Nach einer Kontrolle in einem Supermarkt wurden mehrere Hersteller von Fleisch- und Wurstwaren im Departement Tarn 1991 vor dem Tribunal de police Castres wegen Verwendung der Bezeichnung montagne" ohne die nach den französischen Vorschriften erforderliche behördliche Genehmigung angeklagt. Nach dem Gesetz vom 9. Januar 1985 über die Entwicklung und den Schutz der Gebirgsregionen muß nämlich für die Verwendung dieser Angabe auf dem Etikett eine behördliche Genehmigung eingeholt werden. Um die Angabe montagne" verwenden zu dürfen, müssen die Grundstoffe aus Frankreich stammen, wo auch sämtliche Phasen der Herstellung stattfinden müssen. Nach einer Verurteilung durch die Cour d'appel Toulouse wurde die Strafkammer der Cour de cassation angerufen, die den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erstmals mit der Frage nach der Vereinbarkeit des französischen Gesetzes mit dem Gemeinschaftsrecht befaßte.
In Betracht kam zunächst die Anwendbarkeit einer Gemeinschaftsverordnung vom 14. Juli 1992 über die Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben: Danach muß bei den Erzeugnissen, für die eine Ursprungsbezeichnung verwendet werden soll, zwischen ihren Merkmalen oder ihrer Qualität und einem spezifischen geographischen Ursprung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen.
Nach Auffassung des Gerichtshofes hat die Bezeichnung montagne" allgemeinen Charakter, der über die nationalen Grenzen hinausgeht, und ist keine Herkunftsangabe im Sinne der Verordnung. Sie ist auch keine Herkunftsangabe im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes. Die nationale Regelung ist somit zu weit vom sachlichen Gegenstand der Gemeinschaftsverordnung entfernt, als daß diese ihrer Beibehaltung entgegenstünde.
Sodann stellte sich die Frage nach der Vereinbarkeit des französischen Gesetzes vom Januar 1985 mit den Artikeln 30 und 36 EG-Vertrag über den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten.
Wie oben erwähnt war die Bezeichnung montagne" nach dem französischen Gesetz zur Zeit des Sachverhalts den im Inland aus inländischen Grundstoffen hergestellten Erzeugnissen vorbehalten. Der Gerichtshof sieht diese Regelung deshalb als eine Diskriminierung der aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Waren an, für die die Bezeichnung montagne" in keinem Fall verwendet werden kann; er hält es für möglich, daß sich die Anwendung dieser nationalen Maßnahme auf den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten auswirkt, und erinnert daran, daß jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, verboten ist.
Jacques Pistre, Michèle Barthes, Yves Milhau und Didier Oberti sind französische Staatsangehörige und Geschäftsführer von Gesellschaften, die Pökelwaren herstellen und vertreiben. Diese französischen Gesellschaften haben ihren Sitz in Lacaune, Departement Tarn, Frankreich.
Sie werden strafrechtlich verfolgt, weil sie im Jahr 1991 Fleisch- und Wurstwaren vertrieben, deren Etikettierung die Bezeichnungen de montagne" (Gebirge) oder séchés à la montagne" (im Gebirge getrocknet") oder Monts de Lacaune" (Lacaune-Berge") enthielt, obwohl sie nicht die nach dem französischen Gesetz vom 9. Januar 1985 und dem Durchführungsdekret vom 26. Februar 1988 erforderliche Genehmigung erhalten hatten, bei Fleisch- und Wurstwaren auf das Gebirge hinzuweisen.
Das Gesetz vom 9. Januar 1985 über die Entwicklung und den Schutz der Gebirgsregionen hat die Entwicklung der Gebirgsregionen zum Ziel. Es sieht hierzu verschiedene Maßnahmen vor, darunter die Möglichkeit, eine Herkunftsangabe montagne" zu verwenden. Diese Angabe und die spezifischen geographischen Bezugnahmen auf Gebirgsregionen sind geschützt und dürfen für die auf den Markt gebrachten Erzeugnisse nur unter den durch Dekret festgelegten Bedingungen verwendet werden.
Damit ein Erzeugnis mit der Herkunftsangabe provenance montagne" versehen werden darf, muß es sich um ein Agrarerzeugnis oder ein Lebensmittel handeln, das den durch ministerielle Verordnung festgelegten Herstellungsverfahren entspricht, bei dem die Erzeugung, Zucht, Mast, Schlachtung, Zubereitung, Herstellung, Reifung und Verpackung in einer französischen Gebirgsregion stattgefunden haben und das durch gemeinsamen Erlaß des Ministers für Landwirtschaft und des Ministers für Konsum nach Stellungnahme des regionalen Ausschusses für Qualitätslebensmittel genehmigt worden ist.
Mit Urteilen vom 26. Mai 1992 sprach das Tribunal de police Castres die Angeklagten frei, weil es der Ansicht war, daß die Regelung über die Herkunftsangabe montagne" gegen den im EWG-Vertrag, nunmehr EG-Vertrag, vorgesehenen Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoße.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob die Cour d'appel Toulouse die Urteile des Tribunal de police Castres auf und sprach die Angeklagten schuldig. Die Cour d'appel stellte fest, daß die streitigen Bestimmungen zwar die Verwendung der Herkunftsangabe montagne" bestimmten inländischen Erzeugnissen vorbehielten, aber trotz der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Behandlung inländischer und eingeführter Erzeugnisse nicht geeignet seien, die Einfuhren zu behindern. Die Angeklagten wurden deshalb zu Geldstrafen von 87, 139, 215 und 62 Tagessätzen von je 30 FF verurteilt.
Die Angeklagten erhoben gegen diese Urteile Kassationsbeschwerde. Vor der Cour de cassation machten sie insbesondere geltend, daß die streitigen Bestimmungen, da sie den Vertrieb eines Erzeugnisses von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig machten, Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Handelsbeschränkungen zwischen Mitgliedstaaten seien, die gegen die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag verstießen.
Da sich für die Cour de cassation, Kammer für Strafsachen, die Frage nach der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel stellte, legte sie dem Gerichtshof erstmals die Frage vor, ob die Artikel 30 und 36 in Verbindung mit der genannten Verordnung der Anwendung dieser nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht.
Diese Gemeinschaftsverordnung harmonisiert den Bereich des Schutzes der Ursprungsbezeichnungen und der geographischen Angaben für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, die in ihren Geltungsbereich
fallen. Sie schafft einen gemeinschaftlichen Rahmen und definiert die Ursprungsbezeichnungen und die geographischen Angaben, für die nach den durch diese Vorschrift aufgestellten Regeln Schutz auf Gemeinschaftsebene erlangt werden kann. Der Schutz der Ursprungsbezeichnungen und der geographischen Angaben setzt eine Eintragung bei der Europäischen Kommission voraus, für die die fraglichen Erzeugnisse die Voraussetzungen der Verordnung erfüllen müssen.
Der Gerichtshof stellt fest, daß eine nationale Regelung der vorliegenden Art, die Voraussetzungen für die Verwendung der Bezeichnung montagne" für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel festlegt, nicht als eine Regelung betreffend eine Ursprungsbezeichnung oder eine geographische Angabe im Sinne der Verordnung angesehen werden kann.
Denn die Bezeichnung montagne" hat einen ganz allgemeinen Charakter, der über die nationalen Grenzen hinausgeht, während nach der Verordnung zwischen der Qualität oder den Merkmalen des Erzeugnisses und seinem spezifischen geographischen Ursprung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muß.
Allgemeiner gesagt ist die Bezeichnung montagne" auch keine Herkunftsangabe im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die den Verbraucher darauf hinweisen soll, daß das bezeichnete Erzeugnis aus einem bestimmten Ort, Gebiet oder Land stammt.
Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, daß die nationale Regelung, die sich darauf beschränkt, eine Bezeichnung allgemein zu schützen, bei der der Verbraucher an Eigenschaften denkt, die abstrakt mit der Herkunft der Erzeugnisse aus Gebirgsregionen zusammenhängen, zu weit vom sachlichen Gegenstand der Gemeinschaftsverordnung entfernt ist, als daß diese ihrer Beibehaltung entgegenstünde.
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, daß jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, verboten ist.
Zwar wird die Anwendung einer nationalen Maßnahme, die nicht in einem Zusammenhang mit der Wareneinfuhr steht, nicht von Artikel 30 erfaßt, doch scheidet die Prüfung einer solchen Maßnahme an dieser Bestimmung nicht schon deshalb aus, weil keines der Elemente des bei dem nationalen Gericht anhängigen konkreten Falles über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaats hinausweist.
Auch in einer solchen Lage kann sich nämlich die Anwendung der nationalen Maßnahme auf den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten auswirken, und zwar insbesondere dann, wenn die fragliche Maßnahme den Vertrieb von Waren inländischen Ursprungs zum Nachteil eingeführter Waren begünstigt. Unter solchen Umständen wird durch die bloße Anwendung der Maßnahme, auch wenn sie auf inländische Hersteller beschränkt ist, eine Ungleichbehandlung zwischen den beiden Warengruppen geschaffen und aufrechterhalten, die zumindest potentiell den innergemeinschaftlichen Handel behindert.
Der Gerichtshof stellt sodann fest, daß die fragliche nationale Regelung aufgrund ihrer Anwendbarkeit auf eingeführte Erzeugnisse eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstellt.
Eine solche Regelung benachteiligt die aus den anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnisse, da sie die Verwendung der Bezeichnung montagne" den im Inland aus inländischen Grundstoffen hergestellten Erzeugnissen vorbehält, und läßt sich durch keinen der in Artikel 36 aufgezählten Gründe rechtfertigen.
Ausschließlich zur Verwendung durch die Medien bestimmt Ä nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. |
Wegen einer Kopie des Urteils wenden Sie sich bitte an Frau Delia Nynabb - Tel.: (00352) 4303-3365, wegen zusätzlicher Information an Frau Dr. Ulrike Städtler - Tel.: (00352) 4303-3255