Begriffsbestimmungen eingeführt (Art. 2 der Richtlinie) und unionsweit einheitlich geregelt, welche Handlungen innerhalb des Binnenmarkts verboten sein sollen (Art. 4 der Richtlinie). Auch eine – sicherlich sehr allgemeine – Gemeinschaftsregelung über Sanktionen und Rechtsbehelfe besteht (Art. 5 der Richtlinie).

121. Dass der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 98/84 den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Wahl der Sanktionen belassen hat, spricht nicht gegen die Annahme, dass das Gebiet des rechtlichen Schutzes von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten in seiner Gesamtheit betrachtet bereits weitgehend unionsrechtlich determiniert ist.

122. Unter diesem Blickwinkel sind somit die Voraussetzungen der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV, wie sie in der Rechtsprechung präzisiert sind(67), erfüllt.

123. Folglich genießt die Union zum Abschluss des Übereinkommens gemäß der dritten Variante von Art. 3 Abs. 2 AEUV eine ausschließliche Zuständigkeit, weil das Übereinkommen ein Gebiet betrifft, das bereits weitgehend von Gemeinschaftsvorschriften erfasst ist. Auch aus diesem Grund greift der zweite Klagegrund der Kommission durch.

C –    Zusammenfassung

124. Beide Klagegründe der Kommission sind damit erfolgreich, und jeder von ihnen rechtfertigt schon für sich allein die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses (Art. 263 Abs. 1 und 2 AEUV in Verbindung mit Art. 264 Abs. 1 AEUV).

D –    Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Beschlusses

125. Erklärt der Gerichtshof den angefochtenen Beschluss für nichtig, so sollte er gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV dessen Wirkungen bis zum Erlass eines neuen, auf die zutreffende Rechtsgrundlage gestützten Beschlusses aufrechterhalten. Auf diese Weise wird auf internationaler Ebene jeder Zweifel am Mandat der im Namen der Union vertretungsberechtigten Personen zur Unterzeichnung des Übereinkommens vermieden, die Rechtswirkungen einer etwa bereits erfolgten Unterzeichnung können nicht in Frage gestellt werden, und es kommt zu keinen Verzögerungen im Ratifizierungsverfahren.

126. Darüber hinaus obliegt es den Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit mit der Union (Art. 4 Abs. 3 EUV), sich jeder Maßnahme zu enthalten, die die ausschließliche Zuständigkeit der Union beeinträchtigen könnte(68). Dazu gehört, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen noch nicht unterzeichnet haben, dies auch weiterhin unterlassen, und dass diejenigen, die es bereits unterzeichnet haben, von seiner Ratifizierung Abstand nehmen.

VII – Kosten

127. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung vom 25. September 2012 ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da nach der von mir vorgeschlagenen Lösung der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Rat die Kosten aufzuerlegen. Abweichend davon tragen allerdings Frankreich, die Niederlande, Polen, Schweden, das Vereinigte Königreich und das Europäische Parlament als Streithelfer gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung jeweils ihre eigenen Kosten.

VIII – Ergebnis

128. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Der Beschluss 2011/853/EU des Rates vom 29. November 2011 wird für nichtig erklärt.

2)      Die Wirkungen des für nichtig erklärten Beschlusses werden bis zum Erlass eines neuen, auf die zutreffende Rechtsgrundlage gestützten Beschlusses aufrechterhalten.

3)      Dem Rat der Europäischen Union fallen seine eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission zur Last.

4)      Die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, das Königreich Schweden, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie das Europäische Parlament tragen jeweils ihre eigenen Kosten.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Vgl. Gutachten 2/00 vom 6. Dezember 2001 (Slg. 2001, I‑9713, Randnr. 5), Gutachten 1/08 vom 30. November 2009 (Slg. 2009, I‑11129, Randnr. 110) und Urteil vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat (C‑370/07, Slg. 2009, I‑8917, Randnr. 47).


3 – ABl. 2011, L 336, S. 2 (vom Europarat veröffentlicht in SEV Nr. 178).


4 – Beschluss 2011/853/EU des Rates vom 29. November 2011 über die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten im Namen der Union (ABl. L 336, S. 1).


5 – Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage außerdem Art. 218 Abs. 5 AEUV heranzuziehen war, so wie im angefochtenen Beschluss geschehen.


6 – Sechster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


7 – Richtlinie 98/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 1998 über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (ABl. L 320, S. 54).


8 – Die AETR-Doktrin geht zurück auf das Urteil vom 31. März 1971, Kommission/Rat („AETR“, 22/70, Slg. 1971, 263, Randnrn. 15 bis 19); eine Zusammenfassung jüngeren Datums findet sich etwa im Gutachten 1/03 vom 7. Februar 2006 (Slg. 2006, I‑1145, Randnrn. 114 bis 133).


9 – Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Zweiter Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 98/84/EG, KOM(2008) 593 endgültig, vorgelegt am 30. September 2008 (vgl. dort Abschnitt 4.2.4).


10 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten, KOM(2010) 753 endgültig.


11 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Europäischen Übereinkommens über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten, KOM(2010) 755 endgültig.


12 – Sechster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


13 – Protokoll der 3 128. Sitzung des Rates der Europäischen Union in Brüssel am 28. und 29. November 2011 (Tagesordnungspunkt 11 mit Anhängen).


14 – Polen und Schweden haben keine Kostenanträge gestellt.


15 – Die Niederlande und Polen haben sich nicht an der mündlichen Verhandlung beteiligt.


16 – Vgl. den ersten Bezugsvermerk in der Präambel des angefochtenen Beschlusses.


17 – Urteile vom 11. Juni 1991, Kommission/Rat (C‑300/89, Slg. 1991, I‑2867, Randnr. 10), vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnr. 182), und vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat (C‑130/10, Randnr. 42).


18 – Fünfter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


19 – Vgl. dazu auch den sechsten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


20 – Im selben Sinne, bezogen auf Art. 48 AEUV, meine Schlussanträge vom 21. März 2013 in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat (C‑431/11, anhängig vor dem Gerichtshof, insbesondere Nrn. 47 und 48).


21 – Vgl. insbesondere Gutachten 1/76 vom 26. April 1977 (Slg. 1977, 741, insbesondere Randnrn. 3 bis 7), Gutachten 1/94 vom 15. November 1994 (Slg. 1994, I‑5267, Randnrn. 85, 88 und 89), Urteil vom 5. November 2002, Kommission/Dänemark (C‑467/98, Slg. 2002, I‑9519, Randnr. 57), und Gutachten 1/03 (zitiert in Fn. 8, Randnr. 115).


22 – Urteile vom 27. September 1988, Kommission/Rat (165/87, Slg. 1988, 5545, Randnrn. 18 bis 21), vom 9. September 2004, Spanien und Finnland/Parlament und Rat (C‑184/02 und C‑223/02, Slg. 2004, I‑7789, Randnrn. 42 bis 44), und vom 14. Dezember 2004, Swedish Match (C‑210/03, Slg. 2004, I‑11893, Randnr. 44); vgl. außerdem meine Schlussanträge vom 26. Mai 2005 in der Rechtssache Kommission/Rat (C‑94/03, Slg. 2006, I‑1, Nr. 53) und vom 21. März 2013 in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat (C‑431/11, anhängig vor dem Gerichtshof, Nrn. 79 bis 81).


23 – Erläuternder Bericht zum Übereinkommen (abrufbar in französischer und englischer Sprache auf der Internet-Seite des Vertragsbüros des Europarats, unter http://www.conventions.coe.int, in der Rubrik SEV Nr. 178), Randnrn. 9 bis 11.


24 – Fünfter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


25 – Gutachten 1/03 (zitiert in Fn. 8, Randnr. 130); im selben Sinne Urteil Kommission/Dänemark (zitiert in Fn. 21, Randnr. 101).


26 – Zur Übereinstimmung zwischen den Bestimmungen des Übereinkommens und jenen der Richtlinie vgl. den dritten und fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


27 – Ergibt die Prüfung einer Maßnahme, dass sie zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine dieser Zielsetzungen oder Komponenten als die hauptsächliche ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist die Maßnahme auf nur eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf diejenige, die die hauptsächliche oder vorherrschende Zielsetzung oder Komponente erfordert (Urteile vom 6. November 2008, Parlament/Rat, C‑155/07, Slg. 2008, I‑8103, Randnr. 35, und Parlament/Rat, C‑130/10, zitiert in Fn. 17, Randnr. 43; im selben Sinne bereits Urteil vom 17. März 1993, Kommission/Rat, C‑155/91, Slg. 1993, I‑939, Randnrn. 19 und 21).


28 – Vgl. oben, Nr. 49 dieser Schlussanträge.


29 – Urteil vom 8. Juni 2010, Vodafone u. a. (C‑58/08, Slg. 2010, I‑4999, Randnr. 32); im selben Sinne bereits Urteile vom 10. Dezember 2002, British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco (C‑491/01, Slg. 2002, I‑11453, Randnr. 60), und vom 2. Mai 2006, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat (C‑217/04, Slg. 2006, I‑3771, Randnr. 42).


30 – Urteil Vodafone u. a. (zitiert in Fn. 29, Randnr. 32 am Ende); vgl. außerdem Urteile vom 12. Juli 2005, Alliance for Natural Health u. a. (C‑154/04 und C‑155/04, Slg. 2005, I‑6451, Randnr. 28), und vom 12. Dezember 2006, Deutschland/Parlament und Rat (C‑380/03, Slg. 2006, I‑11573, Randnr. 37).


31 – Vgl. dazu nochmals die oben in Fn. 30 angeführte Rechtsprechung.


32 – Vgl. oben, Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge.


33 – Vgl. Nrn. 40 bis 61 der vorliegenden Schlussanträge.


34 – So verhält es sich etwa mit dem im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) geltenden Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums („TRIPS-Übereinkommen“, ABl. 1994, L 336, S. 214), vgl. insbesondere Teil II jenes Übereinkommens.


35 – Urteile vom 12. Dezember 2002, Kommission/Rat (C-281/01, Slg. 2002, I‑12049, Randnrn. 40 am Ende und 41 am Ende), vom 12. Mai 2005, Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und ERSA (C‑347/03, Slg. 2005, I‑3785, Randnr. 75), und vom 8. September 2009, Kommission/Parlament und Rat (C‑411/06, Slg. 2009, I‑7585, Randnr. 71).


36 – Siebter Erwägungsgrund des Übereinkommens.


37 – Fünfter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


38 – Wie die Kommission jeweils in Randnr. 9 ihrer beiden Vorschläge für Beschlüsse des Rates (oben in den Fn. 10 und 11 angeführt) betont, können zahlreiche europäische Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, einen sicheren Hafen für Entwicklung und Verbreitung von Vorrichtungen darstellen, die dem unberechtigten Zugang zu zugangskontrollierten Diensten dienen, da ihre Rechtssysteme keine Sanktionen für diese sehr spezifische Art der Piraterie vorsehen.


39 – Vgl. dazu nochmals das TRIPS-Übereinkommen, insbesondere seinen Teil II.


40 – Sechster Erwägungsgrund des Übereinkommens; vgl. außerdem Randnrn. 2 und 3 des Erläuternden Berichts zum Übereinkommen.


41 – Vgl. oben, Nr. 56 dieser Schlussanträge.


42 – Vgl. dazu die oben in Fn. 27 angeführte Rechtsprechung.


43 – Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.


44 – Protokoll über die Position Dänemarks.


45 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Vereinigtes Königreich/Rat (C‑431/11, zitiert in Fn. 22, Nrn. 73 und 74).


46 – Vgl. dazu die oben in Fn. 27 angeführte Rechtsprechung.


47 – Im Protokoll Nr. 21 handelt es sich um die Notwendigkeit eines ausdrücklichen „Opt-in“ des Vereinigten Königreichs und Irlands, im Protokoll Nr. 22 um die Notwendigkeit einer Erklärung Dänemarks, eine Unionsmaßnahme in innerstaatliches Recht umsetzen zu wollen.


48 – Urteil Parlament/Rat (C‑130/10, zitiert in Fn. 17, Randnr. 80).


49 – Sechster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


50 – Sechster Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


51 – Dessen ungeachtet kann sich aus Sicht des Völkerrechts ergeben, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten jeweils an das gesamte Übereinkommen gebunden sind, also auch an diejenigen seiner Bestandteile, die nicht in ihre jeweiligen unionsinternen Zuständigkeiten fallen.


52 – Gutachten 1/75 vom 11. November 1975 (Slg. 1975, 1355, 1363 f.) und Gutachten 2/91 vom 19. März 1993 (Slg. 1993, I‑1061, Randnr. 8).


53 – Siehe dazu auch meine Schlussanträge vom 26. März 2009 in der Rechtssache Kommission/Rat („Vietnam“, C‑13/07, Nr. 53).


54 – Vgl. meine Ausführungen zum ersten Klagegrund in Nrn. 35 bis 88 dieser Schlussanträge.


55 – In der Präambel des angefochtenen Beschlusses betont der Rat, dass die Bestimmungen des Übereinkommens und der Richtlinie „nahezu identisch“ (dritter Erwägungsgrund) oder jedenfalls „vergleichbar“ sind (fünfter Erwägungsgrund).


56 – Gutachten 2/91 (zitiert in Fn. 52, Randnr. 26) und Urteil Kommission/Dänemark (zitiert in Fn. 21, Randnr. 82).


57 – Gutachten 1/03 (zitiert in Fn. 8, Randnr. 130).


58 – Vgl. einerseits Art. 2 der Richtlinie und andererseits Art. 2 des Übereinkommens.


59 – Vgl. einerseits Art. 4 der Richtlinie und andererseits Art. 4 des Übereinkommens.


60 – In diesem Sinne der sechste Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


61 – Urteil vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation (C‑286/90, Slg. 1992, I‑6019, Randnr. 31); ähnlich Urteil vom 27. Februar 1997, Ebony Maritime und Loten Navigation (C‑177/95, Slg. 1997, I‑1111, Randnrn. 32 und 33).


62 – Vgl. auch den 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 98/84, in dem die Beschlagnahme illegaler Vorrichtungen sogar einer Kategorie der „anderen Sanktion“ zugeordnet wird, die von der Richtlinie „unberührt“ bleiben.


63 – Gutachten 2/91 (zitiert in Fn. 52, Randnrn. 25 und 26), Urteil Kommission/Dänemark (zitiert in Fn. 21, Randnrn. 81 und 82) und Gutachten 1/03 (zitiert in Fn. 8, Randnr. 126).


64 – Vgl. dazu die oben in Fn. 8 angeführte Rechtsprechung.


65 – Protokoll über die Ausübung der geteilten Zuständigkeiten.


66 – Gutachten 1/03 (zitiert in Fn. 8, Randnr. 126).


67 – Vgl. dazu die Nachweise oben in Fn. 63.


68 – In diesem Sinne Urteile vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg (C‑266/03, Slg. 2005, I‑4805, Randnrn. 57 bis 67, ferner Randnrn. 41 bis 43), und vom 14. Juli 2005, Kommission/Deutschland (C‑433/03, Slg. 2005, I‑6985, Randnrn. 60 bis 73, ferner Randnrn. 43 bis 45).