Language of document : ECLI:EU:C:2018:289

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 26. April 2018(1)

Rechtssache C41/17

Isabel González Castro

gegen

Mutua Umivale,

Prosegur España SL,

Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS)

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Galicia [Obergericht Galicien, Spanien])

„Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmerinnen – Richtlinie 92/85/EWG – Art. 7 – Frage, ob ,Nachtarbeit‘ Schichtarbeit umfasst, wenn die betroffene Arbeitnehmerin ihren Dienst nachts verrichtet – Stillende Arbeitnehmerin – Beurteilung der von der betroffenen Arbeitnehmerin beanstandeten Arbeitsbedingungen – Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG – Beweislast – Gleichbehandlung – Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“






1.        Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen ersucht das Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien, Spanien) den Gerichtshof um Aufschluss über die Bedeutung des Begriffs „Nachtarbeit“ in der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz(2). Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob eine stillende Mutter, die Schichtarbeit auf der Grundlage einer Vereinbarung leistet, nach der einige Dienststunden nachts verrichtet werden, in den Genuss des durch diese Richtlinie gewährten spezifischen Schutzes kommt. Das Gericht möchte ferner wissen, ob die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen(3) Anwendung findet, wenn diese Arbeitnehmerin eine Entscheidung anficht, mit der es abgelehnt wird, ihr durch vorübergehende Freistellung vom Dienst das Stillen ihres Kindes zu ermöglichen und ihr für diesen Zeitraum eine Sozialleistung zu gewähren. Einige Bestimmungen dieser Richtlinie sehen eine Verlagerung der Beweislast auf den Arbeitgeber (oder gegebenenfalls auf die zuständige Behörde) vor, der dann beweisen muss, dass in dem betreffenden Fall keine Diskriminierung vorgelegen hat.

 Unionsrecht

 Richtlinie 89/391

2.        Die Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit(4) ist eine Rahmenrichtlinie. Sie definiert den Begriff „Gefahrverhütung“ als „sämtliche Bestimmungen oder Maßnahmen, die in einem Unternehmen auf allen Tätigkeitsstufen zur Vermeidung oder Verringerung berufsbedingter Gefahren eingeleitet oder vorgesehen werden“(5). In Abschnitt II sind die Pflichten des Arbeitgebers geregelt, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen(6). Die Richtlinie schreibt vor, dass besonders gefährdete Risikogruppen gegen die speziell sie bedrohenden Gefahren geschützt werden müssen(7), und ermächtigt den Unionsgesetzgeber zum Erlass von Einzelrichtlinien zur Verbesserung der Arbeitsumwelt hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer(8).

 Richtlinie 92/85

3.        Die Richtlinie 92/85 wurde im Rahmen der Richtlinie 89/391 erlassen. Aus ihren Erwägungsgründen geht hervor, dass schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen eine besondere Risikogruppe sind(9). Der Schutz der Sicherheit und der Gesundheit solcher Arbeitnehmerinnen darf Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht benachteiligen; er darf ferner nicht die Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beeinträchtigen(10). Bei bestimmten Tätigkeiten kann ein besonderes Risiko für diese Gruppe von Arbeitnehmerinnen bestehen; diese Risiken müssen beurteilt und die Ergebnisse dieser Beurteilung den betroffenen Arbeitnehmerinnen mitgeteilt werden(11). Ergibt die Beurteilung ein Risiko für die Sicherheit und die Gesundheit einer Arbeitnehmerin, ist eine Regelung zu ihrem Schutz vorzusehen(12). Es sind Bestimmungen vorzusehen, nach denen diese Gruppe von Arbeitnehmerinnen nicht verpflichtet werden darf, Nachtarbeit zu verrichten, wenn dies aus Gründen ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlich ist(13).

4.        Laut Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 hat diese „die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz“ zum Ziel.

5.        Art. 2 enthält folgende Definitionen:

„a)      ,schwangere Arbeitnehmerin‘ jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet;

b)      ,Wöchnerin‘ jede Arbeitnehmerin kurz nach einer Entbindung im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Entbindung unterrichtet;

c)      ,stillende Arbeitnehmerin‘ jede stillende Arbeitnehmerin im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten darüber unterrichtet, dass sie stillt.“

6.        Die Kommission hat gemäß Art. 3 Abs. 1 Leitlinien u. a. für die Beurteilung der physikalischen Agenzien, die als Gefahrenquelle für Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Art. 2 gelten, erstellt(14). Laut Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 „[erstrecken sich die] Leitlinien auch auf die Bewegungen und Körperhaltungen, die geistige und körperliche Ermüdung und die sonstigen, mit der Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen körperlichen und geistigen Belastungen“. Nach Art. 3 Abs. 2 sollen die Leitlinien als Leitfaden für die in Art. 4 vorgesehene Beurteilung dienen.

7.        Nach Art. 4 Abs. 1 hat der Arbeitgeber für jede Tätigkeit, bei der ein besonderes Risiko einer Exposition gegenüber den in der nicht erschöpfenden Liste in Anhang I genannten Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen besteht(15), in dem betreffenden Unternehmen und/oder Betrieb Art, Ausmaß und Dauer der Exposition der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Art. 2 zu beurteilen. Die Beurteilung erfolgt, damit alle Risiken für Sicherheit und Gesundheit sowie alle Auswirkungen u. a. auf die Stillzeit der betreffenden Arbeitnehmerinnen abgeschätzt und die zu ergreifenden Maßnahmen bestimmt werden können. Nach Art. 4 Abs. 2 muss die betreffende Arbeitnehmerin über die Ergebnisse dieser Beurteilung und über die in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu ergreifenden Maßnahmen unterrichtet werden.

8.        Art. 5 regelt die Konsequenzen aus einer Beurteilung nach Art. 4, wenn diese Beurteilung das Vorhandensein einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit sowie eine mögliche Auswirkung auf Schwangerschaft oder Stillzeit der Arbeitnehmerin ergibt. In solchen Fällen haben die Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um durch eine einstweilige Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten der betreffenden Arbeitnehmerin auszuschließen, dass die Arbeitnehmerin dieser Gefährdung ausgesetzt ist (Art. 5 Abs. 1). Ist die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so trifft der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen für einen Arbeitsplatzwechsel der betreffenden Arbeitnehmerin (Art. 5 Abs. 2). Ist der Arbeitsplatzwechsel technisch und/oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so wird die betreffende Arbeitnehmerin während des gesamten zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlichen Zeitraums entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten beurlaubt (Art. 5 Abs. 3).

9.        Art. 7 trägt die Überschrift „Nachtarbeit“. Er sieht Folgendes vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 während ihrer Schwangerschaft und während eines von der für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zuständigen einzelstaatlichen Behörde festzulegenden Zeitraums nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden, vorbehaltlich eines nach den von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Einzelheiten vorzulegenden ärztlichen Attestes, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerin bestätigt wird.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Maßnahmen müssen entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten Folgendes ermöglichen:

a)       die Umsetzung an einen Arbeitsplatz mit Tagarbeit oder

b)       die Beurlaubung oder die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, sofern eine solche Umsetzung technisch oder sachlich nicht möglich oder aus gebührend nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar ist.“

10.      Art. 11 Nr. 1 sieht zur Gewährleistung der durch die Richtlinie 92/85 geschützten Rechte der Arbeitnehmerinnen vor, dass die Mitgliedstaaten u. a. dann, wenn die Beurteilung gemäß Art. 4 das Vorhandensein einer Gefährdung ergibt und Maßnahmen nach Art. 5 zu treffen sind oder wenn Art. 7 der Richtlinie gilt, Regelungen zugunsten der Arbeitnehmerinnen, einschließlich der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung, vorsehen müssen.

 Richtlinie 2003/88

11.      Die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung(16) enthält folgende Begriffsbestimmung:

„Nachtzeit: jede, in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Zeitspanne von mindestens sieben Stunden, welche auf jeden Fall die Zeitspanne zwischen 24 Uhr und 5 Uhr umfasst“(17).

 Richtlinie 2006/54

12.      In den Erwägungsgründen der Richtlinie 2006/54 wird Folgendes ausgeführt. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich klar, dass die Schlechterstellung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaft eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Eine solche Behandlung sollte daher von der Richtlinie ausdrücklich erfasst werden(18). Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass der Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach einer Schwangerschaft sowie Maßnahmen zum Mutterschutz legitime Mittel zur Erreichung einer nennenswerten Gleichstellung sind. Die Richtlinie 2006/54 sollte somit die Richtlinie 92/85 unberührt lassen(19). Schließlich heißt es dort, dass „[d]er Erlass von Bestimmungen zur Beweislast … wesentlich [ist], um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung wirksam durchgesetzt werden kann. Wie der Gerichtshof entschieden hat, sollten daher Bestimmungen vorgesehen werden, die sicherstellen, dass die Beweislast – außer im Zusammenhang mit Verfahren, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zuständigen nationalen Stelle obliegt – auf die beklagte Partei verlagert wird, wenn der Anschein einer Diskriminierung besteht. Es ist jedoch klarzustellen, dass die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, weiterhin der einschlägigen einzelstaatlichen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten obliegt. Außerdem bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, auf jeder Stufe des Verfahrens eine für die klagende Partei günstigere Beweislastregelung vorzusehen“(20).

13.      Nach Art. 1 ist es Ziel der Richtlinie, „die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen“.

14.      Unmittelbare Diskriminierung ist in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a definiert als „eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b liegt eine „mittelbare Diskriminierung“ in einer Situation vor, in der „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. c gilt als „Diskriminierung“ „jegliche ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub im Sinne der Richtlinie [92/85]“.

15.      Art. 14 Abs. 1 verbietet die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts u. a. in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (Art. 14 Abs. 1 Buchst. c).

16.      In Art. 19 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.

(2)      Absatz 1 lässt das Recht der Mitgliedstaaten, eine für die klagende Partei günstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberührt.

(4)      Die Absätze 1 [und] 2 … finden ebenfalls Anwendung auf

a)      die Situationen, die … – sofern die Frage einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesprochen ist – von [der Richtlinie 92/85] erfasst werden“.

17.      Nach Art. 28 steht die Richtlinie 2006/54 (unionsrechtlichen und einzelstaatlichen) Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen. Auch wird ausdrücklich festgestellt, dass sie u. a. die Richtlinie 92/85 unberührt lässt.

 Spanisches Recht

18.      Art. 26 der Ley 31/1995, de 8 de noviembre, de prevención de Riesgos Laborales (Gesetz 31/1995 vom 8. November 1995 über die Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, im Folgenden: LPRL) bestimmt:

„1.      Die Beurteilung der Risiken [für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmerinnen], auf die sich Art. 16 dieses Gesetzes bezieht, muss die Beurteilung von Art, Ausmaß und Dauer der Exposition der schwangeren Arbeitnehmerinnen oder Wöchnerinnen gegenüber den Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen umfassen, die die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen oder des Fötus beeinträchtigen können, und zwar für jede Tätigkeit, bei der ein besonderes Risiko besteht. Ergibt die Beurteilung das Vorhandensein einer Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit oder eine mögliche Auswirkung auf Schwangerschaft oder Stillzeit dieser Arbeitnehmerinnen, so ergreift der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen, um auszuschließen, dass sie dieser Gefährdung ausgesetzt sind, indem er die Arbeitsbedingungen oder die Arbeitszeiten der betreffenden Arbeitnehmerin umgestaltet.

Dazu gehört gegebenenfalls, dass keine Nachtdienste oder Schichtdienste geleistet werden.

2.      Ist die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder der Arbeitszeiten nicht möglich oder können sich die Arbeitsbedingungen trotz dieser Umgestaltung negativ auf die Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerin oder des Fötus auswirken und wird dies von den Medizinischen Diensten des Instituto Nacional de la Seguridad Social [(Nationales Institut der sozialen Sicherheit, im Folgenden: INSS)] oder des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, je nachdem bei welcher Einrichtung das Unternehmen die arbeitsbedingten Gefahren abgedeckt hat, und durch einen Bericht des die Arbeitnehmerin betreuenden Arztes des Servicio Nacional de Salud [(Nationaler Gesundheitsdienst)] bescheinigt, muss die Arbeitnehmerin an einem anderen Arbeitsplatz oder in einem anderen Aufgabenbereich eingesetzt werden, der mit ihrem Zustand vereinbar ist. Der Arbeitgeber hat nach Anhörung der Arbeitnehmervertreter eine Liste der Arbeitsplätze zu erstellen, die in diesem Sinne als risikofrei anzusehen sind.

Der Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Aufgabenbereichs erfolgt nach Maßgabe der Regeln und Kriterien, die in Fällen der funktionalen Mobilität gelten, und endet erst in dem Zeitpunkt, in dem der Gesundheitszustand der Arbeitnehmerin ihre Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz zulässt.

3.      Ist der Arbeitsplatzwechsel technisch oder sachlich nicht möglich oder aus nachgewiesenen Gründen nicht zumutbar, so kann gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. d des [Real Decreto Legislativo 1/1995, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Königliches gesetzesvertretendes Dekret 1/1995 zur Genehmigung der Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut) vom 24. März 1995] festgestellt werden, dass der Arbeitsvertrag der betreffenden Arbeitnehmerin wegen Risiken während der Schwangerschaft ruht, solange dies zum Schutz ihrer Sicherheit oder Gesundheit erforderlich und es nicht möglich ist, sie wieder an ihrem früheren Arbeitsplatz oder an einem anderen, mit ihrem Zustand zu vereinbarenden Arbeitsplatz einzusetzen.

4.      Die Abs. 1 und 2 dieses Artikels finden auch während der Stillzeit Anwendung, wenn sich die Arbeitsbedingungen negativ auf die Gesundheit von Mutter oder Kind auswirken könnten und dies von den Medizinischen Diensten des [INSS] oder des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, je nachdem bei welcher Einrichtung das Unternehmen die arbeitsbedingten Gefahren abgedeckt hat, und durch einen Bericht des Arztes des Servicio Nacional de Salud, der die Arbeitnehmerin oder ihr Kind betreut, bescheinigt wird. Außerdem kann gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. d des [Königlichen gesetzesvertretenden Dekrets 1/1995] festgestellt werden, dass das Arbeitsverhältnis der betreffenden Arbeitnehmerin wegen Risiken während des Stillens von Kindern im Alter von bis zu neun Monaten ruht, wenn die in Abs. 3 dieses Artikels genannten Voraussetzungen vorliegen.“

19.      Nach spanischem Recht hat das Vorliegen einer Gefährdung während der Stillzeit nur dann das Ruhen des Arbeitsvertrags und den Bezug einer öffentlichen Sozialleistung zur Folge, wenn erwiesen ist, dass eine solche Gefährdung besteht und eine Umgestaltung oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes nicht möglich ist.

20.      Das vorlegende Gericht führt aus, das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) habe wiederholt entschieden, dass Schicht- und Nachtarbeit nicht automatisch als Risikofaktoren für das Stillen angesehen werden könnten. Eine solche Gefährdung könne jedoch angenommen werden, wenn die Arbeitszeiten nicht mit den regelmäßigen Zeiten der Fütterung des Kindes im Einklang stünden, sofern sich die Unvereinbarkeit mit dem direkten Stillen nicht durch Abpumpen der Muttermilch abmildern lasse, wobei in jedem Fall nachzuweisen sei, dass das Abpumpen der Muttermilch im konkreten Fall aus Gründen, die im Zusammenhang mit der Gesundheit von Mutter und Kind stünden, nicht angeraten sei.

21.      Was das Verfahrensrecht angeht, trägt Art. 96 der Ley 36/2011, reguladora de la jurisdicción social (Gesetz Nr. 36/2011 zur Regelung der Sozialgerichtsbarkeit, im Folgenden: Gesetz Nr. 36/2011) vom 10. Oktober 2011 die Überschrift „Beweislast in Fällen der Diskriminierung und bei Unfällen am Arbeitsplatz“. Art. 96 Abs. 1 setzt Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 um, indem er vorsieht, dass dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten, eine Diskriminierung u. a. aufgrund des Geschlechts glaubhaft machen, die Beweislast auf den Beklagten übergeht.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

22.      Frau Isabel González Castro war bei dem Unternehmen Prosegur España SL als Sicherheitsbedienstete beschäftigt. Am 8. November 2014 wurde sie Mutter eines Sohnes, den sie stillte. Ab März 2015 war sie im Einkaufszentrum As Termas in Lugo (Spanien) tätig(21). Sie arbeitete in variablen achtstündigen Wechselschichten. Im Wachdienst an ihrer Arbeitsstätte wurden mindestens zwei Sicherheitsbedienstete eingesetzt außer bei folgenden Schichten, bei denen nur ein Sicherheitsbediensteter im Einsatz war: montags bis donnerstags von 0.00 bis 8.00 Uhr, freitags von 2.00 bis 8.00 Uhr, samstags von 3.00 bis 8.00 Uhr und sonntags von 1.00 bis 8.00 Uhr.

23.      Aus den vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten ergibt sich, dass Frau González Castro am 3. März 2015 eine Bescheinigung einer Kinderärztin des staatlichen Gesundheitsdienstes zu Risiken während der Stillzeit ausgestellt wurde, in der bestätigt wurde, dass sie ihren Sohn tatsächlich stillte. Der Versicherer des Arbeitgebers, Mutua Umivale, richtete ein Formschreiben mit Datum vom 3. März 2015 an Prosegur España, in dem es hieß, dass der Antrag auf Zahlung einer Leistung während der Schwangerschaft oder Stillzeit abgelehnt werde, „weil kein Risiko besteht“. Frau González Castro füllte daraufhin ein Formular mit dem Titel „Antrag auf Erteilung eines ärztlichen Attests zum Nachweis des Bestehens eines Risikos während der Stillzeit“ mit Datum vom 9. März 2015 aus, das sie ihrem Arbeitgeber vorlegte. Der Formulartext lautete: „Das beantragte ärztliche Attest bestätigt, dass in Ihrem Fall Grund für den Wechsel an einen anderen Arbeitsplatz oder eine Änderung der Ihnen übertragenen Aufgaben besteht. Nur wenn es hierzu aus den im Gesetz geregelten Gründen nicht kommt, erhalten Sie die Leistung wegen des Bestehens eines Risikos während der Schwangerschaft oder Stillzeit.“ Ein Vertreter von Prosegur España füllte ein Formular mit dem Titel „Bescheinigung über die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zum Sozialversicherungssystem im Zusammenhang mit einem Antrag auf Zahlung einer Geldleistung wegen des Bestehens eines Risikos während der Stillzeit“ mit Datum vom 13. März 2015 aus, in dem es hieß, dass Frau González Castro als Sicherheitsbedienstete beschäftigt sei, dass zu ihren Pflichten Rundgänge auf dem Gelände und gegebenenfalls die Verhinderung von Straftaten gehörten und dass das Stillen durch ihre Arbeitsbedingungen nicht beeinträchtigt werde(22).

24.      Sodann führte Mutua Umivale eine förmliche Prüfung des Antrags von Frau González Castro auf Erteilung eines ärztlichen Attests durch. Mit Schreiben vom 17. März 2015 lehnte sie diesen Antrag mit der Begründung ab, dass nach den von der Arbeitnehmerin selbst eingereichten Unterlagen mit ihrer Tätigkeit kein Risiko verbunden sei, das sich nachteilig auswirken könnte. In den diesem Schreiben beigefügten Unterlagen wurde aus dem für das INSS erstellten Handbuch „Leitlinien zur Beurteilung von Risiken am Arbeitsplatz während der Stillzeit“ der spanischen Vereinigung für Pädiatrie (im Folgenden: Handbuch der spanischen Vereinigung für Pädiatrie) zitiert. Mutua Umivale führte in dem Schreiben aus, dass „Nachtarbeit, Schichtarbeit oder Alleinarbeit als solche kein eindeutiges Risiko für das Stillen darstellen, dieses jedoch wegen des Arbeitsrhythmus beschwerlicher machen können; wenn den Empfehlungen, die wir Ihnen gegeben haben, gefolgt wird, besteht keine Gefahr, dass das Stillen unterbrochen wird“(23).

25.      Am 24. April 2015 legte Frau González Castro gegen diese ablehnende Entscheidung Widerspruch ein. Diesen wies Mutua Umivale mit Schreiben vom 4. Mai 2015 mit der Begründung zurück, dass Frau González Castro an ihrem Arbeitsplatz keinem die Gesundheit ihres Kindes beeinträchtigenden Risiko ausgesetzt sei. Am 4. August 2015 legte Mutua Umivale ein ärztliches Gutachten von Dr. Maria Renau Escudero vor. In diesem Gutachten wurde aus der von Frau González Castro vorgelegten Bescheinigung der Kinderärztin und aus den Ausführungen des Arbeitgebers zitiert, wonach „das Stillen weder durch ihre Arbeitsbedingungen noch durch ihre Tätigkeiten und Aufgaben als Sicherheitsbedienstete beeinträchtigt werde“. Außerdem wurde in dem Gutachten auf das Handbuch der spanischen Vereinigung für Pädiatrie Bezug genommen. Das Gutachten gelangt zu dem Ergebnis, dass die betroffene Arbeitnehmerin keiner Gefährdung ausgesetzt sei, die das Stillen beeinträchtige, und zitiert das Handbuch: „Nach unseren Kriterien ist weder mit Nachtarbeit noch mit Schichtarbeit als solcher ein eindeutiges Risiko für das Stillen verbunden, auch wenn einzuräumen ist, dass sich diese Umstände auf das Stillen insoweit auswirken, als sie es wegen des Arbeitsrhythmus beschwerlicher machen.“ Am 30. Dezember 2015 wurde die von Frau González Castro gegen diese Entscheidung erhobene Klage vom Juzgado de lo Social n° 3 de Lugo (Sozialgericht Nr. 3 von Lugo) mit der Begründung abgewiesen, Schicht- und Nachtarbeit stellten nach der Rechtsprechung des spanischen Obersten Gerichtshofs und dem Handbuch der spanischen Vereinigung für Pädiatrie kein Risiko während der Stillzeit dar. Frau González Castro legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein.

26.      Sie macht geltend, dass sie während der Stillzeit ihres Sohnes aus drei Gründen einem Risiko ausgesetzt gewesen sei, und zwar i) wegen der Eigenart der Tätigkeit einer Sicherheitsbediensteten (die Gefährlichkeit und der damit verbundene Stress), ii) wegen des Umstands, dass sie ihre Arbeit im Schichtdienst und gelegentlich nachts und allein verrichte sowie iii) wegen des Umstands, dass sie ihr Kind am Arbeitsplatz nicht habe stillen können, weil kein geeigneter Raum vorhanden gewesen sei und sie ihren Arbeitsplatz nicht zum Stillen habe verlassen dürfen. Mutua Umivale (der Versicherer) wendet ein, die von Frau González Castro ausgeübte Tätigkeit sei nicht mit einem tatsächlichen Risiko, sondern nur mit einer „Erschwernis“ für das Stillen verbunden gewesen, die bei jeglicher Art von Arbeit gegeben sei. Nacht- und Schichtarbeit als solche seien nicht mit einem eindeutigen Risiko für das Stillen verbunden, „wenngleich sie das Stillen beschwerlicher machen können“, und die Schwierigkeiten bzw. die Unmöglichkeit, den Säugling selbst zu stillen, „können gemildert werden, indem die Muttermilch außerhalb der Arbeitszeit abgepumpt wird, denn sie lässt sich sogar bei Raumtemperatur über einen längeren Zeitraum konservieren“.

27.      Das vorlegende Gericht führt aus, es sei nicht nachgewiesen, dass Frau González Castro am Arbeitsplatz Zugang zu einem für das Stillen ihres Sohnes oder das Abpumpen von Muttermilch geeigneten Raum gehabt hätte oder eine Umgestaltung oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes möglich gewesen wäre, um die Umstände zu vermeiden, die nach ihrer Ansicht das Stillen gefährdeten.

28.      Vor diesem Hintergrund ersucht das vorlegende Gericht um eine Vorabentscheidung über folgende Fragen:

1.       Ist Art. 7 der Richtlinie 92/85 dahin auszulegen, dass die Nachtarbeit, zu der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Art. 2, also auch stillende Arbeitnehmerinnen, nicht verpflichtet werden dürfen, nicht nur die Arbeit erfasst, die vollständig in der Nachtzeit erbracht wird, sondern auch die Schichtarbeit, wenn – wie im vorliegenden Fall – einige der betreffenden Schichten auf die Nachtzeit entfallen?

2.       Gelten in einem Rechtsstreit, in dem das Vorliegen einer Gefährdungslage während der Stillzeit einer Arbeitnehmerin streitig ist, in Bezug auf die in Art. 5 der Richtlinie 92/85 – der durch Art. 26 LPRL in spanisches Recht umgesetzt wurde – geregelten Voraussetzungen für die Beurlaubung einer Arbeitnehmerin während der Stillzeit und gegebenenfalls für die Gewährung der nach nationalem Recht an diese Situation anknüpfenden Sozialleistung gemäß Art. 11 Nr. 1 der Richtlinie 92/85 die besonderen Regelungen über die Beweislast, die Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 – der u. a. durch Art. 96 Abs. 1 des Gesetzes 36/2011 in spanisches Recht umgesetzt wurde – vorsieht?

3.       Kann Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 dahin ausgelegt werden, dass in einem Rechtsstreit, in dem das Vorliegen einer Gefährdung während der Zeit des natürlichen Stillens mit entsprechender Beurlaubung gemäß Art. 5 der Richtlinie 92/85, der durch Art. 26 LPRL in spanisches Recht umgesetzt wurde, streitig ist, „Tatsachen [vorliegen], die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung“ einer stillenden Arbeitnehmerin „vermuten lassen“, wenn (1) die Arbeitnehmerin als Sicherheitsbedienstete Schichtdienst leistet und in einigen Schichten während der Nachtzeit und darüber hinaus allein arbeitet und zudem (2) Sicherheitsrunden geht und sich gegebenenfalls um Notfälle (Straftaten, Brände oder andere Vorkommnisse) kümmert, ohne dass (3) nachgewiesen ist, dass an der Arbeitsstätte ein für das natürliche Stillen oder gegebenenfalls das Abpumpen von Muttermilch geeigneter Raum vorhanden ist?

4.       Wenn in einem Rechtsstreit, in dem das Vorliegen einer Gefährdung während der Zeit des natürlichen Stillens mit entsprechender Beurlaubung streitig ist, „Tatsachen …, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“, im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 in Bezug auf Art. 5 der Richtlinie 92/85 – der durch Art. 26 LPRL in spanisches Recht umgesetzt wurde – nachgewiesen sind: Kann von der stillenden Arbeitnehmerin verlangt werden, dass sie, um nach nationalem Recht – durch das Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 92/85 umgesetzt wird – von der Arbeit beurlaubt werden zu können, nachweist, dass die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten technisch und/oder sachlich nicht möglich oder nicht zumutbar ist und ein Arbeitsplatzwechsel technisch und/oder sachlich nicht möglich oder nicht zumutbar ist? Oder müssen solche Umstände vielmehr von den Beklagten (Arbeitgeber und Träger der an die Aussetzung des Arbeitsvertrags geknüpften Sozialleistung) nachgewiesen werden?

29.      Das INSS, die deutsche und die spanische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der deutschen Regierung haben diese Verfahrensbeteiligten in der Sitzung vom 22. Februar 2018 mündlich verhandelt.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

30.      Das INSS ist der Ansicht, dass sich die Antworten auf die Fragen des vorlegenden Gerichts im spanischen Recht finden ließen. Das Vorabentscheidungsersuchen sei daher überflüssig.

31.      Meines Erachtens fallen zwar die einzelstaatlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinien 92/85, 2003/88 und 2006/54 in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, die maßgebliche Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen, die mit diesen einzelstaatlichen Maßnahmen umgesetzt werden, ist jedoch Sache des Gerichtshofs. Im Wesentlichen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff der Nachtarbeit in Art. 7 der Richtlinie 92/85 im Licht der Richtlinie 2003/88 auszulegen ist und ob die bei Frau González Castro vorliegenden Umstände in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen. Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, inwieweit die Richtlinie 92/85 in Verbindung mit der Richtlinie 2006/54 zu lesen ist. Dabei handelt es sich um Fragen des Unionsrechts. Ferner hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Befugnis, den Wortlaut der zu stellenden Fragen festzulegen, ausschließlich dem innerstaatlichen Gericht verliehen ist(24). Mit seiner Vorlage zur Vorabentscheidung hat das vorlegende Gericht schlicht von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Ich widerspreche daher dem INSS: Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind zu prüfen.

32.      Es ist unstreitig, dass Frau González Castro bei Prosegur España beschäftigt und im maßgeblichen Zeitraum als eine „stillende Arbeitnehmerin“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 anzusehen war(25). Wie der Gerichtshof kürzlich ausgeführt hat, müssen „stillende Arbeitnehmerinnen ebenso geschützt werden … wie schwangere Arbeitnehmerinnen oder Wöchnerinnen, da die Situation der stillenden Frau in engem Zusammenhang mit der Mutterschaft und insbesondere ,mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub‘ steht“(26).

33.      Es ist ebenfalls unstreitig, dass der Arbeitsrhythmus von Frau González Castro dem einer Schichtarbeiterin entspricht und auch Arbeitszeiten umfasst, die in die Nacht fallen.

34.      Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 der Richtlinie 92/85 die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, damit Arbeitnehmerinnen während ihrer Schwangerschaft und während eines von der zuständigen einzelstaatlichen Behörde festzulegenden Zeitraums nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden. Der im Vorlagebeschluss enthaltenen Darstellung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht ist zu entnehmen, dass dieser Zeitraum in Spanien neun Monate nach der Entbindung beträgt. Es ist unstreitig, dass Frau González Castro innerhalb dieser Frist Antrag auf Gewährung einer Leistung gestellt hat.

 Zu Frage 1

35.      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob „Nachtarbeit“ im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 92/85 Schichtarbeit umfasst, wenn die betreffende Arbeitnehmerin nur einige Stunden nachts arbeitet.

36.      Das INSS macht geltend, es sei Sache des vorlegenden Gerichts festzustellen, ob Frau González Castro gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften Nachtarbeit verrichtet und ob eine von einem Arzt bestätigte Gefährdung für das Stillen im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 92/85 und der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften besteht.

37.      Es trifft unzweifelhaft zu, dass die Aufgaben des Gerichtshofs und diejenigen des vorlegenden Gerichts klar getrennt sind und dass es ausschließlich Sache des Letzteren ist, das einzelstaatliche Recht auszulegen(27). In Verfahren gemäß Art. 267 AEUV folgt jedoch aus der Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, dass das vorlegende Gericht die einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der in Rede stehenden Richtlinien auszulegen hat, um das mit diesen verfolgte Ziel zu erreichen(28). Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften mit diesen Richtlinien zu entscheiden. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es zur Wahrnehmung dieser Aufgabe benötigt(29).

38.      Deutschland macht geltend, Art. 7 der Richtlinie 92/85 müsse im Licht der Richtlinie 2003/88 ausgelegt werden. Es trägt vor, dass „Nachtarbeit“ Schichtarbeit umfasse, wenn einige Stunden nachts gearbeitet werde. Spanien ist der Ansicht, dass nachts geleistete Schichtarbeit zwar unter den Begriff der Nachtarbeit falle, daraus jedoch nicht folge, dass derartige Arbeit eine Gefährdung stillender Arbeitnehmerinnen mit sich bringe. Die Kommission macht geltend, Nachtarbeit umfasse nicht nur ausschließlich während der Nacht geleistete Arbeit, sondern auch Schichtarbeit, die zumindest teilweise nachts geleistet werde.

39.      Ich stimme der Kommission aus folgenden Gründen zu.

40.      Erstens kann Nachtarbeit, obwohl der Begriff in der Richtlinie 92/85 nicht definiert ist, nicht auf einen bestimmten Arbeitsrhythmus beschränkt werden. Meines Erachtens kann „Nachtarbeit“ sowohl ausschließlich nachts geleistete Arbeit als auch Schichtarbeit umfassen, bei der nur ein Teil der geleisteten Arbeitsstunden in der Nacht liegt.

41.      Zweitens sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit den Regelungen, zu denen sie gehört, verfolgt werden(30).

42.      Die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 92/85 steht im Einklang mit deren Zielen. Die Richtlinie 92/85 bezweckt die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz(31). Somit gehört eine stillende Arbeitnehmerin zu der spezifischen Risikogruppe, für die Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit zu treffen sind. Darüber hinaus entspricht es dem mit dieser Maßnahme verfolgten allgemeinen Ziel der Gefahrenverhütung, dass Frauen im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie auch dann nach Art. 7 geschützt werden, wenn sie zwar Nachtschichten leisten, aber nicht systematisch nachts arbeiten.

43.      Können aus der Richtlinie 2003/88 Erkenntnisse für die Auslegung des Begriffs der Nachtarbeit im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 92/85 gewonnen werden?

44.      Beide Richtlinien haben dieselbe Rechtsgrundlage(32). Art. 7 der Richtlinie 92/85 enthält jedoch keinen Querverweis auf die Definition der „Nachtzeit“ in Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2003/88, und der Begriff der Nachtarbeit wird in der Richtlinie 2003/88 nicht definiert(33).

45.      Darüber hinaus schützt die Richtlinie 92/85 eine besonders gefährdete Gruppe von Arbeitnehmerinnen(34), und es ist zu prüfen, ob die betroffene Arbeitnehmerin die in dieser Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, um in den Genuss ihrer Bestimmungen zu kommen. Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 sind für eine solche Beurteilung nicht unbedingt relevant.

46.      Mir scheint, dass der Begriff „Nachtarbeit“ der Richtlinie 92/85 nicht zwangsläufig dieselbe Bedeutung wie der Begriff „Nachtzeit“ in Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2003/88 hat. Vielmehr geht es darum, die beiden Richtlinien widerspruchsfrei auszulegen.

47.      Der in der Richtlinie 2003/88 verwendete Ausdruck „Nachtzeit“ wird in Art. 2 Nr. 3 definiert als jede in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Zeitspanne von mindestens sieben Stunden, welche auf jeden Fall die Zeitspanne zwischen 24.00 Uhr und 5.00 Uhr umfasst. Meines Erachtens sollte dem Wortbestandteil „Nacht-“ in der Richtlinie 92/85 mangels zwingender entgegenstehender Gründe dieselbe Bedeutung gegeben werden. Daraus folgt, dass dann, wenn eine Arbeitnehmerin ihren Dienst in dieser Zeitspanne verrichtet, die betreffenden Arbeitsstunden Nachtarbeit im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 92/85 sind. Ich möchte anmerken, dass in der Richtlinie 2003/88 der Ausdruck „jede Zeitspanne“ verwendet wird, was darauf hindeutet, dass Schichtarbeit nicht von dieser Definition ausgenommen ist.

48.      Ich pflichte auch der Feststellung des vorlegenden Gerichts bei, dass bei einem Ausschluss nachts geleisteter Schichtarbeit vom Anwendungsbereich des Art. 7 der Richtlinie 92/85 einer stillenden Mutter, die während dieser Stunden Schichtarbeit leistet, ein geringerer Schutz gewährt würde als Frauen, die ausschließlich nachts arbeiten. Es ist schwer vorstellbar, dass der Gesetzgeber ein solches Ergebnis beabsichtigt haben sollte.

49.      Der Gerichtshof hat (zu den Vorgängerrichtlinien der Richtlinie 2006/54) mehrfach entschieden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, das Verbot der Nachtarbeit von Frauen – auch wenn davon Ausnahmen bestehen – nicht als gesetzlichen Grundsatz aufzustellen, wenn es kein Verbot der Nachtarbeit von Männern gibt. Ein solches Verbot verstieße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz(35).

50.      Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85 heißt es jedoch, dass Bestimmungen vorzusehen sind, nach denen u. a. stillende Arbeitnehmerinnen nicht verpflichtet werden, Nachtarbeit zu verrichten, wenn dies aus Gründen ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlich ist. In Verbindung mit der Regelung des Art. 7 deutet dies darauf hin, dass eine individuelle Beurteilung der Situation der betreffenden Arbeitnehmerin stattzufinden hat.

51.      Aus den Verfahrensakten des nationalen Gerichts geht hervor, dass Frau González Castro eine ärztliche Bescheinigung ausgestellt wurde, in der bestätigt wurde, dass sie ihr Kind tatsächlich stillte, und dass sie das Verfahren zur Erlangung eines ärztlichen Attests zur Stützung ihres Antrags einleitete, indem sie am 9. März 2015 den an sie gerichteten Abschnitt des Formulars mit dem Titel „Antrag auf Erteilung eines ärztlichen Attests zur Bestätigung des Bestehens eines Risikos während der Stillzeit“ ausfüllte. Das INSS hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es an dem Verfahren der Erteilung eines solchen ärztlichen Attests nicht beteiligt sei; es handele sich um eine Angelegenheit im Verhältnis zwischen der Arbeitnehmerin, ihrem Arbeitgeber und gegebenenfalls dessen Versicherer (hier Mutua Umivale). Die Arbeitnehmerin könne zwar auch ein von einem anderen Arzt, etwa einem Allgemeinmediziner, ausgestelltes Attest vorlegen, es sei jedoch unklar, ob ein solches Attest für sich genommen ausreiche, um das Verfahren einzuleiten und die Klägerin in den Genuss des Schutzes aus der Richtlinie 92/85 kommen zu lassen.

52.      Es ist selbstverständlich Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen. Dem Schreiben von Mutua Umivale vom 3. März 2015 an den Arbeitgeber von Frau González Castro lässt sich jedoch entnehmen, dass ihrem Antrag bereits vor ihrem förmlichen Ersuchen um Erteilung eines ärztlichen Attests vom 9. März 2015 kein Erfolg beschieden war(36). Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ihr Arbeitgeber oder Mutua Umivale eine individuelle Beurteilung ihrer persönlichen Situation vorgenommen hätten. In der Gesamtschau der vom INSS und von der spanischen Regierung eingereichten Unterlagen, der Darstellung des vorlegenden Gerichts in seinem Vorlagebeschluss und der in den Verfahrensakten dieses Gerichts enthaltenen Unterlagen ergibt sich folgendes Bild von der derzeitigen nationalen Praxis: Ist ein bestimmtes Tätigkeitsprofil im Handbuch der spanischen Vereinigung für Pädiatrie nicht als mit einem Risiko für das Stillen verbunden anerkannt, wird der Antrag der Arbeitnehmerin auf Erteilung eines ärztlichen Attests automatisch abgelehnt(37).

53.      Für mich verstößt eine solche Herangehensweise eindeutig gegen die Richtlinie 92/85. Der Unionsgesetzgeber hat entschieden, dass Nachtarbeit mit einem Risiko verbunden ist. Das ärztliche Attest soll den Anlass dafür bilden, die Situation einer bestimmten Arbeitnehmerin im Einzelfall zu beurteilen. Das dem Gerichtshof beschriebene System steht offensichtlich nicht im Einklang mit den gesetzgeberischen Zielen.

54.      Ich behaupte nicht, dass es im vorliegenden Fall ein Fehlverhalten gegeben hat. Allerdings ist ein Verfahren, bei dem der Versicherer, in dessen Zuständigkeit die Zahlung einer von der Arbeitnehmerin beantragten Leistung fällt, zugleich als „Torwächter“ agiert, indem er darüber entscheidet, ob dieser Arbeitnehmerin das nach Art. 7 der Richtlinie 92/85 erforderliche ärztliche Attest ausgestellt wird, seinem Wesen nach mit einem Makel behaftet. Der Versicherer befindet sich in einer Lage, in der ein klarer Interessenkonflikt besteht.

55.      Erfüllt Frau González Castro die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1, genießt sie den Schutz der Richtlinie 92/85, und es besteht keine Notwendigkeit, die Art. 4 und 5 (vgl. die Fragen 2 bis 4) zu prüfen, da bei Anwendbarkeit des Art. 7 nicht auf die allgemeine Risikobeurteilung nach Art. 4 der Richtlinie 92/85 zurückgegriffen werden muss(38). In Anbetracht dessen ist nicht klar, ob die Art. 4 und 5 weiterhin für das Ausgangsverfahren von Bedeutung sind(39).

56.      Ich gelange daher zu dem Ergebnis, dass eine Arbeitnehmerin, die Schichtarbeit leistet und einen Teil ihres Dienstes nachts verrichtet, in den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 fallen kann, sofern sie ein ärztliches Attest vorlegt, in dem die Notwendigkeit bestätigt wird, Maßnahmen zur Vermeidung eines Risikos für ihre Sicherheit oder Gesundheit gemäß Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie zu ergreifen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Klägerin ein solches Attest vorgelegt hat oder in die Lage versetzt wurde, ein solches Attest vorzulegen.

 Zu den Fragen 2, 3 und 4

 Allgemeine Bemerkungen

57.      Nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 müssen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, nach denen dann, wenn eine Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält und Tatsachen glaubhaft macht, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, die Beweislast auf den Beklagten verlagert wird, der dann beweisen muss, dass nicht gegen diesen Grundsatz verstoßen wurde(40). Mit den Fragen 2, 3 und 4 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, wie diese Bestimmung vor dem Hintergrund des Art. 5 der Richtlinie 92/85 zu verstehen ist. Diese Fragen stellen sich insbesondere dann, wenn Frau González Castro nicht die Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie 92/85 für eine Beurlaubung und die Zahlung einer Sozialleistung nach Art. 11 erfüllt, weil keine Möglichkeit besteht, ihr eine ausschließlich tagsüber zu verrichtende Tätigkeit zu übertragen(41).

58.      Das vorlegende Gericht hat die Fragen 2, 3 und 4 auf die Prämisse gestützt, dass bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Beurteilung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 ein Risiko für die stillende Mutter festgestellt worden wäre, so dass geprüft werden muss, welche Konsequenzen zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit nach Art. 5 hätten gezogen werden müssen. Allerdings lässt sich dem Vorlagebeschluss (oder den beigefügten Akten) nicht entnehmen, dass eine Beurteilung nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/85 vorgenommen worden wäre. In der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung ausgeführt, dass Art. 26 LPRL die wesentliche Bestimmung sei, mit der die Art. 4 und 7 der Richtlinie 92/85 umgesetzt worden seien, dass das einzelstaatliche Recht jedoch keinen klaren Unterschied zwischen diesen beiden Artikeln der Richtlinie mache. Es ist nicht ganz klar, ob Art. 4 oder Art. 7 (oder gar beide) die Grundlage für den Antrag von Frau González Castro auf Zahlung einer Sozialleistung bilden. Diese Frage ist letztlich vom vorlegenden Gericht zu klären.

59.      Fällt die Situation von Frau González Castro in den Anwendungsbereich des Art. 4 der Richtlinie 92/85?

60.      Diese Bestimmung gilt für eine stillende Arbeitnehmerin „[f]ür jede Tätigkeit, bei der ein besonderes Risiko einer Exposition gegenüber den in der nicht erschöpfenden Liste in Anhang I genannten Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen besteht“. Dass Frau González Castro nicht mit Bergbauarbeiten unter Tage (der einzigen Kategorie, die unter der Rubrik „Arbeitsbedingungen“ in der nicht erschöpfenden Liste in Anhang I aufgeführt ist) betraut war, bedeutet nicht, dass eine Tätigkeit wie die ihre zwangsläufig vom Anwendungsbereich der Richtlinie 92/85 ausgenommen wäre. Die Risikobeurteilung nach Art. 4 Abs. 1 wird auf der Grundlage der Leitlinien durchgeführt, die sich „auch auf … die geistige und körperliche Ermüdung und die sonstigen, mit der Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 [der Richtlinie] verbundenen körperlichen und geistigen Belastungen [erstrecken]“(42). Schicht- und Nachtarbeit sind zwei Situationen, die in den Leitlinien genannt werden(43). Somit bestätigt der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/85, dass eine Tätigkeit wie die von Frau González Castro ausgeübte tatsächlich in den Anwendungsbereich der letzteren Bestimmung fällt.

61.      Art. 4 ist die allgemeine Bestimmung, in der niedergelegt ist, welche Maßnahmen in Bezug auf alle Tätigkeiten zu ergreifen sind, bei denen ein spezifisches Risiko für Arbeitnehmerinnen im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 92/85 besteht. Art. 7 dagegen ist eine Sonderbestimmung, die für Nachtarbeit gilt, die nach Ansicht des Gesetzgebers ein besonderes Risiko für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen darstellen kann.

62.      Es ist die Pflicht des Arbeitgebers, die Risikobeurteilung durchzuführen, und nicht Sache der betroffenen Arbeitnehmerin, ausdrücklich um Gewährung des Schutzes aus der Richtlinie 92/85 zu ersuchen. Dies steht ganz im Einklang mit dem durch die Richtlinie 89/391 geschaffenen Rechtsrahmen, der den Arbeitgebern eine Pflicht auferlegt, Maßnahmen zur Gefahrenverhütung zu ergreifen, um für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle die Arbeit betreffenden Aspekte zu sorgen(44).

63.      Kurzum, mit der Richtlinie 92/85 wurde das Erfordernis der Beurteilung der Risiken und die Unterrichtung darüber eingeführt. Ergibt die Risikobeurteilung nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie ein Risiko für die Sicherheit oder die Gesundheit sowie eine mögliche Auswirkung auf die Schwangerschaft oder die Stillzeit einer Arbeitnehmerin, hat der Arbeitgeber nach Art. 5 Abs. 1 und 2 die Arbeitsbedingungen und/oder Arbeitszeiten der Arbeitnehmerin einstweilig umzugestalten(45). Ist dies nach den Umständen nicht möglich, ist für die betreffende Arbeitnehmerin ein Arbeitsplatzwechsel vorzusehen. Nur wenn ein solcher Wechsel nicht möglich ist, wird die Arbeitnehmerin nach Art. 5 Abs. 3 während des gesamten zum Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit erforderlichen Zeitraums entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten beurlaubt(46). Demnach kommt Art. 5 nur dann zur Anwendung, wenn die Beurteilung nach Art. 4 der Richtlinie 92/85 das Vorhandensein einer Gefährdung für die Sicherheit oder Gesundheit oder einer möglichen Auswirkung, hier auf die betroffene stillende Arbeitnehmerin, ergibt.

64.      Auch wenn das vorlegende Gericht Art. 4 der Richtlinie 92/85 in seinen Fragen nicht ausdrücklich erwähnt, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht alle erforderlichen Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts, darunter auch aus anderen Bestimmungen der Richtlinie (hier insbesondere Art. 4), zu geben, die hilfreich sein könnten(47).

65.      Dementsprechend verstehe ich die Fragen 2, 3 und 4 dahin, dass um Hinweise zur Auslegung von Art. 19 der Richtlinie 2006/54 betreffend die Beweislastverteilung und von Art. 4 der Richtlinie 92/85 ersucht wird. Ich werde die Fragen 2 und 3 zusammen prüfen, bevor ich die Frage 4 untersuche.

 Zu den Fragen 2 und 3

66.      Gelten die Regeln, die die Beweislast gemäß Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 auf den Arbeitgeber (oder die zuständige Behörde) verlagern, wenn eine Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 eine nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgenommene Risikobeurteilung anficht (oder wenn Art. 7 im Streit steht) (Frage 2)? Was ist ferner unter „Tatsachen …, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“, im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 zu verstehen? Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob durch die folgenden Umstände eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung im Sinne dieser Bestimmung glaubhaft gemacht wird, nämlich i) dass die Arbeitnehmerin gelegentlich nachts allein Schichtarbeit verrichtet, ii) dass die Tätigkeit die Überwachung eines Gebäudes und erforderlichenfalls auch ein Tätigwerden bei Notfällen mit sich bringt und iii) dass nicht nachgewiesen ist, dass die Arbeitsstätte über einen für das Stillen oder das Abpumpen von Muttermilch geeigneten Raum verfügt (Frage 3).

67.      Was die Risikobeurteilung nach Art. 4 angeht, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese Beurteilung gemäß den Leitlinien vorzunehmen(48). Es ist Sache des Arbeitgebers, i) Gefährdungen zu ermitteln, darunter geistige und körperliche Ermüdung sowie sonstige körperliche und geistige Belastungen, ii) die gefährdete Gruppe von Arbeitnehmerinnen zu erfassen, bei der es sich vorliegend um eine stillende Mutter handelt, und für die Risikoabschätzung in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu sorgen, die von einer sachkundigen Person durchgeführt werden muss. Aus den Leitlinien geht eindeutig hervor, dass im Rahmen einer Risikobeurteilung der ärztliche Rat und die Belange der betreffenden Frau gebührend zu berücksichtigen sind(49).

68.      In den Leitlinien heißt es zur Risikobeurteilung betreffend „Geistige und körperliche Ermüdung und Arbeitszeit“: „Lange Arbeitszeiten, Schichtarbeit und Nachtarbeit können erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Wöchnerinnen und Schwangeren sowie auf das Stillen haben. Nicht alle Frauen sind in gleicher Weise betroffen, und die damit verbundenen Risiken differieren in Abhängigkeit von der Art der Arbeit, den Arbeitsbedingungen und den individuellen Gegebenheiten … [W]ährend der Schwangerschaft und nach der Entbindung [kommt es] aufgrund der verschiedenen physiologischen und sonstigen Veränderungen zu einer verstärkten geistigen und körperlichen Ermüdung. Manche schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen sind möglicherweise aufgrund zunehmender Ermüdung nicht in der Lage, Sonder- oder Spätschichten zu übernehmen bzw. Nachtarbeit oder Überstunden zu leisten. Die Gestaltung der Arbeitszeit … kann die Gesundheit der Schwangeren und des ungeborenen Kindes, ihre Erholung nach der Entbindung und ihre Fähigkeit zum Stillen beeinträchtigen sowie das Risiko von Stress und stressbedingten Gesundheitsproblemen erhöhen.“(50)

69.      Das vorlegende Gericht führt aus, die Klage von Frau González Castro sei in der ersten Instanz mit der Begründung abgewiesen worden, dass „Schicht- bzw. Nachtarbeit nach der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) und gemäß dem Handbuch der spanischen Vereinigung für Pädiatrie während der Stillzeit kein Risiko darstellt und der Umstand, dass die Arbeitnehmerin ,Rundgänge absolvieren, auf Alarmmeldungen wegen etwaiger Notfälle (Straftaten, Brände) reagieren und letztlich im Hinblick auf jede Störung wachsam sein muss (und diese Aufgaben in bestimmten Fällen allein wahrzunehmen hat)‘, bedeutet ,weder, dass das Stillen gefährdet, noch, dass es unmöglich ist, da Muttermilch außerhalb der Arbeitszeiten abgepumpt werden kann‘“.

70.      Diese Feststellung deutet darauf hin, dass die zuständige Behörde zwar das allgemeine Profil der von Frau González Castro ausgeübten Tätigkeit anhand allgemeiner Leitlinien geprüft, nicht jedoch ihre persönliche Situation untersucht hat, wie dies gemäß Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 der Richtlinie 92/85 vorgeschrieben ist.

71.      Nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 haben die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt, zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Art. 19 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 stellt u. a. klar, dass die Regeln über die Beweislastumkehr in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie auch auf die Situationen Anwendung finden, die von der Richtlinie 92/85 erfasst werden, sofern die Frage einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesprochen ist(51). Die Nichtdurchführung einer ordnungsgemäßen Risikobeurteilung nach Art. 4 der Richtlinie 92/85 bedeutet eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/54: Sie stellt daher eine Diskriminierung im Sinne dieses Rechtsakts dar(52).

72.      Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung, wie er in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54 definiert ist, kann bei Arbeitnehmerinnen, die in den Anwendungsbereich des Art. 2 der Richtlinie 92/85 fallen, nicht relevant sein. Vorschriften, Kriterien oder Praktiken, die zu einer ungünstigeren Behandlung einer Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub führen, können schon begrifflich nicht „dem Anschein nach neutral“ sein, da sie sich nur auf die in Art. 2 der Richtlinie 92/85 definierten Gruppen von Arbeitnehmerinnen auswirken(53). Wenn sich eine Arbeitnehmerin auf die Richtlinie 92/85 stützt, stellt sich somit die Frage, ob im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 Tatsachen vorliegen, die eine unmittelbare Diskriminierung vermuten lassen(54).

73.      Art. 19 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2006/54 stellt u. a. klar, dass die Regeln über die Beweislastumkehr in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie auch auf die Situationen Anwendung finden, die von der Richtlinie 92/85 erfasst werden, sofern die Frage einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesprochen ist. Jegliche ungünstigere Behandlung einer Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Situation als stillende Mutter muss als in den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/54 fallend angesehen werden und stellt daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar(55). Folglich sind die Regeln des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 potenziell anwendbar.

74.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/54, indem er den Mitgliedstaaten das Recht vorbehält, Vorschriften zum Schutz von Frauen im Fall der Schwangerschaft und Mutterschaft beizubehalten oder einzuführen, erstens den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zweitens der besonderen Beziehung der Mutter zu ihrem Kind in der der Entbindung folgenden Zeit im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Geschlechter als legitim anerkennt. Gemäß Art. 14 der Richtlinie 2006/54 fällt jegliche Diskriminierung einer Frau, die sich in einer solchen Situation befindet, unter das von dieser Richtlinie vorgesehene Verbot, da sie sich auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmerin im Sinne von Abs. 1 Buchst. c dieses Artikels bezieht(56).

75.      Begründet der vom vorlegenden Gericht festgestellte Sachverhalt eine Diskriminierung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54?

76.      Nimmt der Arbeitgeber bei einer Arbeitnehmerin, die unter Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 fällt, keine Beurteilung nach Art. 4 Abs. 1 vor, sind dies „Tatsachen …, die das Vorliegen einer unmittelbaren … Diskriminierung vermuten lassen“, im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54. Die vom vorlegenden Gericht in seinem Vorlagebeschluss erwähnten Faktoren (Schichtarbeit, Aufgaben einer Sicherheitsbediensteten, fehlende Räumlichkeiten für das Stillen am Arbeitsplatz) wären für jede Beurteilung von Bedeutung. Es ist jedoch nicht das Vorliegen dieser Faktoren, das den Arbeitgeber dazu veranlassen sollte, seine Beurteilung vorzunehmen(57). Die Notwendigkeit, die Beurteilung vorzunehmen, ist durch den Zustand der Frau, hier ihre Eigenschaft als stillende Arbeitnehmerin, und durch die Verpflichtungen des Arbeitgebers aus Art. 4 der Richtlinie 92/85 begründet.

77.      Wenn die betroffene Arbeitnehmerin sich jedoch für beschwert hält und glaubhaft machen kann, dass die vorgenommene Beurteilung keine Prüfung ihrer persönlichen Situation umfasste, begründet dies gleichermaßen die Vermutung einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54. Dies scheint mir der Fall zu sein, wenn der Arbeitgeber oder die zuständigen Behörden eine Richtlinie oder allgemeine Regel des Inhalts anwenden, dass Schicht- oder Nachtarbeit kein Risiko für das Stillen innewohnt, ohne die besondere Situation der betroffenen Arbeitnehmerin und ihres Kindes zu untersuchen. Eine derartige Herangehensweise untergräbt die Ziele sowohl der Richtlinie 92/85 als auch der Richtlinie 2006/54. Ein Verfahren dieser Art bringt die Arbeitnehmerin in eine Lage, in der sie eine Vermutung, dass ihre Tätigkeit nicht mit einem Risiko für sie verbunden ist, in Frage stellen und gegebenenfalls widerlegen muss. Dies steht im krassen Gegensatz dazu, dass beide Richtlinien anerkennen, dass unter Art. 2 der Richtlinie 92/85 fallende Arbeitnehmerinnen einer besonders gefährdeten Personengruppe angehören(58). Somit stellt ein Beurteilungsverfahren, bei dem es der betroffenen Arbeitnehmerin obliegt, eine allgemeine Vermutung zu widerlegen, dass sie keinem Risiko ausgesetzt ist, weil das Profil ihrer Tätigkeit als nicht mit einem Risiko für stillende Mütter verbunden gilt, eine ungünstigere Behandlung einer Frau im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/54 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. a dieser Richtlinie dar.

78.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob die fraglichen einzelstaatlichen Vorschriften tatsächlich diese Wirkung haben, ob eine Beurteilung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 vorgenommen wurde, und, soweit eine solche Beurteilung im Fall von Frau González Castro stattgefunden hat, ob sie den Leitlinien entsprach.

79.      Wenn eine Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält und glaubhaft macht, dass ihr Arbeitgeber keine Beurteilung der Risiken für ihre Sicherheit und Gesundheit nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgenommen hat oder dass eine solche Beurteilung nicht im Einklang mit den in Art. 3 der Richtlinie 92/85 erwähnten Leitlinien vorgenommen wurde, begründen diese Umstände eine Vermutung für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die praktische Anwendung des fraglichen nationalen Systems im Widerspruch zu der in dieser Bestimmung enthaltenen Regel steht, die die Beweislast auf den Beklagten verlagert.

 Zu Frage 4

80.      Das vorlegende Gericht möchte mit der vierten Frage klären lassen, ob der Arbeitgeber die Beweislast trägt, wenn er das Vorbringen der Arbeitnehmerin, sie habe gemäß Art. 5 Abs. 3 und Art. 11 der Richtlinie 92/85 Anspruch auf Beurlaubung und Zahlung einer Sozialleistung, bestreitet. Das vorlegende Gericht führt aus, dass sich diese Frage nur dann stellt, wenn der Gerichtshof die dritte Frage bejaht.

81.      Nach meiner bisherigen Analyse stellt sich diese Frage nur dann, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, i) dass die zuständigen Behörden eine Beurteilung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 vorgenommen haben, die ergab, dass ein Risiko für die Sicherheit oder die Gesundheit von Frau González Castro bestand, ii) dass ihre Arbeitsbedingungen nicht vorübergehend umgestaltet werden konnten (vgl. Art. 5 Abs. 1) und iii) dass sie nicht auf einen anderen Arbeitsplatz wechseln konnte (vgl. Art. 5 Abs. 2). Die Sachverhaltsdarstellung im Vorlagebeschluss spiegelt diese Prämisse zwar nicht wider, es bleibt jedoch dabei, dass das Ausgangsverfahren darauf beruht, dass Frau González Castro geltend macht, sie habe Anspruch auf Beurlaubung und Zahlung einer Sozialleistung. Die Beantwortung der vierten Frage kann daher für das vorlegende Gericht hilfreich sein, um im Ausgangsverfahren zu einer Entscheidung zu gelangen.

82.      Es ist der Arbeitgeber, der einen Gesamtüberblick darüber hat, welche Arbeitsbedingungen und -anforderungen für seine Beschäftigten gelten, und am besten beurteilen kann, welche Maßnahmen geeignet sind, um auf gegebenenfalls ermittelte Risiken angemessen zu reagieren. Soweit die Prüfung von Konsequenzen nach Art. 5 der Richtlinie 92/85 Teil des Ausgangsverfahrens ist, verbleibt die Beweislast nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 daher beim Arbeitgeber(59). Die gegenteilige Ansicht würde den durch die Richtlinie 92/85 gewährten Schutz untergraben(60). Ich möchte hinzufügen, dass mir dies vornehmlich ein Fall zu sein scheint, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmerin erörtern müssten, welche Umgestaltungen notwendig sind.

83.      Soweit die Prüfung von Konsequenzen nach Art. 5 der Richtlinie 92/85 Teil des Ausgangsverfahrens ist, verbleibt die Beweislast nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 folglich beim Beklagten.

 Ergebnis

84.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen des Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien, Spanien) wie folgt beantworten sollte:

–        Eine Arbeitnehmerin, die Schichtarbeit leistet und einen Teil ihres Dienstes nachts verrichtet, kann in den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz fallen, sofern sie ein ärztliches Attest vorlegt, in dem die Notwendigkeit bestätigt wird, Maßnahmen zur Vermeidung eines Risikos für ihre Sicherheit oder Gesundheit gemäß Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie zu ergreifen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Klägerin ein solches Attest vorgelegt hat oder in die Lage versetzt wurde, ein solches Attest vorzulegen.

–        Die in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen enthaltenen Regeln, die die Beweislast auf den Beklagten verlagern, gelten in Fällen, in denen eine stillende Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 glaubhaft macht, dass ihr Arbeitgeber keine Risikobeurteilung gemäß Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgenommen hat.

–        Wenn eine Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 92/85 sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält und glaubhaft macht, dass ihr Arbeitgeber keine Beurteilung der Risiken für ihre Sicherheit und Gesundheit nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgenommen hat oder dass eine solche Beurteilung nicht im Einklang mit den in Art. 3 dieser Richtlinie erwähnten Leitlinien vorgenommen wurde, begründen diese Umstände eine Vermutung für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die praktische Anwendung des fraglichen nationalen Systems im Widerspruch zu der in dieser Bestimmung enthaltenen Regel steht, die die Beweislast auf den Beklagten verlagert.

–        Soweit die Prüfung von Konsequenzen nach Art. 5 der Richtlinie 92/85 Teil des Ausgangsverfahrens ist, verbleibt die Beweislast nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 beim Beklagten.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Rates vom 19. Oktober 1992 (ABl. 1992, L 348, S. 1).


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 (ABl. 2006, L 204, S. 23). Siehe hierzu weiter unten, Nrn. 12 bis 17.


4      Richtlinie des Rates vom 12. Juni 1989 (ABl. 1989, L 183, S. 1).


5      Art. 3 Buchst. d.


6      Art. 5 Abs. 1.


7      Art. 15.


8      Art. 16 Abs. 1.


9      Achter Erwägungsgrund.


10      Neunter Erwägungsgrund.


11      Zehnter Erwägungsgrund.


12      Elfter Erwägungsgrund.


13      13. Erwägungsgrund.


14      Vgl. Mitteilung der Kommission über die Leitlinien für die Beurteilung der chemischen, physikalischen und biologischen Agenzien sowie der industriellen Verfahren, die als Gefahrenquelle für Gesundheit und Sicherheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz gelten (KOM[2000] 466 endg.) (im Folgenden: Leitlinien).


15      Die Liste in Anhang I umfasst physikalische, biologische und chemische Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen. Der einzige Eintrag in der letzteren Kategorie ist „Bergbauarbeiten unter Tage“.


16      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 (ABl. 2003, L 299, S. 9).


17      Art. 2 Nr. 3.


18      23. Erwägungsgrund.


19      24. Erwägungsgrund.


20      30. Erwägungsgrund.


21      Ich bezeichne den Zeitraum ab März 2015, in dem Frau González Castro als Sicherheitsbedienstete für Prosegur España tätig war und ihren Sohn stillte, als „maßgeblichen Zeitraum“.


22      In Nr. 3 dieses Formulars erklärt Prosegur España, dass sie versucht habe, die Arbeitsbedingungen von Frau González Castro anzupassen oder sie an einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen, dass dies jedoch nicht möglich gewesen sei, weil ihre Arbeitsbedingungen das Stillen nicht beeinflussten.


23      Hervorhebung nur hier.


24      Urteil vom 6. März 2003, Kaba (C‑466/00, EU:C:2003:127, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 15. November 2007, International Mail Spain (C‑162/06, EU:C:2007:681, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Der Begriff „Arbeitnehmerin“ im Sinne der Richtlinie 92/85 ist ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts, vgl. Urteil vom 11. November 2010, Danosa (C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 39).


26      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 59). Siehe auch den achten Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85.


27      Urteil vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 58).


28      Urteil vom 13. November 1990, Marleasing (C‑106/89, EU:C:1990:395, Rn. 8).


29      Urteil vom 15. November 2007, International Mail Spain (C‑162/06, EU:C:2007:681, Rn. 19 und 20 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


30      Vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Maïstrellis (C‑222/14, EU:C:2015:473, Rn. 30).


31      Urteil vom 18. März 2014, D. (C‑167/12, EU:C:2014:169, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32      Rechtsgrundlage der Richtlinie 92/85 war Art. 118a des EWG-Vertrags; für die Richtlinie 2003/88 war es Art. 137 EG (die Nachfolgebestimmung von Art. 118a des EWG-Vertrags). Die entsprechende Bestimmung ist nunmehr Art. 153 AEUV.


33      Die Richtlinie 92/85 ging der Richtlinie 2003/88 um elf Jahre voraus. Mit Letzterer wurde die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 1993, L 307, S. 18) kodifiziert. Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2003/88 sieht vor, dass die Bestimmungen der Richtlinie 89/391 u. a. auf Nacht- und Schichtarbeit sowie den Arbeitsrhythmus voll Anwendung finden. Vgl. auch den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88.


34      Urteil vom 18. März 2014, D. (C‑167/12, EU:C:2014:169, Rn. 33 und 34).


35      Urteile vom 13. März 1997, Kommission/Frankreich (C‑197/96, EU:C:1997:155, Rn. 4 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 4. Dezember 1997, Kommission/Italien (C‑207/96, EU:C:1997:583, Rn. 4 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch den neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85.


36      Siehe oben, Nr. 23.


37      Siehe oben, Nrn. 24 und 25.


38      Im ursprünglichen Vorschlag KOM(90) 406 endg. war davon die Rede, dass es einen vorgeschriebenen Zeitraum geben müsse, in dem die betroffene Arbeitnehmerin keine Nachtarbeit verrichten solle. Dieser Zeitraum sollte gegen Vorlage eines ärztlichen Attests, das die Notwendigkeit eines zusätzlichen Zeitraums zur Wahrung der Gesundheit der Arbeitnehmerin bescheinigte, um einen solchen Zeitraum ergänzt werden können. Diese Bestimmungen wurden im geänderten Vorschlag KOM(92) 259 endg. vom 10. Juni 1992 in den Wortlaut abgeändert, der sich nun in Art. 7 der Richtlinie 92/85 findet.


39      Siehe hierzu weiter unten, Nrn. 57 bis 64.


40      Urteil vom 21. Juli 2011, Kelly (C‑104/10, EU:C:2011:506, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Rechtssache betraf die Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (ABl. 1998, L 14, S. 6).


41      Siehe oben, Nr. 27.


42      Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 (siehe oben, Nr. 6).


43      Siehe unten, Nr. 68.


44      Siehe oben, Nr. 2.


45      Vgl. elfter Erwägungsgrund der Richtlinie 92/85.


46      Urteil vom 1. Juli 2010, Parviainen (C‑471/08, EU:C:2010:391, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


47      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/85. Siehe auch Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 44 bis 51), und meine Schlussanträge in dieser Rechtssache (EU:C:2017:287, Nrn. 41 bis 45).


49      Hierzu gehört auch die Frage, ob die betreffende Arbeitnehmerin erstmals stillt: vgl. S. 8 und 9 der Leitlinien.


50      Siehe Tabelle auf S. 13 der Leitlinien.


51      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 53).


52      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 62).


53      Bei fast allen heterogamen Tierarten werden die Nachkommen bis zur Geburt in der Regel vom Weibchen ausgetragen. Bei Fischen aus der Familie der Seenadeln (Syngnathidae) (zu der auch Seepferdchen gehören) erfüllen diese Aufgabe jedoch die Männchen. Da dies auf den Menschen nicht zutrifft, ist es sachlich nicht denkbar, dass es dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren gibt, die Personen eines Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, kürzlich erfolgten Entbindung oder dem Stillen in besonderer Weise benachteiligen. Derartige Vorschriften, Kriterien oder Verfahren können nicht „dem Anschein nach neutral“ sein, da sie nur Frauen betreffen können, die in diese sehr spezifischen Gruppe fallen.


54      Siehe oben, Nr. 14, und den 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54.


55      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 60).


56      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 64).


57      Somit kann es nicht entscheidend sein, ob diese Umstände vorliegen.


58      Siehe oben, Nr. 3.


59      Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 75). Vgl. auch meine Schlussanträge in dieser Rechtssache (EU:C:2017:287, Nrn. 90 und 91) und den 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54.


60      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2017, Otero Ramos (C‑531/15, EU:C:2017:789, Rn. 74).