Language of document : ECLI:EU:C:2017:265

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

5. April 2017(*)

„Rechtsmittel – Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 8 Abs. 4 – Art. 65 Abs. 1 und 2 – Wortmarke LAGUIOLE – Antrag auf Nichtigerklärung aufgrund eines älteren Rechts, das nach nationalem Recht erworben wurde – Anwendung des nationalen Rechts durch das EUIPO – Amt des Unionsrichters“

In der Rechtssache C‑598/14 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 22. Dezember 2014,

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigten,

Rechtsmittelführer,

andere Parteien des Verfahrens:

Gilbert Szajner, wohnhaft in Saint-Maur-des-Fossés (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: A. Sam-Simenot, avocate,

Antragsteller im ersten Rechtszug,

Forge de Laguiole SARL mit Sitz in Laguiole (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: F. Fajgenbaum, avocate,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 1. Dezember 2016

folgendes

Urteil

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 21. Oktober 2014, Szajner/HABM – Forge de Laguiole (LAGUIOLE) (T‑453/11, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2014:901), mit dem dieses die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des EUIPO vom 1. Juni 2011 (Sache R 181/2007‑1) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen der Forge de Laguiole SARL und Herrn Gilbert Szajner (im Folgenden: streitige Entscheidung) teilweise aufgehoben hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EG) Nr. 207/2009

2        Die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) kodifiziert. Die Bestimmungen der Art. 8, 52 und 63 der Verordnung Nr. 40/94 wurden ohne substanzielle Änderung in die Art. 8, 53 und 65 der Verordnung Nr. 207/2009 übernommen.

3        Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 lautet:

„Auf Widerspruch des Inhabers einer nicht eingetragenen Marke oder eines sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Kennzeichenrechts von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn und soweit nach dem für den Schutz des Kennzeichens maßgeblichen Recht der [Union] oder des Mitgliedstaats

a)     Rechte an diesem Kennzeichen vor dem Tag der Anmeldung der [Unions]marke, gegebenenfalls vor dem Tag der für die Anmeldung der [Unions]marke in Anspruch genommenen Priorität, erworben worden sind;

b)     dieses Kennzeichen seinem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen.“

4        Art. 53 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 sieht vor:

„Die [Unions]marke wird auf Antrag beim Amt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

c)     wenn ein in Artikel 8 Absatz 4 genanntes älteres Kennzeichenrecht besteht und die Voraussetzungen des genannten Absatzes erfüllt sind.“

5        Art. 65 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt:

„(1) Die Entscheidungen der Beschwerdekammern, durch die über eine Beschwerde entschieden wird, sind mit der Klage beim Gerichtshof anfechtbar.

(2)   Die Klage ist zulässig wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des [AEU]-Vertrags, dieser Verordnung oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs.“

 Durchführungsverordnung

6        Regel 37 Buchst. b Ziff. iii der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. 1995, L 303, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:

„Der Antrag beim Amt auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer [Unions]marke … muss folgende Angaben enthalten:

b)     hinsichtlich der Gründe für den Antrag,

iii) bei Anträgen gemäß Artikel [53] der Verordnung [Nr. 207/2009] Angaben, aus denen hervorgeht, auf welches Recht sich der Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit stützt, und Angaben, die beweisen, dass der Antragsteller Inhaber eines in Artikel [53] der Verordnung [Nr. 207/2009] genannten älteren Rechts ist oder dass er nach einschlägigem nationalen Recht berechtigt ist, dieses Recht geltend zu machen.“

 Französisches Recht

7        In Art. L. 711-4 des Code de la propriété intellectuelle (Gesetz über das geistige Eigentum, im Folgenden: CPI) heißt es:

„Nicht als Marke eingetragen werden kann ein Zeichen, das ältere Rechte verletzt, insbesondere

b)     eine Firma, wenn für das Publikum eine Verwechslungsgefahr besteht;

…“

8        Art. L. 714-3 CPI sieht vor:

„Eine eingetragene Marke kann gerichtlich für nichtig erklärt werden, wenn sie nicht im Einklang mit den Art. L. 711-1 bis L. 711-4 steht.

Ein Antrag auf Nichtigerklärung nach Art. L. 711-4 kann nur vom Inhaber eines älteren Rechts gestellt werden. Ein solcher Antrag ist jedoch unzulässig, wenn die Marke gutgläubig angemeldet wurde und der Inhaber des älteren Rechts die Benutzung der Marke fünf Jahre hindurch geduldet hat.

Die Nichtigerklärung wirkt gegenüber jedermann.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

9        Das Gericht hat die Vorgeschichte des Rechtsstreits wie folgt zusammengefasst:

„1     … [Herr Szajner] ist Inhaber der [Unions]wortmarke LAGUIOLE, die am 20. November 2001 angemeldet und am 17. Januar 2005 vom [EUIPO] gemäß der Verordnung [Nr. 40/94, kodifiziert durch die Verordnung Nr. 207/2009,] eingetragen wurde.

2       Die Marke LAGUIOLE wurde … u. a. für folgende Waren und Dienstleistungen in den Klassen 8, 14, 16, 18, 20, 21, 28, 34 und 38 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

3       Am 22. Juli 2005 stellte … [die Forge de Laguiole SARL] nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 53 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009) einen Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der Marke LAGUIOLE.

4       Der Antrag auf Nichtigerklärung wurde auf die Firma Forge de Laguiole gestützt, die [diese Gesellschaft] für ‚Anfertigung und Verkauf jeglicher Messerschmiede- und Schneidwaren, Geschenkartikel und Souvenirs – jeglicher Artikel im Zusammenhang mit Tischkultur‘ verwendete. Der [Forge de Laguiole SARL] zufolge berechtigt sie diese Firma, deren Geltungsbereich nicht nur örtlich sei, gemäß dem französischen Recht dazu, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen.

5       Der Antrag auf teilweise Nichtigerklärung richtete sich gegen alle oben in Rn. 2 genannten Waren und Dienstleistungen.

6       Mit Entscheidung vom 27. November 2006 wies die Nichtigkeitsabteilung [des EUIPO] den Antrag auf Nichtigerklärung zurück.

7       Am 25. Januar 2007 legte die [Forge de Laguiole SARL] gemäß den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009) gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde beim [EUIPO] ein.

8       Mit [der streitigen Entscheidung] hat die Erste Beschwerdekammer [des EUIPO] der Beschwerde teilweise stattgegeben und die Marke LAGUIOLE für die Waren der Klassen 8, 14, 16, 18, 20, 21, 28 und 34 für nichtig erklärt. Hinsichtlich der Dienstleistungen der Klasse 38 hat sie die Beschwerde zurückgewiesen.

9       Die Beschwerdekammer ist insbesondere davon ausgegangen, dass nach der französischen Rechtsprechung eine Firma grundsätzlich für alle Tätigkeiten geschützt sei, die von ihrem Unternehmensgegenstand umfasst seien, wobei der Schutz jedoch auf die tatsächlich und konkret ausgeübten Tätigkeiten beschränkt sei, wenn der Unternehmensgegenstand unpräzise sei oder die ausgeübten Tätigkeiten nicht von ihm umfasst seien. Im vorliegenden Fall sei der Unternehmensgegenstand der [Forge de Laguiole SARL] hinsichtlich ‚Anfertigung und Verkauf jeglicher Messerschmiede- und Schneidwaren‘ aber hinreichend präzise. Selbst wenn man unterstellte, dass der Wortlaut des Unternehmensgegenstands ‚Anfertigung und Verkauf jeglicher Geschenkartikel und Souvenirs – jeglicher Artikel im Zusammenhang mit Tischkultur‘ unpräzise sei, wäre die Firma der Antragstellerin schutzwürdig, zumindest in den Bereichen, in denen sie vor Anmeldung der Marke LAGUIOLE tatsächlich tätig gewesen sei.

10     Hierzu hat die Beschwerdekammer die Auffassung vertreten, die [Forge de Laguiole SARL] habe nachgewiesen, dass sie bereits vor Anmeldung der Marke LAGUIOLE eine gewerbliche Tätigkeit im Bereich des Handels mit Waren ausgeübt habe, die unter ‚Tischkultur‘, ‚Wohnkultur‘, die Welt des Weins, Schneidwaren, Raucher-, Golfer-, Jäger- und Freizeitartikel sowie sonstiges Zubehör fielen. Keine gewerbliche Tätigkeit habe die [Forge de Laguiole SARL] hingegen hinsichtlich der Luxus- und Reiseartikel nachgewiesen, die im Übrigen nicht von ihrem Unternehmensgegenstand umfasst seien. Schließlich hat die Beschwerdekammer ausgeführt, mit Ausnahme der Telekommunikationsdienstleistungen der Klasse 38 drängen alle mit der genannten Marke beanspruchten Waren in die Tätigkeitsbereiche der [Forge de Laguiole SARL] ein oder gehörten zu konnexen Tätigkeitsbereichen.

…“

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

10      Mit am 8. August 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob Herr Szajner Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung und brachte dafür einen einzigen Klagegrund vor, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 53 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 geltend machte.

11      Das Gericht gab diesem einzigen Klagegrund statt und hob die streitige Entscheidung insoweit auf, als die Beschwerdekammer des EUIPO festgestellt hatte, dass Verwechslungsgefahr zwischen der Firma „Forge de Laguiole“ und der Marke LAGUIOLE für andere Waren als diejenigen bestehe, die den Tätigkeiten entsprächen, die zum Zeitpunkt der Anmeldung der angefochtenen Marke unter dieser Firma tatsächlich ausgeübt worden seien. Im Übrigen wies es die Klage ab.

12      Insbesondere führte das Gericht in den Rn. 23 bis 25 des angefochtenen Urteils aus, es sei zulässig gewesen, dass sich Herr Szajner erstmals im Stadium des mündlichen Verfahrens auf das Urteil der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) vom 10. Juli 2012 (Nr. 08‑12.010, im Folgenden: Urteil vom 10. Juli 2012) als Beweismittel berufen habe, da die Anwendung von Art. L. 711‑4 CPI durch das EUIPO vom Gericht im Licht eines Urteils eines nationalen Gerichts überprüft werden könne, das nach Erlass der Entscheidung dieses Amts ergangen und von einer Verfahrenspartei geltend gemacht worden sei.

13      Dazu stellte das Gericht in den Rn. 43 bis 50 des angefochtenen Urteils fest, dass eine Firma nach dem Urteil der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) vom 10. Juli 2012 nur für „jene Tätigkeiten geschützt ist, die das Unternehmen tatsächlich ausübt, und nicht für jene, die in seiner Satzung aufgezählt sind“. Nach Ansicht des Gerichts ist dieses Urteil im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung von Art. L. 711‑4 CPI heranzuziehen, auch wenn es in einem anderen Kontext ergangen sei. Es komme nicht darauf an, dass dieses Urteil nach der streitigen Entscheidung ergangen sei, da es sich darauf beschränke, „eine streitige Rechtsfrage [zu klären]“, und Änderungen der Rechtsprechung jedenfalls rückwirkend auf bestehende Situationen anwendbar seien.

14      Das Gericht kam in Rn. 51 des angefochtenen Urteils zu dem Schluss, dass sich der Schutz der Firma „Forge de Laguiole“ im vorliegenden Fall ausschließlich auf jene Tätigkeiten erstrecke, die am Tag der Anmeldung der streitigen Marke – am 20. November 2001 – unter diesem Namen tatsächlich ausgeübt worden seien.

15      In Rn. 78 dieses Urteils führte das Gericht aus, dass nach der französischen Rechtsprechung die Beurteilung der Verwechslungsgefahr von mehreren Faktoren abhänge, wie etwa dem Grad der (bildlichen, klanglichen und begrifflichen) Ähnlichkeit zwischen den fraglichen Zeichen, dem Grad der Ähnlichkeit zwischen den von diesen Zeichen abgedeckten Wirtschaftssektoren und der mehr oder weniger hohen Kennzeichnungskraft des älteren Zeichens.

16      Angesichts des Grades der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen zum einen und der Waren und der Tätigkeitsbereiche der Parteien zum anderen bestätigte das Gericht in Rn. 166 des angefochtenen Urteils eine Gefahr der Verwechslung für „handbetätigte Werkzeuge und Geräte; Löffel; Sägen, Rasierapparate, Rasierklingen; Rasiernecessaires; Nagelfeilen und ‑zangen, Nagelknipser; Manikürenecessaires“ der Klasse 8, „Brieföffner“ der Klasse 16, „Korkenzieher; Flaschenöffner“ und „Rasierpinsel, Toilettenecessaires“ der Klasse 21 sowie „Zigarrenabschneider“ und „Pfeifenreiniger“ der Klasse 34. Es hob die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO insoweit auf, als sie eine Gefahr der Verwechslung für andere Waren festgestellt hatte.

 Anträge der Parteien

17      Das EUIPO beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und Herrn Szajner die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Forge de Laguiole SARL (im Folgenden: Forge de Laguiole) beantragt, den Rechtsmittelanträgen des EUIPO insgesamt stattzugeben.

19      Herr Szajner beantragt,

–        sämtliche Anträge und Rechtsmittelgründe des EUIPO und von Forge de Laguiole für unzulässig zu erklären,

–        hilfsweise, die genannten Anträge und Rechtsmittelgründe für unbegründet zu erklären,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen,

–        die Aufhebung des angefochtenen Urteils für unnötig zu erklären und

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

20      Das EUIPO macht zwei Rechtsmittelgründe geltend, mit denen es erstens einen Verstoß gegen Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und zweitens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 in Verbindung mit Art. L. 711‑4 CPI rügt.

21      Nach Ansicht von Herrn Szajner sind das Rechtsmittel des EUIPO und die Anträge von Forge de Laguiole unzulässig. Hilfsweise macht er geltend, dass die vorgetragenen Rechtsmittelgründe als unbegründet zurückzuweisen seien.

 Zur Zulässigkeit

22      Herr Szajner trägt vor, das Rechtsmittel sei mangels Klagebefugnis des EUIPO unzulässig. Insbesondere verstoße die doppelte Eigenschaft als Richter und als Rechtsmittelführer in diesem Rechtsmittelverfahren offensichtlich gegen die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität sowie gegen jenen des Vertrauensschutzes und somit gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Das Rechtsmittel sei in jedem Fall unzulässig, da zum einen das angefochtene Urteil die Interessen des EUIPO nicht unmittelbar berühre und zum anderen die von diesem vorgetragenen Rechtsmittelgründe in Bezug auf das Urteil vom 10. Juli 2012 die Vorgaben des Rechtsstreits änderten.

23      In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 172 der Verfahrensordnung des Gerichts die beim Gericht gegen eine Entscheidung einer Beschwerdekammer des EUIPO eingereichte Klage gegen das EUIPO als Beklagten erhoben wird. Im Übrigen kann nach Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein Rechtsmittel von einer Partei eingelegt werden, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist, wobei andere Streithelfer als Mitgliedstaaten oder Unionsorgane dieses Rechtsmittel jedoch nur dann einlegen können, wenn die Entscheidung des Gerichts sie unmittelbar berührt.

24      Da das EUIPO im vorliegenden Fall in erster Instanz Beklagter und nicht Streithelfer gewesen und mit seinen Anträgen teilweise unterlegen ist, sind sowohl seine Klagebefugnis als auch sein Klageinteresse im Rechtsmittelverfahren unstreitig, und das Amt muss keineswegs nachweisen, dass es von der Entscheidung des Gerichts unmittelbar berührt wird.

25      Aus dem Vorstehenden geht auch hervor, dass entgegen dem Vortrag von Herrn Szajner nicht angenommen werden kann, dass das EUIPO in irgendeiner Form eine „doppelte Eigenschaft als Richter und Rechtsmittelführer“ hat.

26      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus Rn. 9 des vorliegenden Urteils ergibt, die Auslegung des französischen Rechts bereits Gegenstand des Rechtsstreits zwischen den Parteien im Rahmen des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des EUIPO gewesen ist. Folglich kann das Vorbringen des EUIPO in Bezug auf das Urteil vom 10. Juli 2012 keine Erweiterung des Streitgegenstands zwischen den Parteien des Verfahrens vor dem EUIPO darstellen.

27      Demnach ist die von Herrn Szajner gegen das Rechtsmittel des EUIPO erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit der Anträge von Forge de Laguiole

28      Herr Szajner hält die Anträge von Forge de Laguiole für unzulässig. Da sie entgegen Art. 174 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht bloß auf die vollständige oder teilweise Stattgabe oder Zurückweisung des Rechtsmittels des EUIPO, sondern auf die Aufhebung des angefochtenen Urteils gerichtet seien, stellten sie nämlich in Wirklichkeit ein Anschlussrechtsmittel dar, das nach Art. 176 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit gesondertem Schriftsatz hätte eingelegt werden müssen.

29      Aus der Rechtsmittelbeantwortung von Forge de Laguiole geht jedoch klar hervor, dass diese zur Stützung der vom EUIPO dargelegten Rechtsmittelgründe eingereicht worden ist und dass diese Gesellschaft somit beantragt hat, dem Rechtsmittel stattzugeben.

30      Folglich ist die von Herrn Szajner gegen die Anträge von Forge de Laguiole erhobene Einrede der Unzulässigkeit ebenfalls zurückzuweisen.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009

 Vorbringen der Parteien

31      Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft das EUIPO, unterstützt von Forge de Laguiole, dem Gericht vor, den Umfang seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammer des EUIPO verkannt zu haben, indem es eine Würdigung des Urteils vom 10. Juli 2012 vorgenommen habe, obwohl dieses Urteil nach der Entscheidung der Beschwerdekammer ergangen sei.

32      Dazu führt das EUIPO aus, dass die Rechtsprechung der französischen Gerichte zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung durch das Urteil der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) vom 21. Mai 1996 (Nr. 94‑16531, im Folgenden: Urteil vom 21. Mai 1996) bestimmt worden sei, in dem dieses Gericht im Rahmen einer Klage auf Untersagung der Benutzung einer jüngeren Marke den Gesellschaftszweck der Antragstellerin herangezogen habe, ohne die von der Gesellschaft tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zu berücksichtigen. Obwohl das Gericht in Rn. 46 des angefochtenen Urteils aus den nach dem Urteil vom 21. Mai 1996 ergangenen Entscheidungen französischer untergeordneter Gerichte einen Hinweis darauf abgeleitet habe, dass sich die Rechtsprechung in einem der Beschwerdekammer des EUIPO entgegenstehenden Sinne weiterentwickelt habe, habe es diese Entscheidungen nicht identifiziert und daher seine Begründungspflicht verletzt.

33      Da das Gericht in Rn. 50 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass das Urteil vom 10. Juli 2012 „für sich genommen eine neue Tatsache“ darstelle, hätte die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung nicht im Licht dieses Urteils geprüft werden dürfen, das die Beschwerdekammer nicht habe berücksichtigen können.

34      Herr Szajner macht geltend, das Gericht habe in den Rn. 21 bis 25 des angefochtenen Urteils zutreffend entschieden, dass das Urteil vom 10. Juli 2012 als Beweismittel habe berücksichtigt werden müssen, zumal dieses Urteil vor dem Gericht kontradiktorisch erörtert worden sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

35      Zunächst ist in Bezug auf die Verteilung der Rollen zwischen dem Antragsteller des Nichtigkeitsverfahrens, den zuständigen Stellen des EUIPO und dem Gericht erstens darauf hinzuweisen, dass Regel 37 der Durchführungsverordnung vorsieht, dass es Sache des Antragstellers ist, Angaben vorzubringen, die beweisen, dass er nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften zur Geltendmachung eines im nationalen Rechtsrahmen geschützten älteren Rechts befugt ist. Nach dieser Regel obliegt es dem Antragsteller nicht nur, vor dem EUIPO die Angaben vorzubringen, die beweisen, dass er die nach den nationalen Rechtsvorschriften, deren Anwendung er begehrt, erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, um die Benutzung einer Unionsmarke aufgrund eines älteren Rechts untersagen lassen zu können, sondern auch, die Angaben vorzubringen, aus denen sich der Inhalt dieser Rechtsvorschriften ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 49 und 50, sowie vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 34).

36      Was zweitens insbesondere die Verpflichtungen des EUIPO betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass, wenn ein Antrag auf Nichtigerklärung einer Unionsmarke auf ein durch eine nationale Rechtsvorschrift geschütztes älteres Recht gestützt wird, es zunächst Sache der zuständigen Stellen des EUIPO ist, die Aussagekraft und die Tragweite der vom Antragsteller vorgebrachten Angaben zu beurteilen, mit denen der Inhalt der nationalen Rechtsvorschrift dargetan werden soll (Urteile vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 51, und vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 35). Da zudem die Entscheidungen der zuständigen Stellen des EUIPO bewirken können, dass dem Markeninhaber ein ihm gewährtes Recht entzogen wird, setzt die Tragweite einer solchen Entscheidung zwangsläufig voraus, dass die Stelle, die sie erlässt, nicht auf die Rolle beschränkt ist, das nationale Recht, wie es vom Antragsteller des Nichtigkeitsverfahrens dargestellt wird, lediglich zu bestätigen (Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 43).

37      Drittens ist nach Art. 65 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 207/2009 das Gericht dafür zuständig, die vom EUIPO vorgenommene Beurteilung der vom Antragsteller vorgebrachten Angaben, mit denen der Inhalt der nationalen Rechtsvorschriften, deren Schutz er geltend macht, dargetan werden soll, einer vollen Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 52, und vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 36).

38      Da außerdem die Anwendung des nationalen Rechts im fraglichen verfahrensrechtlichen Kontext bewirken kann, dass dem Inhaber einer Unionsmarke sein Recht entzogen wird, ist es zwingend erforderlich, dass das Gericht trotz einer etwaigen Lückenhaftigkeit der zum Beweis des anwendbaren nationalen Rechts vorgelegten Dokumente eine effektive Kontrolle tatsächlich durchführen kann. Dafür muss das Gericht demnach über die vorgelegten Dokumente hinaus den Inhalt, die Tatbestandsvoraussetzungen und die Tragweite der vom Antragsteller des Nichtigkeitsverfahrens geltend gemachten Rechtsvorschriften prüfen dürfen. Daher muss die vom Gericht durchgeführte gerichtliche Kontrolle den Anforderungen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes entsprechen (Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 44).

39      Dann ist festzustellen, dass die Kontrolle durch das EUIPO und das Gericht unter Berücksichtigung des Erfordernisses zu erfolgen hat, wonach die praktische Wirksamkeit der Verordnung Nr. 207/2009 sicherzustellen ist, die in der Gewährleistung des Schutzes der Unionsmarke liegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 40).

40      Wie aber die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, könnte der Umstand, dass das Gericht sich darauf beschränkt, das nationale Recht so anzuwenden, wie es zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO von den nationalen Gerichten ausgelegt wurde, zur Verweigerung der Eintragung bzw. zur Ungültigerklärung einer Unionsmarke führen, obwohl die anzuwendende nationale Rechtsvorschrift zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts hierfür keine Grundlage bietet.

41      Dieses Ergebnis liefe nicht nur dem in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Erfordernis, die praktische Wirksamkeit der Verordnung Nr. 207/2009 sicherzustellen, sondern auch dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zuwider, indem dem Gericht die reale Möglichkeit genommen wird, die in den Rn. 37 und 38 des vorliegenden Urteils angeführte volle Rechtmäßigkeitsprüfung effektiv durchzuführen.

42      Hieraus ergibt sich, dass das Gericht zur Beurteilung des Schutzes, der vom nationalen Recht gewährt wird, eine nationale Rechtsvorschrift so anzuwenden hat, wie sie zum Zeitpunkt, zu dem es seine Entscheidung erlässt, von den nationalen Gerichten ausgelegt wird. Damit muss das Gericht auch eine Entscheidung berücksichtigen können, die nach der Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO von einem nationalen Gericht erlassen wurde.

43      Die Berücksichtigung einer Entscheidung eines nationalen Gerichts, die nach der Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO ergangen ist, kann zwar zur Folge haben, dass das Gericht eine Beurteilung einer nationalen Rechtsvorschrift vornimmt, die sich von derjenigen der Beschwerdekammer unterscheidet. Da es sich jedoch bei der vom Gericht ausgeübten Überprüfung der Beurteilung des nationalen Rechts durch die Beschwerdekammer um eine volle Rechtmäßigkeitsprüfung handelt, kann, wie die Generalanwältin in Nr. 53 ihre Schlussanträge ausgeführt hat, der nach der Entscheidung dieser Beschwerdekammer zutage getretene Umstand, dass diese Entscheidung auf einer unzutreffenden Auslegung des nationalen Rechts beruht, kein Hindernis dafür sein, diesen Fehler zu korrigieren.

44      Diese Schlussfolgerung wird durch die Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, wonach erstens das Gericht sich grundsätzlich darauf beschränken muss, auf der Grundlage der Angaben, die der Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO zugrunde lagen, die Entscheidung zu finden, die die Beschwerdekammer hätte erlassen müssen, zweitens das Gericht die streitgegenständliche Entscheidung nur aufheben oder abändern kann, wenn zum Zeitpunkt ihres Erlasses einer der in Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 aufgeführten Gründe für ihre Aufhebung oder Abänderung vorlag, und drittens das Gericht die Entscheidung nicht aus Gründen aufheben oder abändern kann, die nach ihrem Erlass eingetreten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 71 und 72, sowie vom 26. Oktober 2016, Westermann Lernspielverlage/EUIPO, C‑482/15 P, EU:C:2016:805, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Zwar hat dieser Grundsatz eine große Tragweite und untersagt es dem Gericht u. a., die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO unter Berücksichtigung von Tatsachen, die nach Erlass dieser Entscheidung aufgetreten sind, oder unter Anwendung von materiellen Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung noch nicht in Kraft waren, aufzuheben oder abzuändern, er untersagt es dem Gericht hingegen nicht, in Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 eine Entwicklung der Auslegung der von der Beschwerdekammer des EUIPO geprüften nationalen Rechtsvorschrift durch die nationalen Gerichte zu berücksichtigen. Diese nationale Rechtsvorschrift hat nämlich zu den Angaben gehört, die der Beschwerdekammer zur Beurteilung vorgelegt worden sind, und die Anwendung dieser Rechtsvorschrift durch die Beschwerdekammer unterliegt nach Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 einer vollen Rechtmäßigkeitsprüfung durch das Gericht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 36 bis 38).

46      Nach dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens, der Teil des Rechts auf ein faires Verfahren ist, das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, unterliegt aber die Berücksichtigung einer Entscheidung eines nationalen Gerichts, die nach dem Erlass der Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO ergangen ist, durch das Gericht der Voraussetzung, dass den Parteien wie im vorliegenden Fall die Möglichkeit gegeben wird, vor dem Gericht zu der einschlägigen nationalen Entscheidung Stellung zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 52 bis 54).

47      Was schließlich die angebliche Verletzung der Begründungspflicht betrifft, ist in Bezug auf die Angaben zum französischen Recht, die vom Gericht berücksichtigt worden sind, festzustellen, dass sich das Gericht in Rn. 44 des angefochtenen Urteils bei der Beurteilung des Urteils vom 10. Juli 2012 ausschließlich auf dessen Wortlaut gestützt hat.

48      Zwar hat das Gericht in Rn. 46 des angefochtenen Urteils festgestellt, die – wenn auch uneinheitliche – ältere Rechtsprechung untergeordneter französischer Gerichte habe schon vor Erlass des Urteils vom 10. Juli 2012 die Schlussfolgerung erlaubt, dass der Schutz der Firma auf die Tätigkeiten beschränkt sei, die das fragliche Unternehmen tatsächlich ausgeübt habe, jedoch geht aus den Rn. 43 bis 45 des angefochtenen Urteils hervor, dass es seine Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung in erster Linie nicht auf diese ältere Rechtsprechung, sondern auf das Urteil vom 10. Juli 2012 gestützt hat und diese Beurteilung hinreichend begründet hat.

49      Es kann daher nicht angenommen werden, dass das Gericht seiner Pflicht zur Begründung seiner Entscheidungen nicht nachgekommen ist.

50      Nach alledem stellt die Berücksichtigung des Urteils vom 10. Juli 2012 durch das Gericht keinen Verstoß gegen Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dar, und demnach ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Art. L. 711‑4 CPI

51      Der zweite Rechtsmittelgrund ist in zwei Teile untergliedert.

 Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes: Verfälschung des Urteils vom 10. Juli 2012

–       Vorbringen der Parteien

52      Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wirft das EUIPO, unterstützt von Forge de Laguiole, dem Gericht vor, das Urteil vom 10. Juli 2012 verfälscht zu haben.

53      Insbesondere habe das Gericht dem Urteil vom 10. Juli 2012 eine Tragweite beigemessen, die diesem offensichtlich nicht zukomme, indem es in Rn. 44 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, dass die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) mit dem Urteil vom 10. Juli 2012 nicht Art. L. 711‑4 CPI ausgelegt habe, aber dann festgestellt habe, dass die Passage in diesem Urteil, wonach „die Firma nur für jene Tätigkeiten geschützt [sei], die das Unternehmen tatsächlich ausüb[e], und nicht für jene, die in seiner Satzung aufgezählt [seien]“, keinerlei Beschränkung – weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem tatsächlichen oder verfahrensmäßigen Zusammenhang – enthalte, die zur Annahme Anlass geben könnte, dass ihre Anwendbarkeit auf die besonderen Umstände der entschiedenen Rechtssache begrenzt sei, und dass das Urteil daher analog zur Auslegung von Art. L. 711‑4 CPI herangezogen werden könne. Nach Ansicht des EUIPO sollte in dieser Passage nur festgestellt werden, inwiefern die Anmeldung der in Rede stehenden Marke durch die betreffende Gesellschaft betrügerisch gewesen sei, und nicht, in welchem Umfang die Firma dieser Gesellschaft gegenüber einer älteren Marke Schutz genieße. Art. L. 711‑4 Buchst. b CPI erfordere eine „prognostische Prüfung“ der Verwechslungsgefahr, die die konkreten Bedingungen für die Nutzung der einander gegenüberstehenden Zeichen einschließlich der älteren Firma außer Betracht lassen könne, da die Begrenzung des Umfangs des Schutzes einer Firma auf die konkret ausgeübten Tätigkeiten im Fall von rein potenziellen Konflikten nicht geboten sei.

54      Forge de Laguiole fügt hinzu, da das Urteil vom 10. Juli 2012 ein abweisendes Urteil sei, d. h. ein Urteil, das die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätige, könne es im französischen Recht keine Leitentscheidung sein.

55      Herr Szajner macht geltend, dass der Standpunkt des EUIPO, wonach das Urteil vom 10. Juli 2012 nur die Fälle betrügerischer Markenanmeldungen betreffe, sowohl der vor diesem Urteil ergangenen Rechtsprechung, als auch der Auslegung dieses Urteils durch die französische juristische Literatur widerspreche, die in Bezug auf die allgemeine Tragweite dieses Urteils einheitlich sei.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

56      Vorab ist in Bezug auf die Überprüfung der vom Gericht zum anzuwendenden nationalen Recht getroffenen Feststellungen im Rechtsmittelverfahren darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof dafür zuständig ist, zunächst zu prüfen, ob das Gericht auf der Grundlage der ihm vorgelegten Schriftstücke und anderen Aktenstücke nicht den Wortlaut der in Frage stehenden nationalen Vorschriften oder der sich auf sie beziehenden nationalen Rechtsprechung oder auch der sie betreffenden Stellungnahmen der juristischen Literatur verfälscht hat, des Weiteren, ob das Gericht in Anbetracht dieser Angaben nicht Feststellungen getroffen hat, die ihrem Inhalt offensichtlich zuwiderlaufen, und schließlich, ob das Gericht bei seiner Prüfung der Gesamtheit dieser Angaben zur Ermittlung des Inhalts der fraglichen nationalen Rechtsvorschriften nicht einer dieser Angaben eine Tragweite beigemessen hat, die ihr im Verhältnis zu den anderen nicht zukommt, soweit sich dies offensichtlich aus den zu den Akten genommenen Unterlagen ergibt (Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 53).

57      Demnach obliegt es dem Gerichtshof, zu prüfen, ob das Vorbringen des EUIPO Fehler des Gerichts im Rahmen seiner Feststellungen zu den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften zum Gegenstand hat, die auf der Grundlage der Ausführungen in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils einer Kontrolle durch den Gerichtshof unterzogen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 54).

58      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 44 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass dem Urteil vom 10. Juli 2012 keine Klage nach Art. L. 711‑4 CPI zugrunde lag, sondern eine Klage auf Nichtigerklärung einer Marke wegen betrügerischer Anmeldung und ein Antrag im Bereich des unlauteren Wettbewerbs.

59      Wie das Gericht in dieser Randnummer ebenfalls festgestellt hat, finden sich im Urteil vom 10. Juli 2012 keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) die Gültigkeit ihrer Würdigung hinsichtlich des Schutzbereichs einer Firma auf die besonderen Umstände beschränken wollte, die diesem Urteil zugrunde lagen. Im Gegenteil hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) diese Würdigung im Rahmen der Zurückweisung des ersten Rechtsmittelgrundes vorgenommen, der insbesondere auf die Verletzung von Art. L. 711‑4 Buchst. b CPI gestützt war. Daher kann dem Argument des EUIPO, die Würdigung der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) sei für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung nicht einschlägig, nicht gefolgt werden.

60      Außerdem macht das EUIPO geltend, die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) habe auf die Tätigkeiten abgestellt, die der Inhaber einer Firma tatsächlich ausübe, um den zweiten Rechtsmittelgrund zu prüfen, der vor ihr im Bereich des unlauteren Wettbewerbs geltend gemacht worden sei und eine reelle Konkurrenzsituation zwischen den beteiligten Unternehmen voraussetze.

61      Aus dem Wortlaut des Urteils vom 10. Juli 2012 geht jedoch offensichtlich hervor, dass zum einen die Feststellung, wonach „die Firma nur für jene Tätigkeiten geschützt ist, die das Unternehmen tatsächlich ausübt, und nicht für jene, die in seiner Satzung aufgezählt sind“, im Rahmen der Würdigung des ersten Rechtsmittelgrundes, der betrügerischen Anmeldung der in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, fraglichen Marke, erfolgt ist, und zum anderen die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) auf die tatsächlich von der betreffenden Gesellschaft ausgeübten Tätigkeiten sowohl bei ihrer Würdigung des ersten Rechtsmittelgrundes, als auch bei der Würdigung des zweiten Rechtsmittelgrundes betreffend einen Antrag im Bereich des unlauteren Wettbewerbs Bezug genommen hat.

62      Angesichts dieser Erwägungen ist nicht offensichtlich, dass das Gericht das Urteil vom 10. Juli 2012 verfälscht hat.

63      Dieses Ergebnis kann durch das Vorbringen von Forge de Laguiole, wonach dieses Urteil keine „Leitentscheidung“ sei, nicht in Frage gestellt werden. Denn in Anbetracht der Grundsätze, die die Prüfung durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels regeln, der Feststellungen des Gerichts zum anzuwendenden nationalen Recht, auf die in den Rn. 56 und 57 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, und da es nicht Sache des Gerichtshofs ist, festzustellen, ob dieses Urteil eine „Leitentscheidung“ ist, genügt unter Berücksichtigung eben dieses Urteils die Feststellung, dass nicht ersichtlich ist, dass das Gericht die Tragweite dieses Urteils offensichtlich verkannt hat.

64      Demnach ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes: vom Gericht begangener Rechtsfehler, indem es bei der Bestimmung der Tätigkeitsbereiche von Forge de Laguiole nur die Natur der Waren berücksichtigt habe

–       Vorbringen der Parteien

65      Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund beanstandet das EUIPO, unterstützt von Forge de Laguiole, die Kriterien, auf die sich das Gericht zur Bestimmung der Tätigkeitsbereiche dieser Gesellschaft gestützt hat. Dazu trägt das EUIPO vor, obwohl das Gericht in Rn. 32 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass die Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls inwiefern die Firma von Forge de Laguiole es ihr ermögliche, Herrn Szajner die Benutzung der Marke LAGUIOLE zu untersagen, allein vom französischen Recht abhänge, habe es den Umfang des Schutzes der Firma in Rn. 63 des angefochtenen Urteils ausschließlich unter Berufung auf seine eigene Rechtsprechung definiert, nämlich auf das Urteil vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR] (T‑256/04, EU:T:2007:46), das die Benutzung älterer Marken betroffen habe und das das Gericht analog zur Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 40/94, der Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 entspreche, herangezogen habe.

66      Folglich habe das Gericht diese Tätigkeitsbereiche nur in Bezug auf das Kriterium der Natur der Waren bestimmt und somit einen Rechtsfehler bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 in Verbindung mit Art. L. 711‑4 CPI begangen. Das EUIPO ist nämlich der Ansicht, dass bei einer solchen Bestimmung der Tätigkeitsbereiche im Sinne des französischen Rechts auch die Bestimmung und der Verwendungszweck der vom Inhaber der älteren Firma vermarkteten Waren hätten berücksichtigt werden müssen.

67      Herr Szajner macht geltend, dass das Gericht die Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren zutreffend beurteilt habe, indem es sich auf ihre Natur, aber auch auf ihre Bestimmung und ihren Verwendungszweck gestützt habe.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

68      Es ist zunächst festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in Nr. 78 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, das Gericht im Rahmen seiner Prüfung der Tätigkeiten, die von Forge de Laguiole ausgeübt wurden, keineswegs allgemein eine analoge Anwendung seiner Rechtsprechung vorgenommen hat. So hat das Gericht allein in Rn. 63 des angefochtenen Urteils seine Rechtsprechung zur Benutzung älterer Marken zitiert, um seine Feststellung zu erläutern, wonach sich die Vermarktung von Gabeln nicht als Beleg für eine Tätigkeit im gesamten Sektor der „Tischkultur“, sondern nur für eine Tätigkeit im Bereich der „Bestecke“ eignet.

69      Dann ist festzustellen, dass das Gericht zwar nicht ausdrücklich vorab die Kriterien angeführt hat, anhand derer die von Forge de Laguiole tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten zu bestimmen waren, und die französische Rechtsprechung, auf die sich die Parteien berufen haben, nur im Rahmen seiner Prüfung der Verwechslungsgefahr in Rn. 81 des angefochtenen Urteils zitiert hat.

70      Aus dem angefochtenen Urteil geht aber klar hervor, dass das Gericht bei seiner Prüfung dieser Tätigkeiten in den Rn. 54 bis 74 des angefochtenen Urteils ausdrücklich nicht nur auf die Natur der betroffenen Waren, sondern auch auf deren Bestimmung, Verwendungszweck, Kundschaft sowie Vertriebswege abgestellt hat.

71      Daraus folgt, dass das Vorbringen des EUIPO und von Forge de Laguiole auf einem fehlerhaften Verständnis des angefochtenen Urteils beruht.

72      Daher ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes ebenfalls als unbegründet zu verwerfen.

73      Nach alledem ist das Rechtsmittel nicht begründet und daher zurückzuweisen.

 Kosten

74      Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das EUIPO mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem entsprechenden Antrag von Herrn Szajner die Kosten aufzuerlegen.

75      Gemäß Art. 184 Abs. 4 der Verfahrensordnung sind Forge de Laguiole, die dem Rechtsstreit als Streithelferin beigetreten ist, ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) trägt die Kosten.

3.      Die Forge de Laguiole SARL trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.