ABTEILUNG PRESSE UND INFORMATION

PRESSEMITTEILUNG Nr. 3/98

12. Februar 1998

Urteil des Gerichtshofes der EG in der Rechtsache C-346/95

Elisabeth Blasi/Finanzamt München I

EINE NATIONALE RECHTSREGEL WIE DIE DEUTSCHE, WONACH DIE VOM UNTERNEHMER ALS KURZFRISTIG (= WENIGER ALS 6 MONATE) BEABSICHTIGTE BEHERBERGUNG (HIER VON AUSSIEDLERN) DER MEHRWERTSTEUERPFLICHT UNTERLIEGT, IST GEMEINSCHAFTSRECHTSKONFORM.

Der Gerichtshof äußert sich zu § 4 Nr.2 Satz 1 Buchst.a und Satz 2 UStG.


Frau Blasi vermietete mehrere Gebäude in München und brachte dort seit 1984 Aussiedlerfamilien aus Mittel- und Osteuropa unter, die ihr das Sozialamt schickte. Die für die Unterkunft genutzten Häuser waren normale Wohnhäuser mit jeweils mehreren Wohnungen. Den Familien wurden vollständig möblierte und mit Kochgelegenheiten ausgestattete Zimmer überlassen. Die Reinigung der Zimmer erfolgte durch die Aussiedler selbst. Frau B. sorgte für die Gestellung und Reinigung der Bettwäsche sowie für die Reinigung der Flure, Treppenhäuser, Bäder und WCs. Mahlzeiten wurden an die Bewohner nicht verabreicht. In den Häusern befanden sich weder eine Rezeption noch Tagesräume oder sonstige Aufenthalts- und Gemeinschaftsräume. Die Stadt München hatte kein Zuweisungsrecht, sondern trat als Vermittlerin auf und schickte Frau B. immer dann Personen, wenn ihr bekannt wurde, daß Wohnungen bei ihr zur Verfügung standen. Für die von der Stadt München getragenen Berherbergungskosten wurden Frau B. vom Sozialamt Übernahmeerklärungen für in der Regel einen Monat erteilt und bei Bedarf verlängert. Die Abrechnung erfolgte tagesbezogen aufgrund eines von Frau B. und der Stadt München einvernehmlich festgelegten Betrages. Dieser belief sich im Streitjahr 1984 auf 25,- DM pro Person und Tag. Die Mietverträge wurden einzeln zwischen Frau B. und den von ihr vom Sozialamt der Stadt München vermittelten Mietern abgeschlossen und zwar immer über einen Zeitraum von weniger als sechs Monaten. Die tatsächliche Verweildauer der Aussiedler betrug jedoch überwiegend mehr als sechs Monate (nach Frau B.'s Berechnungen durchschnittlich 14,4 Monate).

Das Finanzamt verlangt mit Bescheid vom Juli 1993 für 1984 151.278,-DM MWSt. Frau B. meint, daß ihre Vermietungen an Aussiedler nicht MWSt-pflichtig seien.

Für Frau B.'s Ansicht spricht eine Vorschrift der 6. EWG-MWSt-Richtlinie (77/388/EWG), wonach "die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken" grundsätzlich von der MWSt befreit sind - dagegen spricht die in diesem Zusammenhang in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme und damit Mehrwertsteuerzahlungspflicht im Falle "der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe...oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung..."(Art.13B Buchst.b Nr.1). Der Bundesfinanzhof hat zu der im deutschen Recht umgesetzten Gemeinschaftvorschrift folgende Regeln entwickelt: Eine Unterbringung im Hotel ist dann als steuerpflichtiger Umsatz zu betrachten, wenn der Unternehmer die Absicht hat, die Räumlichkeiten nur zur vorübergehenden Beherbergung bereitzuhalten - auf die tatsächliche Dauer der Vermietung kommt es nicht an. Eine Vermietung gilt als kurzfristig, wenn der Vertrag eine Laufzeit von weniger als sechs Monaten vorsieht.

Das von Frau B. angerufene Finanzgericht München hat dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung der 6. EWG-MWSt-Richtlinie vorgelegt.

Der Gerichtshof führt dazu aus, die Wendung "Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung" in der Richtlinie sei weit auszulegen, da sie sicherstellen solle, daß die vorübergehende Beherbergung, die der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe ähnlich sei und potentiell mit dieser konkurriere, der Steuer unterliege. Es sei Sache der Mitgliedstaaten, die ihnen für diese Unterscheidung geeignet erscheinenden Kriterien festzulegen, um die steuerpflichtige Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung von der steuerfreien Vermietung und Verpachtung von Grundstücken zu unterscheiden.

Die "Dauer der Beherbergung" sei ein geeignetes Unterscheidungskriterium (Hotelaufenthalt eher kurz, Mietwohnungsaufenthalt eher lang). Das verwendete Kriterium der "kurzfristigen Beherbergung", die im Falle der deutschen Rechtsprechung kraft Definition bei einer Dauer von weniger als sechs Monaten vorliege, sei ein vernünftiges Mittel zur Abgrenzung. Das im Falle Deutschlands aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hergeleitete Erfordernis, daß für eine Steuerbefreiung eine durch einen Mietvertrag oder einen anderen Vertrag nachweisbare "Absicht" vorliegen müsse, die Räume für mindestens sechs Monate zu vermieten, stelle ein Kriterium dar, das sich leicht anwenden lasse und zur Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels geeignet sei, die ordnungsgemäße und einfache Anwendung der dort vorgesehenen Befreiungen zu gewährleisten.

Nichtamtliches Dokument zur Verwendung durch die Medien, das den Gerichtshof nicht bindet.

Verfügbar in Deutsch.

Wegen einer Kopie des Urteils konsultieren Sie bitte ab ca. 15.00 Uhr die Homepage des Gerichtshofs im Internet http://www. curia. eu. int oder wenden sich an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel. 00352-4303-3255 - Fax. 00352-4303-2734