Language of document : ECLI:EU:C:2007:656

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. November 2007(*)

„Freier Warenverkehr – Art. 28 EG und 30 EG – Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens – Eingeführte Arzneimittel, die im Einfuhrstaat nicht zugelassen sind – Werbeverbot – Richtlinie 2001/83/EG“

In der Rechtssache C‑143/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. März 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2006, in dem Verfahren

Ludwigs‑Apotheke München Internationale Apotheke

gegen

Juers Pharma Import‑Export GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), J. Makarczyk und J.‑C. Bonichot sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: D. Ruiz‑Jarabo Colomer,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Ludwigs‑Apotheke München Internationale Apotheke, vertreten durch Rechtsanwalt W. Rehmann,

–        der Juers Pharma Import‑Export GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Meisterernst,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch E. Ośniecka‑Tamecka und T. L. Krawczyk als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von S. Lee, Barrister,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Stromsky und B. Schima als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ludwigs‑Apotheke München Internationale Apotheke (im Folgenden: Ludwigs‑Apotheke) und der Juers Pharma Import‑Export GmbH (im Folgenden: Juers Pharma) wegen der Versendung von Listen von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln an Apotheken durch Juers Pharma.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 2001/83

3        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.“

4        Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Ein Mitgliedstaat kann gemäß den geltenden Rechtsbestimmungen in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie ausnehmen, die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestellung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden und die nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigen der Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Verabreichung an einen bestimmten Patienten unter seiner unmittelbaren persönlichen Verantwortung bestimmt sind.“

5        Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie lautet:

„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 [des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1)] erteilt wurde.“

6        Art. 86 der Richtlinie 2001/83 im Titel VIII „Werbung“ bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieses Titels gelten als ‚Werbung für Arzneimittel‘ alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern; sie umfasst insbesondere:

–        die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel,

–        die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind,

(2)      Dieser Titel betrifft nicht

–        die Etikettierung und die Packungsbeilage, die den Bestimmungen des Titels V unterliegen,

–        den Schriftwechsel und gegebenenfalls alle Unterlagen, die nicht Werbezwecken dienen und die zur Beantwortung einer konkreten Anfrage über ein bestimmtes Arzneimittel erforderlich sind,

–        die konkreten Angaben und die Unterlagen, die beispielsweise Änderungen der Verpackung, Warnungen vor unerwünschten Nebenwirkungen im Rahmen der Arzneimittelüberwachung sowie Verkaufskataloge und Preislisten betreffen, sofern diese keine Angaben über das Arzneimittel enthalten,

–        Informationen über die menschliche Gesundheit oder Krankheiten, sofern darin nicht, auch nicht in indirekter Weise, auf ein Arzneimittel Bezug genommen wird.“

7        Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten untersagen die Werbung für ein Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erteilt worden ist.“

 Deutsches Recht

8        § 73 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz, im Folgenden: AMG) verbietet die Vermarktung von Arzneimitteln, die der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung unterliegen, wenn sie nicht zugelassen bzw. registriert sind.

9        Abweichend davon dürfen Apotheker nach § 73 Abs. 3 AMG im Inland nicht zugelassene Arzneimittel, die aber in einem anderen Staat zulässigerweise in den Verkehr gebracht worden sind, aus diesem anderen Staat beziehen. Diese Ausnahme gilt jedoch nur für den Bezug geringer Mengen von Arzneimitteln auf Einzelbestellung.

10      § 8 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz, im Folgenden: HWG) verbietet die Werbung für Arzneimittel, die nach § 73 Abs. 3 AMG bezogen werden dürfen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Die Ludwigs‑Apotheke und Juers Pharma handeln mit Arzneimitteln, deren Einfuhr nach § 73 Abs. 3 AMG zulässig ist.

12      Im Rahmen dieser Tätigkeit versendet Juers Pharma Arzneimittellisten an Apotheker, in denen die im Inland nicht zugelassenen Arzneimittel mit ihrem Handelsnamen genannt sind und entsprechende Hinweise zu den Packungsgrößen, dem Preis und der Wirkstärke gegeben werden, soweit das Arzneimittel in unterschiedlichen Wirkstärken angeboten wird. Diese Listen geben in bestimmten Fällen die Herkunftsländer der Arzneimittel an, d. h., entweder einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einen dritten Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen), in dem für sie eine Zulassung besteht.

13      Die Ludwigs‑Apotheke beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der Juers Pharma aufgegeben werden sollte, die Versendung dieser Listen zu unterlassen, weil es sich dabei um eine nach § 8 HWG unzulässige Werbung für in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel handele. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 9. August 2004 stattgegeben. Auf den Widerspruch der Juers Pharma folgte das erneut befasste Landgericht Hamburg deren Argumentation und entschied mit Urteil vom 12. Oktober 2004, dass die in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitigen Arzneimittellisten nicht als Werbung zu beurteilen seien. Dabei stützte es sich auf Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83, wonach sich Titel VIII dieser Richtlinie über die Werbung nicht auf die konkreten Angaben und auf die Unterlagen bezieht, die beispielsweise Verkaufskataloge und Preislisten betreffen, sofern diese keine Angaben über das Arzneimittel enthalten. Nach diesem Urteil findet das Werbeverbot des § 8 HWG auf Arzneimittellisten wie die in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitigen keine Anwendung.

14      Im Rahmen der Berufung der Ludwigs-Apotheke gegen dieses Urteil stellte das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg mit Urteil vom 19. Mai 2005 die vom Landgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 9. August 2004 vorläufig getroffenen Maßnahmen wieder her. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass Verkaufskataloge und Preislisten nach dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83 nicht in den Anwendungsbereich des Titels VIII dieser Richtlinie fielen. Diese Bestimmung stehe daher nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, nach denen solche Listen als Werbung angesehen würden und verboten seien.

15      Da Juers Pharma die mit der einstweiligen Verfügung angeordneten Maßnahmen nicht als endgültig anerkannte, verfolgte die Ludwigs-Apotheke das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg weiter; dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist die Regelung in Art. 86 Abs. 2 Spiegelstrich 3 der Richtlinie 2001/83/EG dahin gehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Versendung von Preislisten für Arzneimittel an Apotheken als unzulässige Werbung für Arzneimittelimporte verbietet, wenn und soweit die dort aufgeführten Arzneimittel in dem betreffenden Mitgliedstaat zwar nicht zugelassen sind, aber im Einzelfall aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie anderen Staaten importiert werden dürfen?

2.      Welche Funktion kommt der Regelung zu, wonach der Titel über Werbung nicht Verkaufskataloge und Preislisten betrifft, sofern diese keine Angaben über das Arzneimittel enthalten, wenn hierdurch nicht abschließend der Anwendungsbereich der nationalen Vorschriften betreffend die Werbung für Arzneimittel vorgegeben ist?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

16      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Bestimmung wie § 8 HWG entgegensteht, der jede Werbung für in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel verbietet, die jedoch nach der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG auf Einzelbestellung aus anderen Mitgliedstaaten oder Staaten, die Vertragsparteien des EWR-Abkommens sind, eingeführt werden dürfen.

17      Mehrere Beteiligte, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, haben die Anwendbarkeit des Titels VIII der Richtlinie 2001/83 über die Werbung und damit des Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich dieser Richtlinie unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen, bezweifelt. So haben die polnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 einschlägig sein könnte und dass die auf den im Ausgangsverfahren streitigen Listen aufgeführten Arzneimittel nach dieser Bestimmung vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sein könnten. Die Ludwigs‑Apotheke und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben geltend gemacht, dass Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie Verkaufskataloge und Preislisten vom Anwendungsbereich des Titels VIII der Richtlinie 2001/83 über die Werbung ausnehme, so dass die Mitgliedstaaten diesen Bereich frei regeln könnten, sofern die Vorgaben der Art. 28 EG und 30 EG eingehalten würden.

18      Um zu bestimmen, ob der Titel VIII der Richtlinie 2001/83 über die Werbung unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits Anwendung findet, und dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist der rechtliche Rahmen zu untersuchen, in den sich eine Bestimmung wie § 8 HWG einfügt.

19      Wie sich aus der Darstellung der im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren deutschen Rechtsvorschriften in der Vorlageentscheidung ergibt, verbietet es § 73 Abs. 1 AMG, in Deutschland Arzneimittel zu vermarkten, die der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung unterliegen, wenn sie nicht zugelassen bzw. registriert sind. Nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband (C‑322/01, Slg. 2003, I‑14887, Randnr. 52) entspricht dieses allgemeine Verbot dem auf Gemeinschaftsebene bestehenden Verbot, Arzneimittel in einem Mitgliedstaat, in dem sie nicht zugelassen sind, in den Verkehr zu bringen, wie es in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 enthalten ist. Danach darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung Nr. 2309/93 erteilt wurde. Die Mitgliedstaaten müssen daher die Vermarktung von Arzneimitteln, für deren Inverkehrbringen keine nationale oder Gemeinschaftsgenehmigung erteilt worden ist, grundsätzlich vollständig verbieten.

20      Nach § 73 Abs. 3 AMG dürfen Apotheker jedoch aus anderen Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten des EWR-Abkommens in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel, die aber in diesem anderen Staat zulässigerweise in den Verkehr gebracht worden sind, in begrenzten Mengen beziehen, um der Bestellung eines Einzelnen nachzukommen.

21      Zwar ist eine solche Ausnahme in der Richtlinie 2001/83 nicht ausdrücklich vorgesehen, sie verstößt jedoch nicht zwangsläufig gegen diese Richtlinie, da sie so begrenzt ist, dass die grundsätzliche Pflicht zur Einholung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht in Frage gestellt wird. Nach dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie muss es nämlich für eine Person, die in einem Mitgliedstaat ansässig ist, möglich sein, sich aus einem anderen Mitgliedstaat eine angemessene Menge von Arzneimitteln für ihren persönlichen Bedarf zuschicken zu lassen. In diesem Zusammenhang sieht Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 vor, dass ein Mitgliedstaat gemäß den geltenden Rechtsbestimmungen in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie ausnehmen kann, die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestellung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden und die nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigen der Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Verabreichung an einen bestimmten Patienten unter seiner Verantwortung bestimmt sind.

22      Die dem Gerichtshof zur Kenntnis gebrachten Umstände geben keinen Aufschluss über die etwaige Absicht des deutschen Gesetzgebers, von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen. Da mit § 73 Abs. 3 AMG jedoch ermöglicht werden soll, dass auf eine durch einen besonderen Bedarfsfall begründete Einzelbestellung hin eine begrenzte Menge von nicht zugelassenen Arzneimitteln in den Verkehr gebracht wird, kann diese Bestimmung als eine Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 angesehen werden.

23      Demnach ist davon auszugehen, dass die unter § 73 Abs. 3 AMG fallenden Arzneimittel vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 ausgeschlossen sind. Die Bestimmungen des Titels VIII dieser Richtlinie über die Werbung sind somit nicht auf sie anwendbar.

24      Unter diesen Umständen ist, um dem nationalen Richter eine sachdienliche Antwort geben zu können, die ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits ermöglicht, die Vereinbarkeit eines Werbeverbots wie das des § 8 HWG mit dem Gemeinschaftsrecht nicht anhand des Titels VIII der Richtlinie 2001/83, sondern anhand der Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr, insbesondere der Art. 28 EG und 30 EG, und, soweit in den im Ausgangsverfahren streitigen Listen auch Arzneimittel aufgeführt sind, die aus dritten Vertragsstaaten des EWR-Abommens eingeführt werden, der Bestimmungen dieses Abkommens über den freien Warenverkehr, d. h. der Art. 11 und 13, zu prüfen.

25      Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein elementarer Grundsatz des EG-Vertrags, der in dem Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung in Art. 28 EG seinen Ausdruck findet.

26      Dieses Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen erfasst jede Regelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innerstaatlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, und vom 10. Januar 2006, De Groot en Slot Allium und Bejo Zaden, C‑147/04, Slg. 2006, I‑245, Randnr. 71).

27      Eine nationale Regelung, die den freien Warenverkehr behindert, kann jedoch gemäß Art. 30 EG u. a. zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sein. Nach ständiger Rechtsprechung nehmen unter den in Art. 30 EG geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang ein, und es ist mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung in diesem Bereich Sache der Mitgliedstaaten, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen und unter Berücksichtigung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu bestimmen, auf welchem Niveau sie deren Schutz gewährleisten wollen (vgl. in diesem Sinne Urteile Deutscher Apothekerverband, Randnr. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. September 2006, Alfa Vita Vassilopoulos und Carrefour‑Marinopoulos, C‑158/04 und C‑159/04, Slg. 2006, I‑8135, Randnr. 21).

28      Eine nationale Regelung entspricht jedoch nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die gewählten Mittel nicht nur zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind, sondern auch das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen (vgl. u. a. Urteil Alfa Vita Vassilopoulos und Carrefour‑Marinopoulos, Randnr. 22).

29      Es ist daher zu prüfen, ob nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Beschränkung im Sinne des Art. 28 EG enthalten und, wenn ja, ob sie auf eine nach Art. 30 EG – in seiner Auslegung durch den Gerichtshof – zulässige Rechtfertigung gestützt sind.

30      Diese Prüfung hat der Gerichtshof in Bezug auf § 8 HWG bereits im Urteil vom 10. November 1994, Ortscheit (C‑320/93, Slg. 1994, I‑5243) vorgenommen. Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Werbeverbot eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag (dann Art. 30 EG-Vertrag, jetzt nach Änderung Art. 28 EG) darstellt. In den Randnrn. 9 und 10 des genannten Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass diese Maßnahmen zum einen nur ausländische Arzneimittel betrifft und zum anderen geeignet ist, das Volumen der Einfuhren nicht zugelassener Arzneimittel nach Deutschland zu beschränken, weil sie den Apothekern und Ärzten, deren Mitwirkung für die Einfuhr dieser Arzneimittel gemäß § 73 Abs. 3 AMG unerlässlich ist, eine Quelle der Information über die Existenz und die Verfügbarkeit solcher Arzneimittel entzieht.

31      Der Gerichtshof hat jedoch dieses Verbot gemäß Art. 36 EWG-Vertrag (dann Art. 36 EG-Vertrag, jetzt nach Änderung Art. 30 EG) als zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt angesehen. In den Randnrn. 19 und 20 des Urteils Ortscheit hat er festgestellt, dass dieses Verbot den Ausnahmecharakter der Einzeleinfuhr nicht zugelassener Arzneimittel wahren soll, um zu verhindern, dass das grundsätzliche Erfordernis einer nationalen Zulassung nach den deutschen Rechtsvorschriften systematisch umgangen wird. Wenn nämlich in Deutschland für dort nicht zugelassene Arzneimittel geworben werden dürfte, bestünde die Gefahr, dass die Hersteller die Zulassung der Arzneimittel in einem Mitgliedstaat, der geringere Anforderungen stellt, beantragen und sie dann aufgrund von Einzelbestellungen, die sie durch Werbeaktionen ausgelöst haben, nach Deutschland einführen würden. Der Gerichtshof ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass das Werbeverbot des § 8 HWG für die Wirksamkeit der nationalen Zulassungsregelung erforderlich ist.

32      Zu der in der Rechtssache Ortscheit entscheidungserheblichen Zeit war die Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. L 113, S. 13) in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar. Wie die Kommission in ihren Erklärungen vorträgt, schließt dies jedoch nicht aus, dass die Feststellungen, zu denen der Gerichtshofs in diesem Urteil gelangt ist, auch beim aktuellen Stand des Gemeinschaftsrechts – in Anbetracht der zwischenzeitlich erfolgten Harmonisierung durch die Richtlinie 2001/83, mit der die Richtlinie 92/28 aufgehoben wurde – ihre Gültigkeit behalten.

33      Die Richtlinie 2001/83 geht nämlich von dem Grundsatz aus, dass der Vertrieb eines als Arzneimittel eingestuften Erzeugnisses voraussetzt, dass eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eingeholt worden ist, die entweder von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats oder im Rahmen des zentralisierten Gemeinschaftsverfahrens nach der Verordnung Nr. 2309/93 erteilt wurde. Von dieser allgemeinen Regel, die in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 verankert ist, gibt es unter den in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen Ausnahmen. Wie bereits in den Randnrn. 19 bis 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt, setzen die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften diese Bestimmungen um. Mit diesen nationalen Rechtsvorschriften soll also entsprechend der Richtlinie 2001/83 gewährleistet werden, dass die Möglichkeit, nicht zugelassene Arzneimittel einzuführen, die Ausnahme bleibt. Werbung für solche Arzneimittel hätte jedoch genau den gegenteiligen Effekt.

34      Eine solche an die Apotheker versandte Werbung könnte diese nämlich dazu veranlassen, in Deutschland nicht zum Verkehr zugelassene Arzneimittel bei ihren Kunden anzupreisen, und damit die Bestellungen solcher Arzneimittel fördern, so dass die Einfuhren zunähmen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass den Apothekern im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG lediglich eine passive Vermittlerrolle zukommt, da sie nur auf Bestellung eines Einzelnen die notwendigen Schritte unternehmen dürfen, um das gewünschte Arzneimittel aus einem anderen Staat einzuführen.

35      Die spezifische Funktion eines Werbeverbots wie desjenigen in § 8 HWG besteht darin, den Ausnahmecharakter einer Ausnahmegenehmigung für das Inverkehrbringen von nicht zugelassenen oder nicht registrierten Arzneimitteln wie der in § 73 Abs. 3 AMG vorgesehenen zu stärken und damit die praktische Wirksamkeit des Verfahrens der Genehmigung für das Inverkehrbringen zu wahren. Eine Beschränkung, die sich aus diesem Verbot ergibt, kann daher nach Art. 30 EG als zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt und erforderlich angesehen werden, weil damit der Umfang der Einfuhren nicht zugelassener Arzneimittel begrenzt werden soll.

36      Es ist jedoch zu prüfen, ob eine solche Beschränkung nicht über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinausgeht.

37      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass § 8 HGW, der ein Werbeverbot für nicht zugelassene Arzneimittel, deren Verkauf ausnahmsweise zulässig ist, ausspricht, der Übersendung von Arzneimittellisten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, die keine inhaltlichen Informationen über die Eigenschaften oder die Wirkungen der Arzneimittel enthalten, entgegensteht.

38      Insoweit lässt sich eine Parallele zu Art. 86 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2001/83 ziehen, der die konkreten Angaben und die Unterlagen, die beispielsweise Änderungen der Verpackung, Warnungen vor unerwünschten Nebenwirkungen im Rahmen der Arzneimittelüberwachung sowie Verkaufskataloge und Preislisten betreffen, vom Anwendungsbereich des Titels VIII dieser Richtlinie über die Werbung ausnimmt, sofern diese keine Angaben über das Arzneimittel enthalten.

39      Listen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen ermöglichen es für sich genommen den Apothekern nicht, die Einfuhr solcher Arzneimittel bei ihren Kunden zu fördern, da sie keine Informationen über die therapeutischen Wirkungen der im betroffenen Mitgliedstaat nicht zugelassenen Arzneimittel enthalten. Daher ist eine Steigerung der Einfuhren von nicht zugelassenen Arzneimitteln, wie in Randnr. 34 beschrieben, unwahrscheinlich.

40      Die Übersendung von Arzneimittellisten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen an Apotheker ist daher in einem solchen Regelungszusammenhang gesehen nicht geeignet, sich auf den Umfang der Einfuhren von im betroffenen Mitgliedstaat nicht zugelassenen Arzneimitteln auszuwirken und damit den Ausnahmecharakter solcher Einfuhren zu beeinflussen.

41      Daraus folgt, dass ein Verbot wie das in § 8 HWG in seinem Regelungszusammenhang gesehen über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, zu gewährleisten, dass die Einfuhr nicht zugelassener Arzneimitteln die Ausnahme bleibt, um die praktische Wirksamkeit des Verfahrens der Genehmigung für das Inverkehrbringen zu wahren, soweit dieses Verbot für die Übersendung von Listen nicht zugelassener Arzneimittel wie den im Ausgangsverfahren fraglichen an Apotheker gilt.

42      Daher ist festzustellen, dass die Anwendung einer Bestimmung wie § 8 HWG auf die Übersendung von Arzneimittellisten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen an Apotheker nicht nach Art. 30 EG mit Gründen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt werden kann.

43      Soweit diese Listen auch Arzneimittel betreffen, die aus dritten Vertragsstaaten des EWR-Abkommens eingeführt werden, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen über Beschränkungen des freien Warenverkehrs in den Art. 11 und 13 dieses Abkommens den Art. 28 EG und 30 EG im Wesentlichen entsprechen. In Anbetracht der in der vorstehenden Randnummer dieses Urteils gezogenen Schlussfolgerung ist daher festzustellen, dass das in einer Bestimmung wie § 8 HWG enthaltene Werbeverbot, soweit es der Übersendung von Arzneimittellisten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen an Apotheker entgegensteht, nicht nach Art. 13 des EWR-Abkommens gerechtfertigt werden kann.

44      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass ein Werbeverbot wie das in § 8 HWG nicht anhand der Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 über die Werbung, sondern anhand der Art. 28 EG und 30 EG sowie der Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens zu beurteilen ist. Art. 28 EG und Art. 11 des EWR-Abkommens stehen einem solchen Verbot entgegen, soweit es für die Übersendung von Listen nicht zugelassener Arzneimittel an Apotheker gilt, deren Einfuhr aus einem anderen Mitgliedstaat oder aus einem dritten Vertragsstaat des EWR-Abkommens nur ausnahmsweise zulässig ist und die keine anderen Informationen als die über den Handelsnamen, die Verpackungsgrößen, die Wirkstärke und den Preis dieser Arzneimittel enthalten.

 Zur zweiten Frage

45      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite vom vorlegenden Gericht gestellte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

46      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Ein Werbeverbot wie das in § 8 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens ist nicht anhand der Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der zuletzt durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung über die Werbung, sondern anhand der Art. 28 EG und 30 EG sowie der Art. 11 und 13 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 zu beurteilen. Art. 28 EG und Art. 11 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum stehen einem solchen Verbot entgegen, soweit es für die Übersendung von Listen nicht zugelassener Arzneimittel an Apotheker gilt, deren Einfuhr aus einem anderen Mitgliedstaat oder aus einem dritten Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nur ausnahmsweise zulässig ist und die keine anderen Informationen als die über den Handelsnamen, die Verpackungsgrößen, die Wirkstärke und den Preis dieser Arzneimittel enthalten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.