Den Nichtigkeitsklagen gegen drei Entscheidungen der Kommission, in denen es um eine Vereinbarung zur Festsetzung von Posttarifen und um die Praktik bestimmter öffentlicher Postbetreiber geht, "Remail"-Sendungen anzuhalten, wird teilweise stattgegeben
Die International Express Carriers Conference (IECC) ist eine Organisation zur Vertretung der Interessen von Unternehmen, die Expreßdienstleistungen erbringen. Ihre Mitglieder bieten u. a. als «Remailing» bezeichnete Dienstleistungen an, bei denen Post aus einem Land A in das Gebiet eines Landes B befördert wird, um dort bei dem inländischen öffentlichen Postbetreiber eingeliefert und schließlich von diesem innerhalb seines eigenen Gebietes oder in ein Land A oder C weitergeleitet zu werden.
Je nach Bestimmungsland der Post wird zwischen drei Kategorien des Remailings unterschieden: Dem «ABC-Remailing» (bei dem die Post aus einem Land A von Privatunternehmen in das Postsystem eines Landes B befördert wird, um über das herkömmliche internationale Postsystem in ein Land C weitergeleitet zu werden), dem «ABB-Remailing» (bei dem die Post aus einem Land A von Privatunternehmen in das Postsystem eines Landes B befördert wird, um über das herkömmliche internationale Postsystem an den Endadressaten der Post weitergeleitet zu werden, der in diesem Land B ansässig ist), und dem «ABA-Remailing» (bei dem die Post aus einem Land A von Privatunternehmen in das Postsystem eines Landes B befördert wird, um über das herkömmliche internationale Postsystem in das Land A zurückbefördert zu werden). Diese drei Formen sind um das «nichtmaterielle Remailing» zu ergänzen, bei dem Informationen aus einem Land A elektronisch in ein Land B befördert werden, wo sie auf Papier ausgedruckt und anschließend in das Postsystem des Landes B oder eines Landes C befördert und eingeführt werden, um an den Endadressaten weitergeleitet zu werden.
Der Weltpostvertrag, dem alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft beigetreten sind, bestimmt u. a., daß keines seiner Mitgliedsländer verpflichtet ist, Remailsendungen zu befördern oder den Empfängern auszuliefern, und daß die betreffende Verwaltung die Sendungen in diesem Fall zurücksenden oder sie mit ihren Inlandspostgebühren belegen kann.
Artikel 85 EG-Vertrag untersagt jede Vereinbarung zwischen Unternehmen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt.
Artikel 86 EG-Vertrag untersagt mißbräuchliche Ausnutzungen einer beherrschenden Stellung, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
Am 13. Juli 1988 reichte die IECC eine Beschwerde bei der Kommission ein. Sie machte u. a. geltend, daß bestimmte öffentliche Postbetreiber der Europäischen Gemeinschaft dadurch gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen hätten, daß sie 1987 eine Preisfestsetzungsvereinbarung bezüglich der Endvergütungen geschlossen hätten, die sie einander bei der Zustellung internationaler Post berechneten (CEPT-Übereinkunft). Darüber hinaus hätten einige öffentliche Postbetreiber (insbesondere das Post Office, La Poste und die Deutsche Post) versucht, Handelsunternehmen und andere öffentliche Postbetreiber davon abzubringen, mit privaten Remailing-Betreibern zusammenzuarbeiten, und hätten unter Berufung auf den Weltpostvertrag Remailsendungen angehalten. 1989 verpflichteten sich einige dieser öffentlichen Postbetreiber, unter bestimmten Umständen nicht mehr den Weltpostvertrag heranzuziehen. Im Januar 1995 beschlossen die öffentlichen Postbetreiber eine vorläufige Vereinbarung, die sogenannte REIMS-Vereinbarung, durch die letztlich ein System eingeführt werden sollte, in dessen Rahmen der öffentliche Postbetreiber, bei dem die Post eingeht, dem öffentlichen Postbetreiber, der die Post verschickt, einen festen Prozentsatz seines Inlandstarifs für alle bei ihm eingehenden Sendungen berechnet.
1994 forderte die IECC die Kommission auf, zu ihrer Beschwerde Stellung zu nehmen. Da die Kommission nicht reagierte, erhob sie am 15. Februar 1995 eine Untätigkeitsklage (Rechtssache T-28/95).
Am 17. Februar 1995 erließ die Kommission eine Entscheidung über die Zurückweisung des ersten Teils der Beschwerde, der die Anwendung von Artikel 85 des Vertrages auf die CEPT-Übereinkunft betraf. Nach Auffassung der Kommission bestand kein Gemeinschaftsinteresse mehr daran, die Untersuchung dieses Teils der Beschwerde fortzusetzen, da die REIMS-Vereinbarung die in der Beschwerde erhobenen Einwände berücksichtige, weil sie eine Verbindung zwischen den Endvergütungen, die die öffentlichen Postbetreiber einander berechneten, und der Struktur der Inlandstarife dieser öffentlichen Postbetreiber gewährleiste. Diese Entscheidung wurde von der Klägerin in der Rechtssache T-110/95 angefochten.
Am 6. April 1995 übersandte die Kommission der IECC eine Entscheidung über die Zurückweisung eines zweiten Teils der Beschwerde, soweit dieser das Anhalten von geschäftlichen ABA-Remailsendungen, nichtgeschäftlichen ABA-Remailsendungen, "nichtmateriellen" ABA-Remailsendungen und gewöhnlicher grenzüberschreitender Post betraf. Nach Auffassung der Kommission übten die der IECC angehörenden Expreßunternehmen keine Tätigkeiten aus, die mit den drei letztgenannten Formen des Remailings zu tun hatten. Sie hätten daher kein berechtigtes Interesse daran, die Komission insoweit mit einer Beschwerde zu befassen. Das Anhalten von geschäftlichen ABA-Remailsendungen sei kein Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages, da diese Art des Anhaltens aus der für die öffentlichen Postbetreiber bestehenden Notwendigkeit folge, sich gegen die Umgehung ihres nationalen Postzustellungsmonopols zu schützen. Die Klägerin erhob Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung (Rechtssache T-133/95).
Am 14. August 1995 erließ die Kommission eine letzte Entscheidung, die das Anhalten von ABC-Remailsendungen durch bestimmte öffentliche Postbetreiber betraf. Da sie im wesentlichen der Ansicht war, daß die betroffenen öffentlichen Postbetreiber auf die Möglichkeit, sich zum Zweck des Anhaltens von ABC-Sendungen auf den Weltpostvertrag zu berufen, verzichtet hätten, und da keine Beweise für neue Vorfälle des Anhaltens vorlagen, wies die Kommission diesen letzten Teil der Beschwerde zurück. Es sei nämlich unter diesen Umständen nicht mehr erforderlich, eine Verbotsentscheidung zu erlassen. Die Klägerin erhob eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, um die es in der Rechtssache T-204/95 geht.
Da die Kommission die drei vorgenannten Entscheidungen erließ, nachdem die Untätigkeitsklage erhoben worden war, ist diese gegenstandlos geworden. Das Gericht hat daher Klageerledigung festgestellt.
Das Gericht weist die Nichtigkeitsklage in der Rechtssache T-110/95 als nicht begründet ab.
Nach Auffassung der Klägerin war die Kommission zu Unrecht der Meinung, es bestehe kein Gemeinschaftsinteresse mehr daran, den ersten Teil der Beschwerde weiterzuverfolgen, zumal sie eingeräumt habe, daß die CEPT-Übereinkunft gegen Artikel 85 des Vertrages verstoße. Zudem habe die Kommission nicht nachgewiesen, daß der Entwurf der REIMS-Vereinbarung Ä ein vorläufiger Text, über dessen Inhalt verhandelt werde Ä der behaupteten Zuwiderhandlung zwangsläufig ein Ende setzen werde.
Das Gericht weist diese Argumentation mit der Feststellung zurück, daß die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, die Untersuchung der Sache bis zum Erlaß einer endgültigen Entscheidung fortzusetzen. Die Kommission könne sich nämlich auf die Existenz des Entwurfes der Reims-Vereinbarung berufen, um zu begründen, daß kein Gemeinschaftsinteresse an der Fortsetzung ihrer Untersuchung bestehe, da dieser Entwurf in Wirklichkeit die von der Kommission und der Klägerin selbst erhobenen Einwände berücksichtige.
Darüber hinaus biete das Verhandlungsstadium, das die öffentlichen Postbetreiber erreicht hätten, ausreichende Garantien für einen Erfolg der Verhandlungen innerhalb angemessener Frist.
Das Gericht erklärt die Entscheidung vom 6. April 1995 teilweise für nichtig, soweit sie materielle geschäftliche ABA-Remailsendungen betrifft. Die Klage gegen die Entscheidung vom 14. August 1995 wird insgesamt abgewiesen.
Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission in ihrer Entscheidung vom 6. April 1995 außer acht gelassen, daß das Anhalten von geschäftlichen ABA-Remailsendungen einen Mißbrauch des gesetzlichen Monopols der öffentlichen Postbetreiber darstelle, der gegen Artikel 86 des Vertrages verstoße.
Nach Meinung des Gerichts ist es der Kommission verwehrt, eine Praxis allein deswegen für nicht mißbräuchlich zu halten, weil die Notwendigkeit bestehe, eine beherrschende Stellung zu schützen. Mit anderen Worten lasse sich das streitige Anhalten entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht einfach dadurch rechtfertigen, daß die Endvergütungen es den öffentlichen Postbetreibern nicht erlaubten, ihre Ausgaben für die Postzustellung zu decken. Im übrigen bestehe zwar ein Ungleichgewicht zwischen den Kosten eines öffentlichen Postbetreibers für die Zustellung eingehender Post und seiner Vergütung, doch resultiere dies aus der von den öffentlichen Postbetreibern selbst geschlossenen Vereinbarung. Schließlich gehe aus der angefochtenen Entscheidung nicht hervor, daß die Kommission geprüft habe, ob andere Maßnahmen als weniger einschränkend als das fragliche Anhalten angesehen werden könnten. Daher hebt das Gericht die Entscheidung vom 6. April 1995 auf, soweit ihr zufolge das Anhalten von geschäftlichen ABA-Sendungen durch öffentliche Postbetreiber keinen Mißbrauch ihres Postmonopols darstellt.
Bezüglich des ABC-Remailings, um das es in der Entscheidung vom 14. August 1995 geht, vertritt die Klägerin im wesentlichen die Ansicht, daß die Kommission gegen die Artikel 85 und 86 des Vertrages verstoßen und Fehler bei der Tatsachenwürdigung begangen habe. Das Gericht stellt insoweit fest, daß die Kommission im vorliegenden Fall rechtmäßig habe beschließen können, daß es nicht zweckmäßig sei, einer Beschwerde wegen später eingestellter Praktiken stattzugeben. Insbesondere habe die Kommission die Auffassung vertreten dürfen, es bestehe für sie kein Anlaß, die Prüfung dieser Beschwerde fortzusetzen, wenn Verpflichtungen der in der Beschwerde genannten Betreiber vorlägen und die Klägerin keine Beweise für eine Verletzung dieser Verpflichtungen erbracht habe.
N.B. Gegen diese Entscheidungen des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach seiner Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.
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