Der Gerichtshof präzisiert seine Rechtsprechung "Kalanke".
Er führt aus, ein Gesetz mit Öffnungsklausel, nach der die Bewerbungen von Männern einer objektiven Beurteilung unterzogen werden könnten, vermeide die absolute und unbedingte Bevorzugung der Frauen, die die Grenzen des Gemeinschaftsrechts überschreite und die der Gerichtshof im Urteil "Kalanke" für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt hat.
Eine solche Beurteilung dürfe jedoch nicht zu einer Diskriminierung der Frauen führen.
In der sozialen Wirklichkeit zeige sich, daß selbst bei gleicher Qualifikation die Tendenz bestehe, männliche Bewerber vorrangig vor weiblichen Bewerbern zu befördern. Es bestünden bestimmte Vorurteile und stereotype Vorstellungen über die Rolle und die Fähigkeiten der Frau im Erwerbsleben. Deshalb verstoße eine Bevorzugung von Frauen gleicher Qualifikation - mit dem Ziel der Gleichstellung - nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn eine objektive Beurteilung der Bewerbung jedes einzelnen männlichen und weiblichen Bewerbers gewährleistet und somit die Beförderung eines männlichen Bewerbers nicht von vornherein ausgeschlossen sei.
Herr Marschall ist beamteter Lehrer im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Am 8. Februar 1994 bewarb er sich um eine Beförderungsstelle an der Gesamtschule Schwerte. Die Bezirksregierung Arnsberg teilte ihm jedoch mit, daß beabsichtigt sei, die
Stelle mit einer Konkurrentin zu besetzen. Eine Vorschrift des Landesbeamtengesetzes bestimmt nämlich: "Soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind, sind Frauen
bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen...". Herr Marschall hat deshalb vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Bundesland auf seine Beförderung verklagt.
Das Verwaltungsgericht führt aus, daß die grundsätzlich vorgeschriebene Bevorzugung von Frauen wohl eine Diskriminierung darstelle, die nicht durch die Möglichkeit beseitigt werde, dem männlichen Bewerber ausnahmsweise den Vorzug zu geben. Das Gericht hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof nach der Auslegung der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen insbesondere hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung und zum beruflichen Aufstieg gefragt.
Diese Richtlinie steht insbesondere Maßnahmen zur Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beeinträchtigen, nicht entgegen.
Der Gerichtshof führt aus, daß im Falle einer Beförderung die Tendenz bestehe, Männer gegenüber Frauen gleicher Qualifikation aufgrund von Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen über die Rolle und die Fähigkeiten der Frau im Erwerbsleben zu bevorzugen.
So führe z.B. die Befürchtung, daß Frauen ihre Laufbahn häufiger unterbrächen, daß sie ihre Arbeitszeit aufgrund häuslicher und familiärer Aufgaben weniger flexibel gestalteten oder daß sie durch Schwangerschaften, Geburten und Stillzeiten häufiger ausfielen, zu Diskriminierungen ihnen gegenüber.
Aus diesen Gründen bedeute allein die Tatsache, daß zwei Bewerber unterschiedlichen Geschlechts gleich qualifiziert seien, nicht, daß sie gleiche Chancen hätten.
Folglich könne eine Vorschrift wie die des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Einführung eines zusätzlichen Beförderungskriteriums, nämlich der Eigenschaft als Frau, zur Verringerung der bestehenden faktischen Ungleichheiten beitragen. Eine solche Vorschrift sei richtlinienkonform, wenn ein absoluter Automatismus zum Nachteil der Männer vermieden werde.
Der Gerichtshof betont mit Hinweis auf die erwähnten sozialen Vorurteile, daß die bei der Beförderung zu prüfenden Kriterien gegenüber Frauen nicht diskriminierend sein dürften. Er billigt auch die Flexibilität der deutschen Vorschrift, die der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum lasse.
Jetzt habe das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu prüfen und zu entscheiden, ob diese Bedingungen im Fall von Herrn Marschall erfüllt seien.
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