Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 18/2000

21. März 2000

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-6/99

Association Greenpeace France u. a. / Ministère de l'Agriculture et de la Pêche u. a.

DER GRUNDSATZ DER VORSORGE WIRD DURCH DAS GEMEINSCHAFTSRECHT ÜBER DIE FREISETZUNG VON GVO IN VOLLEM UMFANG BERÜCKSICHTIGT


Der Gerichtshof entscheidet, daß die Mitgliedstaaten, die eine Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme für das Inverkehrbringen von GVO an die Kommission weitergeleitet haben, an ihre Stellungnahme gebunden sind und die Beschlüsse der Kommission durchführen müssen. Zeigen jedoch neue Informationen, daß der GVO eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, so kann das Verfahren für das Inverkehrbringen gestoppt werden, bis ein neuer Beschluß der Kommission ergeht.

Ein Erlaß des französischen Ministers für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung vom 5. Februar 1998 genehmigt nach den geltenden französischen Rechtsvorschriften die Vermarktung von Saatgut aus verschiedenen genetisch veränderten Maissorten, die von Novartis Seeds SA erzeugt werden.

Das Gemeinschaftsrecht sieht einen Mechanismus zur Beurteilung der Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor, die sich aus der absichtlichen Freisetzung oder dem Inverkehrbringen genetisch veränderter Organismen (GVO) ergeben.

Die fragliche Gemeinschaftsrichtlinie sieht mehrere Phasen der Prüfung durch die nationalen Behörden und die Gemeinschaftsbehörden vor, bevor eine Zustimmung zu einem Inverkehrbringen erteilt werden kann, die im gesamten Gemeinschaftsgebiet gilt.

Greenpeace France und andere Verbände beantragten beim französischen Conseil d'État die Nichtigerklärung des Erlasses vom 5. Februar 1998. Da dieser der Auffassung war, daß das Vorbringen der Verbände erheblich und geeignet erscheine, die Nichtigerklärung des Erlasses zu rechtfertigen, und dieser schwerwiegende Folgen haben könne, setzte er dessen Vollzug aus.

Der Conseil d'État befragt den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im wesentlichen zu dem Handlungsspielraum, der einem Mitgliedstaat im Rahmen des mit der Gemeinschaftsrichtlinie geschaffenen Mechanismus zusteht.

Der Gerichtshof prüft die verschiedenen Phasen dieses Mechanismus im Hinblick auf den Grundsatz der Vorsorge.

Wenn die zuständigen nationalen Behörden, bei denen eine Gesellschaft einen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines GVO einreicht, diesen Antrag nicht ablehnen, müssen sie die Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission weiterleiten. Nach Auffassung des Gerichtshofes haben die nationalen Behörden, die sich an die Kommission wenden, in diesem Stadium umfassend Gelegenheit, die Risiken zu beurteilen. Das Unternehmen müsse nämlich alle Informationen bezüglich der Risiken des Produktes für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt beibringen.

Sobald die Kommission eingeschaltet sei, sehe das Gemeinschaftsrecht eine Frist für die Anhörung der zuständigen nationalen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten vor. Die Kommission müsse nur dann Stellung nehmen, wenn eine der zuständigen nationalen Behörden Einwände erhebe.

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß auch in dieser gemeinschaftlichen Phase die Berücksichtigung des Grundsatzes der Vorsorge zum Ausdruck komme. Denn die übrigen zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls die verschiedenen im Fall der Uneinigkeit konsultierten Ausschüsse (wissenschaftlicher Futtermittelausschuß, wissenschaftlicher Lebensmittelausschuß, wissenschaftlicher Ausschuß für Schädlingsbekämpfungsmittel) hätten die Befugnis, die möglichen Risiken zu beurteilen.

Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens, sowohl in seinem nationalen als auch in seinem gemeinschaftlichen Stadium, müsse das betreffende Unternehmen die zuständige nationale Behörde unverzüglich über neue Informationen unterrichten, die eine bessere Beurteilung der Risiken des Produktes für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ermöglichten. Zudem könne auch nach Genehmigung des Inverkehrbringens jede zuständige nationale Behörde, die berechtigten Grund zu der Annahme habe, daß das Produkt eine Gefahr darstelle, den Einsatz des fraglichen Produktes in ihrem Gebiet einschränken oder verbieten und müsse die Kommission hiervon unterrichten.

Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, daß ein Mitgliedstaat, der den Antrag mit einer befürwortenden Stellungnahme weitergeleitet habe, verpflichtet sei, das Inverkehrbringen eines GVO zu genehmigen, nachdem die Kommission einen positiven Beschluß getroffen habe. Dennoch bedinge das mit der Richtlinie geschaffene Schutzsystem, daß der betreffende Mitgliedstaat seine Zustimmung zum Inverkehrbringen nicht erteilen müsse, wenn nach Erlaß des Beschlusses der Kommission neue Informationen ein Risiko offenbarten. In diesem Fall unterrichte er die Kommission, die dann einen neuen Beschluß im Licht dieser neuen Informationen treffen müsse.

Stelle ein nationales Gericht Unregelmäßigkeiten im Ablauf der Prüfung des Antrags auf Genehmigung des Inverkehrbringens fest, die die Rechtmäßigkeit der Weiterleitung der Akte mit einer befürwortenden Stellungnahme an die Kommission in Frage stellen könnten, so müsse dieses nationale Gericht den Gerichtshof damit befassen. Denn allein der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sei befugt, über die Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu entscheiden. Wenn die Unregelmäßigkeit des Verfahrens auf nationaler Ebene erwiesen sei, könne der Gerichtshof die Gemeinschaftsentscheidung, die zu der nationalen Zustimmung geführt habe, für nichtig erklären.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument ist in allen Amtssprachen verfügbar.

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