URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
12. Mai 2021(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – Richtlinie 79/7/EWG – Art. 4 Abs. 1 – Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – Nationale Regelung, nach der Frauen, die eine bestimmte Anzahl von Kindern bekommen haben, eine Rentenzulage wegen Mutterschaft gewährt wird – Ausschluss von Frauen, die einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand beantragt haben, von der Gewährung dieser Rentenzulage – Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG“
In der Rechtssache C‑130/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Social n° 3 de Barcelona (Arbeits‑ und Sozialgericht Nr. 3 Barcelona, Spanien) mit Entscheidung vom 4. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 9. März 2020, in dem Verfahren
YJ
gegen
Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von YJ, vertreten durch L. Ripoll Sans, abogada,
– des Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS), vertreten durch A. R. Trillo García und P. García Perea als Bevollmächtigte,
– der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Valero und I. Galindo Martín als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen YJ und dem Instituto Nacional de la Seguridad Social (Nationales Institut für soziale Sicherheit, Spanien) (im Folgenden: INSS) wegen dessen Weigerung, YJ im Rahmen ihrer vorzeitigen Altersrente eine Mutterschaftszulage zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Erwägungsgründe 1 und 2 der Richtlinie 79/7 lauten:
„In Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen [ABl. 1976, L 39, S. 40] ist vorgesehen, dass der Rat [der Europäischen Gemeinschaften] im Hinblick auf die schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit auf Vorschlag der Kommission [der Europäischen Gemeinschaften] Bestimmungen erlässt, in denen dazu insbesondere der Inhalt, die Tragweite und die Anwendungsmodalitäten angegeben sind. Im [EWG‑]Vertrag sind die besonderen, hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen.
Es ist angezeigt, den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit in erster Linie bei den gesetzlichen Systemen, die Schutz gegen die Risiken Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall, Berufskrankheit und Arbeitslosigkeit bieten, sowie bei den Sozialhilferegelungen, soweit sie die vorgenannten Systeme ergänzen oder ersetzen sollen, zu verwirklichen.“
4 Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – im Folgenden ‚Grundsatz der Gleichbehandlung‘ genannt – schrittweise verwirklicht wird.“
5 In Art. 4 der Richtlinie heißt es:
„(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:
– den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
– die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
– die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.
(2) Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht den Bestimmungen zum Schutz der Frau wegen Mutterschaft nicht entgegen.“
6 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:
a) die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen;
b) die Vergünstigungen, die Personen, welche Kinder aufgezogen haben, auf dem Gebiet der Altersversicherung gewährt werden; den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen im Anschluss an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung;
…“
Spanisches Recht
7 Art. 60 („Mutterschaftszulage bei beitragsbezogenen Renten des Systems der sozialen Sicherheit“) der Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Gesetz über die soziale Sicherheit) in der durch das Real Decreto Legislativo 8/2015 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley General de la Seguridad Social (Königliches gesetzesvertretendes Dekret 8/2015 zur Genehmigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über die soziale Sicherheit) vom 30. Oktober 2015 genehmigten konsolidierten Fassung (BOE Nr. 261 vom 31. Oktober 2015, S. 103291) (im Folgenden: LGSS) lautet:
„1. Frauen, die leibliche oder adoptierte Kinder hatten und von irgendeiner Untergliederung des Systems der sozialen Sicherheit eine beitragsbezogene Alters- oder Witwenrente oder Rente wegen dauernder Invalidität erhalten, wird aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Rentenzulage gewährt.
Diese Zulage, die in jeder Hinsicht die Rechtsnatur einer öffentlichen beitragsbezogenen Rente hat, besteht aus einem Betrag in Höhe eines bestimmten, auf den Ausgangsbetrag der entsprechenden Renten angewandten Prozentsatzes, der sich je nach der Zahl der Kinder wie folgt bemisst:
a) bei zwei Kindern: 5 Prozent,
b) bei drei Kindern: 10 Prozent,
c) bei vier oder mehr Kindern: 15 Prozent.
Bei der Feststellung des Anspruchs auf die Zulage sowie ihrer Höhe werden nur Kinder berücksichtigt, die vor dem Sachverhalt, auf dem die entsprechende Rente beruht, geboren oder adoptiert wurden.
2. Übersteigt der Ausgangsbetrag der zuerkannten Rente ohne die Anwendung der Zulage die in Art. 57 vorgesehene Obergrenze, so dürfen der Rentenbetrag und der Betrag der Rentenzulage zusammen diese Obergrenze um nicht mehr als 50 Prozent der gewährten Zulage überschreiten.
Erreicht der Betrag der zuerkannten Rente bei einer nur teilweisen Anwendung der Rentenzulage die in Art. 57 vorgesehene Obergrenze, hat die Betroffene darüber hinaus Anspruch auf weitere 50 Prozent desjenigen Teils der Zulage, der die jeweils geltende gesetzlich vorgesehene Obergrenze übersteigt.
In den Fällen, in denen es durch Gesetz oder Verordnung aus anderen Gründen erlaubt ist, die Obergrenze zu überschreiten, wird die Zulage nach diesem Absatz berechnet, wobei als Ausgangsbetrag der Rente die zum jeweiligen Zeitpunkt geltende Obergrenze zugrunde zu legen ist.
Entsteht die zu erhöhende Rente unter Anwendung der internationalen Vorschriften durch die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten pro rata temporis, so ist die Zulage nach der entstandenen hypothetischen Rente zu berechnen und auf das Ergebnis der entsprechende Pro‑rata‑Satz anzuwenden.
…
4. Die Rentenzulage ist nicht anzuwenden in den Fällen des freiwilligen vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand oder der Altersteilzeit, auf die sich Art. 208 bzw. Art. 215 bezieht.
Ohne Rücksicht auf die vorstehenden Vorschriften ist die entsprechende Zulage zu gewähren, wenn nach der Altersteilzeit mit Erreichen des jeweils vorgesehenen Alters der volle Rentenbezug erfolgt.
…“
8 Art. 208 („Vorruhestand auf Wunsch des Betroffenen“) LGSS sieht vor:
„1. Für den Anspruch auf freiwillige vorzeitige Altersrente muss der Berechtigte folgende Voraussetzungen erfüllen:
a) Er muss ein Lebensalter erreicht haben, das das nach Art. 205 Abs. 1 Buchst. a maßgebliche Alter um nicht mehr als zwei Jahre unterschreitet; insoweit finden die in Art. 206 geregelten Herabsetzungskoeffizienten keine Anwendung.
b) Er muss tatsächliche Beitragszeiten von mindestens 35 Jahren nachweisen; insoweit werden die auf Sonderzahlungen beruhenden Anteile nicht berücksichtigt. Für diese ausschließlichen Zwecke wird nur die Dauer des Pflichtwehrdienstes oder des sozialen Ersatzdienstes mit einer Obergrenze von einem Jahr berücksichtigt.
c) Ist der Nachweis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für diese Rentenart erbracht, muss der Betrag der zu beziehenden Rente über dem Betrag der Mindestrente liegen, auf die der Betroffene unter Berücksichtigung seiner familiären Situation bei Vollendung des 65. Lebensjahrs Anspruch hätte. Anderenfalls besteht kein Anspruch auf eine solche vorzeitige Altersrente.
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
9 Auf ihren Antrag wurde YJ mit Bescheid des INSS vom 11. Dezember 2017 vorzeitig in den Ruhestand versetzt und ihr eine Rente mit Wirkung vom 4. Dezember 2017 zuerkannt. YJ legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und machte geltend, das INSS hätte ihr die in Art. 60 LGSS vorgesehene Rentenzulage wegen Mutterschaft gewähren müssen, da sie drei Kinder bekommen habe.
10 Nachdem das INSS diesen Widerspruch mit Bescheid vom 9. Mai 2018 mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass diese Rentenzulage wegen Mutterschaft nicht anwendbar sei, wenn sich die Betroffene für einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand entschieden habe, erhob YJ Klage beim Juzgado de lo Social n° 3 de Barcelona (Arbeits‑ und Sozialgericht Nr. 3 Barcelona, Spanien). Vor dem vorlegenden Gericht macht sie im Wesentlichen geltend, dass Art. 60 LGSS Frauen diskriminiere, die, weil sie sich für einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand entschieden hätten, diese Rentenzulage wegen Mutterschaft nicht beziehen könnten.
11 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), festgestellt habe, dass Art. 60 LGSS, der weder in den Anwendungsbereich der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 79/7 vorgesehenen Ausnahme noch in den der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahme falle, eine durch diese Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstelle.
12 Es führt weiter aus, dass es keinen Grund gebe, die Erwägungen des Gerichtshofs in diesem Urteil nicht in Bezug auf alle Frauen, die sich in der gleichen Situation befänden, unabhängig von der Form und dem Zeitpunkt des Zugangs zum Rentensystem, in dem die gleiche Rentenzulage wegen Mutterschaft gewährt werde, entsprechend anzuwenden.
13 Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob die Regelung in Art. 60 LGSS, wonach Frauen, die sich wie YJ für einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand entscheiden, im Gegensatz zu Frauen, die im gesetzlich vorgesehenen Alter in den Ruhestand treten oder die aufgrund der während ihres Berufslebens ausgeübten Tätigkeit, aufgrund einer Behinderung oder infolge einer Aufgabe der Tätigkeit während des dem Renteneintritt unmittelbar vorangehenden Zeitraums aus Gründen, die ihnen nicht zurechenbar sind, vorzeitig in den Ruhestand treten, von der Gewährung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Rentenzulage wegen Mutterschaft ausgeschlossen sind, mit dem unionsrechtlichen Grundsatz vereinbar ist, der die Gleichbehandlung im weiten Sinne, d. h. zwischen Männern und Frauen aber auch zwischen Frauen, gewährleistet, und ob diese Regelung nicht eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 79/7 darstellt.
14 Unter diesen Umständen hat der Juzgado de lo Social Barcelona (Arbeits‑ und Sozialgericht Nr. 3 Barcelona) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Kann eine Vorschrift wie Art. 60 Abs. 4 LGSS, der Frauen, die freiwillig vorzeitig in den Altersruhestand eintreten (im Gegensatz zu denen, die zwar ebenfalls freiwillig, aber im vorgesehenen Eintrittsalter ausscheiden, bzw. denen, die aufgrund der während ihres Berufslebens ausgeübten Tätigkeit, aufgrund einer Behinderung oder weil sie vor Erreichen des Eintrittsalters aus Gründen, die ihnen nicht zurechenbar sind, vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden), von der Mutterschaftszulage ausschließt, als unmittelbare Diskriminierung im Sinn der Richtlinie 79/7 angesehen werden?
Zur Vorlagefrage
15 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen allgemein auf die Richtlinie 79/7 Bezug nimmt, ohne die Bestimmung oder die Bestimmungen dieser Richtlinie anzugeben, um deren Auslegung es ersucht.
16 Allerdings ergibt sich sowohl aus der Formulierung der Vorlagefrage als auch aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts im Vorabentscheidungsersuchen, dass mit dieser Frage in Wirklichkeit geklärt werden soll, ob eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 79/7 vorliegt, die nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie verboten ist, wonach der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand der betroffenen Person, beinhaltet.
17 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben, und dass der Gerichtshof hierzu die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren hat (Urteil vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18 Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist die Vorlagefrage daher so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Frauen, die mindestens zwei leibliche oder adoptierte Kinder hatten, bei Eintritt in den Ruhestand im gesetzlich vorgesehenen Alter oder bei Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand aus bestimmten gesetzlich vorgesehenen Gründen, nicht aber bei freiwilligem vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand, eine Rentenzulage wegen Mutterschaft vorsieht.
19 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin zu verstehen ist, dass er jede Situation erfasst, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (Urteil vom 26. Juni 2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], C‑451/16, EU:C:2018:492, Rn. 34). Daraus folgt, dass nur dann eine unmittelbare Diskriminierung „aufgrund des Geschlechts“ vorliegen kann, wenn eine Person wegen ihrer Zugehörigkeit zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht benachteiligt wird.
20 Außerdem hat die Richtlinie 79/7 nach ihrem Titel und ihrem Art. 1 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 1 und 2 zum Ziel, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht wird. Im Übrigen bestätigt die in Art. 1 dieser Richtlinie festgelegte Sprachregelung, dass der im Rest dieser Richtlinie verwendete Ausdruck „Grundsatz der Gleichbehandlung“ dahin zu verstehen ist, dass er in verkürzter Form auf den „Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit“ Bezug nimmt.
21 Folglich kann sich der Begriff „Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 nur auf Fälle der Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern beziehen.
22 Unter diesen Umständen kann Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 nicht als eine Vorschrift des Unionsrechts angesehen werden, die die Gleichbehandlung im weiten Sinne, d. h. auch zwischen Personen desselben Geschlechts, gewährleistet. Vielmehr impliziert der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts“ eine Situation, in der Arbeitnehmer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht gegenüber anderen Arbeitnehmern des anderen Geschlechts in einer vergleichbaren Situation weniger günstig behandelt werden.
23 Im vorliegenden Fall betrifft die Situation, um die es im Ausgangsverfahren geht, eine Frau, die, weil sie sich für einen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand entschieden hat, keine Rentenzulage wegen Mutterschaft erhalten kann, und daher der Ansicht ist, dass sie weniger günstig behandelt werde als Frauen, die, weil sie im gesetzlich vorgesehenen Alter in den Ruhestand getreten sind oder aus bestimmten gesetzlich vorgesehenen Gründen vorzeitig in den Ruhestand getreten sind, diese Rentenzulage erhalten können.
24 Die Richtlinie 79/7 kann jedoch auf eine solche Situation keine Anwendung finden, da das Kriterium, aufgrund dessen die Gewährung der betreffenden Rentenzulage wegen Mutterschaft Frauen verweigert wird, die freiwillig vorzeitig in den Ruhestand treten, nicht auf dem Geschlecht des betroffenen Arbeitnehmers, sondern auf den Modalitäten für dessen Eintritt in den Ruhestand beruht, so dass die angebliche Diskriminierung nicht „aufgrund des Geschlechts“ erfolgt. Darüber hinaus bezieht sich die betreffende Situation nicht auf eine Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern, sondern auf eine angebliche Ungleichbehandlung zwischen weiblichen Arbeitnehmern.
25 Dieses Ergebnis wird durch das Urteil vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter) (C‑450/18, EU:C:2019:1075), nicht in Frage gestellt, auch wenn die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, dieselbe nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betraf. In dieser Rechtssache war der Kläger des Ausgangsverfahrens nämlich ein männlicher Arbeitnehmer, der der Ansicht war, dass er weniger günstig behandelt worden sei als weibliche Arbeitnehmer, da ihm die betreffende Rentenzulage wegen Mutterschaft mit der Begründung versagt wurde, dass er ein Mann sei. In diesem Urteil konnte der Gerichtshof seine Erwägungen somit auf die Richtlinie 79/7 stützen, da die geltend gemachte Ungleichbehandlung männliche Arbeitnehmer gegenüber weiblichen Arbeitnehmern betraf und folglich aufgrund des Geschlechts des betroffenen Arbeitnehmers erfolgte, was vorliegend nicht der Fall ist.
26 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt.
27 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 79/7 keine Anwendung auf eine nationale Regelung findet, die für Frauen, die mindestens zwei leibliche oder adoptierte Kinder hatten, bei Eintritt in den Ruhestand im gesetzlich vorgesehenen Alter oder bei Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand aus bestimmten gesetzlich vorgesehenen Gründen, nicht aber bei freiwilligem vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand, eine Rentenzulage wegen Mutterschaft vorsieht.
Kosten
28 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit findet keine Anwendung auf eine nationale Regelung, die für Frauen, die mindestens zwei leibliche oder adoptierte Kinder hatten, bei Eintritt in den Ruhestand im gesetzlich vorgesehenen Alter oder bei Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand aus bestimmten gesetzlich vorgesehenen Gründen, nicht aber bei freiwilligem vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand, eine Rentenzulage wegen Mutterschaft vorsieht.
Unterschriften