Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 23/2000

30. März 2000

Urteil des Gerichts erster Instanz in der Rechtssache T-513/93

Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften

Das Gericht erster Instanz stellt fest, dass die Gebührenordnung für gewerbliche Leistungen der italienischen Zollspediteure eine dem CNSD zuzurechnende Wettbewerbsbeschränkung darstellt, die den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen kann.


Das Gericht erster Instanz wendet die Artikel 85 und 86 des Vertrages auf eine Unternehmensvereinigung an, unabhängig davon, daß deren Befugnisse auf nationalen Rechtsvorschriften beruhen, die der Gerichtshof für unvereinbar mit dem Vertrag erklärt hat.

Die Tätigkeit der selbständigen Zollspediteure (die Dienstleistungen im Rahmen des Zollabfertigungsverfahrens umfaßt) wird in Italien durch das Gesetz Nr. 1612/1960 geregelt. Nach diesem Gesetz bedarf es für die Ausübung der genannten Tätigkeit einer Zulassung und der Eintragung in das nationale Register der Zollspediteure; ferner enthält das Gesetz Rechtsvorschriften über den Consiglio nazionale degli Spedizionieri Doganali (Nationaler Rat der Zollspediteure; CNSD). Der als Einrichtung des öffentlichen Rechts anerkannte CNSD hat die Aufgabe, die verbindliche Gebührenordnung für die Leistungen der Zollspediteure aufzustellen, bei deren Nichteinhaltung Sanktionen bis hin zur Streichung im Register drohen.

1988 stellte der CNSD die (anschließend durch Dekret des Finanzministers genehmigte) Gebührenordnung mit Mindest- und Höchstbeträgen für Zollabfertigungen und für gewerbliche Leistungen auf dem Gebiet der Devisen, der Warenkunde oder der Steuern auf. Der CNSD ist befugt, Abweichungen von der Gebührenordnung zuzulassen.

1993 erließ die Kommission - im Anschluß an eine Beschwerde, mit der die vom CNSD aufgestellte Gebührenordnung für gewerbliche Leistungen der Zollspediteure beanstandet wurde - eine Entscheidung, in der sie feststellte, daß die italienischen Zollspediteure ,,Unternehmen" seien, die eine Wirtschaftstätigkeit ausübten, und daß der CNSD eine ,,Unternehmensvereinigung" sei.

Die Kommission vertrat die Ansicht, daß die geltende Gebührenordnung zu Wettbewerbsbeschränkungen führe, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten. Sie sah darin einen Verstoß gegen die Grundsätze des freien Wettbewerbs und forderte den CNSD auf, diesen Verstoß unverzüglich abzustellen.

Der Gerichtshof hat bereits 1998 erklärt, daß die italienischen Rechtsvorschriften, die den CNSD verpflichteten, eine für alle Zollspediteure verbindliche Gebührenordnung festzulegen, gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verstießen.

Der CNSD hat das Gericht erster Instanz ersucht, die Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären. Er hat vorgetragen, die Zollspediteure seien keine Unternehmen, und beim CNSD handele es sich nicht um eine Unternehmensvereinigung; seine Beschlüsse seien keine Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, und folglich beschränke die Gebührenordnung nicht den Wettbewerb und beeinträchtige nicht den innergemeinschaftlichen Handel.

Der Begriff des Unternehmens umfaßt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung; jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten, stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar.

Wie der Gerichtshof in seinem Urteil von 1998 entschieden hat, üben die Zollspediteure, die gegen Entgelt Dienstleistungen anbieten und die damit verbundenen finanziellen Risiken übernehmen, eine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Daher ist der CNSD ungeachtet seines Status als öffentlich-rechtliche Einrichtung eine Unternehmensvereinigung.

Das Gericht prüft, ob die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen nur auf der Anwendung des innerstaatlichen Gesetzes beruhten oder ob sie zumindest teilweise durch das eigenständige Verhalten des CNSD herbeigeführt wurden.

Das italienische Gesetz habe den CNSD zum Erlaß einer Gebührenordnung verpflichtet, ohne aber die Höhe, die Obergrenze oder die Kriterien der Gebühren anzugeben. Es habe auch keine konkreten Fakturierungsmodalitäten oder eine Pflicht zur Fakturierung jedes einzelnen Vorgangs vorgesehen.

In Wirklichkeit habe der CNSD die Mindestpreise (gegenüber den zuvor geltenden Preisen) erheblich angehoben und konkrete Fakturierungsmodalitäten eingeführt, die die interne Organisationsfreiheit der Zollspediteure beträchtlich einschränkten und sie daran hinderten, die Fakturierungskosten zu senken und ihren Kunden Gebührenermäßigungen zu gewähren.

Der CNSD habe auch von den ihm durch das Gesetz verliehenen Befugnissen Gebrauch gemacht, in bestimmten Fällen Abweichungen von den Mindestbeträgen zuzulassen, den für Rechnung eines Auftraggebers oder eines Zwischenhändlers tätigen Zollspediteuren zu gestatten, ihre Entgelte herabzusetzen, oder einige Gruppen von Zolldienstleistungen von der Gebührenordnung auszunehmen. Er habe damit gezeigt, daß er bei der Durchführung der nationalen Rechtsvorschriften über ein weites Ermessen verfüge, das es ihm erlaubt hätte, so vorzugehen, daß der in diesem Bereich bestehende Wettbewerb nicht eingeschränkt worden wäre. Für Art und Umfang des Wettbewerbs in diesem Tätigkeitsbereich seien in der Praxis seine Entscheidungen maßgebend gewesen.

Das Gericht schließt daraus, daß die Gebührenordnung eine dem CNSD zuzurechnende Wettbewerbsbeschränkung darstelle.

Schließlich führt das Gericht aus, da auch in der Zeit nach der Verwirklichung des Binnenmarkts (am 31. Dezember 1992) bei bestimmten Arten von Geschäften Zollformalitäten erfüllt werden müßten, die die Heranziehung eines selbständigen, in das Register eingetragenen Zollspediteurs erforderlich machen könnten, beeinträchtige die Gebührenordnung den Handel zwischen Mitgliedstaaten.

Hinweis: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das das Gericht erster Instanz nicht bindet. Dieses Dokument liegt in französischer, italienischer, deutscher und englischer Sprache vor.

Der vollständige Wortlaut des Urteils wird heute ab etwa 15.00 Uhr im Internet unter www.curia.eu.int verfügbar sein.

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (00352) 4303-3255, Fax: (00352) 4303-2734.