ABTEILUNG PRESSE UND INFORMATION

PRESSEMITTEILUNG Nr.11/98

5. März 1998

Urteil des Gerichtshofes in dem Vorabentscheidungsersuchen C-160/96

Manfred Molenaar und Barbara Fath-Molenaar/AOK Baden-Württemberg

PERSONEN, DIE IN DEUTSCHLAND DER PFLEGEVERSICHERUNG ANGESCHLOSSEN SIND, HABEN AUCH DANN ANSPRUCH AUF ZAHLUNG VON PFLEGEGELD, WENN SIE IN EINEM ANDEREN MITGLIEDSTAAT WOHNEN.

Der Gerichtshof äußert sich zum deutschen § 34 Abs.1 Nr.1 SGB XI, wonach beitragspflichtige Pflegeversicherte keinen Anspruch auf Leistungen haben, wenn sie nicht in Deutschland wohnen.


Herr M. ist Niederländer, seine Ehefrau deutsche Staatsangehörige. Beide sind in Deutschland erwerbstätig, wohnen jedoch in Frankreich. Sie sind bei der Krankenversicherung in Deutschland freiwillig versichert und wurden ab 1.1.1995 der Pflegeversicherung angeschlossen. Die AOK teilte ihnen jedoch mit, daß sie, solange sie sich in Frankreich aufhielten, keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung geltend machen könnten. Nach einer deutschen Rechtsvorschrift sei die Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung nämlich davon abhängig, daß der Versicherte sich in Deutschland aufhalte ( § 34 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch XI).

Herr und Frau M. haben daraufhin beim Sozialgericht Karlsruhe beantragt, festzustellen, daß sie nicht verpflichtet seien, Beiträge zur Pflegeversicherung zu entrichten, solange sie nicht in den Genuß ihrer Leistungen gelangen könnten. Das Gericht hat Bedenken, ob die deutsche Vorschrift insbesondere mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz vereinbar ist, der die Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet. Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der EG nach der Auslegung dieses Grundsatzes gefragt.

Der Gerichtshof verweist auf die EWG-Verordnung über die soziale Absicherung von Wanderarbeitnehmern innerhalb der EG (VO (EWG) Nr.1408/71). Sie ist mit dem Ziel erlassen worden, die Nachteile zu beseitigen, welche sich für diese Arbeitnehmer aus den je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit ergeben und damit die Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit behindern.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, daß ein System wie die deutsche Pflegeversicherung in den Geltungsbereich dieser Verordnung falle, und zwar als "Leistungen bei Krankheit".

Für diese Art von Leistungen sind die Vorschriften der EWG-Verordnung anwendbar, wenn der Versicherte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat hat und alle im zuständigen Staat erforderlichen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfüllt. Dabei ist die Lösung unterschiedlich, je nachdem ob es sich um "Sachleistungen" oder "Geldleistungen" wegen Krankheit handelt.

Der Gerichtshof differenziert zwischen den verschiedenen Leistungen der deutschen Pflegeversicherung:

Daraus zieht der Gerichtshof folgende Konsequenzen: Die deutsche Vorschrift verstoße - soweit sie die Zahlung von Pflegegeld an einen Anspruchsberechtigten verbiete, weil er in einem anderen Mitgliedstaat wohne - gegen die EWG-Verordnung. Weder aus diesem Verstoß noch aus dem Umstand, daß die Sachleistungen der Pflegeversicherung vom Träger des Wohnorts gewährt würden, folge jedoch, daß die Wanderarbeitnehmer Anspruch darauf hätten, von den Beiträgen zur Pflegeversicherung befreit zu werden. Um Pflegegeld zu erhalten, könnte das Ehepaar M. sich ungeachtet der entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts auf die EWG-Verordnung berufen.

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Diese Pressemitteilung ist in deutsch und französisch verfügbar.
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