Language of document : ECLI:EU:C:2016:41

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

21. Januar 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 6 Nr. 2 – Gerichtliche Zuständigkeit – Von einem Dritten erhobene Klage auf Gewährleistung oder Interventionsklage gegen eine Partei eines Verfahrens vor dem Gericht des Hauptprozesses“

In der Rechtssache C‑521/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof, Finnland) mit Entscheidung vom 14. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 2014, in dem Verfahren

SOVAG – Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft

gegen

If Vahinkovakuutusyhtiö Oy

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der SOVAG – Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft, vertreten durch Rechtsanwalt R. Heß, E. Salonen, asianajaja, und A. Staudinger,

–        der If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, vertreten durch J. Tanhuanpää,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und E. Paasivirta als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SOVAG – Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft (im Folgenden: SOVAG), einer in Deutschland ansässigen Versicherungsgesellschaft, und der If Vahinkovakuutusyhtiö Oy (im Folgenden: If), einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Finnland, wegen einer Klage auf Erstattung eines als Entschädigung an das Opfer eines Verkehrsunfalls gezahlten Geldbetrags.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 dient diese im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts dazu, „Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen“.

4        In den Erwägungsgründen 11 bis 13 und 15 dieser Verordnung heißt es:

„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(13)      Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

(15)      Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …“

5        Die Zuständigkeitsregeln sind in Kapitel II der Verordnung enthalten.

6        Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) ihres Kapitels II gehört, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

7        Im genannten Abschnitt 1 bestimmt Art. 3 Abs. 1 der Verordnung:

„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

8        Im selben Abschnitt lautet Art. 4 dieser Verordnung:

„(1)      Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen.

(2)      Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann sich jede Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in diesem Staat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf die in Anhang I aufgeführten Vorschriften, wie ein Inländer berufen, ohne dass es auf ihre Staatsangehörigkeit ankommt.“

9        Nach Art. 5 Nr. 5 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) ihres Kapitels II gehört, kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet.

10      Art. 6 dieser Verordnung, der in dem genannten Abschnitt 2 enthalten ist, sieht Folgendes vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1.      wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten;

2.      wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen;

…“

11      Art. 8 dieser Verordnung, der in Abschnitt 3 („Zuständigkeit für Versicherungssachen“) ihres Kapitels II enthalten ist, lautet:

„Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.“

12      Im selben Abschnitt 3 bestimmt Art. 11 dieser Verordnung:

„(1)      Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist.

(2)      Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 8, 9 und 10 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.

(3)      Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig.“

 Finnisches Recht

13      Kapitel 18 § 5 der Gerichtsverfahrensordnung (Suomen oikeudenkäymiskaari) bestimmt:

„Will eine Partei für den Fall, dass sie in einem Rechtsstreit unterliegt, gegen einen Dritten einen Gewährleistungs- oder Schadensersatzanspruch oder einen sonstigen damit gleichzustellenden Anspruch geltend machen, darf sie eine diesen Anspruch betreffende Klage in demselben Gerichtsverfahren erheben.

Wer im Hinblick auf den Ausgang des Rechtsstreits zwischen den Parteien eine Klage wegen eines Anspruchs im Sinne des Abs. 1 gegen eine oder beide Parteien erheben will, darf diese Klage in demselben Gerichtsverfahren anhängig machen.“

14      § 61 des Unfallversicherungsgesetzes (Tapaturmavakuutuslaki [1948/608]) vom 20. August 1948 (im Folgenden: Unfallversicherungsgesetz) lautet:

„Wer eine Ersatzleistung nach diesem Gesetz erhalten hat, ist berechtigt, nach einem anderen Gesetz vom Verursacher oder einem anderen Ersatzpflichtigen Ersatz für die Folgen einer Verletzung zu verlangen. Es soll jedoch nicht mehr zugesprochen werden als der Betrag, um den die volle Ersatzleistung die nach diesem Gesetz gewährte Ersatzleistung übersteigt.

Die Versicherungsanstalt, die nach diesem Gesetz für den Schaden Ersatz leisten musste, ist berechtigt, den von ihr geleisteten Betrag von einem Ersatzpflichtigen im Sinne des Abs. 1 erstattet zu verlangen, jedoch nicht von demjenigen, der seiner Ersatzpflicht bereits in gutem Glauben nachgekommen ist, und auch nicht von demjenigen, der nach dem Produkthaftungsgesetz zum Ersatz verpflichtet ist.

Der Versicherungsanstalt kann keine höhere Ersatzleistung zugesprochen werden, als sie der Geschädigte oder seine Angehörigen hätten beanspruchen können.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

15      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass A, der in Deutschland in einen Verkehrsunfall verwickelt worden war, gegen SOVAG, bei der das unfallverursachende Fahrzeug versichert war, vor dem Länsi-Uudenmaan käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Länsi-Uusimaa) Klage erhob. Darin beantragte A u. a., festzustellen, dass er eine schwere Gehirnverletzung und eine Halswirbelsäulenverletzung erlitten hat und nach diesem Unfall dauerhaft arbeitsunfähig ist.

16      Da dieser Verkehrsunfall gleichzeitig ein Arbeitsunfall nach dem Unfallversicherungsgesetz war, leistete die in Finnland ansässige If an A gemäß diesem Gesetz Entschädigungszahlungen wegen des Unfalls.

17      Nachdem die von A gegen SOVAG erhobene Klage anhängig geworden war, verklagte If ihrerseits diese Gesellschaft vor demselben erstinstanzlichen Gericht. Sie beantragte, festzustellen, dass A neben anderen Verletzungen eine schwere Gehirnverletzung und eine Halswirbelsäulenverletzung erlitten hat und infolge dieser Verletzungen dauerhaft berufsunfähig geworden ist. Des Weiteren beantragte If unter Berufung auf § 61 Abs. 2 des Unfallversicherungsgesetzes, festzustellen, dass SOVAG verpflichtet ist, ihr sämtliche von ihr wegen des Verkehrsunfalls an A in der Vergangenheit geleisteten oder zukünftig zu leistenden Entschädigungszahlungen nebst zugehöriger Zinsen zu erstatten.

18      If beantragte ferner, über ihre Klage und die von A gegen SOVAG erhobene Klage im Rahmen desselben Verfahrens zu entscheiden. SOVAG rügte ihrerseits die Unzuständigkeit der finnischen Gerichte für eine Entscheidung über die von If erhobene Klage.

19      Mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 wies das Länsi-Uudenmaan käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Länsi-Uusimaa) auf der Grundlage der Bestimmungen von Kapitel II Abschnitt 3 der Verordnung Nr. 44/2001 die von If gegen SOVAG erhobene Klage wegen Unzuständigkeit der finnischen Gerichte als unzulässig ab.

20      Nach Art. 8 der Verordnung Nr. 44/2001 könne die gerichtliche Zuständigkeit in Versicherungssachen unbeschadet des Art. 4 und des Art. 5 Nr. 5 dieser Verordnung nur durch die Regelungen in ihrem Kapitel II Abschnitt 3 bestimmt werden.

21      Mit Urteil vom 24. April 2013 hob das Turun hovioikeus (zweitinstanzliches Gericht Turku), bei dem If gegen den genannten Beschluss Beschwerde eingelegt hatte, diesen Beschluss auf.

22      Dieses Gericht ist der Auffassung, dass Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 – und nicht die Bestimmungen des Abschnitts 3 ihres Kapitels II – auf das Ausgangsverfahren anwendbar sei, da die von If gegen SOVAG erhobene Klage mit dem Rechtsstreit zwischen A und SOVAG in einem unmittelbaren Zusammenhang stehe.

23      Gegen dieses Urteil legte SOVAG Beschwerde beim Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof) ein.

24      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist fraglich, ob Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens erfasst, in dem ein Dritter eine Klage gegen eine Partei eines Hauptprozesses erhebt.

25      Unter diesen Umständen hat der Korkein oikeus (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass er eine Klage auf Gewährleistung oder eine Klage, mit der ein anderer damit gleichzustellender, mit dem Hauptprozess eng zusammenhängender Anspruch geltend gemacht wird, erfasst, die ein Dritter in nach dem nationalen Recht zulässiger Weise gegen eine der Parteien erhebt, damit über sie in demselben Gerichtsverfahren entschieden werde?

 Zur Vorlagefrage

26      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er eine Klage umfasst, die ein Dritter in nach dem nationalen Recht zulässiger Weise gegen den Beklagten des Hauptprozesses erhoben hat und mit der ein mit diesem Hauptprozess eng zusammenhängender Anspruch geltend gemacht wird, der auf die Erstattung von Entschädigungsleistungen gerichtet ist, die der Dritte an den Kläger dieses Hauptprozesses gezahlt hat.

27      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 in Art. 8 dieser Verordnung, wonach sich die Zuständigkeit in Versicherungssachen unbeschadet des Art. 4 und des Art. 5 Nr. 5 dieser Verordnung nach den Vorschriften ihrer Art. 8 bis 14 bestimmt, nicht genannt wird.

28      SOVAG ist der Ansicht, dass Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht anwendbar sei, da durch Kapitel II Abschnitt 3 der Verordnung Nr. 44/2001 ein eigenständiges System der Verteilung gerichtlicher Zuständigkeit in Versicherungssachen errichtet werde.

29      Allerdings ist daran zu erinnern, dass die Zielsetzung dieses Abschnitts nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 darin besteht, die schwächere Partei, d. h. den Versicherten, den Begünstigten oder den Versicherungsnehmer, durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

30      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Klage betrifft jedoch die Beziehungen zwischen gewerblich Tätigen des Versicherungssektors und kann sich nicht auf die Verfahrenssituation einer als schwächer geltenden Partei auswirken. Da das Ziel, die Letztgenannte zu schützen, erreicht ist, wenn die Zuständigkeit nach Kapitel II Abschnitt 3 der Verordnung Nr. 44/2001 einmal bestimmt ist, können spätere Entwicklungen des Verfahrens, die nur die Beziehungen zwischen gewerblich Tätigen betreffen, nicht in den Anwendungsbereich dieses Abschnitts fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile GIE Réunion européenne u. a., C‑77/04, EU:C:2005:327, Rn. 20 und 23, und Vorarlberger Gebietskrankenkasse, C‑347/08, EU:C:2009:561, Rn. 42).

31      Da eine Klage, die – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – von einem Versicherer gegen einen anderen Versicherer erhoben wird, nicht unter den genannten Abschnitt fällt, findet Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf eine solche Klage Anwendung, soweit sie von den in dieser Bestimmung genannten Fällen erfasst wird.

32      In diesem Zusammenhang ist erstens dem Normtext des Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 Rechnung zu tragen.

33      Der Wortlaut mehrerer Sprachfassungen dieser Bestimmung, u. a. der deutschen, französischen, finnischen und schwedischen Sprachfassung, schließt nicht aus, dass das Gericht des Hauptprozesses für die Entscheidung über eine Klage, die von einem Dritten gegen eine der Parteien dieses Hauptprozesses erhoben wird, zuständig sein kann.

34      Andere Sprachfassungen dieser Bestimmung, u. a. die englische, scheinen hingegen deren Tragweite auf gegen einen Dritten erhobene Klagen zu beschränken („a person domiciled in a Member State may also be sued: … as a third party“).

35      Weichen die verschiedenen Sprachfassungen einer Bestimmung des Unionsrechts voneinander ab, so muss nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil Jakutis und Kretingalės kooperatinė ŽŪB, C‑103/14, EU:C:2015:752, Rn. 103).

36      Somit sind zweitens der Zusammenhang und der Zweck der Verordnung Nr. 44/2001 zu berücksichtigen.

37      Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass – auch wenn besondere Zuständigkeitsregeln strikt auszulegen sind und eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Fälle hinaus unzulässig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 18) – mehrere Ziele der Verordnung für die Auslegung sprechen, wonach auch eine von einem Dritten gegen eine der Parteien des Hauptprozesses erhobene Klage in den Anwendungsbereich von Art. 6 Nr. 2 dieser Verordnung fällt.

38      So hebt der 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung hervor, dass im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden müssen, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen, während ihr zwölfter Erwägungsgrund auf die Notwendigkeit hinweist, den Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten durch alternative Gerichtsstände zu ergänzen, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

39      Über den Hauptprozess und eine Klage, die von einem Dritten gegen eine der Parteien dieses Verfahrens erhoben wird und mit der ersten Klage in engem Zusammenhang steht, im Rahmen desselben Verfahrens zu entscheiden, ist in dem Fall, dass der Geschädigte gegen den Versicherer des Unfallverursachers Klage erhoben hat und ein anderer Versicherer, der dieser Person bereits teilweise Entschädigung geleistet hat, vom ersten Versicherer die Erstattung dieser Entschädigungsleistung erlangen will, zur Förderung der oben genannten Ziele geeignet.

40      Gäbe es diese Möglichkeit nicht, bestünde nämlich die Gefahr, dass zwei Gerichte in derselben Rechtssache zu abweichenden Entscheidungen kämen, deren Anerkennung und Vollstreckung mithin ungewiss wären.

41      Des Weiteren hat der Gerichtshof bereits im Rahmen des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, unterzeichnet in Brüssel am 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32), darauf hingewiesen, dass die vom Versicherten gegen den Versicherer erhobene Klage auf Entschädigung für die Folgen eines Unfalls und die Klage, mit der dieser Versicherer einen anderen Versicherer, der dasselbe Schadensereignis abgedeckt haben soll, in dieser Sache verklagt, um Ersatz von ihm zu erlangen, jeweils als Hauptprozess und als Klage auf Gewährleistung im Sinne von Art. 6 Nr. 2 dieses Übereinkommens anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil GIE Réunion européenne u. a., C‑77/04, EU:C:2005:327, Rn. 27).

42      Hierbei stützte sich der Gerichtshof auf den Jenard-Bericht zu diesem Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 1, insbesondere S. 27).

43      Im Hinblick darauf, dass die Auslegung der Bestimmungen des genannten Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 gilt, soweit die Bestimmungen dieser beiden Rechtsakte als gleichbedeutend angesehen werden können (Urteil CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 60), ist festzustellen, dass dies bei Art. 6 Nr. 2 dieses Übereinkommens und bei Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 der Fall ist.

44      Angesichts der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils dargestellten Auslegung und der Ziele, auf die in seinen Rn. 38 und 39 hingewiesen wird, ist davon auszugehen, dass Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anwendung findet, was im Übrigen die im genannten Jenard-Bericht enthaltene Feststellung bestätigt, wonach die Interventionsklage auch Fälle abdecken kann, in denen ein Dritter Verfahrenspartei wird, um seine eigenen Interessen zu schützen.

45      Da Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Zusammenhang zwischen dem Hauptprozess und der in dieser Vorschrift genannten Klage auf Gewährleistung oder Interventionsklage fordert, ist es Sache des nationalen Gerichts, bei dem der Hauptprozess anhängig ist, das Bestehen eines solchen Zusammenhangs zu prüfen und sich zu vergewissern, dass die Interventionsklage oder die Klage auf Gewährleistung nicht nur darauf abzielt, den Beklagten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil GIE Réunion européenne u. a., C‑77/04, EU:C:2005:327, Rn. 30 und 32).

46      In diesem Zusammenhang stellt der Umstand, dass eine nationale Vorschrift wie Kapitel 18 § 5 Abs. 2 der Gerichtsverfahrensordnung die Möglichkeit für einen Dritten, im Rahmen eines bereits eröffneten Gerichtsverfahrens eine Klage zu erheben, der Voraussetzung unterwirft, dass diese Klage einen Zusammenhang mit dem Hauptprozess aufweist, sicherlich ein Mittel dar, das geeignet ist, eine Umgehung von Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 zu vermeiden.

47      Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er eine Klage umfasst, die ein Dritter in nach dem nationalen Recht zulässiger Weise gegen den Beklagten des Hauptprozesses erhoben hat und mit der ein mit dem Hauptprozess eng zusammenhängender Anspruch geltend gemacht wird, der auf die Erstattung von Entschädigungsleistungen gerichtet ist, die der Dritte an den Kläger dieses Hauptprozesses gezahlt hat, vorausgesetzt, die Klage ist nicht nur erhoben worden, um den Beklagten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er eine Klage umfasst, die ein Dritter in nach dem nationalen Recht zulässiger Weise gegen den Beklagten des Hauptprozesses erhoben hat und mit der ein mit dem Hauptprozess eng zusammenhängender Anspruch geltend gemacht wird, der auf die Erstattung von Entschädigungsleistungen gerichtet ist, die der Dritte an den Kläger dieses Hauptprozesses gezahlt hat, vorausgesetzt, die Klage ist nicht nur erhoben worden, um den Beklagten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Finnisch.