Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 12/2000

9. März 2000

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-437/97

1) Evangelischer Krankenhausverein Wien / Abgabenberufungskommission Wien und
2) Wein & Co. HandelsgesgmbH / Oberösterreichische Landesregierung

DIE ÖSTERREICHISCHE STEUER AUF ALKOHOLISCHE GETRÄNKE VERSTÖSST GEGEN DAS GEMEINSCHAFTSRECHT UND DARF AB HEUTE NICHT MEHR ERHOBEN WERDEN


Die österreichische Steuer auf alkoholfreie Getränke und Speiseeis ist dagegen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar

Der Evangelische Krankenhausverein Wien betreibt eine Cafeteria in einem Krankenhaus. Die Abgabenbehörde Wien erhob von ihm durch Bescheid vom 6. Dezember 1996 gemäß den Wiener Steuervorschriften Getränkesteuer in Höhe von 309 995 ATS für die Umsätze in der Zeit von Januar 1992 bis Oktober 1996. Der Evangelische Krankenhausverein Wien erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde bei den österreichischen Gerichten.

Die Firma Wein & Co. ist eine Weinhandelsgesellschaft, die eine Betriebsstätte in Leonding in Oberösterreich hat. Die Gemeindebehörden erhoben von ihr gemäß den oberösterreichischen Steuervorschriften für den Zeitraum vom 1. Dezember 1994 bis 31. März 1995 417 628 ATS Getränkesteuer. Auch die Firma Wein & Co. hat die österreichischen Gerichte angerufen.

Der Verwaltungsgerichtshof fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der Bestimmungen über die Gemeindegetränkesteuer mit dem Gemeinschaftsrecht, namentlich mit der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie und der Verbrauchsteuerrichtlinie.

Der Gerichtshof antwortet,

Der Gerichtshof führt zunächst aus, daß die Gemeinschaftsrichtlinie über die Mehrwertsteuer nicht einschlägig sei, da die fragliche österreichische Steuer keine "allgemeine Steuer" darstelle (sie erfasse nur eine bestimmte Kategorie von Waren und werde nur auf die entgeltliche Lieferung von Speiseeis und Getränken erhoben).

Der Gerichtshof führt aus, daß die auf alkoholfreie Getränke und Speiseeis erhobene Steuer andere als die in Absatz 1 der Richtlinie genannten Waren oder Dienstleistungen erfasse, ohne den Charakter einer Mehrwertsteuer zu haben; auch ziehe diese Steuer im Handelsverkehr zwischen Mitgliedsstaaten keine mit dem Grenzübertritt verbundenen Formalitäten nach sich. Sie verstoße deshalb nicht gegen das Gemeinschaftsrecht.

Der Gerichtshof ist dagegen der Auffassung, daß die auf alkoholische Getränke erhobene Steuer der Verbrauchsteuerrichtlinie nicht gerecht werde, die die Erhebung von indirekten Steuern, die keine Verbrauchsteuern seien, auf alkoholische Getränke nur gestatte, wenn sie

Der Gerichtshof prüft zunächst die besondere Zielsetzung, auf die sich die österreichische Regierung beruft. Die Stärkung der Gemeindeautonomie durch die Einräumung der Befugnis zur Steuererhebung stellt nach Auffassung des Gerichtshofes eine rein fiskalische Zielsetzung dar. Auch bestehe kein Zusammenhang mit der touristischen Infrastruktur oder der Entwicklung des Fremdenverkehrs, denn diese Steuer belaste die Getränke unabhängig davon, wo sie konsumiert würden, und werde auch an Orten erhoben, an denen es keinen Fremdenverkehr gebe. Schließlich sei der Direktverkauf von Wein in Österreich von der Getränkesteuer befreit. Daß diese Steuer die Verbraucher vom Genuß alkoholischer Getränke abhalten und dem Gesundheitsschutz dienen solle, lasse sich somit bestreiten.

Der Gerichtshof stellt sodann fest, daß die auf alkoholische Getränke erhobene Steuer strukturell weder dem für die Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke (noch dem für die Mehrwertsteuer) geltenden Steuerrecht entspreche.

Die österreichische Regierung macht den Gerichtshof auf die schwerwiegenden finanziellen Auswirkungen eines Urteils aufmerksam, das die Verpflichtung zur Rückzahlung der bis jetzt rechtsgrundlos erhobenen Steuer aussprechen würde. Bei den österreichischen Gemeinden würden dann nämlich unzählige Rückzahlungsanträge eingehen, die sie nicht bearbeiten könnten. Die der Getränkesteuer unterliegenden Lieferanten hätten die Steuer im Rahmen ihrer Tätigkeit auf die Verbraucher abgewälzt. Da diese nach dem Genuß eines Getränkes oder dem Verzehr von Speiseeis im allgemeinen keinen Zahlungsbeleg aufbewahrten, sei es unmöglich, ihnen die Steuer zurückzuzahlen. Abschließend führt die österreichische Regierung unwidersprochen aus, Vertreter der Kommission hätten ihr bei den Verhandlungen über den Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union versichert, daß die Getränkesteuer mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

Der Gerichtshof weist darauf hin, daß die Verbrauchsteuerrichtlinie bislang nicht Gegenstand eines Auslegungsurteils aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens gewesen sei; auch habe die österreichische Regierung aufgrund des Verhaltens der Kommission bei den Beitrittsverhandlungen von der Vereinbarkeit der Vorschriften über die Besteuerung alkoholischer Getränke mit dem Gemeienschaftsrecht ausgehen dürfen. Deshalb schlössen es zwingende Gründe der Rechtssicherheit aus, daß Rechtsverhältnisse, die ihre Wirkungen in der Vergangenheit erschöpft hätten, in Frage gestellt würden, da dies das Finanzierungssystem der österreichischen Gemeinden rückwirkend in seinen Grundlagen erschüttern würde.

Auf die Frage, ob die Befreiung des Ab-Hof-Verkaufs von Wein von der Getränkesteuer eine Beihilfe darstelle, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei, stellt der Gerichtshof fest, daß diese Frage für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten unerheblich sei.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher und französischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.