Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG N. 69/01

13. Dezember 2001

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-324/99

DaimlerChrysler AG / Land Baden-Württemberg


BEI EINER VERBRINGUNG VON ABFÄLLEN ZU IHRER BESEITIGUNG IN EINEN ANDEREN MITGLIEDSTAAT KANN DER MITGLIEDSTAAT, AUS DEM DIE ABFÄLLE STAMMEN, NICHT VERLANGEN, DASS DIESE ABFÄLLE ENTSPRECHEND SEINEM EIGENEN UMWELTRECHT BESEITIGT WERDEN.

Eine Verordnung des Landes Baden-Württemberg regelt die Entsorgung .besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung“. Nach dieser Verordnung zur Durchführung eines Gesetzes von 1998 haben die Erzeuger und Besitzer dieser Abfälle, die in Baden-Württemberg erzeugt worden sind oder dort behandelt, gelagert oder abgelagert werden sollen, diese einer Sonderabfallagentur anzudienen, die sie sodann einer Entsorgungsanlage in Deutschland zuweist. Die Verordnung sieht zwei zentrale Einrichtungen vor, eine Sonderabfalldeponie in Billigheim und eine Sonderverbrennungsanlage in Hamburg. Abfälle, die nicht in diesen zentralen Einrichtungen entsorgt werden können, weist die Sonderabfallagentur der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Anlage zu, soweit die Abfälle entsprechend dem deutschen Umweltrecht entsorgt werden sollen.

Die DaimlerChrysler AG leitete 1996 bei einem deutschen Gericht ein Normenkontrollverfahren ein und beantragte, diese Verordnung für nichtig zu erklären. Sie sieht sich durch die Andienungspflicht für die deutsche Abfallverbrennungsanlage beschwert, weil sie an einer kostengünstigeren Verbrennung der in ihren baden-württembergischen Betriebsstätten erzeugten Abfälle im Ausland, insbesondere in Belgien, gehindert werde. Die Zuführung der Abfälle in die Anlage in Hamburg, die zwischen 600 und 800 km von ihren Betriebsstätten entfernt sei, verursache ihr jährliche Mehrkosten von 2,2 Millionen DM (ca. 1,1 Millionen Euro).

Zur Begründung ihres Antrags hat die DaimlerChrysler AG u. a. geltend gemacht, dass die in der Verordnung vorgeschriebene Pflicht den im EG-Vertrag vorgesehenen Grundsatz des freien Warenverkehrs verletze. Diese Pflicht verstoße auch gegen die Gemeinschaftsrichtlinie über Abfälle und die Gemeinschaftsverordnung zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft.

Die angeführte Richtlinie, die die nationalen Rechtsvorschriften über die Abfallbeseitigung harmonisieren soll, legt fest, dass in diesem Bereich das Prinzip der Nähe, der Vorrang für die Verwertung und der Grundsatz der Entsorgungsautarkie beachtet werden müssen.

Das mit dem Rechtsstreit befasste Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Auslegung dieser Vorschriften ersucht, um über dieVereinbarkeit der beanstandeten nationalen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht entscheiden zu können.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Gemeinschaftsverordnung die Vorschriften über die Verbringung von Abfällen zum Schutz der Umwelt auf Gemeinschaftsebene harmonisiert habe. Folglich seien alle nationalen Maßnahmen zur Verbringung von Abfällen anhand dieser Verordnung und nicht anhand der Artikel des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr zu beurteilen.

Nach der baden-württembergischen Verordnung wird die Genehmigung der Ausfuhr von Abfällen, die nicht von der Sonderabfallagentur behandelt werden können, davon abhängig gemacht, dass die Bedingungen, unter denen diese Abfälle beseitigt werden, den Anforderungen des deutschen Umweltrechts entsprechen.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Gemeinschaftsverordnung es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, eine solche Voraussetzung aufzustellen.

Die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten gegen die Verbringung von Abfällen Einwände erheben könnten, seien in der Gemeinschaftsverordnung abschließend aufgeführt; Beschränkungen der Abfallverbringung, die in einer abstrakten generellen Verordnung vorgesehen seien, dürften ausschließlich durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie veranlasst sein.

Nach Ansicht des Gerichtshofes enthält die baden-württembergische Regelung ein abstrakt- generelles Verbot der Verbringung von Abfällen.

Sie bringe aber zunächst das Prinzip der Nähe nicht zur Anwendung, da sie die Nähe der vorgeschlagenen Entsorgungsanlage überhaupt nicht berücksichtige.

Ferner könne der Vorrang für die Verwertung, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen träfen, um die Verwertung der Abfälle zu fördern, definitionsgemäß nicht durch eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens zur Anwendung gebracht werden, die bezwecke, die Anlage zu bestimmen, in der die Abfälle beseitigt werden könnten.

Schließlich trage die in der baden-württembergischen Regelung vorgesehene Voraussetzung nichts zur Anwendung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie bei, da sie nur in den Fällen gelte, in denen die fraglichen Abfälle nicht in einer Einrichtung behandelt werden könnten, die der für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle unterstehe, und deshalb ohnehin einer vom Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagenen Entsorgungsanlage zugewiesen würden. Dieser Grundsatz, der sich aus der Gemeinschaftsrichtlinie über Abfälle ergebe, solle es der Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, und zwar durch ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen.

Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass das Prinzip der Entsorgungsautarkie grundsätzlich die in einer nationalen Regelung vorgesehene Pflicht rechtfertigen könne, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten lokalen Stelle anzudienen, wenn damit ein für die Wirtschaftlichkeit der von dieser Stelle kontrollierten Entsorgungsanlagen unerlässlicher Auslastungsgrad sichergestellt werden solle.

Außerdem hat das deutsche Gericht den Gerichtshof zur Vereinbarkeit des besonderen Verfahrens befragt, das der Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, der diese verbringen oder verbringen lassen möchte, nach der baden-württembergischen Verordnung vor dem Gemeinschaftverfahren durchlaufen muss.

Der Gerichtshof antwortet, dass die Gemeinschaftsverordnung zur Abfallverbringung auch das besondere Verfahren für diese Verbringungen harmonisiert habe und dass dieses Verfahren der Person, die die Abfälle verbringen möchte, garantiere, dass sie innerhalb bestimmter Fristen ab der Notifizierung des Verbringungsvorhabens an die zuständigen Behörden darüber unterrichtet werde, ob die Verbringung genehmigt werde.

Da die Verordnung des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft ein Notifizierungsverfahren mit bestimmten Fristen vorsehe, dürfe auf nationaler Ebene kein weiteres, dem Gemeinschaftsverfahren vorgeschaltetes Verfahren vorgeschrieben werden.


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