URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

19. Dezember 2012(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Nationale Regelung, die die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen selbständigen Dienstleistungserbringer zu einer vorherigen Meldung verpflichtet – Strafrechtliche Sanktionen – Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs – Sachlich gerechtfertigte Unterscheidung – Zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Betrugsvorbeugung – Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs – Schutz der selbständig Erwerbstätigen – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑577/10

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 10. Dezember 2010,

Europäische Kommission, vertreten durch E. Traversa, C. Vrignon und J.‑P. Keppenne als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Königreich Belgien, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von S. Rodrigues, avocat,

Beklagter,

unterstützt durch:

Königreich Dänemark, vertreten durch C. Vang, S. Juul Jørgensen und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, des Richters J.‑C. Bonichot, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2012,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juli 2012

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV verstoßen hat, dass es Art. 137 Nr. 8, Art. 138 dritter Gedankenstrich, Art. 153 und Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes (I) vom 27. Dezember 2006 (Belgisches Staatsblatt vom 28. Dezember 2006, S. 75178; offizielle deutsche Übersetzung: Belgisches Staatsblatt vom 1. Juni 2007, S. 29615) in seiner seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: streitige Vorschriften oder Programmgesetz) erlassen und damit selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, die Pflicht auferlegt hat, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit in Belgien vorhergehende Meldung (im Folgenden: Limosa-Meldung) abzugeben.

2        Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. April 2011 ist das Königreich Dänemark als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs Belgien zugelassen worden.

 Nationales Recht

3        Kapitel VIII des soziale Angelegenheiten betreffenden Titels IV des Programmgesetzes regelt die „vorhergehende Meldung für entsandte Arbeitnehmer und Selbständige“. Es wurde durch den Königlichen Erlass vom 20. März 2007 zur Ausführung dieses Kapitels (Belgisches Staatsblatt vom 28. März 2007, S. 16975; deutsche Übersetzung Belgisches Staatsblatt vom 30. Oktober 2008, S. 57440), der mit Königlichem Erlass vom 31. August 2007 (Belgisches Staatsblatt vom 13. September 2007, S. 48537; deutsche Übersetzung: Belgisches Staatsblatt vom 30. Oktober 2008, S. 57452) geändert wurde (im Folgenden: Königlicher Erlass), ergänzt.

4        Die streitige Pflicht zur Meldung wurde im Rahmen eines umfassenderen Projekts mit dem Namen „Limosa“, einem Akronym für „Landenoverschrijdend Informatiesysteem ten behoeve van Migratieonderzoek bij de Sociale Administratie“ (Länderübergreifendes Informationssystem für Migrationsuntersuchung im Bereich der Sozialen Administration, im Folgenden: Limosa-System), eingeführt. Mit diesem Projekt soll eine einheitliche elektronische Anlaufstelle für die Vornahme aller im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit in Belgien erforderlichen Schritte geschaffen werden. So sind die anlässlich der Limosa-Meldung erhobenen Informationen zur Aufnahme in ein zentrales Register bestimmt und werden für Zwecke der Statistik und Kontrolle über eine gemeinsame EDV-Plattform allen belgischen föderalen und regionalen Inspektionsdiensten zugänglich gemacht.

 Das Programmgesetz

5        In Art. 137 des Programmgesetzes heißt es:

„Für die Anwendung des vorliegenden Kapitels und seiner Ausführungserlasse versteht man unter:

7. Selbständigen: sämtliche natürlichen Personen, die eine Berufstätigkeit ausüben, für die sie nicht durch einen Arbeitsvertrag oder ein Statut gebunden sind;

8. entsandten Selbständigen:

a)      die in Nr. 7 erwähnten Personen, die vorübergehend oder teilweise eine oder mehrere selbständige Tätigkeiten in Belgien ausüben, ohne dort ständig zu wohnen, und die gewöhnlich auf dem Staatsgebiet eines oder mehrerer anderer Länder als Belgien arbeiten,

b)      die Personen, die aus dem Ausland nach Belgien kommen, um dort vorübergehend eine selbständige Berufstätigkeit auszuüben oder um sich dort vorübergehend als Selbständiger niederzulassen,

…“

6        Art. 138 des Programmgesetzes sieht vor:

„Vorliegendes Kapitel findet Anwendung auf:

–      die entsandten Selbständigen;

Der König kann gegebenenfalls unter den Bedingungen, die Er bestimmt, Kategorien von entsandten Arbeitnehmern und ihre Arbeitgeber … vom Anwendungsbereich des vorliegenden Kapitels ausschließen …“

7        Abschnitt 3 dieses Kapitels ist mit „vorhergehende Meldung für entsandte Selbständige“ überschrieben. Der die vorhergehende Meldung betreffende Art. 153 des Programmgesetzes bestimmt:

„Vor der Ausübung der Berufstätigkeit eines entsandten Selbständigen auf belgischem Staatsgebiet muss Letzterer oder sein Beauftragter beim Landesinstitut der Sozialversicherungen für Selbständige eine gemäß Artikel 154 erstellte elektronische Meldung nach den vom König festgelegten Modalitäten machen.

Wenn es für den entsandten Selbständigen [oder] seinen Beauftragten … nicht möglich ist, diese Meldung auf elektronischem Wege zu machen, dürfen sie dem Landesinstitut der Sozialversicherungen für Selbständige die Meldung gemäß den von dieser Einrichtung festgelegten Modalitäten per Fax oder per Post senden.

Sobald die in den vorangehenden Absätzen erwähnte Meldung erfolgt ist, erhält der Meldende eine Empfangsbestätigung … Wenn die Meldung per Fax oder per Post gemacht worden ist, übermittelt das Landesinstitut für Sozialversicherungen für Selbständige eine Empfangsbestätigung per Fax oder per Post gemäß einem Muster, das es festlegt.

Der König bestimmt die Frist, binnen der eine vorhergehende Meldung annulliert werden kann.

Wenn die Entsendung die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet, muss der Meldende vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Dauer der Entsendung eine neue Meldung machen.“

8        Nach Art. 154 des Programmgesetzes „[bestimmt d]er König … die Datengruppen, die in der in Artikel 153 erwähnten vorhergehenden Meldung aufgenommen werden müssen“.

9        Art. 157 des Programmgesetzes, der in Abschnitt 4 von dessen Kapitel VIII („Überwachung und Sanktionen“) steht, sieht vor:

„Unbeschadet der Artikel 269 bis 274 des Strafgesetzbuches werden mit einer Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zu einem Jahr und einer Geldbuße von 500 bis zu 2 500 EUR oder mit nur einer dieser Strafen bestraft:

3. der entsandte Selbständige, der die Bestimmungen des vorliegenden Kapitels und seiner Ausführungserlasse nicht eingehalten hat,

…“

10      Nach Art. 167 des Programmgesetzes tritt dessen Kapitel VIII am 1. April 2007 in Kraft.

 Der Königliche Erlass

11      Art. 2 des Königlichen Erlasses bestimmt:

„Folgende Kategorien von entsandten Selbständigen werden vom Anwendungsbereich von Titel IV Kapitel 8 des [Programmgesetzes] ausgeschlossen:

1.      der Selbständige, der nach Belgien entsandt wird für Erstmontage- und/oder Einbauarbeiten, die ein wesentlicher Bestandteil eines Liefervertrags sind, für die Inbetriebnahme des gelieferten Gutes notwendig sind und vom liefernden Selbständigen ausgeführt werden, wenn die Dauer der betreffenden Arbeiten acht Tage nicht überschreitet. Diese Abweichung gilt jedoch nicht für … Tätigkeiten im Bausektor,

2.      der Selbständige, der nach Belgien kommt, um dringende Unterhalts- oder Reparaturarbeiten an Maschinen oder Geräten vorzunehmen, die von ihm an das in Belgien ansässige Unternehmen, in dem die Reparatur oder Unterhaltsarbeiten durchgeführt werden, geliefert wurden, sofern die Dauer seines für diese Tätigkeiten notwendigen Aufenthalts fünf Tage pro Kalendermonat nicht überschreitet,

3.      Selbständige, die ihren Hauptwohnort nicht in Belgien haben und dort Konferenzen halten oder daran teilnehmen,

4.      Selbständige, die ihren Hauptwohnort nicht in Belgien haben und dort an Versammlungen im engeren Kreis teilnehmen, sofern ihre Anwesenheit bei diesen Versammlungen sechzig Tage pro Kalenderjahr nicht überschreitet, mit höchstens zwanzig aufeinander folgenden Kalendertagen pro Versammlung,

5.      selbständige Sportler und gegebenenfalls ihre selbständigen Begleiter, die ihren Hauptwohnort nicht in Belgien haben und dort Leistungen im Rahmen ihres jeweiligen Berufs erbringen, sofern die Dauer des für diese Tätigkeiten notwendigen Aufenthalts drei Monate pro Kalenderjahr nicht überschreitet,

6.      selbständige Künstler und gegebenenfalls ihre selbständigen Begleiter, die ihren Hauptwohnort nicht in Belgien haben und dort Leistungen im Rahmen ihres jeweiligen Berufs erbringen, sofern die Dauer ihres für diese Tätigkeiten notwendigen Aufenthalts einundzwanzig Tage pro Quartal nicht überschreitet,

7.      Selbständige, die im Sektor der internationalen Personen- oder Güterbeförderung beschäftigt sind, es sei denn, diese Selbständigen verrichten Kabotagetätigkeiten auf dem belgischen Staatsgebiet,

8.      Geschäftsleute, die nach Belgien kommen, sofern die Dauer des für ihre Tätigkeiten notwendigen Aufenthalts fünf Tage pro Kalendermonat nicht überschreitet,

9.      Gesellschaftsverwalter und ‑bevollmächtigte, die nach Belgien kommen, um dort an Verwaltungsräten und Generalversammlungen von Gesellschaften teilzunehmen, sofern die Dauer des für diese Tätigkeiten notwendigen Aufenthalts fünf Tage pro Kalendermonat nicht überschreitet.“

12      Art. 4 § 2 des Königlichen Erlasses bestimmt im Einzelnen die Angaben, die in einer sogenannten „gewöhnlichen“ Meldung enthalten sein müssen. In dieser Vorschrift heißt es:

„Für die entsandten Selbständigen umfasst die in Artikel 154 des [Programmgesetzes] erwähnte Meldung folgende Kategorien von Daten:

1.      Identifizierungsdaten des Selbständigen. Verfügt dieser über eine Unternehmensnummer oder eine Erkennungsnummer der sozialen Sicherheit, wenn es sich um eine natürliche Person handelt, die die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des [Gesetzes vom 16. Januar 2003 zur Schaffung einer Zentralen Datenbank der Unternehmen, zur Modernisierung des Handelsregisters, zur Schaffung von zugelassenen Unternehmensschaltern und zur Festlegung verschiedener Bestimmungen] nicht innehat, genügt diese Nummer,

2.      nationale Erkennungsnummer des Herkunftslandes, wenn vorhanden,

3.      Beginndatum der Entsendung nach Belgien,

4.      voraussichtliche Dauer der Entsendung nach Belgien,

5.      Ort, an dem die Arbeitsleistungen in Belgien erbracht werden,

6.      Art der Leistungen, die im Rahmen der Entsendung erbracht werden,

7.      Mehrwertsteuernummer des Herkunftslandes, wenn vorhanden, oder Unternehmensnummer, falls der Selbständige über eine solche verfügt,

8.      Identifizierungsdaten des Beauftragten, der die vorhergehende Meldung macht. Verfügt dieser über eine Unternehmensnummer oder eine Erkennungsnummer der sozialen Sicherheit, wenn es sich um eine natürliche Person handelt, die die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des vorerwähnten Gesetzes vom 16. Januar 2003 nicht innehat, genügt diese Nummer,

9.      Identifizierungsdaten des belgischen Nutzers. Verfügt dieser über eine Unternehmensnummer oder eine Erkennungsnummer der sozialen Sicherheit, wenn es sich um eine natürliche Person handelt, die die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des vorerwähnten Gesetzes vom 16. Januar 2003 nicht innehat, genügt diese Nummer.“

13      Art. 5 des Königlichen Erlasses bestimmt im Einzelnen die Angaben, die in einer sogenannten „vereinfachten“ Meldung enthalten sein müssen. Er sieht vor:

„Für entsandte Arbeitnehmer oder entsandte Selbständige, die regelmäßig Tätigkeiten auf dem Staatsgebiet Belgiens und auf dem Staatsgebiet eines oder mehrerer anderer Länder ausüben, muss die wie in den Artikeln 140 und 154 des [Programmgesetzes] vorgesehene Meldung folgende Daten umfassen:

1.      Identifizierungsdaten des Arbeitnehmers,

2.      nationale Erkennungsnummer des Herkunftslandes, wenn vorhanden,

3.      Erkennungsnummer des Nationalregisters oder Erkennungsnummer der Zentralen Datenbank, wie in Artikel 8 des vorerwähnten Gesetzes vom 15. Januar 1990 erwähnt, wenn vorhanden,

4.      Beginndatum der Entsendung nach Belgien,

5.      Dauer der Entsendung nach Belgien,

6.      Art der Leistungen, die im Rahmen der Entsendung erbracht werden,

7.      für die Arbeitnehmer die Wochenarbeitszeit.

Diese Meldung ist für einen Zeitraum von höchstens zwölf Monaten gültig und kann jedes Mal nach Ablauf dieses Zeitraums für einen darauffolgenden Zeitraum von höchstens zwölf Monaten verlängert werden.

Die Bestimmungen dieses Artikels gelten jedoch nicht für Tätigkeiten im Bau- oder im Leiharbeitssektor.

Im Sinne des vorliegenden Erlasses versteht man unter regelmäßig Tätigkeiten auf dem Staatsgebiet Belgiens und auf dem Staatsgebiet eines oder mehrerer anderer Länder ausüben: eine Tätigkeit, die strukturell in verschiedenen Ländern und für einen wichtigen Teil in Belgien ausgeübt wird und durch die die betreffende Person öfters für kurze Zeiträume aus beruflichen Gründen in Belgien anwesend ist.“

 Vorverfahren

14      Mit einem am 2. Februar 2009 an das Königreich Belgien gerichteten Aufforderungsschreiben wies die Kommission diesen Mitgliedstaat darauf hin, dass sie eine für selbständige Dienstleistungserbringer geltende Pflicht zu einer vorherigen Meldung mit einem derart allgemeinen Umfang wie die in den Art. 137 bis 167 des Programmgesetzes vorgesehene Limosa-Meldung für mit der Dienstleistungsfreiheit, wie sie von Art. 49 EG gewährleistet werde, unvereinbar halte.

15      Mit Schreiben vom 26. März 2009 trat das Königreich Belgien der Bewertung der Kommission entgegen. Es machte u. a. geltend, dass es dieses System insbesondere ermögliche, dagegen vorzugehen, dass der Selbständigenstatus bei Erwerbstätigen, die in Wirklichkeit Arbeitnehmer seien, missbräuchlich verwendet werde (im Folgenden: Scheinselbständigkeit), um die für den sozialen Schutz von Erwerbstätigen geltenden Mindestvorschriften zu umgehen.

16      Am 9. Oktober 2009 richtete die Kommission an das Königreich Belgien eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihren Standpunkt deutlich machte, wonach Art. 137 Nr. 8, Art. 138 dritter Gedankenstrich, Art. 153 und Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes, die selbständige Dienstleistungserbringer beträfen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen oder wohnhaft seien, nicht mit Art. 49 EG vereinbar seien.

17      Da das Vorbringen des Königreichs Belgien in dessen Antwortschreiben vom 11. Dezember 2009 auf die vorerwähnte mit Gründen versehene Stellungnahme die Kommission nicht überzeugte, beschloss diese, die vorliegende Klage zu erheben.

 Zur Klage

 Vorbringen der Parteien

18      Die Kommission trägt in erster Linie vor, dass die streitigen Rechtsvorschriften eine diskriminierende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellten, da die in Rede stehende Meldepflicht nur selbständige Dienstleistungserbringer treffe, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen seien.

19      Das Königreich Belgien könne sich folglich nur auf die in Art. 52 AEUV genannten Rechtfertigungsgründe berufen, was es jedoch nicht tue. Demzufolge stehe das Vorliegen einer Vertragsverletzung fest.

20      In zweiter Linie trägt die Kommission vor, dass die streitigen Rechtsvorschriften jedenfalls in Anbetracht der vom Königreich Belgien angeführten Ziele von allgemeinem Interesse weder gerechtfertigt noch verhältnismäßig seien.

21      Erstens führe das Königreich Belgien – auch wenn das Ziel der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, soweit es eine soziale Dimension aufweise, ein Ziel von allgemeinem Interesse sein könne – kein konkretes Argument an, um seine Behauptung zu untermauern, dass die in Rede stehende Meldepflicht zur Bekämpfung von Sozialdumping beitrage.

22      Zweitens trage dieser Mitgliedstaat nichts zum Beweis dafür vor, dass tatsächlich eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit vorliege; die bloße Behauptung, dass es Betrug an der sozialen Sicherheit gebe, reiche insoweit nicht aus. Dieses Ziel könne daher nicht zugrunde gelegt werden.

23      Drittens ist die Kommission der Auffassung, dass es im vorliegenden Fall zwar tatsächlich möglich sei, sich auf die Ziele der Betrugsbekämpfung und des Schutzes der Erwerbstätigen zu berufen, dass aber die Maßnahmen zur Überprüfung der Einhaltung der durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigten Anforderungen die Dienstleistungsfreiheit nicht illusorisch machen dürften. Dies sei jedoch vorliegend der Fall.

24      Insoweit beanstandet die Kommission u. a. den allgemeinen und transversalen Anwendungsbereich der Limosa-Meldung. Die betreffende Meldepflicht beruhe auf einem generellen Betrugsverdacht, der nicht dazu dienen könne, eine Maßnahme wie die in Rede stehende Meldepflicht zu rechtfertigen.

25      Die Kommission weist außerdem darauf hin, dass es auf der Ebene der Europäischen Union bereits mehrere Verfahren gebe, die die Verwaltungszusammenarbeit verbessern sollten, damit Schwarzarbeit bekämpft und der Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit verhindert werde.

26      Das Königreich Belgien macht hauptsächlich geltend, dass die vorliegende Klage als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen sei. Sie beruhe auf zahlreichen Vermutungen, Unterstellungen oder Mutmaßungen und stütze sich nicht auf objektive Daten, die eine Verbindung zu der konkreten Situation aufwiesen, mit der sich die belgischen Behörden konfrontiert sähen, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit, zu überwachen, dass die Sozialvorschriften eingehalten würden, tätig würden. Die Kommission könne jedoch den Nachweis einer Vertragsverletzung nicht dadurch führen, dass sie sich auf Vermutungen oder Unterstellungen stütze. Insofern beachte die Kommission auch Art. 38 § 1 Buchst. e der Verfahrensordnung nicht, wonach die Klageschrift gegebenenfalls die Bezeichnung der Beweismittel enthalten müsse.

27      Hilfsweise trägt das Königreich Belgien vor, dass die Kommission nicht dargetan habe, dass die in Rede stehende Meldepflicht in Anbetracht der geltend gemachten Ziele nicht erforderlich oder zumindest unverhältnismäßig wäre.

28      Was zunächst das angebliche Vorliegen einer diskriminierenden Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs betreffe, habe die Kommission die abschreckende Wirkung des Limosa-Systems nicht nachgewiesen, da ein selbständiger Dienstleistungserbringer dem Königreich Belgien zufolge im Durchschnitt nicht mehr als 20 bis 30 Minuten im Jahr für die mit diesem System verbundenen Formalitäten aufwende. Darüber hinaus sei dieses System kostenlos und ermögliche den unverzüglichen Erhalt eines offiziellen Dokuments ohne irgendeine Belastung, die einer vorherigen Genehmigung gleichkäme. Zudem belegten die für bestimmte Bereiche geschaffenen Ausnahmen die Bereitschaft der belgischen Behörden zu Flexibilität.

29      Im Übrigen sei die Limosa-Meldung, selbst wenn sie ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellen würde, nicht diskriminierend. Die Überwachung der selbständigen Dienstleistungserbringer, die nicht in Belgien niedergelassen seien, könne nicht mit der der in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen selbständigen Dienstleistungserbringer gleichgesetzt werden, weil zwischen diesen beiden Kategorien von selbständigen Dienstleistungserbringern objektive Unterschiede bestünden.

30      Was sodann die Rechtfertigung der in Rede stehenden Meldepflicht und deren Verhältnismäßigkeit betreffe, sei das Limosa-System erstens zum Teil durch das Ziel der Verhinderung unlauteren Wettbewerbs gerechtfertigt, das eine soziale Dimension aufweise, bei der es um den Schutz von Erwerbstätigen und Verbrauchern und die Verhinderung von Sozialdumping gehe. Es trage dazu bei, diejenigen Dienstleistungserbringer, die sich an die Regeln hielten, vor denjenigen zu schützen, die diese nicht einhielten und daraus einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zögen.

31      Zweitens ergebe sich aus der Rechtsprechung, dass ein System mit einer vorherigen Meldung, das der Sammlung von Daten diene, die zur Überwachung und zur Aufdeckung von Betrugsfällen – vorliegend durch Umgehung der Sozialvorschriften, insbesondere in Gestalt von Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit – erforderlich seien, grundsätzlich nicht über das hinausgehe, was zur Vorbeugung von Missbräuchen aus Anlass der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs erforderlich sei. Auf den Vorwurf eines generellen Betrugsverdachts entgegnet das Königreich Belgien, dass das betreffende System, damit Fälle der Umgehung der Sozialgesetzgebung aufgedeckt und gegebenenfalls geahndet werden könnten, von vornherein für alle Dienstleistungserbringer gelten müsse.

32      Drittens müsse das Ziel des Schutzes der Erwerbstätigen, einschließlich der Bekämpfung des Menschenhandels und besonders missbräuchlicher Arbeitsbedingungen sowie der Notwendigkeit, das Wohlergehen selbständiger Erwerbstätiger sicherzustellen, von dem Ziel der Betrugsbekämpfung unterschieden werden. Insoweit müsse insbesondere der neue Kontext, der aus dem Vertrag von Lissabon hervorgegangen sei, berücksichtigt und als die Legitimität dieses Ziels verstärkend angesehen werden.

33      Das Königreich Dänemark trägt vor, dass es dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Königreichs Belgien beitrete, weil die dänischen Rechtsvorschriften ebenfalls Bestimmungen enthielten, die eine Verpflichtung für ausländische Dienstleistungserbringer zu einer vorherigen Meldung vorsähen, die für Selbständige gelte. Das Königreich Dänemark führt im Wesentlichen Argumente an, die den vom Königreich Belgien vorgebrachten vergleichbar sind. Es weist außerdem u. a. darauf hin, dass mit der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsbedingungen und der Sozialvorschriften den Gefahren von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vorgebeugt werden solle, dass die Antwort auf die Frage, ob eine Pflicht zur vorherigen Meldung diskriminierend sei, nicht davon abhängen könne, ob das die Dienstleistung erbringende Unternehmen Arbeitnehmer beschäftige oder nicht, und dass keine derzeit geltende Regelung im Bereich des Informationsaustauschs zwischen Mitgliedstaaten die gleichen Möglichkeiten zur Erreichung der verfolgten Ziele biete und dass es insoweit für die Zwecke von Überprüfungsmaßnahmen wichtig sei, zu wissen, an welchem Ort die Dienstleistung zu erbringen sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

34      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung bei einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV Sache der Kommission ist, die das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen hat, dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es ihm ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen kann (Urteile vom 25. Mai 1982, Kommission/Niederlande, 96/81, Slg. 1982, 1791, Randnr. 6, und vom 18. November 2010, Kommission/Portugal, C‑458/08, Slg. 2010, I‑11599, Randnr. 54).

35      Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass diese Beweisanforderungen strenger sind, wenn die Rügen der Kommission die Anwendung einer nationalen Vorschrift betreffen (vgl. Urteile vom 12. Mai 2005, Kommission/Belgien, C‑287/03, Slg. 2005, I‑3761, Randnr. 28, und vom 22. Januar 2009, Kommission/Portugal, C‑150/07, Randnr. 66); mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage beanstandet die Kommission aber nicht, dass eine Verwaltungspraxis, sondern dass Gesetzesvorschriften, deren Existenz und tatsächliche Anwendung das Königreich Belgien in keiner Weise bestreitet, mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar seien. Die vorliegende Klage beruht daher nicht auf bloßen Vermutungen.

36      Folglich ist das hauptsächliche Argument des Königreichs Belgien, dass die vorliegende Klage, weil die Kommission die ihr obliegende Beweisführungspflicht nicht erfüllt habe, als offensichtlich unbegründet oder sogar, da die Klage gegen die Bestimmungen des Art. 38 § 1 Buchst. e der Verfahrensordnung über die Bezeichnung der Beweismittel verstoße, als unzulässig abzuweisen sei, zurückzuweisen.

37      Damit entschieden werden kann, ob die Klage der Kommission begründet ist, muss an erster Stelle geprüft werden, ob die in Rede stehenden Vorschriften ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr darstellen, wobei zu berücksichtigen ist, dass es bei dieser Klage nur um die vorhergehende Meldung geht, die von selbständigen Dienstleistungserbringern verlangt wird, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien rechtmäßig niedergelassen sind und die vorübergehend Dienstleistungen in Belgien erbringen möchten, und nicht um die Entsendung von Arbeitnehmern gemäß der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1).

38      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 56 AEUV nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands, dass er in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist als dem, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteile vom 23. November 1999, Arblade u. a., C‑369/96 und C‑376/96, Slg. 1999, I‑8453, Randnr. 33, sowie vom 21. Juli 2011, Kommission/Portugal, C‑518/09, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass infolge der in Rede stehenden Meldepflicht diejenigen, die von Art. 137 Nr. 8 und Art. 138 dritter Gedankenstrich des Programmgesetzes erfasst werden und die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien wohnhaft oder niedergelassen sind, sich registrieren und dabei ein Konto einrichten müssen, bevor sie anschließend nach Art. 153 des Programmgesetzes grundsätzlich jedes Mal, bevor sie eine Dienstleistung im belgischen Hoheitsgebiet erbringen, den belgischen Behörden eine Reihe von Informationen – wie den Zeitpunkt, die Dauer und den Ort der Dienstleistung, die erbracht werden wird, ihre Art und die Identität der juristischen oder natürlichen Person, für die sie bestimmt ist – mitzuteilen haben. Diese Informationen müssen auf einem Formular übermittelt werden, das vorzugsweise online auszufüllen ist oder, falls dies nicht möglich ist, per Post oder per Fax an die zuständige Stelle gesandt werden muss. Die Nichtbeachtung dieser Formalitäten kann gemäß Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes strafrechtlich geahndet werden.

40      Die Formalitäten, die die in Rede stehende Meldepflicht mit sich bringt, sind daher geeignet, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien durch selbständige Dienstleistungserbringer, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, zu behindern. Diese Pflicht stellt somit ein Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr dar.

41      Das Gleiche gilt unter den Umständen, unter denen lediglich eine sogenannte „vereinfachte“ Meldung verlangt wird. Denn der davon betroffene selbständige Dienstleistungserbringer ist ebenfalls verpflichtet, nachdem er sich registriert und dabei ein Konto eingerichtet hat, den belgischen Behörden u. a. den Zeitpunkt und die Dauer seines vorübergehenden Aufenthalts in Belgien sowie die Art der Leistungen, die er erbringen wird, mitzuteilen. Zudem kann die Nichtbeachtung dieser Formalitäten gleichfalls gemäß Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes strafrechtlich geahndet werden.

42      Unter diesen Umständen kann – entgegen der vom Königreich Belgien vertretenen Ansicht – nicht angenommen werden, dass die Auswirkung der in Rede stehenden Meldepflicht auf den freien Dienstleistungsverkehr bestenfalls zufällig oder lediglich indirekt ist, so dass diese Pflicht nicht als Hindernis einzustufen wäre.

43      Daher muss an zweiter Stelle geprüft werden, ob die in Rede stehende Meldepflicht – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der von der vorliegenden Klage erfasste Bereich der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen durch selbständige Erwerbstätige bis zum heutigen Tag auf der Ebene der Union nicht harmonisiert worden ist – gerechtfertigt werden kann.

44      Eine nationale Regelung, die in einem Bereich erlassen worden ist, der nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Unionsebene ist, und die unterschiedslos für alle im betreffenden Mitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gilt, kann nämlich trotz ihrer den freien Dienstleistungsverkehr beschränkenden Wirkung gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruht und dieses Interesse nicht schon durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er niedergelassen ist, und wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich ist (Urteile Arblade u. a., Randnrn. 34 und 35, vom 19. Januar 2006, Kommission/Deutschland, C‑244/04, Slg. 2006, I‑885, Randnr. 31, und vom 1. Oktober 2009, Kommission/Belgien, C‑219/08, Slg. 2009, I‑9213, Randnr. 14).

45      Insoweit ist hinsichtlich der vom Königreich Belgien geltend gemachten Ziele festzustellen, dass diese als zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, berücksichtigungsfähig sind. Hierzu genügt der Hinweis, dass sich das Ziel, Betrug – insbesondere Sozialbetrug – zu bekämpfen und Missbräuche zu verhindern – insbesondere Scheinselbständigkeit aufzudecken und gegen Schwarzarbeit vorzugehen –, unter das Ziel, das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit zu bewahren, aber auch unter die Ziele, unlauteren Wettbewerb und Sozialdumping zu verhindern sowie die Erwerbstätigen, einschließlich der selbständigen Dienstleistungserbringer, zu schützen, einordnen lässt.

46      Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass sich das Königreich Belgien im vorliegenden Fall nicht auf diese Rechtfertigungsgründe berufen könne, da die in Rede stehende Meldepflicht diskriminierenden Charakter habe.

47      Insoweit genügt die Feststellung, dass – wie das Königreich Belgien und das Königreich Dänemark vortragen – sich die selbständigen Dienstleistungserbringer, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind und sich vorübergehend in das Gebiet des letztgenannten Mitgliedstaats begeben, um dort Dienstleistungen zu erbringen, hinsichtlich der Kontrollen, die in Anbetracht u. a. der fehlenden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften im Bereich Arbeit und Beschäftigung erforderlich sind, um die Beachtung der vom Königreich Belgien geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zu gewährleisten, in einer Situation befinden, die sich objektiv von der unterscheidet, in der sich selbständige Dienstleistungserbringer befinden, die im belgischen Hoheitsgebiet niedergelassen sind und in diesem dauerhaft Dienstleistungen erbringen.

48      Der Gerichtshof hat nämlich bereits festgestellt, dass zwischen Unternehmen, die in dem Mitgliedstaat niedergelassen sind, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, und Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und Erwerbstätige in den erstgenannten Mitgliedstaat entsenden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, objektive Unterschiede bestehen, was die Möglichkeit betrifft, über die die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, verfügen, um die Einhaltung der Regeln zu prüfen, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Rechte beachtet werden, die Erwerbstätigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch dessen nationale Rechtsvorschriften eingeräumt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnrn. 63, 64 und 73). Dass selbständigen Dienstleistungserbringern, die in Belgien niedergelassen sind, keine Verpflichtungen auferlegt werden, die u. a. in Bezug auf die zu erteilenden Auskünfte den Verpflichtungen vollkommen gleichwertig sind, die sich aus der in Rede stehenden Meldepflicht für in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene selbständige Dienstleistungserbringer ergeben, lässt sich somit den objektiven Unterschieden zwischen diesen beiden Kategorien von selbständigen Dienstleistungserbringern zuschreiben.

49      Es ist daher zu prüfen, ob die streitigen Vorschriften verhältnismäßig sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass eine den freien Dienstleistungsverkehr einschränkende Maßnahme nur dann verhältnismäßig ist, wenn sie dazu geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 2006, Kommission/Frankreich, C‑255/04, Slg. 2006, I‑5251, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die von der Kommission erwähnten Verfahren zur Verwaltungszusammenarbeit für diese Prüfung nicht maßgebend sein können. Denn erstens hat die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36) nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich.

51      Zweitens steht – auch wenn das mit dem Beschluss 2004/387/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über die interoperable Erbringung europaweiter elektronischer Behördendienste (eGovernment-Dienste) für öffentliche Verwaltungen, Unternehmen und Bürger (IDABC) (ABl. L 144, S. 65, und Berichtigung ABl. L 181, S. 25) geschaffene Binnenmarkt-Informationssystem seit dem 28. Dezember 2009 u. a. die Umsetzung der sich aus der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22) ergebenden Verpflichtungen zur Verwaltungszusammenarbeit ermöglicht und Art. 4 der Richtlinie 96/71 ebenfalls den Grundsatz einer Verwaltungszusammenarbeit zwischen den genannten Behörden aufstellt – nicht fest, dass es diese Verfahren dem Königreich Belgien ermöglichen würden, dieselben Informationen zu erlangen wie die, die es für erforderlich hält, um die von ihm geltend gemachten Ziele von allgemeinem Interesse zu erreichen.

52      Drittens ist festzustellen, dass der nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und Berichtigungen ABl. L 200, S. 1, und ABl. 2007, L 204, S. 30) geplante elektronische Austausch von Sozialversicherungsdaten (EESSI) zu dem Zeitpunkt, zu dem die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist endete, noch nicht eingerichtet war.

53      Unbeschadet dessen ist darauf hinzuweisen, dass ein genereller Betrugsverdacht eine Maßnahme, die die Ziele des AEU‑Vertrags beeinträchtigt, nicht rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Frankreich, Randnr. 52, und vom 9. November 2006, Kommission/Belgien, C‑433/04, Slg. 2006, I‑10653, Randnr. 35).

54      Auch wenn selbständige Dienstleistungserbringer, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, in Belgien steuerlichen und sozialen Verpflichtungen unterworfen werden dürfen, ist vorliegend festzustellen, dass die Anwendung der in Rede stehenden Meldepflicht nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen Anlass zur Prüfung besteht, ob diese steuerlichen und sozialen Verpflichtungen beachtet werden.

55      Zudem ist mit der in Rede stehenden Meldepflicht das Erfordernis verbunden, den belgischen Behörden sehr detaillierte Informationen – namentlich im Rahmen der sogenannten „gewöhnlichen“ Meldung – zu übermitteln. Es ist zwar denkbar, dass ein Mitgliedstaat von selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und sich in sein Hoheitsgebiet begeben, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, verlangen kann, ihm bestimmte spezifische Informationen zu übermitteln; dies steht aber unter der Bedingung, dass die Übermittlung dieser Informationen in Anbetracht der verfolgten Ziele gerechtfertigt ist. Das Königreich Belgien hat jedoch nicht hinreichend überzeugend gerechtfertigt, inwiefern die Übermittlung dieser sehr detaillierten Informationen erforderlich ist, um die von ihm geltend gemachten Ziele von allgemeinem Interesse zu erreichen, und die Pflicht zur vorherigen Mitteilung derartiger Informationen nicht die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, obgleich ihm dies oblag (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2008, Kommission/Luxemburg, C‑319/06, Slg. 2008, I‑4323, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Unter diesen Umständen sind die streitigen Vorschriften als unverhältnismäßig anzusehen, weil sie über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die vom Königreich Belgien geltend gemachten Ziele des Allgemeininteresses zu erreichen. Folglich kann die in Rede stehende Meldepflicht nicht als mit Art. 56 AEUV vereinbar angesehen werden.

57      Demzufolge ist der Klage der Kommission stattzugeben und festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV verstoßen hat, dass es die in Rede stehenden Vorschriften erlassen und damit selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, die Pflicht auferlegt hat, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit in Belgien vorhergehende Meldung abzugeben.

 Kosten

58      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Belgien beantragt hat und dieses mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Das Königreich Dänemark, das dem Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs Belgien beigetreten ist, trägt nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV verstoßen, dass es Art. 137 Nr. 8, Art. 138 dritter Gedankenstrich, Art. 153 und Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes (I) vom 27. Dezember 2006 in seiner seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung erlassen und damit selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, die Pflicht auferlegt hat, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit in Belgien vorhergehende Meldung abzugeben.

2.      Dem Königreich Belgien werden die Kosten auferlegt.

3.      Das Königreich Dänemark trägt seine eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.