Language of document : ECLI:EU:C:2017:443

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 8. Juni 2017(1)

Rechtssache C‑490/16

A. S.

gegen

Republik Slowenien

(Vorabentscheidungsersuchen des Vrhovno sodišče Republike Slovenije [Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien])

und

Rechtssache C‑646/16

Jafari

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs Wien [Österreich])

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Grenzen, Asyl und Einwanderung – Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags eines Drittstaatsangehörigen zuständigen Mitgliedstaats – Kriterien zur Bestimmung des für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats – Auslegung der Art. 12, 13 und 14 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Auslegung von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 562/2006“






 Einleitung

1.        Betrachtet man Europa auf einer Landkarte und legt eine Karte der Europäischen Union darüber, anhand deren man die Außengrenzen der Union sorgfältig markiert, treten einige offenkundige Wahrheiten zutage. Es gibt eine ausgedehnte Landgrenze im Osten, an die neun Mitgliedstaaten der Union angrenzen(2). Begibt man sich auf den Balkan, wird die Geografie – ebenso wie die Geschichte – ein wenig kompliziert(3). Als wichtigster Punkt ist hervorzuheben, dass eine „Landbrücke“ direkt von der Türkei in die Union führt. Südlich des Unionsgebiets liegt das Mittelmeer – das mit einem improvisierten Boot überquert werden kann, wenn die Bedingungen im Heimatland schlimm genug sind, um jemanden dazu zu bringen, dieses verzweifelte Unterfangen zu wagen. Die kürzesten Überfahrten enden in Griechenland, Malta oder Italien – oder, im äußersten Westen, in Spanien. Die Grenzen im Osten und Südosten der Europäischen Union sind daher potenzielle Einfallstore für die Migration auf dem Landweg(4), während die Südgrenze ein potenzielles Einfallstor für die Migration über das Mittelmeer bildet.

2.        Der westliche Rand der Union ist für eine Migration deutlich weniger zugänglich. Dort befindet sich zunächst die Atlantikküste entlang des gesamten westlichen Rands des Unionsgebiets. Dann folgen nach Norden weitere Meere – die Irische See, der Ärmelkanal und die Nordsee(5), das Skagerrak(6), das Kattegat und die Ostsee(7). Neben der Ostsee an seiner Südgrenze hat Schweden im Norden eine Landgrenze zu seinem Nachbarn Norwegen. Finnland hat sowohl Seegrenzen(8) als auch Landgrenzen(9). Im Westen und im Norden erschweren daher sowohl die Geografie als auch das Klima die Migration erheblich.

3.        Das „Dublin-System“(10) nimmt nicht die von mir soeben beschriebene Landkarte Europas zum Ausgangspunkt. Es setzt vielmehr stillschweigend voraus, dass alle Personen, die internationalen Schutz beantragen, auf dem Luftweg eintreffen. Wäre dies der Fall, bestünde theoretisch eine etwas größere Wahrscheinlichkeit, dass in jedem der 28 Mitgliedstaaten (in etwa) die gleiche Zahl von Antragstellern ankäme(11). Vor diesem Hintergrund ist das eingeführte System sehr vernünftig.

4.        Ein weiteres Grundelement des Dublin-Systems besteht darin, dass es auf die Einzelperson abstellt, die internationalen Schutz beantragt. Für diesen individuellen Antragsteller (im Sinne der Definition in Art. 2 Buchst. c der Dublin‑III-Verordnung) wird anhand der in ihrem Kapitel III aufgestellten Kriterien geprüft, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Die gesamte Verordnung ist auf die Einzelperson zugeschnitten. Dies ist selbstverständlich gut und richtig. Die einzelnen Menschen, die Schutz suchen, sind keine Statistik; sie müssen human und unter Wahrung ihrer Grundrechte behandelt werden. Zu normalen Zeiten mag die Umsetzung des in der Dublin‑III-Verordnung verankerten Ansatzes eine administrative Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden verschiedener Mitgliedstaaten erforderlich machen, ohne indes immanente oder unüberwindbare Schwierigkeiten aufzuwerfen.

5.        Von September 2015 bis März 2016 waren die Zeiten alles andere als normal.

6.        Der Vizepräsident der Europäischen Kommission beschrieb die Grundursache der plötzlichen und überwältigenden Migration in die Union wie folgt:

„Es gibt eine Hölle auf Erden. Ihr Name ist Syrien. Dass Millionen von Menschen aus dieser Hölle zu fliehen versuchen, ist verständlich. Dass sie versuchen, ihrer Heimat so nah wie möglich zu bleiben, ist ebenfalls verständlich. Und es liegt auf der Hand, dass sie versuchen, andernorts ein sicheres Obdach zu finden, wenn dies nicht gelingt. … Mehr und mehr Menschen fliehen. Die Lage in den Nachbarländern gibt wenig oder bisweilen gar keinen Anlass zur Hoffnung. Daher suchen die Menschen [über die Türkei, die selbst mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat] Schutz in Europa. Das Problem wird sich nicht von selbst lösen. Der Zustrom von Flüchtlingen wird nicht enden, solange der Krieg andauert. Um diesen Konflikt zu beenden, muss viel getan werden, und die ganze Welt wird daran beteiligt sein. In der Zwischenzeit müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen, um Menschen in der Region, in der EU und im Rest der Welt eine sichere Zuflucht zu gewähren.“(12)

7.        Eine sehr große Zahl aus Syrien vertriebener Personen schloss sich daher bestehenden Flüchtlingsströmen an, die aus anderen von Krieg oder Hunger heimgesuchten Teilen der Welt auf dem Weg in die Union waren(13): aus Afghanistan und dem Irak. Die entsetzlichen Tragödien, die sich auf See abspielten, als überladene, leckgeschlagene Schlauchboote in den Sommermonaten des Jahres 2015 bei der Überquerung des Mittelmeers sanken, zogen die meiste Aufmerksamkeit in den Medien auf sich. Aber es gab eine zweite wichtige Überland-Migrationsroute in die Union: die „Westbalkanroute“.

8.        Diese Route führte auf dem See- und/oder Landweg von der Türkei in westlicher Richtung nach Griechenland und dann auf den Westbalkan. Die meisten Menschen kamen über die EJR Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Slowenien(14). Die Route wurde erstmals im Jahr 2012 zu einem beliebten Transitweg in die Union, als die Schengen-Visa-Beschränkungen für fünf Balkanländer – Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien und die EJR Mazedonien – gelockert wurden. Bis März 2016 konnten daher viele Menschen eine einzige Hauptroute nutzen, die von der Türkei nach Griechenland und dann in nördlicher Richtung durch den Westbalkan führte(15).

9.        Diejenigen, die auf der Westbalkanroute unterwegs waren, wollten nicht in den Ländern bleiben, die sie durchqueren mussten, um ihr Wunschziel zu erreichen. Diese Länder wollten auch nicht, dass sie blieben. Die Behörden der EJR Mazedonien und Serbiens stellten Verkehrsmittel (die von denen bezahlt wurden, die sie nutzten)(16) bereit und gestatteten den die Route benutzenden Menschen, die Grenze nach Kroatien zu überschreiten, insbesondere nachdem die Grenze nach Ungarn geschlossen worden war. Die kroatischen und die slowenischen Behörden stellten ebenfalls Verkehrsmittel (dieses Mal kostenlos) bereit und gestatteten den Menschen, ihre jeweiligen Grenzen nach Österreich und Deutschland zu überschreiten. Die Politik der Westbalkan-Staaten, den Drittstaatsangehörigen die Einreise in ihr Hoheitsgebiet zu gestatten und Erleichterungen wie Verkehrsmittel bereitzustellen, um sie auf dem Weg zu ihrem gewünschten Ziel an die Grenze zu befördern, ist als „Durchwinken“ beschrieben worden.

10.      Am 27. Mai 2015 schlug die Kommission u. a. einen auf Art. 78 Abs. 3 AEUV gestützten Beschluss des Rates zur Einrichtung eines Notfall-Mechanismus vor, um hauptsächlich Italien und Griechenland zu unterstützen, da diese im Allgemeinen die Mitgliedstaaten der ersten Einreise waren und als solche mit einem plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen konfrontiert wurden. Dabei handelte es sich um den ersten Vorschlag zur Anwendung dieser Bestimmung. Am 14. September 2015 erließ der Rat auf diesen Vorschlag hin einen Beschluss(17). Darin stellte er fest, dass die besondere Situation Griechenlands und Italiens Implikationen in anderen geografischen Regionen wie der „Migrationsroute über den westlichen Balkan“ habe(18). Zu den Zielen des Beschlusses 2015/1523 gehörte die Umsiedlung internationalen Schutz beantragender Personen, die Asylanträge in einem dieser Staaten stellten. Ein weiteres Ziel bestand darin, eine vorübergehende Aussetzung der Regeln der Dublin‑III-Verordnung zu ermöglichen, insbesondere des Kriteriums, wonach in Fällen eines irregulären Grenzübertritts des Antragstellers aus einem Drittstaat der Mitgliedstaat der ersten Einreise für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig war. Das erklärte Ziel der Maßnahme war es, innerhalb von zwei Jahren 40 000 Antragsteller in andere Mitgliedstaaten umzusiedeln. Der Beschluss erging einstimmig.

11.      Binnen einer Woche erließ der Rat einen zweiten Beschluss mit einer Umsiedlungsregelung für 120 000 Drittstaatsangehörige, die internationalen Schutz benötigten(19). Der Beschluss 2015/1601 sah auch einen Schlüssel für die Verteilung der betreffenden Drittstaatsangehörigen auf die Mitgliedstaaten vor(20). Er war politisch umstritten und erging mit qualifizierter Mehrheit(21) Am 25. Oktober 2015 fand auf Einladung des Präsidenten der Kommission ein hochrangiges Treffen statt, an dem sowohl EU- als auch Nicht-EU-Staaten teilnahmen(22). Die Teilnehmer vereinbarten eine Reihe von Maßnahmen (die in einer „Erklärung“ festgehalten wurden), um die Zusammenarbeit zu verbessern und eine Abstimmung zwischen den Ländern entlang der Westbalkanroute einzuführen. Sie beschlossen ferner (sofort umzusetzende) Maßnahmen, mit denen Sekundärbewegungen begrenzt, Unterkünfte für Drittstaatsangehörige bereitgestellt, die Grenzen geschützt sowie Schleusung und Menschenhandel bekämpft werden sollten(23). Sowohl die genaue Rechtsgrundlage als auch die genaue rechtliche Wirkung dieser Maßnahmen sind unklar(24).

12.      In der Zwischenzeit war am 21. August 2015 in der Presse berichtet worden, Deutschland habe syrische Staatsangehörige von der Dublin‑III-Verordnung „ausgenommen“(25). Im September 2015 führte Deutschland die Grenzkontrollen zu Österreich wieder ein, nachdem es innerhalb weniger Tage Hunderttausende von Menschen aufgenommen hatte. Die sogenannte „Ausnahme“ wurde im November 2015 aufgehoben.

13.      Am 15. September 2015 schloss Ungarn seine Grenze zu Serbien. Infolge der Schließung wurde ein großer Zustrom von Menschen nach Slowenien umgeleitet. Am 16. Oktober 2015 errichtete Ungarn einen Zaun entlang seiner Grenze zu Kroatien. Von November 2015 bis Februar 2016 errichtete die EJR Mazedonien einen Zaun entlang ihrer Grenze zu Griechenland.

14.      Bis Ende Oktober 2015 waren fast 700 000 Menschen über die Westbalkanroute von Griechenland nach Mitteleuropa gekommen. Die Zahlen sind verschiedentlich als „beispiellos“, „massiver Zustrom“ und „außergewöhnlich“ bezeichnet worden. Die Einreise- und Registrierungsstatistiken variieren zwischen den Ländern entlang der Route. Die ungefähre Zahl der pro Tag in Serbien eintreffenden Personen lag bei 10 000 (Oktober) und 5 000 (November)(26).

15.      Am 11. November 2015 begann Slowenien mit dem Bau eines Zauns entlang seiner Grenze zu Kroatien. Im Dezember 2015 errichtete Österreich einen Zaun am Hauptgrenzübergang zu Slowenien. Österreich hatte zwischenzeitlich, am 16. September 2015, vorübergehend wieder Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt.

16.      Am 14. Februar 2016 gab Österreich bekannt, dass es nur noch Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien einreisen lasse. Am 18. Februar 2016 kamen die Leiter mehrerer Polizeibehörden in Zagreb zusammen und gaben eine Erklärung ab(27). Die Politik des Durchwinkens von Menschen durch die Staaten des westlichen Balkans endete, als Österreich seine liberale Asylpolitik änderte (d. h. im Februar 2016).

17.      Von den übrigen Staaten führte Frankreich von Juli 2016 bis Januar 2017 vorübergehend wieder Kontrollen an den Binnengrenzen ein. Dänemark ging in ähnlicher Weise vor und verlängerte die Kontrollen anschließend vom 4. Januar bis 12. November 2016. Norwegen führte vom 26. November 2015 bis 11. Februar 2017 wieder Kontrollen an den Binnengrenzen ein, und Schweden traf vom 12. November 2015 bis 11. November 2016 entsprechende Maßnahmen.

18.      Die schiere Zahl von Menschen, die innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums Ende 2015 und Anfang 2016 auf der Westbalkanroute unterwegs waren, sowie die politischen Probleme, die sich daraus ergaben, werden meist kurz als die „Flüchtlingskrise“ oder die „humanitäre Krise“ auf dem Westbalkan bezeichnet. Es war die größte Massenbewegung von Personen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese ganz außergewöhnlichen Umstände bilden den Hintergrund der vorliegenden beiden Vorabentscheidungsersuchen.

 Völkerrecht

 Genfer Konvention

19.      Art. 31 Abs. 1 der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge(28) verbietet die Verhängung von Strafen wegen unrechtmäßiger Einreise oder unrechtmäßigen Aufenthalts gegen Flüchtlinge, die aus einem Gebiet fliehen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht war, und die sich ohne Erlaubnis in einem Staat aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Nach Art. 31 Abs. 2 sollen die Staaten den Flüchtlingen beim Wechsel des Aufenthaltsorts in ihrem Gebiet keine Beschränkungen auferlegen, außer denen, die notwendig sind. Beschränkungen sollen jedoch nur so lange Anwendung finden, bis die Rechtsstellung der Flüchtlinge geregelt oder es ihnen gelungen ist, in einem anderen Land Aufnahme zu erhalten. Die Staaten müssen den Flüchtlingen eine angemessene Frist sowie die notwendigen Erleichterungen zur Aufnahme in einem anderen Land gewähren.

 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

20.      Nach Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(29) darf niemand unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 Unionsrecht

 Charta

21.      Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(30) entspricht Art. 3 EMRK. Art. 18 der Charta gewährleistet das Recht auf Asyl nach Maßgabe der Genfer Konvention.

 Dublin-System

 Dublin‑III-Verordnung

22.      Die Bestimmungen über den Geltungsbereich der Dublin‑III-Verordnung sind komplex. Ihre Vorgängerin, die Dublin‑II-Verordnung, galt in Dänemark ab 2006 aufgrund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines in Dänemark oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, sowie über „Eurodac“ für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zweck der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens(31). Ein entsprechendes Abkommen für die Dublin‑III-Verordnung besteht nicht. Nach Art. 3 und Art. 4a Abs. 1 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben diese Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung der Dublin‑III-Verordnung beteiligen möchten. Für die übrigen Mitgliedstaaten der Union findet die Verordnung in der üblichen Weise und ohne Einschränkungen Anwendung.

23.      Nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags gilt die Dublin‑III-Verordnung für diesen Staat(32).

24.      Die Erwägungsgründe der Dublin‑III-Verordnung enthalten folgende Ausführungen:

–        Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (im Folgenden: GEAS) ist Bestandteil des Ziels der Europäischen Union, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen offensteht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Union um Schutz nachsuchen. Es stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention. Das GEAS sollte auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats umfassen(33).

–        Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden(34).

–        Das Dublin-System ist ein zentrales Element des GEAS, da es die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zwischen den Mitgliedstaaten eindeutig zuweist(35).

–        Bei der Anwendung des Dublin-Systems sind die Bestimmungen des Asylrechts der Union zu berücksichtigen(36).

–        Der Schutz des Wohls des Kindes und die Achtung des Familienlebens sind vorrangige Erwägungen bei der Anwendung der Dublin‑III-Verordnung(37). Durch die gemeinsame Bearbeitung von den Mitgliedern einer Familie gestellter Anträge auf internationalen Schutz durch ein und denselben Mitgliedstaat wird der Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie Rechnung getragen(38).

–        Um einen wirksamen Schutz der Rechte der Betroffenen zu gewährleisten, sollten im Einklang insbesondere mit Art. 47 der Charta Rechtsgarantien und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen festgeschrieben werden. Um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte ein wirksamer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidungen sowohl die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung als auch die Prüfung der Rechts- und Sachlage in dem Mitgliedstaat umfassen, in den der Antragsteller überstellt wird(39).

–        Der schrittweise Aufbau eines Raums ohne Binnengrenzen, in dem der freie Personenverkehr gemäß den Bestimmungen des AEUV gewährleistet wird, sowie die Festsetzung der Unionspolitiken zu den Einreise- und Aufenthaltsbedingungen einschließlich allgemeiner Anstrengungen zur Verwaltung der Außengrenzen erfordern ausgewogene, im Geiste der Solidarität anzuwendende Zuständigkeitskriterien(40).

–        In Bezug auf die Behandlung von Personen, die unter die Dublin‑III-Verordnung fallen, sind die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Instrumenten einschließlich der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden(41).

–        Die Dublin‑III-Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta anerkannt wurden(42).

25.      Nach Art. 1 legt die Dublin‑III-Verordnung „die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen (im Folgenden ‚zuständiger Mitgliedstaat‘)“.

26.      Nach Art. 2 bezeichnet der Ausdruck

„a)      ‚Drittstaatsangehöriger‘ jede Person, die nicht Bürger der Union im Sinne von Artikel 20 Absatz 1 des AEUV ist und bei der es sich nicht um einen Staatsangehörigen eines Staates handelt, der sich aufgrund eines Abkommens mit der Europäischen Union an [der Dublin‑III-Verordnung] beteiligt;

b)      ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Artikels 2 Buchstabe h der [Anerkennungsrichtlinie];

c)      ‚Antragsteller‘ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde;

d)      ‚Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz‘ die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen oder Urteile der zuständigen Behörden in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß der [Asylverfahrensrichtlinie] und der [Anerkennungsrichtlinie] mit Ausnahme der Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß [der Dublin‑III-Verordnung];

l)      ‚Aufenthaltstitel‘ jede von den Behörden eines Mitgliedstaats erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gestattet wird, einschließlich der Dokumente, mit denen die Genehmigung des Aufenthalts im Hoheitsgebiet im Rahmen einer Regelung des vorübergehenden Schutzes oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die eine Ausweisung verhindernden Umstände nicht mehr gegeben sind, nachgewiesen werden kann; ausgenommen sind Visa und Aufenthaltstitel, die während der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats entsprechend dieser Verordnung erforderlichen Frist oder während der Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz oder eines Antrags auf Gewährung eines Aufenthaltstitels erteilt wurden;

m)      ‚Visum‘ die Erlaubnis oder Entscheidung eines Mitgliedstaats, die im Hinblick auf die Einreise zum Zweck der Durchreise oder die Einreise zum Zweck eines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat oder in mehreren Mitgliedstaaten verlangt wird. Es werden folgende Arten von Visa unterschieden:

–        ‚Visum für den längerfristigen Aufenthalt‘: eine von einem der Mitgliedstaaten im Einklang mit seinem innerstaatlichen Recht oder dem Unionsrecht ausgefertigte Erlaubnis oder Entscheidung, die im Hinblick auf die Einreise zum Zweck eines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat von mehr als drei Monaten verlangt wird;

–        ‚Visum für den kurzfristigen Aufenthalt‘: eine Erlaubnis oder Entscheidung eines Mitgliedstaats im Hinblick auf die Durchreise durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer oder aller Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum ab dem Zeitpunkt der ersten Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

–        ‚Visum für den Flughafentransit‘ ein für die Durchreise durch die internationalen Transitzonen eines oder mehrerer Flughäfen von Mitgliedstaaten gültiges Visum;

…“

27.      Nach Art. 3 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt, prüfen. Ein solcher Antrag ist von einem einzigen Mitgliedstaat zu prüfen, nämlich von demjenigen, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

28.      Art. 3 Abs. 2 sieht vor:

„Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 [der Charta] mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.“

29.      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (im Sinne von Art. 1) werden in Kapitel III aufgestellt (im Folgenden: Kriterien des Kapitels III). Nach Art. 7 Abs. 1 finden die Kriterien in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung. Nach Art. 7 Abs. 2 wird bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. An der ersten Rangstelle stehen die Kriterien in Bezug auf Minderjährige (Art. 8) und Familienangehörige (Art. 9, 10 und 11). Sie sind in beiden Ausgangsverfahren nicht unmittelbar berührt(43).

30.      An der nächsten Rangstelle steht Art. 12, der die Voraussetzungen für das Kriterium in Bezug auf die Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa nennt. Nach Art. 12 Abs. 1 ist, wenn ein Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel besitzt, der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Nach Art. 12 Abs. 2 ist, wenn ein Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009(44) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

31.      Art. 13 („Einreise und/oder Aufenthalt“) bestimmt in Abs. 1:

„Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013[(45)] festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.“

32.      Das vorletzte, in Art. 14 geregelte Kriterium betrifft die „visafreie Einreise“. Art. 14 lautet:

„(1)      Reist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2)      Der Grundsatz nach Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose seinen Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat stellt, in dem er ebenfalls kein Einreisevisum vorweisen muss. In diesem Fall ist dieser andere Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.“

33.      Das letzte Kriterium (Art. 15) betrifft Anträge auf internationalen Schutz, die im internationalen Transitbereich eines Flughafens gestellt werden; es ist in den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen nicht einschlägig.

34.      Nach Art. 17 Abs. 1 steht es im Ermessen der Mitgliedstaaten, von Art. 3 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung abzuweichen und zu beschließen, einen von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn der betreffende Mitgliedstaat nach den Kriterien des Kapitels III nicht für die Prüfung zuständig ist.

35.      Kapitel V enthält Bestimmungen über die Pflichten des „zuständigen Mitgliedstaats“. Innerhalb dieses Kapitels führt Art. 18 bestimmte Pflichten auf, u. a. zur Aufnahme eines Antragstellers, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat (Art. 18 Abs. 1 Buchst. a), oder zur Wiederaufnahme eines Antragstellers, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b).

36.      Nach Art. 20 Abs. 1 muss das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats eingeleitet werden, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Nach Art. 20 Abs. 2 gelten Anträge auf internationalen Schutz als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugeht(46).

37.      Nach Art. 21 kann ein Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, sofern er einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig hält, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen. Nach Art. 22 Abs. 1(47) nimmt der ersuchte Mitgliedstaat die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Gesuchs. Nach Art. 22 Abs. 7 ist, wenn innerhalb dieser Frist keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird(48).

38.      Ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23 für einen Antragsteller, der einen neuen Antrag auf internationalen Schutz stellt, muss ebenfalls so bald wie möglich gestellt werden. Nach Art. 25 muss der ersuchte Mitgliedstaat so rasch wie möglich antworten – nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Nach Art. 25 Abs. 2 ist andernfalls davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird.

39.      In den Art. 26 und 27 sind bestimmte Verfahrensgarantien geregelt. Art. 26 sieht vor, dass der ersuchende Mitgliedstaat, wenn der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers zustimmt, die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis setzen muss, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Diese Entscheidung muss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.

40.      Nach Art. 27 Abs. 1 haben Antragsteller das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht.

41.      Art. 29 bestimmt:

„(1)      Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

(2)      Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

…“(49)

42.      Art. 33 („Mechanismus zur Frühwarnung, Vorsorge und Krisenbewältigung“) bestimmt in Abs. 1: „Stellt die Kommission insbesondere auf Grundlage der vom [Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, im Folgenden: EASO] gemäß der Verordnung (EU) Nr. 439/2010[(50)] gesammelten Informationen fest, dass die Anwendung der vorliegenden Verordnung infolge der konkreten Gefahr der Ausübung besonderen Drucks auf das Asylsystem eines Mitgliedstaats und/oder von Problemen beim Funktionieren des Asylsystems eines Mitgliedstaats beeinträchtigt sein könnte, so spricht sie in Zusammenarbeit mit dem EASO Empfehlungen für diesen Mitgliedstaat aus und fordert ihn zur Ausarbeitung eines präventiven Aktionsplans auf.

…“

 Durchführungsbestimmungen zur Dublin‑III-Verordnung

43.      Mit der Verordnung (EU) Nr. 603/2013(51) wurde das Eurodac-System eingerichtet. Seine Aufgabe ist es, die Bestimmung des gemäß der Dublin‑III-Verordnung für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats zu unterstützen.

44.      Anhang II der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin‑III-Verordnung(52) enthält zwei Verzeichnisse von Beweisen zur Bestimmung des im Sinne der Dublin‑III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaats. Verzeichnis „A“ bezieht sich auf förmliche Beweise, die für die Zuständigkeit maßgebend sind, sofern sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden. Verzeichnis „B“ bezieht sich auf Indizien: einzelne Anhaltspunkte, die zwar widerlegbar sind, aber unter gewissen Umständen ausreichen können, um die Zuständigkeit zu bestimmen.

 Schengen

45.      In der einen oder anderen Form gibt es seit dem Mittelalter Freizügigkeit zwischen europäischen Ländern(53). Das am 14. Juni 1985 unterzeichnete Schengener Übereinkommen regelte den schrittweisen Abbau der Binnengrenzen und führte Kontrollen an den Außengrenzen der Unterzeichnerstaaten ein. Das Übereinkommen zur Durchführung des Schengener Übereinkommens wurde am 19. Juni 1990 unterzeichnet(54). Es regelte Bereiche wie die Organisation und Verwaltung der Außengrenze und den Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen, Verfahren für die Erteilung einheitlicher Sichtvermerke und den Betrieb einer einheitlichen Datenbank für alle Mitglieder (Schengener Informationssystem, im Folgenden: SIS) sowie die Einführung von Maßnahmen für die Zusammenarbeit zwischen den Einwanderungsbehörden der Mitglieder. Diese Bereiche wurden durch den Vertrag von Amsterdam in den Besitzstand der Union überführt. Nicht alle 28 Mitgliedstaaten der Union sind am Schengen-Besitzstand voll beteiligt(55). Sonderregelungen bestehen für Irland und das Vereinigte Königreich(56).

 Schengener Grenzkodex

46.      Die Erwägungsgründe des Schengener Grenzkodex(57) enthalten folgende relevante Angaben. Die Schaffung eines Raums des freien Personenverkehrs muss mit flankierenden Maßnahmen einhergehen, u. a. mit einer gemeinsamen Politik bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen(58). In dieser Hinsicht ist die Aufstellung eines „gemeinsamen Bestands“ an Rechtsvorschriften eine wesentliche Komponente der gemeinsamen Politik für den Grenzschutz an den Außengrenzen(59). Grenzkontrollen liegen nicht nur im Interesse des Mitgliedstaats, an dessen Außengrenzen sie erfolgen, sondern auch im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten, die die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft haben.

47.      In den Erwägungsgründen heißt es weiter, dass Grenzkontrollen zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und des Menschenhandels sowie zur Vorbeugung jeglicher Bedrohung der inneren Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten beitragen sollten(60). Grenzübertrittskontrollen sollten auf eine Weise vorgenommen werden, bei der die menschliche Würde in vollem Umfang gewahrt wird. Die Durchführung von Grenzkontrollen sollte auf professionelle und respektvolle Weise erfolgen und, gemessen an den verfolgten Zielen, verhältnismäßig sein(61). Die Grenzkontrollen umfassen nicht nur die Personenkontrollen an den Grenzübergangsstellen und die Überwachung zwischen diesen Grenzübergangsstellen, sondern auch die Analyse des Risikos für die innere Sicherheit sowie die Analyse der Bedrohungen, die die Sicherheit der Außengrenzen beeinträchtigen können. Daher müssen die Voraussetzungen, Kriterien und Modalitäten sowohl der Kontrollen an den Grenzübergangsstellen als auch der Überwachung festgelegt werden(62). Um übermäßige Wartezeiten an den Grenzübergangsstellen zu vermeiden, sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, bei außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen die Kontrollen an den Außengrenzen zu lockern. Auch bei gelockerten Grenzübertrittskontrollen müssen aber Dokumente von Drittstaatsangehörigen weiterhin systematisch abgestempelt werden. Anhand der Abstempelung lässt sich mit Sicherheit das Datum und der Ort des Grenzübertritts feststellen, ohne dass in allen Fällen überprüft werden muss, ob die für die Kontrolle der Reisedokumente erforderlichen Maßnahmen durchgeführt worden sind(63).

48.      Art. 1 benennt ein zweifaches Ziel des Schengener Grenzkodex. Erstens sieht er vor, dass keine Grenzkontrollen in Bezug auf Personen stattfinden, die die Grenzen zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten überschreiten. Zweitens legt er Regeln für die Grenzkontrollen in Bezug auf Personen fest, die die Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union überschreiten.

49.      Nach Art. 2 bezeichnet der Ausdruck

„…

2.      ‚Außengrenzen‘ die Landgrenzen der Mitgliedstaaten, einschließlich der Fluss- und Binnenseegrenzen, der Seegrenzen und der Flughäfen sowie der Flussschifffahrts-, See- und Binnenseehäfen, soweit sie nicht Binnengrenzen sind;

5.      ‚Personen, die nach Unionsrecht Anspruch auf freien Personenverkehr haben‘

a)      die Unionsbürger im Sinne des [Art. 20 Abs. 1 AEUV] sowie Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines sein Recht auf freien Personenverkehr ausübenden Unionsbürgers sind, die unter die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates[(64)] fallen;

b)      Drittstaatsangehörige und ihre Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die aufgrund von Übereinkommen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den betreffenden Drittstaaten andererseits ein Recht auf freien Personenverkehr genießen, das dem der Unionsbürger gleichwertig ist;

6.      ‚Drittstaatsangehöriger‘ jede Person, die nicht Unionsbürger im Sinne des Artikels 20 Absatz 1 des Vertrags ist und die nicht unter Nummer 5 [von Art. 2] fällt;

7.      ‚zur Einreiseverweigerung ausgeschriebene Person‘ einen Drittstaatsangehörigen, der gemäß Artikel 96 des [SDÜ] und für die in jenem Artikel genannten Zwecke im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben ist;

8.      ‚Grenzübergangsstelle‘ einen von den zuständigen Behörden für das Überschreiten der Außengrenzen zugelassenen Ort des Grenzübertritts;

9.      ‚Grenzkontrollen‘ die an einer Grenze nach Maßgabe und für die Zwecke dieser Verordnung unabhängig von jedem anderen Anlass ausschließlich aufgrund des beabsichtigten oder bereits erfolgten Grenzübertritts durchgeführten Maßnahmen, die aus Grenzübertrittskontrollen und Grenzüberwachung bestehen;

10.      ‚Grenzübertrittskontrollen‘ die Kontrollen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen mit ihrem Fortbewegungsmittel und den von ihnen mitgeführten Sachen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen;

11.      ‚Grenzüberwachung‘ die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzübertrittskontrollen umgehen;

13.      ‚Grenzschutzbeamte‘ Beamte, die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften angewiesen sind, an einer Grenzübergangsstelle oder entlang einer Grenze bzw. in unmittelbarer Nähe einer Grenze nach Maßgabe dieser Verordnung und der nationalen Rechtsvorschriften grenzpolizeiliche Aufgaben wahrzunehmen;

15.      ‚Aufenthaltstitel‘

a)      alle Aufenthaltstitel, die die Mitgliedstaaten nach dem einheitlichen Muster gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates[(65)] ausstellen, sowie gemäß der Richtlinie 2004/38/EG ausgestellte Aufenthaltskarten;

b)      alle sonstigen von einem Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen ausgestellten Dokumente, die zum Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet berechtigen, wenn diese Dokumente gemäß Artikel 34 mitgeteilt und veröffentlicht wurden, ausgenommen

i)      vorläufige Aufenthaltstitel, die für die Dauer der Prüfung eines Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Buchstabe a oder eines Asylantrags ausgestellt worden sind und

ii)      Visa, die Mitgliedstaaten nach dem einheitlichen Format der Verordnung (EG) Nr. 1683/95 des Rates ausgestellt haben;

…“(66)

50.      Nach Art. 3 gilt der Schengener Grenzkodex für alle Personen, die die Binnengrenzen oder die Außengrenzen eines Mitgliedstaats überschreiten, unbeschadet a) der Rechte der Personen, die nach dem Unionsrecht Anspruch auf freien Personenverkehr haben, und b) der Rechte der Flüchtlinge und Personen, die um internationalen Schutz ersuchen, insbesondere hinsichtlich der Nichtzurückweisung.

51.      Nach Art. 3a müssen die Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Verordnung unter umfassender Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Union, einschließlich der Charta, der Genfer Konvention und der Grundrechte, handeln. Hierzu gehört die Verpflichtung, Beschlüsse auf Einzelfallbasis zu fassen.

52.      Art. 5 trägt die Überschrift „Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige“. Nach Art. 5 Abs. 1 gelten für eine solche Person, deren geplanter Aufenthalt bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen(67) beträgt, folgende Voraussetzungen: a) Besitz eines gültigen Reisedokuments, das sie zum Überschreiten der Grenze berechtigt, b) Besitz eines gültigen Visums, c) sie muss den Zweck und die Umstände ihres beabsichtigten Aufenthalts belegen, und sie muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem ihre Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben, d) sie darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein, und e) sie darf u. a. keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit darstellen(68).

53.      Abweichend von diesen Erfordernissen sieht Art. 5 Abs. 4 Buchst. c vor, dass „[e]in Mitgliedstaat … Drittstaatsangehörigen, die eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestatten [kann]. Liegt zu dem betreffenden Drittstaatsangehörigen eine Ausschreibung gemäß Absatz 1 Buchstabe d vor, so unterrichtet der Mitgliedstaat, der dessen Einreise in sein Hoheitsgebiet gestattet, die anderen Mitgliedstaaten darüber.“

54.      Nach Art. 8 können die Grenzschutzbeamten die an der Außengrenze durchzuführenden Kontrollen bei außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Umständen lockern. Solche außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Umstände liegen vor, wenn unvorhersehbare Ereignisse zu einem derart starken Verkehrsaufkommen führen, dass sich trotz Ausschöpfung aller personellen, räumlichen und organisatorischen Möglichkeiten unzumutbare Wartezeiten an der Grenzübergangsstelle ergeben.

55.      Nach Art. 8 Abs. 3 muss der Grenzschutzbeamte jedoch auch bei einer Lockerung der Kontrollen die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise abstempeln, im Einklang mit Art. 10 Abs. 1, wonach die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen bei der Einreise und bei der Ausreise systematisch abgestempelt werden müssen. Stempel sind anzubringen in a) den Grenzübertrittspapieren von Drittstaatsangehörigen, in denen sich ein gültiges Visum befindet, b) den Grenzübertrittspapieren von Drittstaatsangehörigen, denen von einem Mitgliedstaat an der Grenze ein Visum erteilt wird, und c) den Grenzübertrittspapieren von Drittstaatsangehörigen, die nicht der Visumpflicht unterliegen.

56.      Nach Art. 13 wird einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 erfüllt und der nicht zu dem in Art. 5 Abs. 4 genannten Personenkreis gehört, die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert. Davon unberührt bleibt die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte.

 SIS

57.      Das SIS ist im Wesentlichen ein Informationssystem, das die Kontrollen an den Außengrenzen und die Strafverfolgungszusammenarbeit in den Staaten, die Parteien des Schengener Grenzkodex sind (im Folgenden: Schengen-Staaten), unterstützt. Sein Hauptziel besteht darin, in diesen Staaten angesichts fehlender Kontrollen an den Binnengrenzen zur Wahrung der inneren Sicherheit beizutragen(69). Dies wird u. a. durch ein automatisiertes Abfrageverfahren gewährleistet, das für Grenzkontrollen Zugriff auf Personenausschreibungen gewährt. In Bezug auf Drittstaatsangehörige (d. h. Personen, die keine Unionsbürger oder Angehörige von Staaten sind, die aufgrund von Übereinkommen zwischen der Union und den betreffenden Staaten eine der Freizügigkeit der Unionsbürger gleichwertige Freizügigkeit genießen)(70) müssen die Mitgliedstaaten eine Ausschreibung in das SIS eingeben, wenn von einer zuständigen Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gericht eine Entscheidung über eine Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung getroffen wird, die auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt wird, die die Anwesenheit dieser Person darstellt(71). Ausschreibungen können auch eingegeben werden, wenn solche Entscheidungen darauf beruhen, dass der Drittstaatsangehörige ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgehoben oder ausgesetzt worden sein darf(72).

 Verordnung (EG) Nr. 1683/95

58.      Die Verordnung (EG) Nr. 1683/95 des Rates(73) legt eine einheitliche Gestaltung (Aufkleber) für die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Visa fest; diese müssen den Spezifikationen im Anhang der Verordnung entsprechen. Zu ihnen gehören „Sicherheitsmerkmale“, wie etwa die Integration eines Lichtbilds, ein optisch variables Zeichen, ein Ländercode des ausstellenden Mitgliedstaats, das Wort „Visum“ und eine neunstellige nationale Nummer.

 Verordnung (EG) Nr. 539/2001

59.      Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates enthält die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen bzw. deren Staatsangehörige von der Visumpflicht befreit sind(74). Die Visumpflicht gilt unbeschadet des Europäischen Übereinkommens über die Aufhebung des Sichtvermerkzwangs für Flüchtlinge(75). Drittstaatsangehörige der in Anhang II aufgeführten Staaten benötigen keine Visa für den kurzfristigen Aufenthalt. Die Mitgliedstaaten können ferner bei bestimmten begrenzten Personengruppen Ausnahmen von der Visumpflicht vorsehen(76).

 Visa-Informationssystem

60.      Das Visa-Informationssystem (im Folgenden: VIS) wurde durch die Entscheidung 2004/512/EG des Rates(77) eingerichtet. Nach Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 767/2008(78) ermöglicht das VIS den Schengen-Staaten den Austausch von Visa-Daten über Anträge auf Erteilung eines Visums für einen kurzfristigen Aufenthalt und die diesbezüglichen Entscheidungen. Nach Art. 2 Buchst. f gehört es zu den Zielen des VIS, die Anwendung der Dublin‑II-Verordnung zu erleichtern. In Art. 4 wird ein „Visum“ unter Verweis auf das SDÜ definiert. Eine Visummarke bezeichnet das einheitliche Visumformat im Sinne der Verordnung Nr. 1683/95. Der Ausdruck „Reisedokument“ bezeichnet einen Reisepass oder ein anderes gleichwertiges Dokument, das seinen Inhaber zum Überschreiten der Außengrenzen berechtigt und in dem ein Visum angebracht werden kann.

61.      Nach Art. 21 können die zuständigen Behörden ausschließlich zum Zweck der Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, wenn zu klären ist, ob ein Mitgliedstaat ein Visum ausgestellt hat oder ob die Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, „die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ (im Sinne der jetzigen Art. 12 und 13 der Dublin‑III-Verordnung), mit den Fingerabdrücken des betreffenden Asylbewerbers eine Abfrage in der Datenbank durchführen.

 Verordnung Nr. 810/2009

62.      Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 810/2009 werden mit dieser Verordnung die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen festgelegt. Die Anforderungen gelten für Drittstaatsangehörige, die beim Überschreiten der Außengrenzen eines Mitgliedstaats im Besitz eines gültigen Visums sein müssen.

63.      Art. 2 definiert einen Drittstaatsangehörigen als jede Person, die nicht Unionsbürger ist. Ein Visum ist die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick entweder auf die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder auf einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum ab dem Zeitpunkt der ersten Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen von Mitgliedstaaten. Eine „Visummarke“ ist das einheitliche Visumformat im Sinne der Verordnung Nr. 1683/95. Anerkannte Reisedokumente sind von einem oder mehreren Mitgliedstaaten für die Anbringung von Visa anerkannte Reisedokumente(79).

 Asylverfahrensrichtlinie

64.      Wie ihr Titel nahelegt, werden mit der Asylverfahrensrichtlinie gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes nach der Anerkennungsrichtlinie eingeführt. Nach Art. 3 gilt die Richtlinie für alle darauf gerichteten Anträge, die im Unionsgebiet gestellt werden.

65.      Nach Art. 31 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich nach dem in der Richtlinie vorgesehenen Prüfungsverfahren bearbeitet werden(80). Grundsätzlich soll das Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht werden. Soweit Anträge jedoch gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Dublin‑III-Verordnung zu behandeln sind, beginnt die Sechsmonatsfrist, sobald der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat gemäß jener Verordnung bestimmt ist(81). Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen durchgeführt wird, wenn ein Antragsteller u. a. „unrechtmäßig“ in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einreist oder sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke gemäß der Eurodac-Verordnung nachzukommen(82).

 Rückführungsrichtlinie

66.      Die Richtlinie 2008/115/EG(83) enthält nach ihrem Art. 1 gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Unions- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.

67.      Nach Art. 2 findet die Richtlinie auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige Anwendung. Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die einem Einreiseverbot nach Art. 13 des Schengener Grenzkodex unterliegen oder die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftweg aufgegriffen bzw. abgefangen werden und die anschließend nicht die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten.

68.      Nach Art. 3 sind Drittstaatsangehörige alle Personen, die nicht Unionsbürger sind und die nicht das Recht auf freien Personenverkehr im Sinne von Art. 2 Abs. 5 des Schengener Grenzkodex genießen. Der Ausdruck „illegaler Aufenthalt“ bezeichnet „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats“(84).

 Vorabentscheidungsersuchen

69.      Mit den vorliegenden beiden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof um Hinweise zur Auslegung der Dublin‑III-Verordnung und des Schengener Grenzkodex ersucht. Bei der Rechtssache A. S.(85) handelt es sich um ein Ersuchen des Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien). Die Rechtssache Jafari(86) ist vom Verwaltungsgerichtshof Wien (Österreich) vorgelegt worden.

70.      Die von den beiden vorlegenden Gerichten gestellten Fragen weisen Querverbindungen und erhebliche Überschneidungen auf. Ich werde beide Rechtssachen daher in gemeinsamen Schlussanträgen behandeln. Den Begriff „Migration“ werde ich im allgemeinen Sinne zur Beschreibung des Zustroms von Drittstaatsangehörigen zwischen September 2015 und März 2016 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) verwenden. Dieser Zustrom schloss sowohl Menschen ein, die Flüchtlinge waren oder beabsichtigten, in der Union internationalen Schutz zu beantragen, als auch Migranten im allgemeineren Wortsinne(87).

 Rechtssache C‑490/16, A. S.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

71.      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts reiste Herr A. S., ein syrischer Staatsangehöriger, aus Syrien in den Libanon und begab sich von dort in die Türkei und weiter nach Griechenland, in die EJR Mazedonien, nach Serbien, Kroatien und Slowenien. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass er Serbien organisiert in einem sogenannten „Migrantentreck“ durchquerte und von Serbien aus nach Kroatien einreiste und dass er an dem für den Übertritt über die Staatsgrenze bestimmten Ort von serbischen staatlichen Stellen begleitet wurde. Er wurde den kroatischen nationalen Grenzkontrollbehörden übergeben. Diese verweigerten ihm nicht die Einreise nach Kroatien, leiteten kein Verfahren zu seiner Ausweisung aus dem kroatischen Hoheitsgebiet ein und prüften auch nicht, ob er die Voraussetzungen für eine legale Einreise nach Kroatien erfüllte. Vielmehr organisierten die kroatischen Behörden die Weiterbeförderung an die slowenische Staatsgrenze.

72.      Am 20. Februar 2016 reiste Herr A. S. mit dem Zustrom von Menschen im „Migrantentreck“ an der Grenzübergangsstelle Dobova nach Slowenien ein, wo er registriert wurde. Am nächsten Tag (21. Februar 2016) wurde er zusammen mit anderen Drittstaatsangehörigen, die auf der Westbalkanroute unterwegs waren, zu den österreichischen Sicherheitsbehörden an der Grenze von Slowenien nach Österreich gebracht und von diesen nach Slowenien zurückgeschickt. Am 23. Februar 2016 stellte Herr A. S. bei den slowenischen Behörden einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag richteten die slowenischen Behörden nach Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen den beiden Ländern über die Auslieferung und Rückführung illegal in das slowenische Hoheitsgebiet eingereister oder dort aufhältiger Personen (eines völkerrechtlichen Abkommens) ein Schreiben an die kroatischen Behörden. Slowenien ersuchte Kroatien um die Wiederaufnahme von 66 Menschen, zu denen auch Herr A. S. gehörte. Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 bestätigten die kroatischen Behörden ihre Bereitschaft, diese Personen wiederaufzunehmen. Ein förmliches Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin‑III-Verordnung wurde von Slowenien am 19. März 2016 gestellt. Am 18. Mai 2016 bestätigten die kroatischen Behörden, dass Kroatien der zuständige Mitgliedstaat sei.

73.      Mit Entscheidung vom 14. Juni 2016 teilte das slowenische Innenministerium (im Folgenden: slowenisches Ministerium) Herrn A. S. mit, dass sein Antrag auf internationalen Schutz nicht von Slowenien geprüft werde und dass er nach Kroatien als dem zuständigen Mitgliedstaat überstellt werde (im Folgenden: Entscheidung des slowenischen Ministeriums).

74.      Diese Entscheidung beruhte auf dem Kriterium in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung. Nach dieser Bestimmung ist, wenn ein Drittstaatsangehöriger die Grenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Ob im Einzelfall ein illegaler Grenzübertritt vorliegt, wird anhand der in den beiden Verzeichnissen in Anhang II der Dublin-Durchführungsverordnung bezeichneten Beweise oder Indizien festgestellt, zu denen etwaige in Eurodac verfügbare Daten gehören.

75.      Das slowenische Ministerium vertrat die Ansicht, dass Herr A. S. im Februar 2016 illegal nach Kroatien eingereist sei. Es berücksichtigte auch, dass die kroatischen Behörden am 18. Mai 2016 das Gesuch der slowenischen Behörden um Übernahme des Antrags von Herrn A. S. nach der Dublin‑III-Verordnung auf der Grundlage des Kriteriums in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung positiv beantwortet hätten, so dass Kroatien der für die Prüfung des Antrags von Herrn A. S. zuständige Mitgliedstaat sei(88). Das Eurodac-System habe in Bezug auf Herrn A. S. zwar kein positives Ergebnis für Kroatien ergeben, doch sei dies für die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht entscheidend. Die nationalen Behörden hätten sich beim Grenzübertritt von Personen des „Migrantentrecks“ über die Staatsgrenze nach Kroatien ebenso verhalten wie in den Fällen, in denen die Migranten im Eurodac-System registriert gewesen seien.

76.      Gegen diese Entscheidung erhob Herr A. S. am 27. Juni 2016 Klage vor dem Upravno sodišče (Verwaltungsgericht, Slowenien) mit der Begründung, dass das Kriterium in Art. 13 Abs. 1 falsch angewendet worden sei. Das Verhalten der kroatischen Behörden müsse dahin ausgelegt werden, dass er legal nach Kroatien eingereist sei.

77.      Diese Klage wurde am 4. Juli 2016 abgewiesen; Herr A. S. konnte jedoch eine Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung des Ministeriums erwirken.

78.      Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte er am 7. Juli 2016 Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Dieses hält, um darüber entscheiden zu können, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags von Herrn A. S. auf internationalen Schutz zuständig ist, Hinweise zur Auslegung der Voraussetzung in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung für nötig, „dass ein Antragsteller … die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“. Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob die Formulierung „illegal überschritten“ unabhängig und autonom oder in Verbindung mit Art. 3 Nr. 2 der Rückführungsrichtlinie und Art. 5 des Schengener Grenzkodex auszulegen ist. Es möchte ferner wissen, ob der Umstand, dass Herr A. S. die Grenze von Serbien nach Kroatien unter der Aufsicht der kroatischen Behörden überschritten hat, obwohl er die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllte (weil er nicht im Besitz der erforderlichen Dokumente, etwa eines gültigen Visums, war), bei der Beurteilung relevant ist, ob seine Einreise in das Unionsgebiet illegal war.

79.      Das vorlegende Gericht ersucht weiterhin um Hinweise zur Anwendung bestimmter prozessualer Aspekte der Dublin‑III-Verordnung, nämlich dazu, ob sich das Recht von Herrn A. S. auf ein wirksames Rechtsmittel nach Art. 27 dieser Verordnung auf die rechtliche Bewertung der Frage erstreckt, wie die Begriffe der illegalen oder unrechtmäßigen Einreise in einen Mitgliedstaat in Art. 13 Abs. 1 anzuwenden sind. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, bedarf sodann der Klärung, wie die Fristen in Art. 13 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung anzuwenden sind. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die Frist weiterläuft, wenn ein Rechtsbehelf nach Art. 27 Abs. 1 eingelegt wird, insbesondere wenn eine Überstellung nach Art. 27 Abs. 3 ausgeschlossen ist.

80.      Das vorlegende Gericht hat daher am 13. September 2016 um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1.      Bezieht sich der gerichtliche Rechtsschutz nach Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung auch auf die Auslegung der Voraussetzungen des Kriteriums in Art. 13 Abs. 1, wenn es um eine Entscheidung geht, wonach der Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz nicht prüfen wird, und ein anderer Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags des Antragstellers auf derselben Grundlage bereits übernommen hat und der Antragsteller dem widerspricht?

2.      Ist die Voraussetzung des illegalen Grenzübertritts in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung unabhängig und autonom auszulegen, oder ist sie in Verbindung mit Art. 3 Nr. 2 der Rückführungsrichtlinie und Art. 5 des Schengener Grenzkodex, die den illegalen Grenzübertritt definieren, auszulegen, und ist diese Auslegung im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 der Verordnung anzuwenden?

3.      Ist je nach Antwort auf die zweite Frage der Begriff des illegalen Grenzübertritts in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung unter den Umständen des vorliegenden Falles dahin auszulegen, dass es sich nicht um einen illegalen Grenzübertritt handelt, wenn der Mitgliedstaat den Grenzübertritt hoheitlich und zum Zweck der Durchreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union organisiert?

4.      Falls die dritte Frage bejaht wird, ist dann Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass er die Rückführung eines Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, in dem er zuerst in das Gebiet der Europäischen Union eingereist ist, ausschließt?

5.      Ist Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass die Fristen in Art. 13 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 2 nicht laufen, wenn der Antragsteller von seinem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Gebrauch macht, insbesondere, wenn dies auch eine Vorabentscheidungsfrage einschließt oder wenn das nationale Gericht auf die Antwort des Gerichtshofs auf eine solche Frage wartet, die in einem anderen Fall gestellt wurde? Alternativ, laufen in einem solchen Fall die Fristen, ohne dass der zuständige Mitgliedstaat berechtigt ist, die Aufnahme abzulehnen?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

81.      Das vorlegende Gericht hat beantragt, das Eilvorabentscheidungsverfahren durchzuführen. Der Gerichtshof hat diesen Antrag mit Beschluss vom 27. September 2016 abgelehnt. Am 22. Dezember 2016 wurde jedoch entschieden, die Rechtssache, die hinsichtlich der durch sie aufgeworfenen Fragen Gemeinsamkeiten mit der dem beschleunigten Verfahren unterworfenen Rechtssache C‑646/16, Jafari, aufweist, vorrangig zu behandeln.

82.      Schriftliche Erklärungen sind von Herrn A. S., Griechenland, Ungarn, Slowenien, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz sowie der Europäischen Kommission eingereicht worden. Aufgrund der Ähnlichkeiten mit der Rechtssache C‑646/16, Jafari, hat der Gerichtshof entschieden, eine gemeinsame mündliche Verhandlung für beide Rechtssachen durchzuführen(89).

 Rechtssache C‑646/16, Jafari

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

83.      Frau Khadija Jafari und Frau Zainab Jafari sind afghanische Staatsangehörige. Sie sind Schwestern. Frau Khadija Jafari hat einen 2014 geborenen Sohn, und Frau Zainab Jafari hat zwei 2011 und 2007 geborene Töchter. Die Kinder sind ebenfalls afghanische Staatsangehörige.

84.      Die beiden Schwestern und ihre Kinder (im Folgenden: Familien Jafari) flohen aus Afghanistan, weil ihre Ehemänner von den Taliban abgeholt worden waren und in der Taliban-Armee kämpfen sollten. Dies lehnten sie ab, woraufhin sie von den Taliban getötet wurden. Die Schwiegerväter der Schwestern sperrten die Frauen sodann ein. Der eine hielt es aus religiösen Gründen für angebracht, seine Schwiegertochter einzusperren; der andere traf diese Maßnahme zur Sicherheit seiner Schwiegertochter. Dem Vater der Schwestern gelang es, ihre Flucht aus Afghanistan zu organisieren. Die Schwestern befürchten, im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan wieder von ihren jeweiligen Familien eingesperrt zu werden; außerdem bestehe für sie die Gefahr, zu Tode gesteinigt zu werden.

85.      Die Familien Jafari reisten im Dezember 2015 aus Afghanistan aus. Mit Hilfe eines „Schleppers“ gelangten sie zunächst über den Iran (wo sie sich drei Monate aufhielten) und die Türkei (wo sie sich etwa 20 Tage aufhielten) nach Griechenland (wo sie sich drei Tage aufhielten). Die griechischen Behörden erhoben von Frau Zainab Jafari biometrische Daten und übermittelten ihre Fingerabdruckdaten über Eurodac. Die Familien Jafari durchquerten sodann die EJR Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien, bevor sie schließlich nach Österreich gelangten. Zwischen ihrer Ausreise aus Griechenland und ihrer Wiedereinreise in das Unionsgebiet lagen nicht mehr als fünf Tage.

86.      Ab dem 18. November 2015 hatte Kroatien begonnen, den Zustrom von Drittstaatsangehörigen zu filtern. Es gestattete nur noch Menschen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien – die Aussicht auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus hatten – die Durchreise durch sein Hoheitsgebiet. Auf die Familien Jafari traf dies zu. In Kroatien baten sie darum, zur Behandlung einer der Töchter von Frau Zainab Jafari einen Arzt konsultieren zu dürfen. Ihnen wurde keine Hilfe zuteil. Sie warteten eine Stunde auf einen Bus und wurden dann über die Grenze nach Slowenien gebracht.

87.      Am 15. Februar 2016 erstellten die zuständigen Behörden in Slowenien ein Dokument, in dem die persönlichen Daten der Familien Jafari festgehalten wurden. Für Frau Zainab Jafari wurde darin „NEMČIJA/DEU“ („Reiseziel Deutschland“) angegeben. Für Frau Khadija Jafari waren die Buchstaben „DEU“ per Hand durchgestrichen und handschriftlich durch „AUT“ (also „NEMČIJA/AUT“, „Reiseziel Österreich“) ersetzt worden(90). Am gleichen Tag überquerten die Schwestern gemeinsam die österreichische Grenze und beantragten in diesem Land für sich und ihre Kinder internationalen Schutz. Die österreichischen Behörden behaupten, sie hätten ursprünglich angegeben, nach Schweden reisen zu wollen. Dies wird von den Schwestern jedoch bestritten.

88.      Die zuständige österreichische Behörde (das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden: Bundesamt oder BFA) prüfte die Angaben der Schwestern zu ihrer Flucht aus Afghanistan nicht nach, da sie der Ansicht war, dass Kroatien der für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat sei. Nachdem sich das BFA zunächst an die slowenischen Behörden gewandt hatte, ersuchte es mit Schreiben vom 16. April 2016 die zuständige kroatische Behörde um Aufnahme der Schwestern und ihrer Kinder nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Dublin‑III-Verordnung. Da die Familien Jafari über Kroatien illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist seien, sei dieser Mitgliedstaat für die Prüfung ihrer Anträge zuständig. Die zuständige kroatische Behörde antwortete darauf nicht. Daher teilte das BFA ihr mit Schreiben vom 18. Juni 2016 mit, dass nach Art. 22 Abs. 7 der Dublin‑III-Verordnung die Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz nunmehr unwiderruflich bei Kroatien liege.

89.      Mit Bescheiden vom 5. September 2016 wies das Bundesamt die Anträge auf internationalen Schutz als „unzulässig“ zurück, stellte fest, dass nach Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Kroatien für die Prüfung der Anträge zuständig sei, und erließ eine Ausweisungsverfügung, wonach die Familien Jafari nach Kroatien zurückgeführt werden sollten. In seiner Begründung ging das Bundesamt davon aus, dass die Schwestern und ihre Kinder in Griechenland erstmals in das Unionsgebiet eingereist seien. Sie hätten dann jedoch das Unionsgebiet wieder verlassen und seien anschließend in Kroatien erneut in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist. Die Einreisen nach Griechenland und Kroatien seien illegal gewesen. In Griechenland bestünden im Asylverfahren allerdings fortdauernde systemische Mängel. Daher sei in Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung Kroatien als der zuständige Mitgliedstaat anzusehen. Im dortigen Asylsystem seien keine systemischen Mängel bekannt. Die Schwestern bestreiten dies(91).

90.      Sowohl die Verwaltungsbehörden als auch das Bundesverwaltungsgericht (Österreich), das über ihre Rechtsbehelfe gegen die angefochtenen Entscheidungen entschied, hielten die Angaben der Familien Jafari und die erteilten Informationen zu ihrer Reise aus Afghanistan für plausibel. Ferner ist unstreitig, dass sich die Odyssee der Familien Jafari während des Massenzustroms von Drittstaatsangehörigen in das Unionsgebiet über den Westbalkan von September 2015 bis März 2016 ereignete.

91.      Mit Entscheidungen vom 10. Oktober 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der Familien Jafari ab. Darin schloss es sich im Wesentlichen den Erwägungen des BFA an. Es stellte fest, dass die Familien Jafari bei der Einreise von Serbien nach Kroatien die Grenze ohne Einreisevisum überschritten hätten, obwohl sie als afghanische Staatsangehörige ein Visum benötigt hätten. Die Einreise über diese Grenze sei somit illegal gewesen. Soweit feststellbar, sei auch die Einreise nach Österreich ohne Visum und daher ebenfalls „illegal“ erfolgt.

92.      Dagegen haben die beiden Schwestern (nicht aber ihre Kinder) Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht eingelegt. Sie machen geltend, dass die besonderen Umstände ihrer jeweiligen Fälle bei der Feststellung berücksichtigt werden müssten, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei. Sie seien gemäß Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex in das Unionsgebiet eingereist (d. h. aus humanitären Gründen). Der Grenzübertritt sei daher keine „illegale Einreise“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung gewesen. Dies sei der Sinn der Übereinkunft vom 18. Februar 2016, wonach in das Unionsgebiet einreisenden Drittstaatsangehörigen die Durchreise durch Mitgliedstaaten gestattet worden sei, um an den Ort zu gelangen, an dem sie Asyl hätten beantragen wollen(92). Nach Art. 14 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung sei daher Österreich der für die Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat.

93.      Dem vorlegenden Gericht war bekannt, dass vom Vrhovno sodišče Republike Slovenije (Oberster Gerichtshof der Republik Slowenien) in der Rechtssache C‑490/16, A. S., bereits ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden war. Seiner Auffassung nach unterscheiden sich die den Anträgen der Familien Jafari auf internationalen Schutz zugrunde liegenden Umstände jedoch von denjenigen der Rechtssache A. S. Im Fall der Familien Jafari habe sich die zuständige kroatische Behörde nicht zu den Aufnahmegesuchen nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Dublin‑III-Verordnung geäußert. Das vorlegende Gericht hält Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung für das einschlägige Kriterium des Kapitels III zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats. In dieser Verordnung werde jedoch das „illegale Überschreiten“ der Grenze nicht definiert. Das vorlegende Gericht ersucht daher um Hinweise dazu, ob dieser Begriff unabhängig oder in Verbindung mit anderen Unionsrechtsakten über Anforderungen an Drittstaatsangehörige, die die Außengrenze der Union überschreiten, wie etwa denjenigen des Schengener Grenzkodex, auszulegen ist. Soweit die kroatischen Behörden den Familien Jafari die Einreise in ihr Land gestatteten und ihre Beförderung an die slowenische Grenze beaufsichtigten, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein solches Verhalten de facto als „Visum“ im Sinne von Art. 2 Buchst. m und Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung anzusehen ist.

94.      Nach Ansicht der Familien Jafari ist Art. 14 (Befreiung vom Visazwang) das einschlägige Kriterium des Kapitels III. Das vorlegende Gericht ist von der Richtigkeit dieser Ansicht nicht überzeugt. Es möchte daher wissen, ob diese Bestimmung oder Art. 13 Abs. 1 das geeignete Kriterium zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ist. Im Hinblick auf die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Urteilen Ghezelbash und Karim(93) weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich ein Antragsteller im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung aufgrund der Dublin‑III-Verordnung auf eine falsche Anwendung der Dublin‑III-Kriterien berufen könne. Daher müsse geklärt werden, welches Kriterium richtigerweise anzuwenden sei.

95.      Das vorlegende Gericht stellt ferner das Vorbringen der Familien Jafari in Frage, wonach sie unter Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex fielen. Es ersucht infolgedessen auch um eine Stellungnahme des Gerichtshofs zur richtigen Auslegung dieser Bestimmung.

96.      Das vorlegende Gericht stellt deshalb folgende Fragen:

1.      Ist für das Verständnis von Art. 2 Buchst. m, Art. 12 und Art. 13 der Dublin‑III-Verordnung auf andere Rechtsakte, zu denen die Dublin‑III-Verordnung Berührungspunkte aufweist, Bedacht zu nehmen, oder ist diesen Bestimmungen eine davon losgelöste Bedeutung beizumessen?

2.      Für den Fall, dass die Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung losgelöst von anderen Rechtsakten zu interpretieren sind:

a)      Ist unter den Voraussetzungen der Ausgangsfälle, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in eine Zeit fallen, in der die nationalen Behörden der maßgeblich involvierten Staaten mit einer außergewöhnlich hohen Anzahl von Menschen, die die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet verlangten, konfrontiert waren, die von einem Mitgliedstaat faktisch geduldete Einreise in sein Hoheitsgebiet, die allein dem Zweck der Durchreise durch eben diesen Mitgliedstaat und der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat dienen sollte, als „Visum“ im Sinn des Art. 2 Buchst. m und des Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung anzusehen?

Wenn Frage 2 a zu bejahen ist:

b)      Ist im Hinblick auf die faktische Duldung der Einreise zum Zweck der Durchreise davon auszugehen, dass das „Visum“ mit der Ausreise aus dem betreffenden Mitgliedstaat seine Gültigkeit verloren hat?

c)      Ist im Hinblick auf die faktische Duldung der Einreise zum Zweck der Durchreise davon auszugehen, dass das „Visum“ immer noch gültig ist, wenn die Ausreise aus dem betreffenden Mitgliedstaat noch nicht erfolgt ist, oder verliert das „Visum“ ungeachtet der unterbliebenen Ausreise seine Gültigkeit zu jenem Zeitpunkt, in dem ein Antragsteller sein Vorhaben, in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu wollen, endgültig aufgibt?

d)      Führt die Aufgabe des Vorhabens durch den Antragsteller, in den ursprünglich als Ziel ins Auge gefassten Mitgliedstaat reisen zu wollen, dazu, dass im Sinn des Art. 12 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung von der Vornahme einer betrügerischen Handlung nach Ausstellung des „Visums“ zu sprechen ist, so dass der das „Visum“ ausstellende Mitgliedstaat nicht zuständig ist?

Wenn Frage 2 a zu verneinen ist:

e)      Ist die in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung enthaltene Wendung „aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ so zu verstehen, dass unter den angeführten besonderen Voraussetzungen der Ausgangsfälle ein illegales Überschreiten der Außengrenze als nicht gegeben anzusehen ist?

3.      Für den Fall, dass die Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung unter Bedachtnahme auf andere Rechtsakte zu interpretieren sind:

a)      Ist für die Beurteilung, ob im Sinn des Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ein „illegales Überschreiten“ der Grenze vorliegt, besonders darauf Bedacht zu nehmen, ob nach dem Schengener Grenzkodex – insbesondere nach dem für die Ausgangsfälle infolge des Einreisezeitpunkts maßgeblichen Art. 5 dieses Rechtsakts – die Einreisevoraussetzungen gegeben sind?

Falls die Frage 3 a zu verneinen ist:

b)      Auf welche Bestimmungen des Unionsrechts ist bei der Beurteilung, ob im Sinn des Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ein „illegales Überschreiten“ der Grenze vorliegt, besonders Bedacht zu nehmen?

Falls die Frage 3 a zu bejahen ist:

c)      Ist unter den Voraussetzungen der Ausgangsfälle, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in eine Zeit fallen, in der die nationalen Behörden der maßgeblich involvierten Staaten mit einer außergewöhnlich hohen Anzahl von Menschen, die die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet verlangten, konfrontiert waren, die ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalls von einem Mitgliedstaat faktisch geduldete Einreise in sein Hoheitsgebiet, die allein dem Zweck der Durchreise durch eben diesen Mitgliedstaat und der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat dienen sollte, als Gestattung der Einreise im Sinn des Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex anzusehen?

Falls die Fragen 3 a und 3 c zu bejahen sind:

d)      Führt die Gestattung der Einreise nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex dazu, dass von einer einem Visum im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Buchst. b des Schengener Grenzkodex gleichzuhaltenden Erlaubnis und sohin von einem „Visum“ gemäß Art. 2 Buchst. m der Dublin‑III-Verordnung auszugehen ist, so dass bei der Anwendung der Bestimmungen zur Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Dublin‑III-Verordnung auch deren Art. 12 zu berücksichtigen ist?

Falls die Fragen 3 a, 3 c und 3 d zu bejahen sind:

e)      Ist im Hinblick auf die faktische Duldung der Einreise zum Zweck der Durchreise davon auszugehen, dass das „Visum“ mit der Ausreise aus dem betreffenden Mitgliedstaat seine Gültigkeit verloren hat?

f)      Ist im Hinblick auf die faktische Duldung der Einreise zum Zweck der Durchreise davon auszugehen, dass das „Visum“ immer noch gültig ist, wenn die Ausreise aus dem betreffenden Mitgliedstaat noch nicht erfolgt ist, oder verliert das „Visum“ ungeachtet der unterbliebenen Ausreise seine Gültigkeit zu jenem Zeitpunkt, in dem ein Antragsteller sein Vorhaben, in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu wollen, endgültig aufgibt?

g)      Führt die Aufgabe des Vorhabens durch den Antragsteller, in den ursprünglich als Ziel ins Auge gefassten Mitgliedstaat reisen zu wollen, dazu, dass im Sinn des Art. 12 Abs. 5 der Dublin‑III-Verordnung von der Vornahme einer betrügerischen Handlung nach Ausstellung des „Visums“ zu sprechen ist, so dass der das „Visum“ ausstellende Mitgliedstaat nicht zuständig ist?

Falls die Fragen 3 a und 3 c zu bejahen sind, aber die Frage 3 d zu verneinen ist:

h)      Ist die in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung enthaltene Wendung „aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ so zu verstehen, dass unter den angeführten besonderen Voraussetzungen der Ausgangsfälle der als Gestattung der Einreise im Sinn des Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex zu qualifizierende Grenzübertritt nicht als illegales Überschreiten der Außengrenze anzusehen ist?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

97.      Das vorlegende Gericht hat nach Art. 105 der Verfahrensordnung beantragt, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Präsidenten vom 15. Februar 2017 stattgegeben.

98.      Schriftliche Erklärungen sind von den Familien Jafari, Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien, der Schweiz und der Kommission eingereicht worden.

99.      In der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2017, die nach Art. 77 der Verfahrensordnung gemeinsam mit der Rechtssache C‑490/16, A. S., stattgefunden hat, haben sich Herr A. S. und die Familien Jafari sowie Österreich, Frankreich, Griechenland, Italien, das Vereinigte Königreich und die Kommission mündlich geäußert.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

 Dublin-System: ein kurzer Überblick

100. Das Dublin-System schafft ein Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats(94). Aus der für Drittstaatsangehörige bestehenden Reisefreiheit im Schengen-Raum(95) ergaben sich potenzielle Probleme, so dass ein Verfahren eingeführt wurde, um sicherzustellen, dass die Zuständigkeit für die Prüfung jedes Asylantrags grundsätzlich bei nur einem teilnehmenden Staat liegt. Zu den Zielen gehört u. a., den zuständigen Mitgliedstaat rasch zu bestimmen, „forum shopping“(96) zu vermeiden und ihm entgegenzuwirken, Sekundärmigration(97) zu vermeiden und ihr entgegenzuwirken sowie das Phänomen von Asylbewerbern „im Orbit“ zu vermeiden – d. h. eine Situation, in der sich jeder Mitgliedstaat für unzuständig erklärt, weil ein anderer Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat und daher zuständig sei(98). Die Eurodac-Verordnung stützt die Dublin‑III-Verordnung.

101. Die erste Gruppe von Kriterien in Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung nimmt eine Zuständigkeitszuweisung für die Prüfung von Anträgen auf der Grundlage der Achtung der Einheit der Familie vor(99). Mit den nachfolgenden Kriterien soll bestimmt werden, welcher Staat zur Einreise oder zum Aufenthalt des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten im größten Umfang beigetragen hat, indem er ein Visum oder einen Aufenthaltstitel ausgestellt, seine Grenzen nicht sorgfältig kontrolliert oder den betreffenden Drittstaatsangehörigen vom Visazwang befreit hat(100).

 Schengen

102. Nach dem Schengener Grenzkodex haben die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur Wahrung der Integrität der Außengrenze der Union, die nur an bestimmten zugelassenen Stellen überschritten werden darf. Drittstaatsangehörige müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen(101). Ein Drittstaatsangehöriger, der die Grenze illegal überschritten hat und über kein Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verfügt, muss aufgegriffen und den Rückkehrverfahren unterzogen werden(102). In der Praxis möchten Drittstaatsangehörige, die an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten eintreffen, dort häufig keinen Asylantrag stellen und weigern sich, einem etwaigen Begehren der zuständigen Behörden nach Abnahme ihrer Fingerabdrücke Folge zu leisten(103). Von da an könnten die betreffenden Personen grundsätzlich im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie als illegal aufhältige Drittstaatsangehörige bezeichnet werden, die die Einreisevoraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllen(104).

103. Das bevorzugte Verfahren nach der Rückführungsrichtlinie ist die freiwillige Rückkehr. Im Fall der Rückführung muss der betreffende Mitgliedstaat ein unionsweites Einreiseverbot verhängen und kann diese Information in das SIS eingeben.

104. Das Dublin-System, der Schengen-Besitzstand und die Rückführungsrichtlinie bilden offenbar ein umfassendes Maßnahmenpaket. Die beiden vorliegenden Rechtssachen decken jedoch die Lücken und praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Regeln auf, wenn eine außergewöhnlich große Zahl von Menschen auf dem Landweg, statt auf dem Luftweg, in relativ kurzer Zeit in die Union einreist, um dort Schutz zu suchen. Die Umstände, die von September 2015 bis März 2016 bestanden, habe ich bereits dargestellt(105).

 Allgemeine Themen der Fragen der vorlegenden Gerichte

105. Die von den beiden vorlegenden Gerichten gestellten Fragen betreffen eine Reihe gemeinsamer Themen.

106. Erstens, welche allgemeine Methodik sollte bei der Auslegung der Kriterien in den Art. 12, 13 und 14 der Dublin‑III-Verordnung Anwendung finden? Insbesondere, sind diese Bestimmungen in Verbindung mit dem Schengen-Besitzstand auszulegen(106)? Zweitens, sind die Mitwirkung und die Erleichterungen seitens der EU-Transitstaaten (insbesondere Kroatien und Slowenien) de facto als Visa im Sinne von Art. 2 Buchst. m und Art. 12 dieser Verordnung anzusehen? (Auch wenn diese Frage in der Rechtssache A. S. nicht ausdrücklich gestellt wird, könnte die Antwort des Gerichtshofs dem vorlegenden Gericht bei der Entscheidung im Ausgangsverfahren von Nutzen sein(107).) Drittens, wie ist Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung auszulegen? Insbesondere, wie ist die Formulierung „die [G]renze illegal überschritten hat“ zu verstehen, und in welchem Verhältnis steht (gegebenenfalls) diese Bestimmung zu Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex und Art. 3 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie(108)? Viertens, fallen die Drittstaatsangehörigen, denen während der humanitären Krise auf dem Westbalkan die Einreise in den Schengen-Raum gestattet wurde, unter die Ausnahme von den Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex(109)? Fünftens, was ist eine „visafreie Einreise“ im Sinne von Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung?

107. In der Rechtssache A. S. wird der Gerichtshof ferner um Prüfung bestimmter prozessualer Aspekte der Dublin‑III-Verordnung ersucht(110). Schließlich sind die praktischen Folgen der Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen für die beiden Rechtssachen zu beurteilen(111).

108. Diese Fragen werden in einem Kontext gestellt, in dem ein Mitgliedstaat die Anwendung der Dublin‑III-Verordnung eine Zeitlang ausgesetzt haben soll, während andere durch die Errichtung von Absperrungen an ihren Binnengrenzen zu anderen, ebenfalls zum Schengen-Raum gehörenden Mitgliedstaaten der Union „Schengen ausgesetzt“ haben sollen(112).

109. Die Aufgabe des Gerichthofs ist ausschließlich die eines Gerichts; sie besteht nach Art. 19 Abs. 1 EUV darin, „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ zu sichern. Es ist selbstverständlich nicht Sache des Gerichtshofs, die politische Arena zu betreten, um sich mit der (heiklen) Frage auseinanderzusetzen, wie angesichts der Geografie Europas Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, unter den Mitgliedstaaten der Union verteilt werden sollten. Die noch nie dagewesenen Umstände, die von September 2015 bis März 2016 auf dem Westbalkan herrschten, warfen gleichwohl ein Schlaglicht auf das Missverhältnis zwischen der Geografie und den detaillierten Kriterien des Kapitels III der Dublin‑III-Verordnung. Offen gesagt wird der Gerichtshof jetzt ersucht, eine rechtliche Lösung zu liefern und sie rückwirkend einer Sachlage anzupassen, für die die geltenden Rechtsregeln nicht ausgelegt sind. Welche Lösung auch gewählt wird, sie dürfte mancherorts kontrovers gesehen werden.

 Erster Punkt: bei der Auslegung der Kriterien in den Art. 12, 13 und 14 der Dublin‑III-Verordnung anzuwendende Methodik

110. Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen A. S. und Jafari möchten geklärt wissen, ob andere, mit der Dublin‑III-Verordnung verbundene Unionsrechtsakte zu berücksichtigen sind oder ob diese Verordnung (insbesondere ihre Art. 2 Buchst. m, 12, 13 und 14) unabhängig von diesen Rechtsakten auszulegen ist. Es ist unstreitig, dass die Durchreise unter Mitwirkung der betreffenden Staaten arrangiert wurde. Somit taucht zwangsläufig die Frage auf, ob sich die Regeln für Drittstaatsangehörige, die die Außengrenzen der Union überschreiten, auf die Auslegung der Dublin‑III-Verordnung auswirken.

111. Die Antragstellerinnen in der Rechtssache Jafari sind ebenso wie Österreich, Frankreich, Griechenland, Ungarn, die Schweiz und die Kommission der Ansicht, dass die Kriterien des Kapitels III in Verbindung mit anderen Rechtsakten, nämlich dem Schengener Grenzkodex und der Rückführungsrichtlinie, auszulegen seien.

112. Herr A. S. ist der Ansicht, dass sich die Auslegung der Kriterien des Kapitels III nicht allein auf nationale oder internationale Bestimmungen stützen sollte. Sie müsse auch die Sachlage und die Verpflichtungen der EU-Transitstaaten berücksichtigen, die im Einklang mit Art. 33 der Genfer Konvention und Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) sowie den Art. 4 Abs. 2 und 5 Abs. 4 des Schengener Grenzkodex gehandelt hätten.

113. Nach Ansicht Italiens ist nicht entscheidend, ob der allgemeine Auslegungsansatz anderen Unionsrechtsakten Rechnung trage oder nicht. Erstens hätten die EU-Transitstaaten von September 2015 bis März 2016 den durch ihr Hoheitsgebiet reisenden Personen keine Visa ausgestellt. Zweitens sei Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung im Licht der Genfer Konvention auszulegen.

114. Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs sind der Schengener Grenzkodex und die Rückführungsrichtlinie rechtlich nicht von Belang für den Begriff „illegales Überschreiten“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung. Letzterer sei daher unabhängig von diesen Rechtsakten auszulegen.

115. Ich sehe den Ansatz zur Auslegung der Kriterien des Kapitels III nicht als Wahl zwischen nur zwei Möglichkeiten: der völlig isolierten Auslegung der Dublin‑III-Verordnung oder ihrer Auslegung dergestalt, dass ihre Bestimmungen unter Bezugnahme auf die verbindlichen Vorschriften anderer Unionsrechtsakte definiert werden.

116. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(113). Nach dem ersten der „Allgemeinen Grundsätze“ des Gemeinsamen Leitfadens für die Abfassung von Rechtstexten der Union(114) müssen Rechtsvorschriften klar, einfach und genau abgefasst sein, so dass dem Leser kein Zweifel bleibt. Weist ein Rechtsakt mit anderen Vorschriften des Unionsrechts gemeinsame Definitionen auf, wäre vernünftigerweise zu erwarten, dass er einen ausdrücklichen Querverweis enthält, da das Konzept einer implizit einzubeziehenden Definition mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar ist(115). Weder der Schengener Grenzkodex noch die Rückführungsrichtlinie enthalten Definitionen, die auf die Kriterien des Kapitels III der Dublin‑III-Verordnung verweisen.

117. Der Wortlaut von Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung unterscheidet sich von den Art. 13 und 14 insofern, als er ausdrücklich auf den Visakodex Bezug nimmt, der Teil des Schengen-Besitzstands ist. Diese Bezugnahme ist hinreichend klar, einfach und genau abgefasst, um zu zeigen, dass der Visakodex für die Auslegung dieser Bestimmung relevant ist(116). Hieraus folgt allerdings nicht, dass das Wort „Visum“ in Art. 12 auf die im Rahmen des Visakodex geltende Definition begrenzt ist(117).

118. Erstens gilt die Dublin‑III-Verordnung für Mitgliedstaaten, die nicht Teil des Schengen-Besitzstands sind, insbesondere für Irland und das Vereinigte Königreich. Bei diesen Staaten muss „Visum“ sich auf ein Dokument beziehen, das nach nationalen Bestimmungen als solches anerkannt ist. Zweitens deckt „Visum“ Kategorien von Dokumenten ab, die über die unter den Visakodex fallenden Visa für den kurzfristigen Aufenthalt hinausgehen. Aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. m der Dublin‑III-Verordnung geht klar hervor, dass dieser Rechtsakt für drei verschiedene Arten von Visa gilt(118).

119. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für Art. 14, wo das Wort „Visum“ ebenfalls verwendet wird. Dieser Begriff muss aus Gründen der Kohärenz und Einheitlichkeit genauso ausgelegt werden wie in Art. 12.

120. Folglich ist der Schengen-Besitzstand ein bei der Auslegung des Wortes „Visum“ zu berücksichtigendes relevantes Element, bestimmt aber nicht dessen Bedeutung für die Zwecke der Art. 2 Buchst. m und 12 der Dublin‑III-Verordnung.

121. Art. 13 der Dublin‑III-Verordnung enthält keine ausdrückliche Bezugnahme auf Rechtsakte des Schengen-Besitzstands oder auf die Rückführungsrichtlinie.

122. Aus dem Gesetzeskontext geht jedoch hervor, dass die Dublin‑III-Verordnung integraler Bestandteil des GEAS ist, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Konvention stützt(119). Diese bildet den völkerrechtlichen Rahmen für den Schutz von Flüchtlingen und von Personen, die die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus anstreben. Nach ihrem Art. 31 Abs. 2 sollen die Staaten den Flüchtlingen beim Wechsel des Aufenthaltsorts in ihrem Gebiet grundsätzlich keine Beschränkungen auferlegen; für notwendig erachtete Beschränkungen sollen nur so lange Anwendung finden, bis die Rechtsstellung der Flüchtlinge geregelt ist oder es ihnen gelungen ist, in einem anderen Land Aufnahme zu erhalten. Die Staaten müssen den Flüchtlingen eine angemessene Frist sowie die notwendigen Erleichterungen zur Aufnahme in einem anderen Land gewähren. Diese Bestimmung ist bei der Auslegung der Dublin‑III-Verordnung im Blick zu behalten(120). Dementsprechend ist die Verordnung im Licht ihres Kontexts und Zwecks und in einer mit der Genfer Konvention im Einklang stehenden Weise auszulegen. Dies folgt aus Art. 78 Abs. 1 AEUV. Ferner ergibt sich aus ihrem 39. Erwägungsgrund, dass die Dublin‑III-Verordnung in einer Weise auszulegen ist, die mit den durch die Charta anerkannten Rechten im Einklang steht(121).

123. Weil die Dublin‑III-Verordnung integraler Bestandteil des GEAS ist, ist auch das Asylrecht der Union ein relevanter Faktor(122). Es gibt ausdrückliche Bezugnahmen auf die Anerkennungs-, die Aufnahme- und die Asylverfahrensrichtlinie(123). Das GEAS wurde in einem Kontext entwickelt, in dem davon auszugehen war, dass alle beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der auf der Genfer Konvention und dem Protokoll von 1967 sowie der EMRK beruhenden Rechte(124), und dass die Mitgliedstaaten einander daher insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen(125). „Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die [Dublin‑II-Verordnung] erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem ‚forum shopping‘ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.“(126) Diese Fragen berühren den Kern des Gedankens eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts(127) und insbesondere des GEAS, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Einhaltung des Unionsrechts sowie insbesondere der Grundrechte durch andere Mitgliedstaaten beruht(128).

124. Die Hauptziele der Dublin‑III-Verordnung zeugen von der Absicht des Unionsgesetzgebers, hisichtlich der Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats organisatorische Vorschriften festzulegen, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, wie dies im früheren Dubliner Übereinkommen geschehen war(129). In den Erwägungsgründen 4, 5 und 7 der Dublin‑III-Verordnung heißt es ferner, dass eine klare und praktikable Formel für die rasche Bestimmung des für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden soll, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden(130).

125. Inwieweit sind Nicht-GEAS-Maßnahmen, wie der Schengener Grenzkodex und die Rückführungsrichtlinie, für die Auslegung der Kriterien des Kapitels III in den Art. 12, 13 Abs. 1 und 14 relevant?

126. Wie ich bereits erläutert habe, sind die Art. 12 und 14 meines Erachtens autonom auszulegen, auch wenn der Visakodex in mancher Hinsicht für die Bedeutung des Wortes „Visum“ relevant ist(131).

127. Was die Auslegung des Begriffs „illegales Überschreiten“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung angeht, gibt es im Schengener Grenzkodex keinen entsprechenden Begriff. Eine Übertragung dieses Begriffs aus dem Schengener Grenzkodex auf die Dublin‑III-Verordnung kommt daher nicht in Betracht.

128. Außerdem ist der persönliche Anwendungsbereich der die Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige, die die Außengrenze der Union überschreiten, betreffenden Bestimmungen in Kapitel I von Titel II des Schengener Grenzkodex nicht der gleiche wie in der Dublin‑III-Verordnung. Letztere gilt allein für Drittstaatsangehörige, die internationalen Schutz beantragen(132): eine Personengruppe, die völkerrechtlich aufgrund der Genfer Konvention einen besonderen Status genießt.

129. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass die Regelungen zur Bestimmung der Zuständigkeit für die Prüfung von Asylanträgen, die das Dubliner Übereinkommen ersetzten, ursprünglich Teil des zwischenstaatlichen Schengener Übereinkommens waren(133), während die Dublin‑III-Verordnung und der Schengener Grenzkodex beide auf das SDÜ zurückgehen. Die Anwendungsbereiche der beiden Rechtsakte unterscheiden sich, und ihre jeweiligen Ziele sind nicht die gleichen. Es kann daher keine Vermutung dafür geben, dass beide Rechtsakte aufgrund einer bestehenden historischen Verbindung in gleicher Weise auszulegen sind.

130. Das Vereinigte Königreich weist darauf hin, dass der Schengener Grenzkodex und die Rückführungsrichtlinie auf bestimmte Mitgliedstaaten (insbesondere das Vereinigte Königreich selbst) keine Anwendung fänden. Es sei daher falsch, die Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Rechtsvorschriften auszulegen, die sich nicht auf die gesamte Union erstreckten.

131. Es trifft zu, dass der nicht alle Mitgliedstaaten umfassende Geltungsbereich der Rechtsvorschriften nicht durch die Hintertür auf sie ausgedehnt werden sollte. Die variable Geometrie, die im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts u. a. infolge der Sonderstellung des Vereinigten Königreichs anzutreffen ist, hat jedoch kein einheitliches Muster hervorgebracht. Das Vereinigte Königreich hat für einige Elemente des Schengen-Besitzstands optiert und von anderen Abstand genommen(134). Dass das Vereinigte Königreich durch den Schengener Grenzkodex oder die Rückführungsrichtlinie nicht gebunden ist, kann an der Verbindlichkeit der Dublin‑III-Verordnung nichts ändern(135). Die Nichtteilnahme des Vereinigten Königreichs an bestimmten Instrumenten des Unionsrechts kann auch nicht dazu führen, dass die logischerweise gebotene Auslegung von Maßnahmen, die Teil eines Pakets sind, de facto eingeschränkt wird. Es kann nicht der Schwanz in Gestalt des Vereinigten Königreichs mit dem Hund in Gestalt der Union wedeln.

132. Allerdings wird in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht auf die Rückführungsrichtlinie Bezug genommen. Eine solche Bezugnahme hat der Gesetzgeber in Art. 24 der Verordnung vorgenommen, der ein Wiederaufnahmegesuch betrifft, wenn beim ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde. Hätte der Gesetzgeber in Art. 13 Abs. 1 explizit auf die Rückführungsrichtlinie Bezug nehmen wollen, hätte er dies somit vermutlich tun können und auch getan.

133. Der Begriff des illegalen Aufenthalts in Art. 3 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie erfasst eine über den persönlichen Anwendungsbereich der Dublin‑III-Verordnung hinausgehende Personengruppe. Die Richtlinie gilt für alle Drittstaatsangehörigen (im definierten Sinne). Ihr Anwendungsbereich ist nicht auf die besondere Kategorie um internationalen Schutz ersuchender ausländischer Staatsangehöriger während der Prüfung ihrer Anträge begrenzt(136).

134. Der Begriff „illegaler Aufenthalt“ in der Rückführungsrichtlinie bezieht sich auf eine andere Situation als die eines „illegalen Grenzübertritts“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung. Der Gerichtshof hat im Urteil Affum(137) entschieden, dass ein Drittstaatsangehöriger, der sich in einem Bus auf der Durchreise durch einen Mitgliedstaat befindet, unter Art. 3 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie fällt, weil der Betroffene, wenn er sich unter Verletzung der Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, „dort illegal aufhältig“ ist. Dies gilt nach wie vor, ist aber nicht die Frage, um die es in den Rechtssachen A. S. und Jafari geht. Hier möchten die vorlegenden Gerichte geklärt wissen, ob die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Außengrenze der Union illegal überschritten haben.

135. Natürlich mag es gelegentlich Überschneidungen zwischen den Umständen geben, die zu einem illegalen Grenzübertritt und zu einem „illegalen Aufenthalt“ im Sinne der Rückführungsrichtlinie führen, doch ist dies nicht das Gleiche(138). Der Klarheit des Verständnisses wird nicht dadurch gedient, dass zwei Begriffe in zwei verschiedenen Rechtsakten miteinander vermengt werden.

136. Überdies haben Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung, sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts können sie somit Rechte der Einzelnen begründen, die die nationalen Gerichte schützen müssen(139). Angesichts der Normenhierarchie wäre es seltsam, eine Verordnung unter Bezugnahme auf eine Richtlinie auszulegen, die nicht einmal eine genaue Definition der in beiden Rechtsakten verwendeten Begriffe enthält.

137. Die Ansicht, dass die Dublin‑III-Verordnung unter Bezugnahme auf den Schengener Grenzkodex und Art. 3 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie ausgelegt werden sollte, ist daher meines Erachtens abzulehnen.

138. Schließlich fallen die Dublin‑III-Verordnung, der Schengener Grenzkodex und die Rückführungsrichtlinie zwar alle unter den den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Titel V des AEU-Vertrags, doch haben nicht alle drei Rechtsakte die gleiche Rechtsgrundlage. Dass es keine gemeinsame Rechtsgrundlage gibt, zeigt, dass der Kontext und die Ziele der drei Rechtsakte nicht völlig übereinstimmen(140).

139. Allerdings betreffen die Art. 77, 78 und 79 AEUV Politiken, die Teil des gleichen Kapitels sind, und Art. 80 AEUV stellt klar, dass für diese Politiken der Grundsatz der „Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht“, gilt. Im 25. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung heißt es ebenfalls, dass die Unionspolitiken zu den Einreise- und Aufenthaltsbedingungen von Drittstaatsangehörigen einschließlich allgemeiner Anstrengungen zur Verwaltung der Außengrenzen ausgewogene, im Geist der Solidarität anzuwendende Zuständigkeitskriterien erfordern.

140. Angesichts der ausdrücklichen Vorgaben im AEU-Vertrag, eine Koordinierung zwischen den verschiedenen Politiken des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten, wäre es daher auch eindeutig falsch, die Dublin‑III-Verordnung so auszulegen, als ob der Schengen-Besitzstand völlig irrelevant wäre.

141. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Dublin‑III-Verordnung allein anhand ihres Wortlauts, ihres Kontexts und ihrer Zwecke auszulegen ist und nicht in Verbindung mit anderen Unionsrechtsakten, insbesondere dem Schengener Grenzkodex und der Rückführungsrichtlinie, unbeschadet dessen, dass bei der Auslegung der Dublin‑III-Verordnung die Bestimmungen dieser Rechtsakte zu berücksichtigen sind, soweit dies zur Gewährleistung der Kohärenz zwischen den verschiedenen Politiken in Kapitel 2 von Titel V des AEU-Vertrags erforderlich ist.

 Zweiter Punkt: Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung

142. Zwischen September 2015 und März 2016 gestatteten die kroatischen und die slowenischen Behörden angesichts eines Zustroms von Drittstaatsangehörigen, die die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet begehrten, denjenigen die Einreise, die Anträge auf internationalen Schutz in anderen Mitgliedstaaten stellen wollten(141). In der Rechtssache Jafari möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die von diesen Mitgliedstaaten erteilte Erlaubnis zur Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet als „Visum“ im Sinne von Art. 2 Buchst. m und Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung anzusehen ist. Es fragt ferner nach den möglichen Folgen eines solchen Visums (Fragen 2 b bis d).

143. Nach der Bedeutung von Art. 2 Buchst. m und Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung wird in der Rechtssache A. S. nicht ausdrücklich gefragt. Gleichwohl reiste auch Herr A. S. über die Westbalkanroute, und ihm wurde gestattet, in das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten einzureisen, um an sein Wunschziel zu gelangen. Die Frage, ob die Praxis des „Durchwinkens“ als Visum im Sinne der Kriterien des Kapitels III anzusehen ist, ist daher für seine Lage ebenfalls relevant und stellt sich implizit auch in Frage 3 in seiner Rechtssache. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hindert überdies der Umstand, dass das vorlegende Gericht eine Frage unter Bezugnahme nur auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können(142).

144. Die Antragstellerinnen in der Rechtssache Jafari, alle Mitgliedstaaten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, und die Kommission stimmen darin überein, dass die Frage des vorlegenden Gerichts mit „nein“ zu beantworten sei. Aus Art. 2 Buchst. m in Verbindung mit Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung ergebe sich nicht, dass Mitgliedstaaten, die Drittstaatsangehörigen die Einreise in ihr Hoheitsgebiet und die Durchreise auf dem Weg in einen Mitgliedstaat gestatteten, in dem sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollten, die Ausstellung von Visa unterstellt werden könne. Die Schweiz hat zu diesem Punkt nicht schriftlich Stellung genommen.

145. Ich stimme dieser allgemeinen Ansicht zu.

146. Die Schwestern Jafari weisen zunächst darauf hin, dass sie bei ihrer Einreise in das Unionsgebiet keine gültigen Aufenthaltstitel besessen hätten. Somit sei Art. 12 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in ihrem Fall nicht einschlägig.

147. Als afghanische Staatsangehörige mussten die Familien Jafari im Besitz eines Visums sein, als sie die Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Union überschritten(143). Diese Voraussetzung erfüllten sie nicht(144). Fraglich ist, ob unter den Umständen ihrer Durchreise durch verschiedene Mitgliedstaaten vor ihrer Ankunft in Slowenien bzw. Österreich nach den Bestimmungen der einschlägigen Rechtsvorschriften davon auszugehen ist, dass ihnen Visa erteilt wurden.

148. Wäre dies der Fall, enthielte Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung das einschlägige Kriterium für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats.

149. Die Regeln für die Ausstellung von Visa sind kompliziert und mit der Einhaltung einer Reihe von Formalien verbunden. Hierfür gibt es gute Gründe. Am grundlegendsten ist das Erfordernis der Ausstellung eines Schriftstücks. In keinem der Vorabentscheidungsersuchen gibt es indes einen Anhaltspunkt dafür, dass ein Mitgliedstaat ein Visum im gewöhnlichen Wortsinne ausgestellt hätte, d. h., dass ein Mitgliedstaat durch förmliche Übersendung oder Aushändigung eines Visums an einen Antragsteller tätig geworden wäre(145). Es ist unstreitig, dass keine der üblichen Voraussetzungen hier erfüllt war. Es gab keinen Stempel zur Dokumentierung der Zulässigkeit des Visumantrags, keine Gültigkeitsdauer und keine Visummarke(146). Somit kann keine der Voraussetzungen der Verordnung Nr. 1683/95 erfüllt gewesen sein.

150. Die Formalien sind von besonderer Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren des VIS, das Grenzschutzbeamten die Prüfung ermöglicht, ob eine Person, die ein Visum vorlegt, dessen rechtmäßiger Inhaber ist, und Personen zu identifizieren, die im Schengen-Raum mit falschen oder gefälschten Dokumenten angetroffen wurden(147).

151. Meines Erachtens können die von den vorlegenden Gerichten in den jeweiligen Vorabentscheidungsersuchen der Rechtssachen A. S. und Jafari geschilderten Umstände daher nicht so verstanden werden, dass darin die Erteilung eines „Visums“ im Sinne von Art. 2 Buchst. m und Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung zu sehen wäre.

152. Eine andere Auslegung der Formulierung „das Visum erteilt hat“ in Art. 12 würde ihrer natürlichen Bedeutung widersprechen. Die Antragsteller tragen überzeugend vor, dass eine Anwendung von Art. 12 Abs. 4 und 5 der Dublin‑III-Verordnung unmöglich wäre, wenn ein informelles „Durchwinken“ einem Visa gleichzustellen wäre. Es wäre mit der Verordnung unvereinbar. Eine solche Auslegung würde ferner den detaillierten und komplexen Regeln für Visa im Visakodex und den verbundenen Rechtsakten schweren Schaden zufügen und das Funktionieren des VIS untergraben(148).

153. Unter den ganz außergewöhnlichen Umständen, unter denen es Ende 2015 und Anfang 2016 zu einem Massenzustrom von Drittstaatsangehörigen in die Union kam, denen die Überschreitung der Außengrenze der Union aus Drittländern gestattet wurde, ist somit der Umstand, dass einige Mitgliedstaaten den betreffenden Drittstaatsangehörigen gestatteten, die Außengrenze der Union zu überschreiten und anschließend in andere Mitgliedstaaten der Union durchzureisen, um in einem bestimmten Mitgliedstaat Anträge auf internationalen Schutz zu stellen, der Erteilung eines „Visums“ im Sinne der Art. 2 Buchst. m und 12 der Dublin‑III-Verordnung nicht gleichzustellen.

154. Angesichts des Ergebnisses, zu dem ich soeben gelangt bin, sind die Fragen 2 b, c und d in der Rechtssache Jafari nicht zu beantworten.

 Dritter Punkt: Auslegung der Formulierung „die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung

155. Beide vorlegenden Gerichte ersuchen um Hinweise zur Bedeutung der Formulierung „dass ein Antragsteller … die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung. Sie möchten im Wesentlichen wissen, ob die ganz außergewöhnliche Lage im maßgeblichen Zeitraum, als die Mitgliedstaaten einen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in ihr Hoheitsgebiet explizit zuließen, um ihnen die Durchreise zu gestatten, damit sie in einem Mitgliedstaat der Union ihrer Wahl internationalen Schutz beantragen konnten, ein „illegales Überschreiten“ darstellt und somit unter diese Bestimmung fällt.

156. Nach Ansicht Frankreichs, Griechenlands, Ungarns, Sloweniens, des Vereinigten Königreichs, der Schweiz und der Kommission findet Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung unter solchen Umständen Anwendung. Nach Ansicht Österreichs ist diese Bestimmung angesichts der im maßgeblichen Zeitraum herrschenden Umstände in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex auszulegen, der es zulasse, Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen für die Einreise in das Unionsgebiet nach Art. 5 Abs. 1 nicht erfüllten, gleichwohl die Einreise aus humanitären Gründen zu gestatten. Nach Ansicht Italiens lag kein „illegales Überschreiten“ im Sinne der Dublin‑III-Verordnung vor, weil die Kriterien des Kapitels III unter Bezugnahme auf Art. 31 der Genfer Konvention auszulegen seien.

157. Die Antragsteller in beiden Rechtssachen betonen, dass sie die Außengrenze der Union mit der expliziten Gestattung und Unterstützung der betreffenden nationalen Behörden überschritten hätten. Sie hätten die Grenze daher nicht im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung „illegal überschritten“.

158. Der Hintergrund der vorliegenden beiden Vorabentscheidungsersuchen wirft eine komplexe und kontroverse Frage auf(149) Überschreiten Drittstaatsangehörige eine Außengrenze der Union in einer Weise, die mit den Bestimmungen des Schengener Grenzkodex nicht im Einklang steht, hat dies dann automatisch die innerhalb des Dublin-Systems vorgesehenen Konsequenzen, so dass der erste Mitgliedstaat, dessen Hoheitsgebiet sie betreten, für die Prüfung ihrer jeweiligen Anträge auf internationalen Schutz zuständig bleibt? Auch wenn der Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung eindeutig besagt, dass er Anwendung findet, wenn ein Antragsteller die Grenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, ist durchaus nicht eindeutig, dass diese Bestimmung nach der Absicht des Gesetzgebers unter den noch nie dagewesenen Umständen der beiden vorliegenden Rechtssachen Anwendung finden soll.

159. Die ungarische, die italienische, die slowenische und die schweizerische Regierung weisen darauf hin, dass in einigen Sprachfassungen von einer „illegal überschrittenen Grenze“(150) und in anderen von einer „irregulär überschrittenen Grenze“(151) die Rede sei.

160. Die Adjektive „irregulär“ und „illegal“ werden im internationalen Flüchtlingsrecht, insbesondere im Kontext der Überschreitung von Grenzen durch Drittstaatsangehörige, nicht als Synonyme betrachtet. Das Wort „irregulär“ ist weiter als „illegal“. Es hat auch den Vorzug, weniger tendenziös zu sein, da es gegenüber der beschriebenen Person nicht die Konnotation oder den Unterton einer (impliziten) Kriminalität aufweist(152).

161. Gleichwohl pflichte ich den Parteien bei, dass die sprachlichen Unterschiede nicht bedeuten, dass eine Mehrdeutigkeit besteht, die notwendigerweise zu unterschiedlichen Auslegungen der Formulierung „dass ein Antragsteller … die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ führen müsste(153). Die festgestellten Unterschiede sind das Ergebnis verschiedener Übersetzungen des Originaltexts. Diese Ansicht wird dadurch bestätigt, dass der englische Text des Anhangs II der Dublin-Durchführungsverordnung nicht mit dem englischen Text von Art. 13 Abs. 1 übereinstimmt. Nr. 7 von Verzeichnis A des Anhangs II trägt die Überschrift „Illegal entry at an external frontier (Article 13(1))“. Sie enthält die Beweise, die für diese Prüfung relevant sind (siehe oben, Nr. 44). Sie verweist ausdrücklich auf Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, verwendet jedoch das Wort „illegal“ statt „irregular“ (das in Art. 13 Abs. 1 selbst zu finden ist). Dass der Gesetzgeber hier einen inhaltlichen Unterschied zwischen den beiden Adjektiven in beiden Texten beabsichtigte, ist nicht anzunehmen.

162. Hinzuzufügen ist, dass die Asylverfahrensrichtlinie nach ihrem 12. Erwägungsgrund zusätzlich zu und unbeschadet der in der Dublin‑III-Verordnung geregelten Verfahrensgarantien gilt. Nach Art. 31 Abs. 8 Buchst. h dieser Richtlinie kann ein Antrag auf internationalen Schutz in einem beschleunigten Verfahren und/oder an der Grenze oder in Transitzonen geprüft werden, wenn ein Antragsteller „unrechtmäßig“ in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats einreist. Das Wort „unrechtmäßig“ ist noch ein drittes Adjektiv, das der Gesetzgeber für die Art und Weise verwendet, in der der unter die genannte Bestimmung fallende Drittstaatsangehörige die Grenze eines Mitgliedstaats überschritten hat. Es dürfte in einer mit den Worten „illegal überschritten“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, die hinreichend weit sind, um es einzuschließen, kohärenten Weise auszulegen sein(154).

163. In der Dublin‑III-Verordnung wird nicht definiert, was ein „illegales Überschreiten der Grenze“ ist.

164. Die Bezugnahmen auf Beweismittel in Art. 22 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung und in der Dublin-Durchführungsverordnung machen deutlich, dass die Frage, ob im Einzelfall eine illegale Einreise vorliegt, in erster Linie eine Tatsachenfrage ist, die von den nationalen Behörden zu klären ist.

165. Ob ein Überschreiten der Grenze „illegal“ ist, richtet sich somit nach Anhang II der Dublin-Durchführungsverordnung, der zwei Verzeichnisse von Kriterien enthält, die bei der Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Staates heranzuziehen sind(155). In Verzeichnis A sind die relevanten förmlichen Beweismittel aufgeführt. Die Indizien befinden sich in Verzeichnis B(156). Zu den verzeichneten Beweisen gehören „Einreisestempel im Reisepass“, „Ausreisestempel eines an einen Mitgliedstaat angrenzenden Staates unter Berücksichtigung der Reiseroute des Antragstellers sowie des Datums des Grenzübertritts“, „Fahrausweis, mit dessen Hilfe die Einreise über die Außengrenze förmlich festgestellt werden kann“ und „Einreisestempel oder entsprechender Vermerk im Reisedokument“.

166. Die Aufgabe des Eurodac-Systems besteht ebenfalls in der Unterstützung bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der nach der Dublin‑III-Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist(157). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Antragstellern, die mindestens 14 Jahre alt sind, umgehend Fingerabdrücke abzunehmen und die Fingerabdruckdaten (spätestens 72 Stunden nach Antragstellung) an das Eurodac-Zentralsystem zu übermitteln(158). Die Mitgliedstaaten haben eine entsprechende Verpflichtung, den beim illegalen Überschreiten der Grenze aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen Fingerabdrücke abzunehmen(159).

167. Nach der Dublin-Durchführungsverordnung begründet ein positives Eurodac-Ergebnis eine Vermutung, dass ein illegaler Grenzübertritt erfolgt ist(160).

168. Im Schengen-Raum ist zudem der Schengener Grenzkodex ein nützliches Hilfsmittel für die Feststellung, ob die Einreise eines Drittstaatsangehörigen in das Unionsgebiet legal war. Die Voraussetzungen für die Einreise sind in Art. 5 Abs. 1 festgelegt, und die Regeln für Grenzübertrittskontrollen in Art. 7. Zeigt sich bei diesen Kontrollen, dass die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllt waren, werden wahrscheinlich die in Nr. 7 von Verzeichnis A des Anhangs II der Dublin-Durchführungsverordnung aufgeführten Beweise oder die Indizien in Nr. 7 von Verzeichnis B festgestellt werden.

169. In Fällen, in denen die förmlichen rechtlichen Voraussetzungen für das Überschreiten der Außengrenze durch Drittstaatsangehörige nicht eingehalten wurden, dürfte sie somit in der Regel illegal überschritten worden sein.

170. Es ist unstreitig, dass die Antragsteller in beiden Ausgangsverfahren die Formalitäten des Schengener Grenzkodex nicht eingehalten haben.

171. Die Dublin‑III-Verordnung war jedoch nicht als Instrument zur Bestimmung des für den internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats im Fall eines Massenzustroms von Menschen gedacht(161). Die im maßgeblichen Zeitraum herrschenden Umstände fallen in eine Lücke, für die es keine genaue Rechtsvorschrift in den Verträgen oder im abgeleiteten Recht gibt.

172. Können die bestehenden Bestimmungen in einer Weise ausgelegt werden, die diese Umstände abdeckt?

173. Die Genfer Konvention enthält keine Blaupause für eine Regelung zur Bestimmung des für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständigen Staates(162). Sie beruht (anders als der Unionsacquis) auf einer gesonderten völkerrechtlichen Ordnung. Gleichwohl pflichte ich der italienischen Regierung bei, dass es im Licht von Art. 78 Abs. 1 AEUV richtig ist, bei der Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung auf die Art. 31 und 33 der Genfer Konvention Bezug zu nehmen. Die Staaten, die den Antragstellern die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet gestatteten, handelten dabei somit im Einklang mit ihren Verpflichtungen nach der Genfer Konvention.

174. Das in Art. 18 der Charta verankerte Asylrecht und das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in Art. 4 sind ebenfalls zu berücksichtigen(163). Letzteres ist von besonderer Relevanz, wenn um internationalen Schutz nachsuchende Drittstaatsangehörige in Länder zurückgeführt werden sollen, in denen Bedingungen herrschen, die gegen Art. 4 verstoßen, oder wenn sie gezwungen wären, unter erniedrigenden Bedingungen in Ungewissheit an nationalen Grenzen zu verharren(164).

175. Die wirklich schwierige Frage lautet, wie die Abwägung vorgenommen werden sollte.

176. Einerseits scheint klar, dass Drittstaatsangehörige in der Lage von Herrn A. S. und der Familien Jafari die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 wahrscheinlich nicht erfüllten. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie die Außengrenze der Union „legal“ überschritten haben. Andererseits ist ebenso klar, dass die Behörden in den Transitmitgliedstaaten der Union die massenhaften Grenzübertritte im relevanten Zeitraum nicht nur tolerierten und somit stillschweigend gestatteten, sondern sowohl die Einreise als auch die Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet aktiv erleichterten. Ist ein solcher Grenzübertritt „illegal“ im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes? Sicher nicht. Aber wie haben wir diesen Begriff zu definieren, und beschreibt er die Ereignisse wirklich in sachgerechter Weise?

177. Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung ist das am häufigsten verwendete Kriterium des Kapitels III zur Bestimmung des für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats(165). Diese Bestimmung soll die Mitgliedstaaten zu Wachsamkeit bei der Gewährleistung der Integrität der Außengrenze der Union anhalten. Sie soll ferner einer Sekundärmigration und einem „forum shopping“ durch Antragsteller entgegenwirken(166).

178. Gehen wir kurz einen Schritt zurück und betrachten zunächst die „normale“ Situation nach der Dublin‑III-Verordnung, bevor wir uns wieder den beiden Rechtssachen zuwenden, um die es hier geht.

179. Unter normalen Umständen findet Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung auf eine Person Anwendung, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder heimlich in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist, ohne dass ihre Einreise (verfahrenstechnisch und materiell) von den zuständigen Behörden genehmigt wurde. Die Einreise und der anschließende Aufenthalt dieser Person sind eindeutig „illegal“. Es gibt eine Reihe von Bestimmungen, die hätten eingehalten werden müssen, aber nicht eingehalten wurden. Die Einreise wurde von dem betreffenden Mitgliedstaat nicht gebilligt – aber er hat sie nicht verhindert. Wäre der Mitgliedstaat beim Schutz der Außengrenze der Union wachsamer gewesen, wäre es dieser Person vielleicht nicht gelungen, in das Unionsgebiet einzudringen.

180. Unter solchen Umständen ist es völlig nachvollziehbar, dass diesem Mitgliedstaat durch Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen später von dieser Person gestellten Antrag auf internationalen Schutz auferlegt wird.

181. Kehren wir nun zu der humanitären Krise zurück, die sich in der Zeit von September 2015 bis März 2016 abspielte.

182. Es gibt eine Flut verzweifelter Menschen – diejenigen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen, kommen zu denen hinzu, die aus dem Irak oder Afghanistan geflüchtet sind. Sie bewegen sich zu Hunderten, ja zu Tausenden auf die kroatische Grenzübergangsstelle zu(167). Sie haben wenig oder nichts bei sich. Werden sie nicht hereingelassen, werden sie irgendwie improvisierte Lager aufschlagen, mit internationaler Unterstützung – soweit diese sie erreicht – von Einrichtungen wie dem UNHCR, dem Roten Kreuz und Ärzte ohne Grenzen, um ihnen Hilfe bei Ernährung, Obdach und Versorgung zu gewähren. Es wird an der Türschwelle der Europäischen Union eine humanitäre Krise geben. Offenkundig ist zu befürchten, dass benachbarte Balkanstaaten destabilisiert werden, wodurch eine echte Gefahr für Frieden und Sicherheit in der Region entsteht. Der Winter steht bevor.

183. Die Geografie und nicht die freie Wahl bestimmt, welche Mitgliedstaaten der Union sich an der Frontlinie befinden. Diese Mitgliedstaaten haben – wie alle Mitgliedstaaten der Union – völkerrechtliche Verpflichtungen nach der Genfer Konvention. Aus humanitären Gründen sollten sie diese notleidenden Mitmenschen eindeutig in ihr Hoheitsgebiet lassen. Tun sie dies, werden sie jedoch keine geeigneten Aufnahmebedingungen für alle gewährleisten können(168). Auch alle Anträge auf internationalen Schutz können sie nicht zügig prüfen, wenn ihre Verwaltungen von der schieren Zahl der zu bearbeitenden Anträge überwältigt werden(169).

184. Seit der erstmaligen Einführung des Dubliner Übereinkommens besteht ein Spannungsverhältnis zwischen zwei verschiedenen Zielen(170). Einerseits soll mit dem Dublin-System ein zwischenstaatliches Verfahren bereitgestellt werden, das den Mitgliedstaaten die zügige Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Landes ermöglicht. Bei der Verfolgung dieses Ziels wollen die Mitgliedstaaten zwei Phänomenen entgegenwirken, dem „forum shopping“ und der Sekundärmigration. Die Kommission hat dazu vor Kurzem ausgeführt: „Vor allem müssen sich alle Mitgliedstaaten verpflichten, die Praxis des ‚Durchwinkens‘ derjenigen, die in einem anderen Land einen Asylantrag stellen wollen, einzustellen. Schutzbedürftige Menschen, die in der Union eintreffen, müssen die Gewissheit haben, dass sie Schutz erhalten; sie müssen jedoch auch wissen, dass sie den Ort der Schutzleistung nicht selbst wählen können.“(171) Andererseits steht dieser Ansatz im Widerspruch zu dem von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem UNHCR verfolgten Ziel, das darauf beruht, die Zuständigkeit anhand des Ortes zuzuweisen, an dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Bei Letzterem hat es nie Fortschritte gegeben, weil der nötige politische Wille bislang nicht vorhanden war(172).

185. Es ist nicht ersichtlich, dass Herr A. S. oder die Familien Jafari mehrere Anträge in verschiedenen Mitgliedstaaten stellen wollen(173). In beiden Rechtssachen besteht auch kein Grund zur Besorgnis wegen Sekundärmigrationen. Die Einreise von Herrn A. S. und der Familien Jafari in die Union wurde dokumentiert. Ihre jeweiligen Reisewege waren nicht in der in den Rechtsvorschriften antizipierten Weise unerlaubt(174).

186. Es liegt auf der Hand, dass die Grenzübertritte, zu denen es in den vorliegenden Rechtssachen kam, nicht „legal“ waren. Ich halte es aber auch nicht für angemessen, sie als „illegal“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung einzustufen, mit der Folge, dass der Mitgliedstaat, dessen Grenze „illegal“ überschritten wurde, für die Entscheidung über einen späteren Antrag auf internationalen Schutz zuständig würde.

187. Hier ist auf eine weitere Schwierigkeit mit den insbesondere von Frankreich und der Kommission vorgetragenen Argumenten hinzuweisen. Herr A. S. und die Familien Jafari reisten erstmals aus einem Drittland in das Unionsgebiet ein, als sie die Grenze nach Griechenland überschritten; es ist daher der Mitgliedstaat der ersten Einreise. Bei strenger Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung wäre daher Griechenland der für die Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat. Seit 2011 ist jedoch anerkannt, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, nicht nach Griechenland zurückgeführt werden dürfen(175).

188. Bei ihrer Weiterreise auf dem Landweg verließen Herr A. S. und die Familien Jafari sodann kurz das Unionsgebiet, bevor sie erneut einreisten, als sie die kroatische Grenze überschritten. Kroatien ist daher der zweite Mitgliedstaat, in den sie aus einem Drittland gelangten. Wie allgemein bekannt sein dürfte, haben nicht alle Mitgliedstaaten der Union gemeinsame Landgrenzen zu anderen Mitgliedstaaten(176). Im Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung spricht nichts für die Auslegung, dass die Zuständigkeit nach dieser Bestimmung auf den Mitgliedstaat der zweiten Einreise übergeht.

189. Tatsächlich ist es schlicht so, dass Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung die normale Situation einzelner Grenzübertritte und einzelner Anträge regeln sollte, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige einen Mitgliedstaat der Union unerlaubt aus einem Drittland betritt. Weder diese Bestimmung noch die Dublin‑III-Verordnung als Ganzes war für den Fall gestatteter Grenzübertritte durch einen Massenzustrom potenzieller Antragsteller auf internationalen Schutz gedacht. Die Verordnung zielt nicht darauf ab, eine nachhaltige Verteilung der Zuständigkeit für Personen, die internationalen Schutz beantragen, innerhalb der Union als Reaktion auf einen solchen Zustrom von Menschen zu gewährleisten. Eben dies ist aber der Hintergrund der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen(177).

190. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Wendung „dass ein Antragsteller … die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht eine Situation erfasst, in der Mitgliedstaaten infolge eines Massenzustroms von Drittstaatsangehörigen, die um internationalen Schutz in der Union nachsuchen, den betreffenden Drittstaatsangehörigen gestatten, die Außengrenze der Union zu überschreiten und anschließend in andere Mitgliedstaaten der Union durchzureisen, um in einem bestimmten Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen.

 Vierter Punkt: Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex

191. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Praxis des „Durchwinkens“ bedeutet, dass den betreffenden Drittstaatsangehörigen das Überschreiten der Außengrenze der Union im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex „gestattet“ wurde.

192. Ausgehend von dem von mir vorgeschlagenen Ansatz zur Auslegung der Dublin‑III-Verordnung (siehe oben, Nr. 141) bedarf diese Bestimmung des Schengener Grenzkodex streng genommen keiner Prüfung. Der Vollständigkeit halber werde ich sie trotzdem prüfen.

193. Herr A. S. und die Familien Jafari überschritten die Außengrenze der Union zuerst in Griechenland. Dann überschritten sie die Außengrenze in ein Drittland, die EJR Mazedonien. Schließlich überschritten sie die Außengrenze der Union, als sie aus Serbien nach Kroatien einreisten. Sie dürften prima facie in den Anwendungsbereich des Schengener Grenzkodex fallen(178).

194. Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex regelt die Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige bei „kurzfristigen Aufenthalten“(179). Ein Drittstaatsangehöriger (hier insbesondere ein afghanischer oder syrischer Staatsangehöriger) muss folgende Voraussetzungen erfüllen: i) Er muss ein gültiges Reisedokument besitzen(180), ii) er muss ein gültiges Visum besitzen(181), und iii) er muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen können(182). Der betreffende Drittstaatsangehörige darf ferner nicht im SIS ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen des betreffenden Staates darstellen(183). Die in Art. 5 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen sind kumulativ.

195. Nach dem Schengener Grenzkodex sind Grenzübertrittskontrollen im Einklang mit dessen Art. 6 und 7 durchzuführen. Bei außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Umständen können diese Kontrollen gelockert werden(184). Nach Art. 10 sind die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen gleichwohl bei der Einreise und bei der Ausreise systematisch abzustempeln. Nach Art. 12 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex dient die Grenzüberwachung insbesondere der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und der Veranlassung von Maßnahmen gegen Personen, die die Grenze „unerlaubt“ überschreiten(185). Einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 erfüllt, ist die Einreise zu verweigern, sofern nicht eine der in Art. 5 Abs. 4 genannten Ausnahmen gilt.

196. Nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. c Satz 1 können die Mitgliedstaaten die Einreise u. a. aus humanitären Gründen oder zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen gestatten.

197. Frankreich und die Kommission sind der Ansicht, dass Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex auf die vorliegenden beiden Rechtssachen keine Anwendung finde. Die Mitgliedstaaten müssten stets eine Einzelfallprüfung vornehmen, um festzustellen, ob diese Bestimmung greife. Eine solche Prüfung sei in den Rechtssachen A. S. und Jafari nicht erfolgt. Eine Berufung auf Art. 5 Abs. 4 Buchst. c sei deshalb nicht möglich.

198. Ich bin anderer Ansicht.

199. Erstens ähnelt der Wortlaut der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c dem von Art. 5 Abs. 2 des SDÜ. Unterabs. 2 dieser Bestimmung enthält folgenden Zusatz: „Die besonderen Bestimmungen des Asylrechts … bleiben unberührt.“

200. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass nach den Erläuterungen im Vorschlag der Kommission für den Schengener Grenzkodex die vorgeschlagene Verordnung im Wesentlichen den Art. 3 bis 8 des Kapitels 1 des SDÜ entsprach(186). Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 des SDÜ wurde in die Art. 5 Abs. 6 und 11 Abs. 1 des Kommissionsvorschlags übernommen. Das Europäische Parlament fügte die jetzt in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c enthaltene Ausnahme ein, um die Regeln klarzustellen(187).

201. Nach meinem Verständnis bedeutet das Fehlen einer speziellen Bezugnahme auf die „besonderen Bestimmungen des Asylrechts“ nicht, dass die Ausnahme unter Umständen, wie sie von September 2015 bis März 2016 herrschten, keine Anwendung finden kann. Möglicherweise sah der Gesetzgeber den Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c in Verbindung mit Art. 3a und im Licht des siebten Erwägungsgrundes ohne Hinzufügung zusätzlicher Worte als hinreichend klar an.

202. Zweitens wird der Begriff „humanitäre Gründe“ im Schengener Grenzkodex nicht definiert. Generalanwalt Mengozzi hat vor Kurzem die Ansicht vertreten, dass der Ausdruck ein autonomer Begriff des Unionsrechts sei(188). Ich stimme ihm zu. Es ist ein weiter Ausdruck, der die Situation von Personen erfasst, die vor Verfolgung fliehen und für die der Grundsatz der Nichtzurückweisung gilt. Die Auslegung dieses Ausdrucks in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c sollte überdies der Verpflichtung in Art. 3a – wonach die Mitgliedstaaten unter umfassender Einhaltung des einschlägigen Unionsrechts einschließlich der Charta, der Genfer Konvention und der Grundrechte handeln müssen – Rechnung tragen.

203. Die Situation von Herrn A. S. und der Familien Jafari scheint mir daher unter Art. 5 Abs. 4 Buchst. c Satz 1 des Schengener Grenzkodex zu fallen.

204. Es ist nicht ersichtlich, dass in einem der Fälle eine Einzelfallprüfung erfolgt ist. Sehr wahrscheinlich geschah dies nicht. Findet die genannte Bestimmung trotzdem Anwendung?

205. Meines Erachtens ja.

206. Zwar muss nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. c Satz 2 des Schengener Grenzkodex eine Einzelfallprüfung erfolgen, um festzustellen, ob die betreffende Person im SIS ausgeschrieben ist. Der Wortlaut besagt jedoch nicht, dass Satz 1 dieser Bestimmung nur Anwendung finden kann, wenn die Voraussetzung in Satz 2 bereits erfüllt wurde. Die beiden Teile von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c stehen unzweifelhaft miteinander in Verbindung, doch kann der erste Teil unabhängig vom zweiten Teil ausgelegt werden.

207. Meiner Ansicht nach wäre ein Grenzmitgliedstaat daher, auch wenn das Kriterium in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit dem Schengener Grenzkodex auszulegen ist, berechtigt gewesen, Drittstaatsangehörigen gestützt auf die Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex die Überschreitung seiner Außengrenze zu gestatten, ohne unter den im maßgeblichen Zeitraum herrschenden Umständen eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Zwar sollte ein solcher Mitgliedstaat, soweit möglich, auch die Einhaltung von Satz 2 dieser Bestimmung anstreben, doch hängt davon die Anwendung von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c Satz 1 nicht ab.

208. Gestattet ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen die Einreise in sein Hoheitsgebiet auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c, erfüllt die betreffende Person die Einreisevoraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex per definitionem nicht. Da diese Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt sind, muss das Überschreiten der Außengrenze durch den betreffenden Drittstaatsangehörigen im förmlichen Sinne illegal sein. Seine Einreise ist jedoch faktisch gestattet, und die Rechtsgrundlage dafür ist die Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c.

209. Diese Gestattung darf im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung nicht außer Acht bleiben.

210. Alternativ komme ich daher zu dem Ergebnis, dass ein Drittstaatsangehöriger, dem ein Mitgliedstaat die Einreise in sein Hoheitsgebiet nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex gestattet, die in dessen Art. 5 Abs. 1 aufgestellten Einreisevoraussetzungen per definitionem nicht erfüllt. Da diese Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt sind, muss die Überschreitung der Außengrenze durch den betreffenden Drittstaatsangehörigen im förmlichen Sinne illegal sein. Seine Einreise wird jedoch de facto gestattet worden sein, wobei die Rechtsgrundlage für diese Gestattung die Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex ist.

 Fünfter Punkt: Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung

211. Aus meinen Schlussfolgerungen oben in den Nrn. 152 und 190 folgt, dass die in Art. 12 (Visa) und in Art. 13 (illegale Einreise) der Dublin‑III-Verordnung geregelten Kriterien des Kapitels III meines Erachtens unter den Umständen, die von September 2015 bis März 2016 auf dem Westbalkan herrschten, keine Anwendung finden.

212. Nach Ansicht der Antragstellerinnen in der Rechtssache Jafari ist Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung (visafreie Einreise) das einschlägige Kriterium.

213. Ich halte diese Ansicht nicht für überzeugend.

214. Erstens enthält die Verordnung Nr. 539/2001 Regeln für die Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Betreten des Unionsgebiets über dessen Außengrenzen ein Visum besitzen müssen. Wenn diese Regeln (wie hier) Anwendung finden, muss der betreffende Drittstaatsangehörige das erforderliche Visum besitzen(189). Die Verordnung Nr. 539/2001 enthält einige Ausnahmen von der allgemeinen Visumpflicht, wie diejenige für Angehörige der in Anhang II der Verordnung aufgeführten Drittstaaten, die einen „kurzfristigen Aufenthalt“ in der Union beabsichtigen(190). Ausnahmen von der Grundregel können auch vorgesehen werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 4 der Verordnung vorliegen(191). Außer diesen ausdrücklichen Ausnahmen von der Grundregel gibt es jedoch keine sonstigen Umstände, unter denen ein Drittstaatsangehöriger von der Visumpflicht befreit werden kann.

215. Zweitens kann in Ermangelung einer ausdrücklichen Bestimmung in Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung die Wendung „dass für [den Drittstaatsangehörigen] kein Visumzwang besteht“ wohl nicht dahin ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat die nach Art. 1 der Verordnung Nr. 539/2001 (in Verbindung mit deren Anhang I für bestimmte Drittländer) bestehende allgemeine Visumpflicht einseitig aus anderen oder zusätzlichen Gründen unangewendet lassen kann. Die Verordnung hat nämlich nach Art. 288 AEUV in allen Mitgliedstaaten unmittelbare Geltung. Die Wendung ist meines Erachtens vielmehr dahin zu verstehen, dass sie sich in erster Linie auf nicht in der Verordnung Nr. 539/2001 geregelte Visumpflichten, wie etwa Visa für den längerfristigen Aufenthalt, bezieht.

216. Drittens mussten die Familien Jafari als afghanische Staatsangehörige bei der Einreise in die Union Visa besitzen(192). Dieses Erfordernis ist sowohl für den betreffenden Drittstaatsangehörigen als auch für den betreffenden Mitgliedstaat bei den in Anhang I der Verordnung Nr. 539/2001 aufgeführten Ländern zwingend. Es dürfte unstreitig sein, dass die Familien Jafari nicht unter die Ausnahmen in Art. 1 Abs. 2 oder Art. 4 dieser Verordnung fallen(193).

217. Alternativ könnte Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung dahin ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat den Visumzwang in einem konkreten Einzelfall aufhebt, wobei er anerkennt, dass er damit die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags dieser Person auf internationalen Schutz übernimmt. Eine solche Aufhebung würde jedoch meines Erachtens eine Einzelfallprüfung voraussetzen. Dass eine solche Prüfung hier stattgefunden hat, ist nicht dokumentiert. Die Umstände deuten de facto auf das Gegenteil hin, nämlich dass eine Politik bestand, Drittstaatsangehörigen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien ohne Einzelfallprüfung zu gestatten, die Binnengrenzen der Mitgliedstaaten zu überschreiten(194).

218. Das Vorbringen, unter den Umständen des Falles der Familien Jafari stelle die Gestattung der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union für Drittstaatsangehörige eine visafreie Einreise im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung dar, ist daher meines Erachtens zurückzuweisen. Ich halte es auch nicht für zutreffend, dass in Bezug auf Österreich (den Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde) Art. 14 Abs. 2 gilt. Mir scheint, dass sowohl für Art. 14 Abs. 1 als auch für Art. 14 Abs. 2 denknotwendig die gleichen Erwägungen gelten.

 Anwendung der Dublin‑III-Verordnung auf die beiden vorliegenden Rechtssachen

219. Die Kriterien in Bezug auf familiäre Beziehungen in den Art. 8 bis 11 sowie Art. 15 der Dublin‑III-Verordnung sind weder im Fall von Herrn A. S. noch im Fall der Familien Jafari einschlägig.

220. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass unter den Umständen, die von September 2015 bis März 2016 auf dem Westbalkan bestanden, keines der Kriterien des Kapitels III auf diese beiden Rechtssachen Anwendung findet. Diese Kriterien können nicht in einer Weise ausgelegt und angewandt werden, in der sich das im fünften Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung genannte Ziel erreichen lässt, das darin besteht, eine Formel einzuführen, die „auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basier[t und] insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen [sollte], um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden“.

221. Kapitel III enthält kein Kriterium, das speziell die Situation betrifft, in der ein oder mehrere Mitgliedstaaten mit einem plötzlichen massiven Zustrom von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber, als er eine neue Verordnung zur Überarbeitung der Dublin‑II-Verordnung erließ und den (auf der isolierten Betrachtung jedes einzelnen Antrags auf internationalen Schutz beruhenden) Ansatz zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beibehielt, überhaupt in Betracht zog, dass eine solche Situation eintreten würde.

222. Richtig ist, dass Art. 78 Abs. 3 AEUV eine Rechtsgrundlage für ein gemeinsames Tätigwerden der Union zur Bewältigung einer solchen Notlage vorsieht. Richtig ist auch, dass es einige Initiativen gab, wie etwa die Maßnahmen zur Umsiedlung Drittstaatsangehöriger aus Griechenland und Italien(195). Es gab auch informellere Initiativen wie das Treffen zu den „Flüchtlingsströmen auf der Westbalkanroute“, das am 25. Oktober 2015 auf Einladung der Kommission in Brüssel stattfand und zur Abgabe einer Erklärung führte, die die Zusammenarbeit und die Abstimmung zwischen den betreffenden Staaten verbessern sollte(196). Die Kommission wurde gebeten, die Umsetzung der Erklärung zu überwachen.

223. Entscheidend war, dass es keine politische Einigung über eine Lösung für den Westbalkan gab(197).

224. Die liberale Haltung Deutschlands wurde in Presseschlagzeilen mit „Deutschland setzt Dublin-Regeln für aus Syrien Flüchtende aus“(198) beschrieben, und die Dublin‑III-Verordnung wurde als „gescheitert“ bezeichnet. Zu der ursprünglichen Politik Deutschlands (siehe oben, Nr. 12), um internationalen Schutz nachsuchende Syrer unbegrenzt aufzunehmen, hieß es: „Deutschland macht von [Dublin] keinen Gebrauch mehr“(199). Deutschland war jedoch nicht der einzige Mitgliedstaat, der im maßgeblichen Zeitraum Initiativen ergriff. Andere verfolgten einen deutlich anderen Ansatz(200).

225. Die Mitgliedstaaten handelten somit bisweilen einseitig, bisweilen bilateral und bisweilen in Gruppen mit oder ohne Drittstaaten. Die genaue Rechtsnatur der verschiedenen Maßnahmen im Verhältnis zum Rechtsrahmen der Union ist nicht völlig klar, auch wenn die Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Titel V des AEU-Vertrags gewissen Raum für Flexibilität lassen.

226. Es bleibt aber jedenfalls dabei, dass kein für die Situation auf dem Westbalkan im maßgeblichen Zeitraum passendes Kriterium in die Dublin‑III-Verordnung aufgenommen wurde. Es wurde auch kein anderer Rechtsakt vorgeschlagen oder erlassen, um das Vakuum zu füllen.

227. Dies ist der Hintergrund, vor dem der Gerichtshof jetzt um eine kohärente Auslegung der Dublin‑III-Verordnung ersucht wird.

228. Einerseits (und entgegen den von mir vorstehend geäußerten Ansichten) tragen Frankreich und die Kommission vor, dass Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex keine Anwendung finde und dass das Kriterium in Art. 13 Abs. 1 des Kapitels III einschlägig und streng anzuwenden sei. Aus diesem Vorbringen folgt, dass Drittstaatsangehörige, die die Außengrenze der Union überschritten haben, Anträge auf internationalen Schutz in den Grenzmitgliedstaaten stellen müssen, in denen sie zuerst „illegal“ eingetroffen sind.

229. Andererseits könnte, wenn die Politik des „Durchwinkens“ bedeutet, dass Drittstaatsangehörige durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten reisen dürfen, um ihre Anträge auf internationalen Schutz anschließend in einem Mitgliedstaat ihrer Wahl zu stellen, dies möglicherweise mit den Zielen der Dublin-III-Verordnung, Sekundärmigration und „forum shopping“ zu vermeiden, unvereinbar sein.

230. Dies ist wiederum eine Frage der Abwägung zwischen zwei entgegenstehenden Perspektiven(201).

231. Das Hauptproblem bei der von Frankreich und der Kommission vertretenen strengen Auslegung besteht darin, dass sie die im maßgeblichen Zeitraum auf dem Westbalkan herrschenden Umstände nicht in realistischer Weise berücksichtigt und die tatsächlichen Gegebenheiten bei den Grenzübertritten außer Acht lässt. Aufgrund ihrer geografischen Lage wären die Grenzmitgliedstaaten – insbesondere Kroatien und Slowenien (das nicht an ein Drittland grenzt, aber der erste Schengen-Staat ist(202)) – von der Zahl der aufzunehmenden Antragsteller und der entsprechenden Zahl zu bearbeitender Anträge auf internationalen Schutz überwältigt worden. Vom 16. September 2015 bis 5. März 2016 reisten insgesamt 685 068 Menschen nach Kroatien ein. Die Zahl der pro Tag eintreffenden Personen lag im Durchschnitt bei etwa 5 500 Drittstaatsangehörigen; am 17. September 2015 schwoll ihre Zahl auf 11 000 an(203).

232. Ein solches Ergebnis kann nicht mit dem Ziel in Einklang gebracht werden, dass die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auf „für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien“ basieren soll(204). Wenn das nationale Asylsystem eines Mitgliedstaats überlastet ist, kann er den effektiven Zugang zu den Verfahren für die Gewährung internationalen Schutzes nicht gewährleisten, und das in der Asylverfahrensrichtlinie festgelegte Ziel, Anträge auf internationalen Schutz zügig zu bearbeiten, wird unweigerlich gefährdet. Es dürfte für den betreffenden Mitgliedstaat auch schwierig, wenn nicht unmöglich sein, die Bestimmungen der Aufnahmerichtlinie einzuhalten, mit denen Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, aufgestellt werden(205).

233. Der Gerichtshof hat im Urteil N. S. u. a.(206) ausgeführt, dass ein Verstoß gegen die Asylverfahrens- oder die Aufnahmerichtlinie kein bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu berücksichtigender Faktor sei, weil andernfalls den in Kapitel III der Dublin‑II-Verordnung aufgeführten Kriterien durch die Hintertür ein zusätzliches Kriterium hinzugefügt würde(207). Er hat jedoch ergänzt: „Falls … ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit [der Dublin‑II-Verordnung] unvereinbar.“(208) Diese Rechtssache betraf die Lage in Griechenland und die Vorgängerin der Dublin‑III-Verordnung.

234. Ich sehe ein echtes Risiko, dass Grenzmitgliedstaaten wie Kroatien, wenn ihnen die Zuständigkeit für die Aufnahme und Betreuung außergewöhnlich hoher Zahlen von Asylbewerbern obliegt, mit einer unverhältnismäßigen Belastung hinsichtlich der Rückführung von Drittstaatsangehörigen konfrontiert werden, die zwischen September 2015 und März 2016 „durchgewinkt“ wurden. Für einige dieser Antragsteller, wie Herrn A. S. und die Familien Jafari, sind später Überstellungsgesuche gestellt worden, die der betreffende Grenzmitgliedstaat dann bearbeiten muss. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieser Mitgliedstaat dann den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich prüfen müssen. Es liegt auf der Hand, dass die Zunahme der Zahl der im Rahmen der Dublin‑III-Verordnung zurückgeführten Asylbewerber bereits zur Erhöhung des Drucks auf das kroatische Asylsystem geführt hat(209). Es ist durchaus möglich, dass Kroatien – wie es bei Griechenland bereits der Fall ist – schlicht nicht imstande sein wird, die Situation zu bewältigen, wenn zudem noch große Zahlen von Antragstellern aufgenommen werden müssen, die diesen Mitgliedstaat zuvor durchquert haben.

235. Slowenien sah sich mit einer ähnlich hohen Zahl von Menschen konfrontiert, die um Aufnahme in sein Hoheitsgebiet ersuchten, und auch seine Verwaltungskapazitäten für die Aufnahme von Antragstellern waren überlastet(210). Die slowenische Regierung beschrieb die Lage als eine ihrer größten humanitären Herausforderungen seit dem Zweiten Weltkrieg(211). Das wiederum könnte auch diesen Mitgliedstaat in eine Lage bringen, in der er nicht imstande ist, seinen Verpflichtungen aus Art. 4 der Charta und Art. 3 EMRK nachzukommen(212).

236. Meines Erachtens konnte von den um internationalen Schutz nachsuchenden Personen im maßgeblichen Zeitraum vernünftigerweise nicht erwartet oder verlangt werden, einen Antrag auf internationalen Schutz im ersten Mitgliedstaat zu stellen, in den sie gelangten, wie es die Kommission in der mündlichen Verhandlung nahezulegen schien. Es ist richtig, dass das Dublin-System auf dieser Prämisse beruht und dass auf dieser Grundlage die Fingerabdruckdaten eines individuellen Antragstellers erfasst und in Eurodac eingegeben werden. Nichts davon spiegelt jedoch die tatsächliche Lage zwischen September 2015 und März 2016 wider, als die zuständigen Behörden einen Massenzustrom von Menschen bewältigen mussten. Hinzu kommt, dass es nach den geltenden Regeln nicht in Frage kommt, jemanden zu zwingen, seine Fingerabdruckdaten erfassen zu lassen (womöglich, weil sowohl die Dublin‑III-Verordnung als auch die Eurodac-Verordnung die Grundrechte wahren und eine solche Praxis mit diesem Ziel unvereinbar sein könnte) – dies wäre jedoch vermutlich der einzige Weg gewesen, um zu gewährleisten, dass die Fingerabdruckdaten aller durchreisenden Personen erfasst werden.

237. Gerade weil es sich um eine noch nie dagewesene Situation handelte, denke ich nicht, dass (legitime) Bedenken in Bezug auf Sekundärmigration und „forum shopping“ in gleicher Weise zum Tragen kommen, wie es unter normalen Umständen der Fall wäre. Die vorliegenden Rechtssachen betreffen keine Einzelpersonen, die die Grenze des Unionsgebiets heimlich überschritten haben. In beiden Rechtssachen waren die Grenzübertritte gestattet. Die Betroffenen teilten den Behörden ihre Absichten mit und wurden registriert(213). Wir haben es hier nicht mit unerlaubter Sekundärmigration zu tun. Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist nicht zu entnehmen, dass die Antragsteller „forum shopping“ betreiben wollten. Sie wollten lediglich ihre jeweiligen Anträge in bestimmten Mitgliedstaaten stellen, die eine Bereitschaft hatten erkennen lassen, auf solche Anträge einzugehen und sie zu prüfen. Der Sachverhalt passt nicht in die bestehenden Grundraster. Deshalb ist der Schluss nicht zwingend, dass – beim gewöhnlichen individuellen Antragsteller durchaus legitime – Bedenken in Bezug auf Sekundärmigration und „forum shopping“ hier relevant sind.

238. Die Kriterien des Kapitels III waren nicht auf die Lage auf dem Westbalkan zugeschnitten(214). Würde man auf ihrer strikten Anwendung beharren, liefe dies einem anderen erklärten Ziel der Dublin‑III-Verordnung zuwider, das darin besteht, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten um internationalen Schutz nachsuchende Personen nicht „im Orbit“ verharren lassen(215).

239. Heißt das, dass die Dublin‑III-Verordnung „gescheitert“ ist?

240. Ich glaube das nicht.

241. Art. 3 der Dublin‑III-Verordnung enthält bestimmte allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien, von denen die Mitgliedstaaten Gebrauch machen können. Die Regel in Art. 3 Abs. 1, wonach Anträge von einem einzigen Mitgliedstaat zu prüfen sind, gilt weiterhin. Nach Art. 3 Abs. 2 ist, wenn „sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen [lässt], … der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig“. Die Mitgliedstaaten können ferner von der Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Gebrauch machen, wonach sie von Drittstaatsangehörigen gestellte Anträge auf internationalen Schutz prüfen können, auch wenn sie aufgrund der Kriterien des Kapitels III nicht für die Prüfung zuständig sind.

242. Im Licht der ganz außergewöhnlichen Umstände auf dem Westbalkan in der Zeit von September 2015 bis März 2016 kann der zuständige Mitgliedstaat anhand einer dieser Vorschriften der Dublin‑III-Verordnung bestimmt werden. In keiner der dem Gerichtshof derzeit vorliegenden Rechtssachen hat der betreffende Mitgliedstaat die Zuständigkeit nach Art. 17 Abs. 1 freiwillig übernommen. Der zuständige Mitgliedstaat sollte daher anhand von Art. 3 Abs. 2 bestimmt werden. Diese Ansicht trägt dem vom Unionsgesetzgeber eingeführten Grundrechtsschutz Rechnung und steht im Einklang mit dem allgemeinen Ziel im siebten Erwägungsgrund, da sie die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zwischen den Mitgliedstaaten eindeutig zuweist.

243. Ich komme zu dem Schluss, dass die Sachverhalte der Ausgangsverfahren es nicht zulassen, anhand von Kapitel III der Dublin‑III-Verordnung einen „zuständigen Mitgliedstaat“ zu bestimmen. Infolgedessen sollten Anträge auf internationalen Schutz nach Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung von dem ersten Mitgliedstaat geprüft werden, in dem sie gestellt wurden.

 Rechtssache C‑490/16, A. S.

244. Das vorlegende Gericht stellt in diesem Vorabentscheidungsersuchen eine zusätzliche Frage nach dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und danach, wie die Fristen zu berechnen sind.

245. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Herr A. S. nach Art. 27 der Dublin‑III-Verordnung die Entscheidung der zuständigen slowenischen Behörden anfechten kann, mit der Kroatien ersucht wird, nach Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung die Zuständigkeit für die Prüfung seines Asylantrags zu übernehmen.

246. Im Licht des Urteils Ghezelbash des Gerichtshofs(216) ist dies eindeutig zu bejahen. Der Gerichtshof hat dort festgestellt, dass „Art. 27 Abs. 1 der [Dublin‑III-Verordnung] im Licht ihres 19. Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums … geltend machen kann“(217).

247. Ich komme zu dem Schluss, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung in einem Fall, in dem eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, eine Überstellungsentscheidung mit der Begründung anficht, dass das Kriterium in Art. 13 Abs. 1 falsch angewendet worden sei, dahin auszulegen ist, dass diese Person im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über ihre Überstellung die falsche Anwendung dieses in Kapitel III der Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums rügen kann.

248. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Fristen in den Art. 13 Abs. 1 und 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung weiterlaufen, wenn ein um internationalen Schutz nachsuchender Antragsteller eine Überstellungsentscheidung nach Art. 27 Abs. 1 anficht.

249. Gemäß Art. 13 Abs. 1 endet, wenn die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats darauf beruht, dass der Antragsteller dessen Grenze aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

250. Da Herr A. S. von seinem Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Überstellungsentscheidung Gebrauch gemacht hat, wäre die in Art. 13 Abs. 1 vorgesehene Frist abgelaufen, bevor über den Rechtsstreit entschieden ist. Noch evidenter ist dies, weil das nationale Verfahren derzeit bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt ist.

251. Der Wortlaut deutet meines Erachtens darauf hin, dass die Frist in Art. 13 Abs. 1 nur sicherstellen soll, dass der um die Überstellung in den Staat, dessen Außengrenze der Drittstaatsangehörige bei der Einreise in das Unionsgebiet zuerst überschritten hat, ersuchende Mitgliedstaat (im Folgenden: ersuchender Mitgliedstaat) unverzüglich tätig wird(218). Wird der ersuchende Staat nicht innerhalb von zwölf Monaten tätig, wird er automatisch der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat. Diese Frist ist nicht an das Recht eines Antragstellers auf Einlegung eines Rechtsbehelfs gebunden. Eine dahin gehende Auslegung der Zwölfmonatsfrist würde dem Ziel zuwiderlaufen, den im Rahmen der Dublin-Regelung zuständigen Mitgliedstaat rasch zu bestimmen.

252. Art. 29 Abs. 2 bestimmt für den Fall, dass die Überstellung eines um internationalen Schutz nachsuchenden Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat (hier Slowenien) in den zuständigen Mitgliedstaat (hier Kroatien) nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme des Überstellungsgesuchs durchgeführt wird, dass der zuständige Mitgliedstaat von seinen Verpflichtungen befreit wird. Nach Art. 27 Abs. 3 hat die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung für den Antragsteller aufschiebende Wirkung. Die Verordnung schweigt jedoch dazu, ob eine derartige Anfechtung aufschiebende Wirkung für die in Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Fristen hat.

253. Haben Rechtsbehelfe gegen Überstellungsentscheidungen nach Art. 27 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b, wird eine Überstellungsentscheidung nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Bestimmungen ausgesetzt. Unter solchen Umständen scheint klar, dass die Frist in Art. 29 Abs. 2 nicht läuft.

254. Weniger eindeutig ist die Rechtslage, wenn Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Anwendung findet. Dann müssen die Mitgliedstaaten einem Antragsteller die Möglichkeit einräumen, eine Aussetzung der Überstellungsentscheidung zu beantragen. Die Frist nach Art. 29 Abs. 2 kann nicht laufen, solange die Entscheidung ausgesetzt ist. Unterliegt der Antragsteller jedoch, endet die Aussetzung, und die Sechsmonatsfrist beginnt erneut zu laufen.

255. Meines Erachtens wäre eine Auslegung der Art. 27 und 29, wonach die Sechsmonatsfrist trotz der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung weiterläuft, mit dem Ziel und der Systematik der Verordnung unvereinbar. Sie würde dazu führen, dass das Überstellungsverfahren durch lange Gerichtsverfahren untergraben werden könnte.

256. Meiner Meinung nach hört die in Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Sechsmonatsfrist deshalb zu laufen auf, wenn ein Rechtsbehelf im Rahmen von Art. 27 Abs. 1 aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung hat.

257. Unklar ist, welche genauen Folgen sich hieraus für Herrn A. S. ergeben. Dem Gerichtshof liegen keine Informationen darüber vor, in welcher Weise Slowenien Art. 27 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung umgesetzt hat.

258. Unstreitig ist jedoch, dass Herr A. S. unter noch nie dagewesenen Umständen in die Union eingereist ist. Einigkeit besteht auch darüber, dass ihm von den kroatischen Behörden die Einreise nach Kroatien gestattet wurde und dass ihm beim Grenzübertritt von Kroatien nach Slowenien in gleicher Weise die Einreise in den Schengen-Raum gestattet wurde. In der mündlichen Verhandlung hat Slowenien angegeben, dass die Gestattung auf Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex beruht habe. Unter diesen Umständen dürfte, wie bereits ausgeführt, die Einreise von Herrn A. S. nicht „illegal“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung gewesen sein. Er wurde beim Überschreiten der Außengrenze registriert, und es ist nichts dafür ersichtlich, dass er im SIS ausgeschrieben war. Er kann nicht nach Griechenland (wo er zuerst in die Union gelangte) zurückgeführt werden(219). Folglich ist Slowenien nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung der für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat.

 Rechtssache C‑646/16, Jafari

259. Wie aus der obigen Nr. 243 hervorgeht, sind die Anträge der Familien Jafari auf internationalen Schutz meines Erachtens aufgrund von Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung von den österreichischen Behörden zu prüfen. Ich sehe in der Politik des „Durchwinkens“ der Westbalkan-Staaten kein Visum im Sinne von Art. 12 der Dublin‑III-Verordnung. Es gab auch keine Befreiung von der Visumpflicht im Sinne von Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung.

260. Die Einreise der Familien Jafari in die Union aus einem Drittstaat war jedoch ebenso wie ihre anschließenden Überschreitungen von Binnengrenzen der Union gestattet. Unklar ist, ob dies ausdrücklich auf der Rechtsgrundlage von Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex geschah. Unbestreitbar ist, dass ihnen die Einreise gestattet wurde und dass sie dabei von den zuständigen nationalen Behörden Unterstützung erhielten. Unter den noch nie dagewesenen Umständen, die von September 2015 bis März 2016 auf dem Westbalkan herrschten, reicht dies aus, um zur Unanwendbarkeit des Kriteriums in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung zu führen.

261. Die Familien Jafari können nicht nach Griechenland (wo sie zuerst in die Union gelangten) zurückgeführt werden(220). Folglich ist Österreich nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung der für die Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat.

 Ergebnis

262. Nach alledem sollte der Gerichtshof meines Erachtens wie folgt entscheiden:

Sowohl in der Rechtssache C‑490/16, A. S., als auch in der Rechtssache C‑646/16, Jafari:

1.      Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist allein anhand ihres Wortlauts, ihres Kontexts und ihrer Zwecke auszulegen und nicht in Verbindung mit anderen Unionsrechtsakten, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) und der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, unbeschadet dessen, dass bei der Auslegung der Verordnung Nr. 604/2013 die Bestimmungen dieser Rechtsakte zu berücksichtigen sind, soweit dies zur Gewährleistung der Kohärenz zwischen den verschiedenen Politiken in Kapitel 2 von Titel V des AEU-Vertrags erforderlich ist.

2.      Unter den ganz außergewöhnlichen Umständen, unter denen es Ende 2015 und Anfang 2016 zu einem Massenzustrom von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Union kam, denen das Überschreiten der Außengrenze der Union aus Drittländern gestattet wurde, ist der Umstand, dass einige Mitgliedstaaten den betreffenden Drittstaatsangehörigen gestatteten, die Außengrenze der Union zu überschreiten und anschließend in andere Mitgliedstaaten der Union durchzureisen, um in einem bestimmten Mitgliedstaat Anträge auf internationalen Schutz zu stellen, der Erteilung eines „Visums“ im Sinne der Art. 2 Buchst. m und 12 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht gleichzustellen.

3.      Die Wendung „dass ein Antragsteller … die [G]renze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat“ in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 erfasst nicht eine Situation, in der Mitgliedstaaten infolge eines Massenzustroms von Drittstaatsangehörigen, die um internationalen Schutz in der Union nachsuchen, den betreffenden Drittstaatsangehörigen gestatten, die Außengrenze der Union zu überschreiten und anschließend in andere Mitgliedstaaten der Union durchzureisen, um in einem bestimmten Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen.

4.      Alternativ erfüllt ein Drittstaatsangehöriger, dem ein Mitgliedstaat die Einreise in sein Hoheitsgebiet nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex gestattet, die in dessen Art. 5 Abs. 1 aufgestellten Einreisevoraussetzungen per definitionem nicht. Da diese Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt sind, muss die Überschreitung der Außengrenze durch den betreffenden Drittstaatsangehörigen im förmlichen Sinne illegal sein. Seine Einreise wird jedoch de facto gestattet worden sein, wobei die Rechtsgrundlage für diese Gestattung die Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des Schengener Grenzkodex ist.

5.      Unter den Umständen, die Ende 2015 und Anfang 2016 auf dem Westbalkan vorlagen, ist darin, dass Drittstaatsangehörigen die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union gestattet wurde, keine visafreie Einreise im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 zu sehen.

6.      Die Sachverhalte der Ausgangsverfahren lassen es nicht zu, anhand von Kapitel III der Verordnung Nr. 604/2013 einen „zuständigen Mitgliedstaat“ zu bestimmen. Infolgedessen sollten Anträge auf internationalen Schutz nach Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung von dem ersten Mitgliedstaat geprüft werden, in dem sie gestellt wurden.

In der Rechtssache C‑490/16, A. S.:

7.      Ficht eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, eine Überstellungsentscheidung mit der Begründung an, dass das Kriterium in Art. 13 Abs. 1 falsch angewendet worden sei, ist Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 dahin auszulegen, dass diese Person im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über ihre Überstellung die falsche Anwendung dieses in Kapitel III der Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums rügen kann.

8.      Die in Art. 29 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehene Sechsmonatsfrist hört zu laufen auf, wenn ein Rechtsbehelf im Rahmen von Art. 27 Abs. 1 aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung hat.


1 –      Originalsprache: Englisch.


2 –      Von Norden nach Süden: Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Die russische Exklave Kaliningrad Oblast ist von Polen, Litauen und der Ostsee umgeben.


3 –      So hat Kroatien neben seinen Grenzen zu seinen Unionsnachbarn Slowenien und Ungarn auch Außengrenzen zu Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro. Griechenland hat eine EU-Binnengrenze zu Bulgarien und Außengrenzen zu Albanien, der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (im Folgenden: EJR Mazedonien) und der Türkei.


4 –      Die Genfer Konvention (siehe unten, Nr. 19) definiert Flüchtlinge als Menschen, die vor Konflikten oder Verfolgung fliehen; der Begriff „Flüchtlinge“ wird im weiteren Sinne auch für Menschen verwendet, die von Konflikten heimgesuchte Länder oder Regionen verlassen und noch keine Gelegenheit hatten, den Flüchtlingsstatus förmlich zu beantragen und zuerkannt zu bekommen. Migration ist ein ganz anderer Begriff. Auf internationaler Ebene gibt es keine allgemein anerkannte Definition des Wortes „Migrant“. Es wird üblicherweise so verstanden, dass es alle Fälle erfasst, in denen die Entscheidung zur Migration vom Betroffenen aufgrund „persönlicher Belange“ und ohne Hinzutreten eines äußeren Zwangs frei getroffen wurde. Dies ist ein entscheidender Unterschied zwischen „Migranten“ und „Flüchtlingen“. Der Ausdruck „Migrant“ wird häufig in der Presse für sogenannte „Wirtschaftsmigranten“ verwendet – Personen, die ihr Herkunftsland allein aus wirtschaftlichen, mit dem Begriff „Flüchtling“ nicht in Verbindung stehenden Gründen verlassen, um eine materielle Verbesserung ihrer Lebensqualität anzustreben; vgl. das Glossar der Internationalen Organisation für Migration und das Glossar des Europäischen Migrationsnetzwerks sowie die Stellungnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (im Folgenden: UNHCR) vom 11. Juli 2016, „‚Refugee‘ or ‚migrant‘ – which is right?“.


5 –      Zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich, dem Vereinigten Königreich und Frankreich sowie Belgien bzw. dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden sowie Deutschland.


6 –      Das Skagerrak trennt Dänemark von seinem EWR-Nachbarn Norwegen.


7 –      Das Kattegat und die Ostsee trennen Dänemark und Deutschland von Schweden.


8 –      Die Ostsee, den Bottnischen Meerbusen und den Finnischen Meerbusen.


9 –      Finnland hat Landgrenzen zu Schweden (einem anderen Mitgliedstaat der Union), Norwegen (einem EWR-Staat) und Russland (einem Drittland).


10 –      Diesen Begriff verwende ich zur Bezeichnung mehrerer aufeinanderfolgender Rechtsakte. Zunächst gab es das Dubliner Übereinkommen (Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags, ABl. 1997, C 254, S. 1). Es wurde von den Mitgliedstaaten am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichnet und trat für die zwölf ursprünglichen Unterzeichnerstaaten am 1. September 1997, für die Republik Österreich und das Königreich Schweden am 1. Oktober 1997 und für die Republik Finnland am 1. Januar 1998 in Kraft. Es wurde ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1, im Folgenden: Dublin‑II-Verordnung). Die Dublin‑II-Verordnung wurde aufgehoben durch die derzeit gültige Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung).


11 –      Anzumerken ist, dass in der Praxis die Frage, welche Mitgliedstaaten von welchen Fluglinien und aus welchen Orten regelmäßig angeflogen werden, eine Rolle bei der Bestimmung des Mitgliedstaats spielen wird, in dem eine Person, die internationalen Schutz beantragt und auf dem Luftweg ankommt, zuerst landet.


12 –      „Editorial Comments“, Common Market Law Review 52, Nr. 6 vom 6. Dezember 2015, S. 1437 bis 1450, mit einem Zitat aus dem Schreiben des Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans an die S&D-Fraktion des Europäischen Parlaments vom 21. Oktober 2015.


13 –      Vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 10. Februar 2016 zum aktuellen Stand der Umsetzung der Prioritäten im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda (COM[2016] 85 final).


14 –      Zusammen als „Transitstaaten“ bezeichnet.


15 –      Migration to Europe through the Western Balkans – Serbia & the Former Yugoslav Republic of Macedonia, Report, December 2015 to May 2016, REACH, S. 4. Die Route wird als, verglichen mit anderen Routen, relativ leicht und sicher beschrieben, vgl. S. 19 dieses Berichts.


16 –      At the Gate of Europe, ein Bericht über Flüchtlinge auf der Westbalkanroute von Senado Šelo Šabić und Sonja Borić. Nachdem der Zustrom von Drittstaatsangehörigen in Šid, einer Stadt an der kroatischen Grenze, angelangt war, wurden kostenlose Verkehrsmittel bereitgestellt, um sie über die Grenze in ein Aufnahmezentrum in Kroatien zu bringen.


17 –      Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 239, S. 146).


18 –      Siebter Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/1523.


19 –      Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. 2015, L 248, S. 80).


20 –      Bis Februar 2017, 18 Monate nach Beginn des Umsiedlungszeitraums, waren insgesamt 11 966 Asylbewerber aus Griechenland und Italien umgesiedelt worden, vgl. den Bericht der Generaldirektion Interne Politikbereiche, Implementation of the 2015 Council decisions establishing provisional measures in the area of international protection for the benefit of Italy and of Greece, veröffentlicht vom Europäischen Parlament. Die Kommission hat die Umsetzung der Umsiedlungsregelung als „unbefriedigend“ bezeichnet: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, Umverteilung und Neuansiedlung – Erster Fortschrittsbericht vom 16. März 2016 (COM[2016] 165 final).


21 –      Ungarn betrachtete sich nicht als Staat an der Außengrenze und war der Ansicht, dass es nicht von der Maßnahme profitieren werde. Die Tschechische Republik, Ungarn, die Slowakei und Rumänien stimmten dagegen, Finnland enthielt sich – Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, Legislation on emergency relocation of asylum seekers in the European Union.


22 –      Teilnehmer waren Albanien, Österreich, Bulgarien, Kroatien, die EJR Mazedonien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Rumänien, Serbien und Slowenien.


23 –      Pressemitteilung IP/15/5904 der Kommission vom 25. Oktober 2015.


24 –      Am plausibelsten ist vielleicht, dass insoweit ein zwischenstaatliches Handeln nach dem Völkerrecht und nicht nach dem Unionsrecht beabsichtigt war. Unklar ist allerdings, ob den Mitgliedstaaten die dafür erforderliche Zuständigkeit verblieben war.


25 –      Dies dürfte keine ganz korrekte Wiedergabe der Lage sein. Es zeigt jedoch, wie die Situation von manchen wahrgenommen wurde.


26 –      Zu den verschiedenen Lageberichten gehört „die Frontex-Stellungnahme zu Entwicklungen und Routen in Bezug auf die Westbalkanroute“.


27 –      An dem Treffen nahmen die Leiter der Polizeibehörden Österreichs, Kroatiens, der EJR Mazedonien, Serbiens und Sloweniens teil. In den Punkten 5, 6 und 7 der Erklärung wird festgehalten, dass die Teilnehmer vereinbart hätten, die Ersteinreise nur Personen zu gestatten, die die Einreisevoraussetzungen nach dem Schengener Grenzkodex erfüllten. Irakischen und syrischen Staatsangehörigen sollte die Einreise aus humanitären Gründen gestattet werden, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllten (wie etwa den Nachweis der Nationalität), und es wurden gemeinsame, bei der Registrierung zu prüfende Kriterien festgelegt. Auf Unionsebene und seitens verschiedener Mitgliedstaaten gab es eine Reihe von Initiativen (vgl. die Zusammenfassung in den Nrn. 12 bis 17). Diese Erklärung habe ich erwähnt, weil sie mit den Vorlagefragen in unmittelbarem Zusammenhang steht.


28 –      Unterzeichnet in Genf am 28. Juli 1951 und in Kraft getreten am 22. April 1954 (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden gemeinsam: Genfer Konvention).


29 –      Unterzeichnet in Rom am 4. November 1950 (im Folgenden: EMRK).


30 –      ABl. 2010, C 83, S. 389 (im Folgenden: Charta). Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 erlangte die Charta den Status von Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EUV).


31 –      Beschluss 2006/188/EG des Rates vom 21. Februar 2006 über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark zur Ausdehnung auf Dänemark der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, sowie der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (ABl. 2006, L 66, S. 37).


32 –      Das Abkommen und das Protokoll mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein traten am 1. März 2008 in Kraft (ABl. 2008, L 53, S. 5). Sie wurden durch den Beschluss 2008/147/EG des Rates vom 28. Januar 2008 (ABl. 2008, L 53, S. 3) und den Beschluss 2009/487/EG des Rates vom 24. Oktober 2008 (ABl. 2009, L 161, S. 6) genehmigt. Das Dublin-System gilt daher auch für die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Fürstentum Liechtenstein. Island und Norwegen wenden das Dublin-System aufgrund bilateraler Abkommen mit der Europäischen Union an, die durch den Beschluss 2001/258/EG des Rates vom 15. März 2001 (ABl. 2001, L 93, S. 38) genehmigt wurden.


33 –      Erwägungsgründe 2, 3 und 4.


34 –      Fünfter Erwägungsgrund.


35 –      Siebter Erwägungsgrund.


36 –      In den Erwägungsgründen 10, 11 und 12 wird auf folgende Rechtsakte Bezug genommen: i) Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9, im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie), ii) Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 6, im Folgenden: Asylverfahrensrichtlinie) und iii) Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96, im Folgenden: Aufnahmerichtlinie).


37 –      Erwägungsgründe 13 und 14.


38 –      Erwägungsgründe 15 und 16.


39 –      19. Erwägungsgrund.


40 –      25. Erwägungsgrund.


41 –      32. Erwägungsgrund.


42 –      39. Erwägungsgrund.


43 –      Siehe unten, Nr. 88.


44 –      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. 2009, L 243, S. 1, im Folgenden: Visakodex).


45 –      Eurodac-Verordnung, siehe unten, Nr. 43.


46 –      Die genaue Bedeutung dieser Bestimmung ist Gegenstand der derzeit beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache C‑670/16, Mengesteab.


47 –      In Art. 22 Abs. 3 wird die Kommission ermächtigt, Durchführungsrechtsakte zur Erstellung von Verzeichnissen zu erlassen, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien aufgeführt sind, nach denen sich die Zuständigkeit für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz nach der Dublin‑III-Verordnung bestimmt; siehe unten, Nr. 44.


48 –      Fragen nach der Auslegung dieser Bestimmungen sind ebenfalls Gegenstand der (beim Gerichtshof anhängigen) Rechtssache C‑670/16, Mengesteab.


49 –      Fragen nach der Auslegung von Art. 29 der Dublin‑III-Verordnung sind in der (beim Gerichtshof anhängigen) Rechtssache C‑201/16, Shiri, aufgeworfen worden.


50 –      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (ABl. 2010, L 132, S. 11).


51 –      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1, im Folgenden: Eurodac-Verordnung); vgl. Art. 1.


52 –      Verordnung vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 343/2003 (ABl. 2014, L 39, S. 1, im Folgenden: Dublin-Durchführungsverordnung).


53 –      Vgl. beispielsweise die Hanse, die zum Schutz bestimmter Handelsinteressen und diplomatischer Privilegien in den ihr angehörenden Städten und Ländern gegründet wurde und hierdurch die handelsbezogene Freizügigkeit sowohl erleichterte als auch regelte. Die Hanse wurde offiziell 1356 gegründet, ihre Ursprünge gehen indes auf den Wiederaufbau Lübecks durch Heinrich den Löwen im Jahr 1159 zurück. Sie spielte mehr als 300 Jahre lang eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Wirtschaft, Handel und Politik in der Nord- und Ostseeregion.


54 –      Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ). Das Übereinkommen ist nach wie vor in Kraft, auch wenn es teilweise durch den Schengener Grenzkodex ersetzt wurde, durch den die Art. 2 bis 8 aufgehoben wurden. Siehe unten, Nr. 46.


55 –      Von den 28 Mitgliedstaaten der Union sind 22 am Schengen-Besitzstand voll beteiligt; Bulgarien, Kroatien, Zypern und Rumänien sind auf dem Weg zu einer vollen Beteiligung. Nach Art. 4 Abs. 2 der Akte über den Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union sind einige Bestimmungen des Schengen-Besitzstands bereits für Kroatien bindend. Das SIS II gilt dort noch nicht, aber ein Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung dieser Rechtslage liegt derzeit auf dem Tisch: Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Bereich des Schengener Informationssystems in der Republik Kroatien vom 18. Januar 2017 (COM[2017] 17 final). Aufgrund bilateraler Abkommen mit der Europäischen Union sind auch Liechtenstein, Island, Norwegen und die Schweiz am Schengen-Besitzstand beteiligt.


56 –      Nach Art. 4 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 19) über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand sind Irland und das Vereinigte Königreich berechtigt, ihre Beteiligung an einzelnen oder allen Schengen-Maßnahmen zu beantragen. Das Vereinigte Königreich darf nach seiner Auffassung erforderliche Grenzkontrollen bei Personen durchführen, die in sein Hoheitsgebiet einreisen wollen (Art. 1 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls [Nr. 20] zum AEU-Vertrag über die Anwendung bestimmter Aspekte des Art. 26 AEUV auf das Vereinigte Königreich und auf Irland). Für das Vereinigte Königreich gilt eine ausdrückliche Ausnahme von Art. 77 AEUV (der die Politik der Union im Bereich der Kontrollen an den Binnen- und Außengrenzen betrifft). Die Verträge erkennen somit an, dass das Vereinigte Königreich seine eigenen Grenzen kontrolliert. Nach Art. 1 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks beteiligt sich dieser Mitgliedstaat nicht an der Annahme von Maßnahmen durch den Rat, die nach Titel V des Dritten Teils des AEU-Vertrags (Interne Politiken und Maßnahmen der Union im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts) vorgeschlagen werden.


57 –      Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1). Diese Verordnung wurde inzwischen durch die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 (ABl. 2016, L 77, S. 1), die ebenfalls den Titel Schengener Grenzkodex trägt, aufgehoben und ersetzt. Im maßgeblichen Zeitraum (d. h. von September 2015 bis März 2016) war die frühere Fassung des Schengener Grenzkodex nach Änderung durch die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 (ABl. 2013, L 295, S. 1) in Kraft. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich auf diese Fassung des Schengener Grenzkodex Bezug nehmen.


58 –      Zweiter Erwägungsgrund.


59 –      Vierter Erwägungsgrund.


60–      Sechster Erwägungsgrund.


61 –      Siebter Erwägungsgrund.


62 –      Achter Erwägungsgrund.


63 –      Neunter Erwägungsgrund.


64 –      Richtlinie vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. 2004, L 158, S. 77).


65 –      Verordnung vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (ABl. 2002, L 157, S. 1).


66 –      In Art. 34 des Schengener Grenzkodex ist aufgeführt, welche Angaben die Mitgliedstaaten der Kommission übermitteln müssen, u. a. über Aufenthaltstitel und Grenzübergangsstellen. Siehe unten, Nr. 58, in Bezug auf Visa.


67 –      Das Verhältnis zwischen diesen Visa und der Dublin‑III-Verordnung wurde vom Gerichtshof in Rn. 48 seines kürzlich ergangenen Urteils vom 7. März 2017, X und X (C‑638/16 PPU, EU:C:2017:173), kurz angesprochen.


68 –      Nach Art. 5 Abs. 2 enthält Anhang I eine nicht abschließende Liste von Belegen, die sich der Grenzschutzbeamte von dem Drittstaatsangehörigen vorlegen lassen kann, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen von Abs. 1 Buchst. c erfüllt sind.


69 –      Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. 2006, L 381, S. 4, im Folgenden: SIS-II-Verordnung). Durch diese Verordnung wurden die Art. 92 bis 119 des SDÜ ersetzt.


70 –      Art. 3 Buchst. d der SIS-II-Verordnung.


71 –      Art. 24 Abs. 1 und 2 der SIS-II-Verordnung. Auf das SIS-Ausschreibungssystem gehe ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑225/16, Ouhrami (EU:C:2017:398), näher ein.


72 –      Art. 24 Abs. 3 der SIS-II-Verordnung.


73 –      Verordnung vom 29. Mai 1995 über eine einheitliche Visagestaltung (ABl. 1995, L 164, S. 1).


74 –      Verordnung vom 15. März 2001 (ABl. 2001, L 81, S. 1).


75 –      Art. 3 der Verordnung Nr. 539/2001.


76 –      Diese Gruppen sind in Art. 4 Abs. 1 aufgeführt. Hierzu gehören z. B. Inhaber von Diplomatenpässen.


77 –      Entscheidung vom 8. Juni 2004 zur Einrichtung des Visa-Informationssystems (VIS) (ABl. 2004, L 213, S. 5).


78 –      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung) (ABl. 2008, L 218, S. 60).


79 –      Vgl. Art. 2 Abs. 1, 2, 6 und 7 des Visakodex.


80 –      Art. 31 Abs. 1 und 2.


81 –      Art. 31 Abs. 3.


82 –      Art. 31 Abs. 8 Buchst. h und i der Asylverfahrensrichtlinie.


83 –      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98, im Folgenden: Rückführungsrichtlinie).


84 –      Art. 3 Abs. 1 und 2 der Rückführungsrichtlinie.


85 –      Rechtssache C‑490/16.


86 –      Rechtssache C‑646/16.


87 –      Siehe oben, Fn. 4.


88 –      Nach Art. 22 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung ist anhand der Beweismittel oder Indizien im Sinne der Dublin-Durchführungsverordnung festzustellen, ob die Grenze illegal überschritten wurde. Das Upravno sodišče Republike Slovenije (erstinstanzliches Verwaltungsgericht der Republik Slowenien) erkennt an, dass die Akten im Fall von Herrn A. S. keinen förmlichen Beweis für eine illegale Einreise nach Kroatien enthalten.


89 –      Siehe unten, Nr. 99, zur Teilnahme an der gemeinsamen mündlichen Verhandlung und zum mündlichen Vorbringen.


90 –      Diese (lediglich in slowenischer Sprache abgefasste) Änderung, die offenbar von einem ohne Kenntnis oder Zustimmung der Antragstellerinnen handelnden Beamten vorgenommen wurde, ist ein Indiz für den Druck, unter dem die Grenzbeamten arbeiteten. Eine Trennung der Familie in dieser Weise würde Fragen im Hinblick auf die Art. 7 und 24 der Charta betreffend das Recht auf Familienleben und die Rechte des Kindes aufwerfen. Hätten die beiden Schwestern mit ihren jeweiligen Kindern letztlich Aufnahme in verschiedenen Mitgliedstaaten gefunden, hätten sich auch potenzielle Fragen in Bezug auf andere Kriterien des Kapitels III der Dublin‑III-Verordnung gestellt.


91 –      Siehe unten, Nrn. 231 und 232.


92 –      Möglicherweise könnte hiermit die Erklärung der Leiter der Polizeibehörden vom 18. Februar 2016 (siehe oben, Nr. 16) gemeint sein. Es könnten jedoch auch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom gleichen Tag gemeint sein. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht nicht klar hervor, auf welches dieser Dokumente Bezug genommen wird.


93 –      Urteile vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409) und Karim (C‑155/15, EU:C:2016:410).


94 –      Art. 1 der Dublin‑III-Verordnung.


95 –      Siehe oben, Nr. 45.


96 –      Der Begriff „forum shopping“ bezeichnet den Missbrauch von Asylverfahren durch Personen, die in mehreren Mitgliedstaaten Asylanträge allein zu dem Zweck stellen, ihren Aufenthalt in den Mitgliedstaaten zu verlängern, vgl. z. B. den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, vom 3. Dezember 2008 (KOM[2008] 820 endg.).


97 –      „Sekundärmigration“ bezeichnet das Phänomen, dass Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber aus unterschiedlichen Gründen das Land verlassen, in dem sie zuerst angekommen waren, um andernorts Schutz zu suchen oder sich dauerhaft niederzulassen (vgl. das Glossar „Asylum and Migration“ des Europäischen Migrationsnetzwerks).


98 –      Erwägungsgründe 2, 3, 4 und 5 der Dublin‑III-Verordnung.


99 –      Art. 8 bis 11 der Dublin‑III-Verordnung.


100 –      Art. 12, 13 und 14 der Dublin‑III-Verordnung. Stellt ein Drittstaatsangehöriger im internationalen Transitbereich des Flughafens eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, so ist dieser Staat für die Prüfung des Antrags zuständig (Art. 15 der Dublin‑III-Verordnung).


101 –      Vgl. die Art. 7 und 5 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex.


102 –      Art. 12 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet der Personen, die um Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ersuchen, und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung. Vgl. Art. 9 Abs. 1 der Asylverfahrensrichtlinie in Bezug auf die Berechtigung zum Verbleib in einem Mitgliedstaat während der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und Art. 6 der Rückführungsrichtlinie zu den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger.


103 –      In der Praxis wird die Eurodac-Verordnung nicht einheitlich angewendet; die Kommission hat eine Reihe von Verwaltungsschreiben (das Schreiben vor dem Mahnschreiben, das die Vorstufe eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV darstellt) an Mitgliedstaaten gesandt. Vgl. COM(2015) 510 final vom 14. Oktober 2015: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, „Bewältigung der Flüchtlingskrise: Lagebericht zur Umsetzung der Prioritäten im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda“.


104 –      Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Rückführungsrichtlinie. Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Richtlinie nicht anzuwenden, wenn die Einreise nach Art. 13 des Schengener Grenzkodex verweigert wird oder wenn eine Person beim illegalen Überschreiten der Grenze aufgegriffen oder abgefangen wird.


105 –      Siehe oben, Nrn. 7 bis 18.


106 –      Frage 2 in der Rechtssache C‑490/16 und Frage 1 in der Rechtssache C‑646/16.


107 –      Fragen 2 a bis d, 3 e, f und g in der Rechtssache C‑646/16.


108 –      Frage 2 in der Rechtssache C‑490/16 und Fragen 2 e, 3 a und 3 b in der Rechtssache C‑646/16.


109 –      Frage 3 in der Rechtssache C‑490/16 und Fragen 3 a bis h in der Rechtssache C‑646/16.


110 –      Fragen 1 und 5.


111 –      Frage 4 in der Rechtssache C‑490/16.


112 –      Siehe oben, Nrn. 12 bis 17 und 45.


113 –      Urteil vom 6. Juni 2013, MA u. a. (C‑648/11, EU:C:2013:367, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 35).


114 –      Interinstitutionelle Vereinbarung vom 22. Dezember 1998 über Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften (ABl. 1999, C 73, S. 1).


115 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 11. Dezember 2007, Skoma-Lux (C‑161/06, EU:C:2007:773, Rn. 38).


116 –      Siehe unten, Nrn. 142 bis 153.


117 –      Siehe oben, Nrn. 62 und 63. „Visum“ im Sinne von Art. 2 Buchst. m der Dublin‑III-Verordnung ist ein weiterer Begriff als im Kodex.


118 –      Siehe oben, Nr. 26.


119 –      Dritter Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung.


120 –      Dritter Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung.


121 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso(C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 29 und 30).


122 –      So bezeichnete die Kommission die vorgeschlagene Maßnahme in der Begründung ihres Vorschlags KOM(2001) 447 endg. vom 26. Juli 2001 für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, als weitere „Maßnahme zur Errichtung des [GEAS] …“. Vgl. entsprechend auch Urteil vom 17. März 2016, Mirza (C‑695/15 PPU, EU:C:2016:188, Rn. 41); vgl. ferner die Erwägungsgründe 10 bis 12 der Dublin‑III-Verordnung.


123 –      Vgl. z. B. Art. 2 Buchst. b und d der Dublin‑III-Verordnung für die Anerkennungs- und die Asylverfahrensrichtlinie sowie Art. 28 für die Aufnahmerichtlinie.


124 –      32. Erwägungsgrund.


125 –      Urteile vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 78 und 79), und vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 52).


126 –      Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 53).


127 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 83).


128 –      Urteil vom 6. Juni 2013, MA u. a. (C‑648/11, EU:C:2013:367, Rn. 56 bis 58). Vgl. auch die Erwägungsgründe 2, 19 und 39 der Dublin‑III-Verordnung.


129 –      Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 56).


130 –      Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 59).


131 –      Siehe oben, Nrn. 117 bis 120.


132 –      Art. 2 Buchst. c der Dublin‑III-Verordnung.


133 –      Vgl. die Begründung des Vorschlags der Kommission KOM(2008) 820 endg. Die Bestimmungen über die „Zuständigkeit für die Behandlung von Asylbegehren“ standen in den Art. 28 bis 38 von Kapitel 7 des SDÜ.


134 –      Vgl. z. B. Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. 2002, L 328, S. 17).


135 –      Vgl. die Art. 3 und 4a Abs. 1 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 21) sowie den 41. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung.


136 –      In diesen Fällen fällt der betreffende Drittstaatsangehörige unter die Asylverfahrensrichtlinie und genießt Schutz nach ihrem Art. 9.


137 –      Urteil vom 7. Juni 2016 (C‑47/15, EU:C:2016:408, Rn. 48 und 49).


138 –      Siehe ferner unten, Nrn. 155 ff.


139 –      Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi (C‑394/12, EU:C:2013:813, Rn. 48).


140 –      Die GEAS-Maßnahmen haben die gleiche Rechtsgrundlage, nämlich Art. 78 Abs. 2 AEUV (genauer gesagt für die Anerkennungsrichtlinie Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AEUV, für die Asylverfahrensrichtlinie Art. 78 Abs. 2 Buchst. d AEUV und für die Aufnahmerichtlinie Art. 78 Abs. 2 Buchst. f AEUV). Die Rechtsgrundlage der Dublin‑III-Verordnung ist natürlich Art. 78 Abs. 2 Buchst. e AEUV. Art. 63 Abs. 2 Buchst. a und b EG wird als Rechtsgrundlage der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. 2001, L 212, S. 12) angeführt. Dieser Rechtsakt ist noch nicht überarbeitet worden; die geeignete Rechtsgrundlage wäre jetzt, seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, Art. 78 Abs. 2 Buchst. g. Die Rechtsgrundlage des Schengener Grenzkodex ist Art. 77 AEUV und die der Rückführungsrichtlinie Art. 79 AEUV.


141 –      Deutschland war meist das bevorzugte Ziel derjenigen, die bei einer von REACH im Rahmen ihres Berichts Migration to Europe through the Western Balkans – Serbia & the Former Yugoslav Republic of Macedonia, December 2015 to May 2016 durchgeführten Umfrage interviewt wurden.


142 –      Urteil vom 7. März 2017, X und X (C‑638/16 PPU, EU:C:2017:173, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


143 –      Anhang I der Verordnung Nr. 539/2001.


144 –      Gleiches gilt für Herrn A. S., da Syrien in Anhang I der Verordnung Nr. 539/2001 als Drittland aufgeführt ist, dessen Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenze der Union aus einem Drittstaat im Besitz eines Visums sein müssen.


145 –      Siehe oben, Nrn. 62 und 63.


146 –      Wie nach den Art. 20 und 24 des Visakodex erforderlich.


147 –      Art. 21 des Visakodex; siehe ferner oben, Nr. 60.


148 –      Vgl. Art. 21 der Verordnung Nr. 767/2008 und 31. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung.


149 –      Siehe oben, Nrn. 1 bis 9.


150 –      Im Deutschen und im Slowenischen.


151 –      Im Englischen und im Französischen.


152 –      Der Europarat differenziert zwischen illegaler Migration und dem irregulären Migranten. Laut der Entschließung 1509 (2006) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist „illegal“ im Zusammenhang mit einem Zustand oder Vorgang und „irregulär“ im Zusammenhang mit einer Person vorzugswürdig. Aufgrund der Assoziierung mit Kriminalität sollte deshalb der Begriff „illegale Migration“ vermieden werden, da die meisten irregulären Migranten keine Straftäter seien. Ohne die erforderlichen Papiere im Land zu sein, ist in den meisten Ländern keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Die Kommission bevorzugte lange Zeit den Begriff „illegale Einwanderung“, spricht in jüngerer Zeit aber auch von „irregulärer Migration“; „illegal“ und „irregulär“ werden in der Empfehlung (EU) 2017/432 der Kommission vom 7. März 2017 für eine wirksamere Gestaltung der Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Rückführungsrichtlinie (ABl. 2017, L 66, S. 15) offenbar unterschiedslos verwendet.


153 –      Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso (C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127).


154 –      Auch in der französischen Fassung wird ein anderes Adjektiv verwendet, und zwar heißt es in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung „irrégulièrement“. In Art. 31 Abs. 8 Buchst. h der Asylverfahrensrichtlinie wird die Formulierung „est entré ou a prolongé son séjour illégalement“ verwendet. Gleiches gilt für die deutsche Fassung, wo in Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung „illegal“ und in Art. 31 Abs. 8 Buchst. h der Asylverfahrensrichtlinie „unrechtmäßig“ verwendet wird.


155 –      Die Verzeichnisse haben den Zweck, Kontinuität zwischen dem Dubliner Übereinkommen und den an seine Stelle getretenen Rechtsakten zu gewährleisten, vgl. den zweiten Erwägungsgrund der Dublin-Durchführungsverordnung.


156 –      Nach Art. 22 Abs. 4 der Dublin‑III-Verordnung sollte das Beweiserfordernis nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung erforderliche Maß hinausgehen, vgl. auch Art. 22 Abs. 5.


157 –      Art. 1 der Eurodac-Verordnung.


158 –      Art. 9 der Eurodac-Verordnung.


159 –      Art. 14 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung.


160 –      Nr. 7 erster Gedankenstrich von Verzeichnis A des Anhangs II der Dublin-Durchführungsverordnung. Da der die Fingerabdrücke abnehmende Mitgliedstaat sodann nach Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung für die Entscheidung über einen etwaigen späteren Antrag auf internationalen Schutz zuständig wird, könnte sich dies in der Realität als Hemmnis für eine strenge Anwendung der Eurodac-Verordnung erweisen.


161 –      Die Rechtsgrundlage für die Dublin‑III-Verordnung ist Art. 78 Abs. 2 Buchst. e AEUV. Hinzuweisen ist darauf, dass Art. 78 Abs. 2 Buchst. c eine gemeinsame Regelung für den vorübergehenden Schutz von Vertriebenen im Fall eines Massenzustroms betrifft, vgl. die Richtlinie 2001/55/EG. Da diese Richtlinie vor dem Vertrag von Lissabon von 2009 erlassen wurde, ist in den dortigen Erwägungsgründen Art. 63 Buchst. a und b EG angeführt.


162 –      Das UNHCR führt aus: „Die Dublin-Verordnung stellt das einzige regionale Instrument dar, das die Verteilung der Zuständigkeit für Asylbewerber regelt, und sie ist ein wichtiges Hilfsmittel für Asylbewerber, um in der EU wieder mit ihrer Familie vereint zu werden.“ Das UNHCR kommentiert den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (COM[2016] 270), S. 6.


163 –      Dem entspricht das Recht in Art. 3 EMRK.


164 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 94).


165 –      Das Dublin-System, veröffentlicht von der Generaldirektion Migration und Inneres der Europäischen Kommission.


166 –      Die Kriterien des Kapitels III, die die Einreisevoraussetzungen betreffen, insbesondere der jetzige Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung, sind aus denselben Grundsätzen entwickelt worden, die dem SDÜ (insbesondere dem damaligen Art. 30 Buchst. e) zugrunde lagen, nämlich dem Konzept, dass in einem Raum, in dem der freie Personenverkehr gemäß den Bestimmungen des Vertrags gewährleistet ist, jeder Mitgliedstaat gegenüber allen anderen Mitgliedstaaten für seine Handlungen in Bezug auf die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen verantwortlich ist und die Konsequenzen daraus im Geist der Solidarität und der loyalen Zusammenarbeit tragen muss. Vgl,, zur Dublin‑II-Verordnung, die Begründung des Kommissionsvorschlags KOM(2001) 447; vgl. auch die Begründung des Kommissionsvorschlags KOM(2008) 820. Siehe ferner oben, Nr. 129, zur Bedeutung der Ursprünge der Dublin-Rechtsakte.


167 –      Der Zustrom schloss auch Menschen ein, die keine Angehörigen dieser Staaten waren, und solche, die nicht aufgrund von Verfolgung zur Migration gezwungen waren; siehe insbesondere oben, Fn. 4 und Nr. 7.


168 –      Nach der Aufnahmerichtlinie müssen die Mitgliedstaaten bestimmte Normen für die Aufnahme von Antragstellern auf internationalen Schutz einhalten, die ein menschenwürdiges Leben und vergleichbare Lebensbedingungen überall in der Union gewährleisten. Insoweit unterliegen die Mitgliedstaaten Verpflichtungen nach völkerrechtlichen Instrumenten wie der Genfer Konvention und der EMRK.


169 –      Siehe unten, Fn. 209.


170 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a.(C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 86, jetzt kodifiziert in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung).


171 –      Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zum aktuellen Stand der Umsetzung der Prioritäten im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda, COM(2016) 85 final.


172 –      KOM(2008) 820 endg.


173 –      Siehe oben, Fn. 96.


174 –      Herr A. S. reiste aus Serbien an einer dafür bestimmten Grenzübergangsstelle nach Kroatien ein, siehe oben, Nr. 71. Die Familien Jafari reisten aus Serbien nach Kroatien ein, nachdem sie bestimmte Vorkontrollen durchlaufen hatten, um festzustellen, dass sie tatsächlich afghanische Staatsangehörige sind und daher Aussicht auf Zuerkennung internationalen Schutzes hatten, siehe oben, Nr. 86.


175 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 94); siehe auch unten, Nrn. 231 bis 242.


176 –      Siehe oben, Nrn. 1 und 2.


177 –      Vgl. überdies die Begründung des Kommissionsvorschlags für eine „Dublin‑IV-Verordnung“ – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (COM[2016] 270 final vom 4. Mai 2016).


178 –      Art. 3 des Schengener Grenzkodex.


179 –      D. h. Einreisen für einen Zeitraum von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen (vgl. den Visakodex). Für längerfristige Aufenthalte enthält der Schengener Grenzkodex keine Regelungen.


180 –      Vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a des Schengener Grenzkodex.


181 –      Vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b des Schengener Grenzkodex.


182 –      Vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c des Schengener Grenzkodex.


183 –      Vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. d und e des Schengener Grenzkodex.


184 –      Siehe oben, Nr. 54.


185 –      Personen, die die Grenze „unerlaubt“ überschritten haben und über kein Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verfügen, sind aufzugreifen und den Rückkehrverfahren nach der Rückführungsrichtlinie zu unterziehen.


186 –      Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen vom 26. Mai 2004, KOM(2004) 391 endg., S. 8.


187 –      Die vom Europäischen Parlament eingefügte Änderung wurde für notwendig erachtet, um „humanitäre Belange oder Situationen der Dringlichkeit als triftige Gründe für die Ausnahme von den grundlegenden Bestimmungen“ zu berücksichtigen; vgl. den Bericht des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, A6‑0188/2005 endgültig, S. 71 und 74.


188 –      Schlussanträge in der Rechtssache X und X (C‑638/16 PPU, EU:C:2017:93, Nr. 130, in Bezug auf Art. 25 des Visakodex).


189 –      Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 539/2001.


190 –      Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 539/2001 und Anhang II. Zu den dort aufgeführten Ländern gehören etwa Albanien, Andorra, Brasilien, Kanada, Israel und Japan.


191 –      Siehe oben, Nr. 59.


192 –      Vgl. die oben in Nr. 59 erwähnten Art. 1 und Anhang I der Verordnung Nr. 539/2001.


193 –      Herr A. S. beruft sich nicht auf Art. 14 der Dublin‑III-Verordnung. Gleichwohl sei der guten Ordnung halber angemerkt, dass die Rechtslage in seinem Fall die gleiche wäre, da er als syrischer Staatsangehöriger ebenfalls ein Visum besitzen muss, um in die Union einzureisen; vgl. Anhang I der Verordnung Nr. 539/2001 und siehe auch oben, Nr. 194.


194 –      Siehe oben, Nr. 16.


195 –      Siehe oben, Nrn. 10 und 11.


196 –      An dem Treffen nahmen führende Vertreter Albaniens, Österreichs, Bulgariens, Kroatiens, der EJR Mazedonien, Deutschlands, Griechenlands, Ungarns, Rumäniens, Serbiens und Sloweniens teil. Die Erklärung hat die Form eines „17-Punkte-Plans mit pragmatischen, praktischen Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass die Menschen nicht auf sich allein gestellt in Regen und Kälte ausharren müssen“. Sie wurde als Pressemitteilung IP/15/5904 herausgegeben.


197 –      Es wurden bestimmte, als Akte der Solidarität im Sinne von Art. 80 AEUV betrachtete Maßnahmen, insbesondere die Beschlüsse 2015/1523 und 2015/1601, erlassen. Art. 33 der Dublin‑III-Verordnung kam jedoch nicht zur Anwendung.


198 –      Der Tagesspiegel (Andrea Dernbach) vom 26. August 2015.


199 –      The Financial Times vom 20. Januar 2016. Zu der Frage, ob diese Schlussfolgerung korrekt war, siehe meine Ausführungen oben in Fn. 25.


200 –      Siehe oben, Nrn. 13 bis 17.


201 –      Siehe oben, Nr. 175, zur Prüfung von Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung.


202 –      Siehe oben, Fn. 55.


203 –      At the Gate of Europe, ein Bericht über Flüchtlinge auf der Westbalkanroute von Senado Šelo Šabić und Sonja Borić, S. 11. Auf der Grundlage der im Bericht The Balkan route reversed – the return of asylum seekers to Croatia under the Dublin System angeführten Zahlen von Eurostat heißt es in diesem Bericht (der vom 15. Dezember 2016 stammt und vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen und von der Asylinformationsdatenbank veröffentlicht wurde), dass das kroatische Aufnahmesystem und das Asylverfahren für Drittstaatsangehörige, die um internationalen Schutz ersuchen, nicht darauf ausgelegt gewesen seien, auf „eine beträchtliche Asylbewerberzahl“ zu reagieren.


204 –      Vgl. den fünften Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung; vgl. auch Art. 31 Abs. 1 bis 3 der Asylverfahrensrichtlinie.


205–      Aufnahmerichtlinie; vgl. auch die Erwägungsgründe 10 bis 12 der Dublin‑III-Verordnung.


206 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865).


207 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 84 und 85).


208 –      Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 86). Dieser Grundsatz ist jetzt in Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung kodifiziert worden.


209 –      Im Jahr 2015 gab es insgesamt 943 Dublin-Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Personen, die um internationalen Schutz ersuchten, und lediglich 24 Überstellungen (Eurostat). Vom 1. Januar bis 30. November 2016 gingen in Kroatien 3 793 solche Gesuche ein, vor allem aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Das kroatische Amt für Asylwesen war im Jahr 2015 lediglich mit drei Beamten besetzt. Ihre Zahl stieg auf fünf, die während der schlimmsten Phase der Krise Dublin-Fälle bearbeiteten. Vgl. den in Fn. 203 angeführten Bericht The Balkan route reversed – the return of asylum seekers to Croatia under the Dublin System, S. 27.


210 –      At the Gate of Europe, ein Bericht über Flüchtlinge auf der Westbalkanroute von Senado Šelo Šabić und Sonja Borić, S. 14 bis 16.


211 –      Von den 447 791 Drittstaatsangehörigen, die zwischen Ende 2015 und Anfang 2016 durch Slowenien reisten, stellten lediglich 471 dort Anträge auf internationalen Schutz.


212 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a. (C‑411/10 und C‑493/10, EU:C:2011:865, Rn. 88 bis 90 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. aus jüngerer Zeit EGMR, 4. November 2014, Tarakhel/Schweiz (EC:ECHR:2014:1104JUD002921712). Solche systemischen Probleme im Asylsystem sind – bislang – in Bezug auf Kroatien oder Slowenien nicht festgestellt worden.


213 –      Für Herrn A. S. siehe oben, Nrn. 71 und 72. Für die Familien Jafari siehe oben, Nrn. 85 bis 88.


214 –      Siehe oben, Nrn. 186 bis 189.


215 –      Gil Mogades, S., „The discretion of States in the Dublin III system for determining responsibility for examining applications for asylum“, International Journal of Refugee Law, Bd. 27, Nr. 3, S. 433 bis 456.


216 –      Urteil vom 7. Juni 2016 (C‑63/15, EU:C:2016:409).


217 –      Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 61).


218 –      Vgl. Art. 18 der Dublin‑III-Verordnung und Art. 31 der Asylverfahrensrichtlinie.


219 –      Siehe oben, Nr. 187.


220      Siehe oben, Nr. 187.