Language of document : ECLI:EU:C:2017:730

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 28. September 2017(1)

Verbundene Rechtssachen C397/16 und C435/16

Acacia Srl

gegen

Pneusgarda Srl, in Konkurs,

Audi AG

(Vorabentscheidungsersuchen der Corte d’appello di Milano [Berufungsgericht Mailand, Italien])

und

Acacia Srl,

Rolando D’Amato

gegen

Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Art. 110 Abs. 1 – Ausnahme vom Schutz – Zulässige Verwendung – Ersatzteil – Fahrzeugfelge – Begriff ‚Bauelement eines komplexen Erzeugnisses‘ – Fehlen des Erfordernisses, dass die Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist – Weitgehende Liberalisierung des Ersatzteilmarkts – Erfordernis einer Verwendung mit dem Ziel, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen – Vorkehrungen, die der Hersteller oder Anbieter zu ergreifen hat, der nicht Rechtsinhaber ist – Sorgfaltspflicht, die sich auf die Einhaltung der Verwendungsvoraussetzungen durch die nachgelagerten Nutzer bezieht“






I.      Einführung

1.        Die Corte d’appello di Milano (Berufungsgericht Mailand, Italien) und der Bundesgerichtshof (Deutschland) haben den Gerichtshof jeweils um eine Vorabentscheidung über die Auslegung von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster(2) ersucht.

2.        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Acacia Srl auf der einen und der Pneusgarda Srl, in Konkurs, sowie der Audi AG auf der anderen Seite bzw. zwischen Acacia sowie Rolando D’Amato auf der einen und der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG auf der anderen Seite wegen der Herstellung und des Vertriebs von Felgen, die Gemeinschaftsgeschmacksmuster von Audi und Porsche nachbilden, durch Acacia.

3.        Mit den Fragen der vorlegenden Gerichte soll geklärt werden, ob sich Acacia im Rahmen der Ausgangsverfahren auf die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 berufen kann. Diese Klausel regelt eine Ausnahme vom Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster für Ersatzteile, die die Reparatur eines komplexen Erzeugnisses ermöglichen sollen, um ihm wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.

4.        Im Wesentlichen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, auf diese Fragen wie folgt zu antworten. Zum einen fallen die von Acacia hergestellten Fahrzeugfelgen unter diese Reparaturklausel, wenn sie die Reparatur des Kraftfahrzeugs ermöglichen sollen, um ihm wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. Zum anderen kann sich ein Hersteller oder Anbieter von Felgen wie Acacia auf die genannte Klausel berufen, wenn er einer Sorgfaltspflicht genügt, die sich auf die Einhaltung der vorstehend genannten Verwendungsvoraussetzungen durch die nachgelagerten Nutzer bezieht.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Verordnung Nr. 6/2002

5.        Der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002, der sich mit der Reparaturklausel in dieser Verordnung und der Richtlinie 98/71/EG(3) befasst, lautet:

„Durch die Richtlinie [98/71] konnte keine vollständige Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Anwendung des Musterschutzes auf Bauelemente erreicht werden, die mit dem Ziel verwendet werden, die Reparatur eines komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, wenn das Muster bei einem Erzeugnis benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist. Im Rahmen des Vermittlungsverfahrens hinsichtlich der genannten Richtlinie hat sich die [Europäische] Kommission verpflichtet, die Auswirkungen dieser Richtlinie drei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist zu überprüfen, insbesondere im Hinblick auf die Industriesektoren, die am stärksten betroffen sind. Unter diesen Umständen ist es angebracht, das Recht an dem durch diese Verordnung eingeführten Muster nicht zu gewähren, wenn dieses Muster bei einem Erzeugnis benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist, und das mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, bis der Rat [der Europäischen Union] über seine Politik auf diesem Gebiet auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission einen Beschluss gefasst hat.“

6.        Nach Art. 3 der Verordnung bezeichnet der Begriff

„…

a)      ‚Geschmacksmuster‘ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt;

b)      ‚Erzeugnis‘ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – unter anderem – der Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, graphischen Symbolen und typographischen Schriftbildern; ein Computerprogramm gilt jedoch nicht als ‚Erzeugnis‘;

c)      ‚komplexes Erzeugnis‘ ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann.“

7.        Art. 4 („Schutzvoraussetzungen“) der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:

„(1)      Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

(2)      Ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart:

a)      wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und

b)      soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.

(3)      ‚Bestimmungsgemäße Verwendung‘ im Sinne des Absatzes 2 Buchstabe a) bedeutet Verwendung durch den Endbenutzer, ausgenommen Instandhaltungs-, Wartungs- oder Reparaturarbeiten.“

8.        Art. 19 („Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster“) Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Die erwähnte Benutzung schließt insbesondere die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr oder die Benutzung eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, oder den Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken ein.“

9.        Art. 21 („Erschöpfung der Rechte“) der Verordnung bestimmt:

„Die Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstrecken sich nicht auf Handlungen, die ein Erzeugnis betreffen, in welches ein unter den Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters fallendes Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, wenn das Erzeugnis vom Inhaber des Gemeinschaftsgeschmacksmusters oder mit dessen Zustimmung in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden ist.“

10.      Art. 110 („Übergangsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 6/2002 lautet:

„(1)      Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem auf Vorschlag der Kommission Änderungen zu dieser Verordnung in Kraft treten, besteht für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses im Sinne des Artikels 19 Absatz 1 mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

(2)      Der Vorschlag der Kommission gemäß Absatz 1 wird gleichzeitig mit den Änderungen, die die Kommission zu diesem Bereich gemäß Artikel 18 der Richtlinie [98/71] vorschlägt, vorgelegt und trägt diesen Änderungen Rechnung.“

B.      Italienisches Recht

11.      In Art. 241 („Ausschließliche Rechte an den Bauelementen eines komplexen Erzeugnisses“) des Decreto legislativo n. 30, Codice della proprietà industriale (Gesetzesvertretende Verordnung Nr. 30 zum Gesetzbuch über das gewerbliche Eigentum) vom 10. Februar 2005 (GURI Nr. 52 vom 4. März 2005) in der durch das Decreto legislativo Nr. 131 vom 13. August 2010 geänderten Fassung (GURI Nr. 192 vom 18. August 2010) heißt es:

„Solange die Richtlinie [98/71] nicht auf Vorschlag der Kommission nach Art. 18 dieser Richtlinie geändert wurde, können die ausschließlichen Rechte an den Bauelementen eines komplexen Erzeugnisses nicht geltend gemacht werden, um die Herstellung und den Verkauf der Bauelemente selbst für die Reparatur des komplexen Erzeugnisses, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, zu verhindern.“

III. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

A.      Rechtssache C397/16

12.      Audi ist Inhaberin mehrerer Gemeinschaftsgeschmacksmuster, die an Felgen aus Aluminiumlegierungen bestehen.

13.      Audi ist der Auffassung, dass einige von Acacia hergestellte und vom unabhängigen Wiederverkäufer Pneusgarda verkaufte Modelle nachgebauter Leichtmetallfelgen der Marke WSP Italy die Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzten, deren Inhaberin sie sei. Daher erhob Audi gegen Acacia und Pneusgarda vor dem Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) Klage auf Feststellung der geltend gemachten Verletzung und auf Untersagung der von Acacia und Pneusgarda als Hersteller bzw. Wiederverkäufer der fraglichen Waren ausgeübten Tätigkeit. Während des Verfahrens kam es zum Konkurs von Pneusgarda.

14.      Das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) gab der Klage von Audi mit Urteil Nr. 2271/2015 vom 27. November 2014 statt und stellte fest, dass die in der Ein- und Ausfuhr, der Herstellung, der Vermarktung sowie der Bewerbung nachgebauter Felgen bestehende unternehmerische Tätigkeit von Acacia sechs Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletze, deren Schutz Audi beantragt habe.

15.      Acacia legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein und machte geltend, dass die von ihr hergestellten Felgen unter die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fielen.

16.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Entscheidung im Ausgangsverfahren von der Auslegung des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 abhänge. Es weist darauf hin, dass es zu der Auffassung neige, dass die streitigen Felgen unter die in dieser Bestimmung verankerte Reparaturklausel fielen.

17.      Die Corte d’appello di Milano (Berufungsgericht Mailand) hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen erstens die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt, zweitens der Grundsatz der Effektivität der europäischen Wettbewerbsregeln und der Liberalisierung des Binnenmarkts, drittens die Grundsätze der praktischen Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des europäischen Rechts innerhalb der Europäischen Union sowie viertens die Bestimmungen des abgeleiteten Rechts der Europäischen Union wie die Richtlinie 98/71 und insbesondere ihr Art. 14, Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 461/2010 der Kommission vom 27. Mai 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. 2010, L 129, S. 52) und die Regelung Nr. 124 der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung von Rädern für Personenkraftwagen und ihre Anhänger einer Auslegung des die Reparaturklausel enthaltenden Art. 110 der Verordnung Nr. 6/2002 entgegen, die nachgebaute, im Aussehen mit den Originalfelgen der Erstausstattung identische und auf der Grundlage der Regelung UNECE Nr. 124 genehmigte Felgen vom Begriff des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses (Kraftfahrzeug) für die Zwecke seiner Reparatur und der Wiederherstellung seines ursprünglichen Erscheinungsbilds ausschließt?

2.      Im Fall der Verneinung der ersten Frage: Stehen die Normen über die gewerblichen Schutzrechte für eingetragene Muster, nach vorheriger Abwägung der in der ersten Frage angesprochenen Interessen, einer Anwendung der Reparaturklausel auf nachgebaute ergänzende Erzeugnisse, unter denen der Kunde frei wählen kann, ausgehend davon entgegen, dass die Reparaturklausel einschränkend ausgelegt werden muss und nur bei Ersatzteilen mit einer bestimmten Form angeführt werden kann, und zwar bei Bauelementen, deren Form anhand des äußeren Erscheinungsbilds des komplexen Erzeugnisses im Wesentlichen unabänderlich festgelegt wurde, unter Ausschluss anderer Bauelemente, die als austauschbar anzusehen sind und frei nach dem Geschmack des Kunden montiert werden können?

3.      Im Fall der Bejahung der zweiten Frage: Welche Maßnahmen muss der Hersteller nachgebauter Felgen ergreifen, um den rechtmäßigen Verkehr der Erzeugnisse sicherzustellen, die zur Reparatur des komplexen Erzeugnisses und zur Wiederherstellung seines ursprünglichen äußeren Erscheinungsbilds dienen?

B.      Rechtssache C435/16

18.      Porsche ist Inhaberin mehrerer Gemeinschaftsgeschmacksmuster, die Räder für Fahrzeuge wiedergeben.

19.      Acacia, deren Geschäftsführer, Herr D’Amato, ebenfalls Kläger des Ausgangsverfahrens ist, produziert Felgen für Personenkraftwagen verschiedener Automobilhersteller. Zu ihrem Sortiment zählen die Leichtmetallfelgen „W1050 Philadelphia“, „W1051 Tornado Silver“, „W1054 Saturn“ und „W1053 Helios Silver“, die die Gemeinschaftsgeschmacksmuster von Porsche nachbilden. Auf den Felgen von Acacia sind deren Marke WSP Italy und der Hinweis „Not O.E.M.“ angebracht.

20.      Acacia bietet ihre Leichtmetallfelgen auf ihrer in Deutschland in deutscher Sprache abrufbaren Internetseite www.wspitaly.com an. Über die an Endnutzer gerichtete Internetseite können die Felgen einzeln oder zu mehreren erworben werden. Auf dieser Internetseite findet sich der englischsprachige Hinweis, dass es sich um nachgebaute oder ähnlich gebaute Nachrüsträder handele, die vollständig kompatibel zu den angegebenen Fahrzeugen und ausschließlich zu deren Reparatur bestimmt seien, um ihr ursprüngliches Erscheinungsbild wiederherzustellen. Bei den für Fahrzeuge von Porsche bestimmten Leichtmetallfelgen gibt Acacia an, es handele sich um Ersatzfelgen, die nur für Porsche verwendbar seien.

21.      Porsche sieht in den Leichtmetallfelgen „W1050 Philadelphia“, „W1051 Tornado Silver“, „W1054 Saturn“ und „W1053 Helios Silver“ Verletzungen ihrer Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Sie erhob daher Klage vor dem Landgericht (Deutschland), mit der sie Acacia insbesondere auf Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs der streitigen Felgen in Anspruch nahm.

22.      Acacia und ihr Geschäftsführer machten geltend, bei den streitigen Felgen handele es sich um Ersatzteile, die der Reparatur von beschädigten Porsche-Fahrzeugen dienten und deshalb nach Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht vom Schutz des Gemeinschaftsgeschmacksmusters von Porsche erfasst seien.

23.      Das Landgericht hielt die von Porsche erhobene Klage für begründet und gab ihr statt. Nachdem die Berufung von Acacia und ihrem Geschäftsführer ohne Erfolg geblieben war, legten sie beim vorlegenden Gericht Revision ein, die vom Berufungsgericht zugelassen worden war.

24.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass der Erfolg der von Acacia und ihrem Geschäftsführer eingelegten Revision von der Auslegung des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 abhänge. Es neige der Ansicht zu, dass nicht formgebundene Bauteile – wie die im Streitfall in Rede stehenden Felgen – nicht in den Anwendungsbereich der Reparaturklausel gemäß Art. 110 Abs. 1 der genannten Bestimmung fielen.

25.      Der Bundesgerichtshof (Deutschland) hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Anwendung der Schutzschranke im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf formgebundene, d. h. solche Teile beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des Gesamterzeugnisses prinzipiell unveränderlich festgelegt und damit vom Kunden nicht – wie etwa Felgen von Kraftfahrzeugen – frei wählbar ist?

2.      Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:

Ist die Anwendung der Schutzschranke im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 allein auf das Angebot von identisch gestalteten, also auch farblich und in der Größe den Originalerzeugnissen entsprechenden Erzeugnissen beschränkt?

3.      Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:

Greift die Schutzschranke im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 zugunsten des Anbieters eines grundsätzlich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzenden Erzeugnisses nur dann ein, wenn dieser Anbieter objektiv sicherstellt, dass sein Erzeugnis ausschließlich zu Reparaturzwecken und nicht auch zu anderen Zwecken, etwa der Aufrüstung oder der Individualisierung des Gesamterzeugnisses erworben werden kann?

4.      Falls die Frage 3 bejaht wird:

Welche Maßnahmen muss der Anbieter eines grundsätzlich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzenden Erzeugnisses ergreifen, um objektiv sicherzustellen, dass sein Erzeugnis ausschließlich zu Reparaturzwecken und nicht auch zu anderen Zwecken, etwa der Aufrüstung oder der Individualisierung des Gesamterzeugnisses erworben werden kann? Reicht es aus,

a)      dass der Anbieter in den Verkaufsprospekt einen Hinweis aufnimmt, dass ein Verkauf ausschließlich zu Reparaturzwecken erfolgt, um das ursprüngliche Erscheinungsbild des Gesamterzeugnisses wiederherzustellen oder

b)      ist es erforderlich, dass der Anbieter eine Belieferung davon abhängig macht, dass der Abnehmer (Händler und Verbraucher) schriftlich erklärt, das angebotene Erzeugnis nur zu Reparaturzwecken zu verwenden?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

26.      Die Vorabentscheidungsersuchen sind am 18. Juli 2016 (Rechtssache C‑397/16) und am 4. August 2016 (Rechtssache C‑435/16) in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.

27.      In der Rechtssache C‑397/16 haben Acacia, Audi, die deutsche, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

28.      In der Rechtssache C‑435/16 haben Acacia und Herr D'Amato, Audi, die italienische, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

29.      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. April 2017 sind diese beiden Rechtssachen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

30.      In der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2017 sind Acacia und Herr D’Amato, Audi, Porsche, die italienische, die deutsche und die französische Regierung sowie die Kommission erschienen, um Ausführungen zu machen.

V.      Würdigung

31.      Die vorliegenden Rechtssachen betreffen die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 für Ersatzteile, die zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses verwendet werden. Wie ich im Folgenden darlegen werde, war diese Ausnahme vom Schutz des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Gegenstand ausführlicher Debatten im Gesetzgebungsverfahren vor dem Erlass dieser Verordnung.

32.      Um das Verständnis des Streitgegenstands der vorliegenden Rechtssache zu erleichtern, werde ich zunächst den Grund für die Aufnahme dieser Reparaturklausel erläutern, die eine weitgehende Liberalisierung des Ersatzteilmarkts bewirken soll (Abschnitt A).

33.      Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C‑397/16 und der ersten Frage in der Rechtssache C‑435/16 soll geklärt werden, ob der Anwendungsbereich der in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 geregelten Ausnahme auf die Teile beschränkt ist, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist. Ich werde dem Gerichtshof vorschlagen, diese Fragen zu verneinen, da die Streichung dieses Erfordernisses Voraussetzung war, um sich im Rat über den Erlass dieser Verordnung politisch einigen zu können (Abschnitt B).

34.      Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C‑435/16 soll geklärt werden, ob der Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf Erzeugnisse beschränkt ist, die mit den Originalerzeugnissen vor allem in Farbe und Größe identisch sind. Ich werde dem Gerichtshof vorschlagen, diese Frage zu bejahen. Ich werde in diesem Zusammenhang auch das Erfordernis prüfen, das darin besteht, dass das „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ vorliegt und eine Verwendung zur Reparatur des komplexen Erzeugnisses stattfindet (Abschnitt C).

35.      Die dritte Frage in der Rechtssache C‑397/16 sowie die dritte und die vierte Frage in der Rechtssache C‑435/16 betreffen die Vorkehrungen, die ein Hersteller oder Anbieter von Ersatzteilen treffen muss, wenn er sich auf Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 berufen will.

36.      Insoweit werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu antworten, dass der Hersteller oder Anbieter des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses, um sich auf diese Ausnahme berufen zu können, einer Sorgfaltspflicht genügen muss, die sich auf die Einhaltung der in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgestellten Verwendungsvoraussetzungen durch die nachgelagerten Nutzer bezieht. Diese Sorgfaltspflicht beinhaltet zum einen, dass er den Erwerber davon in Kenntnis setzt, dass bei dem betreffenden Bauelement ein Geschmacksmuster verwendet wird, dessen Inhaber er nicht ist, und dass dieses Bauelement ausschließlich dazu dient, unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung verwendet zu werden, und zum anderen, dass er das Recht, sich auf die Ausnahme zu berufen, verliert, wenn er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass das Bauelement nicht unter Einhaltung dieser Voraussetzungen verwendet werden würde (Abschnitt D).

37.      Aufgrund dieser Anhaltspunkte kann die erste Frage in der Rechtssache C‑397/16 dahin beantwortet werden, dass eine Fahrzeugfelge als ein „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 anzusehen ist(4) und dass sie unter die in dieser Vorschrift normierte Ausnahme fallen kann, wenn sie mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen(5). Für die Beantwortung dieser Frage ist es nicht erforderlich, die sonstigen dort genannten Grundsätze und Bestimmungen zu prüfen, wie die deutsche Regierung und die Kommission zu Recht ausgeführt haben.

A.      Zur Ratio der in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Reparaturklausel

38.      Wie die Kommission ausgeführt hat, geht aus den Gründen des Vorschlags einer Verordnung hervor, dass mit der Reparaturklausel Monopole zugunsten der Rechtsinhaber für Bauelemente von komplexen Erzeugnissen verhindert werden sollten:

„Der Zweck dieser Vorschrift ist es, die Schaffung abgeschotteter Märkte für bestimmte Ersatzteile zu vermeiden.

… Der Verbraucher, der ein dauerhaftes und vielleicht teures Erzeugnis (zum Beispiel einen Personenkraftwagen) erworben hat, wäre im Hinblick auf Außenteile auf unbestimmte Zeit an den Hersteller des komplexen Erzeugnisses gebunden. Dies könnte letztlich zu ungesunden Bedingungen auf dem Markt hinsichtlich des Wettbewerbs mit Teilen führen, könnte aber auch in der Praxis dem Hersteller des komplexen Erzeugnisses ein Monopol verschaffen, das von längerer Dauer als der Schutz seines Musters ist. …“(6).

39.      Um die in dem Vorschlag einer Verordnung angesprochene Fallkonstellation richtig zu verstehen, halte ich es für sinnvoll, die Wirkungen zu beschreiben, die der Schutz des Gemeinschaftsgeschmackmusters auf die Entwicklung eines Kraftfahrzeugs und auf dessen Vertrieb sowie auf den Austausch eines Bauelements dieses Fahrzeugs hat.

40.      Unterstellen wir erstens, dass ein Kraftfahrzeughersteller das Geschmacksmuster eines Kraftfahrzeugs entwirft, das im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 neu ist und Eigenart hat. Dieser Hersteller beantragt und erhält für das Fahrzeug, das ein komplexes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung darstellt, Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Er erhält diesen Schutz auch für eine Reihe von in das Fahrzeug gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung eingefügten Bauelementen, wie Stoßstangen, Kotflügel, Türen, Scheinwerfer oder auch Radfelgen.

41.      Als Inhaber dieser Gemeinschaftsgeschmacksmuster erhält der Hersteller nach Art. 19 der Verordnung das ausschließliche Recht, sie zu benutzen und Dritten zu verbieten, sie ohne seine Zustimmung zu benutzen. Mit anderen Worten, der Hersteller hat bezüglich der Nutzung dieser Geschmacksmuster eine Monopolstellung inne, weshalb er Dritten die Herstellung oder den Vertrieb von Fahrzeugen oder Fahrzeugteilen unter deren Benutzung verbieten kann.

42.      Zweitens jedoch begrenzt die Erschöpfungsregel des Art. 21 der Verordnung Nr. 6/2002 diese Monopolstellung bis zum ersten Inverkehrbringen der betreffenden Erzeugnisse(7). Nach dieser Vorschrift erstrecken sich die Rechte des Inhabers nämlich nicht auf Handlungen, die ein Erzeugnis betreffen, das vom Inhaber oder mit dessen Zustimmung in den Verkehr gebracht worden ist. Bei jedem Verkauf eines Fahrzeugs erschöpfen sich daher die Rechte des Kraftfahrzeugherstellers nicht nur in Bezug auf das verkaufte Fahrzeug, das als komplexes Erzeugnis gilt, sondern auch in Bezug auf jedes Bauelement dieses Fahrzeugs, das durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt wird.

43.      Drittens ist es möglich, dass eines der Bauelemente, die in das vom Kraftfahrzeughersteller verkaufte Fahrzeug eingefügt wurden, wie z. B. Stoßstangen, Kotflügel, Türen, Scheinwerfer oder auch Radfelgen, schadhaft wird und ersetzt werden muss.

44.      Nach den Art. 19 und 21 der Verordnung Nr. 6/2002 hat der Kraftfahrzeughersteller ein bis zum ersten Inverkehrbringen begrenztes Monopol für die Nutzung aller Ersatzteile, in die ein Geschmacksmuster des Herstellers aufgenommen ist. Diese Bestimmungen gewähren dem Hersteller daher das Recht, die Herstellung oder den Vertrieb dieser Ersatzteile, die ohne seine Zustimmung erfolgen, zu untersagen, und zwar während der gesamten Zeit der Nutzung des komplexen Erzeugnisses, d. h. des Fahrzeugs im vorliegenden Fall.

45.      Dieses Monopol, d. h. das Monopol des Inhabers hinsichtlich der Ersatzteile für ein komplexes Erzeugnis, soll die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 unter bestimmten Voraussetzungen beseitigen. Die Klausel bestimmt nämlich, dass sich die Rechte des Inhabers nicht auf die Bauelemente erstrecken, die mit dem Ziel verwendet werden, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.

46.      Ich weise bereits jetzt darauf hin, dass die Reparaturklausel in ihrer gegenwärtigen Fassung eine weitgehende Liberalisierung des Ersatzteilmarkts bewirkt, anders als die ursprünglich von der Kommission vorgeschlagene Fassung, die eine eingeschränkte Liberalisierung dieses Marktes vorsah(8). In der ursprünglichen Fassung war der Anwendungsbereich der Reparaturklausel nämlich auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, wie es bei Scheinwerfern der Fall ist. Die Inhaber behielten daher ihr Monopol in Bezug auf die Bauelemente, deren Form nicht durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, wie es bei Fahrzeugfelgen der Fall ist.

47.      Die Streichung dieser Voraussetzung war jedoch erforderlich, um den Erlass der Verordnung Nr. 6/2002 im Rat zu ermöglichen, wie ich im folgenden Abschnitt erläutern werde. Die endgültige Fassung der Reparaturklausel erfasst daher alle Ersatzteile ohne Beschränkungen hinsichtlich ihrer Form.

B.      Zum fehlenden Erfordernis, dass die Form des Bauelements durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist (zweite Frage in der Rechtssache C397/16 und erste Frage in der Rechtssache C435/16)

48.      Audi, Porsche und die deutsche Regierung machen geltend, die Reparaturklausel des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 sei dahin auszulegen, dass sie nur für diejenigen Bauelemente gelte, die Teil eines komplexen Erzeugnisses seien, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“ oder, anders gesagt, für die Bauelemente, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist.

49.      Diese Argumentation dient den Interessen derjenigen, die Inhaber von Geschmacksmustern an Felgen wie Audi und Porsche sind, und zwar aus folgenden Gründen. Wie die Letztgenannten sehr detailliert ausgeführt haben, ist die Form der Felgen nicht von dem Erscheinungsbild des Fahrzeugs abhängig. Mit anderen Worten, jedes Fahrzeug kann mit zahlreichen Felgenmodellen in Verbindung gebracht werden. Diese Auslegung schließt daher die Felgen vom Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 aus, wodurch Audi und Porsche ihr Monopol für Ersatzfelgen, in die ihre Geschmacksmuster aufgenommen sind, behalten könnten.

50.      Porsche hat sich auf mehrere Entscheidungen der nationalen Gerichte bezogen, die diese Auslegung bestätigten(9), während Acacia andere Entscheidungen der nationalen Gerichte angeführt hat, die ihre Auffassung bekräftigten(10). Ich weise auch darauf hin, dass die vorlegenden Gerichte in den vorliegenden Rechtssachen insoweit unterschiedliche Ansichten vertreten(11).

51.      Meines Erachtens ist die Argumentation von Porsche und Audi aus folgenden Gründen zurückzuweisen.

52.      Zum einen geht das genannte Erfordernis, wonach das Bauelement Teil eines komplexen Erzeugnisses sein muss, von dessen Erscheinungsform das geschützte Geschmacksmuster abhängig ist, aus dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht hervor. Das Fehlen dieses Erfordernisses als solches spricht schon dafür, die von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vorgetragene Auffassung zurückzuweisen.

53.      Zum anderen kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden, da die Streichung dieses im ursprünglichen Vorschlag der Kommission enthaltenen Erfordernisses erforderlich war, um sich, wie die Kommission dargetan hat, im Rat über den Erlass der genannten Verordnung politisch einigen zu können. Wegen der zentralen Bedeutung dieses Gesichtspunkts bei der von mir vorgeschlagenen Auslegung möchte ich die Entwicklung, die diese Vorschrift im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens genommen hat, im Einzelnen nachzeichnen.

54.      Am 3. Dezember 1993 legte die Kommission sowohl einen Vorschlag für eine Verordnung(12) als auch einen Vorschlag für eine Richtlinie über den Schutz als Geschmacksmuster(13) vor. Der Vorschlag für eine Verordnung hatte das Ziel, ein gemeinschaftsweites System für den Schutz von Geschmacksmustern zu schaffen. Der Vorschlag für eine Richtlinie setzte sich zum Ziel, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz von Geschmacksmustern anzugleichen, um die Hindernisse für den freien Verkehr von Waren abzubauen.

55.      Art. 23 des Vorschlags für eine Verordnung enthielt eine Reparaturklausel, deren Anwendungsbereich auf die Bauelemente beschränkt war, die Teil eines komplexen Erzeugnisses sind, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“(14). Art. 14 des Vorschlags für eine Richtlinie enthielt eine Reparaturklausel mit praktisch identischem Wortlaut.

56.      Nach mehrere Jahre andauernden interinstitutionellen Debatten wurde der Vorschlag für eine Richtlinie am 13. Oktober 1998 angenommen; er wurde zur Richtlinie 98/71 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen.

57.      Die endgültige Fassung des Art. 14 dieser Richtlinie weist wesentliche Unterschiede zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission auf(15). Insbesondere bezieht sich dieser Artikel nunmehr auf „Bauelement[e] zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung von dessen ursprünglicher Erscheinungsform“, und zwar ohne zu verlangen, dass das Bauelement Teil eines komplexen Erzeugnisses ist, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“, wie dies der ursprüngliche Vorschlag der Kommission vorsah.

58.      Nach dem Erlass der Richtlinie 98/71 legte die Kommission am 21. Juni 1999 einen geänderten Vorschlag für eine Verordnung vor, in dem Art. 23 gestrichen worden war, der jedoch einen neuen Art. 10a enthielt(16). Bis zu einer harmonisierten Regelung im Rahmen dieser Richtlinie schloss dieser Artikel die Ersatzteile vom Anwendungsbereich der Verordnung vorübergehend aus und untersagte für diesen Zeitraum ihre Registrierung als Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Im Unterschied zu Art. 14 der Richtlinie 98/71 blieb der Anwendungsbereich dieser Vorschrift jedoch auf die Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses beschränkt, „von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist“(17).

59.      Dieser Unterschied zwischen der Richtlinie 98/71 und dem Vorschlag für eine Verordnung war eines der hauptsächlichen Hindernisse für die Annahme des genannten Vorschlags im Rat, die nach dem alten Art. 308 EG Einstimmigkeit verlangte. Die überwiegende Mehrheit der Delegationen sprach sich nämlich insoweit für eine Angleichung dieser beiden Rechtsakte aus(18).

60.      Vor diesem Hintergrund forderte der Vorsitz des Rates der Europäischen Union den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) am 19. Oktober 2000 auf, sich zu drei jeweils von der Kommission, dem Ratsvorsitz und der irischen Delegation vorgeschlagenen Versionen der Vorschrift über die Ersatzteile komplexer Erzeugnisse zu äußern(19).

61.      Die beiden ersten Versionen dieser Vorschrift beließen es bei dem Erfordernis, dass das Ersatzteil Teil eines komplexen Erzeugnisses zu sein hat, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“. In der dritten – von der irischen Delegation vorgeschlagenen Version – erscheint dieses Erfordernis dagegen nicht(20).

62.      Auf diese dritte Version, die allein die Möglichkeit gab, hinsichtlich der Ersatzteile komplexer Erzeugnisse eine Angleichung zwischen der Richtlinie 98/71 und dem Vorschlag für eine Verordnung herbeizuführen, konnte man sich in der Sitzung des AStV vom 25. Oktober 2000 einigen(21).

63.      Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich somit, dass die Streichung des Erfordernisses, wonach das Bauelement Teil eines komplexen Erzeugnisses sein muss, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“, erforderlich war, um fast acht Jahre nach dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission den Erlass der Verordnung durch den Rat zu ermöglichen. Die im Rat herbeigeführte politische Einigung fußt daher auf dem Erlass einer Reparaturklausel für Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses, die einen breiteren Anwendungsbereich hat als die ursprünglich von der Kommission vorgeschlagene, und zwar zulasten der Interessen der Rechtsinhaber.

64.      Die von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vorgeschlagene Auslegung bedeutet meines Erachtens aber gerade, diese politische Einigung in Frage zu stellen, indem sie den Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist.

65.      Die vorstehend beschriebenen Umstände, unter denen die Verordnung Nr. 6/2002 erlassen wurde, stehen in meinen Augen dieser Auslegung entgegen, die dazu führen würde, eine Voraussetzung, die im Gesetzgebungsverfahren gestrichen wurde, über die Gerichte wiedereinzuführen.

66.      Keiner der von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vorgebrachten Gesichtspunkte kann an meiner Überzeugung insoweit etwas ändern.

67.      So ist erstens vorgetragen worden, diese Auslegung entspreche dem von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 verfolgten Ziel, das Entstehen eines Monopols für den Verkauf von Ersatzteilen zu verhindern(22). Nach diesem Vorbringen gäbe es diese Gefahr nicht, wenn die Form des Bauelements, wie bei einer Fahrzeugfelge, nicht durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt wäre. Dafür spreche der starke Wettbewerb auf dem Felgenmarkt, da die Verbraucher zwischen zahlreichen, von mehreren Herstellern angebotenen Modellen wählen könnten. Daher stehe es Acacia im Rahmen der Ausgangsverfahren frei, neue Felgenmodelle zu entwickeln, die die Geschmacksmuster von Audi und Porsche nicht aufnähmen, da die Form der Felgen nicht durch das Erscheinungsbild des Fahrzeugs festgelegt sei.

68.      Zweitens wird von den genannten Verfahrensbeteiligten geltend gemacht, diese Auslegung entspreche dem Wortlaut des 13. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002, der auf das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses abstelle, „von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist“.

69.      Dieses Vorbringen ist aus den drei folgenden Gründen zurückzuweisen.

70.      Erstens kann dieses Vorbringen – unabhängig von seiner etwaigen Stichhaltigkeit – nicht zu einer Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 führen, indem im Wege der Auslegung ein Erfordernis wieder eingeführt wird, dessen Streichung für das Erzielen einer politischen Einigung im Rat erforderlich war.

71.      Entgegen der von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vertretenen Auffassung rechtfertigt meines Erachtens zweitens das Ziel, Monopole auf dem Ersatzteilemarkt zu verhindern, die Streichung dieses Erfordernisses durch den Unionsgesetzgeber.

72.      Das Monopol des Rechtsinhabers ist zwar umfassender, wenn die Form des Bauelements durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist. Wenn z. B. die Form eines Scheinwerfers durch das Erscheinungsbild des Fahrzeugs festgelegt ist und dieser Scheinwerfer ein geschütztes Geschmacksmuster aufnimmt, kann ein Dritter Ersatzscheinwerfer ohne Zustimmung des Rechtsinhabers weder herstellen noch vertreiben. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in einem solchen Fall die Reparaturklausel Anwendung finden muss, um den Ersatzteilmarkt zu liberalisieren, indem dem Dritten die Nutzung des betreffenden Geschmacksmusters gestattet wird.

73.      Gleichwohl aber hat der Rechtsinhaber auch dann eine – allerdings eingeschränktere – Monopolstellung inne, wenn die Form des Bauelements, wie bei den Fahrzeugfelgen, nicht durch das Erscheinungsbild des Fahrzeugs festgelegt ist. In diesem Fall können die anderen Hersteller Ersatzteile entwerfen, die das geschützte Geschmacksmuster nicht aufnehmen, ohne dass sich der Rechtsinhaber dem widersetzen kann. Jedoch behält der Rechtsinhaber grundsätzlich das Recht, die Herstellung oder den Vertrieb von Felgen zu untersagen, die das Erscheinungsbild der von ihm entworfenen Felgen nachahmen. So verhält es sich bei diesem „eingeschränkten“ Monopol, das im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens und im Rahmen der vorliegenden Rechtssache Gegenstand unterschiedlicher Bewertungen war.

74.      Dadurch, dass der ursprüngliche Vorschlag der Kommission die Bauelemente von der Reparaturklausel ausschloss, deren Form nicht festgelegt ist, wie es bei Ersatzfelgen der Fall ist, bewahrte er dieses „eingeschränkte“ Monopol des Rechtsinhabers, wie es der von Audi, Porsche und der deutschen Regierung vorgeschlagenen Auslegung entspricht. Nach dieser ersten Auffassung ist Audi berechtigt, das Auswechseln einer beschädigten Audi-Felge durch eine von Acacia hergestellte nachgebaute Felge zu untersagen. Insofern nahm dieser Vorschlag eine eingeschränkte Liberalisierung des Ersatzteilmarkts vor.

75.      Dagegen hatte die endgültige Fassung der Reparaturklausel, die alle Bauelemente komplexer Erzeugnisse erfasst, die Abschaffung des „eingeschränkten“ Monopols des Rechtsinhabers zur Folge, wie es der von Acacia, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission vorgeschlagenen Auslegung entspricht. Nach dieser zweiten Auffassung ist Audi nicht berechtigt, das Auswechseln einer beschädigten Audi-Felge durch eine von Acacia hergestellte nachgebaute Felge zu untersagen. Diese Auffassung führt zu einer umfangreichen Liberalisierung des Ersatzteilmarkts.

76.      Durch die Streichung des Erfordernisses, wonach die Form des Bauelements durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt sein muss, hat sich der Unionsgesetzgeber für die umfangreiche Liberalisierung des Ersatzteilmarkts entschieden. Aus Sicht des Verbrauchers bietet diese Liberalisierung, wenn eine Reparatur erforderlich wird, die Möglichkeit, eine Ersatzfelge zu erwerben, die von einem Dritten hergestellt wurde und die das Erscheinungsbild der beschädigten Originalfelge nachahmt, ohne eine vom Rechtsinhaber hergestellte Ersatzfelge erwerben zu müssen. Anders gesagt, der Verbraucher ist im Fall einer Reparatur nicht an die Entscheidung gebunden, die er beim Erwerb des Fahrzeugs getroffen hat.

77.      Diese Lesart wird durch Art. 14 der Richtlinie 98/71 bestätigt, der gleichzeitig mit Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, wie in seinem Abs. 2 vorgesehen, geändert werden soll.

78.      Diese Vorschrift gestattet den Mitgliedstaaten zwar die Beibehaltung der nationalen Rechtsvorschriften, die eine Reparaturklausel enthalten, stellt jedoch klar, dass diese Mitgliedstaaten nur dann Änderungen an den genannten Bestimmungen einführen können, „wenn dadurch die Liberalisierung des Handels mit solchen Bauelementen ermöglicht wird“. Meines Erachtens bestätigt diese Bestimmung, dass der Unionsgesetzgeber zu einer Liberalisierung des Ersatzteilmarkts tendierte.

79.      Drittens macht die Kommission in Bezug auf den 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 6/2002 geltend, dass die Beibehaltung der Wendung „von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist“ das Ergebnis einer fehlenden Koordination des Erwägungsgrundes und der die Reparaturklausel enthaltenen Bestimmung gewesen sei.

80.      Zwar lässt sich meines Erachtens diese Frage anhand der vom Rat veröffentlichten Dokumente nicht mit Sicherheit entscheiden, doch sprechen eine Reihe von Indizien für diese Auffassung. Als Erstes kann die Beibehaltung dieser Wendung ihren Grund darin haben, dass der AStV den Vorschlag der irischen Delegation annahm, der keine Änderung des Erwägungsgrundes enthielt(23). Daher enthielt der Kompromisstext, den der Ratsvorsitz im Anschluss an die Tagung des AStV mitteilte, eine Fassung des 13. Erwägungsgrundes, der die zweite Version (des Ratsvorsitzes) zugrunde lag, und eine Fassung der Bestimmung, der die dritte Version (der irischen Delegation) zugrunde lag(24). Diese Unstimmigkeit bestand während der Debatten im Rat fort(25), und zwar bis zur Annahme der endgültigen Fassung am 12. Dezember 2001.

81.      Als Zweites erinnere ich daran, dass die überwiegende Mehrheit der Delegationen den Wunsch geäußert hatte, die Formulierung des Erwägungsgrundes und die der Reparaturklausel im Vorschlag für eine Verordnung einerseits und die Formulierung des Art. 14 der Richtlinie 98/71 andererseits einander anzugleichen(26). Die Wendung „von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist“ war jedoch während der gesetzgeberischen Arbeiten aus dem Wortlaut dieses Artikels entfernt worden(27). Diese Umstände sprechen ebenfalls für die These, dass die Beibehaltung der genannten Wendung im Wortlaut des 13. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002, wie die Kommission geltend gemacht hat, das Ergebnis einer fehlenden Koordinierung mit Art. 110 Abs. 1 der Verordnung war.

82.      Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass der Inhalt eines Erwägungsgrundes, der keine Bindungswirkung hat, nicht den Anwendungsbereich einer Verordnungsbestimmung durch Wiedereinführung einer Voraussetzung einschränken kann, deren Streichung für das Erzielen einer politischen Einigung im Rat erforderlich war.

83.      Aus dem Vorstehenden ziehe ich den Schluss, dass der Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht auf Bauelemente beschränkt ist, die Teil eines komplexen Erzeugnisses sind, „von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist“, da dieses Erfordernis vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich zurückgewiesen wurde.

C.      Zu den Voraussetzungen des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 (zweite Frage in der Rechtssache C435/16)

84.      Dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 können zwei Voraussetzungen entnommen werden: Die eine betrifft die Frage, ob ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses vorliegt, die andere die Frage, ob dieses Bauelement mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.

1.      Bauelement eines komplexen Erzeugnisses

85.      Die erste Voraussetzung betrifft die Frage, ob ein „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ vorliegt. Ich weise darauf hin, dass die Verordnung Nr. 6/2002 keine Definition dieses Begriffs enthält.

86.      Nach ständiger Rechtsprechung verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich ausgelegt werden, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist(28).

87.      In Anwendung dieser Rechtsprechung können dem Kontext des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 mehrere Abgrenzungsmerkmale entnommen werden.

88.      Erstens bezeichnet „komplexes Erzeugnis“ nach Art. 3 Buchst. c der Verordnung ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann. Nach Art. 3 Buchst. b der Verordnung bezeichnet ferner der Begriff „Erzeugnis“ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – u. a. – der Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen.

89.      Zweitens ergibt sich aus Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, dass die Verwendung des Bauelements die Reparatur des komplexen Erzeugnisses ermöglichen soll. Diese Klarstellung bedeutet, dass das Bauelement für eine bestimmungsgemäße Verwendung des komplexen Erzeugnisses erforderlich ist oder, anders gesagt, dass der schadhafte Zustand oder das Fehlen des Bauelements geeignet ist, diese bestimmungsgemäße Verwendung auszuschließen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass dies bei den Fahrzeugfelgen der Fall ist. Dagegen fällt unter diese Voraussetzung meines Erachtens insbesondere nicht, wie die deutsche Regierung zu Recht vorgetragen hat, das Fahrzeugzubehör wie z. B. Kindersitze, Dachgepäckträger oder akustische Einrichtungen.

90.      Drittens kann Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nur die Bauelemente betreffen, die dem Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster unterliegen. Fehlt ein solcher Schutz, ist der in dieser Vorschrift vorgesehene Schutz gegenstandslos.

91.      Die genannte Vorschrift kann daher nur Bauelemente betreffen, die insbesondere die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung erfüllen. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann das Bauelement nicht in den Genuss des Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach der Verordnung Nr. 6/2002 gelangen. Die Reparaturklausel kann daher nur Bauelemente erfassen, die, wenn sie in das komplexe Erzeugnis eingefügt sind, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleiben, und deren sichtbaren Merkmale selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.

92.      Nach alledem bezeichnet der Begriff „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ein Erzeugnis,

–        das in ein anderes – als „komplexes Erzeugnis“ eingestuftes – Erzeugnis eingefügt ist,

–        das ausgebaut und ersetzt werden kann,

–        das für eine bestimmungsgemäße Verwendung des komplexen Erzeugnisses erforderlich ist und

–        das bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung des komplexen Erzeugnisses sichtbar bleibt.

93.      Es besteht meines Erachtens kein Zweifel daran, dass eine Fahrzeugfelge diese Voraussetzungen erfüllt und daher als „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.

94.      Porsche hat allerdings geltend gemacht, Fahrzeugfelgen könnten nicht als Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden. Das Erscheinungsbild oder „Design“ der Felgen bestehe unabhängig von dem des Fahrzeugs, was bedeute, dass sich der Verbraucher frei entscheiden könne, mit welchen Felgen er sein Fahrzeug ausrüsten wolle, um diesem ein spezifisches Aussehen zu geben.

95.      Dieses Argument läuft auf das Vorbringen hinaus, dass die Fahrzeugfelgen nicht unter die Reparaturklausel fallen können, weil ihre Form nicht durch das Erscheinungsbild des Fahrzeugs festgelegt ist, so dass ein bestimmtes Fahrzeug mit zahlreichen Felgenmodellen in Verbindung gebracht werden kann(29). Ich verweise insoweit lediglich darauf, dass Porsche damit den Gerichtshof um Wiederaufnahme eines Erfordernisses ersucht, das der Unionsgesetzgeber, wie ich in den Nrn. 48 bis 83 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, ausdrücklich zurückgewiesen hat.

96.      Aus dem Vorstehenden ziehe ich den Schluss, dass sich der Begriff „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ nicht auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, sondern jedes Erzeugnis erfasst, das in ein anderes – als „komplexes Erzeugnis“ eingestuftes – Erzeugnis eingefügt ist, das ferner ausgebaut und ersetzt werden kann, das zudem für eine bestimmungsgemäße Verwendung des komplexen Erzeugnisses erforderlich ist und das bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung des komplexen Erzeugnisses sichtbar bleibt.

2.      Verwendung des Bauelements mit dem Ziel, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen

97.      Gemäß Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 muss das Bauelement als zweite Voraussetzung „im Sinne des Artikels 19 Absatz 1 mit dem Ziel verwendet [werden], die Reparatur [eines] komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen“.

98.      Der Begriff „Benutzung“ in Art. 19 Abs. 1 der Verordnung ist weit gefasst, so dass er jede Benutzung eines Bauelements für Reparaturzwecke erfasst.

99.      Ich weise als Erstes darauf hin, dass das Ziel einer Reparatur des komplexen Erzeugnisses eine substanzielle Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 bedeutet. Dieses Erfordernis schließt nämlich vor allem jede Verwendung eines Bauelements allein aus Gründen des Geschmacks oder der Neigung wie z. B. den Austausch einer Felge aus ästhetischen Gründen aus.

100. Mit anderen Worten, die Ausnahme vom Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster gilt nur für die Verwendung von Bauelementen, die durch einen schadhaften Zustand des komplexen Erzeugnisses notwendig wird, d. h. durch einen Zustand, der eine bestimmungsgemäße Verwendung dieses Erzeugnisses ausschließt. Dieser schadhafte Zustand kann meines Erachtens entweder durch den schadhaften Zustand des Bauelements selbst oder durch Fehlen dieses Bauelements, insbesondere im Fall des Diebstahls, hervorgerufen worden sein(30).

101. Der Umstand, dass die unabhängig vom Fahrzeug erworbenen Felgen in der Praxis hauptsächlich für Liebhaberzwecke und nicht zum Zweck der Reparatur verwendet werden könnten, kann für sich genommen insoweit keine Rechtfertigung für einen Ausschluss der Felgen vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift sein.

102. Als Zweites stellt Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 klar, dass die Reparatur erfolgen muss, um dem komplexen Erzeugnis wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.

103. Dieses Erfordernis stellt auf das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses ab und nicht auf das des Bauelements. Das Erfordernis setzt daher voraus, dass der Ersatz des schadhaften Bauelements geeignet ist, das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses zu beeinflussen. Mit anderen Worten, das Bauelement muss am Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses teilhaben.

104. Nach meinem Dafürhalten hat ein Bauelement im Sinne von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 wegen der Wechselwirkung zwischen dieser Bestimmung und der des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung notwendigerweise am Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses teil(31). Wie ich oben ausgeführt habe, können nämlich nur die Bauelemente, die bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des komplexen Erzeugnisses sichtbar bleiben, in den Genuss des Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster gelangen und damit von der Reparaturklausel erfasst werden. Ein Bauelement aber, das sichtbar bleibt, hat, so wie insbesondere Fahrzeugfelgen, notwendigerweise am Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses teil.

105. Um jedoch in den Genuss der Ausnahmeregelung zu gelangen, ist es darüber hinaus erforderlich, dass die Reparatur erfolgt, um dem komplexen Erzeugnis wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. Dieses Erfordernis bedeutet meines Erachtens, dass das Erscheinungsbild des Austauschteils mit dem Erscheinungsbild des ursprünglich in das komplexe Erzeugnis eingefügten Bauelements identisch ist.

106. Der Begriff „Erscheinungsbild“ ist ferner im Licht der in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 festgelegten Definition des „Geschmacksmusters“ auszulegen, so dass er sich insbesondere auf die Erscheinungsform bezieht, die sich aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt.

107. Im Zusammenhang der Ausgangsverfahren bedeutet dieses Erfordernis, dass das Erscheinungsbild der für Reparaturzwecke verwendeten Felge mit dem Erscheinungsbild der ursprünglich in das Fahrzeug eingefügten Felge identisch ist, insbesondere bezüglich der Merkmale der Linien, der Konturen, der Farben, der Gestalt, der Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe der Felge und/oder ihrer Verzierung.

108. Das Anbringen einer Marke des Drittherstellers – wie die Marke WSP Italy, die Acacia auf den von ihr hergestellten Felgen anbringt(32) – kann nicht dazu führen, dass das Erscheinungsbild des Ersatzteils von dem Erscheinungsbild des Originalteils abweicht, auf dem eine Marke der Inhaber der Gemeinschaftsgeschmacksmuster – wie die von Audi oder Porsche – angebracht war. Wäre dies der Fall, würden nämlich die ausschließlichen Rechte, die den Inhabern aufgrund des Markenschutzes zustehen, diesen die Möglichkeit geben, den Anwendungsbereich des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf null zu reduzieren(33).

109. Audi und die deutsche Regierung schlagen vor, die Voraussetzung, dass das ursprüngliche Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses wiederhergestellt werden müsse, dahin auszulegen, dass sie zwingend verlange, dass die Form des Bauelements durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt werde. Es genügt insoweit wiederum der Hinweis, dass diese Parteien damit den Gerichtshof um Wiederaufnahme eines Erfordernisses ersuchen, das der Unionsgesetzgeber ausdrücklich zurückgewiesen hat(34).

110. Zusammenfassend gilt somit, dass für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 das Bauelement „mit dem Ziel verwendet [werden muss], die Reparatur [eines] komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen“ – was jede Verwendung allein aus Gründen des Geschmacks oder der Neigung ausschließt –, „um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen“ – was voraussetzt, dass das Austauschteil ein Erscheinungsbild aufweist, das mit dem Erscheinungsbild des ursprünglich in das komplexe Erzeugnis eingefügten Bauelements identisch ist.

D.      Zu den Vorkehrungen, die ein Hersteller oder Anbieter von Bauelementen eines komplexen Erzeugnisses zu treffen hat, damit die in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 aufgestellten Verwendungsvoraussetzungen beachtet werden (dritte Frage in der Rechtssache C397/16 sowie dritte und vierte Frage in der Rechtssache C435/16)

111. Die dritte Frage in der Rechtssache C‑397/16 sowie die dritte und die vierte Frage in der Rechtssache C‑435/16 betreffen die Vorkehrungen, die ein Hersteller oder Anbieter von Ersatzteilen, der sich auf Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 berufen will, treffen muss, um sicherzugehen, dass diese Bauelemente unter Beachtung der in dieser Vorschrift aufgestellten Verwendungsvoraussetzungen benutzt werden(35).

112. Diese Voraussetzungen betreffen bekanntlich die Verwendung des Bauelements mit dem Ziel, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen(36).

113. In Art. 110 der Verordnung Nr. 6/2002 werden nicht ausdrücklich Vorkehrungen angeführt, die von einem Hersteller oder Anbieter von Bauelementen in Bezug auf die Einhaltung dieser Verwendungsvoraussetzungen verlangt werden können. Somit hat der Gerichtshof diese Bestimmung auszulegen, um den Inhalt der Maßnahmen festzulegen, die von ihnen verlangt werden können, wenn sie sich, um die ausschließlichen Rechte des Rechtsinhabers auszuschalten, auf die Reparaturklausel berufen wollen.

114. Entgegen den Ausführungen von Audi, Porsche und der deutschen Regierung halte ich es insoweit nicht für möglich, die Reparaturklausel eng auszulegen, und zwar aus folgenden Gründen.

115. Zum einen stellt diese Klausel trotz ihres Wortlauts keine Übergangsbestimmung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs dar, d. h. keine Bestimmung, deren Anwendung zeitlich begrenzt ist, um den Übergang zu einer endgültigen Regelung zu erleichtern(37). Zwar gilt die genannte Klausel nach ihrem Wortlaut „[b]is zu dem Zeitpunkt, zu dem auf Vorschlag der Kommission Änderungen zu dieser Verordnung in Kraft treten“. Diese Formulierung hat jedoch auch für alle anderen Bestimmungen der Verordnung Geltung, die ihrem Wesen nach bis zu ihrer Änderung auf Vorschlag der Kommission gelten.

116. Wie die Kommission ausgeführt hat, gilt die Reparaturklausel, die gemäß Art. 111 Abs. 1 der Verordnung seit 6. März 2002 in Kraft ist, in Wirklichkeit auf unbestimmte Zeit.

117. Zum anderen stellt die Reparaturklausel keine Ausnahme von einem grundlegenden Prinzip des Unionsrechts dar, was ebenfalls eine enge Auslegung rechtfertigen könnte, sondern ist eine Bestimmung, die zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen widerstreitenden berechtigten Interessen – denen der Rechtsinhaber und denen Dritter – im Rahmen des Geschmacksmusterschutzes beiträgt.

118. Wie oben ausgeführt(38), soll die Reparaturklausel eine weitgehende Liberalisierung des Ersatzteilmarkts bewirken, indem sie den Rechtsinhaber an der Geltendmachung seiner ausschließlichen Rechte bei der Verwendung eines Ersatzteils hindert, in das ein ihm zustehendes Geschmacksmuster aufgenommen ist, und zwar während der gesamten Dauer der Benutzung des komplexen Erzeugnisses. Durch die Ausnahme vom Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster trägt diese Klausel zum Gleichgewicht zwischen den ausschließlichen Rechten der Rechtsinhaber und den Rechten Dritter bei, indem sie Letzteren die Verwendung der Geschmacksmuster der Erstgenannten zum Zweck der Reparatur eines komplexen Erzeugnisses ermöglicht.

119. Die Auslegung dieser Klausel muss daher die praktische Wirksamkeit der vom Gesetzgeber für den Ersatzteilmarkt gewünschten weitgehenden Liberalisierung wahren.

120. Im Licht dieser Erwägungen ist der Inhalt der Vorkehrungen zu bestimmen, die von einem Hersteller oder Anbieter von Bauelementen gefordert werden können. Die hauptsächliche Schwierigkeit hierbei liegt darin, dass die Maßnahme des Herstellers oder Anbieters der Reparatur, die unter Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 fallen kann, vorgelagert ist. Mit anderen Worten, die genannten Vorkehrungen betreffen die Voraussetzungen, unter denen ein Bauelement künftig und meist von Dritten verwendet wird.

121. Hierzu sind dem Gerichtshof drei Ansätze vorgeschlagen worden, die jeweils von einer Garantiepflicht, einer Erklärungspflicht und einer Sorgfaltspflicht ausgehen. Ich bevorzuge den letztgenannten Ansatz, der mir am ehesten geeignet erscheint, die praktische Wirksamkeit der Reparaturklausel zu wahren.

122. Der erstgenannte Ansatz, der von einer Garantiepflicht ausgeht, verlangt vom Hersteller und vom Anbieter die Garantie, dass die von ihnen hergestellten oder angebotenen Ersatzteile „mit dem Ziel verwendet [werden], die Reparatur [eines] komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen“. Eine solche Garantiepflicht würde meines Erachtens die praktische Wirksamkeit des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 übermäßig einschränken.

123. Zum einen würde diese Garantiepflicht den Hersteller und den Anbieter dazu zwingen, Ersatzteile nur dann anzubieten, wenn sie im Voraus sicher sein können, dass diese unter den vorstehend genannten Voraussetzungen verwendet werden.

124. Dementsprechend schlägt Audi vor, die Hersteller nachgebauter Felgen dazu zu verpflichten, ihre Erzeugnisse nur an Reparaturwerkstätten zu liefern und dabei sicherzustellen, dass diese Werkstätten sie ausschließlich zu Reparaturzwecken verwenden. Porsche schlägt vor, Verkäufe nachgeahmter Felgen zwischen Herstellern und Wiederverkäufern zu untersagen, da es bei diesen Verkäufen um Mengen gehe, die so umfangreich seien, dass die Einhaltung der vorgenannten Bestimmung nicht überwacht werden könne. Ich füge hinzu, dass allenfalls vorstellbar ist, dass ein Hersteller eine nachgebaute Felge nur herstellen darf, wenn ordnungsgemäß nachgewiesen wird, dass eine Reparatur durchzuführen ist.

125. Diese Einschränkung der unternehmerischen Tätigkeit der Hersteller und Anbieter von Bauelementen würde jedoch im Widerspruch zu dem von Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 verfolgten Ziel der Liberalisierung zu einer Beschränkung ihres Zugangs zum Ersatzteilmarkt führen. Der Vorschlag von Audi übersieht zunächst, dass Reparaturen außerhalb von Reparaturwerkstätten durchgeführt werden können, insbesondere durch den Endnutzer selbst. Sodann würde der Vorschlag von Porsche die nachgebauten Felgen aus dem Katalog der Wiederverkäufer verbannen, die einen bedeutenden Absatzmarkt bilden. Schließlich würde die Herstellung nachgebauter Felgen bei nachgewiesenem Reparaturbedarf zu einem Verlust des Skalenvorteils bei den Herstellern sowie zu Verzögerungen bei der Verfügbarkeit dieser Felgen zugunsten der von den Rechtsinhabern vertriebenen Originalfelgen führen.

126. Zum anderen würde diese Garantiepflicht den Hersteller und den Anbieter für Handlungen aller Akteure verantwortlich machen, die in der Vertriebskette nach ihnen tätig werden, und zwar bis zum Endnutzer. So könnten der Hersteller und der Anbieter dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Endnutzer nachgebaute Felgen aus Gründen des Geschmacks verwendet. Insoweit machen Acacia und die Kommission zu Recht geltend, es sei unverhältnismäßig, von einem Hersteller oder Anbieter von Bauelementen die Einrichtung eines Systems zu verlangen, mit dem die Tätigkeit sowohl der vorgelagerten Händler als auch der Endnutzer überwacht wird.

127. Ich füge hinzu, dass sich der Rechtsinhaber, wenn er der Ansicht ist, dass die in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 geregelten Verwendungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, gegenüber dem betreffenden Nutzer stets auf seine Rechte berufen darf.

128. Aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass vom Hersteller und vom Anbieter nicht die Garantie verlangt werden kann, dass die nachgebauten Bauelemente, die von ihnen hergestellt oder angeboten werden, gemäß den vorstehend genannten Voraussetzungen verwendet werden.

129. Der zweite Ansatz, der dem Gerichtshof vorgeschlagen wurde, besteht darin, dass dem Hersteller und dem Anbieter von Bauelementen die Pflicht auferlegt wird, sich eine Erklärung des Erwerbers dahin gehend zu verschaffen, dass er das Bauelement zu keinem anderen Zweck als dem in Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 angeführten verwenden wird(39).

130. Dieser Ansatz ist meines Erachtens insofern äußerst rigide, als er den Hersteller oder Anbieter daran hindern würde, andere Vorkehrungen zu treffen, die sich im Zusammenhang ihrer Tätigkeiten als angemessen erweisen können. Außerdem sind auch Zweifel an der Wirksamkeit dieses Ansatzes angebracht. Es ist nämlich ohne Weiteres vorstellbar, dass sich ein Hersteller oder Anbieter diese Erklärung der Form halber beschafft, obwohl er weiß, dass der Erwerber das Bauelement nicht unter den in dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzungen verwenden wird.

131. Der dritte Ansatz, auf den die italienische Regierung und die Kommission Bezug nehmen, beruht auf einer Sorgfaltspflicht, die sich auf die Einhaltung der Verwendungsvoraussetzungen nach Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 durch die nachgelagerten Nutzer bezieht. Dieser Ansatz, der meines Erachtens am ehesten geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der vom Unionsgesetzgeber beschlossenen weitgehenden Liberalisierung des Ersatzteilmarkts zu wahren, findet meine Zustimmung. Es ist jedoch noch zu erläutern, was diese Verpflichtung in der Praxis bedeutet.

132. Der sorgfältige Hersteller oder Anbieter hat den Erwerber darüber zu informieren, dass zum einen in das betreffende Bauelement ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Inhaber er nicht ist, und dass zum anderen das Bauelement ausschließlich mit dem Ziel verwendet werden soll, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.

133. Ich weise insoweit darauf hin, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte festzustellen, dass Art. 14 der Richtlinie 98/71 und Art. 110 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Hersteller von Kraftfahrzeugersatzteilen, abweichend von den Vorschriften des Unionsrechts zum Markenrecht, nicht berechtigen, eine von einem Kraftfahrzeughersteller eingetragene Marke ohne dessen Zustimmung anzubringen(40). Daher kann ein Dritthersteller – wie Acacia – keine Verwechslung zwischen seinen nachgebauten Teilen und den vom Rechtsinhaber – wie Audi oder Porsche – hergestellten Originalteilen hervorrufen, indem er eine Marke des Letzteren anbringt.

134. Im Übrigen müssen Hersteller oder Anbieter die Möglichkeit haben, unter Heranziehung aller nach dem nationalen Recht vorgesehenen Arten der Beweisführung zu belegen, dass sie dieser Informationspflicht nachgekommen sind. Dieser Nachweis könnte insbesondere, aber nicht ausschließlich, in Form einer vom Erwerber unterzeichneten Erklärung wie die im Rahmen des zweiten Ansatzes in Betracht gezogene Erklärung oder in Form einer in den Verkaufsvertrag aufgenommenen Klausel erfolgen.

135. Die Beachtung dieser Informationspflicht reicht jedoch nicht aus, um der Sorgfaltspflicht zu genügen. Der sorgfältige Hersteller oder Anbieter muss nämlich auch dann den Verkauf eines Bauelements unterlassen, wenn er weiß oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass dieses Bauelement nicht gemäß den Voraussetzungen des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 verwendet werden wird.

136. Ich weise darauf hin, dass sowohl der Gerichtshof(41) als auch der Unionsgesetzgeber(42) entsprechende Voraussetzungen im Bereich des geistigen Eigentums herangezogen haben.

137. Zusammenfassend bin ich der Auffassung, dass der Hersteller oder Anbieter des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses, um sich auf die Reparaturklausel berufen zu können, einer Sorgfaltsplicht genügen muss, die sich auf die Einhaltung der Verwendungsvoraussetzungen des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 durch die nachgelagerten Nutzer bezieht. Diese Sorgfaltspflicht bedeutet zum einen, dass er den Erwerber darüber informiert, dass in das Bauelement ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Rechtsinhaber er nicht ist, und dass das Bauelement ausschließlich zur Verwendung gemäß den Voraussetzungen nach dieser Vorschrift bestimmt ist, und zum anderen, dass er das Recht, sich hierauf zu berufen, verliert, wenn er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass das Bauelement nicht unter Einhaltung der genannten Voraussetzungen verwendet werde.

VI.    Ergebnis

138. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Corte d’appello Milano (Berufungsgericht Mailand, Italien) und des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu antworten:

1.      Art. 110 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass sich der Begriff „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ nicht auf die Bauelemente beschränkt, deren Form durch das Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses festgelegt ist, sondern jedes Erzeugnis erfasst, das in ein anderes – als „komplexes Erzeugnis“ eingestuftes – Erzeugnis eingefügt ist, das ferner ausgebaut und ersetzt werden kann, das zudem für eine bestimmungsgemäße Verwendung des komplexen Erzeugnisses erforderlich ist und das bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung des komplexen Erzeugnisses sichtbar bleibt.

2.      Für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 muss das Bauelement „mit dem Ziel verwendet [werden], die Reparatur [eines] komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen“ – was jede Verwendung allein aus Gründen des Geschmacks oder der Neigung ausschließt –, „um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen“ – was voraussetzt, dass das Austauschteil ein Erscheinungsbild aufweist, das mit dem Erscheinungsbild des ursprünglich in das komplexe Erzeugnis eingefügten Bauelements identisch ist.

3.      Der Hersteller oder der Anbieter des Bauelements eines komplexen Erzeugnisses muss, um sich auf diese Ausnahmeregelung berufen zu können, einer Sorgfaltsplicht genügen, die sich auf die Einhaltung der Verwendungsvoraussetzungen des Art. 110 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 durch die nachgelagerten Nutzer bezieht. Diese Sorgfaltspflicht bedeutet zum einen, dass er den Erwerber darüber informiert, dass in das Bauelement ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Rechtsinhaber er nicht ist, und dass das Bauelement ausschließlich zur Verwendung gemäß den Voraussetzungen nach dieser Vorschrift bestimmt ist, und zum anderen, dass er das Recht, sich hierauf zu berufen, verliert, wenn er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass das Bauelement nicht unter Einhaltung der genannten Voraussetzungen verwendet werde.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2002, L 3, S. 1.


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABl. 1998, L 289, S. 28).


4      Vgl. Nrn. 92 und 93 der vorliegenden Schlussanträge.


5      Vgl. Nrn. 97 bis 110 der vorliegenden Schlussanträge.


6      Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (KOM[93] 342 endg., S. 24 und 25).


7      Der Grundsatz der Erschöpfung der ausschließlichen Rechte des Inhabers ist auch eine der Grundlagen des Patentschutzes und des Urheberrechts- oder Markenrechtsschutzes. Vgl. insbesondere Art. 29 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (ABl. 2013, C 175, S. 1), Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10) und Art. 15 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1).


8      Vgl. Nrn. 71 bis 78 der vorliegenden Schlussanträge.


9      Nach den Ausführungen von Porsche wurden in den folgenden Entscheidungen die Fahrzeugfelgen vom Anwendungsbereich der Reparaturklausel ausgeschlossen: Urteil des Tribunal de Commerce Bruxelles (Handelsgericht Brüssel, Belgien) vom 16. Februar 2015, A/12/05787, Urteil des Højesteret (Oberstes Gericht, Dänemark) vom 10. März 2015, 17/2010, Landgericht Hamburg (Deutschland), GRUR‑RS 2015, S. 16872, Landgericht Düsseldorf (Deutschland), GRUR-RR 2016, S. 228, Urteil der Audiencia Provincial Alicante (Provinzgericht Alicante, Spanien), vom 18. Juni 2010, 437/10, Urteil des Tribunale di Bologna (Gericht Bologna, Italien) vom 17. Dezember 2013, 4306/2011, Urteil des Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) vom 27. November 2014, 3801/2013, Urteil des Tribunal Helsinki (Finnland) Nr. 15/149362 vom 19. November 2015, Aktenzeichen R14/5257, Urteil des Svea hovrätt (Berufungsgericht mit Sitz in Stockholm, Schweden) vom 29. Januar 2016, Aktenzeichen Ö 8596‑17.


10      Acacia zufolge fallen nach folgenden Urteilen die Fahrzeugfelgen in den Anwendungsbereich der Reparaturklausel: Tribunale di Napoli (Gericht Neapel, Italien) vom 11. November 2009, RG 35034/079, Tribunale di La Spezia (Gericht La Spezia, Italien) vom 21. September 2010, Nr. 66/10/18, Tribunale di La Spezia (Gericht La Spezia) vom 29. September 2010, Proc. 75/2010 mod.18, Tribunale di Napoli (Gericht Neapel) vom 11. Februar 2011, Nr. 5001/2011, Tribunale di Milano (Gericht Mailand) vom 11. Juni 2012, RG 24209/12, Tribunale di Milano (Gericht Mailand) vom 11. Oktober 2012, RG 46317/12, Corte d’appello di Napoli (Berufungsgericht Neapel, Italien) vom 25. September 2013, Nr. 3678/2013.


11      Vgl. Nrn. 16 und 24 der vorliegenden Schlussanträge.


12      Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 1994, C 29, S. 20).


13      Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Rechtsschutz von Mustern (ABl. 1993, C 345, S. 14).


14      „Artikel 23


      Verwendung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu Reparaturzwecken


      Das Recht aus dem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nicht gegen Dritte ausgeübt werden, die drei Jahre nach dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, das Muster nach Artikel 21 verwenden, vorausgesetzt,


      a)      das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, ist Teil eines komplexen Erzeugnisses, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängig ist,


      b)      der Zweck dieser Verwendung besteht darin, die Reparatur des komplexen Erzeugnisses so zu ermöglichen, dass seine ursprüngliche Erscheinungsform wieder hergestellt wird,


      c)      die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Herkunft des für die Reparatur verwendeten Erzeugnisses nicht irregeführt“ (Hervorhebung nur hier).


15      „Artikel 14


      Übergangsbestimmungen


      Solange nicht auf Vorschlag der Kommission gemäß Artikel 18 Änderungen dieser Richtlinie angenommen worden sind, behalten die Mitgliedstaaten ihre bestehenden Rechtsvorschriften über die Benutzung des Musters eines Bauelements zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung von dessen ursprünglicher Erscheinungsform bei und führen nur dann Änderungen an diesen Bestimmungen ein, wenn dadurch die Liberalisierung des Handels mit solchen Bauelementen ermöglicht wird.“


16      Geänderter Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2000, C 248 E, S. 3).


17      „Artikel 10a


      Übergangsbestimmung


      (1)      Bis ein entsprechender Änderungsvorschlag der Kommission zu dieser Verordnung angenommen wird, besteht ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht an einem Muster, das bei einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsbild das Muster abhängig ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird.


      (2)      Der Vorschlag der Kommission gemäß Absatz 1 wird gleichzeitig mit den Änderungen, die die Kommission zu diesem Bereich gemäß Artikel 18 der Richtlinie 98/71 … über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vorschlägt, vorgelegt und behandelt“ (Hervorhebung nur hier).


18      Vgl. Bericht des Vorsitzes an den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) Nr. 12420/00 vom 19. Oktober 2000, Rn. 6, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑12420‑2000‑INIT/de: „Die überwiegende Mehrheit der Delegationen hat verlangt, die Formulierung von Artikel 10a und Erwägungsgrund 13 derjenigen von Artikel 14 der Richtlinie anzugleichen, da durch die von der Kommission vorgeschlagene Fassung mehr Teile vom Schutz ausgeschlossen würden, als durch Artikel 14 der Richtlinie abgedeckt sind“. Vgl. auch Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 8107/00 vom 5. Mai 2000, S. 2, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑8107‑2000‑INIT/de.


19      Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 12420/00 vom19. Oktober 2000, Rn. 9.


20      Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 12420/00 vom19. Oktober 2000, S. 9 bis 11.


21      Vermerk des Vorsitzes für die Gruppe „Geistiges Eigentum“ (Geschmacksmuster) Nr. 12811/00 vom 27. Oktober 2000, S. 1 und 2, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑12811‑2000‑INIT/de.


22      Vgl. Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.


23      Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 12420/00 vom 19. Oktober 2000, S. 11.


24      Vgl. Nrn. 60 und 61 der vorliegenden Schlussanträge. Vgl. Vermerk des Vorsitzes für die Gruppe „Geistiges Eigentum“ (Geschmacksmuster) Nr. 12811/00 vom 27. Oktober 2000, S. 2.


25      Vgl. insbesondere Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 13103/00 vom 9. November 2000, S. 6 und 9, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑13103‑2000‑INIT/de, Bericht des Vorsitzes an den AStV Nr. 13641/00 vom 21. November 2000, S. 4 und 6, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑13641‑2000‑INIT/de, Bericht des Vorsitzes an den Rat (Binnenmarkt, Verbraucherfragen und Tourismus) Nr. 13749/00 vom 24. November 2000, S. 7, abrufbar unter folgender Adresse: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑13749‑2000‑INIT/de.


26      Vgl. Fn. 18.


27      Vgl. Nr. 57 der vorliegenden Schlussanträge.


28      Vgl. u. a. Urteil vom 14. Dezember 2006, Nokia, C‑316/05, EU:C:2006:789, Rn. 21, das die Auslegung des in Art. 98 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) enthaltenen Ausdrucks „besondere Gründe“ betrifft.


29      Vgl. Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge.


30      Ich weise insoweit darauf hin, dass das Erfordernis einer Reparatur des komplexen Erzeugnisses bedeutet, dass das Bauelement für eine bestimmungsgemäße Verwendung dieses Erzeugnisses erforderlich ist. Vgl. Nr. 89 der vorliegenden Schlussanträge.


31      Vgl. Nr. 91 der vorliegenden Schlussanträge.


32      Vgl. Nrn. 13 und 19 der vorliegenden Schlussanträge.


33      Der Gerichtshof hatte bereits die Gelegenheit festzustellen, dass Art. 110 der Verordnung Nr. 6/2002 einen Hersteller von Kraftfahrzeugersatzteilen wie Acacia nicht berechtige, eine von einem Kraftfahrzeughersteller eingetragene Marke ohne dessen Zustimmung anzubringen. Vgl. Nr. 133 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Vgl. Nrn. 48 bis 83 der vorliegenden Schlussanträge.


35      Angesichts der weiten Definition des Begriffs „Verwendung“ in Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 beeinträchtigen die Herstellung und das Anbieten eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, sowie der Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken die ausschließlichen Rechte des Rechtsinhabers, sofern dessen Zustimmung nicht gegeben ist.


36      Ich möchte insoweit klarstellen, dass die Erfüllung der ersten im vorstehenden Abschnitt geprüften Voraussetzung, wonach das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses vorliegen muss, nicht davon abhängt, ob Vorkehrungen seitens des Herstellers oder Anbieters getroffen wurden, sondern allein von den in Nr. 92 der vorliegenden Schlussanträge aufgeführten objektiven Merkmalen des betreffenden Erzeugnisses.


37      Der Gerichtshof hat diese Übergangsklauseln u. a. ausgelegt in den Urteilen vom 23. März 1983, Peskeloglou (77/82, EU:C:1983:92, Rn. 11 und 12), vom 5. Dezember 1996, Merck und Beecham (C‑267/95 und C‑268/95, EU:C:1996:468, Rn. 23 und 24), sowie vom 12. Juni 2008, Kommission/Portugal (C‑462/05, EU:C:2008:337, Rn. 53 und 54).


38      Vgl. Nrn. 43 bis 47 und 71 bis 78 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Diese Lösung wird insbesondere in der vierten Frage in der Rechtssache C‑435/16 angesprochen.


40      Beschluss vom 6. Oktober 2015, Ford Motor Company (C‑500/14, EU:C:2015:680).


41      Vgl. insbesondere in einem anderen Zusammenhang Urteil vom 8. September 2016, GS Media (C‑160/15, EU:C:2016:644). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass das Setzen von Hyperlinks auf eine Website zu geschützten Werken, die auf einer anderen Website ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers frei zugänglich sind, keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt, wenn die Links ohne Gewinnerzielungsabsicht durch jemanden, der die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung der Werke auf der anderen Website nicht kannte oder vernünftigerweise nicht kennen konnte, bereitgestellt wurden. Auch wenn dieses Urteil nicht unmittelbar auf die vorliegenden Rechtssachen übertragbar ist, weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof ein entsprechendes Kriterium wie das von mir vorgeschlagene herangezogen hat.


42      Vgl. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45) wonach „[d]ie Mitgliedstaaten … sicher[stellen], dass die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat …“ (Hervorhebung nur hier). Vgl. auch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. 2016, L 157, S. 1) wonach „[e]benfalls als rechtswidrig … der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses [gilt], wenn eine Person zum Zeitpunkt des Erwerbs, der Nutzung oder der Offenlegung wusste oder unter den gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass sie unmittelbar oder mittelbar über eine andere Person in den Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt war, die dieses rechtswidrig im Sinne des Absatzes 3 genutzt oder offengelegt hat“ (Hervorhebung nur hier).