Abteilung Presse und Information


PRESSEMITTEILUNG N. 36/02


25. April 2002

Schlussanträge des Generalanwalts Siegbert Alber in den Rechtssachen C-469/00 und C-108/01

1) Société Ravil gegen Société Bellon Import und Société SPA Biraghi 2) Consorzio del Prosciutto di Parma und Salumificio S. Rita SPA.gegen Asda Stores Limited und Hygrade Foods Limited

GENERALANWALT ALBER ÄUSSERT SICH ZUM UMFANG DES DURCH DIE URSPRUNGSBEZEICHNUNGEN PROSCIUTTO DI PARMA UND GRANA PADANO GEWÄHRTEN SCHUTZES

Nach seiner Ansicht umfasst der von einer geschützten Ursprungsbezeichnung ausgehende Schutz nicht das Erfordernis des Schneidens bzw. Reibens und Verpackens des Produkts im Erzeugungsgebiet.


Die Verordnung Nr. 2081/92 führte eine Gemeinschaftsregelung zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel ein. Der Schutz gründet sich auf den besonderen Zusammenhang zwischen den Eigenschaften der Produkte und ihrer geographischen Herkunft. Eine geschützte Ursprungsbezeichnung darf nur verwendet werden, soweit das Produkt einer Spezifikation entspricht. Die Spezifikation enthält unter anderem eine genaue Beschreibung des Produkts, Angaben, aus denen sich der Zusammenhang mit den geographischen Verhältnissen ergibt sowie, gegebenenfalls, zu erfüllende Anforderungen, die aufgrund gemeinschaftsrechtlicher und/oder einzelstaatlicher Rechtsvorschriften bestehen.

Für Ursprungsbezeichnungen, die schon vor Inkrafttreten dieser Verordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten geschützt waren, bestand die Möglichkeit, sie in einem vereinfachten Verfahren eintragen zu lassen. Auf diesem Wege wurden durch Erlass der Verordnung 1107/96 auch die in Italien geschützten Ursprungsbezeichnungen Prosciutto di Parma und Grana padano in das von der Kommission geführte Verzeichnis eingetragen. Die Spezifikationen dieser Ursprungsbezeichnungen sehen unter Verweis auf die italienischen Regelungen vor, dass das Schneiden des Schinkens bzw. das Reiben des Käses und das Verpacken im jeweiligen Erzeugungsgebiet erfolgen müssen.

Die Asda Stores Limited verkauft in ihren Supermärkten in England als .Parmaschinken“ bezeichneten, abgepackten Schinken. Sie bezieht diese Ware von der Hygrade Foods Limited, die ihrerseits den Schinken von der in Italien ansässigen Firma Cesare Fiorucci SpA erwirbt. . Der Schinken wird - entbeint - in das Vereinigte Königreich eingeführt und von Hygrade in Scheiben geschnitten und abgepackt.

Im November 1997 stellte das Consorzio del Prosciutto di Parma bei den englischen Gerichten einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Das in der Folge in letzter Instanz angerufene House of Lords setzte das Verfahren aus und wandte sich an den Gerichtshof der EG.

Die Firma Ravil mit Sitz in Frankreich hat im Juli 1990 vom Konsortium .Grana padano“ eine .Lizenz“ für den Vertrieb von geriebenem Grana padano in Frankreich unter der Bezeichnung .Grana padano râpé frais“ erworben. Seither hat sie Laibe von .Grana padano“ aus Italien importiert, in Frankreich gerieben und vertrieben.

Die Firma Biraghi mit Sitz in Italien stellt dort Käse her und vermarktet unter anderem auch .Grana padano“. Die Firmen Bellon Import und Biraghi France sind beide in Frankreich ansässig und Exklusivimporteure der Waren der Firma Biraghi für Frankreich. Sie haben beim Tribunal de commerce de Marseille Klage gegen Ravil erhoben.

Die in letzter Instanz angerufene Cour de Cassation hat das Verfahren ausgesetzt und sich ebenfalls an den EuGH gewandt.

In beiden Rechtssachen geht es im Wesentlichen darum, ob durch die erwähnten gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen
1) das in-Scheiben-Schneiden und Verpacken von Parmaschinken im Erzeugungsgebiet
2) bzw. das Reiben und Verpacken von Grana-padano-Käse im Erzeugungsgebiet geschützt werden kann.

Generalanwalt Alber trägt heute seine Schlussanträge vor.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Seine Aufgabe ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung für die Rechtssachen vorzuschlagen, mit denen er befasst ist.  

Zunächst stellt der Generalanwalt fest, dass die von Italien eingereichten Spezifikationen sehr wohl die Bedingung des Schneidens bzw. Reibens und Verpackens im Erzeugungsgebiet umfassen.

Des weiteren prüft der Generalanwalt, ob die Verordnung aus dem Jahre 1996, soweit sie die Bedingungen des Schneidens von Parmaschinken und Reibens von Grana padano im Erzeugungsgebiet schützt, gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstossen.

Nachdem er eine Beschränkung des freien Warenverkehrs festgestellt hat, prüft er, ob diese aus Gründen des Schutzes des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt sein könnte. Ursprungsbezeichnungen gehören zum gewerblichen Eigentum. Eine Rechtfertigung läge vor, wenn das Schneiden bzw. Reiben im Erzeugungsgebiet für den Erhalt verkehrswesentlicher Eigenschaften, die der Schinken bzw. Käse bei der Herstellung erworben hat, unerlässlich wäre.

Der Generalanwalt bestätigt das Vorbringen der Kläger, dass für das Schneiden bzw. Reiben eine besondere Sachkompetenz erforderlich ist; allerdings betont er, dass dieses know how durchaus auch außerhalb des Erzeugungsgebiets angewandt werden kann: so könnten Menschen,die an der Herstellung und Verarbeitung eines Produkts mitwirken, sich das entsprechende Fachwissen im Erzeugungsgebiet aneignen oder Fachleute könnten aus dem Erzeugungsgebiet abwandern.

Entsprechendes gilt nach Meinung des Generalanwalts auch für die technologische Ausstattung der mit dem Schneiden bzw. Reiben betrauten Betriebe.

Schließlich verweist der Generalanwalt darauf, dass es nach den Spezifikationen zulässig ist, den Schinken auch als Ganzes zum Schneiden durch, in der Regel nicht im Parma-Gebiet geschulte, Einzelhändler in einem anderen Mitgliedstaat zu verkaufen, die den Schinken normalerweise nicht vor den Augen des Kunden schneiden, der folglich das auf dem Schinken angebrachte Qualitätssiegel überhaupt nicht wahrnimmt (sei es durch die Entfernung oder die Tatsache, dass das Siegel gar nicht mehr oder nur teilweise vorhanden ist, weil ein großer Teil davon aufgeschnitten ist). Ebenso darf auch der Käse im Ganzen ausgeführt werden und vom Verbraucher selbst gerieben werden.

Der Generalanwalt kommt somit zu dem Ergebnis, dass das Schneiden bzw. Reiben und Verpacken nicht als eine Maßnahme angesehen werden kann, die dem Schutz verkehrswesentlicher Eigenschaften des Schinkens bzw. des Käses dient.

Somit ist nach Meinung des Generalanwalts die EG-Verordnung aus dem Jahre 1996 insoweit für ungültig zu erklären, als sie die geschützte Ursprungsbezeichnung “Prosciutto di Parma” Schinken vorbehält, der im Parma-Gebiet geschnitten und verpackt wurde bzw. die geschützte Ursprungsbezeichnung “Grana padano” Käse vorbehält, der in seinem Erzeugungsgebiet gerieben und verpackt wurde.


Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes der EG beginnen nun ihre Beratung in dieser Rechtssache. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.


Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in französischer, deutscher, englischer und italienischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int 

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Isabelle Phalippou,
Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.