Language of document : ECLI:EU:T:2007:289

Rechtssache T‑201/04

Microsoft Corp.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Betriebssysteme für Client-PCs – Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver – Medienabspielprogramme mit Datenstrom-Kapazitäten – Entscheidung, mit der Zuwiderhandlungen gegen Art. 82 EG festgestellt werden – Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens, Interoperabilitätsinformationen zu liefern und ihre Nutzung zu gestatten – Vom marktbeherrschenden Unternehmen vorgenommene Kopplung der Lieferung seines Betriebssystems für Client-PCs an den gleichzeitigen Erwerb seines Medienabspielprogramms – Abhilfemaßnahmen – Einsetzung eines unabhängigen Überwachungsbeauftragten – Geldbuße – Festsetzung der Höhe – Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Entscheidung, die eine Würdigung komplexer wirtschaftlicher oder technischer Gegebenheiten erfordert

(Art. 81 EG und 82 EG)

2.      Verfahren – Klageschrift – Erwiderung – Formerfordernisse

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c)

3.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Begriff – Verpflichtungen des marktbeherrschenden Unternehmens

(Art. 82 EG)

4.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Begriff – Verpflichtungen des marktbeherrschenden Unternehmens

(Art. 82 EG)

5.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

6.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

7.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

8.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Relevanter Markt – Abgrenzung – Kriterien

(Art. 82 EG; Mitteilung 97/C 372/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Hebelwirkung

(Art. 82 EG)

10.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

11.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 CE)

12.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

13.    Völkerrechtliche Verträge – Verträge der Gemeinschaft – Vorrang allein vor dem abgeleiteten Recht – Folge für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS)

14.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Weigerung, eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen

(Art. 82 EG)

15.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Kopplungsverkauf

(Art. 82 EG)

16.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Kopplungsverkauf

(Art. 82 EG)

17.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Kopplungsverkauf

(Art. 82 EG)

18.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Kopplungsverkauf

(Art. 82 EG)

19.    Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Begriff – Verpflichtungen des marktbeherrschenden Unternehmens – Rein leistungsbezogener Wettbewerb

(Art. 82 EG)

20.    Nichtigkeitsklage – Gründe – Keine Möglichkeit der Berufung auf die WTO-Übereinkünfte, um die Rechtswidrigkeit einer Gemeinschaftshandlung geltend zu machen – Ausnahmen

(Art. 230 EG)

21.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Abhilfemaßnahmen

(Art. 82 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 3, 14 und 16)

22.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien

(Art. 82 EG)

1.      Der Gemeinschaftsrichter nimmt zwar grundsätzlich eine umfassende Prüfung der Frage vor, ob die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsregeln erfüllt sind, doch muss sich seine Überprüfung der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission darauf beschränken, ob die Verfahrensregeln und die Vorschriften über die Begründung eingehalten wurden, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

Soweit eine Entscheidung der Kommission das Ergebnis komplexer technischer Beurteilungen ist, unterliegen diese grundsätzlich ebenfalls einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle; dies bedeutet, dass der Gemeinschaftsrichter die von der Kommission vorgenommene Beurteilung des Sachverhalts nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen darf.

Auch wenn der Gemeinschaftsrichter anerkennt, dass der Kommission in wirtschaftlichen oder technischen Fragen ein Beurteilungsspielraum zusteht, bedeutet dies jedoch nicht, dass er eine Kontrolle der Auslegung derartiger Daten durch die Kommission unterlassen muss. Der Gemeinschaftsrichter muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.

(vgl. Randnrn. 87-89, 379, 482, 564)

2.      Nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Für die Zulässigkeit einer Klage ist es nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen sie beruht, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst ergeben. Zwar kann ihr Text zu speziellen Punkten durch Bezugnahmen auf bestimmte Abschnitte beigefügter Schriftstücke untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der Rechtsausführungen ausgleichen, die nach den oben genannten Vorschriften in der Klageschrift enthalten sein müssen.

Außerdem ist es nicht Sache des Gerichts, die Klagegründe und Argumente, auf die sich die Klage möglicherweise stützen lässt, in den Anlagen zu suchen und zu bestimmen, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis- und Hilfsfunktion.

Das Gericht kann nur Anlagen berücksichtigen, mit denen vom Kläger oder vom Beklagten in den Schriftsätzen ausdrücklich angeführte tatsächliche oder rechtliche Umstände untermauert oder ergänzt werden.

Diese Auslegung von Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts gilt auch für die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Erwiderung, die nach Art. 47 § 1 der Verfahrensordnung die Klageschrift ergänzen soll.

(vgl. Randnrn. 94-95, 99, 483)

3.      Art. 82 EG betrifft das Verhalten eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer, das in der missbräuchlichen Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung besteht, die es dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer erlaubt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Konkurrenten, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.

Die Feststellung des Vorliegens einer beherrschenden Stellung bedeutet zwar für sich genommen keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen; gleichwohl trägt es unabhängig von den Ursachen für eine solche Stellung eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt.

(vgl. Randnr. 229)

4.      Im Rahmen eines auf Art. 82 EG gestützten Verfahrens kann die Kommission den Begriff „Interoperabilität“ dahin gehend definieren, dass zwei Software-Produkte zum Austausch von Informationen und zur wechselseitigen Verwendung der ausgetauschten Informationen fähig sind, die es ermöglichen soll, dass jedes dieser Software-Produkte voll und ganz wie vorgesehen funktioniert; sie ist nicht an die Definition in der Richtlinie 91/250 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen gebunden, von der sie aber auch nicht abweicht.

In diesem Rahmen kann die Kommission bei der Beurteilung des „Interoperabilitätsgrads“ von Software-Produkten darauf abstellen, was ihres Erachtens im Hinblick auf Art. 82 EG erforderlich ist, um es den Entwicklern von Betriebssystemen für Arbeitsgruppenserver, die mit dem System des marktbeherrschenden Entwicklers konkurrieren, zu ermöglichen, auf dem Markt zu überleben. Ist erwiesen, dass der bestehende Interoperabilitätsgrad es diesen Entwicklern nicht ermöglicht, auf dem Markt zu überleben, dann folgt daraus, dass die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf diesem Markt beeinträchtigt wird.

Gibt die Kommission einem Unternehmen in beherrschender Stellung als Abhilfemaßnahme auf, „Interoperabilitätsinformationen“ offenzulegen, so verlangt sie damit eine eingehende technische Beschreibung bestimmter Regeln für die gegenseitige Verbindung und Interaktion, die in den Arbeitsgruppennetzwerken des Unternehmens für die Erbringung von Arbeitsgruppendiensten gelten. Diese Beschreibung erstreckt sich nicht auf die Art und Weise der Umsetzung der genannten Regeln durch das Unternehmen und betrifft daher insbesondere nicht die interne Struktur oder den Quellcode seiner Produkte.

Der somit von der Kommission herangezogene Interoperabilitätsgrad erlaubt es konkurrierenden Betriebssystemen, mit der Domänenarchitektur des beherrschenden Unternehmens zu den gleichen Bedingungen zu interoperieren, damit sie mit dessen Betriebssystemen nachhaltig in Wettbewerb treten können. Er impliziert nicht, dass die Produkte der Konkurrenten fähig sein müssen, in genau der gleichen Weise zu arbeiten wie die Produkte des beherrschenden Unternehmens, und erlaubt es dessen Konkurrenten nicht, Produkte oder bestimmte Produktmerkmale zu klonen oder zu reproduzieren.

(vgl. Randnrn. 192, 206, 225, 227-228, 230, 234, 236-238, 241, 259, 374-375)

5.      Im Rahmen einer Entscheidung, mit der die Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung geahndet wird, konkurrierenden Unternehmen Informationen über die Interoperabilität von Software-Produkten zu liefern, braucht die Kommission nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob an den Kommunikationsprotokollen des Unternehmens oder an deren Spezifikationen Rechte des geistigen Eigentums bestehen, und sie darf unterstellen, dass das Unternehmen solche Rechte geltend machen kann. Sie darf daher von der Prämisse ausgehen, dass die Weigerung, Interoperabilitätsinformationen zu liefern, möglicherweise keine bloße Weigerung ist, eine für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit unerlässliche Ware oder Dienstleistung zur Verfügung zu stellen, sondern eine Weigerung, einem Dritten eine Lizenz für Rechte des geistigen Eigentums zu erteilen. Sie wählt damit nämlich die juristisch strikteste und deshalb für das Unternehmen in beherrschender Stellung günstigste Lösung. In einem solchen Fall ist folglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Unternehmen in beherrschender Stellung gezwungen werden kann, eine Lizenz für Rechte des geistigen Eigentums zu erteilen.

(vgl. Randnrn. 283-284, 290)

6.      Die Unternehmen können zwar ihre Geschäftspartner grundsätzlich frei wählen; eine Lieferverweigerung seitens eines Unternehmens in beherrschender Stellung kann aber unter bestimmten Umständen, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist, ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 82 EG sein.

Die Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung, Dritten eine Lizenz für die Nutzung eines durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützten Erzeugnisses zu erteilen, kann als solche keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 82 EG darstellen.

Nur unter außergewöhnlichen Umständen kann die Ausübung des ausschließlichen Rechts durch den Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums zu einem solchen Missbrauch führen, aufgrund dessen es im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem Markt zulässig ist, in das ausschließliche Recht des Inhabers des geistigen Eigentums einzugreifen und ihn zu verpflichten, Dritten, die in diesen Markt eintreten oder sich dort halten wollen, Lizenzen zu erteilen.

Als außergewöhnlich sind insbesondere folgende Umstände als anzusehen: erstens, wenn die Weigerung Erzeugnisse oder Dienstleistungen betrifft, die für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auf einem benachbarten Markt unerlässlich sind, zweitens, wenn die Weigerung geeignet ist, jeglichen wirksamen Wettbewerb auf diesem benachbarten Markt auszuschließen, und drittens, wenn die Weigerung das Auftreten eines neuen Produkts verhindert, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht.

Ist erwiesen, dass solche Umstände vorliegen, so kann die Weigerung des Inhabers einer beherrschenden Stellung, eine Lizenz zu erteilen, gegen Art. 82 EG verstoßen, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Schließlich sind bei der Entscheidung darüber, ob eine Weigerung, Zugang zu Erzeugnissen oder Dienstleistungen zu gewähren, die für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit unerlässlich sind, als missbräuchlich angesehen werden kann, zwei Märkte zu unterscheiden, und zwar zum einen der Markt für die fraglichen Erzeugnisse oder Dienstleistungen, auf dem das Unternehmen, das die Weigerung ausspricht, eine beherrschende Stellung einnimmt, und zum anderen ein benachbarter Markt, auf dem die fraglichen Erzeugnisse oder Dienstleistungen für die Herstellung eines anderen Erzeugnisses oder die Erbringung einer anderen Dienstleistung verwendet werden. Die Tatsache, dass die unerlässlichen Erzeugnisse oder Dienstleistungen nicht getrennt vermarktet werden, schließt dabei nicht von vornherein die Möglichkeit aus, einen gesonderten Markt zu ermitteln. Es genügt, dass ein potenzieller oder auch nur hypothetischer Markt bestimmt werden kann. Dies ist der Fall, wenn die Erzeugnisse oder Dienstleistungen für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit unerlässlich sind und wenn nach ihnen eine tatsächliche Nachfrage seitens der Unternehmen besteht, die diese Tätigkeit ausüben wollen. Es ist entscheidend, dass zwei verschiedene Produktionsstufen bestimmt werden können, die dadurch miteinander verbunden sind, dass das vorgelagerte Erzeugnis ein für die Lieferung des nachgelagerten Erzeugnisses unerlässliches Element ist.

(vgl. Randnrn. 319, 331-335, 691, 1336)

7.      Bei der Anwendung von Art. 82 EG auf die Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung, eine Lizenz auf dem Markt der Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver zu erteilen, sind die „Interoperabilitätsinformationen“ vor allem deshalb als „unerlässlich“ anzusehen, weil die Interoperabilität von wesentlicher Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Markt ist, selbst wenn ihre mangelnde Verfügbarkeit nur zu einer allmählichen und nicht zu einer schlagartigen Ausschaltung des Wettbewerbs führt.

(vgl. Randnrn. 381, 428)

8.      In der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft heißt es: „Der sachlich relevante Produktmarkt umfasst sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, [ihrer] Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.“ Der Substituierbarkeit auf der Angebotsseite kann bei der Definition des relevanten Marktes dann ebenfalls Rechnung getragen werden, wenn sie sich genauso wirksam und unmittelbar auswirkt wie die Nachfragesubstituierbarkeit. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anbieter in Reaktion auf kleine, aber dauerhafte Änderungen bei den relativen Preisen in der Lage sind, ihre Produktion auf die relevanten Erzeugnisse umzustellen und sie kurzfristig auf den Markt zu bringen, ohne spürbare Zusatzkosten oder ‑risiken zu gewärtigen.

In Bezug auf die Betriebssysteme ist die Kommission zu dem Schluss berechtigt, dass es einen Markt der Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver gibt, der vom Markt der Betriebssysteme für Client-PCs zu trennen ist.

(vgl. Randnrn. 484-485, 531)

9.      Wirft die Kommission im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 82 EG einem Unternehmen vor, sein Quasi-Monopol auf einem Produktmarkt mittels einer „Hebelwirkung“ (leveraging) zur Beeinflussung eines anderen Produktmarkts genutzt zu haben, dann liegt der Ursprung des dem Unternehmen zur Last gelegten missbräuchlichen Verhaltens in seiner beherrschenden Stellung auf dem erstgenannten Produktmarkt. Selbst wenn die Kommission zu Unrecht annimmt, dass das Unternehmen eine beherrschende Stellung auf dem letztgenannten Produktmarkt innehat, könnte dies daher für sich genommen nicht ausreichen, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Kommission fälschlich vom Missbrauch einer beherrschenden Stellung ausgegangen ist.

(vgl. Randnr. 559)

10.    Bei der Anwendung von Art. 82 EG werden die Wendungen „den Wettbewerb auszuschalten droht“ und „geeignet, jeglichen Wettbewerb auszuschalten“, vom Gemeinschaftsrichter gleichermaßen verwendet, um denselben Gedanken zum Ausdruck zu bringen, dass nämlich Art. 82 EG nicht erst dann Anwendung findet, wenn auf dem Markt kein oder praktisch kein Wettbewerb mehr besteht. Es würde dem Zweck von Art. 82 EG, einen unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt zu erhalten und insbesondere den auf dem relevanten Markt noch bestehenden Wettbewerb zu schützen, klar zuwiderlaufen, wenn die Kommission abwarten müsste, bis die Konkurrenten vom Markt verdrängt wurden oder bis dies hinreichend kurz bevorsteht, bevor sie aufgrund dieser Vorschrift eingreifen könnte.

Im Fall der Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung, eine Lizenz auf dem Markt der Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver zu erteilen, ist die Kommission umso mehr berechtigt, Art. 82 EG vor der völligen Ausschaltung des Wettbewerbs anzuwenden, als dieser Markt durch erhebliche Netzwerkeffekte gekennzeichnet ist und die Ausschaltung des Wettbewerbs daher schwer rückgängig zu machen wäre.

Es muss nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs auf dem Markt nachgewiesen werden. Maßgebend für den Nachweis einer Verletzung von Art. 82 EG ist nämlich, dass die fragliche Weigerung jeglichen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt auszuschalten droht oder dazu geeignet ist. Dass die Konkurrenten des beherrschenden Unternehmens in marginaler Weise in bestimmten „Marktnischen“ präsent bleiben, kann nicht ausreichen, um auf die Existenz eines solchen Wettbewerbs zu schließen.

(vgl. Randnrn. 561-563, 593)

11.    Die Tatsache, dass das einem Unternehmen in beherrschender Stellung zur Last gelegte Verhalten das Auftreten eines neuen Produkts auf dem Markt verhindert, ist im Kontext von Art. 82 Abs. 2 Buchst. b EG zu berücksichtigen, der Missbräuche verbietet, die in „der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“ bestehen.

Das Auftreten eines neuen Produkts kann nicht der einzige Parameter sein, anhand dessen geklärt werden kann, ob eine Weigerung, für ein Recht des geistigen Eigentums eine Lizenz zu erteilen, den Verbrauchern im Sinne von Art. 82 Abs. 2 Buchst. b EG schaden kann. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kann ein solcher Schaden nicht nur bei einer Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes eintreten, sondern auch dann, wenn die technische Entwicklung eingeschränkt wird.

Art. 82 EG zielt nicht nur auf Praktiken ab, durch die die Verbraucher unmittelbar geschädigt werden können, sondern auch auf Verhaltensweisen, die ihnen mittelbar durch einen Eingriff in eine Struktur wirksamen Wettbewerbs Schaden zufügen.

(vgl. Randnrn. 643, 647, 664)

12.    Die Kommission trägt zwar die Beweislast für das Vorliegen der Umstände, aus denen sich ein Verstoß gegen Art. 82 EG ergibt; es ist jedoch Sache des betroffenen beherrschenden Unternehmens und nicht der Kommission, vor dem Ende des Verwaltungsverfahrens gegebenenfalls eine etwaige objektive Rechtfertigung geltend zu machen und dafür Argumente und Beweise vorzubringen. Dann hat die Kommission, wenn sie einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung feststellen will, darzutun, dass die von dem Unternehmen vorgebrachten Argumente und Beweise nicht stichhaltig sind und dass folglich die geltend gemachte Rechtfertigung nicht durchgreifen kann.

Die bloße Tatsache, dass ein Produkt durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt wird, kann keine objektive Rechtfertigung für die Weigerung darstellen, eine Lizenz zu erteilen. Könnte nämlich das bloße Innehaben von Rechten des geistigen Eigentums für sich genommen eine objektive Rechtfertigung für eine solche Weigerung sein, so wäre die in der Rechtsprechung ausgearbeitete Ausnahme nie anwendbar.

Es ist daher Sache eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das geltend macht, wenn es Dritten Zugang zu einer durch Rechte des geistigen Eigentums geschützten Technologie gewähren würde, hätte dies erhebliche negative Auswirkungen auf seine Innovationsanreize, dafür den Nachweis zu erbringen.

(vgl. Randnrn. 688-690, 697, 1144)

13.    Der Vorrang der von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts gebietet es, Letztere nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen. Dieser Grundsatz konformer Auslegung kommt nur dann zur Anwendung, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag Vorrang vor den Bestimmungen des einschlägigen Gemeinschaftsrechts hat. Da ein völkerrechtlicher Vertrag wie das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) keinen Vorrang vor dem Primärrecht der Gemeinschaft hat, kann dieser Grundsatz nicht zur Anwendung kommen, wenn die auszulegende Bestimmung Art. 82 EG ist.

Außerdem hat die Kommission in einem Fall, in dem sie Art. 82 EG auf die konkreten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten anzuwenden hat und in dem – mangels Gegenbeweises – davon auszugehen ist, dass die Schlussfolgerungen, die sie insoweit gezogen hat, die einzig möglichen Schlussfolgerungen sind, genau genommen keine Wahl zwischen verschiedenen möglichen Auslegungen einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu treffen.

(vgl. Randnrn. 797-799)

14.    Ahndet die Kommission eine Verletzung von Art. 82 EG und gibt einem Unternehmen in beherrschender Stellung auf, die „Interoperabilitätsinformationen“ denjenigen Unternehmen zugänglich zu machen, die Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver entwickeln und vertreiben wollen, und ihnen zu gestatten, diese Informationen zu Bedingungen zu nutzen, die „angemessen und frei von Diskriminierungen“ sind, so hindert dies das betreffende Unternehmen nicht daran, die Informationen mittels einer Lizenz zugänglich zu machen, wenn sie sich auf eine Technologie beziehen, die durch ein Patent oder ein anderes Recht des geistigen Eigentums geschützt wird.

Die Tatsache, dass die Bedingungen etwaiger Lizenzen angemessen und frei von Diskriminierungen sein müssen, bedeutet nicht, dass das Unternehmen in beherrschender Stellung jedem Unternehmen, das solche Lizenzen erhalten möchte, genau die gleichen Bedingungen auferlegen muss. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, diese Bedingungen der besonderen Situation jedes Unternehmens anzupassen und z. B. vom Umfang der gewünschten Informationen oder von der Art der Produkte abhängig zu machen, in denen sie implementiert werden sollen.

(vgl. Randnrn. 808, 810-811)

15.    Bei der Entscheidung darüber, ob das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung ein missbräuchliches Kopplungsgeschäft darstellt, ist die Kommission berechtigt, sich auf folgende vier Kriterien zu stützen: Erstens handelt es sich bei dem Kopplungsprodukt und dem daran gekoppelten Produkt um zwei gesonderte Produkte, zweitens verfügt das betreffende Unternehmen auf dem Markt für das Kopplungsprodukt über eine beherrschende Stellung, drittens gibt das genannte Unternehmen den Verbrauchern nicht die Möglichkeit, das Kopplungsprodukt ohne das daran gekoppelte Produkt zu beziehen, und viertens wird durch die fragliche Praxis der Wettbewerb eingeschränkt. Die Kommission berücksichtigt zudem, dass das Kopplungsgeschäft objektiv nicht gerechtfertigt war.

Eine solche Rechtfertigung kann nicht aus den Vorteilen abgeleitet werden, die sich daraus ergeben würden, dass ein Kopplungsgeschäft das einheitliche Vorhandensein eines Produkts auf dem Markt garantieren würde. Dieses Ergebnis darf nämlich nicht einseitig von einem Unternehmen in beherrschender Stellung durch Kopplungsgeschäfte aufgezwungen werden.

Da die Aufzählung der missbräuchlichen Verhaltensweisen in Art. 82 EG nicht abschließend ist, kann ein Kopplungsgeschäft eines Unternehmens in beherrschender Stellung auch dann gegen Art. 82 EG verstoßen, wenn es nicht dem in Art. 82 Abs. 2 Buchst. d EG aufgeführten Beispiel entspricht. Die Kommission ist daher berechtigt, ihrer Feststellung, dass ein missbräuchliches Kopplungsgeschäft vorliege, Art. 82 EG insgesamt und nicht nur Art. 82 Abs. 2 Buchst. d EG zugrunde zu legen.

(vgl. Randnrn. 842-843, 852, 859-861, 1151-1152)

16.    Die Frage, ob gesonderte Produkte vorliegen, ist im Rahmen einer Prüfung nach Art. 82 EG unter Berücksichtigung der Verbrauchernachfrage zu beurteilen. Dabei kann weder von gesonderten Produkten noch von einem missbräuchlichen Kopplungsgeschäft die Rede sein, wenn es an einer eigenständigen Nachfrage nach dem mutmaßlich gekoppelten Produkt fehlt.

Komplementäre Produkte können gesonderte Produkte im Sinne des Art. 82 EG darstellen.

Der Umstand, dass auf dem Markt unabhängige, auf die Herstellung und den Verkauf des gekoppelten Produkts spezialisierte Unternehmen tätig sind, ist ein wichtiges Indiz dafür, dass ein gesonderter Markt für dieses Produkt besteht.

Der Umstand, dass ein Kopplungsgeschäft in Form einer technischen Integration eines Produkts in ein anderes erfolgt, hat nicht zur Folge, dass die Integration bei der Beurteilung ihrer Auswirkung auf den Markt nicht als Kopplungsverkauf zweier gesonderter Produkte eingestuft werden kann.

Überdies kann ein Kopplungsverkauf von zwei Erzeugnissen auch dann, wenn er dem Handelsbrauch entspricht oder wenn zwischen diesen beiden Erzeugnissen sachlich eine Beziehung besteht, einen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG darstellen, es sei denn, dass er objektiv gerechtfertigt ist.

Betriebssysteme für Client-PCs und Medienabspielprogramme mit Datenstrom-Kapazitäten stellen angesichts des Wesens und der technischen Merkmale der betreffenden Produkte, der Marktbeobachtungen, der Entwicklungsgeschichte der Produkte sowie der Handelspraxis des Unternehmens in beherrschender Stellung auf dem Markt der Betriebssysteme für Client-PCs zwei gesonderte Produkte im Sinne von Art. 82 EG dar.

(vgl. Randnrn. 917-918, 921-922, 925, 927, 933, 935, 942, 1341)

17.    In Bezug auf Kopplungsgeschäfte ergibt sich weder aus Art. 82 Abs. 2 Buchst. d EG noch aus der Rechtsprechung, dass nur dann, wenn die Verbraucher für das gekoppelte Produkt ein bestimmtes Entgelt zahlen müssen, davon ausgegangen werden kann, dass ihnen zusätzliche Leistungen im Sinne der genannten Vorschrift aufgedrängt werden.

Im Übrigen verlangt weder Art. 82 Abs. 2 Buchst. d EG noch die Rechtsprechung zu Kopplungsgeschäften, dass die Voraussetzung der Abhängigkeit des Abschlusses von Verträgen von der Annahme zusätzlicher Leistungen nur dann als erfüllt angesehen werden darf, wenn die Verbraucher gezwungen sind, das gekoppelte Produkt zu nutzen, oder gehindert sind, das von einem Konkurrenten des beherrschenden Unternehmens gelieferte Produkt zu nutzen.

(vgl. Randnrn. 969-970)

18.    Zwar enthält weder Art. 82 Abs. 2 Buchst. d EG noch Art. 82 EG allgemein eine Bezugnahme auf die wettbewerbswidrige Wirkung der betreffenden Vorgehensweise, doch wird eine Verhaltensweise grundsätzlich nur dann als missbräuchlich angesehen, wenn sie den Wettbewerb beschränken kann.

Im Rahmen der Anwendung von Art. 82 EG auf Kopplungsgeschäfte kann die Kommission die konkreten Auswirkungen eines Kopplungsgeschäfts auf dem Markt sowie dessen mutmaßliche weitere Entwicklung untersuchen, statt sich – wie sonst normalerweise in den Fällen missbräuchlicher Kopplungsgeschäfte – auf die Erwägung zu beschränken, dass das genannte Kopplungsgeschäft per se eine Ausschlusswirkung auf dem Markt entfaltet; dies bedeutet nicht, dass sie eine neue Rechtstheorie angewandt hat.

Bündelt ein Unternehmen, das auf dem Markt der Betriebssysteme für Client-PCs eine beherrschende Stellung einnimmt, ein Medienabspielprogramm mit Datenstrom-Kapazitäten mit dem Betriebssystem für Client-PCs – das auf den meisten weltweit verkauften Client-PCs vorinstalliert ist –, ohne dass Ersteres von Letzterem getrennt werden kann, so kommt dem Medienabspielprogramm die Omnipräsenz des genannten Betriebssystems bei Client-PCs zugute, die die anderen Vertriebswege der Medienabspielprogramme nicht ausgleichen können. Das Kopplungsgeschäft verschafft dem Medienabspielprogramm damit weltweit eine beispiellose Präsenz auf den Client-PCs, weil es automatisch einen dem Betriebssystem für Client-PCs des Unternehmens in beherrschender Stellung entsprechenden Grad der Marktdurchdringung erreichen kann, ohne mit den konkurrierenden Produkten in einen Leistungswettbewerb treten zu müssen. Ein solches Kopplungsgeschäft kann zudem nicht unerheblichen Einfluss auf die Inhalteanbieter und die Softwareentwickler haben, da der Markt der Medienabspielprogramme mit Datenstrom-Kapazitäten durch bedeutende mittelbare Netzwerkeffekte gekennzeichnet ist.

(vgl. Randnrn. 867, 1035-1036, 1038, 1058, 1060-1061)

19.    Art. 82 EG zielt darauf ab, einem beherrschenden Unternehmen zu verbieten, seine eigene Stellung zu stärken, indem es zu anderen Mitteln als denjenigen eines Leistungswettbewerbs greift.

(vgl. Randnr. 1070)

20.    Die Übereinkünfte der Welthandelsorganisation (WTO) gehören wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften, an denen der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst. Nur wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf konkrete Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist, ist es Sache des Gemeinschaftsrichters, die Rechtmäßigkeit der fraglichen Gemeinschaftshandlung an den Vorschriften der WTO zu messen.

Jedenfalls lässt sich den Bestimmungen des Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) nichts entnehmen, das die Wettbewerbsbehörden der WTO-Mitglieder an der Anordnung von Abhilfemaßnahmen hindern würde, die die Verwertung von Rechten des geistigen Eigentums eines Unternehmens in beherrschender Stellung beschränken oder regeln, wenn es diese Rechte in wettbewerbswidriger Weise ausübt. So ergibt sich aus Art. 40 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens ausdrücklich, dass die WTO-Mitglieder den Missbrauch solcher Rechte regeln dürfen, um nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb zu vermeiden.

(vgl. Randnrn. 801-802, 1189-1190, 1192)

21.    Stellt die Kommission in einer Entscheidung fest, dass ein Unternehmen gegen Art. 82 EG verstoßen hat, so hat dieses Unternehmen unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sein Verhalten mit dieser Vorschrift in Einklang zu bringen, und zwar auch dann, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung keine spezifischen Maßnahmen vorgeschrieben hat. Sind in der Entscheidung Abhilfemaßnahmen vorgesehen, so ist das betreffende Unternehmen verpflichtet, diese Maßnahmen – unter Übernahme aller damit verbundenen Kosten – umzusetzen, da ihm andernfalls Zwangsgelder nach Art. 16 der Verordnung Nr. 17 auferlegt werden können.

Die Kommission darf die ihr durch die Verordnung Nr. 17 verliehenen Ermittlungs- und Durchführungsbefugnisse nicht auf einen Dritten übertragen. Dagegen darf sie überwachen, ob das betreffende Unternehmen die in einer Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, angeordneten Abhilfemaßnahmen durchführt, und sich vergewissern, dass die übrigen zur Beseitigung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Zuwiderhandlung erforderlichen Maßnahmen unverzüglich und vollständig durchgeführt werden. Zu diesem Zweck ist sie berechtigt, von den Untersuchungsbefugnissen nach Art. 14 der Verordnung Nr. 17 Gebrauch zu machen und gegebenenfalls einen externen Sachverständigen hinzuzuziehen, um u. a. Aufschluss über technische Fragen zu erhalten.

Zudem kann die Kommission, wenn sie beschließt, sich von einem externen Sachverständigen unterstützen zu lassen, diesem Informationen und Dokumente übermitteln, die sie im Rahmen der Ausübung ihrer Untersuchungsbefugnisse nach Art. 14 der Verordnung Nr. 17 erlangt hat.

Mit der Schaffung eines Überwachungsmechanismus, zu dem die Einsetzung eines unabhängigen Überwachungsbeauftragten gehört, der aus eigener Initiative und auf Ersuchen Dritter tätig werden soll, dessen Rolle sich nicht darauf beschränkt, dem betreffenden Unternehmen Fragen zu stellen und der Kommission über die Antworten zu berichten, und der zeitlich unbeschränkt Zugang zu Informationen, Unterlagen, den Geschäftsräumen und den Mitarbeitern sowie zum Quellcode der einschlägigen Produkte hat, geht die Kommission viel weiter, als wenn sie ihren eigenen externen Sachverständigen einsetzt, um sich bei einer Überprüfung der Umsetzung von Abhilfemaßnahmen von ihm beraten zu lassen.

Überdies enthält die Verordnung Nr. 17 keine Bestimmung, die die Kommission dazu berechtigt, den Unternehmen die Kosten aufzuerlegen, die ihr selbst durch die Überwachung der Umsetzung von Abhilfemaßnahmen entstehen.

Die Kommission hat nämlich in ihrer Eigenschaft als mit der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft betraute Behörde in unabhängiger, objektiver und unparteiischer Weise für die Umsetzung der Entscheidungen zu sorgen, mit denen eine Zuwiderhandlung festgestellt wird. Es wäre mit der Verantwortung, die sie insoweit trägt, unvereinbar, wenn die wirksame Umsetzung des Gemeinschaftsrechts davon abhängig wäre oder beeinflusst würde, ob das Unternehmen, an das sich die Entscheidung richtet, zur Tragung solcher Kosten gewillt und fähig ist.

Zudem ist das Ermessen der Kommission bei der Entscheidung über Abhilfemaßnahmen, die Unternehmen auferlegt werden, damit sie eine Zuwiderhandlung beenden, nicht unbegrenzt. Im Rahmen der Anwendung von Art. 3 der Verordnung Nr. 17 verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Belastungen, die den Unternehmen auferlegt werden, damit sie eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beenden, nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Ziels – Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften – angemessen und erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 1256, 1264-1266, 1268-1270, 1274-1276)

22.    Im Fall eines Unternehmens, das seine beherrschende Stellung in zweifacher Weise missbraucht hat, darf die Kommission, wenn sie im Rahmen der Bußgeldbemessung die Schwere der Zuwiderhandlung beurteilt, berücksichtigen, dass diese beiden Missbräuche Teil einer Hebelstrategie sind, die darauf abzielt, die beherrschende Stellung auf einem Produktmarkt zu nutzen, um sie auf andere benachbarte Märkte auszudehnen.

Ferner kann die Kommission in einem solchen Fall einen einzigen Ausgangsbetrag der Geldbuße für beide Missbräuche festlegen, ohne dass sie erläutern muss, wie er sich auf die beiden Missbräuche verteilt.

Aus der Begründungspflicht folgt nicht, dass die Kommission in ihrer Entscheidung bezifferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbußen machen muss.

Die Kommission darf zur Gewährleistung einer hinreichenden Abschreckungswirkung der Geldbuße und in Anbetracht der erheblichen Wirtschaftskraft des Unternehmens in beherrschender Stellung einen Multiplikator auf diesen Ausgangsbetrag anwenden. Dabei kann berücksichtigt werden, dass die Gefahr besteht, dass das Unternehmen künftig eine gleichartige Zuwiderhandlung mit anderen Produkten begehen wird.

(vgl. Randnrn. 1344, 1352, 1360-1361, 1363)