URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Zweite Kammer)

9. Dezember 2010

Rechtssache F‑88/08

Monique Vandeuren

gegen

Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF)

„Öffentlicher Dienst – Personal der Europäischen Stiftung für Berufsbildung – Bedienstete auf Zeit – Unbefristeter Vertrag – Entlassung – Erfordernis eines berechtigten Grundes – Stellenstreichung – Fürsorgepflicht – Anderweitige Verwendung“

Gegenstand: Klage gemäß der Art. 236 EG und 152 EA im Wesentlichen auf Aufhebung der Entscheidung der ETF vom 23. Oktober 2007, mit der der Arbeitsvertrag der Klägerin mit Wirkung vom 31. August 2008 beendet wurde, sowie Verurteilung der ETF zum Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens

Entscheidung: Die Entscheidung vom 23. Oktober 2007 über die Entlassung der Klägerin wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die ETF trägt die Kosten.

Leitsätze

1.      Beamte – Klage – Gründe

2.      Beamte – Bedienstete auf Zeit – Kündigung eines auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vertrags – Verringerung der Aktivitäten einer Agentur der Union – Verpflichtung, die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des betroffenen Bediensteten zu prüfen

3.      Beamte – Außervertragliche Haftung der Organe – Durch eine unrechtmäßige Entlassung verursachter Schaden – Ersatz des immateriellen Schadens – Voraussetzungen

1.      Dass der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung dem Einzelnen kein Recht verleiht, es sei denn, dass er in einem spezifischen Recht zum Ausdruck kommt, führt nicht dazu, dass ein Klagegrund oder ein Teil eines Klagegrundes wegen Verstoßes gegen diesen Grundsatz unzulässig wäre mit der Folge, dass das Vorbringen zu dem Klagegrund oder zu dem Teil des Klagegrundes nicht zu prüfen wäre. Nur bei der materiellrechtlichen Prüfung dieses Vorbringens kann nämlich festgestellt werden, ob die Verwaltung eventuell gegen ein spezifisches Recht, das eine Ausprägung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung wäre, verstoßen hat.

(vgl. Randnr. 40)

2.      Die Verringerung der Aktivitäten einer Agentur der Union kann als gültiger Grund für die Entlassung eines Bediensteten mit unbefristetem Vertrag angesehen werden, vorausgesetzt jedoch, dass diese Agentur über keine Stelle verfügt, auf die der betroffene Bedienstete hätte umgesetzt werden können. Nur in diesem letzteren Fall wäre eine Entlassung aufgrund der Verringerung der Aktivitäten der betreffenden Agentur gerechtfertigt.

Hierbei ist es gleichgültig, ob die internen Vorschriften besondere Ausleseverfahren für interne Versetzungen von Bediensteten bei einer freien Planstelle vorschreiben. Denn vor der Veröffentlichung einer Stellenausschreibung zur Besetzung einer Planstelle im Wege der internen Versetzung kann die Verwaltung immer von Amts wegen eine Umsetzung im dienstlichen Interesse vornehmen, ohne gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstoßen, da sich die auf Initiative der Verwaltung umgesetzten Bediensteten nicht in derselben Situation wie die befinden, die eine Versetzung beantragen. Es ist auch gleichgültig, dass flankierende Maßnahmen getroffen wurden. Denn auch wenn deren Einführung unbestreitbar zur Beachtung der Fürsorgepflicht beiträgt, zu der eine Agentur zudem verpflichtet ist, kann dieser Umstand die zuständige Behörde nicht davon freistellen, ihre Entlassungsentscheidungen auf gültige Gründe zu stützen.

Daraus folgt, dass eine Agentur der Union, bevor sie einen Bediensteten mit einem unbefristeten Vertrag entlässt, weil die ihm zugewiesenen Aufgaben gestrichen oder einer anderen Einheit übertragen worden sind, zu prüfen hat, ob der Betroffene nicht auf einer anderen bestehenden oder – etwa, weil die betreffende Agentur neue Kompetenzen erhalten hat – in Kürze neu einzurichtenden Stelle anderweitig verwendet werden kann.

Bei dieser Prüfung muss die Verwaltung das dienstliche Interesse, wonach zur Besetzung der bestehenden oder in Kürze neu einzurichtenden Stelle die am besten geeignete Person einzustellen ist, gegen das Interesse des Bediensteten, dessen Entlassung vorgesehen ist, abwägen. Hierfür muss sie im Rahmen ihres Ermessens verschiedene Kriterien berücksichtigen, u. a. die Stellenanforderungen im Hinblick auf die Qualifikationen und das Potenzial des Bediensteten, den Umstand, ob der Arbeitsvertrag des betroffenen Bediensteten festlegt, dass dieser zur Besetzung einer bestimmten Stelle eingestellt worden war, seine Beurteilungen sowie sein Alter, sein Dienstalter und die Anzahl der Beitragsjahre, die ihm noch fehlen, bevor er Ruhegehaltsansprüche geltend machen kann.

(vgl. Randnrn. 60 bis 64)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: 25. Januar 2007, de Albuquerque/Kommission, F‑55/06, Slg. ÖD 2007, I‑A‑1‑35 und II‑A‑1‑183, Randnrn. 93 und 94; 24. April 2008, Longinidis/Cedefop, F‑74/06, Slg. ÖD 2008, I‑A‑1‑125 und II‑A‑1‑655, Randnr. 138

3.      Auch wenn jede Entlassung bei dem entlassenen Beamten oder Bediensteten naturgemäß Gefühle der Ablehnung, der Frustration und der Unsicherheit für die Zukunft hervorrufen kann, kann sich aus der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Entlassung durch den Unionsrichter nicht automatisch ein Anspruch auf Gewährung von Ersatz des immateriellen Schadens ergeben. Denn nur bei besonderen Umständen kann festgestellt werden, dass das Verhalten eines Arbeitgebers den Bediensteten immateriell über das, was eine entlassene Person üblicherweise fühlt, hinaus beeinträchtigt hat, insbesondere wenn sich der Arbeitgeber auf Gründe gestützt hat, die eine Beurteilung der Qualitäten oder des Verhaltens dieses Bediensteten enthalten, die diesen zu kränken geeignet sind.

(vgl. Randnr. 73)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: 12. Dezember 2000, Dejaiffe/HABM, T‑223/99, Slg. ÖD 2000, I‑A‑277 und II‑1267, Randnr. 91