Language of document : ECLI:EU:C:2017:127

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

16. Februar 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Grenzen, Asyl und Einwanderung – Dublin-System – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung – Überstellung eines schwer kranken Asylbewerbers in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Staat – Fehlen wesentlicher Gründe für die Annahme, dass in diesem Mitgliedstaat erwiesene systemische Schwachstellen bestehen – Pflichten des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat“

In der Rechtssache C‑578/16 PPU

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) mit Entscheidung vom 28. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2016, in dem Verfahren

C. K.,

H. F.,

A. S.

gegen

Republika Slovenija

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 28. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. November 2016, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Fünften Kammer vom 1. Dezember 2016, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau C. K., Herrn H. F. und A. S., zunächst vertreten durch Z. Kojić, dann durch M. Nabergoj, svetovalca za begunce,

–        der slowenischen Regierung, vertreten durch N. Pintar Gosenca und A. Vran als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Cordì, avvocato dello Stato,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und M. Žebre als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Februar 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung), von Art. 267 AEUV und von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau C. K., Herr H. F. und ihr Kind A. S. gegen die Republika Slovenija (Republik Slowenien), vertreten durch ihr Innenministerium, wegen der Überstellung dieser Personen nach Kroatien führen, dem gemäß den Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

 Genfer Konvention

3        Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954], ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) (im Folgenden: Genfer Konvention) sieht in Abs. 1 vor:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“

 EMRK

4        Art. 3 („Verbot der Folter“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bestimmt:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

 Unionsrecht

 Charta

5        Art. 1 („Würde des Menschen“) der Charta lautet:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“

6        Art. 4 („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“) der Charta lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

7        Art. 19 („Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung“) der Charta bestimmt in Abs. 2:

„Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“

8        In Abs. 1 von Art. 51 („Anwendungsbereich“) der Charta heißt es:

„Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“

9        Art. 52 („Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze“) der Charta bestimmt in Abs. 3:

„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

 Dublin‑III-Verordnung

10      Durch die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Dublin‑III-Verordnung wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1, im Folgenden: Dublin‑II-Verordnung), mit Wirkung vom 1. Januar 2014 ersetzt.

11      In den Erwägungsgründen 4, 5, 9, 32 und 39 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„(4)      Entsprechend den Schlussfolgerungen von Tampere sollte das [Gemeinsame Europäische Asylsystem] auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.

(5)      Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

(9)      Angesichts der Bewertungsergebnisse in Bezug auf die Umsetzung der Instrumente der ersten Phase empfiehlt es sich in dieser Phase, die der [Dublin‑II-Verordnung] zugrunde liegenden Prinzipien zu bestätigen und angesichts der bisherigen Erfahrungen gleichzeitig die notwendigen Verbesserungen mit Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Dublin-Systems und den auf der Grundlage dieses Systems gewährten Schutz der Antragsteller vorzunehmen. … Es sollte ein umfassender ‚Eignungstest‘, d. h. eine faktengestützte Überprüfung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Dublin-Systems, einschließlich seiner Auswirkungen auf die Grundrechte durchgeführt werden.

(32)      In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter diese Verordnung fallen, sind die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Instrumenten einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden.

(39)      Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der [Charta] anerkannt wurden. Diese Verordnung zielt insbesondere darauf ab, sowohl die uneingeschränkte Wahrung des in Artikel 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl als auch die in ihren Artikeln 1, 4, 7, 24 und 47 anerkannten Rechte zu gewährleisten. Diese Verordnung sollte daher in diesem Sinne angewandt werden.“

12      Art. 3 („Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“) der Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2)      …

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der [Charta] mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

…“

13      Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung enthält die Kriterien zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats. Zu diesem Kapitel gehört u. a. Art. 12 („Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa“) der Verordnung, in dessen Abs. 2 es heißt:

„Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig …“

14      Art. 17 („Ermessensklauseln“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

…“

15      Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung ist mit „Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren“ überschrieben. Es enthält u. a. die Art. 27, 29, 31 und 32.

16      Art. 27 („Rechtsmittel“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.“

17      Der der Überstellung von Antragstellern in den zuständigen Mitgliedstaat gewidmete Abschnitt VI von Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung enthält deren Art. 29 („Modalitäten und Fristen“), in dem es heißt:

„(1)      Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.

(2)      Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

(4)      Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere für den Fall, dass Überstellungen verschoben werden oder nicht fristgerecht erfolgen, für Überstellungen nach stillschweigender Annahme, für Überstellungen Minderjähriger oder abhängiger Personen und für kontrollierte Überstellungen fest. …“

18      Der ebenfalls zu Abschnitt VI gehörende Art. 31 („Austausch relevanter Informationen vor Durchführung einer Überstellung“) der Verordnung bestimmt:

„(1)      Der den Antragsteller … überstellende Mitgliedstaat übermittelt dem zuständigen Mitgliedstaat die personenbezogenen Daten der zu überstellenden Person, soweit dies sachdienlich und relevant ist und nicht über das erforderliche Maß hinausgeht, allein zu dem Zweck, um es den zuständigen Behörden im zuständigen Mitgliedstaat gemäß dem innerstaatlichen Recht zu ermöglichen, diese Person in geeigneter Weise zu unterstützen – unter anderem die zum Schutz ihrer lebenswichtigen Interessen unmittelbar notwendige medizinische Versorgung zu leisten – und um die Kontinuität des Schutzes und der Rechte sicherzustellen, die diese Verordnung und andere einschlägige Bestimmungen des Asylrechts bieten. Diese Daten werden dem zuständigen Mitgliedstaat innerhalb einer angemessenen Frist vor der Überstellung übermittelt, damit seine zuständigen Behörden gemäß dem innerstaatlichen Recht ausreichend Zeit haben, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen.

(2)      Der überstellende Mitgliedstaat übermittelt dem zuständigen Mitgliedstaat sämtliche Informationen, die wesentlich für den Schutz der Rechte und der unmittelbaren besonderen Bedürfnisse der zu überstellenden Person sind, soweit der zuständigen Behörde gemäß dem innerstaatlichen Recht entsprechende Informationen vorliegen; hierzu zählen insbesondere

a)      alle unmittelbaren Maßnahmen, welche der zuständige Mitgliedstaat ergreifen muss, um sicherzustellen, dass den besonderen Bedürfnissen der zu überstellenden Person angemessen Rechnung getragen wird, einschließlich der gegebenenfalls unmittelbar notwendigen medizinischen Versorgung;

…“

19      Im selben Abschnitt sieht Art. 32 („Austausch von Gesundheitsdaten vor Durchführung einer Überstellung“) der Dublin‑III-Verordnung in Abs. 1 vor:

„Der überstellende Mitgliedstaat übermittelt dem zuständigen Mitgliedstaat Informationen über besondere Bedürfnisse der zu überstellenden Person, insbesondere bei Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Minderjährigen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben … – soweit der zuständigen Behörde gemäß dem innerstaatlichen Recht entsprechende Informationen vorliegen –[,] nur zum Zwecke der medizinischen Versorgung oder Behandlung, wozu in bestimmten Fällen auch Angaben zur körperlichen oder geistigen Gesundheit dieser Person gehören können. Diese Informationen werden in einer gemeinsamen Gesundheitsbescheinigung, der die erforderlichen Dokumente beigefügt sind, übermittelt. Der zuständige Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass diesen besonderen Bedürfnissen in geeigneter Weise – insbesondere auch, sofern erforderlich, durch eine medizinische Erstversorgung – Rechnung getragen wird.

…“

 Durchführungsverordnung

20      Die Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 343/2003 (ABl. 2003, L 222, S. 3) in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. 2014, L 39, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) enthält die Durchführungsbestimmungen zur Dublin‑II-Verordnung und nunmehr zur Dublin‑III-Verordnung.

21      Kapitel III der Durchführungsverordnung ist mit „Durchführung der Überstellung“ überschrieben. Zu diesem Kapitel gehören u. a. die Art. 8 und 9 der Verordnung.

22      Art. 8 („Zusammenarbeit zum Zwecke der Überstellung“) der Durchführungsverordnung lautet:

„(1)      Der zuständige Mitgliedstaat hat die rasche Überstellung des Asylbewerbers zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass dessen Einreise nicht behindert wird. Es obliegt ihm, gegebenenfalls den Ort in seinem Gebiet zu bestimmen, an den der Antragsteller zu überstellen oder an dem er den zuständigen Behörden zu übergeben ist; dabei hat er geografische Gesichtspunkte sowie die Beförderungsarten, die dem für die Überstellung verantwortlichen Mitgliedstaat zur Verfügung stehen, zu berücksichtigen. Es kann keinesfalls verlangt werden, dass die Begleitung den Asylbewerber über den mit dem gewählten internationalen Verkehrsmittel erreichten Ankunftspunkt hinaus eskortiert oder der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornimmt, für die mit einer Beförderung über den Ankunftspunkt hinaus verbundenen Kosten aufkommt.

(2)      Der für die Überstellung verantwortliche Mitgliedstaat organisiert die Beförderung des Antragstellers und der diesen eskortierenden Begleitung und legt in Absprache mit dem zuständigen Mitgliedstaat die Ankunftszeit und gegebenenfalls die Modalitäten der Übergabe des Antragstellers an die zuständigen Behörden fest. Der zuständige Mitgliedstaat kann verlangen, dass er hiervon drei Arbeitstage im Voraus unterrichtet wird.

(3)      Das Standardformblatt in Anhang VI wird zur Übermittlung der Daten, die für den Schutz der Rechte und der unmittelbaren Bedürfnisse der zu überstellenden Person wesentlich sind, an den zuständigen Mitgliedstaat verwendet. Dieses Standardformblatt gilt als Unterrichtung im Sinne von Absatz 2.“

23      In Art. 9 („Verschieben der Überstellung und nicht fristgerechte Überstellungen“) der Durchführungsverordnung heißt es:

„(1)      Der zuständige Mitgliedstaat wird unverzüglich unterrichtet, wenn sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung oder wegen materieller Umstände wie [dem] Gesundheitszustand des Antragstellers, [der] Nichtverfügbarkeit des Beförderungsmittels oder [dem] Umstand, dass der Antragsteller sich der Überstellung entzogen hat, verzögert.

(1a)      Wurde eine Überstellung auf Ersuchen des überstellenden Mitgliedstaats verschoben, so nehmen der überstellende und der zuständige Mitgliedstaat wieder Kontakt auf, um möglichst bald und nicht später als zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem die Behörden erfahren, dass die Umstände, die die Verzögerung oder Verschiebung verursacht haben, nicht mehr vorliegen, eine neue Überstellung gemäß Artikel 8 zu organisieren. In diesem Fall wird vor der Überstellung ein aktualisiertes Standardformblatt für die Übermittlung von Daten vor einer Überstellung gemäß Anhang VI übermittelt.

(2)      Ein Mitgliedstaat, der aus einem der in Artikel 29 Absatz 2 der [Dublin‑III-Verordnung] genannten Gründe die Überstellung nicht innerhalb der üblichen Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat, vornehmen kann, unterrichtet den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der [Dublin‑III-Verordnung] gemäß Artikel 29 Absatz 2 der genannten Verordnung dem ersuchenden Mitgliedstaat zu.

…“

24      Die Anhänge VI und IX der Durchführungsverordnung enthalten die Standardformblätter für die Übermittlung von Daten und den Austausch von Gesundheitsdaten vor einer Überstellung gemäß der Dublin‑III-Verordnung.

 Zugangsrichtlinie

25      Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96, im Folgenden: Zugangsrichtlinie), dient nach ihrem Art. 1 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Antragstellern auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten.

26      Art. 17 („Allgemeine Bestimmungen zu materiellen Leistungen im Rahmen der Aufnahme und zur medizinischen Versorgung“) der Zugangsrichtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können.

(2)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige Personen im Sinne von Artikel 21 … handelt.

…“

27      Art. 18 („Modalitäten der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen“) der Zugangsrichtlinie sieht in Abs. 3 vor:

„Bei der Unterbringung der Antragsteller in den in Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Räumlichkeiten und Unterbringungszentren berücksichtigen die Mitgliedstaaten geschlechts- und altersspezifische Aspekte sowie die Situation von schutzbedürftigen Personen.“

28      Art. 19 („Medizinische Versorgung“) der Zugangsrichtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Antragsteller die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst.

(2)      Die Mitgliedstaaten gewähren Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

29      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung und den Akten sowie den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof reisten Frau C. K., eine Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien, und Herr H. F., ein Staatsangehöriger der Arabischen Republik Ägypten, am 16. August 2015 mittels eines von der Republik Kroatien ordnungsgemäß erteilten Visums in das Gebiet der Europäischen Union ein. Nach einem kurzen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat überschritten sie mit falschen griechischen Ausweispapieren die slowenische Grenze. Anschließend wurden sie in das Aufnahmezentrum für Asylbewerber von Ljubljana (Slowenien) aufgenommen und stellten beim Innenministerium der Republik Slowenien Asylanträge. Frau C. K. war zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das slowenische Hoheitsgebiet schwanger.

30      Am 28. August 2015 richteten die slowenischen Behörden in der Annahme, dass die Republik Kroatien der nach Art. 12 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung für die Prüfung der Asylanträge der Kläger des Ausgangsverfahrens zuständige Mitgliedstaat sei, an die kroatischen Behörden ein Aufnahmegesuch. In ihrer Antwort vom 14. September 2015 erkannte die Republik Kroatien ihre Zuständigkeit für diese Personen an.

31      In Anbetracht der fortgeschrittenen Schwangerschaft von Frau C. K. setzte die Republik Slowenien das Verfahren aufgrund der Dublin‑III-Verordnung jedoch erst fort, nachdem Frau C. K. am 20. November 2015 ihr Kind A. S. geboren hatte. Für A. S. wurde am 27. November 2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der zusammen mit den Anträgen von Frau C. K. und Herrn H. F. bearbeitet wurde.

32      Am 20. Januar 2016 erließ das Innenministerium einen Bescheid, mit dem es die Prüfung der Asylanträge der Kläger des Ausgangsverfahrens ablehnte und ihre Überstellung nach Kroatien anordnete.

33      Mit Urteil vom 2. März 2016 erklärte der Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien) diesen Bescheid für nichtig und verwies die Sache zur erneuten Prüfung zurück, wobei er den zuständigen Behörden aufgab, von der Republik Kroatien die Zusicherung einzuholen, dass Frau C. K., Herr H. F. und ihr Kind in diesem Mitgliedstaat Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben werden.

34      Ein dahin gehendes Ersuchen wurde am 30. März 2016 von den slowenischen Behörden an die Republik Kroatien gerichtet. Diese sicherte in ihrer Antwort vom 7. April 2016 zu, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens in Kroatien eine Unterkunft, angemessene Versorgung und die erforderlichen medizinischen Behandlungen erhalten würden.

35      Am 5. Mai 2016 erließ das Innenministerium einen neuen Bescheid, mit dem es die Prüfung der Asylanträge der Kläger des Ausgangsverfahrens ablehnte und ihre Überstellung nach Kroatien anordnete.

36      Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben gegen diesen Bescheid Klage beim Upravno sodišče (Verwaltungsgericht). Ferner beantragten sie die vorläufige Aussetzung der Vollziehung des Bescheids bis zum Erlass einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung in der Sache.

37      Im Rahmen ihrer Klage machten die Kläger des Ausgangsverfahrens u. a. geltend, ihre Überstellung wäre mit negativen Folgen für den Gesundheitszustand von Frau C. K. verbunden, die sich auch auf das Wohlbefinden ihres neugeborenen Kindes auswirken könnten. Dabei stützten sie sich auf verschiedene ärztliche Bescheinigungen, wonach bei Frau C. K. eine Risikoschwangerschaft vorgelegen habe und sie seit der Niederkunft an psychischen Beschwerden leide. Ein psychiatrischer Facharzt habe bei ihr eine postpartale Depression und wiederkehrende Selbstmordtendenzen diagnostiziert. Aus mehreren ärztlichen Gutachten gehe ferner hervor, dass der schlechte Gesundheitszustand von Frau C. K. hauptsächlich auf die Ungewissheit über ihren Status und den damit verbundenen Stress zurückzuführen sei. Außerdem könnte die Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands zu aggressivem Verhalten gegenüber ihr selbst und Dritten führen, was gegebenenfalls eine Krankenhausbehandlung erforderlich machen würde. Die Erkrankung von Frau C. K. gebiete es daher, dass sie und ihr Kind im Aufnahmezentrum von Ljubljana blieben und dort behandelt würden.

38      Mit Urteil vom 1. Juni 2016 erklärte der Upravno sodišče (Verwaltungsgericht) den Bescheid über die Überstellung der Kläger des Ausgangsverfahrens für nichtig. Mit Beschluss vom selben Tag setzte er zudem dessen Vollziehung bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsrechtsstreit aus.

39      Das Innenministerium legte gegen dieses Urteil Berufung beim Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) ein. Am 29. Juni 2016 änderte dieser das erstinstanzliche Urteil ab und bestätigte den Überstellungsbescheid. Zu der wegen des Gesundheitszustands von Frau C. K. erforderlichen Behandlung führte er aus, aus einem auf Ersuchen der slowenischen Behörden erlangten Bericht des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) gehe hervor, dass die Situation in Kroatien in Bezug auf die Aufnahme von Asylbewerbern gut sei. Dieser Mitgliedstaat verfüge insbesondere in Kutina (Kroatien) über eine spezielle Aufnahmeeinrichtung für schutzbedürftige Personen; dort hätten die Asylbewerber freien Zugang zu medizinischer Behandlung durch einen Arzt, der die Einrichtung regelmäßig besuche, und in Notfällen könnten sie das örtliche Krankenhaus oder, wenn nötig, auch das Krankenhaus in Zagreb (Kroatien) aufsuchen.

40      Zu dem übrigen Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens, wonach sie in Kroatien Opfer rassistischer Äußerungen und Gewalttaten geworden seien, führte der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) aus, sie hätten nicht dargetan, dass es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung wesentliche Gründe für die Annahme gebe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Kroatien systemische Schwachstellen aufweisen, die für sie eine Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung mit sich bringen könnten. Weder die Unionsorgane noch das UNHCR hätten im Übrigen die Situation in diesem Mitgliedstaat beanstandet.

41      Das Urteil des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) wurde sodann rechtskräftig. Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben jedoch Verfassungsbeschwerde zum Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof, Slowenien).

42      Dieser bestätigte zwar mit Entscheidung vom 28. September 2016, dass im vorliegenden Fall nicht erwiesen sei, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Kroatien systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung aufwiesen. Dies sei aber nicht der einzige Grund, aus dem die Kläger des Ausgangsverfahrens dartun könnten, dass ihre Überstellung in diesen Mitgliedstaat sie einer tatsächlichen Gefahr unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung aussetzen würde.

43      Nach dem 32. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung müssten die Mitgliedstaaten nämlich die Anforderungen erfüllen, die sich aus Art. 33 Abs. 1 der Genfer Konvention sowie aus Art. 3 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergäben. Diese Anforderungen gingen über das in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung aufgestellte Kriterium der systemischen Schwachstellen hinaus, das überdies nur den Fall betreffe, in dem sich für die Mitgliedstaaten jede Überstellung von Asylbewerbern an einen bestimmten Mitgliedstaat als unmöglich erweise. In dem nicht von dieser Bestimmung erfassten Fall, dass die Überstellung eines Asylbewerbers an einen anderen Mitgliedstaat zu einer Verletzung der genannten grundlegenden Erfordernisse führen würde, müssten die Mitgliedstaaten die in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Ermessensklausel anwenden.

44      Wenn ein Asylbewerber geltend mache, dass der für seinen Antrag zuständige Mitgliedstaat in seinem Fall kein „sicherer Staat“ sei, seien die zuständigen Behörden und das Gericht daher verpflichtet, alle für die Beachtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung wichtigen Umstände zu prüfen, einschließlich des Gesundheitszustands des Betroffenen. In diesem Rahmen müssten sie der persönlichen Situation des Antragstellers in Slowenien Rechnung tragen und beurteilen, ob nicht schon seine bloße Überstellung gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen könnte.

45      Da die Kläger des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall geltend gemacht hätten, dass sich ein erneuter Ortswechsel ungünstig auf den Gesundheitszustand von Frau C. K. auswirken würde und zum Beleg dafür mehrere ärztliche Gutachten vorgelegt hätten, hätte sich der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) nicht, wie geschehen, darauf beschränken dürfen, dem Gesundheitszustand von Frau C. K. im Rahmen der Beurteilung der Situation in Kroatien Rechnung zu tragen, sondern er hätte auch prüfen müssen, ob ihre Überstellung an diesen Mitgliedstaat als solche mit Art. 3 EMRK vereinbar sei. Da er die dahin gehenden Ausführungen und Beweise der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht gewürdigt habe, habe er den ihnen nach der slowenischen Verfassung zustehenden Anspruch auf „gleichen Schutz der Rechte“ verletzt. Deshalb hob der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) das Urteil des Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) auf und verwies den Ausgangsrechtsstreit zur erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung der angestellten Erwägungen an ihn zurück.

46      Der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof) stellt fest, dass der Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof) vor Erlass seiner Entscheidung vom 28. September 2016 den Gerichtshof nicht um Vorabentscheidung ersucht hat. Da er jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der vom Verfassungsgerichtshof angestellten Erwägungen mit dem Unionsrecht hat, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Erfolgt die Auslegung der Regeln für die Anwendung der Ermessensklausel nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung angesichts des Wesens dieser Bestimmung in der Weise, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten letztzuständig für die Auslegung sind und dass dabei die Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, von der Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV befreit sind?

Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird:

2.      Genügt die Prüfung der Umstände nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung (in einem Fall wie dem vorliegenden), um den Anforderungen von Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta in Verbindung mit Art. 3 EMRK sowie mit Art. 33 der Genfer Konvention zu genügen?

In Zusammenhang damit:

3.      Folgt aus der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, dass die Anwendung der Ermessensklausel durch einen Mitgliedstaat zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes vor Verletzungen der Rechte aus Art. 4 der Charta in Fällen wie dem vorliegenden zwingend ist und es ausschließt, Personen, die internationalen Schutz begehren, in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, der seine Zuständigkeit gemäß dieser Verordnung anerkannt hat?

Für den Fall, dass die dritte Frage bejaht wird:

4.      Bietet die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eine Grundlage dafür, dass eine Person, die internationalen Schutz begehrt, oder eine andere Person in einem Verfahren zur Überstellung aufgrund dieser Verordnung die Anwendung der Klausel verlangen kann, über die die zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte des Mitgliedstaats zu entscheiden haben, oder sind die Verwaltungsbehörden und Gerichte des Mitgliedstaats verpflichtet, die genannten Umstände von Amts wegen festzustellen?

 Zum Eilvorabentscheidungsverfahren

47      Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem in Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

48      Zur Stützung dieses Antrags hat es im Wesentlichen ausgeführt, angesichts des Gesundheitszustands von Frau C. K. sollte die Frage ihres Status so schnell wie möglich geklärt werden.

49      Insoweit ist erstens festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung der Dublin‑III-Verordnung betrifft, die u. a. auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 2 Buchst. e AEUV erlassen wurde, der zu Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des Dritten Teils des AEU-Vertrags gehört. Es kommt daher für ein Eilvorabentscheidungsverfahren in Betracht.

50      Zweitens kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens vor dem Abschluss eines gewöhnlichen Vorabentscheidungsverfahrens an die Republik Kroatien überstellt würden. In Beantwortung eines vom Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 101 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung gestellten Ersuchens um Klarstellung hat das vorlegende Gericht nämlich angegeben, zwar habe der Upravno sodišče (Verwaltungsgericht) im ersten Rechtszug auf Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens die Vollziehung des sie betreffenden Überstellungsbescheids ausgesetzt, doch sei im gegenwärtigen Stadium des nationalen Verfahrens keine gerichtliche Aussetzungsentscheidung ergangen.

51      In Anbetracht dessen hat die Fünfte Kammer des Gerichtshofs am 1. Dezember 2016 auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

52      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Frage der Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen „Ermessensklausel“ durch einen Mitgliedstaat allein dem nationalen Recht und dessen Auslegung durch das Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, oder ob sie eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt.

53      Insoweit hat der Gerichtshof hinsichtlich der „Souveränitätsklausel“ in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑II-Verordnung, deren Wortlaut im Wesentlichen mit dem der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen „Ermessensklausel“ übereinstimmt und deren Auslegung daher auf die der „Ermessensklausel“ übertragbar ist, bereits entschieden, dass das den Mitgliedstaaten durch sie verliehene Ermessen Teil des vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Systems zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (im Folgenden: Dublin-System) ist. Folglich führt ein Mitgliedstaat auch dann im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta das Unionsrecht durch, wenn er von dieser Klausel Gebrauch macht (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 64 bis 68). Die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen „Ermessensklausel“ impliziert mithin eine Auslegung des Unionsrechts im Sinne von Art. 267 AEUV.

54      In Anbetracht dessen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Frage der Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen „Ermessensklausel“ durch einen Mitgliedstaat nicht allein dem nationalen Recht und dessen Auslegung durch das Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, sondern eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt.

 Zur zweiten, zur dritten und zur vierten Frage

55      Mit seiner zweiten, seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Charta dahin auszulegen ist, dass die Überstellung eines eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweisenden Asylbewerbers, wenn mit ihr die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden wäre, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen würde. Falls dies zu bejahen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet wäre, die in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Ermessensklausel anzuwenden und den fraglichen Asylantrag selbst zu prüfen.

56      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt, grundsätzlich allein von dem nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmten Mitgliedstaat geprüft wird.

57      Das Dublin-System, zu dem die Dublin‑III-Verordnung gehört, soll nach deren Erwägungsgründen 4 und 5 insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

58      In diesem Kontext ist ein Mitgliedstaat, bei dem ein Asylantrag gestellt wurde, verpflichtet, die in Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Verfahren anzuwenden, um den für die Prüfung dieses Antrags zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen, ihn um Aufnahme des betreffenden Antragstellers zu ersuchen und ihm diesen, nachdem dem Gesuch stattgegeben wurde, zu überstellen.

59      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Vorschriften des abgeleiteten Unionsrechts, einschließlich der Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung, jedoch unter Beachtung der durch die Charta gewährleisteten Grundrechte auszulegen und anzuwenden (vgl. entsprechend, zur Dublin‑II-Verordnung, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C 411/10 und C 493/10, EU:C:2011:865, Rn. 77 und 99). Das in Art. 4 der Charta aufgestellte Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ist dabei von fundamentaler Bedeutung, denn es hat absoluten Charakter, da es eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist, auf die sich Art. 1 der Charta bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 85 und 86).

60      In seinem Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 86 bis 94 und 106), hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems unter bestimmten Umständen mit dem in Art. 4 der Charta aufgestellten Verbot unvereinbar sein kann. Dabei hat er entschieden, dass ein Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieses Artikels ausgesetzt zu werden, wenn er an einen Mitgliedstaat überstellt wird, bei dem ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen. Aufgrund des in Art. 4 der Charta aufgestellten Verbots obliegt es daher den Mitgliedstaaten, im Rahmen des Dublin-Systems keine Überstellungen an einen Mitgliedstaat vorzunehmen, von dem ihnen nicht unbekannt sein kann, dass dort solche Mängel bestehen.

61      Aus dem neunten Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Auswirkungen des Dublin-Systems auf die Grundrechte der Asylbewerber zur Kenntnis genommen hat. Ferner geht daraus hervor, dass er durch den Erlass dieser Verordnung angesichts der bisherigen Erfahrungen die notwendigen Verbesserungen nicht nur hinsichtlich der Leistungsfähigkeit dieses Systems, sondern auch hinsichtlich des auf seiner Grundlage gewährten Schutzes der Asylbewerber vornehmen wollte.

62      Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, unterscheidet sich die Dublin‑III-Verordnung hinsichtlich der den Asylbewerbern gewährten Rechte in wesentlichen Punkten von der Dublin‑II-Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 34).

63      In Bezug auf die ihnen zuerkannten Grundrechte hat der Unionsgesetzgeber zum einen in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung die auf das Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), zurückgehende, in Rn. 60 des vorliegenden Urteils erwähnte Rechtsprechung kodifiziert und zum anderen in den Erwägungsgründen 32 und 39 dieser Verordnung hervorgehoben, dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und an Art. 4 der Charta gebunden sind.

64      Was speziell die Überstellungsentscheidungen angeht, hat der Unionsgesetzgeber zum einen ihre Rechtmäßigkeit an Garantien geknüpft, indem er dem betreffenden Asylbewerber u. a. in Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung das Recht zuerkannt hat, vor einem Gericht ein wirksames Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung einzulegen, das sich sowohl auf Sach- als auch auf Rechtsfragen erstreckt. Zum anderen hat er in Art. 29 der Verordnung die Modalitäten der Überstellung eingehender geregelt als in der Dublin‑II-Verordnung.

65      Aus alledem folgt, dass die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung nur unter Bedingungen vorgenommen werden darf, die es ausschließen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, bei seiner Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erleiden.

66      Insoweit kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Überstellung eines Asylbewerbers in Anwendung der Dublin‑III-Verordnung aufgrund seines besonders ernsten Gesundheitszustands für ihn mit einer solchen Gefahr verbunden sein kann.

67      Das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in Art. 4 der Charta entspricht nämlich dem in Art. 3 EMRK aufgestellten Verbot, so dass es nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird.

68      Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK, die bei der Auslegung von Art. 4 der Charta zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 87 bis 91), kann das durch eine natürlich auftretende physische oder psychische Erkrankung entstehende Leiden unter Art. 3 EMRK fallen, wenn es durch eine von den Behörden zu verantwortende Behandlung – die sich aus Haftbedingungen, einer Ausweisung oder anderen Maßnahmen ergeben kann – verschlimmert wird oder zu werden droht, sofern das dadurch entstehende Leiden das nach diesem Artikel erforderliche Mindestmaß der Schwere erreicht (vgl. in diesem Sinne Urteil des EGMR, 13. Dezember 2016, Paposhvili gegen Belgien, CE:ECHR:2016:1213JUD004173810, §§ 174 und 175).

69      Angesichts des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 der Charta sind diese grundsätzlichen Erwägungen auch im Rahmen des Dublin-Systems relevant.

70      Insoweit ist in Bezug auf die Aufnahmebedingungen und die verfügbare Versorgung im zuständigen Mitgliedstaat hervorzuheben, dass die durch die Zugangsrichtlinie gebundenen Mitgliedstaaten, zu denen die Republik Kroatien gehört, auch im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin‑III-Verordnung verpflichtet sind, im Einklang mit den Art. 17 bis 19 der Richtlinie den Asylbewerbern die erforderliche medizinische Versorgung und Hilfe zu gewähren, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst. Unter diesen Umständen besteht aufgrund des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten eine starke Vermutung dafür, dass die den Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten gebotene medizinische Behandlung angemessen sein wird (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 78, 80 und 100 bis 105).

71      Im vorliegenden Fall ist weder der Vorlageentscheidung noch den Akten zu entnehmen, dass es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Kroatien, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu medizinischer Versorgung, systemische Schwachstellen aufweisen; dies wird von den Klägern des Ausgangsverfahrens auch nicht geltend gemacht. Der Vorlageentscheidung ist im Gegenteil zu entnehmen, dass die Republik Kroatien insbesondere in der Stadt Kutina über ein Aufnahmezentrum für schutzbedürftige Personen verfüge, die dort Zugang zu medizinischer Versorgung durch einen Arzt hätten und in Notfällen das örtliche Krankenhaus oder das Krankenhaus in Zagreb aufsuchen könnten. Überdies sei den slowenischen Behörden von den kroatischen Behörden zugesichert worden, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens die erforderliche medizinische Behandlung erhalten würden.

72      Zudem ist es zwar möglich, dass bei speziellen schweren Erkrankungen eine angemessene medizinische Behandlung nur in bestimmten Mitgliedstaaten verfügbar ist (vgl. entsprechend Urteil vom 5. Juni 2014, I, C‑255/13, EU:C:2014:1291, Rn. 56 und 57), doch haben die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht geltend gemacht, dass dies in Bezug auf sie der Fall wäre.

73      Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Überstellung eines Asylbewerbers, dessen Gesundheitszustand besonders ernst ist, als solche für ihn mit einer tatsächlichen Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta verbunden sein kann, unabhängig von der Qualität der Aufnahme und der verfügbaren Versorgung in dem für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat.

74      In diesem Kontext ist davon auszugehen, dass die Überstellung eines eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweisenden Asylbewerbers, wenn mit ihr die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden wäre, eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen würde.

75      Liefert ein Asylbewerber, insbesondere im Rahmen des ihm durch Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung garantierten Rechts auf ein wirksames Rechtsmittel, objektive Anhaltspunkte wie in Bezug auf ihn ausgestellte ärztliche Bescheinigungen zum Nachweis der besonderen Schwere seines Gesundheitszustands und der erheblichen und unumkehrbaren Folgen, die eine Überstellung für ihn haben könnte, dürfen die staatlichen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats, einschließlich seiner Gerichte, diese Anhaltspunkte folglich nicht außer Acht lassen. Sie sind vielmehr verpflichtet, die Gefahr zu würdigen, dass solche Folgen eintreten werden, wenn sie die Überstellung des Betroffenen beschließen, wobei die Gerichte prüfen müssen, ob eine Überstellungsentscheidung rechtmäßig ist, wenn ihre Durchführung zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Betroffenen führen könnte (vgl. entsprechend Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 88).

76      Die staatlichen Stellen müssen somit alle ernsthaften Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Überstellung auf den Gesundheitszustand des Betroffenen beseitigen. Dabei dürfen sie sich, insbesondere bei einer schweren psychischen Erkrankung, nicht auf die bloßen Folgen des physischen Transports des Betroffenen von einem Mitgliedstaat in einen anderen beschränken, sondern müssen alle erheblichen und unumkehrbaren Folgen berücksichtigen, die mit der Überstellung verbunden wären.

77      In diesem Rahmen müssen die staatlichen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats prüfen, ob der Gesundheitszustand des Betroffenen durch die nach der Dublin‑III-Verordnung in Betracht kommenden Vorsichtsmaßnahmen angemessen und hinreichend geschützt werden kann, und, wenn ja, diese Vorsichtsmaßnahmen treffen.

78      Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet Art. 3 EMRK einen Vertragsstaat nämlich grundsätzlich nicht, von der Abschiebung oder Ausweisung einer reisefähigen Person abzusehen, sofern dabei die erforderlichen, angemessenen und ihrem Zustand angepassten Maßnahmen getroffen werden (vgl. in diesem Sinne EGMR, 4. Juli 2006, Karim gegen Schweden, CE:ECHR:2006:0704DEC002417105, § 2, und 30. April 2013, Kochieva u. a. gegen Schweden, CE:ECHR:2013:0430DEC007520312, § 35).

79      Speziell in Bezug auf die Umstände, unter denen die psychischen Probleme eines Asylbewerbers bei ihm zu Selbstmordtendenzen führen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach entschieden, dass Selbstmorddrohungen einer Person, deren Abschiebung angeordnet wurde, einen Vertragsstaat nicht dazu zwingen, von der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme abzusehen, wenn er konkrete Maßnahmen ergreift, um die Verwirklichung der Drohungen zu verhindern (vgl. EGMR, 7. Oktober 2004, Dragan u. a. gegen Deutschland, CE:ECHR:2004:1007DEC003374303, § 1, 4. Juli 2006, Karim gegen Schweden, CE:ECHR:2006:0704DEC002417105, § 2, und 30. April 2013, Kochieva u. a. gegen Schweden, CE:ECHR:2013:0430DEC007520312, § 34).

80      Zu den Vorsichtsmaßnahmen ist hervorzuheben, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung vorzunehmen hat, nach Art. 8 der Durchführungsverordnung mit dem zuständigen Mitgliedstaat zusammenarbeiten kann, um sicherzustellen, dass der betreffende Asylbewerber während und nach der Überstellung eine medizinische Versorgung erhält.

81      Insoweit muss der überstellende Mitgliedstaat die Möglichkeit haben, die Überstellung so zu gestalten, dass der betreffende Asylbewerber während des Transports von geeignetem medizinischem Personal begleitet wird, das über Ausrüstung, Ressourcen und Arzneimittel im erforderlichen Umfang verfügt, um jede Verschlechterung seines Gesundheitszustands und jede Gewaltanwendung gegenüber seiner eigenen Person oder Dritten zu verhindern.

82      Dieser Mitgliedstaat muss sich ferner vergewissern können, dass der betreffende Asylbewerber ab seiner Ankunft im zuständigen Mitgliedstaat versorgt wird. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der überstellende Mitgliedstaat nach den Art. 31 und 32 der Dublin‑III-Verordnung dem zuständigen Mitgliedstaat die Informationen über den Gesundheitszustand des Asylbewerbers zu übermitteln hat, die es diesem Mitgliedstaat ermöglichen, dem Asylbewerber die zum Schutz seiner lebenswichtigen Interessen unmittelbar notwendige medizinische Versorgung zu leisten.

83      Dabei können das Standardformblatt in Anhang VI der Durchführungsverordnung und die gemeinsame Gesundheitsbescheinigung in ihrem Anhang IX verwendet werden, um den zuständigen Mitgliedstaat darüber zu informieren, dass der betreffende Asylbewerber bei der Ankunft medizinischer Hilfe und Versorgung bedarf, sowie über alle relevanten Aspekte seiner Erkrankung und der Versorgung, die er künftig benötigen wird. In diesem Fall müssen die Informationen innerhalb einer angemessenen Frist vor der Überstellung übermittelt werden, damit der zuständige Mitgliedstaat ausreichend Zeit hat, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Der überstellende Mitgliedstaat kann sich auch vom zuständigen Mitgliedstaat bestätigen lassen, dass die unerlässliche Versorgung bei der Ankunft verfügbar sein wird.

84      Hält das zuständige Gericht diese Vorsichtsmaßnahmen für ausreichend, um jede tatsächliche Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Fall der Überstellung des betreffenden Asylbewerbers auszuschließen, hat es die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sich zu vergewissern, dass die Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats sie vor der Überstellung des Betroffenen umsetzen. Wenn nötig, muss dessen Gesundheitszustand vor der Durchführung der Überstellung neu bewertet werden.

85      Sofern diese Vorsichtsmaßnahmen hingegen in Anbetracht der besonderen Schwere der Erkrankung des betreffenden Asylbewerbers nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass seine Überstellung nicht mit der tatsächlichen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden sein wird, obliegt es den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die Durchführung seiner Überstellung auszusetzen, solange er aufgrund seines Zustands nicht überstellungsfähig ist.

86      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Überstellung des Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung erfolgt, sobald dies „praktisch möglich“ ist. Nach Art. 9 der Durchführungsverordnung gehört gerade der Gesundheitszustand des Asylbewerbers zu den „materiellen Umständen“, die eine Aufschiebung der Überstellung rechtfertigen können.

87      Lässt der Gesundheitszustand des betreffenden Asylbewerbers seine Überstellung nicht zu, muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat nach der genannten Bestimmung unverzüglich über die dadurch eingetretene Verzögerung bei der Überstellung unterrichten.

88      Gegebenenfalls, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, kann der ersuchende Mitgliedstaat beschließen, den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen „Ermessensklausel“ selbst zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, Halaf, C‑528/11, EU:C:2013:342, Rn. 38). Diese Bestimmung kann aber im Licht von Art. 4 der Charta nicht dahin ausgelegt werden, dass sie den Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens zur Anwendung der Ermessensklausel verpflichtet.

89      Sofern der Gesundheitszustand des betreffenden Asylbewerbers es dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht erlaubt, ihn vor Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Frist von sechs Monaten zu überstellen, ist der zuständige Mitgliedstaat jedenfalls nach Art. 29 Abs. 2 nicht mehr zu seiner Aufnahme verpflichtet, und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über.

90      Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob der Gesundheitszustand von Frau C. K. so ernst ist, dass ernsthafte Zweifel bestehen, ob ihre Überstellung für sie mit einer tatsächlichen Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta verbunden wäre. Bejahendenfalls muss es diese Zweifel ausräumen, indem es sich vergewissert, dass vor der Überstellung von Frau C. K. die in den Rn. 81 bis 83 des vorliegenden Urteils angesprochenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden oder, wenn nötig, dass ihre Überstellung ausgesetzt wird, bis ihr Gesundheitszustand sie zulässt.

91      In diesem Kontext ist dem Argument der Kommission, aus Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung ergebe sich, dass nur die Existenz systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat Auswirkungen auf die Pflicht zur Überstellung eines Asylbewerbers in diesen Mitgliedstaat haben könne, nicht zu folgen.

92      Der Wortlaut dieser Bestimmung enthält nämlich keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber einen anderen Sachverhalt als den systemischer Schwachstellen regeln wollte, die jede Überstellung von Asylbewerbern in einen bestimmten Mitgliedstaat ausschließen. Sie kann daher nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es ausschließt, dass Erwägungen, die an tatsächliche und erwiesene Gefahren unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta anknüpfen, in Ausnahmefällen, wie sie im vorliegenden Urteil in Betracht gezogen worden sind, Folgen insbesondere für die Überstellung eines Asylbewerbers haben können.

93      Ein solches Verständnis von Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung wäre zudem zum einen mit dem allgemeinen Charakter von Art. 4 der Charta unvereinbar, der jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet. Zum anderen stünde es in offenkundigem Widerspruch zum absoluten Charakter dieses Verbots, wenn die Mitgliedstaaten eine tatsächliche und erwiesene Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eines Asylbewerbers unter dem Vorwand außer Acht lassen könnten, dass sie sich nicht aus einer systemischen Schwachstelle im zuständigen Mitgliedstaat ergebe.

94      Der im vorliegenden Urteil vorgenommenen Auslegung von Art. 4 der Charta steht auch das Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 60), nicht entgegen, in dem der Gerichtshof zur Dublin‑II-Verordnung im Wesentlichen entschieden hat, dass ein Asylbewerber unter Umständen wie denen der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, seiner Überstellung nur unter Berufung auf die Existenz systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat entgegentreten kann. Abgesehen davon, dass sich nach der in Rn. 62 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung des Gerichtshofs die Dublin‑III-Verordnung hinsichtlich der dem Asylbewerber gewährten Rechte in wesentlichen Punkten von der Dublin‑II-Verordnung unterscheidet, ist nämlich darauf hinzuweisen, dass das genannte Urteil in einer Rechtssache ergangen ist, in der es um eine Person ging, die vor dem Gerichtshof keinen besonderen Umstand geltend machte, der darauf hindeutete, dass ihre Überstellung als solche gegen Art. 4 der Charta verstoßen würde. Der Gerichtshof erinnerte daher lediglich an sein früheres Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865), das den Ausschluss jeder Überstellung von Asylbewerbern in einen Mitgliedstaat betraf, dessen Asylverfahren oder Aufnahmebedingungen systemische Schwachstellen aufweisen.

95      Schließlich wahrt die fragliche Auslegung voll und ganz den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, denn sie berührt keineswegs die Existenz einer Vermutung für die Einhaltung der Grundrechte in allen Mitgliedstaaten, sondern stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten den im vorliegenden Urteil behandelten Ausnahmefällen gebührend Rechnung tragen. Überdies wäre, wenn ein Mitgliedstaat in solchen Fällen einen Asylbewerber überstellen würde, die daraus resultierende unmenschliche und erniedrigende Behandlung weder unmittelbar noch mittelbar den Behörden des zuständigen Mitgliedstaats anzulasten, sondern allein dem erstgenannten Mitgliedstaat.

96      Nach alledem ist auf die zweite, die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 4 der Charta wie folgt auszulegen ist:

–        Auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestehen, darf die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung nur unter Bedingungen vorgenommen werden, die es ausschließen, dass mit seiner Überstellung eine tatsächliche und erwiesene Gefahr verbunden ist, dass er eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieses Artikels erleidet.

–        Wäre mit der Überstellung eines Asylbewerbers, der eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweist, die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden, würde die Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen.

–        Es obliegt den Behörden des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat, und gegebenenfalls dessen Gerichten, alle ernsthaften Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Überstellung auf den Gesundheitszustand des Betroffenen zu beseitigen, indem sie die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, damit seine Überstellung unter Bedingungen stattfindet, die es ermöglichen, seinen Gesundheitszustand in angemessener und hinreichender Weise zu schützen. Sofern diese Vorsichtsmaßnahmen in Anbetracht der besonderen Schwere der Beeinträchtigung des betreffenden Asylbewerbers nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass seine Überstellung nicht mit der tatsächlichen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden sein wird, obliegt es den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die Durchführung seiner Überstellung auszusetzen, solange er aufgrund seines Zustands nicht überstellungsfähig ist.

–        Gegebenenfalls, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, kann der ersuchende Mitgliedstaat beschließen, den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen „Ermessensklausel“ selbst zu prüfen.

97      Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung kann im Licht von Art. 4 der Charta nicht dahin ausgelegt werden, dass er den betreffenden Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Anwendung der genannten Klausel verpflichtet.

 Kosten

98      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Frage der Anwendung der in dieser Bestimmung vorgesehenen „Ermessensklausel“ durch einen Mitgliedstaat nicht allein dem nationalen Recht und dessen Auslegung durch das Verfassungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, sondern eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt.

2.      Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist wie folgt auszulegen:

–        Auch wenn es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass in dem für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen bestehen, darf die Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen der Verordnung Nr. 604/2013 nur unter Bedingungen vorgenommen werden, die es ausschließen, dass mit seiner Überstellung eine tatsächliche und erwiesene Gefahr verbunden ist, dass er eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieses Artikels erleidet.

–        Wäre mit der Überstellung eines Asylbewerbers, der eine besonders schwere psychische oder physische Beeinträchtigung aufweist, die tatsächliche und erwiesene Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden, würde die Überstellung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des genannten Artikels darstellen.

–        Es obliegt den Behörden des Mitgliedstaats, der die Überstellung vorzunehmen hat, und gegebenenfalls dessen Gerichten, alle ernsthaften Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Überstellung auf den Gesundheitszustand des Betroffenen zu beseitigen, indem sie die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, damit seine Überstellung unter Bedingungen stattfindet, die es ermöglichen, seinen Gesundheitszustand in angemessener und hinreichender Weise zu schützen. Sofern diese Vorsichtsmaßnahmen in Anbetracht der besonderen Schwere der Beeinträchtigung des betreffenden Asylbewerbers nicht ausreichen, um sicherzustellen, dass seine Überstellung nicht mit der tatsächlichen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung seines Gesundheitszustands verbunden sein wird, obliegt es den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die Durchführung seiner Überstellung auszusetzen, solange er aufgrund seines Zustands nicht überstellungsfähig ist.

–        Gegebenenfalls, wenn sich herausstellt, dass nicht mit einer kurzfristigen Besserung des Gesundheitszustands des betreffenden Asylbewerbers zu rechnen ist oder dass bei einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens die Gefahr der Verschlechterung seines Zustands bestünde, kann der ersuchende Mitgliedstaat beschließen, den Antrag des Asylbewerbers in Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen „Ermessensklausel“ selbst zu prüfen.


Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 kann im Licht von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht dahin ausgelegt werden, dass er den betreffenden Mitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Anwendung der genannten Klausel verpflichtet.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Slowenisch.