PRESSEMITTEILUNG N. 69/01
Eine Verordnung des Landes Baden-Württemberg regelt die Entsorgung .besonders
überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung. Nach dieser Verordnung zur Durchführung
eines Gesetzes von 1998 haben die Erzeuger und Besitzer dieser Abfälle, die in
Baden-Württemberg erzeugt worden sind oder dort behandelt, gelagert oder abgelagert werden
sollen, diese einer Sonderabfallagentur anzudienen, die sie sodann einer Entsorgungsanlage in
Deutschland zuweist. Die Verordnung sieht zwei zentrale Einrichtungen vor, eine
Sonderabfalldeponie in Billigheim und eine Sonderverbrennungsanlage in Hamburg. Abfälle,
die nicht in diesen zentralen Einrichtungen entsorgt werden können, weist die
Sonderabfallagentur der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Anlage zu, soweit die
Abfälle entsprechend dem deutschen Umweltrecht entsorgt werden sollen.
Die DaimlerChrysler AG leitete 1996 bei einem deutschen Gericht ein Normenkontrollverfahren
ein und beantragte, diese Verordnung für nichtig zu erklären. Sie sieht sich durch die
Andienungspflicht für die deutsche Abfallverbrennungsanlage beschwert, weil sie an einer
kostengünstigeren Verbrennung der in ihren baden-württembergischen Betriebsstätten erzeugten
Abfälle im Ausland, insbesondere in Belgien, gehindert werde. Die Zuführung der Abfälle in die
Anlage in Hamburg, die zwischen 600 und 800 km von ihren Betriebsstätten entfernt sei,
verursache ihr jährliche Mehrkosten von 2,2 Millionen DM (ca. 1,1 Millionen Euro).
Zur Begründung ihres Antrags hat die DaimlerChrysler AG u. a. geltend gemacht, dass die in der
Verordnung vorgeschriebene Pflicht den im EG-Vertrag vorgesehenen Grundsatz des freien
Warenverkehrs verletze. Diese Pflicht verstoße auch gegen die Gemeinschaftsrichtlinie über
Abfälle und die Gemeinschaftsverordnung zur Überwachung und Kontrolle der
Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft.
Die angeführte Richtlinie, die die nationalen Rechtsvorschriften über die Abfallbeseitigung
harmonisieren soll, legt fest, dass in diesem Bereich das Prinzip der Nähe, der Vorrang für die
Verwertung und der Grundsatz der Entsorgungsautarkie beachtet werden müssen.
Das mit dem Rechtsstreit befasste Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften um Auslegung dieser Vorschriften ersucht, um über dieVereinbarkeit der beanstandeten nationalen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht
entscheiden zu können.
Der Gerichtshof stellt fest, dass die Gemeinschaftsverordnung die Vorschriften über die
Verbringung von Abfällen zum Schutz der Umwelt auf Gemeinschaftsebene harmonisiert habe.
Folglich seien alle nationalen Maßnahmen zur Verbringung von Abfällen anhand dieser
Verordnung und nicht anhand der Artikel des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr zu
beurteilen.
Nach der baden-württembergischen Verordnung wird die Genehmigung der Ausfuhr von
Abfällen, die nicht von der Sonderabfallagentur behandelt werden können, davon abhängig
gemacht, dass die Bedingungen, unter denen diese Abfälle beseitigt werden, den Anforderungen
des deutschen Umweltrechts entsprechen.
Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Gemeinschaftsverordnung es einem
Mitgliedstaat nicht gestattet, eine solche Voraussetzung aufzustellen.
Die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten gegen die Verbringung von Abfällen Einwände erheben
könnten, seien in der Gemeinschaftsverordnung abschließend aufgeführt; Beschränkungen der
Abfallverbringung, die in einer abstrakten generellen Verordnung vorgesehen seien, dürften
ausschließlich durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den
Grundsatz der Entsorgungsautarkie veranlasst sein.
Nach Ansicht des Gerichtshofes enthält die baden-württembergische Regelung ein abstrakt-
generelles Verbot der Verbringung von Abfällen.
Sie bringe aber zunächst das Prinzip der Nähe nicht zur Anwendung, da sie die Nähe der
vorgeschlagenen Entsorgungsanlage überhaupt nicht berücksichtige.
Ferner könne der Vorrang für die Verwertung, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen träfen,
um die Verwertung der Abfälle zu fördern, definitionsgemäß nicht durch eine nationale Regelung
wie die des Ausgangsverfahrens zur Anwendung gebracht werden, die bezwecke, die Anlage zu
bestimmen, in der die Abfälle beseitigt werden könnten.
Schließlich trage die in der baden-württembergischen Regelung vorgesehene Voraussetzung
nichts zur Anwendung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie bei, da sie nur in den Fällen
gelte, in denen die fraglichen Abfälle nicht in einer Einrichtung behandelt werden könnten, die
der für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle unterstehe, und deshalb ohnehin einer vom
Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagenen Entsorgungsanlage zugewiesen würden.
Dieser Grundsatz, der sich aus der Gemeinschaftsrichtlinie über Abfälle ergebe, solle es der
Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen
Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, und zwar durch ein integriertes und
angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen.
Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass das Prinzip der Entsorgungsautarkie grundsätzlich die
in einer nationalen Regelung vorgesehene Pflicht rechtfertigen könne, die zur Beseitigung
bestimmten Abfälle einer bestimmten lokalen Stelle anzudienen, wenn damit ein für die
Wirtschaftlichkeit der von dieser Stelle kontrollierten Entsorgungsanlagen unerlässlicher
Auslastungsgrad sichergestellt werden solle.
Außerdem hat das deutsche Gericht den Gerichtshof zur Vereinbarkeit des besonderen
Verfahrens befragt, das der Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, der diese verbringen oder
verbringen lassen möchte, nach der baden-württembergischen Verordnung vor dem
Gemeinschaftverfahren durchlaufen muss.
Der Gerichtshof antwortet, dass die Gemeinschaftsverordnung zur Abfallverbringung auch das
besondere Verfahren für diese Verbringungen harmonisiert habe und dass dieses Verfahren der
Person, die die Abfälle verbringen möchte, garantiere, dass sie innerhalb bestimmter Fristen ab
der Notifizierung des Verbringungsvorhabens an die zuständigen Behörden darüber unterrichtet
werde, ob die Verbringung genehmigt werde.
Da die Verordnung des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von
Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft ein Notifizierungsverfahren
mit bestimmten Fristen vorsehe, dürfe auf nationaler Ebene kein weiteres, dem
Gemeinschaftsverfahren vorgeschaltetes Verfahren vorgeschrieben werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
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