URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

3. Februar 2015(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 49 AEUV – Art. 31 des EWR-Abkommens – Körperschaftsteuer – Konzerne – Konzernabzug – Übertragung von Verlusten einer gebietsfremden Tochtergesellschaft – Voraussetzungen – Zeitpunkt der Feststellung der Endgültigkeit der Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft“

In der Rechtssache C‑172/13

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 5. April 2013,

Europäische Kommission, vertreten durch W. Roels und R. Lyal als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch V. Kaye, S. Brighouse und A. Robinson als Bevollmächtigte im Beistand von D. Ewart, QC, und S. Ford, Barrister,

Beklagter,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,

Königreich Spanien, vertreten durch A. Rubio González und A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch S. Hartikainen als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen und J.‑C. Bonichot, der Richter A. Rosas, E. Juhász und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby sowie der Richterinnen M. Berger und A. Prechal,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2014,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. Oktober 2014

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass es Voraussetzungen für den Konzernabzug bei Verlusten gebietsfremder Gesellschaften (im Folgenden: grenzüberschreitender Konzernabzug) aufgestellt hat, die es in der Praxis so gut wie unmöglich machen, einen solchen Abzug vorzunehmen, und diesen Abzug auf Zeiträume nach dem 1. April 2006 beschränkt hat.

 Rechtlicher Rahmen im Vereinigten Königreich

2        Im Vereinigten Königreich können Konzerngesellschaften aufgrund der Regelung über den Konzernabzug ihre Gewinne und Verluste untereinander verrechnen. Nach der mit dem Income and Corporation Tax Act 1988 (im Folgenden: ICTA) eingeführten Regelung war es jedoch nicht zulässig, Verluste zu berücksichtigen, die gebietsfremden Gesellschaften entstanden sind.

3        Im Anschluss an das Urteil Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763) wurde der ICTA durch Bestimmungen des Finance Act 2006, die am 1. April 2006 in Kraft traten, geändert, um den grenzüberschreitenden Konzernabzug unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. In der Folge wurden diese Bestimmungen weitgehend gleichlautend in den Corporation Tax Act 2010 (im Folgenden: CTA 2010) übernommen.

4        Der CTA 2010 regelt die Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Konzernabzug. Nach Section 118 des CTA 2010 muss die gebietsfremde Gesellschaft die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten im Steuerzeitraum, in dem die Verluste entstanden sind, und in den früheren Steuerzeiträumen ausgeschöpft haben, während Section 119(1) bis (3) des CTA 2010 bestimmt, dass keine Möglichkeit bestehen darf, die Verluste in zukünftigen Steuerzeiträumen zu berücksichtigen.

5        Nach Section 119(4) des CTA 2010 ist die Feststellung, ob Verluste in zukünftigen Steuerzeiträumen berücksichtigt werden können, „unmittelbar nach Ende“ des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, zu treffen.

6        Nach Paragraph 14(1)(a) und Paragraph 74(1)(a) von Schedule 18 des Finance Act 1998 beträgt die allgemeine Frist für die Stellung eines Antrags auf Konzernabzug zwei Jahre ab dem Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind.

7        Der Supreme Court of the United Kingdom hat in Nr. 33 seines Urteils vom 22. Mai 2013 entschieden, dass für die Gewährung des grenzüberschreitenden Konzernabzugs hinsichtlich der vor dem 1. April 2006 geltenden und im Licht des Unionsrechts ausgelegten Rechtsvorschriften zu prüfen sei, ob die antragstellende Gesellschaft auf der Grundlage der zum Zeitpunkt ihres Antrags auf Verlustabzug bekannten Umstände nachweisen könne, dass es keine Möglichkeit gegeben habe, die betreffenden Verluste in dem Mitgliedstaat, in dem die übertragende Gesellschaft ansässig sei, in einem vor dem Zeitpunkt der Antragstellung liegenden Steuerzeitraum zu berücksichtigen, und dass auch im Steuerzeitraum, in dem der Antrag gestellt werde, oder in zukünftigen Steuerzeiträumen keine solche Möglichkeit bestehe.

 Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

8        Am 19. Juli 2007 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an das Vereinigte Königreich, in dem sie ausführte, dass die von diesem Mitgliedstaat nach dem Urteil Marks & Spencer (EU:C:2005:763) erlassene Steuerregelung möglicherweise nicht mit der Niederlassungsfreiheit im Einklang stehe, da sie auf einer besonders restriktiven Auslegung des Kriteriums der Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft in dem Staat, in dem diese ansässig sei, beruhe. Außerdem habe diese Regelung erst ab dem Tag des Inkrafttretens der neuen Rechtsvorschriften, d. h. ab dem 1. April 2006, gegolten.

9        Mit E-Mail vom 23. Oktober 2007 machte das Vereinigte Königreich geltend, dass seine Rechtsvorschriften über den grenzüberschreitenden Konzernabzug mit den vom Gerichtshof im Urteil Marks & Spencer (EU:C:2005:763) aufgestellten Grundsätzen übereinstimme.

10      Am 23. September 2008 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Vereinigte Königreich, in der sie ihren Standpunkt wiederholte. Das Vereinigte Königreich bekräftigte seinen Standpunkt in einem Schreiben vom 18. November 2008.

11      Am 25. November 2010 richtete die Kommission nach dem Erlass des CTA 2010 eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme an das Vereinigte Königreich.

12      Da das Vorbringen des Vereinigten Königreichs in seinem Antwortschreiben vom 24. Januar 2011 die Kommission nicht zu überzeugen vermochte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

13      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. Oktober 2013 sind die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande und die Republik Finnland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Vereinigten Königreichs zugelassen worden.

 Zur Klage

 Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 49 AEUV und Art. 31 des EWR-Abkommens, da es Section 119(4) des CTA 2010 einer gebietsansässigen Muttergesellschaft praktisch unmöglich mache, einen grenzüberschreitenden Konzernabzug vorzunehmen

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

14      Die Kommission trägt vor, dass Section 119(4) des CTA 2010 den sich für den betreffenden Mitgliedstaat aus den Rn. 55 und 56 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) ergebenden Erfordernissen nicht genüge, da er vorsehe, dass die Feststellung der Unmöglichkeit einer zukünftigen Berücksichtigung der Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat, der Vertragspartei des EWR-Abkommens sei, ansässigen Tochtergesellschaft „unmittelbar nach Ende“ des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden seien, zu treffen sei. Diese Bestimmung habe zur Folge, dass es für eine gebietsansässige Muttergesellschaft praktisch unmöglich sei, einen grenzüberschreitenden Konzernabzug vorzunehmen.

15      Section 119(4) des CTA 2010 bewirke nämlich, dass ein grenzüberschreitender Konzernabzug nur in zwei Fällen gewährt werden könne: erstens in dem Fall, dass die Rechtsvorschriften des Sitzstaates der gebietsfremden Tochtergesellschaft keine Möglichkeit zum Verlustvortrag vorsähen, und zweitens in dem Fall, dass die gebietsfremde Tochtergesellschaft vor dem Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden seien, abgewickelt werde. Ein grenzüberschreitender Konzernabzug sei daher unter normalen geschäftlichen Bedingungen ausgeschlossen, wenn nämlich nach dem Steuerzeitraum, in dem die Verluste entstanden seien, beschlossen werde, die Tätigkeit der gebietsfremden Tochtergesellschaft einzustellen und ein Liquidationsverfahren einzuleiten. Im Übrigen sei dieser Konzernabzug auf Verluste beschränkt, die in einem einzigen Steuerzeitraum entstanden seien.

16      Um die Beachtung der vom Gerichtshof in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) genannten Voraussetzungen zu gewährleisten, sei die Möglichkeit einer steuerlichen Entlastung im Sitzstaat der gebietsfremden Tochtergesellschaft zu dem Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem der Antrag auf Konzernabzug im Vereinigten Königreich gestellt werde, und auf der Grundlage des konkreten Sachverhalts der Akte zu bewerten. Es reiche nicht aus, sich auf die theoretische Möglichkeit einer späteren Berücksichtigung der Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft zu stützen, die sich einzig aus dem Umstand ergebe, dass für diese Tochtergesellschaft noch kein Liquidationsverfahren eingeleitet worden sei.

17      Das Vereinigte Königreich erwidert, dass, wie sich aus Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) ergebe, die Voraussetzung, dass keine Möglichkeit einer Berücksichtigung der Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes in zukünftigen Steuerzeiträumen bestehe, am Ende des Steuerzeitraums zu beurteilen sei, in dem die Verluste entstanden seien.

18      Zum Vorbringen, ein grenzüberschreitender Konzernabzug sei praktisch unmöglich, stellt das Vereinigte Königreich fest, dass eine Gesellschaft Verluste normalerweise auf einen späteren Steuerzeitraum vortragen könne, wenn sie weiterhin eine Geschäftstätigkeit ausübe. Außerdem könne die in Section 119(4) des CTA 2010 vorgesehene Voraussetzung in weiteren Fallgestaltungen als den von der Kommission dargelegten erfüllt werden. Die Abwicklung der gebietsfremden Tochtergesellschaft vor dem Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden seien, werde in den maßgeblichen Bestimmungen nicht als Voraussetzung für die Anwendung des grenzüberschreitenden Konzernabzugs genannt. Der Nachweis der Absicht, eine Verluste erwirtschaftende Tochtergesellschaft aufzulösen, und die Einleitung eines Liquidationsverfahrens kurz nach dem Ende des Steuerzeitraums stellten zu berücksichtigende Faktoren dar. Die Absicht, eine Liquidation vorzunehmen, werde mit allen anderen relevanten Umständen, die am Ende des Steuerzeitraums bestünden, in dem die Verluste entstanden seien, berücksichtigt, um festzustellen, ob das Kriterium der fehlenden Möglichkeit einer Berücksichtigung der Verluste erfüllt sei.

19      Die Streithelfer machen geltend, dass das Vereinigte Königreich nicht verpflichtet sei, eine Möglichkeit zur Berücksichtigung der Verluste gebietsfremder Tochtergesellschaften in all den Fällen vorzusehen, in denen diese Verluste nicht anderweitig berücksichtigt werden könnten. Außerdem wäre das Erfordernis, dass die gebietsfremde Tochtergesellschaft de facto abgewickelt worden sei, nicht unverhältnismäßig.

20      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ergänzend vor, dass die sich aus dem Urteil Marks & Spencer (EU:C:2005:763) ergebende Rechtsprechung nach dem Urteil K (C‑322/11, EU:C:2013:716) einer Überprüfung bedürfe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

21      Der CTA 2010 sieht eine Regelung über den Konzernabzug vor, nach der die Verluste einer Konzerngesellschaft mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften verrechnet werden können. Im Gegensatz zu den Verlusten gebietsansässiger Gesellschaften können die Verluste gebietsfremder Gesellschaften beim Konzernabzug nur dann berücksichtigt werden, wenn sie die Voraussetzungen der Sections 118 und 119 des CTA 2010 erfüllen.

22      Der Konzernabzug nach dem CTA 2010 stellt für die betreffenden Gesellschaften eine Steuervergünstigung dar. Er beschleunigt den Ausgleich der Verluste der defizitären Tochtergesellschaften durch ihre unmittelbare Verrechnung mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften und verschafft dem Konzern dadurch einen Liquiditätsvorteil (vgl. Urteile Marks & Spencer, EU:C:2005:763, Rn. 32, sowie Felixstowe Dock and Railway Company u. a., C‑80/12, EU:C:2014:200, Rn. 19).

23      Die in Rn. 21 des vorliegenden Urteils hinsichtlich der Gewährung dieser Steuervergünstigung festgestellte Ungleichbehandlung von Verlusten gebietsansässiger Tochtergesellschaften und Verlusten gebietsfremder Tochtergesellschaften ist geeignet, die Muttergesellschaft in der Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV zu behindern, da sie dadurch von der Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten abgehalten wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Marks & Spencer, EU:C:2005:763, Rn. 33, Felixstowe Dock and Railway Company u. a., EU:C:2014:200, Rn. 21, sowie Nordea Bank Danmark, C‑48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 22).

24      Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine solche Ungleichbehandlung mit drei zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, zusammen genommen, gerechtfertigt werden, nämlich der Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, sowie der Notwendigkeit, der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuerfluchtgefahr vorzubeugen (vgl. in diesem Sinne Urteile Marks & Spencer, EU:C:2005:763, Rn. 51, Oy AA, C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 51, und A, C‑123/11, EU:C:2013:84, Rn. 46).

25      Es bleibt zu prüfen, ob die Voraussetzungen, die die Vorschriften des CTA 2010 für einen grenzüberschreitenden Konzernabzug aufstellen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, indem sie, obschon sie zur Erreichung der in der vorstehenden Randnummer genannten Ziele geeignet sind, nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen.

26      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763), das den ICTA betraf, der jegliche Berücksichtigung von Verlusten gebietsfremder Tochtergesellschaften im Rahmen des Konzernabzugs ausschloss, entschieden hat, dass die Ungleichbehandlung von Verlusten einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft und denen einer gebietsfremden Tochtergesellschaft über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die verfolgten Ziele zu erreichen, wenn zum einen die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und zum anderen keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der gebietsfremden Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden (vgl. auch Urteile Lidl Belgium, C‑414/06, EU:C:2008:278, Rn. 47, und A, EU:C:2013:84, Rn. 49).

27      Wie sich aus Rn. 56 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) ergibt, verstößt es, sofern die gebietsansässige Muttergesellschaft gegenüber den Steuerbehörden nachweist, dass eine gebietsfremde Tochtergesellschaft endgültige Verluste im Sinne von Rn. 55 dieses Urteils erwirtschaftet hat, gegen Art. 49 AEUV, wenn es dieser Muttergesellschaft verwehrt wird, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn die Verluste ihrer gebietsfremden Tochtergesellschaft abzuziehen.

28      Es ist jedoch festzustellen, dass die Sections 118 und 119(1) bis (3) des CTA 2010 die Berücksichtigung der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft durch die gebietsansässige Muttergesellschaft in den in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) genannten Fällen zulassen.

29      Im Übrigen erkennt die Kommission in ihrer Klageschrift selbst an, dass der CTA 2010 grundsätzlich die Berücksichtigung der im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft durch die gebietsansässige Muttergesellschaft gestattet.

30      Nach Ansicht der Kommission verstößt jedoch Section 119(4) des CTA 2010 gegen Art. 49 AEUV, da sie es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft praktisch unmöglich mache, einen grenzüberschreitenden Konzernabzug vorzunehmen.

31      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Section 119(4) des CTA 2010 der Zeitpunkt festgelegt ist, zu dem zu beurteilen ist, ob die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft endgültig im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) sind. Danach ist diese Beurteilung „unmittelbar nach Ende“ des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, vorzunehmen.

32      Nach Ansicht der Kommission macht es dieses Erfordernis so gut wie unmöglich, einen Konzernabzug für die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft vorzunehmen, da die Berücksichtigung solcher Verluste durch die gebietsansässige Muttergesellschaft in der Praxis nur in zwei Fällen zulässig sei, nämlich erstens, wenn die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sich der Sitz der Tochtergesellschaft befinde, keine Möglichkeit zum Verlustvortrag vorsähen, und zweitens, wenn für die Tochtergesellschaft vor Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden seien, ein Liquidationsverfahren eingeleitet werde.

33      Dazu ist jedoch festzustellen, dass der erste von der Kommission angeführte Fall für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Section 119(4) des CTA 2010 unerheblich ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung kann die Endgültigkeit der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) nicht von dem Umstand herrühren, dass der Mitgliedstaat, in dem diese Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, jegliche Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt (vgl. Urteil K, EU:C:2013:716, Rn. 75 bis 79 und die dort angeführte Rechtsprechung). In einem solchen Fall kann der Mitgliedstaat, in dem die Muttergesellschaft ihren Sitz hat, den grenzüberschreitenden Konzernabzug verweigern, ohne dadurch gegen Art. 49 AEUV zu verstoßen.

34      In Bezug auf den zweiten angeführten Fall ist zum einen festzustellen, dass die Kommission ihr Vorbringen, dass die gebietsansässige Muttergesellschaft nach Section 119(4) des CTA 2010 nur dann einen grenzüberschreitenden Konzernabzug vornehmen könne, wenn für die gebietsfremde Tochtergesellschaft vor dem Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden seien, ein Liquidationsverfahren eingeleitet werde, nicht belegt hat.

35      Section 119(4) des CTA 2010 sieht vor, dass die Beurteilung, ob die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft endgültig im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) sind, „unmittelbar nach Ende“ des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, vorzunehmen ist. Daher ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass sie jedenfalls kein Erfordernis hinsichtlich der Einleitung eines Liquidationsverfahrens für die betreffende Tochtergesellschaft vor dem Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, aufstellt.

36      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nur dann festgestellt werden kann, dass die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft endgültig im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) sind, wenn diese Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat ihres Sitzes keine Einnahmen mehr erzielt. Solange sie nämlich weiterhin – wenn auch minimale – Einnahmen erzielt, besteht noch die Möglichkeit, die Verluste mit künftigen Gewinnen, die im Mitgliedstaat ihres Sitzes erzielt werden, zu verrechnen (vgl. Urteil A, EU:C:2013:84, Rn. 53 und 54).

37      Das Vereinigte Königreich hat unter Bezugnahme auf ein konkretes Beispiel einer gebietsansässigen Muttergesellschaft, die einen grenzüberschreitenden Konzernabzug vorgenommen hat, bestätigt, dass nachgewiesen werden kann, dass die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft endgültig im Sinne der Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763) sind, wenn diese Tochtergesellschaft unmittelbar nach Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, ihre Geschäftstätigkeit eingestellt hat und alle ihre Einnahmen erzielenden Vermögenswerte verkauft oder abgegeben hat.

38      Unter diesen Umständen ist die erste Rüge zurückzuweisen, soweit sie auf einen Verstoß gegen Art. 49 AEUV gestützt ist.

39      Zu dem von der Kommission ebenfalls geltend gemachten Verstoß von Section 119(4) des CTA 2010 gegen Art. 31 des EWR-Abkommens ist festzustellen, dass die Bestimmungen dieses Artikels dieselbe rechtliche Tragweite wie die im Wesentlichen gleichen Bestimmungen des Art. 49 AEUV haben und daher sämtliche vorstehende Ausführungen unter Umständen wie denen des vorliegenden Rechtsstreits entsprechend für den genannten Art. 31 gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Finnland, C‑342/10, EU:C:2012:688, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Somit ist die erste Rüge insgesamt zurückzuweisen.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 49 AEUV und Art. 31 des EWR-Abkommens, da die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs den grenzüberschreitenden Konzernabzug für Verluste ausschließen, die vor dem 1. April 2006 entstanden sind

41      Die Kommission trägt vor, dass Verluste, die vor dem 1. April 2006 entstanden seien, unter Verstoß gegen Art. 49 AEUV und Art. 31 des EWR-Abkommens vom grenzüberschreitenden Konzernabzug ausgeschlossen seien, da die diesen Abzug betreffenden Bestimmungen des CTA 2010 nur für Verluste gälten, die nach dem 1. April 2006, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Finance Act 2006, entstanden seien.

42      Zu diesem Vorbringen der Kommission führt das Vereinigte Königreich aus, dass der grenzüberschreitende Konzernabzug auch für Zeiträume vor dem 1. April 2006 möglich sei, dass er aber in den auf diese früheren Zeiträume anwendbaren Rechtsvorschriften geregelt sei, die nach dem Urteil Marks & Spencer (EU:C:2005:763) im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt würden, wie es der Supreme Court of the United Kingdom in seinem Urteil vom 22. Mai 2013 (Rn. 7 des vorliegenden Urteils) angestrebt habe.

43      Unabhängig von der Frage, ob der Verweis auf die Auslegung der vor dem 1. April 2006 geltenden nationalen Rechtsvorschriften durch den Supreme Court of the United Kingdom, nach der vor diesem Zeitpunkt entstandene Verluste nicht vom grenzüberschreitenden Konzernabzug ausgeschlossen seien, ausreicht, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit hinsichtlich der Möglichkeit, den grenzüberschreitenden Konzernabzug für Verluste vorzunehmen, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, Genüge zu tun, ist festzustellen, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass es Situationen gibt, in denen für Verluste vor dem 1. April 2006 kein Konzernabzug gewährt wurde.

44      Unter diesen Umständen ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

45      Daher ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

46      Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Vereinigten Königreichs die Kosten aufzuerlegen.

47      Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande und die Republik Finnland ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.