Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 22/2000

28. März 2000

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-158/97

Georg Badeck u. a.

NATIONALE RECHTSVORSCHRIFTEN ZUR FÖRDERUNG DER EINSTELLUNG UND DES AUFSTIEGS VON FRAUEN IM ÖFFENTLICHEN DIENST, DIE EINE OBJEKTIVE BEURTEILUNG DER BEWERBUNGEN GEWÄHRLEISTEN, SIND MIT DEM GEMEINSCHAFTSRECHT VEREINBAR


Der Gerichtshof prüft die Vereinbarkeit des Hessischen Gesetzes über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und zum Abbau von Diskriminierungen von Frauen in der öffentlichen Verwaltung mit der Richtlinie 76/207/EWG

Am 28. November 1994 stellten Herr Badeck und 45 weitere Abgeordnete des Hessischen Landtags beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen den Antrag, im Wege der Normenkontrolle ein 1993 erlassenes Gesetz dieses Landes über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu überprüfen.

Nach diesem Gesetz sind die Dienststellen des Landes Hessen verpflichtet, durch Frauenförderpläne auf die Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst und insbesondere auf die Beseitigung einer Unterrepräsentanz von Frauen hinzuwirken. In jedem Frauenförderplan sind jeweils mehr als die Hälfte der (durch Einstellung oder Beförderung) zu besetzenden Personalstellen eines Bereichs, in dem Frauen unterrepräsentiert sind, zur Besetzung durch Frauen vorzusehen. Im Gesetz sind nähere Einzelheiten, die Auswahlkriterien und die Ausnahmen geregelt.

Die Abgeordneten halten dieses Gesetz für unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung und insbesondere mit der Richtlinie der Gemeinschaft zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, weil es Männer benachteilige.

Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen beschloß, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eine Frage nach der Vereinbarkeit des Gesetzes mit der Richtlinie zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der Gerichtshof weist darauf hin, daß gemäß seinen früheren Urteilen in den Rechtssachen Kalanke (17. Oktober 1995) und Marschall (11. November 1997) eine Maßnahme, nach der weibliche Bewerber in Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen Frauen unterrepräsentiert seien, vorrangig befördert werden sollten, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei,

In dem betreffenden Gesetz, das eine ,,flexible Ergebnisquote" vorsehe, werde die Quote nicht einheitlich für alle betroffenen Bereiche und Dienststellen festgelegt, sondern deren Besonderheiten sollten für die Zielvorgaben maßgebend sein. Zum anderen gebe dieses Gesetz nicht notwendigerweise ohne weiteres - automatisch - das Ergebnis jeder einzelnen Auswahlentscheidung in einer "qualifikatorischen Pattsituation" zugunsten der Bewerberin zwingend vor.

Nach dem dort vorgesehenen Verfahren zur Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber werde zunächst deren Eignung, Befähigung und fachliche Leistung im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle oder des auszuübenden Amtes beurteilt.

Die im Gesetz enthaltenen Auswahlkriterien begünstigten im allgemeinen Frauen, obwohl sie geschlechtsneutral formuliert seien und sich somit auch zugunsten von Männern auswirken könnten. Sie sollten offenkundig eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herbeiführen, indem sie in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringerten.

Die durch das Gesetz geschaffene Vorrangnorm sei jedoch nicht absolut und unbedingt im Sinne des Urteils Kalanke, denn Gründe von größerem rechtlichen Gewicht (wie z. B. die bevorzugte Berücksichtigung von Schwerbehinderten oder die Beendigung einer lang anhaltenden Arbeitslosigkeit) könnten zu einem Zurücktreten des Grundsatzes der Frauenförderung führen. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Regelung sicherstelle, daß die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung seien, bei der die besondere persönliche Lage aller Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt werde.

Unter diesen Umständen steht die Richtlinie der Gemeinschaft nach Ansicht des Gerichtshofes der fraglichen Regelung nicht entgegen.

Der Gerichtshof führt weiter aus, daß auch die Sonderregelung für die Besetzung befristeter Stellen des wissenschaftlichen Dienstes und für wissenschaftliche Hilfskräfte mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, da sie keinen festen Höchstsatz vorsehe, sondern auf den Anteil an Frauen abstelle, den diese an den Absolventinnen und Absolventen, Promovierten und Studierenden des jeweiligen Fachbereichs stellten.

Das Gesetz sieht vor, daß Frauen in Ausbildungsberufen, in denen nicht ausschließlich der Staat ausbildet, mindestens die Hälfte der Ausbildungsplätze erhalten müssen, um ihnen Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten zu verschaffen, in denen sie unterrepräsentiert sind. Der Gerichtshof hält diese Regelung ebenfalls für vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht, da sie Männer nicht daran hindere, auf vergleichbare Ausbildungen im Privatsektor zurückzugreifen.

Der Gerichtshof stellt schließlich fest, daß die Richtlinie der Gemeinschaft einer nationalen Regelung über die Besetzung von Vertretungsorganen der Arbeitnehmer sowie der Verwaltungs- und Aufsichtsräte nicht entgegenstehe, nach der bei den Rechtsvorschriften zu ihrer Durchführung das Ziel einer zumindest hälftigen Beteiligung von Frauen an diesen Organen berücksichtigt werden solle.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer und italienischer Sprache vor.

Der vollständige Wortlaut des Urteils wird heute ab etwa 15.00 Uhr über unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int verfügbar sein.

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (00352) 4303-3255, Fax: (00352) 4303-2734.