URTEIL DES GERICHTSHOFES

21. Oktober 1999 (1)

„Dienstleistungsfreiheit - Annahme von Wetten“

In der Rechtssache C-67/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom italienischen Consiglio di Stato in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Questore di Verona

gegen

Diego Zenatti

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über eine Frage nach der Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), G. Hirsch, P. Jann und H. Ragnemalm,

Generalanwalt: N. Fennelly


Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

-    der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato D. Del Gaizo,

-    des Herrn Zenatti, vertreten durch die Rechtsanwälte R. Torrisi Rigano, Catania, und A. Pascerini, Bologna,

-    der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,

-    der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

-    der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes, Leiter des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für die Europäischen Gemeinschaften des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, M. L. Duarte, Rechtsberaterin in dieser Direktion, und A. P. Barros, juristische Koordinatorin der Abteilung Spiele der Santa Casa de Misericórdia de Lisboa, als Bevollmächtigte,

-    der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter H. Rotkirch, Leiter der Abteilung für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, und T. Pynnä, Rechtsberaterin im selben Ministerium, als Bevollmächtigte,

-    der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård, Juristisches Sekretariat (EU) im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

-    der norwegischen Regierung, vertreten durch J. Bugge-Mahrt, stellvertretender Generaldirektor im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

-    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia und L. Pignataro, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der italienischen Regierung, vertreten durch D. Del Gaizo, des Herrn Zenatti, vertreten durch Rechtsanwälte R. Torrisi Rigano und A. Pascerini, der belgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt P. Vlaemminck, Gent, der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad, der französischen Regierung, vertreten durch F. Million, Beauftragter der juristischen Abteilung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der portugiesischen Regierung, vertreten durch M. L. Duarte, der finnischen Regierung, vertreten durch H. Rotkirch und T. Pynnä, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Ministerialrat im Juristischen Sekretariat (EU) im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten und der Kommission, vertreten durch M. Patakia und L. Pignataro, in der Sitzung vom 10. März 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 1999,

folgendes

Urteil

1.
    Der Consiglio di Stato hat mit Beschluß vom 20. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften, die von Ausnahmen abgesehen die Annahme von Wetten verbieten und bestimmten Einrichtungen das Recht vorbehalten, die erlaubten Wetten zu organisieren, mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit gestellt.

2.
    Diese Frage wurde im Rahmen einer Anfechtungsklage des Klägers Zenatti gegen eine Verfügung des Questore di Verona (Polizeipräfekt der Provinz Verona) gestellt, mit der ihm die Fortführung seiner Tätigkeit als italienischer Mittelsmann einer Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, die auf den Abschluß von Wetten über Sportereignisse spezialisiert ist, verboten wurde.

Der rechtliche Rahmen

3.
    Nach Artikel 88 des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 über die Annahme der kodifizierten Fassung der Gesetze über die öffentliche Sicherheit (GURI Nr. 146 vom 26. Juni 1931; nachfolgend: Königliches Dekret) kann eine „Genehmigung für den Abschluß von Wetten ... nicht erteilt werden, es sei denn, es handelt sich um Wetten bei Rennen, Regatten, Ballspielen oder ähnlichen Wettkämpfen, sofern der Abschluß der Wetten eine notwendige Voraussetzung für die zweckentsprechende Durchführung des Wettkampfs ist.“

4.
    Aus der Antwort der italienischen Regierung auf die vom Gerichtshof gestellte Frage nach den Anwendungsmodalitäten dieser Ausnahme geht hervor, daß die Wetten entweder das Ergebnis von Sportereignissen, die unter der Kontrolle des Comitato olimpico nazionale italiano (nationales olympisches Komitee; nachfolgend: CONI) stattfinden, oder das Ergebnis von Pferderennen betreffen dürfen, die durch Vermittlung der Unione nazionale incremento razze equine (nationaler Verband zur Verbesserung der Pferderassen; nachfolgend: UNIRE) organisiert werden. Die Verwendung der Gelder, die aus den Wetten stammen und diesen beiden Einrichtungen zugeteilt werden, ist gesetzlich geregelt und soll es vor allem gestatten, die Entwicklung sportlicher Aktivitäten durch Investitionen in die Infrastruktur im Bereich des Sports, insbesondere in den ärmsten Regionen und in den Außenbezirken der großen Städte zu fördern, sowie den Pferdesport und die Pferdezucht zu unterstützen. Nach verschiedenen von 1995 bis 1997 erlassenen Rechtsvorschriften dürfen die Veranstaltung und der Abschluß von Wetten, die dem CONI und der UNIRE vorbehalten sind, nach einem Ausschreibungsverfahren und gegen Zahlung der entsprechenden Lizenzgebühren an Personen oder Einrichtungen vergeben werden, die die geeigneten Sicherheiten bieten.

5.
    Nach Artikel 718 des italienischen Strafgesetzbuchs (Codice penale) ist die Ausübung oder Veranstaltung eines Glücksspiels strafbar. Artikel 4 des Gesetzes Nr. 401 vom 13. Dezember 1989 (GURI Nr. 401 vom 18. Dezember 1989) verbietet die rechtswidrige Teilnahme an der Veranstaltung von Spielen oder Wetten, die dem Staat oder Unternehmen vorbehalten sind, die über eine Konzession hierfür verfügen. Außerdem fallen die nicht genehmigten Spiele und Wetten unter Artikel 1933 des Zivilgesetzbuchs (Codice civile), dem zufolge eine Spiel- oder Wettschuld nicht einklagbar ist. Dagegen kann das freiwillig Geleistete außer im Betrugsfall nicht zurückgefordert werden.

Das Ausgangsverfahren

6.
    Seit dem 29. März 1997 ist der Kläger als italienischer Mittelsmann der SSP Overseas Betting Limited (nachfolgend: Overseas), eines amtlich zugelassenen Buchmachers mit Sitz in London, tätig. Seine Aufgabe ist es, für die italienischen Kunden von Overseas ein Übertragungszentrum für Daten betreffend Wetten über sportliche Ereignisse im Ausland zu betreiben. Er schickt von den Kunden ausgefüllte Formulare, begleitet von einer Fotokopie der Banküberweisungen, per Fax oder Internet nach London und erhält andere Faxbriefe von Overseas, um sie an dieselben Kunden weiterzuleiten.

7.
    Mit Verfügung vom 16. April 1997 untersagte der Questore di Verona dem Kläger seine Tätigkeit mit der Begründung, daß sie nicht nach Artikel 88 des Königlichen Dekrets genehmigt werden könne, der die Erteilung einer Genehmigung für die Annahme von Wetten nur dann erlaube, wenn der Abschluß von Wetten eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung des Wettkampfs sei.

8.
    Der Kläger erhob gegen diese Verfügung Anfechtungsklage vor dem Tribunale amministrativo regionale del Veneto und beantragte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, deren Durchführung auszusetzen. Mit Beschluß vom 9. Juli 1997 setzte das Tribunale amministrativo die Geltung der streitigen Verfügung vorläufig aus.

9.
    Der Questore di Verona legte gegen diesen Beschluß ein Rechtsmittel zum Consiglio di Stato ein.

10.
    Der Consiglio di Stato vertritt die Auffassung, zur Entscheidung des Rechtsstreits sei die Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit erforderlich. Zwar seien die im Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg. 1994, I-1039) festgehaltenen Grundsätze - Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit stünden Rechtsvorschriften wie den britischen Lotterievorschriften unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, die diese Vorschriften rechtfertigten, nicht entgegen - wohl analog auf die italienischen Vorschriften über Wetten anwendbar.

11.
    Da jedoch noch kein Urteil des Gemeinschaftsgerichts über Regelungen dieser Art ergangen sei, hält sich der Consiglio di Stato, dessen Entscheidungen nicht anfechtbar sind, nach Artikel 177 EG-Vertrag für verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen. Deshalb hat er dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die Bestimmungen des Vertrages über den Dienstleistungsverkehr einer Regelung wie der italienischen über die Wetten unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung entgegen?

Zur Vorabentscheidungsfrage

12.
    Sowohl die italienische Regierung, für die die Avvocatura generale dello Stato Erklärungen abgegeben hat, die den Questore di Verona vor dem Consiglio di Stato vertritt, und alle anderen Regierungen als auch die Kommission sind der Ansicht, die Ausführungen im Urteil Schindler erlaubten es, die gestellte Frage zu verneinen.

13.
    Der Kläger hingegen meint, die Annahme von Wetten über Sportereignisse sei nicht mit der Veranstaltung von Lotterien gleichzusetzen, um die es im UrteilSchindler gegangen sei, insbesondere, weil Wetten keine reinen Glücksspiele seien, sondern Spiele, in denen der Wetter das Ergebnis mit seiner Geschicklichkeit bestimmen müsse. Außerdem genüge der schlichte Verweis des vorlegenden Gerichts auf Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung nicht, um die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften zu rechtfertigen.

14.
    In Randnummer 60 des Urteils Schindler hat der Gerichtshof die sittlichen, religiösen oder kulturellen Erwägungen, die in allen Mitgliedstaaten zu Lotterien ebenso wie zu den anderen Glücksspielen angestellt würden, betont. Die nationalen Rechtsvorschriften seien allgemein darauf gerichtet, die Ausübung von Glücksspielen zu begrenzen oder sogar zu verbieten und zu verhindern, daß sie zu einer Quelle persönlicher Bereicherung würden. Außerdem erhöhten Lotterien angesichts der Höhe der Beträge, die durch sie eingenommen werden könnten, und der Höhe der Gewinne, die sie den Spielern bieten könnten, vor allem wenn sie in größerem Rahmen veranstaltet würden, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten. Weiter verleiteten sie zu Ausgaben, die schädliche persönliche und soziale Folgen haben könnten. Schließlich sei nicht ohne Bedeutung, auch wenn dies nicht allein als sachliche Rechtfertigung angesehen werden könnte, daß Lotterien in erheblichem Maße zur Finanzierung gemeinnütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten wie sozialer oder karitativer Werke, des Sports oder der Kultur beitragen könnten.

15.
    Nach Randnummer 61 desselben Urteils rechtfertigen diese Besonderheiten ein Ermessen der staatlichen Stellen bei der Festlegung der Anforderungen, die wegen des Schutzes der Spieler und, ganz allgemein, nach Maßgabe der soziokulturellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaats wegen des Schutzes der Sozialordnung an Art und Weise der Veranstaltung von Lotterien, die Höhe der Einsätze sowie die Verwendung der dabei erzielten Gewinne zu stellen sind. Damit komme dieser Stelle nicht nur die Beurteilung der Frage zu, ob eine Beschränkung der Tätigkeiten im Lotteriewesen erforderlich sei, sondern sie dürften diese auch verbieten, sofern diese Beschränkungen nicht diskriminierend seien.

16.
    Auch wenn das Urteil Schindler die Veranstaltung von Lotterien betrifft, gelten, wie übrigens aus dem Wortlaut von Randnummer 60 dieses Urteils hervorgeht, seine Erwägungen gleichermaßen für andere Spiele um Geld, die vergleichbare Merkmale aufweisen.

17.
    Zwar hat der Gerichtshof es in seinem Urteil vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-368/95 (Familiapress, Slg. 1997, I-3689) abgelehnt, bestimmte Spiele mit den Lotterien, die die im Urteil Schindler untersuchten Merkmale aufwiesen, gleichzusetzen. Dabei handelte es sich um Preisausschreiben, zu denen in Zeitschriften in Form von Kreuzwort- und anderen Rätseln aufgefordert wurde und bei denen einige der Leser, die die erwarteten Antworten gegeben hatten, aufgrund einer Verlosung Preise gewinnen konnten. Wie der Gerichtshof insbesondere in Randnummer 23 dieses Urteils festgestellt hat, stellen derartige Spiele, die in kleinem Rahmen veranstaltet werden und bei denen der Einsatz gering ist, keineunabhängige wirtschaftliche Betätigung dar, sondern nur einen Bestandteil des redaktionellen Inhalts einer Zeitschrift unter anderen.

18.
    Im vorliegenden Fall hingegen bieten Wetten über Sportwettkämpfe wie reine Glücksspiele, mit denen sie im übrigen nicht gleichgestellt werden können, als Gegenleistung für einen Einsatz eine Chance auf einen Geldgewinn. In Anbetracht der Höhe der Beträge, die dabei eingenommen werden können, und der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, sind sie mit denselben Gefahren von Betrug und anderen Straftaten verbunden und können dieselben schädlichen persönlichen und sozialen Folgen haben.

19.
    Daher müssen die im Ausgangsverfahren streitigen Wetten als Glücksspiele angesehen werden, die mit den im Urteil Schindler behandelten Lotterien vergleichbar sind.

20.
    Allerdings unterscheidet sich der vorliegende Fall wenigstens in zwei Aspekten vom Fall Schindler.

21.
    Zum einen ist die Reichweite der streitigen Rechtsvorschriften in den beiden Fällen unterschiedlich, auch wenn sie jeweils die betreffenden Geschäfte vorbehaltlich von Ausnahmen verbieten. Wie der Generalanwalt in Ziffer 24 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, verbieten die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften die Annahme von Wetten nicht vollständig, sondern behalten bestimmten Einrichtungen das Recht vor, sie unter bestimmten Voraussetzungen zu veranstalten, während die nationalen Rechtsvorschriften, die im Urteil Schindler untersucht wurden, ein vollständiges Verbot der streitigen Spiele, nämlich der großen Lotterien, enthielten.

22.
    Zum anderen könnten, wie in einigen der dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen festgestellt wurde, die Bestimmungen des EG-Vertrags über das Niederlassungsrecht mit Rücksicht auf die Art der Beziehungen zwischen dem Kläger und der Firma Overseas, als deren Mittelsmann er handelt, auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren streitigen Anwendung finden.

23.
    Da sich die Frage des vorlegenden Gerichts jedoch auf die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit beschränkt, ist es nicht angebracht, die Anwendbarkeit anderer Bestimmungen des EG-Vertrags zu erörtern.

24.
    Wie der Gerichtshof im Urteil Schindler zur Veranstaltung von Lotterien entschieden hat, finden die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit Anwendung auf eine Tätigkeit, die es den Interessenten ermöglicht, gegen Bezahlung an einem Glücksspiel teilzunehmen. Demnach fällt eine solche Tätigkeit in den Anwendungsbereich von Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), sobald wenigstens einer der Leistungsanbieter ineinem anderen Staat als dem niedergelassen ist, in dem die Leistung angeboten wird.

25.
    Nun handelt es sich bei den im Ausgangsverfahren streitigen Leistungen um solche, die der Veranstalter der Wetten und seine Bevollmächtigten erbringen, indem sie die Wetter an einem Glücksspiel teilnehmen lassen, das ihnen eine Gewinnchance bietet. Diese Leistungen werden regelmäßig gegen ein Entgelt erbracht, das durch Zahlung des gewetteten Betrages geleistet wird, und sie weisen einen grenzüberschreitenden Charakter auf.

26.
    Weder die Parteien des Ausgangsverfahrens noch die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, noch die Kommission bezweifeln, daß die italienischen Rechtsvorschriften, die die Annahme von Wetten jeder Person oder jeder Einrichtung mit Ausnahme derjenigen verbieten, die hierfür eine Genehmigung erhalten können, auf mögliche Interessenten ohne Unterschied danach anwendbar ist, ob sie in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.

27.
    Allerdings stellen solche Rechtsvorschriften dadurch, daß sie die Veranstalter aus anderen Mitgliedstaaten direkt oder indirekt daran hindern, selbst Wetten auf italienischem Boden anzunehmen, ein Hindernis für die Dienstleistungsfreiheit dar.

28.
    Deswegen ist zu untersuchen, ob diese Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit im EG-Vertrag ausdrücklich zugelassen ist oder entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit zwingenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann.

29.
    Die Artikel 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) und 56 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 46 EG), auf die Artikel 66 EG-Vertrag (jetzt Artikel 55 EG) verweist, lassen Beschränkungen zu, wenn die Tätigkeiten auch nur zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, oder soweit sie durch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, Randnrn. 13 bis 15) Hindernisse für die Dienstleistungsfreiheit, die sich aus unterschiedslos anwendbaren nationalen Maßnahmen ergeben, nur dann zulässig, wenn diese Maßnahmen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, wenn sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Zieles zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hierfür Erforderliche hinausgehen.

30.
    Nach den Angaben im Vorlagebeschluß und in den Erklärungen der italienischen Regierung verfolgen die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften Ziele, die den von den britischen Rechtsvorschriften über Lotterien angestrebten entsprechen, wie sie vom Gerichtshof im Urteil Schindler festgestellt wurden. Die italienischen Rechtsvorschriften zielen nämlich darauf, zu verhindern, daß dieseSpiele zu einer Quelle persönlicher Bereicherung werden, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten sowie schädliche, persönliche und soziale Folgen durch den von ihnen ausgeübten Anreiz zu Ausgaben zu vermeiden und sie nur insoweit zuzulassen, als sie von gesellschaftlichem Nutzen für die zweckentsprechende Durchführung eines Sportwettkampfs sind.

31.
    Wie der Gerichtshof in Randnummer 58 des Urteils Schindler ausgeführt hat, sind diese Gründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Sie beziehen sich auf den Schutz der Empfänger der Dienstleistung und ganz allgemein der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung. Diese Ziele gehören zu denen, die als zwingende Gründe des Allgemeinwohls angesehen werden können (Urteile vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78, Van Wesemael u. a., Slg. 1979, 35, Randnr. 28, vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 220/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 3663, Randnr. 20, und vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache 15/78, Société générale alsacienne de banque, Slg. 1978, 1971, Randnr. 5). Hinzukommen muß, wie in Randnummer 29 ausgeführt, daß die auf solche Gründe gestützten Maßnahmen geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgehen.

32.
    Wie in Randnummer 21 festgestellt, unterscheiden sich die italienischen Rechtsvorschriften über Wetten von den im Urteil Schindler streitigen Rechtsvorschriften insbesondere dadurch, daß sie die betreffenden Geschäfte nicht vollständig verbieten, sondern sie bestimmten Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen vorbehalten.

33.
    Inwieweit ein Mitgliedstaat auf seinem Gebiet im Bereich von Lotterien und anderen Glücksspielen Schutz gewähren will, steht jedoch in dem Ermessen, das der Gerichtshof den nationalen Stellen in Randnummer 61 des Urteils Schindler zuerkannt hat. Ihnen obliegt es nämlich, zu beurteilen, ob es im Rahmen des verfolgten Zieles notwendig ist, Tätigkeiten dieser Art vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck bestimmte Kontrollen vorzusehen.

34.
    Daher ist es für die Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen ohne Belang, daß ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat. Diese sind allein im Hinblick auf die von den nationalen Stellen des betroffenen Mitgliedstaats verfolgten Ziele und auf das Schutzniveau zu beurteilen, das sie gewährleisten sollen.

35.
    Entsprechend den Ausführungen des Gerichtshofes in Randnummer 37 des Urteils vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-124/97 (Läärä, Slg. 1999, I-0000) zu Geldspielautomaten genügt auch hier die Tatsache, daß die streitigen Wetten nicht vollständig verboten sind, entgegen der Ansicht des Klägers nicht für den Nachweis,daß die nationale Regelung die am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele, die in ihr aufgeführt werden und die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind, nicht wirklich zu erreichen sucht. Denn eine begrenzte Erlaubnis von Glücksspielen im Rahmen von - bestimmten Einrichtungen gewährten oder zur Konzession erteilten - besonderen oder Ausschließlichkeitsrechten, die den Vorteil bietet, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, die Risiken eines solchen Betriebes im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschalten und die sich daraus ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, dient auch der Verwirklichung dieser Ziele.

36.
    Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 32 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, ist eine solche Begrenzung nur zulässig, wenn sie in erster Linie wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist. Denn obwohl es, wie der Gerichtshof in Randnummer 60 des Urteils Schindler festgestellt hat, nicht gleichgültig ist, daß Lotterien und andere Glücksspiele in erheblichem Maße zur Finanzierung gemeinnütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten beitragen können, kann dies allein nicht als sachliche Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit angesehen werden.

37.
    Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu überprüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten wirklich Zielen dienen, mit denen sie gerechtfertigt werden können, und ob die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.

38.
    Nach alledem ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit nationalen Rechtsvorschriften wie den italienischen, die bestimmten Einrichtungen das Recht zur Annahme von Wetten über Sportereignisse vorbehalten, nicht entgegenstehen, wenn diese Rechtsvorschriften tatsächlich durch Ziele der Sozialpolitik, nämlich die Beschränkung der schädlichen Wirkungen solcher Aktivitäten, gerechtfertigt sind, und wenn die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.

Kosten

39.
    Die Auslagen der italienischen, der belgischen, der deutschen, der spanischen, der französischen, der finnischen, der schwedischen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Consiglio di Stato mit Beschluß vom 20. Januar 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit stehen nationalen Rechtsvorschriften wie den italienischen, die bestimmten Einrichtungen das Recht zur Annahme von Wetten über Sportereignisse vorbehalten, nicht entgegen, wenn diese Rechtsvorschriften tatsächlich durch Ziele der Sozialpolitik, nämlich die Beschränkung der schädlichen Wirkungen solcher Aktivitäten, gerechtfertigt sind, und wenn die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.

Rodríguez Iglesias
Moitinho de Almeida
Edward

Schintgen

Kapteyn
Puissochet

Hirsch

Jann
Ragnemalm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Oktober 1999.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

G. C. Rodríguez Iglesias


1: Verfahrenssprache: Italienisch.