Language of document : ECLI:EU:C:2005:468

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

14. Juli 2005 (*)

„Auswärtige Beziehungen – Abkommen EG–Schweiz über den Luftverkehr – Nichtigkeitsklage eines Drittstaats – Schweizerische Eidgenossenschaft – Entscheidung 2004/12/EG der Kommission – Deutsche Maßnahmen bezüglich An-/Abflügen zum/vom Flughafen Zürich – Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates – Beschluss 2004/407/EG, Euratom des Rates vom 26. April 2004 zur Änderung der Artikel 51 und 54 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes – Verweisung an das Gericht“

In der Rechtssache C-70/04

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG in Verbindung mit Artikel 20 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr, eingereicht am 13. Februar 2004,

Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Hirsbrunner und U. Soltész,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Benyon, M. Huttunen und M. Niejahr als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch C.‑D. Quassowski und A. Tiemann als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt T. Masing,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter) sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta und der Richter J. Makarczyk, P. Kūris und G. Arestis,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: R. Grass,

nach Anhörung der Generalanwältin

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrer Klageschrift beantragt die Schweizerische Eidgenossenschaft die Nichtigerklärung der Entscheidung 2004/12/EG der Kommission vom 5. Dezember 2003 zu einem Verfahren bezüglich der Anwendung von Artikel 18 (2), erster Satz, des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates (Sache TREN/AMA/11/03 – Deutsche Maßnahmen bezüglich An‑/Abflügen zum/vom Flughafen Zürich) (ABl. 2004, L 4, S. 13).

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Klage stützt sich auf Artikel 230 EG in Verbindung mit Artikel 20 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr (im Folgenden: Abkommen EG–Schweiz über den Luftverkehr), das am 21. Juni 1999 in Luxemburg unterzeichnet und durch den Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und – bezüglich des Abkommens über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit – der Kommission vom 4. April 2002 über den Abschluss von sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (ABl. L 114, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigt worden ist; dieses Abkommen ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten.

3        Artikel 15 Absatz 1 des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr, der zu dessen Kapitel 3, „Verkehrsrechte“, gehört, sieht vor:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates, wie sie im Anhang zu diesem Abkommen angeführt ist, gilt:

–        Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft und der Schweiz erhalten Verkehrsrechte zwischen jedem Punkt in der Schweiz und jedem Punkt in der Gemeinschaft;

…“

4        Artikel 18 Absatz 2 Satz 1 des Abkommens EG-Schweiz über den Luftverkehr, der zu dessen Kapitel 4, „Anwendung dieses Abkommens“, gehört, lautet:

„In Fällen, die sich auf nach Kapitel 3 zu genehmigende Flugdienste auswirken können, verfügen die Organe der Gemeinschaft über die Befugnisse, die ihnen nach den Bestimmungen der im Anhang ausdrücklich als anwendbar bestätigten Verordnungen und Richtlinien übertragen sind.“

5        Im Anhang des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr heißt es u. a., dass in allen Fällen, in denen in diesem Anhang auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder das Erfordernis einer Bindung an diese Bezug genommen wird, diese Bezugnahme für die Zwecke dieses Abkommens so zu verstehen ist, dass sie auch auf die Schweizerische Eidgenossenschaft oder das Erfordernis einer gleichen Bindung an sie verweist.

6        Der genannte Anhang betrifft u. a. die Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23. Juli 1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs (ABl. L 240, S. 8).

7        Artikel 8 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 2408/92 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung berührt nicht das Recht eines Mitgliedstaats, ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder der Identität des Luftfahrtunternehmens die Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Flughäfen eines Flughafensystems zu regeln.

(2)      Die Ausübung von Verkehrsrechten unterliegt den veröffentlichten gemeinschaftlichen, einzelstaatlichen, regionalen oder örtlichen Vorschriften in den Bereichen Sicherheit, Umweltschutz und Zuweisung von Start- und Landezeiten.

(3)      Die Kommission prüft auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von sich aus die Anwendung der Absätze 1 und 2 und entscheidet innerhalb eines Monats ab Antragseingang nach Anhörung des in Artikel 11 genannten Ausschusses darüber, ob der Mitgliedstaat die Maßnahme weiterhin anwenden darf. Die Kommission teilt dem Rat und den Mitgliedstaaten ihre Entscheidung mit.“

8        Artikel 20 des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr lautet:

„Für alle Fragen betreffend die Gültigkeit von Entscheidungen und Beschlüssen der Organe der Gemeinschaft, die diese aufgrund ihrer Zuständigkeiten nach diesem Abkommen treffen, ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuständig.“

 Verfahren vor dem Gerichtshof

9        Was die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Kommission angeht, so ist das schriftliche Verfahren mit dem Eingang der Gegenerwiderung der Kommission bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 12. Oktober 2004 abgeschlossen worden.

10      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 21. Juli 2004 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden. Der letzte Schriftsatz in Bezug auf diese Streithilfe ist am 11. Februar 2005 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen.

11      Am 1. Juni 2004 hat auch der Landkreis Waldshut, diejenige deutsche Region nahe der Schweizer Grenze, die von Flugzeugen im Anflug an den Flughafen Zürich überflogen wird und die durch die deutschen Maßnahmen, die Gegenstand der Entscheidung 2004/12 sind, vor Lärmbelastungen geschützt werden soll, die Zulassung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission beantragt. Der letzte Schriftsatz in Bezug auf diesen Streithilfeantrag ist am 24. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen. Bisher ist über diesen Antrag nicht entschieden worden.

12      Stellt der Gerichtshof fest, dass eine Klage in die Zuständigkeit des Gerichts fällt, so verweist er den Rechtsstreit nach Artikel 54 Absatz 2 seiner Satzung an das Gericht, das sich dann nicht für unzuständig erklären kann.

13      Mit dem Beschluss 2004/407/EG, Euratom des Rates vom 26. April 2004 zur Änderung der Artikel 51 und 54 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes (ABl. L 132, S. 5, berichtigt im ABl. L 194, S. 3) ist die in Artikel 51 enthaltene Aufzählung der Kategorien von Klagen geändert worden, für die abweichend von der Regel in den Artikeln 225 Absatz 1 EG und 140a Absatz 1 EAG in der Fassung des Vertrages von Nizza der Gerichtshof zuständig ist. Dieser Beschluss ist am 1. Juni 2004 in Kraft getreten.

14      Nach Artikel 2 des Beschlusses 2004/407 werden die Rechtssachen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Beschlusses beim Gerichtshof anhängig sind und die aufgrund des Beschlusses nunmehr in die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften fallen, an das Gericht verwiesen, wenn das Verfahren zu diesem Zeitpunkt gemäß Artikel 54 Absatz 3 letzter Satz der Satzung des Gerichtshofes ausgesetzt ist oder wenn das Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Ende des schriftlichen Abschnitts nach Artikel 44 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes erreicht hat.

15      In Bezug auf die Klage der Schweizerischen Eidgenossenschaft ergibt sich aus den Randnummern 9 bis 11 des vorliegenden Beschlusses, dass das schriftliche Verfahren am 1. Juni 2004 noch nicht beendet war.

16      Daher stellt sich die Frage, ob für die vorliegende Rechtssache nunmehr nach dem Beschluss 2004/407 in erster Instanz das Gericht zuständig ist.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes

17      Die Schweizerische Eidgenossenschaft trägt vor, Artikel 230 Absatz 2 EG in Verbindung mit Artikel 20 des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr sei die Grundlage für ihre Klage.

18      Auch wenn, wie die Kommission geltend macht, Artikel 20 des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr dem Gerichtshof neue Zuständigkeiten – darunter die für die Entscheidung über die vorliegende Klage – verleihen soll, spricht doch nichts dagegen, den in diesem Artikel enthaltenen Begriff „Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften“ dahin auszulegen, dass er sich auf den Gerichtshof als Gemeinschaftsorgan bezieht, das den Gerichtshof und das Gericht umfasst (zur Auslegung dieses Begriffes im Rahmen von Artikel 238 EG vgl. Urteil vom 17. März 2005 in der Rechtssache C‑294/02, Kommission/AMI Semiconductor Belgium u. a., Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 49).

19      Insoweit trägt die Schweizerische Eidgenossenschaft vor, der vorliegende Rechtsstreit müsse vor dem Gerichtshof und nicht vor dem Gericht verhandelt werden, denn sie sei ein souveräner Staat und würde bei einer gegenteiligen Auslegung dieses Artikels 20 benachteiligt, da die Mitgliedstaaten stets die Möglichkeit hätten, einen Rechtsstreit wie den zwischen ihr und der Kommission vor den Gerichtshof zu bringen. Der Grundsatz der Waffengleichheit bestätige diese Auslegung, da er bedeute, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft über die gleichen Rechtsschutzmöglichkeiten verfügen müsse wie ein Mitgliedstaat.

20      Nach Ansicht der Kommission ergibt sich aus dem Anhang des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr (vgl. Randnr. 5 des vorliegenden Beschlusses), dass die Schweizerische Eidgenossenschaft im Rahmen dieses Abkommens den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Anwendung von Artikel 8 der Verordnung Nr. 2408/92 gleichgestellt sei.

21      Angenommen, die Schweizerische Eidgenossenschaft wäre insoweit den Mitgliedstaaten gleichzustellen, so ist festzustellen, dass für Klagen wie die von ihr erhobene, wenn sie von einem Mitgliedstaat gegen eine auf der Grundlage von Artikel 8 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2408/92 ergangene Entscheidung der Kommission gerichtet werden, nunmehr in erster Instanz das Gericht zuständig ist, da es sich um Klagen nach Artikel 230 EG handelt, die nicht im Sinne von Artikel 225 EG einer gerichtlichen Kammer übertragen werden und auch nicht nach Artikel 51 der Satzung des Gerichtshofes in der Fassung der Entscheidung 2004/407 dem Gerichtshof vorbehalten sind.

22      Sollte die Schweizerische Eidgenossenschaft dagegen – insbesondere im Hinblick auf den besonderen Kontext des Abkommens EG–Schweiz über den Luftverkehr – nicht einem Mitgliedstaat mit der Folge der Anwendung von Artikel 230 Absatz 2 EG, sondern einer juristischen Person im Sinne von Absatz 4 dieses Artikels gleichzustellen sein, so wäre für die vorliegende Klage unter den in dieser Vertragsbestimmung vorgesehenen Voraussetzungen ebenfalls in erster Instanz das Gericht zuständig, so dass der Rechtsstreit nach Artikel 54 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes an das Gericht verwiesen werden müsste.

23      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die vorliegende Klage auf jeden Fall, entweder gemäß der Entscheidung 2004/407 oder gemäß Artikel 54 Absatz 2 der Satzung des Gerichtshofes, in erster Instanz vor dem Gericht zu erheben ist.

24      Die Rechtssache ist demnach zur Entscheidung über die Klage der Schweizerischen Eidgenossenschaft an das Gericht zu verweisen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) beschlossen:

Die Rechtssache C‑70/04 wird an das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften verwiesen.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Deutsch.