Language of document : ECLI:EU:F:2008:68

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION (Erste Kammer)

23. Mai 2008(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Ruhegehälter – Hinterbliebenenversorgung – Auszahlung zu 50 % wegen eines weiteren hinterbliebenen Ehegatten – Unzulässigkeit – Verspäteter Eingang der Beschwerde – Zwingende Prozessvoraussetzung – Prüfung von Amts wegen – Zeitliche Geltung der Verfahrensordnung des Gerichts“

In der Rechtssache F‑79/07

betreffend eine Klage nach den Art. 236 EG und 152 EA,

Kurt-Wolfgang Braun-Neumann, wohnhaft in Merzig (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. Ames,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch J. F. De Wachter, K. Zejdová und S. Seyr als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kreppel sowie der Richter H. Tagaras (Berichterstatter) und S. Gervasoni,

Kanzlerin: W. Hakenberg,


folgenden

Beschluss

1        Mit Klageschrift, die am 31. Juli 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Herr Braun-Neumann beantragt, das Europäische Parlament zu verurteilen, ihm rückwirkend ab 1. August 2004 die weitere Hälfte der Hinterbliebenenpension nach seiner verstorbenen Ehefrau Gisela Mandt, geborene Neumann (im Folgenden: Frau Mandt), in Höhe von monatlich 1 670,84 Euro zuzüglich Zinsen entsprechend dem Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank (EZB), erhöht um 3 %, zu zahlen.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 79 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) bestimmt:

„Der überlebende Ehegatte eines Beamten oder eines ehemaligen Beamten hat unter den in Anhang VIII Kapitel 4 vorgesehenen Bedingungen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts oder des Invalidengelds, das der Beamte bezogen hat oder das ihm zugestanden hätte, wenn er ohne die Voraussetzung einer Mindestdienstzeit oder eines Mindestalters zum Zeitpunkt seines Todes hierauf Anspruch gehabt haben würde.

…“

3        Art. 18 Abs. 1 des Anhangs VIII des Statuts sieht vor:

„Der überlebende Ehegatte des ehemaligen Beamten, der ein Ruhegehalt bezog, hat vorbehaltlich des Artikels 22 und sofern die Ehe vor dem Ausscheiden aus dem Dienst geschlossen worden war und mindestens ein Jahr bestand, Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung in Höhe von 60 v. H. des Ruhegehalts, das der ehemalige Beamte am Tag seines Todes bezog. …“

 Sachverhalt

4        Frau Mandt, eine deutsche Staatsangehörige, trat am 1. Januar 1964 ihren Dienst beim Parlament an.

5        Der Kläger, ebenfalls deutscher Staatsangehöriger, und Frau Mandt schlossen am 3. Mai 1993 in Straubing (Deutschland) die Ehe und ließen sich in Vezin (Belgien) nieder.

6        Frau Mandt beantragte im März 1995, als die Ehegatten ihren Wohnsitz in Vezin hatten, beim Tribunal de première instance de Namur (Belgien) die Scheidung der Ehe. Der Kläger erschien in der Scheidungsverhandlung vom 7. Juli 1995 nicht, so dass die Ehe am 6. September 1995 durch Versäumnisurteil des Tribunal de première instance de Namur geschieden wurde. Der Kläger, dem dieses Urteil nach seiner Einlassung erst im Dezember 1995 zugestellt wurde, gibt an, zu diesem Zeitpunkt ein Rechtsmittel dagegen eingelegt zu haben.

7        Im Dezember 1996 soll Frau Mandt beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz die Anerkennung dieses Urteils in Deutschland beantragt haben. Mit Entscheidung vom 23. Dezember 1998 stellte das Bayerische Staatsministerium der Justiz fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des belgischen Scheidungsurteils gegeben seien.

8        Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Einspruch beim Bayerischen Obersten Landesgericht ein, das mit Beschluss vom 11. Oktober 1999 entschied, dass das belgische Scheidungsurteil insbesondere deshalb nicht anerkannt werden könne, weil die Verteidigungsrechte des Klägers nicht gewahrt worden seien.

9        Am 25. April 2000 schloss Frau Mandt, die zu dieser Zeit in Brüssel (Belgien) wohnte, in New York (Vereinigte Staaten) die Ehe mit Herrn Mandt, einem in Deutschland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen.

10      Frau Mandt schied am 28. Februar 2001 aus dem Dienst beim Parlament aus und bezog daraufhin ein Ruhegehalt. Als sie am 25. Juli 2004 verstarb, gewährte das Parlament Herrn Mandt, der in der übermittelten Sterbeurkunde als hinterbliebener Ehegatte angegeben war, die Hinterbliebenenversorgung.

11      Zuvor hatte der Kläger beim Amtsgericht-Familiengericht Merzig ein Scheidungsverfahren eingeleitet. Mit Urteil vom 25. August 2004 sprach dieses Gericht in der mündlichen Verhandlung vom selben Tag und unter Hinweis darauf, dass Frau Mandt dem Scheidungsantrag nicht entgegengetreten sei, die Scheidung der Ehe der Parteien aus.

12      Mit Verfügung vom 21. Januar 2005 stellte das Amtsgericht-Familiengericht Merzig fest, dass das Scheidungsverfahren in der Hauptsache als erledigt anzusehen sei, da die Ehe des Klägers mit Frau Mandt durch deren Ableben am 25. Juli 2004 aufgelöst worden sei.

13      In einem Verfahren, das vom Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein von Amts wegen eingeleitet worden sein soll, stellte das Amtsgericht Siegen fest, dass Frau Mandt sowohl mit Herrn Mandt als auch – da die Ehe nicht wirksam geschieden worden sei – mit dem Kläger verheiratet gewesen sei, und verfügte mit Beschluss vom 25. Januar 2006, dass der Sterbeeintrag von Frau Mandt dahin zu berichtigen sei, dass darin neben Herrn Mandt auch der Kläger als Ehegatte von Frau Mandt anzugeben sei (im Folgenden: Beschluss vom 25. Januar 2006).

14      Mit Schreiben vom 29. März und vom 13. April 2006 übermittelte der Kläger dem Parlament den Beschluss vom 25. Januar 2006, dem eine am 23. März 2006 ausgestellte Sterbeurkunde von Frau Mandt beigefügt war, die die in der vorstehenden Randnummer erwähnte Berichtigung widerspiegelte, und machte seine Rechte als hinterbliebener Ehegatte geltend.

15      Mit Schreiben vom 8. September 2006 teilte das Parlament dem Kläger mit, dass aus dessen Schreiben vom 29. März und vom 13. April 2006 hervorgehe, dass die deutschen Behörden das Bestehen einer Ehe zwischen ihm und Frau Mandt zum Zeitpunkt ihres Todes anerkennten. Das Parlament beschloss daher, dem Kläger ab 1. April 2006, d. h. ab dem ersten Tag des Monats, der auf die Stellung seines Antrags folgte, 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Mandt zu zahlen (im Folgenden: Schreiben vom 8. September 2006). Das Parlament bat den Kläger außerdem, die diesem Schreiben beiliegenden Formulare von ihm und seiner Bank ordnungsgemäß ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden, um ihm seinen Anteil der Hinterbliebenenversorgung überweisen zu können. Mit Schreiben vom selben Tag teilte das Parlament Herrn Mandt mit, dass von der Hinterbliebenenversorgung, die dieser seit dem 1. August 2004 in voller Höhe bezogen hatte, ab dem 1. April 2006 die Hälfte abgezogen werde.

16      Mit Schreiben vom 20. September 2006 übermittelte der Kläger dem Parlament unter Bezugnahme auf dessen Schreiben vom 8. September 2006 wunschgemäß die ordnungsgemäß ausgefüllten und unterschriebenen Formulare.

17      Am 18. Oktober 2006 erstellte das Parlament den Feststellungsbescheid über Versorgungsbezüge, den es dem Kläger mit einem Begleitschreiben vom 20. Oktober 2006 übersandte (im Folgenden: Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006).

18      Mit Schreiben vom 19. Januar 2007 legte der Kläger eine Beschwerde ein und stellte einen Antrag auf die gesamte Hinterbliebenenversorgung ab dem 1. August 2004, d. h. dem ersten Tag des auf das Ableben von Frau Mandt folgenden Monats, oder, hilfsweise, ab dem 1. April 2005, d. h. dem ersten Tag des Monats, der auf seinen ersten beim Parlament eingereichten Antrag auf Hinterbliebenenversorgung folgte.

19      Mit Entscheidung vom 2. Mai 2007 gab das Parlament der Beschwerde des Klägers teilweise statt. Es stellte fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf den Gesamtbetrag der Hinterbliebenenversorgung habe, weil auch Herr Mandt hinterbliebener Ehegatte von Frau Mandt sei, beschloss jedoch, ihm für die Zeit vom 1. August 2004 bis zum 31. März 2006 die Hälfte der Hinterbliebenenversorgung nachzuzahlen, weil sein Anspruch auf die Hinterbliebenenversorgung mit dem ersten Tag des auf den Sterbemonat von Frau Mandt folgenden Kalendermonats entstanden sei.

 Anträge der Parteien und Verfahren

20      Der Kläger beantragt,

–        das Parlament zu verurteilen, ihm rückwirkend ab dem 1. August 2004 die weitere Hälfte der Hinterbliebenenpension nach Frau Mandt in Höhe von monatlich 1 670,84 Euro zuzüglich Zinsen entsprechend dem Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität der EZB, erhöht um 3 %, zu zahlen;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

21      Das Parlament beantragt,

–        die Klage als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet abzuweisen;

–        über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

22      Um die Vorbereitung der Entscheidung, den Ablauf des Verfahrens und die Erledigung des Rechtsstreits unter den bestmöglichen Bedingungen zu gewährleisten, hat das Gericht zweimal prozessleitende Maßnahmen beschlossen. Hierbei hat es sich auf Art. 55 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung gestützt, die am 1. November 2007 in Kraft getreten ist (ABl. L 225, S. 1).

23      Im Rahmen der ersten vom Gericht beschlossenen prozessleitenden Maßnahmen, die den Parteien mit Schreiben vom 7. Dezember 2007 zur Kenntnis gebracht worden sind, hat das Gericht die Parteien aufgefordert, bestimmte Unterlagen vorzulegen, zu bestimmten Aspekten des Rechtsstreits Stellung zu nehmen und bestimmte Angaben zum Rechtsstreit zu machen. Die Parteien sind diesen prozessleitenden Maßnahmen innerhalb der gesetzten Fristen nachgekommen.

24      Im Rahmen der zweiten vom Gericht beschlossenen prozessleitenden Maßnahmen, die den Parteien mit Schreiben vom 10. Januar 2008 zur Kenntnis gebracht worden sind, hat das Gericht die Parteien aufgefordert, ihm mitzuteilen und, falls möglich, zu belegen, mit welchen Mitteln auch immer, an welchem Tag der Kläger den Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006 und an welchem Tag das Parlament die Beschwerde des Klägers vom 19. Januar 2007 erhalten hat.

25      Mit diesem Schreiben vom 10. Januar 2008 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass es erwägt, gemäß Art. 77 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob nicht wegen des nicht regelgerechten Ablaufs des Vorverfahrens aufgrund des verspäteten Eingangs der Beschwerde des Klägers eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung fehlt. Die Beschwerde war nämlich am 19. Januar 2007 eingelegt worden, nachdem das Parlament dem Kläger mit Schreiben vom 8. September 2006 mitgeteilt hatte, dass seinem Antrag auf Hinterbliebenenversorgung teilweise stattgegeben werde. Die Parteien – der Kläger mit Schreiben, das am 24. Januar 2008 per Fernkopie (und am 4. Februar 2008 als Original) bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, und das Parlament mit Schreiben, das am 25. Januar 2008 bei der Kanzlei eingegangen ist – sind diesen zweiten prozessleitenden Maßnahmen nachgekommen und haben zur Prüfung des Vorliegens der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen Stellung genommen.

 Rechtliche Erwägungen

 Vorbringen der Parteien

 Zur Einrede der Unzulässigkeit und zur Prüfung der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen

26      Das Parlament macht geltend, die Klage sei unzulässig. Das Gericht könne in der vorliegenden Rechtssache nicht entscheiden, weil der Kläger entgegen der Gemeinschaftsrechtsprechung nicht die Aufhebung eines ihn beschwerenden Rechtsakts beantragt habe und der Antrag auf Verurteilung des Parlaments als einziger Antrag keinen Bestand haben könne.

27      Was das vom Gericht angesprochene Fehlen einer Prozessvoraussetzung betrifft, ist der Kläger der Ansicht, dass nur der Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006 einen beschwerenden Akt darstellen könne, da das Schreiben vom 8. September 2006 lediglich ein „formloses Schreiben“ gewesen sei. Unabhängig davon sei zu bemerken, dass weder der Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006 noch das Schreiben vom 8. September 2006 eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel und die insoweit einzuhaltenden Fristen enthalte und dass daher nicht darauf abgestellt werden könne, dass der Kläger die Beschwerdefrist von drei Monaten nicht eingehalten habe. Im Übrigen wäre ein etwaiges Fristversäumnis aufgrund der Entscheidung vom 2. Mai 2007 über die Zurückweisung der Beschwerde geheilt, mit der das Parlament in der Sache entschieden und damit gezeigt habe, dass eine etwaige Fristversäumnis unerheblich sei.

28      Das Parlament ist der Ansicht, dass die vom Gericht angesprochene Prozessvoraussetzung tatsächlich fehlt, da die „Entscheidung“ vom 8. September 2006 als beschwerender Akt zu qualifizieren sei; mit diesem Schreiben sei dem Kläger nämlich mitgeteilt worden, dass seinem Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nur in Höhe von 50 % stattgegeben werde. Das Parlament kenne zwar nicht den genauen Tag, an dem der Kläger dieses Schreiben erhalten habe. Dieser habe jedoch in seinem Schreiben an das Parlament vom 20. September 2006 auf das Schreiben vom 8. September 2006 Bezug genommen, so dass er spätestens am 20. September 2006 davon Kenntnis gehabt haben müsse. Daraus folge, dass die am 19. Januar 2007 eingereichte Beschwerde verspätet eingelegt worden und die Klage unzulässig sei.

 Zur Begründetheit

29      Der Kläger beantragt die Zahlung der vollen Hinterbliebenenversorgung, da er erstens der einzige „rechtmäßige“ Ehegatte von Frau Mandt gewesen sei, zweitens die zweite Ehe „nicht rechtsgültig“ sei, drittens das Scheidungsurteil des Tribunal de première instance de Namur vom 6. September 1995 wegen des von ihm dagegen eingelegten Rechtsmittels nicht rechtskräftig geworden sei (vgl. Randnr. 6 des vorliegenden Beschlusses) und viertens Herr Mandt von der Hinterbliebenenversorgung auszuschließen sei. Außerdem sei die Entscheidung des Parlaments vom 2. Mai 2007 auf Bestimmungen des deutschen Eherechts gestützt, die nicht mehr in Kraft seien.

30      Das Parlament bestreitet zum einen die Zulässigkeit des Klagegrundes, mit dem ein Verstoß gegen deutsches Recht geltend gemacht wird, und trägt vor, dass sich seine Entscheidung, die Hinterbliebenenversorgung unter den beiden hinterbliebenen Ehegatten aufzuteilen, auf die Entscheidungen der deutschen Justiz- und Verwaltungsbehörden stütze, nämlich auf die Sterbeurkunde von Frau Mandt und den Beschluss vom 25. Januar 2006; der Gemeinschaftsrichter sei nicht befugt, zu überprüfen, ob nationale Behörden nationales Recht richtig angewandt hätten. Zum anderen führt das Parlament zu den die Begründetheit betreffenden Klagegründen aus, dass es in Anbetracht der Entscheidungen der deutschen Justiz- und Verwaltungsbehörden, insbesondere der Sterbeurkunde von Frau Mandt und des Beschlusses vom 25. Januar 2006, die es weder beurteilen noch abändern könne, den Kläger nicht als „einzigen legitimen Ehegatten“ habe betrachten können und deshalb das förmliche Bestehen der zweiten Ehe von Frau Mandt mit Herrn Mandt, die durch das deutsche Recht anerkannt sei, habe berücksichtigen müssen. Ferner räumt das Parlament ein, fälschlicherweise auf bestimmte Vorschriften des deutschen Rechts Bezug genommen zu haben, die nicht mehr in Kraft seien, doch seien die Regelungen über die Aufhebung einer Ehe sachlich die gleichen geblieben.

 Würdigung durch das Gericht

31      Was die vom Gericht nach Art. 77 seiner Verfahrensordnung von Amts wegen aufgeworfene Frage des Fehlens einer Prozessvoraussetzung angeht, kann das Gericht jederzeit von Amts wegen nach Anhörung der Parteien darüber entscheiden, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen. Dieser Artikel bestimmt weiter, dass das Gericht ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden kann, der mit Gründen zu versehen ist, wenn es sich für ausreichend unterrichtet hält.



32      Nach ständiger Rechtsprechung sind Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar. Allerdings beurteilt sich die Zulässigkeit einer Klage nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Klageerhebung.

33      Daraus folgt, dass zwar Art. 77 der Verfahrensordnung, wonach das Gericht nach Anhörung der Parteien darüber entscheiden kann, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen, und dementsprechend gegebenenfalls eine Klage ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss abweisen kann, eine Verfahrensvorschrift ist, die auf alle bei ihrem Inkrafttreten beim Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar ist, dass es sich aber bei den Bestimmungen, in denen unverzichtbare Prozessvoraussetzungen festgelegt sind, anders verhält. Diese Bestimmungen sind, da sie für die Zulässigkeit einer Klage maßgebend sind, zwangsläufig diejenigen, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung galten.

34      Im vorliegenden Rechtsstreit waren die Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die von Amts wegen zu prüfenden unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen, zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage am 31. Juli 2007, diejenigen, auf die Art. 113 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften verwies, den das Gericht gemäß Art. 3 Abs. 4 des Beschlusses 2004/752/EG, Euratom des Rates vom 2. November 2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (ABl. L 333, S. 7) bis zum Inkrafttreten seiner Verfahrensordnung entsprechend angewandt hat. Dieser Art. 113 ist die Art. 77 der Verfahrensordnung entsprechende Bestimmung der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz.

35      Es sind daher zum einen die Verfahrenvorschrift des Art. 77 der Verfahrensordnung und zum anderen die Zulässigkeitsvorschriften anzuwenden, auf die Art. 113 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz verwies (vgl. in diesem Sinne zu der von der Beklagten erhobenen Einrede offensichtlicher Unzulässigkeit Beschluss des Gerichts vom 11. Dezember 2007, Martin Bermejo/Kommission, F‑60/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 23 bis 27), einschließlich, was diese zweite Gruppe von Vorschriften betrifft, derjenigen, die unverzichtbare Prozessvoraussetzungen festlegen.

36      Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend unterrichtet und beschließt, in Anwendung dieser Bestimmungen ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

37      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Beschwerde- und Klagefristen der Art. 90 und 91 des Statuts zwingenden Rechts und stehen nicht zur Disposition der Parteien und des Gerichts, das ihre Einhaltung – auch von Amts wegen – zu überprüfen hat. Diese Fristen tragen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit Rechnung, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz zu vermeiden (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juli 1971, Müllers/WSA, 79/70, Slg. 1971, 689, Randnr. 18, vom 4. Februar 1987, Cladakis/Kommission, 276/85, Slg. 1987, 495, Randnr. 11, und vom 29. Juni 2000, Politi/Europäische Stiftung für Berufsbildung, C‑154/99 P, Slg. 2000, I‑5019, Randnr. 15; Beschluss des Gerichts vom 13. Dezember 2007, Veramme/Kommission, F‑64/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20).

38      Das Gericht hat daher von Amts wegen zu prüfen, ob der Kläger seine Beschwerde vom 19. Januar 2007 innerhalb der Dreimonatsfrist des Art. 90 Abs. 2 des Statuts eingelegt hat. Hierfür hat das Gericht auf den den Kläger beschwerenden Akt im Sinne des Art. 90 Abs. 2 des Statuts abzustellen.

39      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine beschwerende Maßnahme eine solche, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die geeignet sind, die Interessen des Klägers unmittelbar und sofort zu beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise ändern (vgl. Urteil des Gerichts vom 28. Juni 2006, Grünheid/Kommission, F‑101/05, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss des Gerichts vom 24. Mai 2007, Lofaro/Kommission, F‑27/06 und F‑75/06, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 57, Rechtsmittel beim Gericht erster Instanz anhängig, Rechtssache T‑293/07 P).

40      Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger mit Schreiben vom 8. September 2006 die teilweise Ablehnung seines Antrags auf die volle Hinterbliebenenversorgung nach Frau Mandt mitgeteilt. Die Entscheidung des Parlaments, dem Kläger nur 50 % der Hinterbliebenenversorgung nach Frau Mandt zu gewähren, ergibt sich ausdrücklich aus diesem Schreiben, das im Übrigen eine zwar knappe, doch klare und eindeutige Begründung enthält. Das Parlament hat nämlich ausgeführt, dass sich aus den den Schreiben des Klägers vom 29. März und vom 13. April 2006 beigefügten Unterlagen ergebe, dass die deutschen Behörden das Bestehen seiner Ehe mit Frau Mandt anerkennten, dass der Beschluss vom 25. Januar 2006 jedoch auch besage, dass die Ehe von Herrn und Frau Mandt zum Zeitpunkt des Todes von Frau Mandt noch bestanden habe. In Anbetracht dessen habe der Kläger deshalb ab dem ersten Tag des Monats, der auf die Stellung seines Antrags folge, d. h. ab dem 1. April 2006, Anspruch auf die Hälfte der Hinterbliebenenversorgung.

41      Mit dem Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006, der dem Kläger mit einem Vermerk vom 20. Oktober 2006 übermittelt wurde, wurde dieser demnach lediglich über die Berechnung der Hinterbliebenenversorgung, auf die er Anspruch hatte, und deren Betrag informiert, so dass dieser Bescheid nicht als anfechtbare beschwerende Maßnahme, sondern als eine bloße Bestätigung der Entscheidung, mit der dem Kläger nur 50 % der Hinterbliebenenversorgung zugesprochen wurde, angesehen werden kann, zumal er, anders als das Schreiben vom 8. September 2006, keine Begründung enthält. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich der Kläger weder gegen die Berechnung dieser 50 % noch gegen den sich daraus ergebenden Betrag wendet, wie sie aus diesem Bescheid hervorgehen, sondern gegen die im Schreiben vom 8. September 2006 wiedergegebene Entscheidung des Parlaments selbst, dem Kläger nur 50 % der Hinterbliebenenversorgung zuzugestehen.

42      Die den Kläger beschwerende Maßnahme ist demnach das Schreiben des Parlaments vom 8. September 2006.

43      Weiter ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die Beschwerdefrist des Art. 90 Abs. 2 des Statuts am Tag der Mitteilung der Entscheidung an den Empfänger, spätestens jedoch an dem Tag beginnt, an dem dieser Kenntnis davon erhält, wenn es sich um eine Einzelmaßnahme handelt (vgl. Urteil des Gerichts erster Instanz vom 18. März 1997, Rasmussen/Kommission, T‑35/96, Slg. ÖD 1997, I‑A‑61 und II‑187, Randnr. 40).

44      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass dem Kläger das Schreiben vom 8. September 2006 nur wenige Tage später zur Kenntnis gelangt ist. Den Verfahrensunterlagen zufolge nahm er nämlich in einem Schreiben an das Parlament vom 20. September 2006 ausdrücklich auf das Schreiben vom 8. September 2006 Bezug, so dass festzustellen ist, dass er spätestens am 20. September 2006 Kenntnis vom Schreiben vom 8. September 2006 – der ihn beschwerenden Maßnahme – hatte.

45      Daraus ergibt sich, dass der Kläger ab dem Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis von der ihn beschwerenden Maßnahme, dem Schreiben vom 8. September 2006, hatte, über eine Frist von drei Monaten verfügte, um Beschwerde einzulegen. Da er spätestens am 20. September 2006 von diesem Schreiben Kenntnis erlangt hat, ist seine am 19. Januar 2007 eingelegte Beschwerde verspätet.

46      Das gegenteilige Vorbringen des Klägers vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.

47      Zum einen kann die Behauptung des Klägers, das Schreiben vom 8. September 2006 sei ein formloses Schreiben, diesem nicht seine Eigenschaft als beschwerende Maßnahme nehmen. Nach der Rechtsprechung besteht hinsichtlich einer beschwerenden Maßnahme kein Formerfordernis, sie kann sogar mündlich ergehen (vgl. Urteile des Gerichts erster Instanz vom 30. Juni 1993, Devillez u. a./Parlament, T‑46/90, Slg. 1993, II‑699, Randnrn. 14, und vom 16. April 2002, Fronia/Kommission, T‑51/01, Slg. ÖD 2002, I‑A‑43 und II‑187, Randnr. 31). Im vorliegenden Fall ist ferner darauf hinzuweisen, dass das Schreiben vom 8. September 2006 von der Dienststelle des Parlaments stammt, die auch den Feststellungsbescheid vom 18. Oktober 2006 erlassen hat, d. h. von Frau Puech, Leiterin des Referats „Soziale Angelegenheiten“ der Generaldirektion Personal und Verwaltung.

48      Zum anderen mag es zwar wünschenswert sein, dass eine beschwerende Maßnahme eine Belehrung über den statthaften Rechtsbehelf und die insoweit einzuhaltenden Fristen enthält, doch kann das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung in der beschwerenden Maßnahme vom 8. September 2006 in Ermangelung von Vorschriften, die eine solche Belehrung vorschreiben, nicht der Unzulässigkeit der Klage entgegenstehen.

49      Schließlich kann der Umstand, dass das Parlament mit der Entscheidung vom 2. Mai 2007 die Beschwerde des Klägers vom 19. Januar 2007 sachlich beschieden hat, nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 1984, Moussis/Kommission, 227/83, Slg. 1984, 3133, Randnr. 13; Urteile des Gerichts erster Instanz vom 11. Juli 1991, Von Hoessle/Rechnungshof, T‑19/90, Slg. 1991, II‑615, Randnr. 23, vom 25. September 1991, Lacroix/Kommission, T‑54/90, Slg. 1991, II‑749, Randnrn. 25, vom 23. März 2000, Rudolph/Kommission, T‑197/98, Slg. ÖD 2000, I‑A‑55 und II‑241, Randnrn. 41, und vom 17. Januar 2001, Kraus/Kommission, T‑14/99, Slg. 2001, I‑A‑7 und II‑39, Randnrn. 20; Beschluss Veramme/Kommission, Randnr. 21), entgegen dem Vorbringen des Klägers weder dazu führen, dass von dem durch die Art. 90 und 91 des Statuts eingeführten System zwingender Fristen abgewichen wird, noch dazu, dass das Gericht von seiner in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils genannten Pflicht entbunden wird, die Einhaltung der im Statut vorgesehenen Fristen – auch von Amts wegen – zu prüfen.

50      Ohne dass das Gericht die vom Parlament geltend gemachte Unzulässigkeitseinrede prüfen müsste, ist die Klage daher wegen des nicht regelgerechten Ablaufs des Vorverfahrens aufgrund des verspäteten Eingangs der Beschwerde als unzulässig abzuweisen.

 Kosten

51      Nach Art. 122 der Verfahrensordnung finden die Bestimmungen des Achten Kapitels des Zweiten Titels über die Prozesskosten und Gerichtskosten nur auf die Rechtssachen Anwendung, die ab dem Inkrafttreten dieser Verfahrensordnung, d. h. ab dem 1. November 2007, beim Gericht anhängig gemacht werden. Die insoweit geltenden Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz finden weiterhin entsprechende Anwendung auf die Rechtssachen, die beim Gericht vor diesem Zeitpunkt anhängig waren.

52      Gemäß Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 88 dieser Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.


53      Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, ist zu beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 23. Mai 2008

Die Kanzlerin

 

       Der Präsident

W. Hakenberg

 

       H. Kreppel

Die vorliegende Entscheidung sowie die darin zitierten und noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte sind auf der Internetseite des Gerichtshofs verfügbar: www.curia.europa.eu


* Verfahrenssprache: Deutsch.