Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 59/98

24. September 1998

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-111/97

EvoBus Austria GmbH / Niederösterreichische Verkehrsorganisations Gesellschaft mbH (NÖVOG)

EIN ÖSTERREICHISCHES PROBLEM VON ALLGEMEINEM INTERESSE


Der Gerichtshof entscheidet über einen weiteren Fall der Nichtumsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie in das nationale Recht eines Mitgliedstaats und die Auswirkungen für einen einzelnen

Im April 1995 schrieb die Niederösterreichische Verkehrsorganisations Gesellschaft mbH (NÖVOG) im offenen Verfahren die Lieferung von 36 bis 46 Omnibussen für den Überland-Schnellbus-Linienverkehr im Bundesland Niederösterreich aus. Die NÖVOG betreibt aufgrund einer Konzession des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung Kraftfahrtlinien, wobei es sich um ein Netz zur Versorgung der Öffentlichkeit im Bereich des Verkehrs mit Bussen handelt. Der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer beträgt laut der NÖVOG ATS 111 623 115. Die Angebotsöffnung fand am 27. Juni 1995 statt. Der Zuschlag im gegenständlichen Vergabeverfahren erfolgte an die Steyr Bus Ges.mbH.

Am 18. Juli 1996 beantragte die Antragstellerin beim Bundesvergabeamt die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Antragstellerin brachte vor, daß es im Rahmen dieser Ausschreibung zu einer nachträglichen Angebotsänderung gekommen sei, da der Rückkaufpreis der Busse von ursprünglich 34 % auf 55 % geändert worden sei.

Das Bundesvergabeamt sieht sich folgendem Problem gegenüber: Eine Gemeinschaftsrichtlinie von 1992 regelt die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationsbereich (92/13/EWG) und verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Verfahren zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Vergabeverfahren in diesen Sektoren zur Verfügung zu stellen. Diese Richtlinie war vor dem 1. Januar 1993 in nationales Recht umzusetzen, wurde von Österreich aber erst 1997 durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung (18. Juli 1996) war die Gemeinschaftsrichtlinie also noch nicht in österreichisches Recht umgesetzt. Ferner bestehen österreichische Vorschriften, nach denen die Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ausdrücklich von der Nachprüfungsregelung ausgenommen sind, die auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vorgesehen ist. Aus diesen beiden Gründen müßte sich das Bundesvergabeamt für unzuständig für die erforderliche

Nachprüfung erklären. Es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Fragen vorgelegt, die er heute beantwortet.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob sich für den Fall einer nicht fristgerechten Umsetzung der Gemeinschaftsrichtlinie aus dieser ableiten läßt, daß die zur Nachprüfung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge zuständigen Instanzen der Mitgliedstaaten auch zur Nachprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor befugt sind.

Der Gerichtshof stellt fest, daß sich das nicht aus der Richtlinie ableiten läßt. Es sei Sache der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig sei, in denen es um individuelle, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte gehe, wobei die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich seien. Unter diesem Vorbehalt sei es nicht Aufgabe des Gerichtshofes, bei der Lösung von Zuständigkeitsfragen mitzuwirken, die die Einordnung bestimmter, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhender Rechtslagen im Bereich der nationalen Gerichtsbarkeit aufwerfen könne. Artikel 1 der Richtlinie 92/13 verpflichte die Mitgliedstaaten zwar, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine wirksame Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor sicherzustellen, er bezeichne jedoch weder die zuständigen nationalen Instanzen, noch schreibe er vor, daß es sich dabei um dieselben Instanzen handeln müßte, die die Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge bestimmt hätten.

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, daß die Verpflichtung, das nationale Recht entsprechend der Richtlinie auszulegen und die Rechte des Bürgers wirksam zu schützen, es dem nationalen Gericht gebiete, zu prüfen, ob dem einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge in den vier genannten Bereichen zuerkannt werden könne. Das nationale Gericht habe insbesondere zu prüfen, ob dieser Anspruch auf Nachprüfung vor den Instanzen geltend gemacht werden könne, die auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vorgesehen seien.

Angesichts der erwähnten österreichischen Vorschriften, die die vier durch die Gemeinschaftsrichtlinie geregelten Bereiche von der Nachprüfungsregelung ausschließen, weist der Gerichtshof im Anschluß an sein Urteil Francovich darauf hin, daß die Betroffenen im Rahmen der geeigneten Verfahren des nationalen Rechts den Ersatz des Schadens verlangen könnten, der ihnen dadurch entstanden sei, daß die Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt worden sei, sofern die nationalen Vorschriften nicht in einer der Richtlinie entsprechenden Weise ausgelegt werden könnten.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Verfügbare Sprachen: Deutsch und Französisch.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ca. 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.