Wegen einer Kopie des Urteils wenden Sie sich bitte an Frau Delia Nynabb - Tel.: (00352) 4303-3365, wegen zusätzlicher Information an Frau Dr. Ulrike Städtler - Tel.: (00352) 4303-3255
Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Bonn in dem Rechtsstreit Ayse Süzen/Zehnacker Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice (Streithelferin: Lefarth GmbH) betreffend die Auslegung der Gemeinschaftsrichtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer beim Unternehmensübergang
Eine Putzfrau, die entlassen wird, nachdem ihr Unternehmen einen Reinigungsauftrag verloren hat, kann nicht zwangsläufig Anspruch darauf erheben, von der Firma übernommen zu werden, die diesen Auftrag nunmehr erhält.
Der Umstand, daß die von einem alten und einem neuen Auftragnehmer erbrachte Dienstleistung ähnlich ist, läßt nämlich für sich allein nicht automatisch den Schluß zu, daß eine wirtschaftliche Einheit übergegangen ist.
Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Richtlinie nicht angewendet werden kann, weil es an einer Übertragung von Betriebsmitteln oder einer Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft fehlt.
Frau Ayse Süzen (Klägerin) war bei der Firma Zehnacker (Beklagte) beschäftigt. Diese hatte die Reinigung einer Schule in Bonn-Bad Godesberg übernommen und die Klägerin dabei eingesetzt. Die Schule kündigte den Vertrag mit der Beklagten mit Wirkung vom 30. Juni 1994; diese entließ daraufhin alle Arbeitnehmer, die sie in der Schule eingesetzt hatte. Anschließend erteilte die Schule mit einem neuen Vertrag den Auftrag für die Reinigung ihrer Räumlichkeiten der Firma Lefarth, die offenbar den gekündigten Arbeitnehmern nicht angeboten hat, sie wieder einzustellen.
Die Klägerin erhob daraufhin beim Arbeitsgericht Bonn Klage auf Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.
Einschlägige gemeinschaftsrechtliche Regelung ist die Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen".
Nach dieser Richtlinie sollen in allen Mitgliedstaaten Bestimmungen eingeführt werden, die die Arbeitnehmer bei Wechsel des Unternehmensinhabers schützen und die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.
Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie lautet wie folgt: Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar."
Das Arbeitsgericht Bonn ist der Auffassung, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie abhänge. Es komme darauf an, ob die Kündigung des Reinigungsauftrags und seine Übertragung an ein anderes Unternehmen als Betriebsübergang mit der Folge anzusehen sei, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem neuen Reinigungsunternehmen unverändert weiterbestehe. Das Gericht hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und allgemeine Fragen zu dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung vorzulegen, auf die der Gerichtshof heute eine allgemeine Antwort gibt.
Diese ist für das nationale Gericht verbindlich und soll ihm dabei helfen, jetzt in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden.
Wie der Gerichtshof ausführt, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie für den Fall gilt, daß ein Auftraggeber, der die Reinigung von Räumlichkeiten einem Unternehmer übertragen hat, den Vertrag mit diesem kündigt und zur Durchführung der Arbeiten einen neuen Vertrag mit einem anderen Unternehmer schließt, ohne daß dieser Vorgang mit einer Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel von dem einen auf den anderen Unternehmer verbunden ist.
Die Richtlinie soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit" bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel und von den Modalitäten eines solchen Wechsels gewährleisten. Der Begriff Einheit bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Ein Übergang" im Sinne der Richtlinie liegt vor, wenn die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Übergangs einer Einheit" erfüllt sind, nennt der Gerichtshof eine ganze Reihe von Indizien und Gesichtspunkten, die Teilaspekte bei der Gesamtbewertung sein können, die das nationale Gericht vorzunehmen hat. Unter anderem werden genannt der Übergang von materiellen (Gebäude oder bewegliche Güter) oder immateriellen Betriebsmitteln sowie die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils der Belegschaft durch den neuen Unternehmensinhaber.
In diesem Rahmen stellt der Gerichtshof klar, daß der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie darstellt. Denn das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen verliert zwar einen Kunden, besteht aber in vollem Umfang weiter, ohne daß einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf den neuen Auftragnehmer übertragen worden wäre.
Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller Auslegungsgesichtspunkte festzustellen, ob im vorliegenden Fall ein Übergang stattgefunden hat.
Der Gerichtshof antwortet dem deutschen Gericht, daß Artikel 1 Absatz 1 der Gemeinschaftsrichtlinie nicht für den im Vorabentscheidungsersuchen beschriebenen Vorgang gilt, wenn dieser weder mit einer Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel von dem einen auf den anderen Unternehmer noch mit der Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des von dem einen Unternehmer zur Durchführung des Vertrages eingesetzten Personals durch den anderen Unternehmer verbunden ist.
Ausschließlich zur Verwendung durch die Medien - nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet - verfügbar in allen Amtssprachen.