Der Kläger des Ausgangsverfahrens wohnt in den Niederlanden. Er arbeitet bei einer Gesellschaft, die von der belgischen Aktiengesellschaft Petrofina NV kontrolliert wird. Im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans erwarb er Anteile an der Petrofina NV.
Die niederländischen Rechtsvorschriften über die Besteuerung von Dividenden sahen in bestimmtem Umfang eine Befreiung von der Steuer auf Dividenden und Einkünfte aus Anteilen an Gesellschaften vor: Dividenden waren je Steuerpflichtigen bis zu einer bestimmten Höhe (bei Verheirateten bis 2 000 NLG) unter der Voraussetzung von der Einkommensteuer befreit, daß die Dividenden von einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden gezahlt wurden und damit bereits einer Dividendensteuer unterworfen waren.
Der Hoge Raad der Nederlanden, bei dem der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Steuerbehörde in letzter Instanz anhängig ist, fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der niederländischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht: Verstößt es gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs, wenn eine Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden, die an natürliche Personen gezahlt werden, unter der Voraussetzung gewährt wird, daß die dividendenzahlende Gesellschaft ihren Sitz im Mitgliedstaat der Besteuerung hat?
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, daß das Gemeinschaftsrecht die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften zulasse, die bestimmte Unterscheidungen, insbesondere nach dem Wohnort der Steuerpflichtigen, mit sich brächten, sofern sie auf Situationen angewendet würden, die nicht objektiv vergleichbar oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Zu diesen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehöre die Kohärenz der Steuerregelung.
Diese Unterschiede durften jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen.
Der Gerichtshof prüft daher, ob die vorliegende steuerliche Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist oder nicht.
Die Förderung der Wirtschaft des Landes, die die Regierung des Vereinigten Königreichs angeführt hat (die Befreiung, die nur für Dividenden gewährt wird, die von Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden gezahlt werden, sollte zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der inländischen Unternehmen dienen), läßt der Gerichtshof nicht gelten: Ein rein wirtschaftliches Ziel könne keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung einer durch das Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen könnte.
Auch die Notwendigkeit, die Kohärenz der niederländischen Steuerregelung zu gewährleisten, läßt der Gerichtshof nicht gelten: Es bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Einkommensteuerfreibetrags für erhaltene Dividenden an Anteilsinhaber, die in den Niederlanden wohnten, und der Besteuerung des Gewinns von Gesellschaften, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten hätten. Es handele sich um zwei getrennte Besteuerungen von verschiedenen Steuerpflichtigen.
Steuermindereinnahmen können nach Auffassung des Gerichtshof nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angeführt werden, um eine Maßnahme zu rechtfertigen, die dem freien Kapitalverkehr zuwiderlaufe.
Nach Auffassug des Gerichtshofes ist es ohne Bedeutung, daß die fraglichen Dividenden im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans gezahlt werden.
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Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr die Homepage des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Internet www.curia.eu.int
Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.