Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N. 49/01


9. Oktober 2001


Schlussanträge des Generalanwalts Philippe Léger in der Rechtssache C-66/00

Strafverfahren gegen Dante Bigi


GENERALANWALT LÉGER SCHLÄGT DEM GERICHTSHOF VOR, DER ITALIENISCHEN REPUBLIK ZU GESTATTEN, DIE HERSTELLUNG VON "PARMESAN"-KÄSE IN ITALIEN ZU VERBIETEN, DER NICHT DIE EIGENSCHAFTEN DES ECHTEN "PARMIGIANO REGGIANO" BESITZT

Ein Käsehersteller darf in den Augen des Generalanwalts nicht seine geographische Nähe zum Herstellungsort eines Käses ausnutzen, für den eine geschützte Ursprungsbezeichnung gilt, selbst wenn das Erzeugnis dazu bestimmt ist, ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht zu werden.

Das Gemeinschaftsrecht sieht für Agrarerzeugnisse oder Lebensmittel, deren Eigenschaften in einem besonderen Zusammenhang mit ihrer geographischen Herkunft stehen, die Möglichkeit vor, auf Gemeinschaftsebene die geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen eintragen zu lassen. Diese Eintragung dient auch dem Verbraucherschutz und der Gewährleistung eines lauteren Wettbewerbs.

"Parmigiano Reggiano" ist seit 1996 als geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.) eingetragen.

Das Unternehmen Nuova Castelli SpA, Reggio Emilia, dessen gesetzlicher Vertreter Herr Bigi ist, stellt in Italien seit langem einen geriebenen und getrockneten pasteurisierten Käse in Pulverform her, der aus einer Mischung mehrerer Käsearten unterschiedlicher Herkunft zubereitet und ausschließlich außerhalb Italiens, insbesondere in Frankreich, in den Verkehr gebracht wird. Dieses Erzeugnis wird mit einem Etikett verkauft, auf das der Name "Parmesan" aufgedruckt ist, obwohl es überhaupt keinen "Parmigiano Reggiano" enthält.

1999 wurde auf Betreiben des Consorzio del Formaggio Parmigiano Reggiano eine Partie dieses Käses bei einem Spediteur in Parma sichergestellt, und ein Strafverfahren wegen betrügerischen Handels und des Verkaufs von Erzeugnissen, die geeignet sind, die Öffentlichkeit zu täuschen, wurde eingeleitet.

Zu seiner Verteidigung hat Herr Bigi geltend gemacht, dass die Gemeinschaftsregelung keine Ermächtigung enthalte, im italienischen Recht die Herstellung eines als "Parmesan" bezeichneten Käses in Italien zu verbieten, wenn dieser ausschließlich ausgeführt und in anderen Mitgliedstaaten als Italien in den Verkehr gebracht werde.

Das Gericht in Parma ersucht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Auslegung dieser Regelung.


Die deutsche, die österreichische, die griechische und die italienische Regierung sowie das Consorzio per il Formaggio Parmigiano Reggiano haben Erklärungen abgegeben.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwälte ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssache vorzuschlagen, mit der sie befasst sind.  
                                    
Die Gemeinschaftsverordnung schützt die eingetragenen Bezeichnungen auch in ihren verschiedenen Übersetzungen.

Entgegen dem Vorbringen der deutschen und der österreichischen Regierung vertritt der Generalanwalt die Ansicht, dass der Begriff "Parmesan" die wörtliche Übersetzung allein des italienischen "Parmigiano" in mehrere Sprachen darstelle. Seines Erachtens bringt er die mit der eingetragenen Bezeichnung und dem Erzeugnis, das unter diese Eintragung falle (d. h. "Parmigiano Reggiano"), verbundene geschichtliche, kulturelle, rechtliche und wirtschaftliche Realität zum Ausdruck. So reiche dank der Bekanntheit dieses Käses der Begriff "Parmigiano" für die Bezeichnung des Erzeugnisses als solches aus und bilde den wesentlichen Bestandteil der g. U. "Parmigiano Reggiano".

Nach Ansicht des Generalanwalt erstreckt sich der mit der g. U. "Parmigiano Reggiano" verbundene Schutz somit auf deren Übersetzung "Parmesan".

Die Verordnung sieht jedoch eine vorübergehende Sonderregelung vor, die es den Herstellern unter bestimmten Bedingungen erlaubt, eingetragene Bezeichnungen für begrenzte Zeit und unter der Voraussetzung, dass aus der Etikettierung der tatsächliche Ursprung des Erzeugnisses deutlich hervorgeht, für Erzeugnisse zu verwenden, die nicht der Spezifikation der g. U. entsprechen. Den Herstellern soll ein Anpassungszeitraum eingeräumt werden, damit ihnen keine Nachteile entstehen, und zugleich sollen die Verbraucher und die Lauterkeit des Wettbewerbs geschützt werden.

Der Generalanwalt ist aber der Ansicht, dass der Mitgliedstaat, der die Eintragung einer g. U. beantragt habe, die kommerzielle Verwendung dieser Bezeichnung für ein im Inland hergestelltes Erzeugnis, das nicht unter die Eintragung falle, aber mit dem eingetragenen Erzeugnis vergleichbar sei, auch dann verbieten könne, wenn das beanstandete Erzeugnis ausschließlich im Ausland in den Verkehr gebracht werden solle.

Im Ergebnis könne einem Unternehmen wie der in Italien - dem Mitgliedstaat, der die Eintragung des "Parmigiano Reggiano" beantragt hat - ansässigen Firma Castelli die Herstellung eines "Parmesan"-Käses in Italien auch dann untersagt werden, wenn dieser Käse allein für die Ausfuhr bestimmt sei.

Das italienische Recht habe bereits vor dem Erlass der Gemeinschaftsverordnung besondere, auch strafrechtliche Sanktionen für derartige Fälle vorgesehen. Daher bestehe kein Grund, eine besondere Ausnahme zu gewähren und einem Unternehmen wie der Firma Castelli einen Anpassungszeitraum einzuräumen.

Der Generalanwalt vertritt die Ansicht, dass die Erfordernisse des Verbraucherschutzes und der Wahrung des lauteren Wettbewerbs eingehalten worden seien: Einem Hersteller, der seinen Sitz im Staat der Eintragung der g. U. habe, dürfe es nicht ermöglicht werden, seine geographische Nähe zum Herstellungsort der g. U. auszunutzen.



Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer, griechischer und italienischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (00352) 43 03 - 3255; Fax: (00352) 43 03 - 2734.