Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 80/97

18. Dezember 1997

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-129/96

Inter-Environnement Wallonie ASBL / Région Wallonne

DIE MITGLIEDSTAATEN DÜRFEN WÄHREND DER FRIST FÜR DIE UMSETZUNG EINER RICHTLINIE KEINE MASSNAHMEN ERLASSEN, DIE GEEIGNET SIND, DAS IN DIESER RICHTLINIE VORGESCHRIEBENE ZIEL ERNSTLICH IN FRAGE ZU STELLEN


Ein Stoff ist nicht deshalb, weil er in einen industriellen Produktionsprozeß einbezogen ist, vom Abfallbegriff der einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinie ausgenommen

Inter-Environnement Wallonie beantragte beim belgischen Conseil d'État die Nichtigerklärung eines Erlasses der wallonischen Regionalverwaltung über giftige oder gefährliche Abfälle u. a. mit der Begründung, er verstoße gegen bestimmte Vorschriften der einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinie.

Der streitige Erlaß war jedoch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie ergangen. Da bei der Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit auf den Tag, an dem er erging, abzustellen ist, hängt die etwaige Berücksichtigung der in der Richtlinie enthaltenen Verpflichtungen somit davon ab, welche Verpflichtungen die Mitgliedstaaten vor Ablauf der Umsetzungsfrist haben.

Der Conseil d'État hat den Gerichtshof zur Definition des Abfallbegriffs der Richtlinie und zu den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist einer solchen Richtlinie befragt. Das mit der letztgenannten Frage erstmals aufgeworfene Rechtsproblem ist von großer allgemeiner Bedeutung.

Der Gerichtshof hat gemäß der sich aus seiner bisherigen Rechtsprechung ergebenden weiten Auslegung des Abfallbegriffs festgestellt, daß ein Stoff nicht allein deshalb, weil er in einen industriellen Produktionsprozeß einbezogen sei, vom Abfallbegriff der Richtlinie über die Beseitigung von Abfällen ausgenommen sei.

Zu der Frage, ob der EWG-Vertrag es verbietet, daß die Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist einer Richtlinie Maßnahmen ergreifen, die dieser Richtlinie widersprechen, hat der Gerichtshof zunächst darauf hingewiesen, daß die Pflicht eines Mitgliedstaats, alle zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Zieles erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, eine zwingende Pflicht sei.

Sodann entfalte eine Richtlinie gegenüber dem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sei, schon vom Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe an Rechtswirkungen.

Die Richtlinie sehe zwar eine Umsetzungsfrist vor, die den Mitgliedstaaten insbesondere die für den Erlaß der Umsetzungsmaßnahmen angemessene Zeit geben solle; gleichwohl obliege es den Mitgliedstaaten während dieser Umsetzungsfrist, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel bei Ablauf dieser Frist erreicht werde.

Die Mitgliedstaaten seien zwar nicht verpflichtet, diese Maßnahmen vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu erlassen, doch müßten sie während dieser Frist den Erlaß von Vorschriften unterlassen, die geeignet seien, das in der betreffenden Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen.

Es sei Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall sei. Für bedenklich hält der Gerichtshof insoweit nationale Maßnahmen, die sich als eine endgültige und vollständige Umsetzung einer Richtlinie darstellten, mit dieser aber nicht übereinstimmten.

Dagegen dürfe der Staat während der Umsetzungsfrist vorläufige Vorschriften erlassen oder die Richtlinie schrittweise umsetzen.

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Wegen einer Kopie des Urteils konsultieren Sie bitte die Homepage des Gerichtshofes im Internet www.curia.eu.int oder wenden sich an Frau Dr. Ulrike STÄDTLER - Tel.: (*352) 4303 3255, Fax: (*352) 4303 2500