Language of document : ECLI:EU:C:2020:438

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

4. Juni 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Selbständige Handelsvertreter – Richtlinie 86/653/EWG – Art. 1 Abs. 2 – Begriff ‚Handelsvertreter‘ – Vermittlung des Verkaufs oder Ankaufs von Waren für den Unternehmer – Gewerbetreibender, der nicht über die Möglichkeit verfügt, die Verkaufsbedingungen und die Preise der Waren, für deren Verkauf er sorgt, zu ändern“

In der Rechtssache C‑828/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2018, in dem Verfahren

Trendsetteuse SARL

gegen

DCA SARL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Trendsetteuse SARL, vertreten durch G. Grignon Dumoulin, avocat,

–        der französischen Regierung, vertreten durch A.‑L. Desjonquères und R. Coesme als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll und G. Hesse als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und L. Armati als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. 1986, L 382, S. 17).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Trendsetteuse SARL und der DCA SARL wegen eines Begehrens auf Ausgleich infolge des Bruchs der Vereinbarung, aufgrund deren diese beiden Gesellschaften miteinander verbunden waren.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie 86/653 lauten:

„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der [Europäischen Union] spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.

Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu.“

4        Art. 1 der Richtlinie 86/653 sieht vor:

„(1)      Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln.

(2)      Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.

(3)      Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist insbesondere nicht

–      eine Person, die als Organ befugt ist, für eine Gesellschaft oder Vereinigung verbindlich zu handeln;

–      ein Gesellschafter, der rechtlich befugt ist, für die anderen Gesellschafter verbindlich zu handeln;

–      ein Zwangsverwalter (receiver), ein gerichtlich bestellter Vermögensverwalter (receiver and manager), ein Liquidator (liquidator) oder ein Konkursverwalter (trustee in bankruptcy).“

5        Art. 3 der Richtlinie 86/653 lautet:

„(1)      Bei der Ausübung seiner Tätigkeit hat der Handelsvertreter die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen und sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten.

(2)      Im Besonderen muss der Handelsvertreter

a)      sich in angemessener Weise für die Vermittlung und gegebenenfalls den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzen;

b)      dem Unternehmer die erforderlichen ihm zur Verfügung stehenden Informationen übermitteln;

c)      den vom Unternehmer erteilten angemessenen Weisungen nachkommen.“

6        Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 86/653 bestimmt:

„Im Übrigen muss der Unternehmer dem Handelsvertreter binnen angemessener Frist von der Annahme oder Ablehnung und der Nichtausführung der vom Handelsvertreter vermittelten Geschäfte Kenntnis geben.“

7        Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653, der den Ausgleich betrifft, den der Handelsvertreter nach Beendigung des Handelsvertretervertrags beanspruchen kann, sieht in Buchst. a vor:

„Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

–        er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

–        die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass zu diesen Umständen auch die Anwendung oder Nichtanwendung einer Wettbewerbsabrede im Sinne des Artikels 20 gehört.“

 Französisches Recht

8        Die Richtlinie 86/653 wurde durch die Loi n° 91‑593, du 25 juin 1991, relative aux rapports entre les agents commerciaux et leurs mandants (Gesetz Nr. 91‑593 vom 25. Juni 1991 über die Beziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Auftraggebern, JORF vom 27. Juni 1991, S. 8271) in französisches Recht umgesetzt. Art. 1 dieses Gesetzes, der in Art. L. 134‑1 des Code de commerce (Handelsgesetzbuch) kodifiziert wurde, lautet:

„Der Handelsvertreter ist ein Auftragnehmer, der als selbständiger Gewerbetreibender … ständig damit betraut ist, Kaufverträge im Namen und für Hersteller, Händler … zu vermitteln und gegebenenfalls abzuschließen …“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9        DCA, eine Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand u. a. in der Herstellung und im Vertrieb von unter der Marke IZI‑MI in den Verkehr gebrachten Waren sowie im Betrieb von Einzelhandelsboutiquen für Prêt-à-porter und Schmuck besteht, war seit Juli 2003 durch eine mündliche Vereinbarung mit Trendsetteuse verbunden. Gemäß dieser Vereinbarung sollte Trendsetteuse die Waren von DCA in ihrem Showroom vertreiben und im Gegenzug dafür eine Provision auf den Verkaufspreis dieser Waren erhalten.

10      In dieser Vereinbarung war insbesondere festgehalten, dass Trendsetteuse im Namen und für Rechnung von DCA Kaufverträge über Waren der Marke IZI‑MI im „Grand Nord“ genannten Sektor (d. h. dem gesamten Norden Frankreichs), sowie im „Grand Sud“ genannten Sektor (d. h. dem Süden Frankreichs) mit Ausnahme Korsikas, verkaufen sollte. Dafür brachte Trendsetteuse DCA mit Kunden zusammen, nahm Bestellungen von Waren entgegen und überwachte deren Sendungen und Lieferungen.

11      Am 29. März 2016 teilte DCA Trendsetteuse mit, dass sie ihre Vertragsbeziehung hinsichtlich des „Grand Sud“ genannten Sektors beende, da sie der Ansicht war, dass die Verkäufe der unter der Marke IZI‑MI vertriebenen Waren in diesem Sektor unzureichend seien. DCA stellte ferner klar, dass sie, falls Trendsetteuse den Entzug dieses Sektors nicht akzeptiere, jede Zusammenarbeit mit Trendsetteuse einstellen werde.

12      Mit Schreiben vom 12. April 2016 teilte Trendsetteuse DCA mit, dass sie mit dieser Entscheidung, die sie für ungerechtfertigt erachte und die dazu führe, dass sie die Hälfte ihres Umsatzes verliere, nicht einverstanden sei. Dessen ungeachtet übertrug DCA diesen Sektor im Frühjahr 2016 an eine andere Gesellschaft.

13      Trendsetteuse verlangte von DCA Entschädigung wegen Bruchs des Handelsvertretervertrags, ein Begehren, das DCA mit dem Hinweis darauf ablehnte, dass Trendsetteuse nicht die Eigenschaft eines Handelsvertreters im Sinne von Art. L. 134‑1 des Handelsgesetzbuchs habe.

14      Trendsetteuse rief sodann das Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) an und machte geltend, dass die Vereinbarung, die sie mit DCA verbinde, einen Handelsvertretervertrag darstelle.

15      DCA entgegnete, dass es sich bei dieser Vereinbarung nicht um einen Handelsvertretervertrag handele, weil sie Trendsetteuse nicht die Befugnis einräume, die Bedingungen für den Verkauf der Artikel, die sie für Rechnung von DCA verkaufe, zu ändern; dies gelte insbesondere für die von DCA für diese Artikel festgesetzten Preise.

16      Das vorlegende Gericht hegt Zweifel daran, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vereinbarung einzustufen ist. Gemäß der in Art. L. 134‑1 des Handelsgesetzbuchs enthaltenen Definition sei ein Handelsvertreter ein Auftragnehmer, der ständig damit betraut sei, Kaufverträge zu vermitteln und gegebenenfalls abzuschließen.

17      Diese Bestimmung sei Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 nachgebildet, wobei Unklarheit darüber bestehe, wie der in diesem Artikel enthaltene Begriff „négocier“ („vermitteln“) auszulegen sei. Während die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) diesen Begriff dahin gehend ausgelegt habe, dass eine Person, wenn sie nicht über die Befugnis verfüge, die Verkaufsbedingungen zu ändern und die Preise für die Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorge, festzulegen, nicht die Eigenschaft eines Handelsvertreters haben könne, seien andere französische Gerichte sowie Gerichte anderer Mitgliedstaaten, gestützt auf die allgemeine Bedeutung, die dem Begriff „négocier“ („vermitteln“) zukomme, von der gegenteiligen Auslegung ausgegangen.

18      In diesem Kontext fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine Gesellschaft wie Trendsetteuse, die nicht über die Befugnis verfüge, die Verkaufsbedingungen für die Artikel, die sie für Rechnung einer anderen Gesellschaft verkaufe, insbesondere den Preis dieser Artikel, zu ändern, als mit der Tätigkeit des „négocier“ („Vermittelns“) von Verträgen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 betraut angesehen werden könne.

19      Unter diesen Umständen hat das Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen, dass ein selbständiger Gewerbetreibender, der als Auftragnehmer im Namen und für Rechnung seines Auftraggebers handelt und nicht die Befugnis hat, die Preise und Vertragsbedingungen der Kaufverträge seines Auftraggebers zu ändern, nicht damit betraut ist, diese Verträge im Sinne dieses Artikels zu vermitteln („négocier“) und als Folge davon nicht als Handelsvertreter eingestuft werden und den Status nach dieser Richtlinie in Anspruch nehmen könnte?

 Zur Vorlagefrage

20      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass eine Person notwendigerweise über die Möglichkeit verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, um als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.

21      Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie definiert für deren Zwecke den Handelsvertreter als einen selbständigen Gewerbetreibenden, der ständig damit betraut ist, für eine andere Person, die als Unternehmer bezeichnet wird, den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln („négocier“) oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.

22      Diese Bestimmung stellt also drei notwendige und hinreichende Voraussetzungen dafür auf, dass eine Person als „Handelsvertreter“ eingestuft werden kann. Erstens muss diese Person die Eigenschaft des selbständigen Gewerbetreibenden haben. Zweitens muss sie vertraglich dauerhaft an den Unternehmer gebunden sein. Drittens muss sie eine Tätigkeit ausüben, die darin besteht, den Verkauf oder den Ankauf von Waren für den Unternehmer zu vermitteln oder diese Geschäfte in dessen Namen und für dessen Rechnung abzuschließen (Urteil vom 21. November 2018, Zako, C‑452/17, EU:C:2018:935, Rn. 23).

23      Im vorliegenden Fall ist der Sinn des in der dritten dieser Voraussetzungen genannten Begriffs „vermitteln“ („négocier“) zu definieren, um festzustellen, ob dieser Begriff notwendigerweise voraussetzt, dass eine Person, um die Eigenschaft eines Handelsvertreters zu haben, über die Befugnis verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, ändern zu können.

24      Zwar findet sich in der Richtlinie 86/653 keine Definition des Begriffs „vermitteln“ („négocier“); gleichwohl wird daraus, dass die Tätigkeit der Vermittlung („négociation“), auf die sich Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie bezieht, „den Verkauf oder den Ankauf von Waren für den Unternehmer“ betreffen muss, der Wille des Unionsgesetzgebers deutlich, dass das Ziel dieser Tätigkeit der Abschluss von Verträgen über den Verkauf oder den Ankauf für Rechnung des Unternehmers sein soll.

25      Ferner ist, da Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs „vermitteln“ („négocier“) nicht auf nationale Rechtsordnungen verweist, davon auszugehen, dass dieser Begriff für Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie ein im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegender, autonomer Begriff des Unionsrechts ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Engie Cartagena, C‑523/18, EU:C:2019:1129, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung die Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die vom Unionsrecht nicht definiert werden, entsprechend ihrem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehören (vgl. u. a. Urteil vom 29. Juli 2019, Spiegel Online, C‑516/17, EU:C:2019:625, Rn. 77).

27      Zwar wird in den Sprachfassungen von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 mehrheitlich ein Begriff verwendet, der sich mit „verhandeln“ bzw. „aushandeln“ übersetzen lässt, doch enthalten u. a. die deutsche und die polnische Sprachfassung Begriffe, die weiter gefasst sind und sich mit „als Vermittler fungieren“ bzw. „vermitteln“ übersetzen lassen.

28      Ungeachtet dieser Diskrepanz bedeuten die in den unterschiedlichen Sprachfassungen von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 verwendeten Begriffe indes nicht zwingend, dass es dem Handelsvertreter möglich sein muss, den Preis der Waren, deren Verkauf er für Rechnung des Unternehmers besorgt, selbst festzulegen.

29      Folglich ist der Begriff „vermitteln („négocier“) in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 unter Berücksichtigung des Zusammenhangs auszulegen, in den sich diese Bestimmung und die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele einfügen.

30      Was als Erstes den Zusammenhang betrifft, in den sich diese Bestimmung einfügt, geht erstens aus Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 86/653 hervor, dass der Handelsvertreter im Rahmen seines Vertrags die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen hat, u. a. indem er sich in angemessener Weise für die Vermittlung und gegebenenfalls den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzt. Der Gegenstand der Tätigkeit des Handelsvertreters hängt daher vom Wortlaut des ihn mit dem Unternehmer verbindenden Vertrags und insbesondere von der Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der Waren ab, die der Unternehmer mit Hilfe des Handelsvertreters verkaufen oder kaufen möchte (Urteil vom 7. April 2016, Marchon Germany, C‑315/14, EU:C:2016:211, Rn. 31 und 32).

31      So können in einem solchem Vertrag die Preise für den Verkauf der Waren vorgesehen sein, ohne dass es dem Handelsvertreter möglich ist, sie im Rahmen der Vermittlung zu ändern. Eine solche vertragliche Festlegung der Preise für den Verkauf der Waren kann nämlich aus Gründen der Geschäftspolitik gerechtfertigt sein, die die Berücksichtigung von Faktoren wie der Position eines Unternehmens auf dem Markt, den von den Wettbewerbern angewandten Preisen und des Fortbestands dieses Unternehmens erfordert.

32      Zweitens hindert der Umstand, dass ein Handelsvertreter nicht über die Möglichkeit verfügt, die Preise der Waren, deren Verkauf er für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, den Handelsvertreter nicht daran, seine Hauptaufgaben, wie sie in der Richtlinie 86/653 beschrieben werden, zu erfüllen.

33      Aus einer Lektüre von Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 86/653 geht nämlich hervor, dass die Hauptaufgaben eines Handelsvertreters darin bestehen, für den Unternehmer neue Kunden zu werben und die Geschäftsverbindungen mit den vorhandenen Kunden zu erweitern.

34      Wie die österreichische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen hervorgehoben hat, kann die Erfüllung dieser Aufgaben durch den Handelsvertreter durch Einwirkungen in Form des Informierens, Beratens sowie Besprechens erfolgen, die den Abschluss des Geschäftes des Verkaufs von Waren für Rechnung des Unternehmers fördern, ohne dass der Handelsvertreter über die Möglichkeit verfügt, die Preise dieser Waren zu ändern.

35      Als Zweites liefe eine Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 in dem Sinne, dass diese Bestimmung von der Einstufung als „Handelsvertreter“ jene Personen ausschlösse, die nicht über die Möglichkeit verfügen, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgen, zu ändern, den Zielen dieser Richtlinie zuwider.

36      Wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie ergibt, soll diese nämlich die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen, die Sicherheit des Handelsverkehrs fördern und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern, indem die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelsvertretungen angeglichen werden (Urteil vom 21. November 2018, Zako, C‑452/17, EU:C:2018:935, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Eine restriktive Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 in dem Sinne, dass eine Person, um den Schutz dieser Richtlinie in Anspruch nehmen zu können, notwendigerweise über die Möglichkeit verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, würde die Reichweite dieses Schutzes einschränken, indem sie von diesem Anspruch all jene Personen ausschlösse, die nicht über diese Möglichkeit verfügen.

38      Eine solche Auslegung würde es, wie sowohl die österreichische und die deutsche Regierung als auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, dem Unternehmer ermöglichen, die zwingenden Bestimmungen der Richtlinie 86/653, insbesondere die Bestimmung über den dem Handelsvertreter bei Beendigung des Vertragsverhältnisses zu gewährenden Ausgleich, zu umgehen, indem er sich in diesem Vertrag jegliche Befugnis, über die Preise der Waren zu verhandeln, vorbehielte, was die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels gefährden würde.

39      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass eine Person nicht notwendigerweise über die Möglichkeit verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, um als Handelsvertreter im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.

 Kosten

40      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass eine Person nicht notwendigerweise über die Möglichkeit verfügen muss, die Preise der Waren, deren Verkauf sie für Rechnung des Unternehmers besorgt, zu ändern, um als Handelsvertreter im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.