Abteilung Presse und Information
PRESSEMITTEILUNG N1 16/03
11. März 2003
Schlussanträge der Generalanwältin Christine Stix-Hackl in der Rechtssache C-322/01
Vorabentscheidungsverfahren Deutscher Apothekerverband e.V. / 0800 DocMorris NV und Jacques Waterval
NACH ANSICHT VON GENERALANWÄLTIN STIX-HACKL KANN EINE NATIONALE MASSNAHME WIE DAS DEUTSCHE VERBOT
DES VERSANDHANDELS - AUCH VIA INTERNET - MIT APOTHEKENPFLICHTIGEN ARZNEIMITTELN UND DER HIERAUF
GERICHTETEN WERBUNG UNTER DEM GESICHTSPUNKT DER WARENVERKEHRSFREIHEIT NUR DANN ALS ZUM SCHUTZ DER
GESUNDHEIT UND DES LEBENS VON MENSCHEN GERECHTFERTIGT ANGESEHEN WERDEN, WENN ES SICH UM
ZULASSUNGSPFLICHTIGE, ABER NICHT ZUG ELASSENE ARZNEIMITTEL HANDELT
Soweit das Verbot des Versandhandels und der hierauf gerichteten Werbung auch zugelassene oder
zulassungsfreie Arzneimittel betreffe, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, sofern die vom Einfuhrstaat verfolgten Ziele
des Gesundheitsschutzes auch auf andere Weise sichergestellt werden können. Als weniger einschneidende Maßnahmen
kommen nach Auffassung der Generalanwältin insbesondere Kontrollen bei der Bestellung, dem Versand, dem
Transport und beim Empfang der Arzneimittel in Betracht.
Die 0800 DocMorris N.V. ist eine niederländische Apotheke mit Sitz in Kerkrade, Niederlande.
Herr Jacques Waterval ist Apotheker und einer der gesetzlichen Vertreter von DocMorris.
Seit dem 8. Juni 2000 bieten DocMorris und Herr Waterval unter der Internet-Adresse
Awww.0800DocMorris.com@ rezept- und nicht rezeptpflichtige Humanarzneimittel auch in deutscher Sprache für den Endverbraucher
in Deutschland an. Dabei handelt es sich teilweise um in Deutschland zugelassene, zum
größten Teil um in einem anderen Mitgliedstaat zugelassene Arzneimittel.
Das Internet-Portal von DocMorris unterteilt sich in die Rubriken AApotheke@, AGesundheitsforum@, AÜber uns@,
AKontakt@ und AHilfe@. Der Verbraucher hat u. a. die Möglichkeit, eine Gesundheitsberatung durch
den Expertenbeirat der AInternet-Apotheke@ in Anspruch zu nehmen. Er kann außerdem direkt mit
DocMorris und mit Herrn Waterval über eine kostenlose Telefonnummer oder per Brief in
Kontakt treten.
Die einzelnen Medikamente sind auf der Internetseite nach Produktgruppen in Rubriken wie ASchmerzmittelA,
ABlutdrucksenkerA, AKrebstherapeutikaA, AImmunstimulantienA, ABlutfettsenkerA, APotenzProstataMittelA, AEntwöhnungsmittelA unterteilt. Jede Rubrik enthält zunächst eine aus
wenigen Sätzen bestehende Einleitung. Anschließend sind die Medikamente alphabetisch nach ihrem Produktnamen aufgeführt,
der Packungsinhalt wird beschrieben sowie der Preis in Euro angegeben. Neben dem Hinweis
auf eine eventuell bestehende Rezeptpflichtigkeit findet sich ein Kästchen. Durch Anklicken dieses Kästchens
wird das entsprechende Medikament bestellt. Zur weiteren Information über das Produkt selbst kann
der Produktname angeklickt werden.
Ein bestimmtes Arzneimittel wird von DocMorris und Herrn Waterval dann als rezeptpflichtig behandelt,
wenn es entweder in den Niederlanden oder in dem Mitgliedstaat, in dem der
Verbraucher seinen Wohnsitz hat, als rezeptpflichtig eingestuft wird. Die Auslieferung derartiger Medikamente erfolgt
erst nach Vorlage des Originalrezepts.
Die Zustellung selbst kann auf verschiedene Weise erfolgen. So kann der Verbraucher zum
einen die Bestellung persönlich bei der Apotheke DocMorris in Landgraaf, einer Stadt in
der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze, abholen. Zum anderen kann er z. B. ohne
zusätzliche Kosten einen von DocMorris empfohlenen Kurierdienst beauftragen.
Mit seiner Klage vor dem Landgericht Frankfurt beanstandet der Deutsche Apothekerverband das Anbieten
der Arzneimittel über das Internet und die Abgabe per grenzüberschreitendem Versandhandel. Er ist
der Ansicht, dass die Vorschriften des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) und des deutschen Gesetzes
über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (HWG) eine entsprechende Tätigkeit nicht
erlaubten. Diese Verbote verstießen auch nicht gegen die Bestimmungen des EG-Vertrages über den
freien Warenverkehr. Bei den erwähnten Vorschriften handelt es sich um ' 43 AMG, der
den Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln verbietet, und um die '( 3a und 8
HWG, wonach die Werbung für zulassungspflichtige, aber nicht zugelassene Medikamente sowie für den
Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten verboten ist. Nach ' 10 HWG ist die Werbung für
rezeptpflichtige Medikamente verboten.
Die Generalanwältin verkündet heute ihre Schlussanträge in dieser Rechtssache.
Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen. |
Anders sei der Fall zu beurteilen, soweit es sich um zugelassene oder zulassungsfreie
Arzneimittel handle. Es obliege dem betroffenen Staat, nachzuweisen, dass das Verbot des Versandhandels
auch in diesen Fällen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche, also erforderlich und angemessen sei. Deutschland
hat nach Ansicht der Generalanwältin diesen Nachweis nicht erbracht. Als weniger einschneidende Maßnahmen
kämen Kontrollen bei der Bestellung, dem Versand, dem Transport und beim Empfang der
Arzneimittel in Betracht. Ob diese Anforderungen im Einzelfall erfüllt sind, müsse der nationale
Richter beurteilen.
Die Generalanwältin prüft weiters, ob ein nationales Verbot der Werbung für den Versand
apothekenpflichtiger Arzneimittel, wie die deutsche Vorschrift es vorsieht, gegen den Grundsatz des freien
Warenverkehrs verstößt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Verbot der Werbung für
den Versand zulassungspflichtiger, aber nicht zugelassener Arzneimittel - ähnlich dem Versandhandelsverbot - erforderlich
und angemessen sei, nicht jedoch im Fall zugelassener bzw. zulassungsfreier Arzneimittel.
Was das deutsche Verbot der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel (' 3a HWG)
bzw. für rezeptpflichtige Arzneimittel (' 10 HWG) betrifft, so weist die Generalanwältin darauf
hin, dass dieses dem Verbot der Werbung bzw. der Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel gemäß
der Gemeinschaftsrichtlinie über Arzneimittelwerbung entspreche und lediglich die Umsetzung in nationales Recht darstelle.
Unter den Begriff der AÖffentlichkeitswerbung@ gemäß der Richtlinie falle auch der Internetauftritt von
DocMorris, weil dieser Begriff weit auszulegen sei. Es komme nämlich auf den objektiven
Eindruck für den Verbraucher aufgrund des Gesamterscheinungsbildes der Homepage an.
Die Generalanwältin weist schließlich darauf hin, dass die E-commerce-Richtlinie der Gemeinschaft von den
Mitgliedstaaten erst zum 17.01.2002 umzusetzen war und daher auf den vorliegenden Sachverhalt von
2000 nicht anwendbar sei.
Hinweis: Die Richter des Gerichtshofes treten nun in die Beratung dieser Rechtssache ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer, niederländischer und spanischer Sprache vor. Wegen des vollständigen Wortlauts der Schlussanträge konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int Mit Fragen wenden Sie sich bitte an Herrn Konstantin Schmidt, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34. Bilder der Verlesung der Schlussanträge sind verfügbar über `Europe by SatelliteA - Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Presse- und Informationsdienst, L-2920 Luxemburg; Tel. (0 03 52) 43 01-3 51 77, Fax: (0 03 52) 43 01-3 52 49, oder B-1049 Brüssel, Tel. (00 32) 2-2 96 41 06 Fax: (00 32) 2-2 96 59 56 oder (00 32) 2-2 30 12 80 |