Das Gericht erster Instanz erklärt die Entscheidung der Kommission für nichtig, durch die genehmigt wird, daß die Compagnie nationale Air France - im Rahmen ihrer Umstrukturierung - für den Zeitraum 1994/1996 eine staatliche Kapitalzuführung in Höhe von 20 Milliarden FF erhält.
Nach Ansicht des Gerichts hat die Kommission ihre Entscheidung in zwei wesentlichen Punkten nicht ausreichend begründet; dabei handelt es sich zum einen um den Kauf von 17 neuen Flugzeugen für einen Betrag von 11,5 Milliarden FF und zum andern um die dadurch geschaffene neue Wettbewerbsstellung der Air France auf den Langstreckenrouten, insbesondere den Transatlantikrouten, und auf deren Auswirkung auf den Zubringerluftverkehr nach dem Flughafen Paris-CDG. Im übrigen werden zahlreiche sonstige Sachrügen der Klägerinnen zurückgewiesen.
Im März 1994 unterrichteten die französischen Behörden die Kommission von ihrer Absicht, dem Kapital der Compagnie nationale Air France 20 Milliarden FF zuzuführen. Dieser Mitteilung war ein Umstrukturierungsplan beigefügt.
Die Kommission war der Ansicht, daß diese Kapitalerhöhung eine staatliche Beihilfe darstelle, die den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfälsche und die grundsätzlich unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt sei. Eine Ausnahme könne jedoch für die Genehmigung derartiger Beihilfen zur Förderung der Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige gelten, soweit die staatliche Beihilfe die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändere, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufe. Die von der Kommission erteilten Ausnahmegenehmigungen müßten darauf gerichtet sein, langfristig die Wettbewerbsfähigkeit einer wirtschaftlichen Tätigkeit wiederherzustellen, die nicht durch eine strukturelle Überkapazitätskrise erfaßt sei. Die Beihilfe müsse strukturelle Veränderungen fördern und nicht bestehende Zustände erhalten, die zur Folge hätten, daß unabweisbare -nderungen aufgeschoben würden. Die Kommission verfüge dabei über ein weites Ermessen, bei dem es um die Würdigung komplexer wirtschaftlicher und sozialer Sachverhalte gehe.
Im Rahmen ihrer Prüfung hat die Kommission festgestellt, daß eine wirkliche Umstrukturierung von Air France dadurch im gemeinsamen Interesse liege, daß sie zur Entwicklung des europäischen Luftverkehrsgewerbes beitrage und die Wettbewerbsfähigkeit der Air France verbessere. Außerdem hat sie angenommen, daß die Beihilfe nicht zu hoch für die erfolgreiche Durchführung des Umstrukturierungsplans sei und daß sie in Anbetracht der Zusicherungen der französischen Regierung die Handelsbedingungen nicht in einer dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Weise verändere. Sie hat daraus gefolgert, daß die in drei Tranchen zu zahlende Beihilfe zur Umstrukturierung der Air France mit dem Gemeinsamen Markt und dem EWR-Abkommen vereinbar sei, sofern die französische Regierung 16 bei der Ausarbeitung der Entscheidung gegebene Zusicherungen einhalte.
Diese Entscheidung ist heute vom Gericht erster Instanz für nichtig erklärt worden.
Ganz allgemein führt das Gericht zunächst aus, daß seine Rolle nicht darin besteht, seine Würdigung in wirtschaftlicher Hinsicht an die Stelle derjenigen des Urhebers der Entscheidung zu setzen, sondern darin, zu prüfen, ob die Verfahrens- und Begründungsvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmißbrauch vorliegen.
Die Nichtigerklärung der Entscheidung betrifft zwei Punkte:
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, es sei unverhältnismäßig gewesen, eine Beihilfe zu diesem Zweck zu genehmigen, obwohl diese Beihilfe durch die Stornierung oder Verschiebung der Bestellung dieser Flugzeuge hätte verringert werden können. Außerdem gehörten die Kosten der Flottenmodernisierung - durch die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhalten werden solle - zu den normalen Betriebskosten einer Fluggesellschaft. Es handele sich um eine nicht im Einklang mit dem Vertrag stehende Betriebsbeihilfe, die nicht als staatliche Beihilfe gewährt werden dürfe. Darüber hinaus haben die Klägerinnen in diesem Punkt eine unzureichende Begründung der Kommission beanstandet.
Das Gericht weist darauf hin, daß die notwendige Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde so klar und unzweideutig wiedergeben muß, daß das Gericht seine Kontrolle ausüben kann. Darüber hinaus müssen bei staatlichen Beihilfen die konkurrierenden Unternehmen die Gründe für die Entscheidung erfahren, damit sie ihre Rechte wahrnehmen können. Das Gericht unterstreicht, daß in der Rechtsprechung des Gerichtshofes und in der Praxis der Kommission ein grundsätzlicher Widerstand gegen alle Betriebsbeihilfen zur Finanzierung der normalen Modernisierung von Anlagen zum Ausdruck kommt. Seiner Ansicht nach geht aus der Entscheidung nicht hervor, daß die Kommission geprüft hat, ob die Modernisierung der Flotte der Air France teilweise mit der streitigen Beihilfe finanziert werden durfte und aus welchen Gründen sie dies gegebenenfalls bejaht hat.
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, die Beihilfe diene dazu, die Kosten der Air France künstlich zu senken, und verlagere demzufolge die Belastung durch die Senkung dieser Kosten auf andere, nicht subventionierte Unternehmen, insbesondere was die Flugrouten außerhalb des EWR angehe.
Nach Ansicht des Gerichts ist zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung, was die Beurteilung der Auswirkungen der Beihilfe auf mit der Air France im Wettbewerb stehende Unternehmen und auf die maßgeblichen Flugrouten angeht, ausreichend begründet ist. In der Begründung hat die Kommission angenommen, daß die Bedingungen, an die die Entscheidung geknüpft sei, die Freiheit der Air France beschränkten und sie daran hinderten, auf allen von ihr im EWR betriebenen Routen eine aggressive Tarifpolitik zu betreiben. Dagegen enthält die Entscheidung keine Angaben über die Prüfung der Stellung im Wettbewerb außerhalb des EWR. Die Kommission hat es unterlassen, die Auswirkungen der Beihilfe auf den Luftraum außerhalb des EWR zu prüfen. Überdies hätten die Auswirkungen auf den Zubringerluftverkehr zur Abflugplattform für die Langstreckenrouten von der Kommission untersucht werden müssen, da einige kleine im Zubringerluftverkehr tätige Fluggesellschaften die mittelbaren Auswirkungen zu spüren bekommen könnten.
Das Fehlen einer Begründung in bezug auf die Auswirkungen der Beihilfe aus globaler Sicht sowie das Fehlen von Erklärungen in bezug auf die möglichen Auswirkungen auf den Zubringerflugverkehr haben das Gericht daher veranlaßt, die Entscheidung auch in diesem Punkt für nichtig zu erklären.
Die gesamten zahlreichen Sachrügen - Rechts- und Beurteilungsfehler -, die die Beteiligten erhoben haben, sind vom Gericht in einem Urteil von mehr als 100 Seiten zurückgewiesen worden. Es ist nun Sache der Kommission, den Vorgang erneut zu prüfen und die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus diesem Urteil ergeben.
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