Language of document : ECLI:EU:C:2017:347

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 4. Mai 2017(1)

Rechtssache C‑566/15

Konrad Erzberger

gegen

TUI AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Art. 18 und 45 AEUV – Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einer Gesellschaft – Nationale Regelung, nach der allein die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht haben“






I.      Einleitung

1.        Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist ein Ersuchen des Kammergerichts Berlin (Deutschland) um Vorabentscheidung über die Auslegung des das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit betreffenden Art. 18 AEUV und des die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Art. 45 AEUV.

2.        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Konrad Erzberger, einem Anteilseigner, und der TUI AG, einer deutschen Gesellschaft, über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats dieser Gesellschaft. Der Anteilseigner macht u. a. geltend, die deutschen Rechtsvorschriften im Bereich der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen seien mit den Art. 18 und 45 AEUV unvereinbar, soweit sie vorsähen, dass nur die bei den in Deutschland ansässigen Betrieben einer Gesellschaft oder der Gesellschaften des Konzerns, zu dem diese Gesellschaft gehöre, beschäftigten Arbeitnehmer bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft über ein aktives und passives Wahlrecht verfügten.

3.        Die im Mittelpunkt des vorliegenden Rechtsstreits stehende Grundsatzfrage geht dahin, ob die Mitgliedstaaten im Kontext einer nationalen Regelung über die Arbeitnehmermitwirkung den bei Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern aufgrund der Art. 18 und 45 AEUV das gleiche aktive und passive Wahlrecht gewähren müssen wie inländischen Arbeitnehmern.

4.        In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Gründe erläutern, aus denen dies meines Erachtens zu verneinen ist und die Art. 18 und 45 AEUV einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen.

II.    Deutsches Recht

A.      Mitbestimmungsgesetz

5.        § 1 („Erfasste Unternehmen“) des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4. Mai 1976 (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG)(2) sieht in Abs. 1 vor:

„In Unternehmen, die

1.      in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einer Genossenschaft betrieben werden und

2.      in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen,

haben die Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach Maßgabe dieses Gesetzes.“

6.        § 3 („Arbeitnehmer und Betrieb“) MitbestG bestimmt in Abs. 1:

„Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind

1.      die in § 5 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes bezeichneten Personen mit Ausnahme der in § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes bezeichneten leitenden Angestellten,

2.      die in § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes bezeichneten leitenden Angestellten.

Keine Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind die in § 5 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes bezeichneten Personen.“

7.        § 5 („Konzern“) MitbestG bestimmt in Abs. 1:

„Ist ein … Unternehmen herrschendes Unternehmen eines Konzerns (§ 18 Abs. 1 des Aktiengesetzes), so gelten für die Anwendung dieses Gesetzes auf das herrschende Unternehmen die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens. …“

8.        § 7 („Zusammensetzung des Aufsichtsrats“) MitbestG bestimmt in Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 4(3):

„(1)      Der Aufsichtsrat eines Unternehmens

3.      mit in der Regel mehr als 20 000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer.

(2)      Unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer müssen sich befinden

3.      in einem Aufsichtsrat, dem zehn Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer angehören, sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Vertreter von Gewerkschaften.

(4)      Die in Absatz 2 bezeichneten Arbeitnehmer des Unternehmens müssen das 18. Lebensjahr vollendet haben und ein Jahr dem Unternehmen angehören. Auf die einjährige Unternehmensangehörigkeit werden Zeiten der Angehörigkeit zu einem anderen Unternehmen, dessen Arbeitnehmer nach diesem Gesetz an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern des Unternehmens teilnehmen, angerechnet. Diese Zeiten müssen unmittelbar vor dem Zeitpunkt liegen, ab dem die Arbeitnehmer zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern des Unternehmens berechtigt sind. Die weiteren Wählbarkeitsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes müssen erfüllt sein.“

9.        § 10 („Wahl der Delegierten“) MitbestG sieht in den Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      In jedem Betrieb des Unternehmens wählen die Arbeitnehmer in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl Delegierte.

(2)      Wahlberechtigt für die Wahl von Delegierten sind die Arbeitnehmer des Unternehmens, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. § 7 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt entsprechend.

(3)      Zu Delegierten wählbar sind die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Arbeitnehmer, die die weiteren Wählbarkeitsvoraussetzungen des § 8 des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllen.“

B.      Betriebsverfassungsgesetz

10.      § 7 („Wahlberechtigung“) des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001(4) bestimmt:

„Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Werden Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers zur Arbeitsleistung überlassen, so sind diese wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden.“

11.      § 8 („Wählbarkeit“) BetrVG sieht vor:

„(1)      Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die sechs Monate dem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben. Auf diese sechsmonatige Betriebszugehörigkeit werden Zeiten angerechnet, in denen der Arbeitnehmer unmittelbar vorher einem anderen Betrieb desselben Unternehmens oder Konzerns (§ 18 Abs. 1 des Aktiengesetzes) angehört hat. Nicht wählbar ist, wer infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, nicht besitzt.

(2)      Besteht der Betrieb weniger als sechs Monate, so sind abweichend von der Vorschrift in Absatz 1 über die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit diejenigen Arbeitnehmer wählbar, die bei der Einleitung der Betriebsratswahl im Betrieb beschäftigt sind und die übrigen Voraussetzungen für die Wählbarkeit erfüllen.“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

12.      Der Antragsteller des Ausgangsrechtsstreits, Herr Erzberger, ist Anteilseigner der Antragsgegnerin TUI, einer im Touristiksektor tätigen Gesellschaft mit Sitz in Berlin (Deutschland) und Hannover (Deutschland). TUI steht an der Spitze einer Unternehmensgruppe, die sie kontrolliert (im Folgenden: TUI-Gruppe). Die TUI-Gruppe ist weltweit tätig und beschäftigt in Deutschland ungefähr 10 103 Personen und in den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungefähr 39 536 Personen. Weder TUI noch eine andere Gesellschaft der TUI-Gruppe verfügt über eine unselbständige Niederlassung oder einen Betrieb in einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitzstaat.

13.      Der Aufsichtsrat von TUI(5) hat nach dem Mitbestimmungsgesetz 20 Mitglieder, von denen zehn die Anteilseigner und zehn die Arbeitnehmer vertreten(6).

14.      Nach § 98 des Aktiengesetzes kann, wenn streitig ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Herr Erzberger hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

15.      Herr Erzberger macht u. a. geltend, der Aufsichtsrat von TUI sei nicht richtig zusammengesetzt. Er dürfe nur aus Mitgliedern bestehen, die die Anteilseigner der Gesellschaft bestimmt hätten. Für seine Zusammensetzung hätte die deutsche Regelung über die Arbeitnehmermitbestimmung nicht angewendet werden dürfen, weil sie gegen die Art. 18 und 45 AEUV verstoße. Dagegen ist TUI im Wesentlichen der Ansicht, dass diese Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

16.      Das erstinstanzlich angerufene Landgericht Berlin (Deutschland) verneinte mit Beschluss vom 12. Mai 2015 einen Verstoß der deutschen Mitbestimmungsregelung gegen das Unionsrecht.

17.      Herr Erzberger hat gegen diesen Beschluss Beschwerde beim vorlegenden Gericht eingelegt, das Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Mitbestimmungsregelung mit dem Unionsrecht äußert.

18.      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass nach der herrschenden Meinung in der deutschen Lehre und Rechtsprechung(7) für die Zwecke der Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes unter „Arbeitnehmer“ nur die Arbeitnehmer der im Inland gelegenen Betriebe verstanden würden. Auch wenn sich dieses Ergebnis nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergebe, sei es dem Territorialitätsprinzip, wonach sich die deutsche Sozialordnung nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstrecken könne, in Verbindung mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zu entnehmen(8).

19.      Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland)(9) sei das BetrVG, in dessen § 5 Abs. 1, auf den § 3 MitbestG(10) verweise, der Begriff „Arbeitnehmer“ definiert werde, nicht auf im Ausland ansässige Betriebe deutscher Unternehmen anwendbar.

20.      Daraus ergebe sich, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen könnten, als Delegierte wählbar seien und Mitglied des Aufsichtsrats werden könnten. Zudem müsse ein Arbeitnehmer aus dem Aufsichtsrat ausscheiden, wenn er zwar bei der deutschen Gesellschaft oder einem Konzernunternehmen beschäftigt bleibe, aber eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat antrete.

21.      Die deutschen Rechtsvorschriften im Bereich der Mitbestimmung bewirkten möglicherweise eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 18 AEUV, indem Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt seien und bei denen es sich in der Regel nicht um Deutsche handeln werde, anders als die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer das Aufsichtsorgan der Antragsgegnerin nicht wählen und ihm nicht angehören dürften und mithin darin nicht ausreichend vertreten seien. Eine hinreichende Rechtfertigung hierfür sei nicht erkennbar.

22.      Jedenfalls sei es vorstellbar, dass die in Art. 45 AEUV vorgesehene Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch die deutschen Rechtsvorschriften im Bereich der Mitbestimmung verletzt werde. So seien diese Rechtsvorschriften aufgrund des drohenden Verlusts der Mitgliedschaft in einem Aufsichtsorgan unter Umständen geeignet, die Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen.

23.      Aufgrund dessen hat das Kammergericht Berlin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?

24.      Schriftliche Erklärungen sind von Herrn Erzberger, TUI, dem Betriebsrat der TUI AG/TUI Group Services GmbH, Franz Jakobi u. a. sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (im Folgenden zusammen: Betriebsrat von TUI u. a.), der Vereinigung Cockpit e. V., die sich die Erklärungen des Betriebsrats der TUI u. a. zu eigen gemacht hat, der deutschen und der österreichischen Regierung sowie der Europäischen Kommission eingereicht worden. In der mündlichen Verhandlung, die am 24. Januar 2017 stattgefunden hat, haben sich Herr Erzberger, TUI, der Betriebsrat von TUI u. a., die deutsche, die französische, die luxemburgische, die niederländische und die österreichische Regierung, die EFTA-Überwachungsbehörde sowie die Kommission geäußert.

IV.    Rechtliche Würdigung

A.      Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

25.      Einleitend macht TUI geltend, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht zuständig sei, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umstände nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen.

26.      In diesem Zusammenhang stellt sie u. a. fest, dass der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, Herr Erzberger, nicht von den angeblich diskriminierenden oder beschränkenden Auswirkungen der in Rede stehenden deutschen Regelung berührt werde, da er, wie auch der Betriebsrat von TUI u. a. sowie die luxemburgische und die österreichische Regierung hervorheben, Anteilseigner und nicht Arbeitnehmer der Antragsgegnerin sei.

27.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung für eine Vorabentscheidung über eine Regelung nicht zuständig ist, wenn sie nicht in den Bereich des Unionsrechts fällt und wenn der Gegenstand des Rechtsstreits keinen Bezug zu einem der von den Bestimmungen der Verträge in Betracht gezogenen Sachverhalte aufweist(11).

28.      Der Gerichtshof kann es jedoch nur dann ablehnen, über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(12).

29.      Das ist vorliegend aber nicht der Fall.

30.      Zwar fällt der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, Herr Erzberger, als Anteilseigner von TUI nicht unter die deutschen Bestimmungen im Bereich der Arbeitnehmermitbestimmung, doch ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass er von seiner im nationalen Recht(13) vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, bei einem Streit darüber, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, und dabei u. a. geltend gemacht hat, dass diese Vorschriften nicht auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats von TUI anwendbar seien, da sie gegen das Unionsrecht verstießen. Darüber hinaus ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass seine Entscheidung über die von Herrn Erzberger eingelegte Beschwerde von der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage abhänge. Erweise sich nämlich die deutsche Mitbestimmungsregelung wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht als ganz oder teilweise unanwendbar, hätte die Beschwerde ganz oder teilweise Erfolg.

31.      Daraus ergibt sich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung der Art. 18 und 45 AEUV einen unmittelbaren Bezug zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist.

32.      Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage zuständig ist.

B.      Zur Beantwortung der Vorlagefrage

1.      Zum Gegenstand der Vorlagefrage

33.      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die deutsche Regelung über die Mitbestimmung(14) der Arbeitnehmer mit den Art. 18 und 45 AEUV vereinbar ist, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

34.      Zum einen fragt das Gericht, ob diese Regelung für die in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe zu einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führe, da sie im Gegensatz zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der Unternehmensgruppe bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft der Gruppe (TUI) nicht über ein aktives und passives Wahlrecht verfügten.

35.      Insoweit ist festzustellen, dass TUI keine abhängigen Niederlassungen oder Betriebe in anderen Mitgliedstaaten unterhält(15). Die Analyse in den vorliegenden Schlussanträgen betrifft daher nicht den Fall, dass der Arbeitnehmer in einem Betrieb oder einer abhängigen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitzstaat der Gesellschaft beschäftigt ist. Vielmehr ist zu klären, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu einer Diskriminierung der in den Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe führt(16).

36.      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die deutschen Rechtsvorschriften für die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellen, weil sie wegen des drohenden Verlusts des aktiven und passiven Wahlrechts geeignet sind, diese Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich um eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat zu bewerben oder sie anzunehmen, oder eine solche Versetzung weniger attraktiv zu machen.

37.      Die Vorlagefrage betrifft daher zwei verschiedene, zwei Kategorien von Arbeitnehmern betreffende Sachverhalte, die bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts klar voneinander zu trennen sind.

2.      Zu den auszulegenden Bestimmungen des Unionsrechts

38.      Die Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich sowohl auf Art. 18 AEUV, in dem der allgemeine Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verankert ist, als auch auf Art. 45 AEUV, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betrifft.

39.      Nach ständiger Rechtsprechung soll Art. 18 AEUV eigenständig nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen zur Anwendung kommen, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht(17). Das Diskriminierungsverbot findet jedoch für den Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Art. 45 Abs. 2 AEUV eine besondere Ausprägung(18).

40.      Der Gerichtshof hat sich daher nicht zu Art. 18 AEUV zu äußern, wenn im vorliegenden Fall Art. 45 AEUV anwendbar ist.

41.      Schon an dieser Stelle weise ich darauf hin, dass Art. 45 AEUV meines Erachtens nicht für die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe gilt, aber auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der Gruppe angewandt werden kann.

3.      Zur Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV

a)      Zum Begriff „sonstige Arbeitsbedingungen“

42.      Einleitend ist festzustellen, dass nach Art. 45 Abs. 2 AEUV die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen umfasst(19).

43.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass der Begriff „sonstige Arbeitsbedingungen“ weit zu verstehen ist, da die genannte Bestimmung die Gleichbehandlung in Bezug auf all das vorsieht, was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat bezieht(20).

44.      Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass das aktive und das passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft, wie es die in Rede stehende deutsche Regelung vorsieht, unter den Begriff „sonstige Arbeitsbedingungen“ im Sinne von Art. 45 Abs. 2 AEUV fallen(21). Nach dieser Regelung hängen das aktive und das passive Wahlrecht nämlich gerade davon ab, ob eine Person „Arbeitnehmer“ im dortigen Sinne ist(22). Sie knüpfen daher unmittelbar an die Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland an.

b)      Zum Vorliegen eines Bezugs zum Unionsrecht

1)      Allgemeine Bemerkungen

45.      Die Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV im vorliegenden Fall setzt ferner voraus, dass die Ausgangsrechtssache einen Zusammenhang mit einem von dieser Vorschrift erfassten Sachverhalt aufweist.

46.      TUI, der Betriebsrat von TUI u. a. sowie die deutsche Regierung halten Art. 45 AEUV in der vorliegenden Rechtssache im Wesentlichen deshalb nicht für anwendbar, weil es an einem grenzüberschreitenden Element fehle. Nach Ansicht von Herrn Erzberger, der EFTA-Überwachungsbehörde und der Kommission liegt ein solches Element hingegen vor allem deshalb vor, weil ein bei einer deutschen Gesellschaft beschäftigter Arbeitnehmer, der eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat antrete, sein aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Aufsichtsrat verliere, auch wenn er weiterhin bei dieser Gesellschaft beschäftigt sei.

47.      Hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV ist zwischen den beiden von der Vorlagefrage erfassten Gruppen von Arbeitnehmern zu unterscheiden, und zwar zwischen den bei Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe und den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern(23).

2)      Zu den bei Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe

48.      Zu den bei Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe ist festzustellen, dass es sich bei ihnen nicht zwangsläufig um Personen handelt, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV Gebrauch gemacht haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehören zu dieser Gruppe von Arbeitnehmern nämlich viele Personen, die Staatsangehörige oder Einwohner des Mitgliedstaats sind, in dem die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat und wo sie ihrer Beschäftigung nachgehen.

49.      Für die Anerkennung der Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV auf solche Personen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit nie Gebrauch gemacht haben und die auch keine Verbindung zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats aufweisen, dessen Rechtsvorschriften allein deshalb angefochten werden, weil die Tochtergesellschaft, bei der sie tätig sind, von einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft kontrolliert wird, gibt es meines Wissens jedoch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer keinen Präzedenzfall(24).

50.      Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Bürgern der Europäischen Union die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem ihres Herkunftsmitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. In diesem Zusammenhang haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten insbesondere das ihnen unmittelbar durch den Vertrag verliehene Recht, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um sich zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten(25).

51.      Art. 45 AEUV gewährleistet somit, in groben Zügen, die Freizügigkeit in zweierlei Hinsicht. Zum einen haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift das Recht, auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats ebenso behandelt zu werden wie die inländischen Arbeitnehmer(26). Zum anderen untersagt diese Vorschrift es dem Herkunftsmitgliedstaat, das Recht seiner Staatsangehörigen, sein Hoheitsgebiet zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat zu verlassen, ungerechtfertigt einzuschränken(27).

52.      Die Lage der bei Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe entspricht, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit nie ausgeübt haben, keiner dieser Fallkonstellationen(28). Die Anwendung von Art. 45 AEUV auf diese Arbeitnehmer wäre daher mit einer erheblichen Ausweitung seines Anwendungsbereichs verbunden(29).

53.      Aus teleologischer Sicht ist für mich nur schwer ersichtlich, wie die Zielsetzung von Art. 45 AEUV eine solche Ausweitung seines Anwendungsbereichs rechtfertigen könnte. Der grenzübergreifende Charakter der Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe ändert nämlich meines Erachtens nichts daran, dass bei den genannten Arbeitnehmern in Wirklichkeit ein rein innerstaatlicher Sachverhalt vorliegt, da sich alle für ihr Beschäftigungsverhältnis maßgebenden Elemente auf nur einen Mitgliedstaat beschränken(30).

54.      Beispielsweise bin ich der Auffassung, dass bei einem Arbeitnehmer, der bei der französischen Tochtergesellschaft der TUI-Gruppe beschäftigt ist, ein rein innerstaatlicher Sachverhalt der Französischen Republik vorliegt. Dieser Arbeitnehmer ist in Frankreich bei einer Gesellschaft beschäftigt, die nach französischem Recht gegründet wurde(31), dem in der Regel auch sein Arbeitsvertrag(32) und, allgemeiner, seine Arbeitsbedingungen unterliegen(33). Insoweit hat die Frage, wo sich der Eigentümer der Gesellschaft befindet, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt ist, oder von wo aus die Kontrolle über sie ausgeübt wird, keinen Einfluss auf sein Beschäftigungsverhältnis, das demjenigen anderer in Frankreich beschäftigter Arbeitnehmer der Sache nach voll und ganz gleichgestellt werden kann.

55.      Daher genügt meines Erachtens der Umstand, dass die Gesellschaft, bei der der Arbeitnehmer beschäftigt ist, im Eigentum oder unter der Kontrolle einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat steht, für sich allein nicht, damit ein Bezug zu einem der von Art. 45 AEUV in Betracht gezogenen Sachverhalte vorliegt. Mit anderen Worten darf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass der Arbeitgeber von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft übernommen wird. Aus dem Blickwinkel der Situation des Arbeitnehmers stellt dieser Umstand nämlich einen externen Faktor dar, der keinen Bezug zu seiner Tätigkeit aufweist(34).

56.      Dieses Ergebnis kann durch die von Herrn Erzberger angeführten Argumente nicht in Frage gestellt werden. Er macht zum einen geltend, die bei Tochtergesellschaften von TUI in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer seien von den Entscheidungen des Aufsichtsrats von TUI unmittelbar betroffen(35), und zum anderen, der Ausschluss dieser Arbeitnehmer von der deutschen Mitbestimmungsregelung führe dazu, dass die Interessen der inländischen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat überrepräsentiert seien, was bei Entscheidungen über die Errichtung oder die Schließung von Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten besonders problematisch sei(36).

57.      Unbeschadet der Erheblichkeit dieser Erwägungen im nationalen politischen Kontext ist nämlich festzustellen, dass sie nicht dazu führen können, in den Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV Sachverhalte einzubeziehen, die keinen Bezug zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer aufweisen.

58.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass Art. 45 AEUV auf die bei Tochtergesellschaften der TUI-Gruppe in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer nicht anwendbar ist(37).

59.      Zudem kann entgegen der offenbar von Herrn Erzberger und der Kommission vertretenen Ansicht auch Art. 18 AEUV nicht auf diese Arbeitnehmer angewandt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann das dort verankerte Diskriminierungsverbot nicht auf rein innerstaatliche Sachverhalte eines Mitgliedstaats angewandt werden, die keinen Bezug zu einem der vom Unionsrecht in Betracht gezogenen Sachverhalte aufweisen(38).

3)      Zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der TUI-Gruppe

60.      Auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe kann Art. 45 AEUV dagegen – anders als TUI und die deutsche Regierung geltend machen – Anwendung finden.

61.      Meines Erachtens liegt nämlich ein von Art. 45 AEUV erfasster Sachverhalt vor, wenn ein in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer der TUI-Gruppe diesen Mitgliedstaat verlässt oder verlassen möchte, um eine Stelle bei einer zur selben Unternehmensgruppe gehörenden Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat anzutreten.

62.      Anders als TUI sehe ich darin keine rein hypothetische berufliche Perspektive, die zur Unanwendbarkeit von Art. 45 AEUV führt(39). Vielmehr erscheint es mir im Fall einer Unternehmensgruppe mit grenzüberschreitendem Charakter wie der Gruppe, zu der die Antragsgegnerin gehört(40), durchaus denkbar, dass ein Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch oder auf Verlangen seines Arbeitgebers zu einer Tochtergesellschaft des Konzerns in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wird.

63.      Die deutsche Regierung ist offenbar der Ansicht, Art. 45 AEUV finde auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe keine Anwendung, da Art. 45 Abs. 3 Buchst. c AEUV den Arbeitnehmern nur das Recht gebe, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort „nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ eine Beschäftigung auszuüben. Auch diesem Argument kann ich mich nicht anschließen.

64.      Insoweit ist festzustellen, dass Abs. 3 von Art. 45 AEUV nicht dessen Anwendungsbereich einschränken, sondern den Inhalt des Rechts auf Freizügigkeit für den Fall näher bestimmen soll, dass diese Vorschrift tatsächlich Anwendung findet(41).

65.      Schließlich kann – anders als TUI und die deutsche Regierung anscheinend meinen – die auf Unionsebene fehlende Harmonisierung des Bereichs der Arbeitnehmermitbestimmung keine Auswirkung auf die Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV im Ausgangsverfahren haben.

66.      Zwar steht es den Mitgliedstaaten ohne eine solche Harmonisierung(42) grundsätzlich frei, den Grad der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Gesellschaften zu bestimmen, doch müssen sie diese Befugnis unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen von Art. 45 AEUV über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausüben(43).

67.      Aufgrund dessen bin ich der Auffassung, dass Art. 45 AEUV auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe Anwendung findet, wenn sie diesen Mitgliedstaat verlassen oder verlassen möchten, um eine Stelle bei einer zur Unternehmensgruppe gehörenden Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat anzutreten.

68.      Angesichts dieser Gegebenheiten stellt sich daher die Frage nach der Vereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 45 AEUV. Dagegen ist diese Regelung nicht im Licht von Art. 18 AEUV zu prüfen(44).

69.      Nachfolgend werde ich die Gründe darlegen, aus denen ich der Ansicht bin, dass eine solche Regelung die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht beschränkt (Abschnitt 4 Buchst. a). Hilfsweise werde ich erläutern, warum nach meiner Auffassung etwaige beschränkende Wirkungen einer solchen Regelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt wären (Abschnitt 4 Buchst. b).

4.      Zur Vereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 45 AEUV

a)      Zum Fehlen einer Beschränkung

70.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verbieten die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, auch wenn sie nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, es dem Herkunftsmitgliedstaat zugleich, die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern(45).

71.      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, Beeinträchtigungen dieser Freiheit darstellen, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewandt werden(46). Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass Art. 45 AEUV jeder Maßnahme entgegensteht, die, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gilt, geeignet ist, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(47).

72.      Gestützt auf diese Rechtsprechung machen Herr Erzberger, die EFTA-Überwachungsbehörde und die Kommission geltend, dass der Ausschluss der in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der TUI-Gruppe von der deutschen Mitbestimmungsregelung zu einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV führe. Dass ein in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer bei einem Wechsel zu einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft der Unternehmensgruppe sein aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Aufsichtsrat der Konzernmuttergesellschaft verliere, sei geeignet, ihn davon abzuhalten, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, oder zumindest die Ausübung dieses Rechts weniger attraktiv zu machen. Dies gelte insbesondere für Arbeitnehmer, die schon in den Aufsichtsrat gewählt worden seien, da sie beim Wechsel zu einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat auf ihr Aufsichtsratsmandat verzichten müssten(48).

73.      TUI, der Betriebsrat von TUI u. a. sowie die deutsche, die luxemburgische, die niederländische und die österreichische Regierung verneinen eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

74.      Einleitend möchte ich darauf hinweisen, dass das in Art. 45 AEUV verankerte Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach dem Wortlaut seines Abs. 3 Buchst. c u. a. das Recht umfasst, „sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben“(49).

75.      Der Wanderarbeitnehmer hat daher nach Art. 45 AEUV Anspruch auf Gleichbehandlung mit den inländischen Arbeitnehmern im Aufnahmemitgliedstaat, damit er dort im Einklang mit den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben kann. Dagegen verschafft ihm Art. 45 AEUV nicht das Recht, die Arbeitsbedingungen, die für ihn in seinem Herkunftsmitgliedstaat bestehen, in einen anderen Mitgliedstaat zu „exportieren“. Wie Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Graf ausgeführt hat, muss der Wanderarbeitnehmer nämlich im Normalfall „den einzelstaatlichen Arbeitsmarkt so nehmen, wie er ist“(50).

76.      Infolgedessen erfasst Art. 45 AEUV nach ständiger Rechtsprechung keine etwaigen Unterschiede in der Behandlung, die sich aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben, sofern diese Rechtsordnungen auf alle ihrer Herrschaft unterworfenen Personen nach objektiven Kriterien und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar sind(51). In gleicher Weise hat der Gerichtshof ferner zu Art. 18 AEUV entschieden, dass die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften nicht allein deshalb als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot angesehen werden kann, weil andere Mitgliedstaaten weniger strenge Vorschriften anwenden(52).

77.      Der Gerichtshof hat darüber hinaus festgestellt, dass das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren kann, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede in den Regelungen und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für den Betroffenen je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile im Bereich des sozialen Schutzes haben kann(53). Diese Argumentation ist meines Erachtens auf die Regelungen der Mitgliedstaaten über die Arbeitnehmermitwirkung unmittelbar übertragbar. Insoweit erinnere ich daran, dass das in der in Rede stehenden deutschen Regelung vorgesehene aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft nach meinem Dafürhalten eine Arbeitsbedingung im Sinne von Art. 45 Abs. 2 AEUV darstellt(54).

78.      Daraus ergibt sich meines Erachtens, dass ein Arbeitnehmer, der Deutschland verlässt, um in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, nach Art. 45 AEUV die ihm durch die deutsche Regelung eingeräumten Mitwirkungsrechte nicht behalten kann. Dagegen stehen ihm in diesem Mitgliedstaat Mitwirkungsrechte zu, sofern die dortige Regelung ihm solche Rechte gewährt.

79.      In der vorliegenden Rechtssache stellt sich jedoch die Frage, ob dies auch bei der Versetzung des Arbeitnehmers innerhalb einer Unternehmensgruppe gilt. Mit anderen Worten ist zu klären, ob sich ein Arbeitnehmer, der von einer Gesellschaft zu einer anderen versetzt wird, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, aber zur selben Unternehmensgruppe gehört, auf Art. 45 AEUV berufen kann, um nach seiner Versetzung bestimmte Mitbestimmungsrechte in der Konzernmuttergesellschaft, die ihm nach den Rechtsvorschriften seines Herkunftsmitgliedstaats zustehen, zu behalten. Das machen Herr Erzberger, die EFTA-Aufsichtsbehörde und die Kommission im Wesentlichen geltend.

80.      Meines Erachtens ist dies zu verneinen.

81.      In den Verträgen oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofs finde ich nämlich keine Grundlage für eine Unterscheidung zwischen dem Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz zwischen zwei nicht miteinander verbundenen Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten wechselt, und demjenigen, der zu einer zur selben Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wird. Unter dem Aspekt der Arbeitnehmerfreizügigkeit handelt es sich in beiden Fällen um einen Wechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen mit allen Folgen, die sich für den Arbeitnehmer daraus ergeben, u. a. einer Änderung der anwendbaren Arbeitsbedingungen. Wie bereits ausgeführt, ändert der grenzüberschreitende Charakter der Unternehmensgruppe nichts daran, dass das Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers hauptsächlich durch die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats bestimmt wird, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird(55).

82.      Auch wenn mir der Gedanke sympathisch ist, dass in der Union jedem bei einer Unternehmensgruppe beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig davon, wo sich sein Arbeitsplatz befindet, dieselben Mitwirkungsrechte im Konzern zustehen sollten, ist festzustellen, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung inländischer Gesellschaften in den Mitgliedstaaten nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf europäischer Ebene war(56). Mangels einer solchen Harmonisierung steht es nach meinem Dafürhalten den Mitgliedstaaten frei, ob sie die in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer des Konzerns in die nationale Beteiligungsreglung einbeziehen(57).

83.      Mit anderen Worten halte ich die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht für verpflichtet, gemäß Art. 45 AEUV den Arbeitnehmern, die ihr Hoheitsgebiet verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, dieselben Mitwirkungsrechte einzuräumen wie den im Inland beschäftigten Arbeitnehmern, sondern es steht ihnen weiterhin frei, dies auf der Grundlage ihres innerstaatlichen Rechts zu tun(58).

84.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die vorsieht, dass nur Arbeitnehmer, die in den inländischen Betrieben einer Gesellschaft oder Gesellschaften des Konzerns beschäftigt sind, über ein aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft verfügen, keine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV darstellt.

85.      Der Vollständigkeit halber werde ich für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV führt, im folgenden Abschnitt darlegen, aus welchen Gründen ich der Ansicht bin, dass eine solche Beschränkung jedenfalls gerechtfertigt wäre(59).

b)      Hilfsweise: zum möglichen Vorliegen einer Rechtfertigung

86.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu beschränken – was nach Art. 45 AEUV grundsätzlich verboten ist –, nur dann zulässig, wenn mit ihr eines der im Vertrag genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss in einem derartigen Fall ihre Anwendung geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist(60).

87.      In der vorliegenden Rechtssache haben sich die Parteien und die Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, auf keines der in Art. 45 Abs. 3 AEUV ausdrücklich angeführten legitimen Ziele berufen(61). Vielmehr führen sie für den Fall, dass der Gerichtshof feststellen sollte, dass die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften zu einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV führen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses an.

1)      Zu den angeführten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses

88.      TUI sowie die deutsche und die österreichische Regierung berufen sich im Wesentlichen auf eine Rechtfertigung mit dem völkerrechtlich und unionsrechtlich anerkannten Territorialitätsprinzip(62). Nach diesem Prinzip sei die Zuständigkeit des deutschen Gesetzgebers auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt, was der Einbeziehung von Arbeitnehmern, die in anderen Mitgliedstaaten beschäftigt seien, in die deutsche Mitbestimmungsregelung entgegenstehe. Die französische Regierung vertritt dagegen die Auffassung, dass die vorliegende Rechtssache dem Gerichtshof Gelegenheit gebe, einen neuen zwingenden Grund des Allgemeininteresses zu entwickeln, der auf der Notwendigkeit beruhe, die Vielfalt der sozialen Modelle der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitnehmervertretung anzuerkennen. Im selben Sinne nehmen der Betriebsrat von TUI u. a. auf Art. 4 Abs. 2 EUV Bezug, wonach die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten beachte. Die Kommission ist schließlich der Ansicht, dass das Erfordernis, ein reibungsloses Funktionieren der Vorschriften über die Mitbestimmung sicherzustellen, eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer rechtfertigen könnte; dies zu beurteilen sei Sache des nationalen Gerichts(63).

89.      Herr Erzberger und die EFTA-Aufsichtsbehörde vertreten dagegen die Auffassung, dass die in der vorliegenden Rechtssache geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses die mit der in Rede stehenden Regelung verbundene Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht rechtfertigen könnten. Dieser Standpunkt wird, wie mir scheint, vom vorlegenden Gericht geteilt(64).

2)      Zur Rechtfertigung mit dem Territorialitätsprinzip

90.      Einleitend ist festzustellen, dass das Territorialitätsprinzip im Rahmen der vorliegenden Rechtssache als Hindernis dafür geltend gemacht wird, dass die deutsche Mitbestimmungsregelung auf die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer angewandt wird. Aus diesem Prinzip folge nämlich, dass der deutsche Gesetzgeber die für die Einbeziehung dieser Arbeitnehmer in die genannte Regelung erforderliche Gesetzgebungskompetenz nicht besitze.

91.      Wie sich aus der obigen Analyse ergibt, bin ich der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 45 AEUV nicht verpflichtet ist, Arbeitnehmern, die ihr Hoheitsgebiet zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat verlassen, dieselben Mitwirkungsrechte zu gewähren, wie sie den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern nach der in Rede stehenden deutschen Regelung zustehen(65). Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass diese Regelung zu einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV führt, hindert jedoch meines Erachtens das Territorialitätsprinzip Deutschland nicht daran, die erstgenannten Arbeitnehmer in die deutsche Mitbestimmungsregelung einzubeziehen.

92.      Das Territorialitätsprinzip wurde vom Gerichtshof als legitimes Ziel anerkannt, das u. a. im Kontext der ein Hindernis für die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit darstellenden nationalen Regelungen im Steuerbereich eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen kann(66). Insoweit wurde dieses Prinzip häufig mit einem anderen berechtigten Ziel in Verbindung gebracht, nämlich dem der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten(67). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Territorialitätsprinzip die Funktion hat, bei der Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, dass die Grenzen der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Besteuerung berücksichtigt werden(68).

93.      Ich habe erhebliche Zweifel daran, ob die Rechtsprechung zum Steuerbereich auf den vorliegenden Fall übertragbar ist.

94.      Erstens sollen mit dem vom Gerichtshof anerkannten Territorialitätsprinzip spezifische Probleme des Steuerbereichs behoben werden, zu denen die Beseitigung der Doppelbesteuerung(69) und die Verhinderung von Situationen gehören, die das Recht des Herkunftsmitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit im Zusammenhang mit den in seinem Hoheitsgebiet stattfindenden Tätigkeiten gefährden können(70).

95.      Im Rahmen einer Regelung über die Mitwirkung der Arbeitnehmer stellen sich solche Probleme aber nicht. Nach meinem Dafürhalten spricht daher nichts dagegen, dass einem Arbeitnehmer, der in einer Tochtergesellschaft beschäftigt ist, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat als die Muttergesellschaft, eine „doppelte Vertretung“ zugutekommt, nämlich zum einen in der Tochtergesellschaft nach der Regelung des Beschäftigungsmitgliedstaats und zum anderen in der Muttergesellschaft nach der Regelung des Sitzmitgliedstaats dieser Gesellschaft.

96.      Zweitens bin ich entgegen dem Vorbringen von TUI sowie der deutschen und der niederländischen Regierung der Ansicht, dass die Einbeziehung der in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer in die deutsche Mitbestimmungsregelung als solche nicht mit einem Eingriff in die Souveränität oder die Gesetzgebungskompetenz anderer Mitgliedstaaten verbunden ist. Ich pflichte nämlich der EFTA-Aufsichtsbehörde und der Kommission darin bei, dass die Frage, welche Arbeitnehmer an den Wahlen der Aufsichtsratsmitglieder einer deutschen Gesellschaft teilnehmen können, allein in die Zuständigkeit des deutschen Gesetzgebers fällt(71). Es gibt mit anderen Worten keinen Kompetenzkonflikt(72).

97.      Unter diesen Umständen kann meines Erachtens der Ausschluss in anderen Mitgliedstaaten beschäftigter Arbeitnehmer von der deutschen Mitbestimmungsregelung nicht als Ausprägung des Territorialitätsprinzips angesehen werden.

98.      Die deutsche Regierung ist jedoch der Ansicht, dass sich die Frage der Extraterritorialität im Kontext der deutschen Mitbestimmungsregelung stelle, da diese Regelung im Rahmen der Wahlordnung(73) allen Gesellschaften der Unternehmensgruppe sowie den Arbeitnehmern, die an den Wahlen teilnähmen, bestimmte Verpflichtungen im Bereich der Organisation und Durchführung der Wahlen auferlege(74). Beispielsweise würden nach der Wahlordnung die Wahlen zum Aufsichtsrat der deutschen Gesellschaft nicht zentral von der Leitung dieser Gesellschaft organisiert, sondern dezentral von den Arbeitnehmern jeder Gesellschaft der Unternehmensgruppe selbst. Da die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften und ihre Arbeitnehmer aber keine deutschen Rechtssubjekte seien, könne der deutsche Gesetzgeber ihnen keine Verpflichtungen nach der Wahlordnung auferlegen und sie daher nicht in die deutsche Mitbestimmungsregelung einbeziehen.

99.      Ich stelle daher fest, dass nach Auffassung der deutschen Regierung die konkrete Ausgestaltung der deutschen Mitbestimmungsregelung und insbesondere die Verpflichtungen aus der Wahlordnung der Einbeziehung der in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer in diese Regelung entgegenstehen. Ihr Ausschluss ist daher nicht aufgrund der Grenzen der Rechtsetzungskompetenz des deutschen Gesetzgebers absolut erforderlich, sondern die Folge bestimmter Entscheidungen, die er u. a. in Bezug auf die Modalitäten der Wahlen getroffen hat(75).

100. Daher stellt sich die Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung – wie im Wesentlichen die französische Regierung sowie der Betriebsrat von TUI u. a. geltend machen – mit dem Ziel gerechtfertigt werden kann, die Mitwirkung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft im Einklang mit den nationalen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten zu gewährleisten(76).

3)      Zur Rechtfertigung mit dem Ziel, die Mitwirkung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft im Einklang mit den nationalen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten zu gewährleisten

101. Zwar stützen sich der Betriebsrat von TUI u. a. auf Art. 4 Abs. 2 EUV(77), wonach die Union die in den grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommende nationale Identität achtet, doch ist diese Vorschrift von der deutschen Regierung nicht angeführt worden(78).

102. Die deutsche Regierung weist allerdings darauf hin, dass die deutsche Regelung über die Arbeitnehmermitbestimmung und die Vorschriften der Wahlordnungen, die konkret die Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat regelten, den unternehmensrechtlichen, gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Strukturen in Deutschland angepasst seien und dass diese Regelung nicht nur den Interessen der Arbeitnehmer, sondern dem allgemeinen Interesse diene, da sie die Sicherstellung von Kooperation und Integration anstrebe, indem auch andere als die unmittelbaren eigenen Interessen berücksichtigt würden(79). In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung hinzugefügt, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein zentraler Bestandteil der Kooperationskultur in Deutschland sei und dass sie die Koalitionsfreiheit gesetzlich ausgestalte und die durch das Grundgesetz gewährleistete Ausübung dieser Freiheit ermögliche(80).

103. Unter diesen Umständen würde ich die deutsche Mitbestimmungsregelung nicht ohne Weiteres als Bestandteil der nationalen Identität im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV einordnen. In meinen Augen besteht aber kein Zweifel daran, dass diese Regelung ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Arbeitsmarkts und – allgemeiner – der deutschen Sozialordnung ist.

104. Sodann ist festzustellen, dass die Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Leitung der Gesellschaft ein unionsrechtlich legitimes Ziel darstellt(81). Das Unionsrecht erkennt jedoch die Vielfalt der nationalen Vorschriften und Praktiken im Bereich der Sozialpolitik(82) und insbesondere bei der Art und Weise der Einbeziehung von Arbeitnehmern in den Entscheidungsfindungsprozess der Gesellschaften an(83). Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts bleibt es somit den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Rechtsvorschriften im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung in der Gesellschaft erlassen wollen und wie sie ihre jeweiligen Regelungen in diesem Bereich ausgestalten(84).

105. Zu den Besonderheiten der deutschen Mitbestimmungsregelung ist festzustellen, dass sie durch einen besonders hohen Grad der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der Gesellschaft gekennzeichnet ist(85). Zugleich sieht diese Regelung in der Wahlordnung(86) verhältnismäßig komplexe Verfahren mit mehreren Verfahrensschritten vor, die den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen der Arbeitnehmervertreter sicherstellen sowie freie, gleiche und geheime Wahlen der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Aufsichtsrats gewährleisten sollen(87). In diesem Kontext weist die deutsche Regierung darauf hin, dass die deutsche Mitbestimmungsregelung auf dem Grundsatz basiere, dass die Organisation und der Ablauf der Wahlen der Arbeitnehmervertreter den Arbeitnehmern obliege, die sich in jeder Gesellschaft der Unternehmensgruppe selbst organisieren und mit den Gewerkschaften und den Gesellschaften des Konzerns zusammenarbeiten müssten.

106. Meines Erachtens sind derartige Erwägungen zu den Organisations- und Durchführungsmodalitäten der Wahlen im Rahmen einer solchen nationalen Regelung über die Mitwirkung der Arbeitnehmer Ausdruck bestimmter legitimer wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts der Beurteilung durch die Mitgliedstaaten unterliegen(88). Daher ist meiner Ansicht nach eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche durch das Ziel gerechtfertigt, die Mitwirkung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft im Einklang mit den nationalen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten zu gewährleisten.

107. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass diese Regelung in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht, d. h., dass sie geeignet ist, die Verwirklichung der Mitwirkung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft im Einklang mit den nationalen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten zu gewährleisten, und nicht über das hinaus geht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

108. Insoweit hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass es nicht unerlässlich ist, dass eine beschränkende Maßnahme einer von allen Mitgliedstaaten geteilten Auffassung darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte Interesse zu schützen ist; im Gegenteil sind die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat(89).

109. Darüber hinaus ist anzuerkennen, dass die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsregelung einbezogen werden können, ohne dass die grundlegenden Merkmale dieser Regelung geändert werden müssten. Eine solche Erweiterung der deutschen Regelung würde nämlich voraussetzen, dass die Verantwortlichkeit für die Organisation und die Durchführung der Wahlen von den Arbeitnehmern und den Gesellschaften des Konzerns auf die Leitung der deutschen Muttergesellschaft übertragen werden müsste, was den Grundsätzen zuwiderliefe, auf denen die Regelung beruht.

110. Zwar mag der Vorschlag der Kommission, die Muttergesellschaft aufgrund ihres bestimmenden Einflusses auf die Gesellschaften des Konzerns zu verpflichten, auch den in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern ein aktives und passives Wahlrecht für die Zusammensetzung ihres Aufsichtsrats zu verleihen, tatsächlich umsetzbar sein, doch schreibt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten meines Erachtens nicht vor, sich im Rahmen ihrer Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Gesellschaft für einen solchen Ansatz zu entscheiden.

111. Unter diesen Umständen bin ich für den Fall, dass der Gerichtshof in einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne von Art. 45 AEUV sehen sollte, der Ansicht, dass die Aufrechterhaltung einer solchen Regelung beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts als Ausdruck bestimmter den Mitgliedstaaten obliegender legitimer wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen als gerechtfertigt anzusehen wäre.

112. Nach alledem bin ich der Auffassung, dass Art. 45 AEUV einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach nur die bei den im Inland ansässigen Betrieben einer Gesellschaft oder Gesellschaften des Konzerns beschäftigten Arbeitnehmer bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft über ein aktives und passives Wahlrecht verfügen, nicht entgegensteht.

V.      Ergebnis

113. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Kammergerichts Berlin (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Die Art. 18 und 45 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach nur die bei den im Inland ansässigen Betrieben einer Gesellschaft oder Gesellschaften des Konzerns beschäftigten Arbeitnehmer bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft über ein aktives und passives Wahlrecht verfügen, nicht entgegenstehen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      BGBl. 1976 I S. 1153.


3      Nach § 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und Abs. 2 Nrn. 1 und 2 MitbestG setzt sich der Aufsichtsrat eines Unternehmens mit in der Regel nicht mehr als 10 000 Arbeitnehmern aus zwölf Arbeitnehmern und der eines Unternehmens mit in der Regel mehr als 10 000, jedoch weniger als 20 000 Arbeitnehmern aus 16 Mitgliedern zusammen, von denen jeweils die Hälfte Arbeitnehmervertreter (aufgeteilt zwischen Arbeitnehmern des Unternehmens und Vertretern von Gewerkschaften) sind.


4      BGBl. 2001 I S. 2518.


5      Die deutsche Regierung erläutert in ihren schriftlichen Erklärungen, dass nach deutschem Recht der Aufsichtsrat und der Vorstand Organe der Gesellschaft seien. Während dem Vorstand die Geschäftsleitung obliege, habe der Aufsichtsrat die Aufgabe, den Vorstand zu überwachen (dualistisches System).


6      Vgl. § 7 MitbestG, der in Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben ist. Es sei daran erinnert, dass von den zehn Arbeitnehmervertretern sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Vertreter von Gewerkschaften sind.


7      Das vorlegende Gericht verweist u. a. auf den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf (Deutschland) vom 5. Juni 1979 (25 AktE 1/78, DB 1979, S. 1451). Der Vorlageentscheidung ist jedoch zu entnehmen, dass die deutsche Rechtsprechung auf diesem Gebiet nicht einheitlich ist. Das vorlegende Gericht führt u. a. aus, das Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) habe mit Beschluss vom 16. Februar 2015 (Az. 3‑16 O 1/14) entschieden, dass die im Ausland tätigen Arbeitnehmer nicht von der Mitbestimmung ausgeschlossen seien und dass sie daher an den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zu beteiligen seien. Die deutsche Regierung hat angegeben, dieser Beschluss sei noch nicht rechtskräftig, und das Verfahren sei derzeit in Erwartung der Entscheidung des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache ausgesetzt.


8      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich der Wille des deutschen Gesetzgebers, die in anderen Mitgliedstaaten tätigen Arbeitnehmer nicht in die (Konzern‑)Mitbestimmung einzubeziehen, aus einem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestags vom 10. März 1976 (BT‑Drucksache 7/4845, S. 4).


9      Das vorlegende Gericht verweist auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. März 2000 (7 ABR 34/98, NZA 2000, S. 1119 [1121]).


10      Vgl. Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge.


11      Vgl. u. a. Beschluss vom 25. Januar 2007, Koval’ský (C‑302/06, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:64, Rn. 20).


12      Vgl. Urteil vom 12. Oktober 2016, Ranks und Vasiļevičs (C‑166/15, EU:C:2016:762, Rn. 22).


13      Vgl. Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge.


14      Ich weise darauf hin, dass das deutsche Recht zwischen zwei Arten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterscheidet, und zwar zum einen die auf Betriebsebene durch den Betriebsrat ausgeübte Mitbestimmung und zum anderen die auf Unternehmensebene im Aufsichtsrat ausgeübte Mitbestimmung. Die vorliegende Rechtssache betrifft nur die zweite Art der Mitbestimmung. Vgl. u. a. Henssler, M., „Arbeitnehmermitbestimmung im deutschen Gesellschaftsrecht“, Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, Verlag Recht und Wirtschaft GmbH, Heidelberg, 2004, S. 133.


15      Vgl. Nr. 12 der vorliegenden Schlussanträge.


16      Vgl. auch Fn. 37 der vorliegenden Schlussanträge.


17      Vgl. u. a. Urteil vom 4. September 2014, Schiebel Aircraft (C‑474/12, EU:C:2014:2139, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2015, Nagy (C‑583/14, EU:C:2015:737, Rn. 24).


18      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Dezember 2011, Kommission/Ungarn (C‑253/09, EU:C:2011:795, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 4. September 2014, Schiebel Aircraft (C‑474/12, EU:C:2014:2139, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19      Vgl. Urteil vom 2. März 2017, Eschenbrenner (C‑496/15, EU:C:2017:152, Rn. 32).


20      Vgl. Urteil vom 8. Mai 2003, Wählergruppe Gemeinsam (C‑171/01, EU:C:2003:260, Rn. 85). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass Art. 45 Abs. 2 AEUV für das aktive und passive Wahlrecht bei Wahlen zu Einrichtungen wie Berufskammern gilt, denen die Arbeitnehmer kraft Rechtsvorschrift zwingend angehören, an die sie Beiträge zu entrichten haben und die mit der Verteidigung und Vertretung ihrer Interessen betraut sind. Vgl. Urteil vom 16. September 2004, Kommission/Österreich (C‑465/01, EU:C:2004:530, Rn. 28 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 18. Mai 1994, Kommission/Luxemburg (C‑118/92, EU:C:1994:198).


21      Dieses Ergebnis wird im Übrigen von den Parteien und Beteiligten, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, nicht in Frage gestellt. Obwohl der Betriebsrat von TUI u. a. anerkennen, dass das aktive und das passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Aufsichtsrat eine Arbeitsbedingung im Sinne von Art. 45 Abs. 2 AEUV darstellen, sind sie der Ansicht, dass dies nicht für das Aufsichtsratsmandat gelte. Nach meiner Auffassung ist nicht zwischen dem passiven Wahlrecht und dem Aufsichtsratsmandat zu unterscheiden. Beides ist nach meinem Dafürhalten nämlich untrennbar miteinander verbunden.


22      Vgl. Nrn. 5 bis 11 der vorliegenden Schlussanträge.


23      Vgl. Nrn. 33 bis 37 der vorliegenden Schlussanträge.


24      Anzumerken ist, dass die Rechtssache, in der das Urteil vom 8. Mai 1994, Kommission/Luxemburg (C‑118/92, EU:C:1994:198), ergangen ist, im Unterschied zur vorliegenden Rechtssache eine Regelung betraf, die in dem betreffenden Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten waren, das Recht vorenthielt, an den Wahlen zu den Berufskammern teilzunehmen.


25      Vgl. u. a. Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl (C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26      Vgl. auch die Art. 7 und 8 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1), die die Gleichbehandlung eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt undim Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, vorsehen.


27      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass Art. 45 AEUV auch Rechtsvorschriften entgegensteht, die den Arbeitnehmer allein deshalb benachteiligen, weil er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2011, Casteels (C‑379/09, EU:C:2011:131, Rn. 29 und 30), sowie vom 13. Juli 2016, Pöpperl (C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 24 bis 26).


28      Hätte ein solcher Arbeitnehmer sein Recht auf Freizügigkeit tatsächlich ausgeübt, indem er von einem Betrieb oder einer Tochtergesellschaft des Konzerns in Deutschland ins Ausland versetzt worden wäre, würde er zu der anderen von der Vorlagefrage erfassten Fallgruppe der in Deutschland beschäftigen Arbeitnehmer des Konzerns gehören. Vgl. Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


29      Insoweit ist anzumerken, dass die Ausführungen des Gerichtshofs in dem von der Kommission angeführten Urteil vom 30. April 1996, Boukhalfa (C‑214/94, EU:C:1996:174), im vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Dasselbe gilt für die von der EFTA-Aufsichtsbehörde angeführten Urteile vom 6. Juni 2000, Angonese (C‑281/98, EU:C:2000:296), vom 16. Januar 2003, Kommission/Italien (C‑388/01, EU:C:2003:30), und vom 11. Januar 2007, ITC (C‑208/05, EU:C:2007:16).


30      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Vorschriften des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit bekanntlich nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Brouillard (C‑298/14, EU:C:2015:652, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch, hinsichtlich der Vorschriften des AEU-Vertrags im Bereich der Niederlassungsfreiheit, des freien Dienstleistungsverkehrs und des freien Kapitalverkehrs, Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47).


31      Vgl., hinsichtlich des Bezugs einer Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats, Urteile vom 9. März 1999, Centros (C‑212/97, EU:C:1999:126, Rn. 20), vom 5. November 2002, Überseering (C‑208/00, EU:C:2002:632, Rn. 57), vom 30. September 2003, Inspire Art (C‑167/01, EU:C:2003:512, Rn. 97), sowie vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (C‑374/04, EU:C:2006:773, Rn. 43).


32      Vgl. hierzu Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6), wonach der Arbeitsvertrag, soweit das auf ihn anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, dem Recht des Staates unterliegt, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.


33      Vgl. hierzu Nrn. 74 und 75 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Dagegen können sich Struktur und Zusammensetzung des Kapitals der Tochtergesellschaft für die Anwendbarkeit anderer Vorschriften des Vertrags in Bezug auf die Grundfreiheiten als relevant erweisen. So fallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nationale Vorschriften, die Anwendung finden, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den sachlichen Geltungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit. Vgl. Urteil vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C‑347/04, EU:C:2007:194, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und die Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen. Vgl. Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑35/11, EU:C:2012:707, Rn. 92).


35      Herr Erzberger weist insoweit darauf hin, dass sich der Einflussbereich des Aufsichtsrats nicht auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränke, sondern auf die gesamte Unternehmensgruppe, einschließlich der Betriebe und Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten, erstrecke.


36      Vgl. zum angeblichen „Legitimationsdefizit“ der deutschen Mitbestimmungsregelung wegen des Ausschlusses der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer Hellgardt, A., „Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Mitbestimmung“, und Hellwig, H.‑J., „Vorschlag zur Einbeziehung im Ausland tätiger Arbeitnehmer in die deutsche Unternehmensmitbestimmung: Inpflichtnahme des Vorstands anstelle der Betriebsverfassungsorgane zur Organisation der Wahlen“, Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, Fachmedien Recht und Wirtschaft, dfv Mediengruppe, Frankfurt am Main, 2016, S. 25, 26, 162 und 163, Empfehlungen der Kommission Mitbestimmung, Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, Bilanz und Perspektiven, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1998, S. 106 und 107, sowie Vorschlag des Arbeitskreises „Unternehmerische Mitbestimmung“ (ZIP 2009, S. 885), Abschnitt A.II.1.


37      Ich möchte darauf hinweisen, dass die Analyse in den vorliegenden Schlussanträgen nicht den Fall betrifft, dass der Arbeitnehmer in einem Betrieb oder einer unselbständigen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitzstaat der Gesellschaft beschäftigt ist, da dieser Fall nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist. Vgl. Nrn. 12 und 35 der vorliegenden Schlussanträge. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einem solchen Fall künftig Klarstellungen zur Anwendbarkeit von Art. 45 AEUV als notwendig erweisen könnten. Da der Arbeitnehmer nämlich unmittelbar bei der Gesellschaft beschäftigt ist, hat das Arbeitsverhältnis selbst grenzüberschreitenden Charakter.


38      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 1986, Hurd (44/84, EU:C:1986:2, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39      Insoweit weise ich darauf hin, dass die Ausführungen des Gerichtshofs in dem von TUI angeführten Urteil vom 28. Juni 1984, Moser (180/83, EU:C:1984:233), unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht anwendbar sind, da sie eine andere Fallgestaltung als die dem Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zur Beurteilung unterbreitete betrifft.


40      Wie bereits ausgeführt, beschäftigt die TUI-Gruppe in Deutschland ungefähr 10 103 Personen und in den übrigen Mitgliedstaaten der Union ungefähr 39 536 Personen. Vgl. Nr. 12 der vorliegenden Schlussanträge.


41      Nach Art. 45 Abs. 3 Buchst. c AEUV „gibt [die Freizügigkeit der Arbeitnehmer] – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht“, „sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben“ (Hervorhebung nur hier). Dagegen halte ich diese Vorschrift bei der Feststellung, ob die angefochtenen Rechtsvorschriften zu einer Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer führen, sehr wohl für einschlägig. Vgl. hierzu Nrn. 74 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


42      Mit Ausnahme der Europäischen Gesellschaft (SE), der Europäischen Genossenschaft (SCE), der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen sowie der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten war die Frage der Mitwirkung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft meines Wissens nicht Gegenstand einer Regelung auf Unionsebene. Vgl. insoweit Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. 2001, L 294, S. 22), Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. 2003, L 207, S. 25), Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (ABl. 2009, L 122, S. 28) und Art. 16 der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (ABl. 2005, L 310, S. 1).


43      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2015, Martens (C‑359/13, EU:C:2015:118, Rn. 23).


44      Vgl. Nrn. 39 und 40 der vorliegenden Schlussanträge.


45      Vgl. u. a. Urteil vom 26. Mai 2016, Kohll und Kohll-Schlesser (C‑300/15, EU:C:2016:361, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Vgl. u. a. Urteil vom 17. März 2005, Kranemann (C‑109/04, EU:C:2005:187, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


47      Vgl. u. a. Urteil vom 10. März 2011, Casteels (C‑379/09, EU:C:2011:131, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Außer Einfluss und Ansehen würde ein Arbeitnehmer, der Mitglied des Aufsichtsrats ist, nach den Angaben von Herrn Erzberger bei einer Versetzung in einen anderen Mitgliedstaat auch die mit seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat verbundenen finanziellen Ansprüche verlieren. Die Mitglieder des Aufsichtsrats von TUI erhielten nach der Satzung der Antragsgegnerin eine pauschale Aufwandsentschädigung von 50 000 Euro pro Jahr, zuzüglich einer Entschädigung für die erbrachten Leistungen, zu der noch Anwesenheitsprämien hinzukommen könnten. Die Vorsitzenden und ihre Vertreter erhielten ein Vielfaches dieser Entschädigung.


49      Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Art. 2 der Verordnung Nr. 492/2011, nach dem „[j]eder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und jeder Arbeitgeber, der eine Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausübt, … nach den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihre Stellenangebote und Arbeitsgesuche austauschen sowie Arbeitsverträge schließen und erfüllen [können], ohne dass sich Diskriminierungen daraus ergeben dürfen“ (Hervorhebung nur hier).


50      Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly in der Rechtssache Graf (C‑190/98, EU:C:1999:423, Nr. 32).


51      Vgl. u. a. Urteil vom 28. Juni 1978, Kenny (1/78, EU:C:1978:140, Rn. 18).


52      Vgl. Urteil vom 17. Oktober 1995, Fishermen’s Organisations u. a. (C‑44/94, EU:C:1995:325, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


53      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl (C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 24). Vgl. auch, zum Bereich der Besteuerung, Urteile vom 26. April 2007, Alevizos (C‑392/05, EU:C:2007:251, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 2. März 2017, Eschenbrenner (C‑496/15, EU:C:2017:152, Rn. 46).


54      Vgl. Nrn. 42 bis 44 der vorliegenden Schlussanträge.


55      Vgl. Nrn. 53 und 54 der vorliegenden Schlussanträge.


56      Vgl. Fn. 42 der vorliegenden Schlussanträge. 1972 hatte die Kommission vorgeschlagen, die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Bestellung oder Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsorgans von Aktiengesellschaften teilweise zu harmonisieren, was jedoch nicht die Unterstützung des Rates fand. Vgl. u. a. achter Erwägungsgrund und Art. 4 des von der Kommission am 9. Oktober 1972 vorgelegten Vorschlags für eine fünfte Richtlinie zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Struktur der Aktiengesellschaft sowie der Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vorgeschrieben sind (KOM[1972] 887). Der Vorschlag wurde durch die Mitteilung der Kommission vom 21. Dezember 2001 zurückgezogen (KOM[2001] 763 final/2).


57      Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung weichen erheblich voneinander ab. Vgl. hierzu Anhang III des Abschlussberichts der Sachverständigengruppe Europäische Systeme der Beteiligung der Arbeitnehmer vom Mai 1997 (Davignon-Bericht) (C4‑0455/97) und Nr. 3.2 des Berichts der Reflection Group On the Future of EU Company Law vom 5. April 2011, die beide auf Initiative der Kommission vorbereitet wurden. In beiden Berichten wird die deutsche Mitbestimmungsregelung ausdrücklich erwähnt. Vgl. auch Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten (oben in Fn. 14 angeführt) und Wansleben, T., „Arbeitnehmermitbestimmung auf Organebene in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rechtsvergleich“, Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang (oben in Fn. 36 angeführt), S. 108 bis 134.


58      Einige Mitgliedstaaten gewähren den in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern tatsächlich ein aktives und passives Wahlrecht zu den Verwaltungs- oder Leitungsorganen der nationalen Gesellschaften. Vgl. in Bezug auf Dänemark Art. 140 Abs. 1 und Art. 141 Abs. 1 und 3 der lovbekendtgørelse nr. 1089 om aktie- og anpartsselskaber (selskabsloven) (Gesetzesbekanntmachung Nr. 1089 über Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung [Gesellschaftsgesetz]) vom 14. September 2015 sowie die Art. 2, 15, 16 und 48 der bekendtgørelse nr. 344 om medarbejderrepræsentation i aktie- og anpartsselskaber (Verordnung Nr. 344 über die Vertretung der Arbeitnehmer in Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung) vom 30. März 2012. Nach diesen Bestimmungen werden Arbeitnehmer, die in Betrieben einer dänischen Gesellschaft mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) beschäftigt sind, in die Regelung der Mitbestimmung im Leitungsorgan dieser Gesellschaft einbezogen. Darüber hinaus kann die Hauptversammlung der dänischen Gesellschaft beschließen, die bei Tochtergesellschaften dieser Gesellschaft in anderen Mitgliedstaaten der Union oder des EWR beschäftigten Arbeitnehmer in die Regelung der Mitbestimmung im Leitungsorgan der dänischen Muttergesellschaft einzubeziehen. Die EFTA-Aufsichtsbehörde weist darauf hin, dass auch die norwegischen Rechtsvorschriften die Möglichkeit vorsehen, im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer des Konzerns der Regelung der Mitbestimmung im Aufsichtsorgan der norwegischen Muttergesellschaft zu unterwerfen.


59      Ergänzend weise ich darauf hin, dass in diesem Fall das von mehreren Parteien und Betroffenen angeführte Urteil vom 27. Januar 2000, Graf (C‑190/98, EU:C:2000:49, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), nicht auf eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche Anwendung finden kann. Der Verlust des aktiven und des passiven Wahlrechts bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Gesellschaft und gegebenenfalls der Verlust des Aufsichtsratsmandats bei Versetzung des Arbeitnehmers in einen anderen Mitgliedstaat kann meines Erachtens nicht als zu ungewiss und zu mittelbar im Sinne dieser Rechtsprechung angesehen werden. Vgl. insoweit Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon (C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 51). Vgl. in diesem Sinne entsprechend, zur Kapitalverkehrsfreiheit nach den Art. 63 ff. AEUV, auch Urteil vom 14. Februar 2008, Kommission/Spanien (C‑274/06, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:86, Rn. 24).


60      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken (C‑514/12, EU:C:2013:799, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


61      Wie bereits ausgeführt, lässt Art. 45 Abs. 3 AEUV Beschränkungen zu, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind.


62      Unter Bezugnahme u. a. auf die Urteile vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation (C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 9, 28 und 29), vom 14. Juli 1994, Peralta (C‑379/92, EU:C:1994:296, Rn. 46 und 47), vom 5. Oktober 1994, van Schaik (C‑55/93, EU:C:1994:363, Rn. 16), vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 36 ff.), und vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 43 ff.).


63      Dabei müsste das Gericht nach Ansicht der Kommission u. a. prüfen, ob die Mitbestimmung nach der deutschen Regelung aus praktischer und organisatorischer Sicht auf die in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer ausgedehnt werden kann.


64      Vgl. Nr. 21 der vorliegenden Schlussanträge.


65      Vgl. Nr. 83 der vorliegenden Schlussanträge. Darüber hinaus sehen auch die Richtlinien über die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) keine Anwendung der nationalen Mitbestimmungsregelung auf die in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer vor. Vgl. u. a. die Auffangregelung in Teil 1 Buchst. a und b Abs. 1 des Anhangs der Richtlinien 2001/86 und 2003/72. Gleiches gilt für die Einsetzung des Europäischen Betriebsrats in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen nach den von den Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie 2009/38 erlassenen subsidiären Vorschriften. Vgl. Anhang I Nr. 1 Buchst. b dieser Richtlinie.


66      Vgl. u. a. Urteil vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 39). Der Vollständigkeit halber möchte ich klarstellen, dass sich die Anerkennung des Territorialitätsprinzips durch den Gerichtshof nicht auf den Steuerbereich beschränkt. Die in anderen Bereichen zu diesem Prinzip ergangene Rechtsprechung betrifft jedoch nicht die Grundfreiheiten des Vertrags und ist daher für die vorliegende Rechtssache ohne Belang.


67      Vgl. u. a. Urteile vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525, Rn. 41 bis 46), vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45 bis 48), vom 16. April 2015, Kommission/Deutschland (C‑591/13, EU:C:2015:230, Rn. 64 und 65), sowie vom 8. Juni 2016, Hünnebeck (C‑479/14, EU:C:2016:412, Rn. 65). Vgl. auch Urteil vom 21. März 2002, Cura Anlagen (C‑451/99, EU:C:2002:195, Rn. 40), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass sich die Mitgliedstaaten „über die Abgrenzung dieser Steuerhoheit aufgrund von Kriterien wie dem Gebiet, in dem das Fahrzeug tatsächlich benutzt wird, oder dem Wohnsitz des Halters, die beide verschiedene Elemente des Territorialitätsgrundsatzes sind, verständigen“ können (Hervorhebung nur hier).


68      Vgl. Urteil vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C‑347/04, EU:C:2007:194, Rn. 69). Insoweit hat der Gerichtshof auf die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Rewe Zentralfinanz (C‑347/04, EU:C:2006:350, Nr. 49) Bezug genommen.


69      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Portugal (C‑503/14, EU:C:2016:979, Rn. 50 und 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


70      Vgl. u. a. Urteil vom 16. April 2015, Kommission/Deutschland (C‑591/13, EU:C:2015:230, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).


71      Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von derjenigen, in der das von TUI und der deutschen Regierung angeführte Urteil vom 14. Juli 1994, Peralta (C‑379/92, EU:C:1994:296), ergangen ist.


72      Vgl. insoweit Urteile vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz (C‑347/04, EU:C:2007:194, Rn. 69), und vom 8. Juni 2016, Hünnebeck (C‑479/14, EU:C:2016:412, Rn. 66). Es sei daran erinnert, dass einige Mitgliedstaaten der Union und des EWR den in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern tatsächlich das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Verwaltungs- oder Leitungsorgane der nationalen Gesellschaften gewähren. Vgl. Fn. 58 der vorliegenden Schlussanträge.


73      Die deutsche Regierung verweist u. a. auf die Dritte Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz (3. WOMitbestG) vom 27. Mai 2002 (BGBl. 2002 I S. 1741), zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. August 2015 (BGBl. 2015 I S. 1443).


74      Die deutsche Regierung erwähnt u. a. die Verpflichtung der Tochtergesellschaft, die Bildung von Wahlvorständen zu unterstützen sowie Wählerlisten und andere Angaben zur Verfügung zu stellen, damit die Wahlvorstände nach den einschlägigen deutschen Vorschriften Wählerlisten aufstellen können, und die Arbeitnehmer unter Fortzahlung des Entgelts freizustellen, damit sie die Aufgaben des Wahlvorstands wahrnehmen können.


75      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs anerkannt, dass kein Eingriff in die Zuständigkeiten anderer Mitgliedstaaten vorliegt, wenn die Mitbestimmung in der Weise organisiert wird, dass der Vorstand der Muttergesellschaft den bei ihren Tochtergesellschaften im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern das aktive und passive Wahlrecht gewährt und sie die Wahl selbst organisiert.


76      Vgl. Nr. 88 der vorliegenden Schlussanträge.


77      Vgl. Nr. 88 der vorliegenden Schlussanträge.


78      Es sei daran erinnert, dass der Schutz der nationalen Identität der Mitgliedstaaten auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs als rechtmäßiges, von der Unionsrechtsordnung geachtetes Ziel anerkannt wurde. Vgl. Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C‑473/93, EU:C:1996:263, Rn. 35). Vgl. auch, in Bezug auf Art. 4 Abs. 2 EUV, Urteile vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, EU:C:2010:806, Rn. 92), vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 86), sowie vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff (C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 73).


79      Gestützt auf Rn. 189 der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Deutschland) vom 1. März 1979 (1 BvR 532/77, 1 BvL 21/78, 1 BvR 419/78 und 1 BvR 533/77) (NJW 1979, S. 699) weist die deutsche Regierung darauf hin, dass die Rechtsvorschriften im Bereich der Mitbestimmung der Arbeitnehmer die Aufgabe haben, die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch eine institutionelle Mitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen zu mildern und die ökonomische Legitimation der Unternehmensleitung durch eine soziale zu ersetzen. Vgl. zur Entwicklung der deutschen Mitbestimmungsregelung Kapitel 3 der Empfehlungen der Kommission Mitbestimmung, Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, Bilanz und Perspektiven (oben in Fn. 36 der vorliegenden Schlussanträge angeführt).


80      Die deutsche Regierung erwähnt ferner, dass die Dachverbände der deutschen Sozialpartner diese Regelung in einem gemeinsamen offenen Brief als wesentliche soziale Säule des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarkts qualifiziert hätten. Zudem hat, ebenfalls nach den Angaben dieser Regierung, der Bundespräsident festgestellt, dass die Mitbestimmung ein Stück gewachsener Nationalkultur mit identitätsstiftender Wirkung darstelle.


81      Vgl. u. a. Nr. 17 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, auf die in Art. 151 Abs. 1 AEUV Bezug genommen wird. Vgl. ferner Art. 153 Abs. 1 Buchst. f AEUV. Vgl. auch den das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen betreffenden Art. 27 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.


82      Vgl. u. a. Art. 151 Abs. 2 AEUV und Art. 152 Abs. 1 AEUV.


83      Vgl. die Erwägungsgründe 5 und 9 der Richtlinien 2001/86 und 2003/72. Vgl., in Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip, 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/38. Anzumerken ist, dass im Unterschied zu dieser Richtlinie die Richtlinien 2001/86 und 2003/72 nicht auf der Grundlage der Vorschriften des AEU-Vertrags über die Sozialpolitik erlassen wurden, sondern auf der Grundlage von Art. 352 AEUV.


84      Vgl. zu den Unterschieden zwischen den Gesetzen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich Fn. 57 der vorliegenden Schlussanträge.


85      Wie bereits ausgeführt, sind die unter die deutsche Mitbestimmungsregelung fallenden Arbeitnehmer in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens berechtigt, zusammen mit den Gewerkschaften die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestimmen. Vgl. Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge.


86      Vgl. Fn. 73 der vorliegenden Schlussanträge.


87      Nach den Angaben der deutschen Regierung dauert die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder in einem größeren Konzern zwischen sechs und zwölf Monaten, und die Vorbereitungen beginnen in der Praxis noch viel früher.


88      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1981, Oebel (155/80, EU:C:1981:177, Rn. 12), und vom 23. November 1989, B & Q (C‑145/88, EU:C:1989:593, Rn. 14).


89      Vgl. Urteil vom 2. Juni 2016, Bogendorff von Wolffersdorff (C‑438/14, EU:C:2016:401, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).