Language of document : ECLI:EU:C:2013:647

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

10. Oktober 2013(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Grundsatz der Gleichbehandlung – Nicht offenes Verfahren – Vergabebekanntmachung – Aufforderung, den Bewerbungsunterlagen die letzte veröffentlichte Bilanz beizufügen – Fehlen dieser Bilanz in den Unterlagen einiger Bewerber – Befugnis des öffentlichen Auftraggebers, diese Bewerber nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Bewerbungsunterlagen aufzufordern, ihm die betreffende Bilanz zu übermitteln“

In der Rechtssache C‑336/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung vom 4. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2012, in dem Verfahren

Ministeriet for Forskning, Innovation og Videregående Uddannelser

gegen

Manova A/S

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zehnten Kammer E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Rosas und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Manova A/S, vertreten durch J. Munk Plum, advokat,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, advokat,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch U. Nielsen und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministeriet for Forskning, Innovation og Videregående Uddannelser (Ministerium für Forschung, Innovation und Hochschulen) und Manova A/S (im Folgenden: Manova) über die Rechtmäßigkeit eines vom Undervisningsministeriet (Unterrichtsministerium, im Folgenden: Ministerium) vorgesehenen Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags.

 Rechtlicher Rahmen

 Das Unionsrecht

3        Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) heißt es:

„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im [EG‑]Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. …“

4        Art. 2 dieser Richtlinie, der die Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen betrifft, bestimmt:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.“

5        Nach Art. 21 der genannten Richtlinie unterliegen Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B nur Art. 23 über technische Spezifikationen und Art. 35 Abs. 4 über die Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens. Die Kategorie 24 dieses Anhangs nennt das Unterrichtswesen und die Berufsausbildung.

6        Gemäß Art. 51 der Richtlinie 2004/18 kann „der öffentliche Auftraggeber … Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die in Anwendung der Artikel 45 bis 50 vorgelegten Bescheinigungen und Dokumente zu vervollständigen oder zu erläutern“.

 Das dänische Recht

7        Die Richtlinie 2004/18 wurde mit der Rechtsverordnung Nr. 937 vom 16. September 2004 (im Folgenden: Rechtsverordnung Nr. 937/2004), die zu dem Zeitpunkt, zu dem das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vergabeverfahren durchgeführt wurde, in Kraft war, in dänisches Recht umgesetzt. Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Rechtsverordnung Nr. 937/2004 hatte der öffentliche Auftraggeber die Bestimmungen dieser Richtlinie einzuhalten, deren Text im Anhang aufgenommen wurde.

8        Titel II des Lov om indhentning af tilbud på visse offentlige og offentlig støttede kontrakter (Gesetz über die Einholung von Angeboten für einige öffentliche oder öffentlich unterstützte Verträge), bekannt gegeben durch die Rechtsverordnung Nr. 1410 vom 7. Dezember 2007, enthält Bestimmungen über Liefer- und Dienstleistungsverträge. Gemäß § 15a Abs. 1 dieses Gesetzes gilt dieser Titel für Aufträge über Dienstleistungen, die unter Anhang II B der Richtlinie 2004/18 fallen und deren Wert 500 000 dänische Kronen (DKK) übersteigt, wie es bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag der Fall ist.

9        Nach § 15d Abs. 1 dieses Gesetzes hat der öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und der Durchführung des Verfahrens darauf zu achten, „dass die Auswahl der Bieter auf der Grundlage objektiver, sachlicher und nicht diskriminierender Kriterien erfolgt und keine Diskriminierung der Bieter stattfindet“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10      Das Ministerium veröffentlichte in einer Bekanntmachung vom 12. September 2008 eine Ausschreibung der für den Betrieb von sieben regionalen Studienwahlzentren (im Folgenden: Beratungszentren) erforderlichen Leistungen ab 1. August 2009. Der Wert dieser Ausschreibung überstieg den in Art. 7 der Richtlinie 2004/18 festgesetzten Schwellenwert.

11      Die fraglichen Leistungen, die hauptsächlich in der Beratung von Auszubildenden über die Studien- und Berufswahl liegen, fallen unter die Kategorie 24 des Anhangs II B der Richtlinie 2004/18.

12      Da es nach Auffassung des Ministeriums bei der im Auswahlverfahren in Rede stehenden Ausschreibung um komplexe Leistungen ging, die Verhandlungen erforderlich machten, enthielt das Verfahren eine erste Phase der Vorauswahl.

13      Der Punkt „Qualitative Auswahlkriterien“ der Vergabebekanntmachung enthielt folgende Bestimmung:

„Bieter, die berücksichtigt werden möchten, müssen als Grundlage der Beurteilung ihrer wirtschaftlichen und fachlichen Qualifikationen die folgenden Auskünfte geben und die genannten Mindestanforderungen erfüllen:

2) Vorlage der letzten Bilanz des Bieters, sofern der Bieter verpflichtet ist, eine Bilanz zu erstellen.

3) Referenzliste …

4) Auskünfte über die durch Ausbildung erworbenen und fachlichen Qualifikationen des Bieters. …

Wenn das [Ministerium] mehr als drei Bewerbungen für jedes einzelne der sieben Lose erhält, die alle die oben genannten Bedingungen erfüllen, wird die Auswahl der Bewerber, die zur Angebotsabgabe und zur anschließenden Teilnahme am Verhandlungsverfahren aufgefordert werden, in der Weise getroffen, dass die Bewerber ausgewählt werden, die die besten und besonders relevanten Erfahrungen in Bezug auf die ausgeschriebenen Leistungen nachweisen. Referenzen (3) werden demnach höher als Auskünfte über die durch Ausbildung erworbenen und fachlichen Qualifikationen (4) gewichtet.“

14      Bei Ablauf der Frist für die Anträge auf Teilnahme am 14. Oktober 2008 waren Bewerbungen von zehn Unternehmen bzw. Einrichtungen für die Vorauswahl eingegangen, darunter von Syddansk Universitet (Universität Süd-Dänemark, im Folgenden: USD), Københavns Universitet (Universität Kopenhagen, im Folgenden: UK) und Manova.

15      Die Bewerbungen der USD und der UK enthielten keine Bilanzen. Die UK verwies insoweit auf ihre Homepage.

16      Am 29. Oktober 2008 sandte das Ministerium jeder der beiden Universitäten eine E-Mail mit der Bitte zu, ihm ihre Bilanzen zu übermitteln, der die UK am gleichen und die USD am nächsten Tag nachkamen.

17      Am 4. November 2008 wurden neun Kandidaten, darunter Manova, die USD und die UK, vorausgewählt, und drei Kandidaten wurden zur Angebotsabgabe für jedes Beratungszentrum aufgefordert. Für zwei dieser Zentren stand Manova im Wettbewerb mit der USD bzw. der UK.

18      Bei seiner abschließenden Bewertung der Angebote für die beiden Beratungszentren am 1. Mai 2009 kam das Ministerium zu dem Ergebnis, dass die Angebote der USD und der UK wirtschaftlich vorteilhafter waren als die Angebote von Manova – der einzigen Kandidatin, die letztendlich ein konkurrierendes Angebot für die genannten Zentren abgegeben hatte –, und schloss mit den beiden Universitäten Verträge über diese Zentren ab, die noch immer in Kraft sind.

19      Manova legte den Beschluss über die Vergabe dieser Lose an die genannten Universitäten dem Klagenævnet for Udbud (Vergabeprüfstelle) vor, der mit Beschluss vom 10. März 2010 zu dem Ergebnis kam, dass das Ministerium den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt habe, indem die Anträge auf Teilnahme der USD und der UK nicht mit der Begründung zurückgewiesen worden seien, dass ihre letzte Bilanz nicht gleichzeitig mit ihrem Antrag auf Teilnahme an der Vorauswahl eingereicht worden sei, und die besagten Verträge für nichtig erklärte.

20      Am 29. April 2010 legte das Ministerium gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Die Sache wurde an das Østre Landsret (Regionalgericht Ost) verwiesen.

21      Dieses Gericht weist darauf hin, dass nach gefestigter Entscheidungspraxis des Klagenævnet for Udbud Art. 51 der Richtlinie 2004/18 und allgemeiner der Grundsatz der Gleichbehandlung dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber von einem Bewerber oder Bieter Informationen anfordert, die als Bedingung für Bewerbungen oder Angebote, die andernfalls ausgeschlossen werden, übermittelt werden mussten, die dieser jedoch nicht erteilt hat.

22      Das vorlegende Gericht erwähnt ebenso, dass die Rechtsverordnung Nr. 712 vom 15. Juni 2011, die die Rechtsverordnung Nr. 937/2004 ab 1. Juli 2011 ersetzt, einen § 12 enthält, der im Prinzip dem öffentlichen Auftraggeber, der Angebote oder Bewerbungen erhalten hat, die den formellen Anforderungen laut Vergabeunterlagen nicht entsprechen, weil beispielsweise Informationen oder Unterlagen fehlen, ermöglicht, diese nicht zurückzuweisen, soweit er den Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet.

23      Das Gericht stellt fest, dass Zweifel bestehen, wie sich ein öffentlicher Auftraggeber verhalten darf, wenn von ihm als „historisch“ eingestufte Unterlagen nicht in den vom Bewerber eingereichten Unterlagen enthalten sind, und wie sich der Grundsatz der Gleichbehandlung in einer solchen Situation auswirkt.

24      Unter diesen Umständen hat das Østre Landsret beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Beinhaltet das unionsrechtliche Gleichbehandlungsprinzip, dass ein öffentlicher Auftraggeber nach Ablauf der Frist für den Antrag auf Teilnahme an einem Vergabeverfahren nicht berechtigt ist, eine in der Vergabebekanntmachung geforderte Auskunft über die letzte veröffentlichte Bilanz eines Bewerbers anzufordern, wenn der betreffende Bewerber einen solchen Abschluss seinem Antrag auf Teilnahme an der Vorauswahl nicht beigefügt hat?

 Zur Vorlagefrage

25      Mit seiner Frage will das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Gleichbehandlungsprinzip dahin auszulegen ist, dass er es einem öffentlichen Auftraggeber verwehrt, einen Bewerber nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Bewerbungen für ein Vergabeverfahren aufzufordern, die Situation dieses Bewerbers beschreibende Unterlagen, wie die veröffentlichte Bilanz, zu übermitteln, wenn deren Übermittlung in der Vergabebekanntmachung gefordert wurde, der Bewerber sie aber nicht seinen eingereichten Bewerbungsunterlagen beigefügt hat.

26      Einleitend ist daran zu erinnern, dass zwar nach Art. 21 der Richtlinie 2004/18 Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II B dieser Richtlinie nur ihren Art. 23 und 35 Abs. 4 unterliegen, die grundlegenden Vorschriften des Vertrags und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts aber auf solche Aufträge anwendbar sind, wenn an ihnen ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass die vom Unionsgesetzgeber für Aufträge über Dienstleistungen dieses Anhangs II eingeführte Regelung nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie der Anwendung der Grundsätze entgegensteht, die sich aus den Art. 43 EG und 49 EG, denen nun die Art. 49 AEUV und 56 AEUV entsprechen, ergeben (vgl. in dieser Hinsicht u. a. Urteil vom 18. November 2010, Kommission/Irland, C‑226/09, Slg. 2010, I‑11807, Randnrn. 29 und 31).

27      Den dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen zufolge scheint dies im Ausgangsverfahren aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers selbst der Fall zu sein, da in der Vergabebekanntmachung von den Bewerbern gefordert wurde, ehrenwörtlich zu erklären, dass sie ihre Sozialbeiträge und Steuern nicht nur in Dänemark, sondern gegebenenfalls auch in ihrem Niederlassungsmitgliedstaat ordnungsgemäß entrichtet haben. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen.

28      Zu den Hauptzielen der Unionsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen gehören die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Dieses doppelte Ziel verfolgt das Unionsrecht insbesondere durch die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter oder Bewerber und des sich daraus ergebenden Transparenzgebots.

29      Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge stellt somit keinen Zweck an sich dar, sondern muss aus dem Blickwinkel der mit ihm verfolgten Zielsetzungen begriffen werden.

30      Nach ständiger Rechtsprechung erfordert dieser Grundsatz, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 3. März 2005, Fabricom, C‑21/03 und C‑34/03, Slg. 2005, I‑1559, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Im Rahmen eines Vergabeverfahrens stehen der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Transparenzgebot jeglicher Verhandlung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Bewerber entgegen, was bedeutet, dass ein eingereichtes Angebot grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, weder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers noch auf Betreiben des Bewerbers. Daraus folgt, dass der öffentliche Auftraggeber von einem Bewerber, dessen Angebot seiner Auffassung nach ungenau ist oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht, keine Erläuterungen verlangen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a., C‑599/10, Randnrn. 36 und 37).

32      Der Gerichtshof hat jedoch präzisiert, dass Art. 2 der Richtlinie 2004/18 nicht dem entgegensteht, dass die Angebote in einzelnen Punkten berichtigt oder ergänzt werden, insbesondere wegen einer offensichtlich gebotenen bloßen Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler (Urteil SAG ELV Slovensko u. a., Randnr. 40).

33      Der Gerichtshof hat in diesem Urteil gewisse Anforderungen an die Möglichkeit aufgestellt, die Bewerber schriftlich zur Erläuterung ihres Angebots aufzufordern.

34      Zunächst darf eine Aufforderung zur Erläuterung eines Angebots erst nach Kenntnisnahme von sämtlichen Angeboten durch den öffentlichen Auftraggeber erfolgen und ist grundsätzlich in gleicher Weise an alle Bieter zu richten, die sich in derselben Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil SAG ELV Slovensko u. a., Randnrn. 42 und 43).

35      Außerdem hat sich die Aufforderung auf alle Punkte des Angebots zu erstrecken, die einer Erläuterung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil SAG ELV Slovensko u. a., Randnr. 44).

36      Des Weiteren darf die Aufforderung nicht darauf hinauslaufen, dass der betroffene Bieter in Wirklichkeit ein neues Angebot einreicht (vgl. in diesem Sinne Urteil SAG ELV Slovensko u. a., Randnr. 40).

37      Schließlich hat im Allgemeinen der öffentliche Auftraggeber bei der Ausübung des Ermessens, über das er in Bezug auf die Möglichkeit verfügt, die Bewerber zur Erläuterung ihres Angebots aufzufordern, die Bewerber gleich und fair zu behandeln, so dass am Ende des Verfahrens zur Auswahl der Angebote und im Hinblick auf das Ergebnis dieses Verfahrens nicht der Eindruck entstehen kann, dass die Aufforderung zur Erläuterung den oder die Bewerber, an den bzw. die sie gerichtet war, ungerechtfertigt begünstigt oder benachteiligt hätte (Urteil SAG ELV Slovensko u. a., Randnr. 41).

38      Diese Lehre, die die von den Bietern vorgelegten Angebote betrifft, ist auf die im Rahmen der Vorauswahl der Bewerber eines nicht offenen Verfahrens abgegebenen Bewerbungsunterlagen übertragbar.

39      Demnach kann der öffentliche Auftraggeber verlangen, dass die in einer solchen Bewerbung enthaltenen Angaben in einzelnen Punkten berichtigt oder ergänzt werden, soweit sich eine solche Aufforderung auf Unterlagen oder Angaben – wie die veröffentlichte Bilanz – bezieht, bei denen objektiv nachprüfbar ist, dass sie vor Ablauf der Bewerbungsfrist vorlagen.

40      Jedoch ist zu betonen, dass dies anders wäre, wenn die Verdingungsunterlagen die Übermittlung des fehlenden Dokuments oder der fehlenden Information vorschrieben und andernfalls der Ausschluss drohte. Denn es obliegt einem öffentlichen Auftraggeber, die von ihm selbst festgelegten Kriterien strikt einzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, Slg. 2004, I‑3801, Randnr. 115).

41      In diesem Fall scheinen die in den Randnrn. 39 und 40 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen beachtet worden zu sein. Die insoweit erforderlichen Feststellungen sind jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

42      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung dahin auszulegen ist, dass er es einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt, einen Bewerber nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Bewerbungen für ein Vergabeverfahren aufzufordern, die Situation dieses Bewerbers beschreibende Unterlagen, wie die veröffentlichte Bilanz, zu übermitteln, wenn objektiv nachprüfbar ist, dass sie vor Ablauf der Bewerbungsfrist existierten, soweit in den Verdingungsunterlagen nicht ausdrücklich vorgeschrieben war, dass sie übermittelt werden müssen und andernfalls die Bewerbung ausgeschlossen wird. Eine solche Aufforderung darf nicht den oder die Bewerber, an den bzw. die sie gerichtet war, ungerechtfertigt begünstigen oder benachteiligen.

 Kosten

43      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist dahin auszulegen, dass er einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt, einen Bewerber nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Bewerbungen für ein Vergabeverfahren aufzufordern, die Situation dieses Bewerbers beschreibende Unterlagen, wie die veröffentlichte Bilanz, zu übermitteln, wenn objektiv nachprüfbar ist, dass sie vor Ablauf der Bewerbungsfrist existierten, soweit in den Verdingungsunterlagen nicht ausdrücklich vorgeschrieben war, dass sie übermittelt werden müssen und andernfalls die Bewerbung ausgeschlossen wird. Eine solche Aufforderung darf nicht den oder die Bewerber, an den bzw. die sie gerichtet war, ungerechtfertigt begünstigen oder benachteiligen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Dänisch.