BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

7. Juni 2019(*)

„Rechtsmittel – Streithilfe – Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus auf Organe und auf Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft – Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 – Art. 10 Abs. 1 – Antrag auf interne Überprüfung – Zurückweisung – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“

In der Rechtssache C‑784/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 12. Dezember 2018,

Mellifera e. V., Vereinigung für wesensgemäße Bienenhaltung, mit Sitz in Rosenfeld (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Willand,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch B. Eggers und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

auf Vorschlag des Berichterstatters J.‑C. Bonichot,

nach Anhörung des Generalanwalts H. Saugmandsgaard Øe

folgenden

Beschluss

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Mellifera e. V., Vereinigung für wesensgemäße Bienenhaltung (im Folgenden: Mellifera), die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 27. September 2018, Mellifera/Kommission (T‑12/17, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:616), mit dem dieses seine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung Ares(2016) 6306335 der Kommission vom 8. November 2016 über die Zurückweisung seines auf Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (ABl. 2006, L 264, S. 13) gestützten Antrags auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1056 der Kommission vom 29. Juni 2016 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Verlängerung der Dauer der Genehmigung für den Wirkstoff Glyphosat (ABl. 2016, L 173, S. 52) (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen und dem Rechtsmittelführer die Kosten auferlegt hat.

2        Am 11. Februar 2019 ist zu diesem Rechtsmittel eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2019, C 54, S. 15) veröffentlicht worden.

3        Mit Schriftsatz, der am 20. März 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Bayer Agriculture BVBA, vormals Monsanto Europe NV/SA, mit Sitz in Antwerpen (Belgien) beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission zugelassen zu werden.

4        Mit Schreiben, das am 28. März 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Mellifera mitgeteilt, dass er keine Einwände gegen die Zulassung von Bayer Agriculture als Streithelferin habe.

 Zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe

5        Nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union können alle Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang eines bei dem Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits glaubhaft machen, diesem Rechtsstreit beitreten; ausgenommen davon sind Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Europäischen Union oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen der Union.

6        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ im Sinne dieser Vorschrift nach dem Gegenstand des Rechtsstreits selbst zu bestimmen und als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen, wie die Anträge selbst beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder Argumenten. Denn unter dem „Ausgang des Rechtsstreits“ ist die beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils oder des Beschlusses niederschlagen würde (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. März 2019, thyssenkrupp Electrical Steel und thyssenkrupp Electrical Steel Ugo/Kommission, C‑572/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:188, Rn. 5 und die dort angeführte Rechtsprechung).

7        Insoweit ist zu prüfen, ob derjenige, der einen Antrag auf Zulassung als Streithelfer stellt, von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen ist, und ob sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits erwiesen ist. Grundsätzlich kann ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nur dann als hinreichend unmittelbar angenommen werden, wenn dieser Ausgang eine Änderung der Rechtsstellung des Antragstellers bewirken könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. März 2019, thyssenkrupp Electrical Steel und thyssenkrupp Electrical Steel Ugo/Kommission, C‑572/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:188, Rn. 6 und die dort angeführte Rechtsprechung).

8        Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass Mellifera am 11. August 2016 bei der Kommission gemäß Art. 10 der Verordnung Nr. 1367/2006 die interne Überprüfung der Durchführungsverordnung 2016/1056 beantragte, mit der die Kommission die Dauer der Genehmigung für den Wirkstoff Glyphosat „[sechs] Monate nach dem Datum des Eingangs der Stellungnahme des Ausschusses für Risikobeurteilung der Europäischen Chemikalienagentur [(ECHA)] bei [ihr] oder [bis zum] 31. Dezember 2017, je nachdem, welcher Zeitpunkt der frühere ist“, verlängert hatte.

9        Wie sich aus Rn. 14 des angefochtenen Urteils ergibt, wies die Kommission mit der streitigen Entscheidung diesen Antrag auf interne Überprüfung zurück, weil es sich bei der Durchführungsverordnung 2016/1056 nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe.

10      Vor dem Gericht machte Mellifera einen einzigen Klagegrund geltend, der in zwei Teile unterteilt war.

11      Mit dem ersten Teil des einzigen Klagegrundes machte Mellifera geltend, die Kommission habe gegen Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 verstoßen, weil sie die Durchführungsverordnung 2016/1056 nicht als einen Verwaltungsakt, d. h. eine Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls, angesehen habe.

12      Insoweit hat das Gericht zunächst in Rn. 53 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 in Verbindung mit deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. g jede Nichtregierungsorganisation, die die in Art. 11 dieser Verordnung festgelegten Kriterien erfülle, bei dem Organ oder der Einrichtung der Union, die einen Verwaltungsakt nach dem Umweltrecht angenommen hat, eine interne Überprüfung beantragen könne. Sodann hat es in Rn. 65 des Urteils ausgeführt, dass die Durchführungsverordnung 2016/1056 nicht als ein Verwaltungsakt angesehen werden könne, und daher den ersten Teil des einzigen Klagegrundes in Rn. 77 des Urteils zurückgewiesen.

13      Mit dem zweiten Teil des einzigen Klagegrundes machte Mellifera geltend, dass unter Berücksichtigung des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung auch Gegenstand eines Antrags auf interne Überprüfung gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 sein können müsse. Das Gericht hat diesen zweiten Teil in Rn. 88 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen.

14      Mit ihrem Rechtsmittel wendet sich Mellifera gegen die Zurückweisung des ersten Teils des einzigen Klagegrundes durch das Gericht und beantragt auf dieser Grundlage die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

15      Um ihr berechtigtes Interesse daran, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission vor dem Gericht zugelassen zu werden, glaubhaft zu machen, trägt Bayer Agriculture vor, dass in dem Fall, dass Mellifera in der vorliegenden Rechtssache die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung erreichen sollte, die Kommission den Antrag auf interne Überprüfung erneut prüfen müsste.

16      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Rahmen der Klage das Rechtsschutzinteresse von Mellifera bestritten hat. Die Kommission hat zwar eingeräumt, dass sie im Fall der Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung erneut über den von Mellifera gestellten Antrag auf interne Überprüfung der Durchführungsverordnung 2016/1056 entscheiden müsse, jedoch geltend gemacht, dass diese interne Überprüfung Mellifera keinen Vorteil mehr verschaffen könne, weil die Durchführungsverordnung 2016/1056 im Wesentlichen keine Rechtswirkungen mehr entfalte. Die Durchführungsverordnung (EU) 2017/2324 der Kommission vom 12. Dezember 2017 zur Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission (ABl. 2017, L 333, S. 10) habe nämlich inzwischen die Genehmigung für Glyphosat für den Zeitraum vom 16. Dezember 2017 bis 15. Dezember 2022 erneuert.

17      Das Gericht hat – ohne über die Richtigkeit dieser Argumentation zu entscheiden – in den Rn. 28 bis 32 des angefochtenen Urteils unter Zugrundelegung anderer Gründe allerdings festgestellt, dass bei Mellifera ein Rechtsschutzinteresse gegeben sei, und daher die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen.

18      Folglich ist hinsichtlich des im vorliegenden Fall von Bayer Agriculture gestellten Antrags auf Zulassung zur Streithilfe von der Prämisse auszugehen, dass eine interne Überprüfung der Durchführungsverordnung 2016/1056 noch einen Gegenstand haben könnte, wobei aber die Frage des tatsächlichen Vorliegens dieses Gegenstands über den Rahmen des vorliegenden Beschlusses hinausgehen würde.

19      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden kann, wenn er zur Entscheidung reif ist. Daher ist in dem Fall, dass das angefochtene Urteil aufgehoben würde, weil das Gericht zu Unrecht bestätigt hätte, dass die Durchführungsverordnung 2016/1056 keinen Verwaltungsakt darstellt, der Gegenstand eines Antrags auf Überprüfung gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 in Verbindung mit deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. g sein kann, in diesem Stadium nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden und gegebenenfalls die streitige Entscheidung aus demselben Grund für nichtig zu erklären hat.

20      Des Weiteren hat nach Art. 266 AEUV das betreffende Organ zwar die sich aus einem Nichtigkeitsurteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, doch erlangt nach ständiger Rechtsprechung ein solches Urteil der Unionsgerichte, sobald es unanfechtbar geworden ist, Rechtskraft, die sich nicht nur auf den Tenor des Nichtigkeitsurteils, sondern auch auf die Gründe erstreckt, die den Tenor tragen und daher von diesem nicht zu trennen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, EU:C:1988:199, Rn. 27 bis 30, und vom 29. November 2018, Bank Tejarat/Rat, C‑248/17 P, EU:C:2018:967, Rn. 67 und 70).

21      Unter den Umständen des vorliegenden Falles folgt daraus, sofern der Antrag von Mellifera auch die übrigen Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 erfüllt, was vor dem Gericht nicht bestritten worden ist, dass in dem Fall, dass der Gerichtshof die streitige Entscheidung für nichtig erklären sollte, weil die Durchführungsverordnung 2016/1056 einen Verwaltungsakt darstellt, der Gegenstand eines Antrags auf interne Überprüfung sein kann, dies gegebenenfalls dazu führen könnte, dass die Kommission erneut über diesen Antrag zu entscheiden und eventuell ein solches Überprüfungsverfahren gemäß dieser Vorschrift einzuleiten hätte. Der Ausgang dieser Überprüfung könnte aber die Rechtsstellung von Bayer Agriculture als Inhaberin nationaler Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Glyphosat enthaltenden Pflanzenschutzmitteln beeinträchtigen.

22      Wie aus Art. 29 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1) hervorgeht, kann das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels von einem Mitgliedstaat nämlich nur zugelassen werden, wenn seine Wirkstoffe, Safener und Synergisten von der Kommission genehmigt worden sind. Ist diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt, hebt der betreffende Mitgliedstaat die Zulassung gemäß Art. 44 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung auf.

23      Deshalb könnte die Einleitung eines Verfahrens zur internen Überprüfung der Durchführungsverordnung 2016/1056 als mögliche Folge der etwaigen Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung durch den Gerichtshof nicht nur den zuletzt genannten Rechtsakt in Frage stellen, sondern auch die nationalen Zulassungen, die auf seiner Grundlage für Glyphosat enthaltende Erzeugnisse erteilt wurden. Damit würde dieses interne Überprüfungsverfahren die Rechtsstellung von Bayer Agriculture beeinträchtigen, deren Geschäftstätigkeit an diese Zulassungen gebunden ist.

24      Nach alledem macht Bayer Agriculture ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union glaubhaft.

25      Deshalb ist dem Antrag von Bayer Agriculture auf Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission stattzugeben.

 Zu den prozessualen Rechten der Streithelfer

26      Bayer Agriculture hat nach Art. 131 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 190 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, Anspruch auf Übermittlung aller den Parteien zugestellten Verfahrensschriftstücke, da die Parteien keinen Antrag gestellt haben, bestimmte Belegstücke oder Unterlagen von dieser Übermittlung auszunehmen.

27      Da der Antrag von Bayer Agriculture innerhalb der Frist nach Art. 190 Abs. 2 der Verfahrensordnung gestellt worden ist, kann sie nach deren Art. 132 Abs. 1 einen Streithilfeschriftsatz innerhalb eines Monats nach dieser Übermittlung einreichen.

 Kosten

28      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

29      Da im vorliegenden Fall dem Antrag von Bayer Agriculture auf Zulassung als Streithelferin stattgegeben wird, ist die Entscheidung über die mit dieser Streithilfe verbundenen Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

1.      Die Bayer Agriculture BVBA wird als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission zugelassen.

2.      Der Bayer Agriculture BVBA wird eine Abschrift sämtlicher Verfahrensunterlagen durch den Kanzler zugestellt.

3.      Der Bayer Agriculture BVBA wird eine Frist zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gesetzt.

4.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 7. Juni 2019

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.