URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

24. April 2012(*)

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Art. 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Richtlinie 2003/109/EG – Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger – Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz – Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung bei Maßnahmen der Sozialhilfe und des Sozialschutzes – Ausschluss der ‚Kernleistungen‘ vom Anwendungsbereich dieser Ausnahme – Nationale Regelung, die ein Wohngeld für die einkommensschwächsten Mieter vorsieht – Betrag der für Drittstaatsangehörige vorgesehenen Mittel, der nach Maßgabe eines unterschiedlichen gewichteten Durchschnitts bestimmt wird – Ablehnung eines Wohngeldantrags wegen Erschöpfung des für Drittstaatsangehörige vorgesehenen Budgets“

In der Rechtssache C‑571/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Bolzano (Italien) mit Entscheidung vom 24. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2010, in dem Verfahren

Servet Kamberaj

gegen

Istituto per l’Edilizia sociale della Provincia autonoma di Bolzano (IPES),

Giunta della Provincia autonoma di Bolzano,

Provincia autonoma di Bolzano,

Beteiligte:

Associazione Porte Aperte/Offene Türen,

Human Rights International,

Associazione Volontarius,

Fondazione Alexander Langer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J. Malenovský und U. Lõhmus sowie der Richter A. Rosas, E. Levits, A. Ó Caoimh (Berichterstatter), L. Bay Larsen, T. von Danwitz, A. Arabadjiev und E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Kamberaj, vertreten durch F. Pinton und D. Simonato, avvocati,

–        der Provincia autonoma di Bolzano, vertreten durch Rechtsanwälte R. von Guggenberg, S. Beikircher, C. Bernardi und D. Ambach,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch J.‑C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Dezember 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 EUV, 6 EUV, 18 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV, der Art. 21 und 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Bestimmungen der Richtlinien 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. L 180, S. 22) und 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44). Das vorlegende Gericht wirft auch Fragen in Bezug auf Art. 14 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und Art. 1 des am 4. November 2000 in Rom unterzeichneten Protokolls Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: Protokoll Nr. 12).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kamberaj und dem Istituto per l’Edilizia Sociale della Provincia autonoma di Bolzano (Institut für den sozialen Wohnbau des Landes Südtirol, im Folgenden: IPES), der Giunta della Provincia autonoma di Bolzano (Südtiroler Landesregierung, im Folgenden: Giunta oder Landesregierung) sowie und der Provincia Autonoma di Bolzano (Autonome Provinz Bozen) wegen der Ablehnung seines Antrags auf Wohngeld für 2009 durch das IPES mit der Begründung, dass das für die Gewährung des Wohngelds an Drittstaatsangehörige vorgesehene Budget der Autonomen Provinz Bozen erschöpft sei.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2000/43

3        Zweck der Richtlinie 2000/43 ist gemäß ihrem Art. 1 „die Schaffung eines Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

4        Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/43 bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft geben darf.

(2)      Im Sinne von Absatz 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

5        Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/43 „betrifft [diese] nicht unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit und berührt nicht die Vorschriften und Bedingungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder deren Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet sowie eine Behandlung, die sich aus der Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen ergibt“.

6        Art. 15 der Richtlinie 2000/43 lautet:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Bestimmungen bis zum 19. Juli 2003 mit und melden alle sie betreffenden Änderungen unverzüglich.“

 Richtlinie 2003/109

7        Die Erwägungsgründe 2 bis 4, 6, 12 und 13 der Richtlinie 2003/109 lauten:

„(2)      Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 erklärt, dass die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten angenähert werden sollte und einer Person, die sich während eines noch zu bestimmenden Zeitraums in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufgehalten hat und einen langfristigen Aufenthaltstitel besitzt, in diesem Mitgliedstaat eine Reihe einheitlicher Rechte gewährt werden sollte, die denjenigen der Unionsbürger so nah wie möglich sind.

(3)      Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere durch die [EMRK] und [die Charta] anerkannt wurden.

(4)      Die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, trägt entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bei, der als eines der Hauptziele der Gemeinschaft im [EG-]Vertrag angegeben ist.

(6)      Die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sollte das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. Der Aufenthalt sollte rechtmäßig und ununterbrochen sein, um die Verwurzlung der betreffenden Person im Land zu belegen. …

(12)      Um ein echtes Instrument zur Integration von langfristig Aufenthaltsberechtigten in die Gesellschaft, in der sie leben, darzustellen, sollten langfristig Aufenthaltsberechtigte nach Maßgabe der entsprechenden, in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen, in vielen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen wie die Bürger des Mitgliedstaats behandelt werden.

(13)      Hinsichtlich der Sozialhilfe ist die Möglichkeit, die Leistungen für langfristig Aufenthaltsberechtigte auf Kernleistungen zu beschränken, so zu verstehen, dass dieser Begriff zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei Elternschaft und bei Langzeitpflege erfasst. Die Modalitäten der Gewährung dieser Leistungen sollten durch das nationale Recht bestimmt werden.“

8        Kapitel II der Richtlinie 2003/109 betrifft die Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem Mitgliedstaat.

9        Gemäß dem zu diesem Kapitel II gehörenden Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 erteilen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten.

10      Art. 5 der Richtlinie 2003/109 legt die Bedingungen für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten fest. Gemäß Abs. 1 Buchst. a und b dieses Artikels müssen die Mitgliedstaaten vom Drittstaatsangehörigen den Nachweis verlangen, dass er für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen zum einen über feste und regelmäßige Einkünfte, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen, und zum anderen über eine Krankenversicherung verfügt, die im betreffenden Mitgliedstaat sämtliche Risiken abdeckt, die in der Regel auch für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind.

11      Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 können die Mitgliedstaaten von Drittstaatsangehörigen auch verlangen, dass sie die Integrationsanforderungen gemäß dem nationalen Recht erfüllen.

12      Zwar können gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 die Mitgliedstaaten die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit versagen, doch darf gemäß Art. 6 Abs. 2 eine solche Versagungsentscheidung nicht aus wirtschaftlichen Gründen getroffen werden.

13      Um die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen, muss gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 der Drittstaatsangehörige bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem er sich aufhält, einen Antrag einreichen, dem vom nationalen Recht zu bestimmende Unterlagen beizufügen sind, aus denen hervorgeht, dass er die Voraussetzungen der Art. 4 und 5 dieser Richtlinie erfüllt.

14      Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 sieht vor:

„Langfristig Aufenthaltsberechtigte werden auf folgenden Gebieten wie eigene Staatsangehörige behandelt:

d)      soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz im Sinn des nationalen Rechts;

f)      Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen für die Öffentlichkeit und zu Verfahren für den Erhalt von Wohnraum;

…“

15      Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 bestimmt, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die Gleichbehandlung bei Sozialhilfe und Sozialschutz auf die Kernleistungen beschränken [können]“.

16      Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 können die Mitgliedstaaten nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Abs. 2 dieses Artikels stellt klar, dass eine Ausweisungsverfügung nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen darf.

17      Gemäß Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 mussten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie spätestens ab dem 23. Januar 2006 nachzukommen.

 Nationales Recht

 Die italienische Verfassung

18      Nach Art. 117 der italienischen Verfassung besitzt der Staat die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet der Sozialhilfe nur für die Festsetzung der wesentlichen Leistungen im Rahmen der bürgerlichen und sozialen Grundrechte, die im gesamten Staatsgebiet zu gewährleisten sind. Soweit dieser Zweck nicht berührt ist, steht die Gesetzgebungsbefugnis den Regionen zu.

 Das Decreto legislativo Nr. 286/1998

19      Das Decreto legislativo Nr. 3 vom 8. Januar 2007 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (GURI Nr. 24 vom 30. Januar 2007, S. 4) hat die Bestimmungen dieser Richtlinie in das Decreto legislativo Nr. 286 vom 25. Juli 1998 mit dem Einheitstext der Bestimmungen über die Regelung der Einwanderung und die Rechtsstellung des Ausländers (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 191 vom 18. August 1998, im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 286/1998) eingefügt.

20      Art. 9 Abs. 1 des Decreto legislativo Nr. 286/1998 bestimmt:

„Ein Ausländer, der seit mindestens fünf Jahren einen gültigen Aufenthaltstitel besitzt und nachweist, dass er über ein Einkommen, das den Jahresbetrag der Sozialhilfe nicht unterschreitet, und – bei einem Antrag für die Mitglieder seiner Familie – über ein ausreichendes Einkommen und eine angemessene Wohnung verfügt, die den nach [den einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts] geltenden Mindestbedingungen entspricht, kann beim Polizeipräfekten die Erteilung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung für sich und die Mitglieder seiner Familie beantragen …“

21      Art. 9 Abs. 12 des Decreto legislativo Nr. 286/1998 sieht vor:

„Abgesehen von den für Ausländer mit regelmäßigem Wohnsitz im italienischen Hoheitsgebiet geltenden Bestimmungen erhalten Inhaber einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung

c)      Leistungen der Sozialhilfe, der Sozialversicherung, Leistungen im Gesundheits-, Schul- und Sozialbereich, Leistungen in Bezug auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, einschließlich des Zugangs zum Verfahren für die Gewährung von öffentlich gefördertem Wohnraum, sofern nichts anderes bestimmt ist und sofern der tatsächliche Aufenthalt der Ausländer im Inland nachgewiesen ist …“

 Das Dekret Nr. 670/1972 des Präsidenten

22      Nach Art. 3 Abs. 3 des Dekrets Nr. 670 des Präsidenten vom 31. August 1972 in Bezug auf den Sonderstatus für die Region Trentino-Südtirol (GURI Nr. 301 vom 20. November 1972, im Folgenden: Dekret Nr. 670/1972 des Präsidenten), das ein Dekret mit Verfassungsrang ist, genießt die Autonome Provinz Bozen wegen der besonderen Struktur ihrer aus drei Sprachgruppen (Italienisch, Deutsch und Ladinisch) bestehenden Bevölkerung einen besonderen Autonomiestatus.

23      Nach Art. 8 Nr. 25 des Dekrets Nr. 670/1972 des Präsidenten gehört zu dieser Autonomie u. a. die Befugnis, Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge zu erlassen.

24      Art. 15 Abs. 2 des Dekrets Nr. 670/1972 des Präsidenten sieht vor, dass die Autonome Provinz Bozen, abgesehen von Ausnahmefällen, die im Haushalt zu Zwecken der Fürsorge sowie zu sozialen und kulturellen Zwecken bestimmten eigenen Mittel im direkten Verhältnis zur Stärke und mit Bezug auf das Ausmaß des Bedarfs einer jeden Sprachgruppe einsetzt.

 Das Landesgesetz

25      Art. 2 Abs. 1 Buchst. k der Legge provinciale Nr. 13 vom 17. Dezember 1998 in ihrer im Ausgangsverfahren zeitlich maßgebenden Fassung (im Folgenden: Landesgesetz) sieht ein Wohngeld vor. Dieses stellt einen Mietzuschuss für die einkommensschwächsten Mieter dar und wird gemäß Art. 15 Abs. 2 des Dekrets Nr. 670/1972 des Präsidenten unter den drei Sprachgruppen aufgeteilt.

26      Art. 5 Abs. 1 des Landesgesetzes bestimmt, dass die Mittel für die nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. k gewährten Zuschüsse zwischen den Antragstellern der drei Sprachgruppen im gleichgewichtigen Verhältnis zwischen deren zahlenmäßiger Stärke und dem Bedarf einer jeden Sprachgruppe aufgeteilt werden. Nach Abs. 2 dieses Artikels wird der Bedarf einer jeden Sprachgruppe aufgrund der Gesuche, die in den letzten zehn Jahren eingereicht wurden, jährlich festgesetzt.

27      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass die zahlenmäßige Stärke jeder Sprachgruppe aufgrund der letzten allgemeinen Volkszählung und der Erklärungen der Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen, die jeder in der Autonomen Provinz Bozen ansässige italienische Staatsangehörige im Alter von über vierzehn Jahren abzugeben hat, errechnet wird.

28      Unionsbürger, die im Landesgebiet ihren Wohnsitz haben, dort eine Erwerbstätigkeit ausüben und die übrigen Voraussetzungen erfüllen, an die die Gewährung von Wohngeld geknüpft ist, müssen nach Art. 5 Abs. 5 des Landesgesetzes eine Erklärung über die Zugehörigkeit zu oder die Angliederung an eine der drei Sprachgruppen vorlegen.

29      Nach Art. 5 Abs. 7 des Landesgesetzes setzt die Giunta (Landesregierung) jährlich die Höhe der Mittel fest, die Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen vorzubehalten sind, welche sich bei Einreichen des Gesuchs ohne Unterbrechung seit mindestens fünf Jahren regulär im Landesgebiet aufhalten und im Landesgebiet mindestens eine dreijährige Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Die Anzahl der Mietwohnungen, die diesen Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen zugewiesen werden können, wird ebenfalls im gleichgewichtigen Verhältnis zwischen der zahlenmäßigen Stärke der Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die den oben genannten Kriterien entsprechen, und deren Bedarf festgesetzt.

 Der Beschluss Nr. 1885

30      Aus dem Beschluss Nr. 1885 der Giunta vom 20. Juli 2009 über das Ausmaß der Mittel, die Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen für das Jahr 2009 vorzubehalten sind (im Folgenden: Beschluss Nr. 1885), ergibt sich, dass im gewichteten Durchschnitt dem zahlenmäßigen Bestand der genannten Personen ein Koeffizient von 5 und ihrem Bedarf ein Koeffizient von 1 zugewiesen wurde.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

31      Herr Kamberaj ist albanischer Staatsangehöriger, der seit 1994 seinen Wohnsitz in der Autonomen Provinz Bozen hat und dort in einem festen Arbeitsverhältnis steht. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass er einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzt.

32      In den Jahren 1998–2008 bezog der Kläger des Ausgangsverfahrens Wohngeld nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. k des Landesgesetzes.

33      Mit Schreiben vom 22. März 2010 teilte IPES dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit, dass sein Wohngeldantrag für das Jahr 2009 abgelehnt werde, da das mit dem Beschluss Nr. 1885/2009 festgesetzte Kontingent für Drittstaatsangehörige erschöpft sei.

34      Mit Klageschrift, die am 8. Oktober 2010 beim vorlegenden Gericht eingegangen ist, beantragte der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Tribunale di Bolzano, festzustellen, dass dieser Versagungsbescheid ein ihn diskriminierendes Verhalten der Beklagten des Ausgangsverfahrens darstelle. Er war der Auffassung, dass eine nationale Regelung wie das Landesgesetz u. a. gegen die Richtlinien 2000/43 und 2003/109 verstoße, da es langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige auf dem Gebiet des Wohngelds ungünstiger als Unionsbürger behandele.

35      Die Autonome Provinz Bozen führte in dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht aus, dass die proportionale Aufteilung der Mittel zwischen den in der Autonomen Provinz Bozen ansässigen Sprachgruppen erforderlich sei, um den sozialen Frieden zwischen Personen, die Sozialleistungen beantragten, zu wahren.

36      Das vorlegende Gericht legt dar, dass nach dem Landesgesetz die Wohnbevölkerung der Autonomen Provinz Bozen in zwei Gruppen unterteilt sei, nämlich in die Unionsbürger (Italiener und Nichtitaliener), die für den Zugang zum Wohngeld unterschiedslos die Zugehörigkeits- oder Angliederungserklärung für eine der drei Sprachgruppen abgegeben haben müssten, und die Drittstaatsangehörigen, die diese Erklärung nicht abgeben müssten.

37      Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass für das Jahr 2009, um den Gesamtbedarf der ersten Gruppe, also der Unionsbürger, gleichviel ob Italiener oder nicht, für den Zugang zu Mietwohnungen oder Wohnungseigentum zu befriedigen, Mittelzuweisungen in Höhe von insgesamt 90 812 321,57 Euro genehmigt worden seien, davon 21 546 197,57 Euro für Wohngeld und 69 266 124 Euro für Kauf, Bau und Wiedergewinnung von Wohnungen für den Grundwohnbedarf, und dass für die zweite Gruppe, bestehend aus den Drittstaatsangehörigen, insgesamt 11 604 595 Euro, davon 10 200 000 Euro für Wohngeld und 1 404 595 Euro für Kauf, Bau und Wiedergewinnung von Wohnungen für den Grundwohnbedarf genehmigt worden seien.

38      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das Tribunale di Bolzano dem Kläger des Ausgangsverfahrens vorsorglich das beantragte Wohngeld für die Monate Oktober 2009 bis Juni 2010 gewährt hat, und zwar einen Betrag von 453,62 Euro je Monat.

39      Da das Tribunale di Bolzano für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Unionsrechts für erforderlich hält, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Gebietet der Grundsatz des Vorrangs (principe de primauté) des Unionsrechts dem nationalen Gericht, unmittelbar wirksame Bestimmungen der Union vollständig und unmittelbar anzuwenden und im Widerspruch zum Unionsrecht stehende innerstaatliche Bestimmungen unangewendet zu lassen, auch wenn Letztere zur Umsetzung von Grundprinzipien der Verfassungsordnung des Mitgliedstaats erlassen worden sind?

2.      Gebietet bei einem Widerspruch zwischen innerstaatlichen Bestimmungen und Bestimmungen der EMRK die Verweisung in Art. 6 EUV auf die EMRK dem nationalen Gericht, Art. 14 EMRK und Art. 1 des Protokolls Nr. 12 unmittelbar anzuwenden und das mit der EMRK unvereinbare innerstaatliche Recht unangewendet zu lassen, ohne dass zuvor die Frage der Verfassungsmäßigkeit dem nationalen Verfassungsgerichtshof vorgelegt wird?

3.      Stehen das Unionsrecht und insbesondere die Art. 2 EUV und 6 EUV, die Art. 21 und 34 der Charta sowie die Richtlinien 2000/43 und 2003/109 einer innerstaatlichen (richtiger: Landes‑)Regelung entgegen, wie sie in Art. 15 Abs. 2 des Dekrets Nr. 670/1972 des Präsidenten in Verbindung mit den Art. 1 und 5 des Landesgesetzes und dem Beschluss Nr. 1885 enthalten ist, soweit diese Regelung für die in Rede stehenden Vergünstigungen und insbesondere das sogenannte „Wohngeld“ die Staatsangehörigkeit berücksichtigt und gebietsansässige langfristig aufenthaltsberechtigte Arbeitnehmer, die keine Unionsbürger sind, oder Staatenlose ungünstiger als gebietsansässige Unionsbürger (Italiener und Nichtitaliener) behandelt?

Falls die vorstehenden Fragen bejaht werden:

4.      Ist bei einem Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Union wie das Diskriminierungsverbot und das Rechtssicherheitsgebot in Anbetracht einer innerstaatlichen Durchführungsregelung, die es dem Gericht erlaubt, „die Unterlassung des schädigenden Verhaltens und jede andere Maßnahme anzuordnen, die je nach den Umständen geeignet ist, die Wirkungen der Diskriminierung [zu beseitigen]“, es gebietet, „die Einstellung des diskriminierenden Verhaltens oder der diskriminierenden Handlung, sofern diese noch besteht, und die Beseitigung der Wirkungen anzuordnen“, und es zulässt, „zur Verhinderung der Wiederholung innerhalb der in der Entscheidung festgesetzten Frist einen Plan der Beseitigung der festgestellten Diskriminierungen“ anzuordnen, Art. 15 der Richtlinie 2000/43, wonach die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, dahin auszulegen, dass dieser bei den festgestellten Diskriminierungen und den zu beseitigenden Wirkungen – auch zu dem Zweck, ungerechtfertigte umgekehrte Diskriminierungen zu vermeiden – sämtliche Verstöße erfasst, die sich auf die Adressaten der Diskriminierung auswirken, auch wenn sie nicht am Rechtsstreit beteiligt sind?

Falls die vierte Frage bejaht wird:

5.      Stehen das Unionsrecht und insbesondere die Art. 2 EUV und 6 EUV, die Art. 21 und 34 der Charta sowie die Richtlinien 2000/43 und 2003/109 einer innerstaatlichen (richtiger: Landes-)Regelung entgegen, die nur von Bürgern, die nicht der Union angehören, und nicht auch von den Unionsbürgern (Italiener und Nichtitaliener) – die nur in Bezug auf das Erfordernis, mehr als fünf Jahre im Landesgebiet zu wohnen, gleichgestellt sind – für den Bezug von Wohngeld die Erfüllung der zusätzlichen Voraussetzung einer dreijährigen Erwerbstätigkeit verlangt?

6.      Stehen das Unionsrecht und insbesondere die Art. 2 EUV und 6 EUV sowie die Art. 18 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV in Verbindung mit den Art. 1, 21 und 34 der Charta einer innerstaatlichen (richtiger: Landes-)Regelung entgegen, die für Unionsbürger (Italiener und Nichtitaliener) den Bezug von Wohngeld von der Abgabe einer Erklärung über die Zugehörigkeit zu bzw. die ethnische Angliederung an eine der drei Sprachgruppen in Alto Adige/Südtirol abhängig macht?

7.      Stehen das Unionsrecht und insbesondere die Art. 2 EUV und 6 EUV sowie die Art. 18 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV in Verbindung mit den Art. 21 und 34 der Charta einer innerstaatlichen (richtiger: Landes-)Regelung entgegen, die für Unionsbürger (Italiener und Nichtitaliener) den Bezug von Wohngeld von einem Aufenthalt oder einer Erwerbstätigkeit von mindestens fünf Jahren im Landesgebiet abhängig macht?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit der ersten und der vierten bis siebten Vorlagefrage

40      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Allerdings hat der Gerichtshof zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird. Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt auch, dass das nationale Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (vgl. Urteil Adeneler u. a., Randnr. 42).

42      Dabei ist die Zurückweisung des Vorabentscheidungsersuchens eines nationalen Gerichts nur möglich, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteil vom 23. November 2006, Asnef-Equifax und Administración del Estado, C‑238/05, Slg. 2006, I‑11125, Randnr. 17).

43      Im Licht dieser Grundsätze ist die Zulässigkeit mehrerer der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu überprüfen.

 Zur ersten Frage

44      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dem nationalen Gericht gebietet, unmittelbar wirksame Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden und im Widerspruch zu diesen stehende Regelungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, auch wenn eine solche Regelung zur Umsetzung der Grundprinzipien der Verfassungsordnung des betreffenden Mitgliedstaats erlassen worden sind.

45      Diese Frage nimmt Bezug auf den Grundsatz des Schutzes der sprachlichen Minderheiten, bei dem es sich dem nationalen Gericht zufolge um ein Grundprinzip der Verfassungsordnung dieses Mitgliedstaats handelt. Dieser Grundsatz ist aber im vorliegenden Fall nur relevant, soweit es die italienischen Staatsangehörigen und die Unionsbürger betrifft, für die, wie aus den Randnrn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils hervorgeht, der Zugang zu Wohngeld unterschiedslos von der Abgabe einer einfachen Erklärung der Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen abhängig gemacht wird, während von Drittstaatsangehörigen wie dem Kläger des Ausgangsverfahrens keine solche Erklärung verlangt wird.

46      Da die erste Frage in Wirklichkeit darauf abzielt, den Gerichtshof zur Abgabe eines Gutachtens zu einer allgemeinen Frage zu veranlassen, die eine Situation betrifft, die in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, ist sie unzulässig.

 Zur vierten Frage

47      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 der Richtlinie 2000/43, wonach die Sanktionen, die bei einem Verstoß gegen das Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft verhängt werden, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, es einem nationalen Gericht, das einen solchen Verstoß feststellt, gebietet, sämtliche Verstöße zu unterbinden, die sich auf die Opfer der Diskriminierung auswirken, auch wenn sie nicht am Rechtsstreit beteiligt sind.

48      Im vorliegenden Fall geht sowohl aus der Vorlageentscheidung als auch aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen eindeutig hervor, dass die von dem Kläger behauptete Ungleichbehandlung zu seinen Lasten gegenüber italienischen Staatsangehörigen auf seiner Rechtsstellung als Drittstaatsangehöriger beruht.

49      Nach Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/43 findet diese aber nur auf unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft Anwendung. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt darüber hinaus, dass die Richtlinie nicht unterschiedliche Behandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit betrifft und dass sie die Vorschriften und Bedingungen für die Einreise von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder deren Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet sowie eine Behandlung, die sich aus der Rechtsstellung von Staatsangehörigen dritter Staaten oder staatenlosen Personen ergibt, nicht berührt.

50      Hieraus folgt, dass die vom Kläger des Ausgangsverfahrens behauptete Diskriminierung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/43 fällt und dass die vierte Frage unzulässig ist.

 Zur fünften Frage

51      Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere der Richtlinien 2000/43 und 2003/109, einer nationalen oder regionalen Regelung entgegenstehen, die nur von Drittstaatsangehörigen, nicht aber von Unionsbürgern, gleichviel ob Italiener oder nicht, zusätzlich zu dem Erfordernis, mehr als fünf Jahre im Gebiet der Autonomen Provinz Bozen wohnen zu müssen, für den Bezug von Wohngeld die Erfüllung der Voraussetzung einer dreijährigen Erwerbstätigkeit verlangt.

52      Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, geht es im Ausgangsrechtsstreit um die von dem Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachte Diskriminierung, die sich aus dem im Landesgesetz und im Beschluss Nr. 1885 vorgesehenen Mechanismus der Aufteilung der für das Wohngeld bestimmten Mittel ergebe.

53      Es ist unstreitig, dass im Ausgangsverfahren der Kläger die Drittstaatsangehörigen auferlegte Voraussetzung gemäß Art. 5 Abs. 7 des Landesgesetzes, d. h. die Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Erwerbstätigkeit in der Autonomen Provinz Bozen, erfüllte und dass sein Wohngeldantrag nicht mit der Begründung versagt wurde, dass er diese Voraussetzung nicht erfülle.

54      Unter diesen Umständen ist die fünfte Frage, die in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits steht, als unzulässig zurückzuweisen.

 Zur sechsten und siebten Frage

55      Mit seiner sechsten und siebten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, und insbesondere die Art. 2 EUV, 6 EUV, 18 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV in Verbindung mit den Art. 1, 21 und 34 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen oder regionalen Regelung entgegenstehen, die den Bezug des in ihr vorgesehenen Wohngelds für Unionsbürger zum einen von einem Aufenthalt oder einer Erwerbstätigkeit von mindestens fünf Jahren im Gebiet der Autonomen Provinz Bozen und zum anderen von der Abgabe einer Erklärung über die Zugehörigkeit zu oder die ethnische Angliederung an eine der drei Sprachgruppen in diesem Gebiet abhängig macht.

56      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens, wie aus den Randnrn. 31 und 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ein seit mehreren Jahren im Gebiet der Autonomen Provinz Bozen wohnender Drittstaatsangehöriger ist und dass der Ausgangsrechtsstreit die Ablehnung seines Wohngeldantrags mit der Begründung betrifft, dass das für Drittstaatsangehörige bestimmte Budget erschöpft sei und die für die Zahlung des Wohngelds notwendigen Mittel nicht mehr verfügbar seien.

57      Das vorlegende Gericht hat nicht dargetan, aus welchem Grund eine auf der Grundlage des Unionsrechts ausgesprochene Ungültigerklärung der Voraussetzungen, die Unionsbürger nach der Regelung der Autonomen Provinz Bozen für den Bezug von Wohngeld im Hinblick auf Wohnsitz oder Sprache erfüllen müssen, einen Zusammenhang zu der Realität und dem Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits aufweisen könnte.

58      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die sechste und die siebte Frage des vorlegenden Gerichts unzulässig sind.

 Zur Begründetheit

 Zur zweiten Frage

59      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Fall eines Widerspruchs zwischen einer Regelung des nationalen Rechts und der EMRK es die in Art. 6 EUV enthaltene Verweisung auf die EMRK dem nationalen Gericht gebietet, die Bestimmungen der EMRK, hier Art. 14 EMRK und Art. 1 des Protokolls Nr. 12, unmittelbar anzuwenden und die mit der EMRK unvereinbare nationale Regelung unangewendet zu lassen, ohne dass zuvor die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Corte costituzionale vorgelegt wird.

60      Gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.

61      Diese Bestimmung des EUV trägt der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung, wonach die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat (vgl. z. B. Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Randnr. 112).

62      Art. 6 Abs. 3 EUV regelt indessen nicht das Verhältnis zwischen der EMRK und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und bestimmt auch nicht, welche Konsequenzen ein nationales Gericht aus einem Widerspruch zwischen den durch die EMRK gewährleisteten Rechten und einer Regelung des nationalen Rechts zu ziehen hat.

63      Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass es die in Art. 6 EUV enthaltene Verweisung auf die EMRK einem nationalen Gericht nicht gebietet, im Fall eines Widerspruchs zwischen einer Regelung des nationalen Rechts und der EMRK deren Bestimmungen unmittelbar anzuwenden und die mit der EMRK unvereinbare nationale Regelung unangewendet zu lassen.

 Zur dritten Frage

64      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinien 2000/43 und 2003/109, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen oder regionalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige in Bezug auf die Gewährung von Wohngeld anders behandelt als Unionsbürger, gleichviel ob italienische Staatsangehörige oder nicht, die im Gebiet der Autonomen Provinz Bozen ansässig sind.

65      Aus den bereits in den Randnrn. 48 bis 50 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen fällt die vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachte Diskriminierung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/43.

66      In Bezug auf die Richtlinie 2003/109 ist vorab daran zu erinnern, dass in der mit ihr geschaffenen Regelung klar festgelegt ist, dass die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach dieser Richtlinie einem besonderen Verfahren unterliegt und außerdem von der Erfüllung der in Kapitel II der Richtlinie angegebenen Voraussetzungen abhängt.

67      So sieht Art. 4 der Richtlinie 2003/109 vor, dass die Mitgliedstaaten die Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vorbehalten, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben. Art. 5 der Richtlinie verlangt für die Zuerkennung dieser Rechtsstellung den Nachweis, dass der Drittstaatsangehörige, der diese Rechtsstellung beantragt, über ausreichende Einkünfte sowie eine Krankenversicherung verfügt. Art. 7 der Richtlinie schließlich legt die für die Erlangung dieser Rechtsstellung geltenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen fest.

68      Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, so dass er aufgrund dieser Richtlinie die Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie beanspruchen kann.

69      Im vorliegenden Urteil ist zu prüfen, ob eine Aufteilung der für das Wohngeld bestimmten Mittel, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, mit dem in Art. 11 der Richtlinie 2003/109 niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung in Einklang steht.

–       Zur Ungleichbehandlung und zur Vergleichbarkeit der in Rede stehenden Sachverhalte

70      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in dem Sachverhalt, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, das Landesgesetz die für das Wohngeld bestimmten Mittel sowohl für die Unionsbürger, ob Italiener oder Nichtitaliener, als auch für die Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage eines gewichteten Durchschnitts aufteilt, der anhand der zahlenmäßigen Stärke einer jeden Gruppe und des Bedarfs dieser Gruppen bestimmt wird.

71      Während allerdings für italienische Staatsangehörige und Unionsbürger, für die, wie aus den Randnrn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils hervorgeht, der Erhalt von Wohngeld unterschiedslos von der Abgabe einer Erklärung der Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen abhängt, für die beiden bei der Bestimmung des gewichteten Durchschnitts berücksichtigten Faktoren derselbe Koeffizient gilt, nämlich ein Koeffizient von 1, wurde für die Drittstaatsangehörigen gemäß dem Beschluss Nr. 1885 dem Faktor ihres zahlenmäßigen Bestandes ein Koeffizient von 5 und ihrem Bedarf ein Koeffizient von 1 zugewiesen.

72      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, unterlag somit ab dem Jahr 2009 die Bestimmung des Anteils der Mittel für Wohngeld, die an Unionsbürger einerseits und an Drittstaatsangehörige andererseits vergeben wurden, unterschiedlichen Berechnungsmethoden. Die Anwendung unterschiedlicher Koeffizienten hat eine Benachteiligung der aus Drittstaatsangehörigen bestehenden Gruppe zur Folge, da das für ihre Wohngeldanträge zur Verfügung stehende Budget geringer ist und somit schneller erschöpft sein kann als das den Unionsbürgern zugeteilte.

73      Es ist daher festzustellen, dass der Unterschied zwischen den Koeffizienten für die zahlenmäßige Stärke der Drittstaatsangehörigen einerseits und der zu den drei Sprachgruppen gehörenden Unionsbürger, ob Italiener oder Nichtitaliener, andererseits zu einer Ungleichbehandlung zwischen diesen beiden Kategorien von Leistungsempfängern führt.

74      In Bezug auf den Vergleich zwischen den Unionsbürgern, ob Italiener oder Nichtitaliener, und den Drittstaatsangehörigen macht die Autonome Provinz Bozen geltend, dass die Verwendung unterschiedlicher Mechanismen zur Bestimmung der zahlenmäßigen Stärke dieser beiden Gruppen oder des Bedarfs dieser Gruppen zeige, dass sie sich nicht in einer vergleichbaren Situation befänden.

75      Selbst wenn jedoch, wie die Autonome Provinz Bozen geltend macht, bei der Bearbeitung der Wohngeldanträge insbesondere von Drittstaatsangehörigen Schwierigkeiten statistischer oder verwaltungsmäßiger Art bestehen sollten, erklären diese nicht, warum die Situation dieser Drittstaatsangehörigen, wenn sie die von der Richtlinie 2003/109 gewährte Rechtsstellung erlangt haben, sowohl dem Verfahren als auch den Voraussetzungen, die diese Richtlinie vorsieht, entsprochen haben und nicht über ausreichende Einkünfte zur Deckung ihrer Wohnkosten verfügen, nicht mit der eines Unionsbürgers vergleichbar ist, der den gleichen wirtschaftlichen Bedarf hat.

–       Zur Ungleichbehandlung im Licht von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109

76      Zweitens ist zu prüfen, ob die damit festgestellte Ungleichbehandlung, was die Autonome Provinz Bozen bestreitet, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/109, insbesondere ihres Art. 11 Abs. 1 Buchst. d, fällt, wonach langfristig Aufenthaltsberechtigte in Bezug auf soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz im Sinne des nationalen Rechts Anspruch auf Gleichbehandlung haben.

77      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es, wenn der Unionsgesetzgeber, wie in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109, ausdrücklich auf das nationale Recht verweist, nicht Sache des Gerichtshofs ist, den betreffenden Begriffen eine autonome und einheitliche unionsrechtliche Definition zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, Slg. 1984, 107, Randnr. 14). Eine solche Verweisung impliziert nämlich, dass der Unionsgesetzgeber die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede in der Definition und der genauen Tragweite der fraglichen Begriffe unberührt lassen wollte.

78      Das Fehlen einer autonomen und einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Begriffe der sozialen Sicherheit, der Sozialhilfe und des Sozialschutzes und die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 enthaltene Verweisung auf das nationale Recht hinsichtlich dieser Begriffe bedeuten jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2003/109 bei der Anwendung des in diesem Artikel vorgesehenen Gleichbehandlungsgrundsatzes beeinträchtigen dürften.

79      Gemäß dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 steht diese im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtigt die Grundsätze, die insbesondere durch die Charta anerkannt wurden, der nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang zukommt wie den Verträgen. Nach ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union.

80      Folglich müssen die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Maßnahmen der sozialen Sicherheit, der Sozialhilfe und des Sozialschutzes, die in ihrem nationalen Recht vorgesehen sind und dem in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 niedergelegten Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegen, die in der Charta gewährleisteten Rechte beachten und die in ihr normierten Grundsätze berücksichtigen, darunter insbesondere die in Art. 34 der Charta aufgeführten. Art. 34 Abs. 3 der Charta bestimmt, dass zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und der Armut die Union, und damit die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union, „das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten [anerkennt und achtet]“.

81      Da sowohl in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 als auch in Art. 34 Abs. 3 der Charta auf das nationale Recht Bezug genommen wird, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels der Integration zu beurteilen, ob ein Wohngeld wie das im Landesgesetz vorgesehene – was die Autonome Provinz Bozen bestreitet – in eine der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 genannten Kategorien fällt.

–       Zu Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109

82      Da das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wohngeld unter Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 fällt, ist drittens zu prüfen, ob die Autonome Provinz Bozen, wie sie geltend macht, berechtigt wäre, die Anwendung des in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 niedergelegten Grundsatzes der Gleichbehandlung gemäß Abs. 4 dieses Artikels zu beschränken.

83      Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Anwendung dieses Grundsatzes bei Sozialhilfe und Sozialschutz auf die Kernleistungen beschränken können. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 erlaubt dagegen keine Ausnahme von diesem Grundsatz in Bezug auf Leistungen der sozialen Sicherheit im Sinne des nationalen Rechts.

84      Aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie geht hervor, dass der Begriff der Kernleistungen zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei Elternschaft und bei Langzeitpflege erfasst. Die Modalitäten der Gewährung dieser Leistungen sollten laut diesem Erwägungsgrund durch das nationale Recht bestimmt werden.

85      Zunächst ist festzustellen, dass die in diesem 13. Erwägungsgrund enthaltene Aufzählung, die den in Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 verwendeten Begriff der „Kernleistungen“ veranschaulicht, nicht erschöpfend ist, wie die Verwendung des Wortes „zumindest“ zeigt. Dass in diesem Erwägungsgrund nicht ausdrücklich auf Wohngeld Bezug genommen wird, bedeutet somit nicht, dass dieses keine der Kernleistungen darstellt, auf die der Grundsatz der Gleichbehandlung zwingend anzuwenden ist.

86      Ferner ist, da die Integration der dauerhaft in den Mitgliedstaaten ansässig gewordenen Drittstaatsangehörigen und ihr Recht auf Gleichbehandlung in den in Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 genannten Bereichen die Grundregel bilden, die in Abs. 4 dieses Artikels vorgesehene Ausnahme eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 2010, Chakroun, C‑578/08, Slg. 2010, I‑1839, Randnr. 43).

87      Insoweit ist hervorzuheben, dass eine Behörde, sei es auf nationaler, auf regionaler oder auf kommunaler Ebene, sich auf die in Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 vorgesehene Ausnahme nur berufen darf, wenn die für die Durchführung dieser Richtlinie zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats eindeutig zum Ausdruck gebracht haben, dass sie diese Ausnahme in Anspruch nehmen wollten.

88      Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte geht nicht hervor, dass die Italienische Republik ihre Absicht zum Ausdruck gebracht hätte, von der in Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung Gebrauch zu machen.

89      Schließlich ist festzustellen, dass die im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 enthaltene Verweisung auf das nationale Recht nur die Modalitäten der Gewährung der fraglichen Leistungen betrifft, d. h. die Festlegung der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Leistungen und der Höhe dieser Leistungen sowie der entsprechenden Verfahren.

90      Die Bedeutung und die Tragweite des Begriffs „Kernleistungen“ im Sinne des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 sind demgemäß unter Berücksichtigung des Kontexts, in den sich dieser Artikel einfügt, und des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels zu ermitteln, das in der Integration der sich rechtmäßig und langfristig in den Mitgliedstaaten aufhaltenden Drittstaatsangehörigen besteht.

91      Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 ist dahin aufzufassen, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, die Gleichbehandlung, auf die die Inhaber der von der Richtlinie 2003/109 gewährten Rechtsstellung Anspruch haben, zu beschränken, ausgenommen diejenigen von den Behörden, sei es auf nationaler, auf regionaler oder auf kommunaler Ebene, gewährten Leistungen der Sozialhilfe oder des Sozialschutzes, die dazu beitragen, es dem Einzelnen zu erlauben, seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und Gesundheit zu befriedigen.

92      Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Union gemäß Art. 34 der Charta das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung anerkennt und achtet, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen. Hieraus folgt, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zuschuss, soweit er den von diesem Artikel der Charta genannten Zweck erfüllt, im Unionsrecht nicht als ein solcher angesehen werden kann, der nicht zu den Kernleistungen im Sinne von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109 gehört. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, wobei der Zweck dieses Zuschusses, seine Höhe, die Voraussetzungen für seine Gewährung und seine Stellung im italienischen Sozialhilfesystem zu berücksichtigen sind.

93      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen oder regionalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die im Rahmen der Gewährung von Wohngeld einen Drittstaatsangehörigen, der die im Einklang mit dieser Richtlinie gewährte Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, bei der Aufteilung der für dieses Wohngeld bestimmten Mittel anders behandelt als Bürger des Mitgliedstaats, die in derselben Provinz oder Region ansässig sind, sofern dieses Wohngeld in eine der drei in dieser Bestimmung genannten Kategorien fällt und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie keine Anwendung findet.

 Kosten

94      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die erste und die vierte bis siebte Frage, die das Tribunale di Bolzano in der Rechtssache C‑571/10 vorgelegt hat, sind unzulässig.

2.      Die in Art. 6 EUV enthaltene Verweisung auf die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebietet es einem nationalen Gericht nicht, im Fall eines Widerspruchs zwischen einer Regelung des nationalen Rechts und dieser Konvention die Bestimmungen der Konvention unmittelbar anzuwenden und die mit dieser unvereinbare nationale Regelung unangewendet zu lassen.

3.      Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen oder regionalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die im Rahmen der Gewährung von Wohngeld einen Drittstaatsangehörigen, der die im Einklang mit dieser Richtlinie gewährte Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, bei der Aufteilung der für dieses Wohngeld bestimmten Mittel anders behandelt als Bürger des Mitgliedstaats, die in derselben Provinz oder Region ansässig sind, sofern dieses Wohngeld in eine der drei in dieser Bestimmung genannten Kategorien fällt und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie keine Anwendung findet.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.