Language of document : ECLI:EU:C:2020:532

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

9. Juli 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Geltungsbereich – Art. 1 Abs. 2 – Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ – Abdingbare Vorschriften – Darlehensvertrag in Fremdwährung – Klausel zum Wechselkursrisiko“

In der Rechtssache C‑81/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 27. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2019, in dem Verfahren

NG,

OH

gegen

SC Banca Transilvania SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie des Richters N. Jääskinen (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von NG und OH, vertreten durch V. Lupu und G. Perju, avocaţi,

–        der SC Banca Transilvania SA, vertreten durch S. Tîrnoveanu, L. Retegan und A. Iorgulescu, avocaţi,

–        der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch E. Gane, L. Liţu, O.‑C. Ichim und C.‑R. Canţăr, dann durch E. Gane, L. Liţu und O.‑C. Ichim als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und E. Lankenau als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Gheorghiu und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. März 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NG und OH einerseits und der SC Banca Transilvania SA (im Folgenden: Banca Transilvania) andererseits zur angeblichen Missbräuchlichkeit einer Klausel des zwischen den Parteien abgeschlossenen Darlehensvertrags in Fremdwährung.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“

4        Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:

„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“

5        Art. 3 der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Eine Vertragsklausel, die nicht im [E]inzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

(2)      Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im [E]inzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte.

…“

 Rumänisches Recht

6        Art. 1578 des Cod Civil (Zivilgesetzbuch) in der zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung (im Folgenden: Zivilgesetzbuch) sah vor:

„Die Verpflichtung aus einem Darlehen ist stets auf den im Vertrag angegebenen Nominalbetrag beschränkt.

Steigt oder fällt der Preis der Währungen vor Ablauf der Zahlungsfrist, hat der Schuldner den Nominalbetrag zurückzuzahlen und ist verpflichtet, ihn nur in der zum Zeitpunkt der Zahlung geltenden Währung zurückzuzahlen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7        Am 31. März 2006 schlossen NG und OH einen Verbraucherkreditvertrag mit der SC Volksbank România SA, der späteren Banca Transilvania, mit dem diese ihnen einen Betrag von 90 000 rumänischen Lei (RON) (ca. 18 930 Euro) lieh (im Folgenden: ursprünglicher Vertrag).

8        Am 15. Oktober 2008 schlossen dieselben Parteien einen auf Schweizer Franken (CHF) lautenden Kreditvertrag zur Refinanzierung des ursprünglichen Vertrags (im Folgenden: Refinanzierungsvertrag). Dieser belief sich auf einen Betrag von 65 000 CHF (ca. 42 139 Euro), d. h. zum Wechselkurs zwischen diesen Währungen am Tag der Unterzeichnung dieses Vertrags etwa 159 126 RON.

9        Nach den internen Vorschriften der Banca Transilvania betrug die maximal zulässige Verschuldung 55 % der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kreditnehmer. Was NG und OH betrifft, so wurde dieser Schwellenwert nach dem vor der Unterzeichnung des Refinanzierungsvertrags geltenden Wechselkurs des Schweizer Frankens gegenüber dem rumänischen Leu (im Folgenden: CHF/RON-Wechselkurs) berechnet und betrug zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehens 35,04 % ihres Einkommens.

10      Abschnitt 4 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen des Refinanzierungsvertrags sah vor, dass alle Zahlungen aufgrund dieses Vertrags in der Währung zu erfolgen hatten, auf die das Darlehen lautete. Es war auch vorgesehen, dass der Darlehensnehmer unter bestimmten Bedingungen die Bank um Umwandlung des Darlehens in eine andere Währung ersuchen konnte, wobei diese nicht verpflichtet war, einem solchen Ersuchen nachzukommen. Des Weiteren wurde die Bank beauftragt, im Namen und für Rechnung des Darlehensnehmers und unter Verwendung ihres eigenen Wechselkurses den Umtausch zur Begleichung der fälligen Zahlungsverpflichtungen vorzunehmen.

11      Die Schwankungen des CHF/RON-Wechselkurses zwischen Oktober 2008 und April 2017 hatten zur Folge, dass sich der von NG und OH aufgenommene Betrag um 117 760 RON (ca. 24 772 Euro) erhöhte.

12      Am 23. März 2017 klagten NG und OH beim Tribunalul Specializat Cluj (Fachgericht Cluj, Rumänien) und beantragten u. a. die Feststellung, dass Abschnitt 4 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen des Refinanzierungsvertrags missbräuchlich sei. NG und OH trugen ebenfalls vor, die Banca Transilvania habe ihre Informationspflicht verletzt, indem sie sie bei Aushandlung und Abschluss dieses Vertrags nicht vor dem Risiko gewarnt habe, das mit der Umwandlung des ursprünglichen Vertrags in eine ausländische Währung verbunden war. Da die Darlehensnehmer nur Einkünfte in rumänischen Lei hätten, hätte die Banca Transilvania sie insbesondere auf die Auswirkungen einer Abwertung dieser Währung gegenüber der Fremdwährung aufmerksam machen müssen, in der das Darlehen zurückgezahlt werden sollte. Außerdem schaffe die Klausel über die Rückzahlung in Fremdwährung ein Ungleichgewicht zum Nachteil der Kreditnehmer, da diese das Wechselkursrisiko allein trügen. Daher beantragten NG und OH beim Tribunalul Specializat Cluj (Fachgericht Cluj) das Einfrieren des CHF/RON-Wechselkurses vom Tag des Abschlusses des Refinanzierungsvertrags sowie die Rückerstattung der auf der Grundlage eines ungünstigeren Wechselkurses gezahlten Beträge.

13      Dieses Gericht gab der Klage von NG und OH teilweise statt. Es wies jedoch den Antrag auf Fixierung des am Tag der Unterzeichnung des Refinanzierungsvertrags geltenden Wechselkurses CHF/RON ab. Hierzu stellte das Gericht zum einen fest, dass die Klausel in Abschnitt 4 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen des Refinanzierungsvertrags, auch wenn sie auf dem Grundsatz des in Art. 1578 des rumänischen Zivilgesetzbuchs verankerten „monetären Nominalismus“ beruhe, wegen ihrer nicht zwingenden, sondern abdingbaren Natur in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 falle. Daher war es nach Ansicht dieses Gerichts möglich, diese Klausel auf Missbräuchlichkeit zu prüfen. Im Anschluss an diese Prüfung stellte es zum anderen fest, dass die Klausel in klaren und verständlichen Worten abgefasst sei und dass die Banca Transilvania ihrer Informationspflicht nachgekommen war, da sie die erheblichen Schwankungen des CHF/RON-Wechselkurses nicht habe vorhersehen können.

14      NG und OH einerseits und die Banca Transilvania andererseits legten gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht, der Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj, Rumänien) ein. Die Banca Transilvania macht gegen die von NG und OH eingelegte Berufung geltend, dass Abschnitt 4 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen des Refinanzierungsvertrags, wonach alle Zahlungen aufgrund dieses Vertrags in der Währung zu erfolgen hatten, auf die das Darlehen lautete, zum Hauptgegenstand des Vertrags gehöre. Außerdem beruhe diese Vertragsbestimmung auf einer bindenden Rechtsvorschrift im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, die nicht auf Missbräuchlichkeit überprüft werden könne.

15      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus dem Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a. (C‑186/16, EU:C:2017:703), dass eine Vertragsklausel, die auf einer zwingenden Vorschrift des nationalen Rechts beruht, die zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl gilt, oder auf einer abdingbaren Vorschrift, die in Ermangelung einer insoweit anderweitigen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gilt, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt.

16      Dieses Gericht weist darauf hin, dass Art. 1578 des Zivilgesetzbuchs abdingbar sei, dass die rumänischen Gerichte jedoch die im Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a. (C‑186/16, EU:C:2017:703), getroffene Entscheidung uneinheitlich angewandt hätten.

17      Die überwiegende Mehrheit dieser Gerichte sei der Ansicht, dass Vertragsklauseln, die auf dieser gesetzlichen Vorschrift beruhten, als abdingbares Recht, das in Ermangelung einer anderweitigen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gelte, nicht auf Missbräuchlichkeit überprüft werden könnten. Einige rumänische Gerichte seien jedoch der Ansicht, dass eine solche Klausel dem Verbraucher vom Gewerbetreibenden auferlegt wurde. Da der Verbraucher sie nicht durch Einfügung einer anderen Klausel in den Vertrag habe ausschließen können, sei ihre Überprüfung auf mögliche Missbräuchlichkeit nicht ausgeschlossen.

18      Das vorlegende Gericht führt aus, die von den rumänischen Gerichten mehrheitlich vertretene Auffassung schwäche den Unterschied zwischen zwingenden und abdingbaren Rechtsvorschriften bis zu seiner völligen Abschaffung ab, was somit dazu führe, diese in Bezug auf die Prüfung auf mögliche Missbräuchlichkeit rechtlich gleich zu behandeln.

19      Diese Auslegung beruhe auf einer terminologischen Abweichung zwischen dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 in der rumänischen und der französischen Sprachfassung. Während die französische Fassung den Begriff „impératif“ („zwingend“) verwende, sei in der rumänischen Fassung von „verbindlichen Rechtsvorschriften“ die Rede. Im Gegensatz zum Begriff „zwingend“, der abdingbare Vorschriften ausschließe, schließe der Begriff „verbindlich“ solche Vorschriften ein. Zwar seien zwingende Vorschriften verbindlich, aber auch abdingbare Vorschriften würden verbindlich, wenn die Vertragsparteien beschlossen hätten, nicht von ihnen abzuweichen.

20      Das vorlegende Gericht fragt sich außerdem, welchen Umfang die Informationspflichten der Bank in Bezug auf künftige Wechselkursschwankungen einer Währung haben und welche Maßnahmen sie ergreifen muss, um die Wirksamkeit der den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte zu gewährleisten, wenn es keine abdingbare Vorschrift gibt, die eine für missbräuchlich befundene Vertragsklausel ersetzt.

21      Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass eine Vertragsklausel, mit der eine abdingbare Vorschrift übernommen wird, von der die Parteien abweichen könnten, aber konkret nicht abgewichen sind, da darüber keine Verhandlungen stattgefunden haben – wie im konkret untersuchten Fall die Klausel, die zur Rückzahlung des Kredits in derselben Fremdwährung verpflichtet, in der der Kredit gewährt wurde –, unter dem Gesichtspunkt der Missbräuchlichkeit geprüft wird?

2.      Lässt sich, wenn dem Verbraucher bei der Gewährung des Kredits in der Fremdwährung keine Berechnungen/Vorhersagen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen vorgelegt wurden, die eine mögliche Wechselkursschwankung auf die gesamten Zahlungsverpflichtungen aus dem Vertrag haben kann, begründet vertreten, dass eine solche Klausel, mit der das Währungsrisiko (auf der Grundlage des Grundsatzes des Nominalismus) vollständig vom Verbraucher übernommen wird, klar und verständlich ist und dass der Gewerbetreibende/die Bank nach Treu und Glauben der Verpflichtung zur Informierung seines Vertragspartners nachgekommen ist, wenn die von der rumänischen Nationalbank vorgegebene Verschuldungsobergrenze unter Bezugnahme auf den Wechselkurs zum Zeitpunkt der Kreditgewährung berechnet wurde?

3.      Stehen die Richtlinie 93/13 und die dazu ergangene Rechtsprechung sowie der Grundsatz der Effektivität dem entgegen, dass nach der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel über die Tragung des Wechselkursrisikos der Vertrag unverändert fortgeführt wird? Welche Änderung wäre möglich, um die missbräuchliche Klausel zu streichen und den Grundsatz der Effektivität zu wahren?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

22      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regel beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Vertragsparteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

23      Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, der Klauseln betrifft, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie vorsieht (Urteil vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C‑51/17, EU:C:2018:750, Rn. 52).

24      Diese Ausnahme ist eng auszulegen und hängt vom Vorliegen zweier Voraussetzungen ab: Erstens muss die Vertragsklausel auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und zweitens muss diese Rechtsvorschrift bindend sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 30 und 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Gemäß dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 umfasst der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ in ihrem Art. 1 Abs. 2 auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C‑92/11, EU:C:2013:180, Rn. 26, und vom 3. April 2019, Aqua Med, C‑266/18, EU:C:2019:282, Rn. 29).

26      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass dieser Ausschluss von der Geltung der Regelung der Richtlinie 93/13 dadurch gerechtfertigt ist, dass grundsätzlich angenommen werden darf, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat (vgl. Urteile vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C‑92/11, EU:C:2013:180, Rn. 28, und vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C‑51/17, EU:C:2018:750, Rn. 53).

27      Daher stellt der Umstand, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat, keine Voraussetzung für die Anwendung des in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 genannten Ausschlusses dar, sondern die Rechtfertigung dieses Ausschlusses.

28      Folglich hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht zur Feststellung, ob die Voraussetzungen für den in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Ausschluss erfüllt sind, zu prüfen hat, ob die fragliche Vertragsklausel auf unabdingbaren Bestimmungen des nationalen Rechts beruht, die zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl gelten, oder auf abdingbaren Bestimmungen, die in Ermangelung einer insoweit anderen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gelten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C‑92/11, EU:C:2013:180, Rn. 26, vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 79, vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 29 und 30, und vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 32).

29      Vorliegend geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Klausel in Abschnitt 4 Punkt 1 der Allgemeinen Bedingungen des Refinanzierungsvertrags, deren Missbräuchlichkeit von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens geltend gemacht wird, vorsieht, dass „alle Zahlungen aufgrund dieses Vertrags … in der Währung zu erfolgen [haben], auf die das Darlehen lautet …“.

30      Das nationale Gericht betont ferner, dass eine solche Klausel den Grundsatz des „monetären Nominalismus“ widerspiegle, wie er in Art. 1578 des rumänischen Zivilgesetzbuchs verankert war. Demnach „hat der Schuldner den Nominalbetrag zurückzuzahlen und ist verpflichtet, ihn nur in der zum Zeitpunkt der Zahlung geltenden Währung zurückzuzahlen“. Dieses Gericht hat Art. 1578 des rumänischen Zivilgesetzbuchs außerdem als abdingbare Rechtsvorschrift bezeichnet, d. h., dass er auf Darlehensverträge anwendbar ist, wenn die Parteien keine andere Vereinbarung getroffen haben.

31      Da dem vorlegenden Gericht zufolge die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens als missbräuchlich bezeichnete Klausel der Allgemeinen Bedingungen auf einer abdingbaren Vorschrift des nationalen Rechts beruht, fällt sie somit unter den in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Ausschluss.

32      Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 in seiner rumänischen Fassung den Ausdruck „normă obligatorie“ („verbindliche Vorschrift“) verwendet, während in der französischen Fassung der Ausdruck „disposition impérative“ („zwingende Vorschrift“) verwendet wird. Anders als der Begriff „zwingend“, der abdingbare Vorschriften ausschließe, schließe der Begriff „verbindlich“ solche Vorschriften ein. Daher müsse anhand des Zwecks und der Ziele dieser Richtlinie bestimmt werden, welche Sprachfassung korrekt sei.

33      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen kann. Die Vorschriften des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteile vom 15. November 2012, Kurcums Metal, C‑558/11, EU:C:2012:721, Rn. 48, und vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 42).

34      Wie in Rn. 25 dieses Urteils ausgeführt, umfasst der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 im Licht ihres 13. Erwägungsgrundes auch abdingbare Regeln, d. h. solche, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. In dieser Hinsicht unterscheidet diese Bestimmung nicht zwischen Vorschriften, die unabhängig von der Wahl der Vertragsparteien gelten, und abdingbaren Vorschriften.

35      Insoweit ist zum einen der Umstand, dass von einer Vorschrift des nationalen Rechts abgewichen werden kann, unerheblich für die Prüfung der Frage, ob eine Vertragsklausel, die auf einer solchen Vorschrift beruht, nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist.

36      Zum anderen hat der Umstand, dass eine Vertragsklausel, die auf einer der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 genannten Vorschriften beruht, nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, keinen Einfluss auf ihren Ausschluss vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist das Fehlen einer Aushandlung im Einzelnen nämlich eine Voraussetzung für die Eröffnung der Überprüfung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, die nicht erfolgen kann, wenn die Vertragsklausel nicht in ihren Anwendungsbereich fällt.

37      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regel beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Vertragsparteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

38      Da dem vorlegenden Gericht zufolge die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertragsklausel auf einer als abdingbar eingestuften nationalen Vorschrift beruht, ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass sie nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 nicht in deren Anwendungsbereich fällt. Daher sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regel beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Vertragsparteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.