Das Gericht erster Instanz bestätigt die Entscheidungen der Kommission: Die Beihilfen, die der Neuen Maxhütte Stahlwerke GmbH und der Lech-Stahlwerke GmbH zwischen 1993 und 1995 vom Freistaat Bayern gewährt wurden (und gewährt werden sollten), sind mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des gemeinsamen Stahlmarktes unvereinbar
1994 entschied der Freistaat Bayern im Rahmen eines Privatisierungsprogramms, sich aus seinen Beteiligungen an der Neuen Maxhütte Stahlwerke GmbH (45 %) und der Lech-Stahlwerke GmbH (19,7 %), beides Unternehmen deutschen Rechts, zurückzuziehen. Zu diesem Zweck unterrichtete die deutsche Regierung die Kommission von verschiedenen finanziellen Maßnahmen, die der Freistaat Bayern zugunsten dieser Unternehmen ergreifen wollte, um die Übernahme seiner Beteiligungen zu erleichtern. Die Kommission stellte in ihrer Entscheidung vom 4. April 1995 fest, daß die geplanten Beiträge in Höhe von 125,7 Mio. DM (zum Ausgleich aufgelaufener Verluste der Neuen Maxhütte), 56 Mio. DM (für bestimmte Investitionen in die Neue Maxhütte) und 20 Mio. DM (zum Ausgleich der Wertminderung der Lech-Stahlwerke infolge ihrer Beteiligung an der Neuen Maxhütte) staatliche Beihilfen darstellten, die nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) untersagt seien und daher nicht gewährt werden dürften.
In den beiden anderen Entscheidungen vom 18. Oktober 1995 und 13. März 1996 stellte die Kommission fest, daß die Darlehen, die der Freistaat Bayern der Neuen Maxhütte gewährt habe (49,895 Mio. DM zwischen März 1993 und August 1994 sowie 24,1125 Mio. DM zwischen Juli 1994 und März 1995), staatliche Beihilfen darstellten, die Deutschland von dem betreffenden Unternehmen zurückfordern müsse.
Die beiden Unternehmen erhoben beim Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften drei Nichtigkeitsklagen gegen die Entscheidungen der Kommission.
Der EGKS-Vertrag verbietet grundsätzlich allgemein und unbedingt staatliche Beihilfen an Stahlunternehmen. Die Kommission kann in diesem Bereich jedoch die für das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl erforderlichen Entscheidungen treffen.
Um den Erfordernissen einer Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie gerecht zu werden, erließ die Kommission seit dem Beginn der achtziger Jahre eine gemeinschaftliche Regelung ("Kodex"), mit der in bestimmten, abschließend aufgezählten Fällen staatliche Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie zugelassen wurden. Die Finanzhilfen des Freistaats Bayern fallen nach Ansicht der Kommission nicht in die im Kodex festgelegten Ausnahmekategorien. Diese Auffassung ist vor dem Gericht auch weder von den klagenden Unternehmen noch von der Bundesrepublik Deutschland (die in den drei Rechtssachen als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der beiden Unternehmen zugelassen worden ist) in Frage gestellt worden. In den drei Entscheidungen qualifizierte die Kommission die betreffenden finanziellen Maßnahmen als nach dem Gemeinschaftsrecht unzulässige "staatliche Beihilfen", weil ein normaler privater, marktwirtschaftlich handelnder Investor solche Maßnahmen nicht ergriffen hätte.
Das Gericht hat die Klagen der beiden deutschen Unternehmen, die im wesentlichen gegen diese Qualifizierung durch die Kommission gerichtet waren, abgewiesen.
Das Gericht ist der Ansicht, daß die im Rahmen der Privatisierung der Neuen Maxhütte und der Lech-Stahlwerke vorgesehenen Finanzhilfen und die vom Freistaat Bayern gewährten Darlehen eine Übertragung öffentlicher Mittel auf ein Stahlunternehmen darstellten. Um zu überprüfen, ob eine solche Übertragung eine staatliche Beihilfe im Sinne des EGKS-Vertrags darstelle, sei festzustellen, ob ein privater Investor von vergleichbarer Größe wie die Einrichtungen des öffentlichen Sektors in vergleichbarer Lage einen Kapitalzuschuß dieses Umfangs hätte gewähren können.
Das Gericht hat festgestellt, daß bei der Neuen Maxhütte bis 1995 Betriebsverluste angefallen seien, insbesondere infolge von Überkapazitäten bei der Produktion und zu hohen Produktionskosten. Das Überleben des Unternehmens sei eng mit Kapitalzuführungen und der Möglichkeit verbunden gewesen, die vom Freistaat Bayern gewährten Darlehen später nicht zurückzuzahlen.
Der öffentliche Kapitalgeber habe ohne auch nur langfristige Aussicht auf Rentabilität Kapitalzuführungen vorgenommen. Unter diesen Umständen sei die Kommission zu Recht der Ansicht, daß diese Kapitalzuführungen staatliche Beihilfen seien.
Das Gericht ist daher zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kommission das Gemeinschaftsrecht zutreffend angewandt habe.
N.B.: Gegen dieses Urteil des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach seiner Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland hat außerdem gegen die drei Entscheidungen der Kommission Nichtigkeitsklagen beim Gerichtshof erhoben, der für Klagen von Mitgliedstaaten allein zuständig ist. Der Gerichtshof hatte die drei Verfahren bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts in den Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96 ausgesetzt.
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