PRESSEMITTEILUNG N. 41/02
Die Klägerin,
Jégo-Quéré et Cie S.A., ist ein Fischerei-Reedereiunternehmen,
hat ihren Sitz in Frankreich und übt ihr Gewerbe ständig südlich
von Irland aus. Das Unternehmen besitzt vier Schiffe von über 30 Metern
Länge und benutzt Fischfangnetze mit einer Maschenweite von 80 mm, die
nunmehr durch eine neue Gemeinschaftsverordnung verboten sind.
Die Klägerin
beantragt, das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften möge
zwei Bestimmungen dieser Verordnung für nichtig erklären, die den
Fischereibooten, die in bestimmten Zonen eingesetzt werden, eine Maschenmindestweite
für die verschiedenen Techniken des Netzfischfanges vorschreibt.
Die Kommission beantragt,
das Gericht möge die Klage für unzulässig erklären.
Gemäß dem EG-Vertrag kann "jede natürliche oder juristische
Person [...] gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen
Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an
eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar
und individuell betreffen". Die Kommission bestreitet nicht, dass Jégo-Quéré
durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar betroffen ist. Sie ist jedoch
der Auffassung, dass Jégo-Quéré nicht individuell betroffen sei,
weil sich die Bestimmungen bezüglich der Maschenweite von Fangnetzen auf
alle im keltischen Meer tätigen Fischer und nicht in besonderer Weise auf
das klagende Unternehmen beziehen.
Aufgrund der bisher von der Gemeinschaftsrechtsprechung entwickelten Kriterien müsste das Gericht feststellen, dass die Klägerin nicht als individuell betroffen im Sinne des EG-Vertrages anzusehen ist, was zur Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit führen würde.
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Nach der bisherigen Rechtsprechung kann eine Einzelperson einen Gemeinschaftsrechtsakt
von allgemeiner Geltung nämlich nur dann anfechten, wenn dieser sie wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis
aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt.
Das Gericht hält fest,
dass diese Rechtsprechung dazu führt, dass vielen Einzelpersonen jede Möglichkeit
genommen ist, mit der Nichtigkeitsklage Gemeinschaftsbestimmungen zu bekämpfen,
die zwar generellen Normcharakter aufweisen, sie jedoch unmittelbar in ihrer
Rechtsposition betreffen.
Das Gericht ist dabei
der Auffassung, dass die anderen möglichen Klagearten im vorliegenden Fall
nicht dazu geeignet sind, die Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsvorschriften
feststellen zu lassen. Falls eine belastende Gemeinschaftsvorschrift ohne das
Erfordernis einer innerstaatlichen Durchführungsmaßnahme, gegen die
ein innerstaatliches Rechtsmittel ergriffen werden könnte, wirksam wird,
ist es für eine Einzelperson nämlich unzumutbar, wissentlich Gemeinschaftsrecht
verletzen zu müssen, um Zugang zu einem nationalen Gericht zu erlangen,
und so gegebenenfalls den Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens
befassen zu können. Auch eine gegen die Gemeinschaften gerichtete Schadenersatzklage
erlaubt es dem Gemeinschaftsrichter nicht, seiner Aufgabe der umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle
nachzukommen, da ein Schadenersatz gegenüber Gemeinschaftsrechtsakten von
allgemeiner Geltung nur unter sehr erschwerten Voraussetzungen gewährt
wird.
Das Gericht erinnert
daran, dass, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften, der wirksame Zugang zu einem unabhängigen Richter ein Wesensbestandteil
der auf dem EG-Vertrag aufbauenden Rechtsordnung ist, die ein umfassendes
Rechtsschutzsystem geschaffen hat, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Überprüfung
der Rechtmäßigkeit der Handlungen der europäischen Organe übertragen
worden ist. Der Gerichtshof stützt dieses Grundrecht auf einen wirksamen
Rechtsbehelf vor einem zuständigen Gericht auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen
der Mitgliedstaaten sowie auf die Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK). Darüber hinaus wurde dieses Grundrecht auf einen wirksamen
Rechtsbehelf in Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, die am 7. Dezember 2000 in Nizza verkündet worden ist, neuerlich
unterstrichen.
Das Gericht befindet
folglich, dass, um einen effektiven Rechtsschutz von Einzelpersonen zu sichern,
eine natürliche oder juristische Person als durch eine Bestimmung eines
generellen Gemeinschaftsrechtsaktes, die sie unmittelbar betrifft, individuell
betroffen anzusehen ist, wenn die fragliche Bestimmung ihre Rechtsposition
unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte
einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt. Die Zahl oder die Lage anderer
Personen, die von der Bestimmung gleichfalls betroffen sind oder betroffen sein
könnten, sind für diese Beurteilung unmaßgeblich.
Im vorliegenden Fall werden dem Unternehmen Jégo-Quéré tatsächlich
durch die angefochtenen Bestimmungen Verpflichtungen auferlegt, die dieses Unternehmen
zwingen, für seine Fischereitätigkeiten nur Netze mit einer festgelegten
Maschenweite zu verwenden.
Das Unternehmen Jégo-Quéré ist daher individuell und unmittelbar
durch die angefochtenen Bestimmungen betroffen.
Folglich sind die von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede
abzuweisen und die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen.
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Hinweis: Gegen das Urteil des Gerichts kann binnen zwei Monaten
nach seiner Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das das Gericht erster Instanz nicht bindet. Dieses Dokument ist in allen Amtssprachen verfügbar
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